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http://www.bwpat.de/ATspezial | Hrsg. bwp@-Spezial 3 - Österreich Spezial: Franz Gramlinger & Peter Schlögl & Michaela Stock

bwp@ Spezial 3 - Österreich Spezial
Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich. Oder:
Wer „macht“ die berufliche Bildung in AT?


Von der Idee zur Umsetzung: Die Entstehung von Lehrberufen

1. Berufsausbildung in der Lehre

Die Berufsbildung spielt in der österreichischen Bildungslandschaft eine wesentliche Rolle. Dies zeigt sich zum einen in der hohen Attraktivität des Berufsbildungsangebotes für die Jugendlichen: Rund 80 % aller SchülerInnen wählen nach der Pflichtschule einen beruflichen Bildungsgang. Zum anderen manifestiert sich die große Bedeutung der Berufsbildung auch in der Angebotsvielfalt . Neben berufsbildenden Vollzeitschulen auf zwei Niveaustufen (berufsbildende mittlere und höhere Schulen) haben Jugendliche auch die Möglichkeit, eine Berufsausbildung im Rahmen der Lehre (duale Ausbildung) zu erwerben. Dabei können sie derzeit (Stand: Oktober 2007) zwischen 257 Lehrberufen aus allen Bereichen der Wirtschaft wählen. Etwa 40 % eines Altersjahrganges entscheiden sich für eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. Im Vergleich mit den anderen Bildungswegen verzeichnet die Lehre damit den höchsten Zuspruch auf der oberen Sekundarebene.

Um die Attraktivität der Lehre sowohl für Jugendliche als auch für Betriebe aufrecht zu erhalten, ist es erforderlich, das duale Berufsbildungssystem in ständiger Reformbemühung den aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Dies umfasst zum einen die Neuordnung von Lehrberufen , d.h. die Modernisierung bestehender und Einführung neuer Berufsbilder, zum anderen auch die Schaffung neuer Lehrberufsstrukturen , wie etwa die Modularisierung im Jahr 2006.

Wie diese Anpassungsprozesse ablaufen und welche Schritte dabei erforderlich sind, das wird im Folgenden thematisiert (vgl. auch Tab. 1).

1.1 Neuordnung von Lehrberufen

Die Initiative zur Neuordnung von Lehrberufen (Einführung neuer oder Modernisierung bestehender Lehrberufe) geht in der Regel von VertreterInnen der Wirtschaft oder vom Wirtschaftsministerium aus. Ausschlaggebend dafür sind primär Branchenerfordernisse (neue Technologien, erweiterte Tätigkeitsbereiche, veränderte Rahmenbedingungen etc.), aber auch internationale Entwicklungen. Für die verschiedenen Phasen der Neuordnung – von der Vorbereitung der Ausbildungsvorschriften bis zu deren Verordnung – vergehen in etwa zwischen sechs und zwölf Monate.

Inhaltlich werden die Ausbildungsvorschriften vom Bundes-Berufsausbildungsbeirat (BBAB) oder vom Wirtschaftsministerium vorbereitet. Der BBAB ist ein vom Wirtschaftsministerium eingesetztes Gremium, das aus zwölf Sozialpartner-VertreterInnen besteht. Daneben sind zwei BerufsschullehrerInnen in beratender Funktion kooptiert. Der BBAB erstattet dem Wirtschaftsministerium, in dessen Kompetenzbereich der betriebliche Teil der Lehre fällt, Gutachten, u.a. über die Neuordnung von Lehrberufen.

Unterstützung bei der Ausarbeitung von Ausbildungsvorschriften erhalten der BBAB und das Wirtschaftsministerium von einem Berufsbildungsforschungsinstitut, in der Regel vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) . Das ibw erarbeitet gemeinsam mit BranchenexpertInnen und/oder VertreterInnen der Sozialpartner einen Vorschlag für ein Berufsbild, dem „Lehrplan“ für den betrieblichen Teil der Ausbildung und zentraler Bestandteil der Ausbildungsvorschriften. Dabei stehen die Anforderungen des Berufslebens und die praktischen Erfordernisse der Branche im Vordergrund. Zugänge und Lösungen in anderen Staaten werden ebenfalls berücksichtigt.

Dieser Vorschlag wird einem breiten Diskussionsprozess ausgesetzt, der vom ibw wissenschaftlich begleitet wird. Um Meinungen einzuholen und Adaptionserfordernisse festzustellen, werden verschiedene Methoden gewählt. So wurde etwa der Entwurf zur Neuordnung des Holztechnik-Lehrberufes, der davor von Firmen- und SozialpartnervertreterInnen ausgearbeitet wurde, einer Branchenbefragung unterzogen. Auf Basis eines Fragebogens hatten Firmen der Holzindustrie die Möglichkeit, Rückmeldungen zu geben. Diese flossen in die Überarbeitung der Ausbildungsvorschriften ein. Vor Einführung des Lehrberufes Betriebsdienstleistung wurden Workshops veranstaltet, um den vorliegenden Vorschlag mit künftigen Lehrbetrieben zu diskutieren. Das Feedback diente zur Überarbeitung des vorläufig ausgearbeiteten Berufsbildes.

Die auf Basis der Ergebnisse dieses Diskussionsprozesses ausgearbeiteten Ausbildungsvorschriften werden dem BBAB übermittelt. In Ausschüssen beraten Sachverständige des BBAB über den vorliegenden Vorschlag und erstatten im Anschluss daran dem Wirtschaftsministerium ein entsprechendes Gutachten . Das Ministerium leitet ein Begutachtungsverfahren ein und übermittelt allen beteiligten Kreisen, u.a. den VertreterInnen der Berufsschulseite, die ausgearbeiteten Ausbildungsvorschriften.

Parallel dazu wird mit der Ausarbeitung des Rahmenlehrplanes für die Berufsschule begonnen. Entsprechend der Aufgaben der Berufsschule ergänzt der Lehrplan das betriebliche Berufsbild. Koordiniert werden die Arbeiten vom Unterrichtsministerium , das für den schulischen Teil der Lehre zuständig ist. Eine im Ministerium ansässige Lehrplankommission erarbeitet einen Vorschlag, der österreichweit begutachtet wird, u.a. von den Sozialpartnern.

Nach Abschluss des Begutachtungsprozesses werden die Stellungnahmen ausgewertet und entsprechend berücksichtigt. Die endgültige Fassung der Ausbildungsvorschriften für den betrieblichen Teil wird vom Wirtschaftsministerium, der Rahmenlehrplan für den schulischen Teil vom Unterrichtsministerium mittels Verordnung in Kraft gesetzt .

Der Neuordnung von Lehrberufen folgen zahlreiche Maßnahmen . Um neue Lehrberufe bekannt zu machen, werden Lehrberufsmarketing-Aktionen gesetzt. Diese umfassen die Erstellung von Informationsflyern und Websites, die Vorstellung der neuen Lehrberufe in Schulen und Einrichtungen der Berufsberatung, die Aussendung von Presseinformationen etc. Praktische Leitfäden , etwa genaue Erläuterungen der Ausbildungsvorschriften, werden durch die Sozialpartner oder durch Berufsbildungsinstitute zur Unterstützung der Ausbildungsbetriebe erstellt. Die Lehrlingsstellen, die bei den Wirtschaftskammern angesiedelten Berufsausbildungsbehörden erster Instanz, unterstützen Lehrbetriebe durch Information und Beratung . Künftige PrüferInnen von Lehrabschlussprüfungen werden in Seminaren geschult . Nach Ende der ersten Lehrberufsperiode, als etwa nach drei bis vier Jahren, werden die neu geordneten Lehrberufe evaluiert . Befragungen (Fragebogenerhebungen und qualitative Interviews) von Branchen- und SchulvertreterInnen sollen Rückmeldungen darüber geben, ob und welche Änderungsbedarfe es gibt.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Schritte zur Neuordnung von Lehrberufen:

 

1.2  Lehrberufsstrukturen

Neben der Lehrberufslandschaft wurde in den letzten zehn Jahren auch die Struktur von Lehrberufen zusehends differenzierter (vgl. Tab. 2). Im Vordergrund stand (und steht) dabei ebenfalls die Bestrebung, der sich ändernden Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Zusätzlich zu den Einzellehrberufen , das sind Berufe mit eigenen Ausbildungsvorschriften und einem von anderen Lehrberufen unabhängigem Berufsbild, werden seit 1997 auch Schwerpunkt - und Gruppenlehrberufe verordnet. Bei diesen Varianten ist eine gemeinsame Basisausbildung für mehrere Lehrberufe vorgesehen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Ausbildung setzt die Differenzierung ein. Ein weiterer Schritt in Richtung „Baukastensystem“ wurde mit Einführung der Modularisierung im Jahr 2006 gesetzt. Diese vierte Lehrberufsvariante soll bei jenen (neuen) Lehrberufen Anwendung finden, bei denen eine Clusterung von Ausbildungsinhalten notwendig und sinnvoll erscheint. Nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Lehrberufsvarianten in Österreich. Im Anschluss daran wird auf das Konzept der Modularisierung näher eingegangen.

 

1.2.1  Modularisierung der Lehrlingsausbildung

Mit der im Jänner 2006 verabschiedeten Novelle zum Berufsausbildungsgesetz (BAG) wurde die Modularisierung gesetzlich verankert. Folgende Überlegungen standen hinter dem Konzept, das von den Sozialpartnern in Kooperation mit dem Wirtschaftsministerium erarbeitet wurde:

•  Durch die zunehmende Spezialisierung der Unternehmen sind immer weniger Betriebe in der Lage, das gesamte Berufsbild eines Lehrberufes zu vermitteln. Daraus resultiert eine Verringerung der Anzahl potentieller Lehrbetriebe. Durch die Möglichkeit von Schwerpunktsetzungen und Vertiefungen soll das Ausbildungsangebot flexibler gestaltet werden, sodass auch rascher auf Veränderungen reagiert werden kann.

•  In bestimmten Berufsbereichen gibt es eine Reihe von Lehrberufen mit großen inhaltlichen Überschneidungen . Dies beeinträchtigt die Transparenz und Übersichtlichkeit des Lehrberufsangebotes. Durch die Reduktion der Lehrberufe auf eine geringere Anzahl an Basisberufen soll die Übersichtlichkeit verbessert und damit die Berufsinformation erleichtert werden.

•  Derzeit ist die Etablierung einer Lehrlingsausbildung in Berufen bzw. Berufsbereichen, die für sich gesehen keine ausreichende Basis an Kenntnisse und Fertigkeiten bieten, schwierig. Durch die Bildung von „Lehrberufsclustern“, die gemeinsame Ausbildungsinhalte haben, sollen neue Ausbildungsmöglichkeiten vor allem auch in den wachsenden Dienstleistungsbereichen (zB Gesundheits- und Wellnessbereich) geschaffen werden.

•  Die Anrechnung von erworbenen Kompetenzen , vor allem im Hinblick auf Zusatzprüfungen bzw. Lehrabschlussprüfungen im zweiten Bildungsweg, ist aus heutiger Sicht nach wie vor zu restriktiv. Zur notwendigen Etablierung des lebenslangen Lernens sowie zur Erhöhung der beruflichen Mobilität ist eine bessere Anerkennung von bereits erworbenem Wissen durch flexiblere Regelungen sowie ein unkomplizierterer Zugang zum Erwerb zusätzlicher Kompetenzen erforderlich.

Die Modularisierung sieht eine Lehrlingsausbildung vor, bei der weiterhin Berufsausbildungen auf Fachkräfteniveau angeboten werden. Es ist weder eine Zergliederung in Einzelmodule vorgesehen, noch können die Module in beliebiger Reihenfolge absolviert werden.

Ein modularer Lehrberuf besteht aus einem Grund- und zumindest einem Hauptmodul sowie aus einem oder mehreren Spezialmodulen (vgl. Abb. 1):

•  Das Grundmodul beinhaltet jene Fertigkeiten und Kenntnisse, die den grundlegenden Tätigkeiten eines Lehrberufes oder mehrerer Lehrberufe eines bestimmten Berufsbereiches entsprechen.

•  Das Hauptmodul setzt sich aus Fertigkeiten und Kenntnissen zusammen, die den in einem Beruf oder Berufs­bereich erforderlichen Qualifikationen entsprechen.

•  Das für einen modularen Lehrberuf einzurichtende Spezialmodul enthält weitere Fertigkeiten und Kenntnisse eines Berufes oder Berufsbereiches, die dem Qualifikationsbedarf eines Berufszweiges im Rahmen der Erstausbildung im Hinblick auf seine speziellen Produktionsweisen und Dienstleistungen entsprechen.

 

Hinsichtlich der Moduldauer ist vorgesehen, dass das Grundmodul mindestens zwei Jahre, das Hauptmodul ein Jahr umfasst. Wenn es aufgrund der Ausbildungssituation in einem bestimmten Berufsbereich erforderlich und zweckmäßig ist, kann umgekehrt das Grundmodul eine Mindestdauer von einem Jahr, das Hauptmodul von zwei Jahren haben. Die Gesamtdauer von Grund- und Hauptmodul muss zumindest drei Jahre betragen. Die Festlegung der Dauer von Grund- und Hauptmodul ist in erster Linie vom Grad der Überschneidungen der Ausbildungsinhalte abhängig. Ein Spezialmodul kann sich über ein halbes bzw. über ein ganzes Jahr erstrecken. Innerhalb eines Gesamtzeitraumes von bis zu vier Jahren können zusätzlich mehrere Haupt- oder Spezialmodule vermittelt/erworben werden.

Gerade durch die Etablierung von Spezialmodulen werden eine Reihe von Vorteilen erwartet:

•  Spezialmodule sollen in erster Linie modulare Alternativen zu Einzellehrberufen darstellen. Anstatt Einzellehrberufe zu verordnen und damit die Übersichtlichkeit der Lehrberufslandschaft zu reduzieren, sollen die erforderliche Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen von Spezialmodulen vermittelt werden.

•  Spezialmodule sollen weiters die Aufgabe haben, in jenen Berufsbereichen eine duale Ausbildung zu ermöglichen, in denen eine zu „dünne“ Basisausbildung die Einführung eines Einzellehrberufes nicht rechtfertigen würde. Durch ein Grundmodul, das die Basis für mehrere Einzellehrberufe bilden würde, könnte die duale Ausbildung auch in neuen und boomenden Dienstleistungsbranchen stärker etabliert werden.

•  Darüber hinaus könnten Ausbildungsinhalte, die den dringenden Qualifikationserfordernissen einer Branche im Rahmen der Erstausbildung entsprechen, ebenfalls leichter und rascher in die Ausbildung in Form von Spezialmodulen integriert werden. Die Flexibilität und somit auch die Aktualität der Ausbildungsordnungen würde sich dadurch erhöhen, da nur kleinere Ausbildungseinheiten ausgetauscht/ergänzt werden müssten. Die alternative Möglichkeit der Einführung von Einzellehrberufen wäre zeitaufwändiger und würde die Gesamtzahl der Lehrberufe weiter erhöhen.

Die Einführung neuer Ausbildungsinhalte wäre aber nicht nur im Rahmen von Spezialmodulen möglich. Neue Hauptmodule können ebenfalls an bestehende Modullehrberufe „angedockt“ werden.

Die Abfolge der Module ist nicht zeitlich, sondern inhaltlich zu verstehen. So können Ausbildungsinhalte aus dem Haupt- bzw. Spezialmodul bereits in die Grundmodul-Ausbildung vorgezogen werden. Bis zum Ende der jeweils festgelegten Zeit müssen jedoch alle Kenntnisse und Fertigkeiten der einzelnen Module vermittelt werden.

Derzeit befinden sich zwei Modullehrberufe – Werkstofftechnik sowie Installations- und Gebäudetechnik – in Begutachtung, der dritte Lehrberuf – Holztechnik – wird im Oktober 2007 folgen. Zahlreiche Vorschläge aus anderen Berufsbereichen (Lebensmittel, Textil, Elektro, Metall etc.) werden gegenwärtig von den Sozialpartnern diskutiert. Ob und in welcher Form/in welcher Struktur diese Lehrberufe neu geordnet werden, hängt von diesen Diskussionsprozessen ab.

 

Literatur

ARCHAN, S. (2006): Modularisierung der Lehrlingsausbildung. Status quo Analyse und Expertenbefragung. ibw-Forschungsbericht Nr. 130. Wien. Online: http://www.ibw.at/html/fb/FB_130.pdf (15.9.2007).

ARCHAN, S. (2007): Modularer Lehrberuf für die Holzindustrie - Expertenbefragung zur Schaffung eines modularen Lehrberufs. ibw-Bildung & Wirtschaft Nr. 40. Wien. Online: http://www.ibw.at/html/buw/bw40.pdf (15.9.2007).

ARCHAN, S./ MAYR, T. (2006): Berufsbildung in Österreich. Kurzbeschreibung. Cedefop Panorma series 124. Luxemburg. Online: http://www2.trainingvillage.gr/etv/publication/download/panorama/5163_de.pdf (15.9.2007).

BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ARBEIT (2006): Die Lehre: Berufsausbildung in Österreich. Moderne Ausbildung mit Zukunft. Wien. Online: http://www.bmwa.gv.at/NR/rdonlyres/4FBF5974-BA46-4ED9-917D-91BD16B8691F/0/DieLehre2006.pdf (15.9.2007).

 


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Zuletzt verändert: 20.10.2007 12:17 PM
 


  



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