Mit der nun online gegangenen dritten Ausgabe von bwp @ Spezial, die im Call for Papers den Untertitel "Selbstverständnis der Akteure - aktuelle Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte - zukünftige An- und Herausforderungen" getragen hat, sollte der Versuch unternommen werden, eine "Landkarte der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich" zu zeichnen. Was für Deutschland unter Umständen als ein klares Bild erscheint, war für uns die große Fragestellung in Bezug auf Österreich: Wie sieht die Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich aus?
In der deutschsprachigen Fachdiskussion besteht weitgehend Konsens darin, dass es sich bei der "Berufs- und Wirtschaftspädagogik" um eine erziehungswissenschaftliche Teildisziplin handelt, zu deren Aufgaben einerseits die Forschung zu Bedingungen, Strukturen und Prozessen beruflicher Bildung, anderseits die Lehrer- und Lehrerinnenbildung für berufsbildende Schulen und die akademische Ausbildung für außerschulische Berufsbildungsbereiche gehören. Derzeit gibt es in Deutschland 49 universitäre Standorte, an denen die Berufs- und Wirtschaftspädagogik angesiedelt ist. Zur Verbreitung und Diskussion sowohl von eigenen als auch außeruniversitären Forschungsergebnissen, von konzeptionellen Überlegungen zur beruflichen Bildung und von praktischen Erfahrungen verfügt unsere wissenschaftliche Disziplin beispielsweise über eine eigene Sektion ( www.bwp-dgfe.de ) in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) und über einschlägige Fachorgane wie die Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik (ZBW) oder eben auch bwp @ Berufs- und Wirtschaftspädagogik - online.
Die zentrale Frage für diese Sonderausgabe war somit: Verhält sich das für Österreich vergleichbar oder gibt es doch gravierende Unterschiede? Was auf den ersten Blick sehr ähnlich und gut vergleichbar erscheint, ist bei genauerer Betrachtung gar nicht mehr so gleich bzw. vergleichbar, sondern wesentlich differenzierter. Wir hoffen, es ist gelungen dies mit der Zusammenschau im Rahmen dieser Ausgabe evident zu machen.
Die spezifische österreichische Struktur zeigt, dass auf universitärer Ebene an vier österreichischen Standorten in wirtschaftspädagogischen Instituten oder Abteilungen Wirtschaftspädagoginnen und Wirtschaftspädagogen für die spätere berufliche Tätigkeit in Schule oder Wirtschaft und Verwaltung (polyvalent) ausgebildet werden - hier besteht eine sehr gute Vergleichbarkeit und eine deutliche Ähnlichkeit mit Deutschland. Die Berufspädagogik hingegen präsentiert sich in ganz anderer (kleinerer?) Dimensionierung als das in Deutschland der Fall ist. Lehrerinnen und Lehrer, die wirtschaftliche Fächer an den berufsbildenden mittleren und höheren Vollzeitschulen der Sekundarstufe II unterrichten, sind die "Wipäd-Absolventinnen und Absolventen", den Lehrerinnen und Lehrern der gewerblich-technischen Schulen fehlt dagegen fast gänzlich das berufspädagogische Pendant an den Universitäten. Die Lehrkräfte an den österreichischen Berufsschulen schließlich verfügen bisher über keine akademische Ausbildung, was zumindest als Indiz für den unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwert des Dualen Systems in Österreich (im Vergleich zu Deutschland) gedeutet werden kann. Aber natürlich wird auch in Österreich zu berufs- und wirtschaftspädagogischen Fragestellungen geforscht, die berufliche Bildung hat einen bedeutenden Stellenwert in der Bildungslandschaft, Fragen der Qualifikationsentwicklung und -forschung beschäftigen nicht nur die Bildungspolitik, und sowohl das Bildungs- als auch das Beschäftigungssystem betonen die Bedeutung der beruflichen Bildung in Österreich. Zusammengefasst lassen sich doch sehr unterschiedliche Zugänge und Rahmenbedingungen der beruflichen Bildung in Deutschland und Österreich ausmachen.
Fragen, die wir in unserem Call for Papers für die vorliegende Ausgabe gestellt haben, waren:
Wie definiert und präsentiert sich die Disziplin BWP?
Wer sind die verschiedenen Akteure und Akteurinnen im breiten Feld der beruflichen Bildung und was sind deren aktuelle Arbeits- und Forschungsschwerpunkte?
Welches sind die Themen, die für die Zukunft als die wichtigsten und prioritären angesehen werden - sowohl national als auch in einem europäischen bzw. internationalen Kontext?
Wer gestaltet die berufliche Bildung in Österreich auf welchen Grundlagen und mit welchen Zielen?
Welches sind aktuelle Forschungsfragen, Problembereiche, diskutierte Perspektiven und An- und Herausforderungen in der österreichischen Berufsbildung?
Wir freuen uns, dass so viele Akteure und Akteurinnen unserem Aufruf nachgekommen sind und sich an der Erstellung der beabsichtigten Österreich-Landkarte unserer Disziplin beteiligt haben. (Insgesamt 37 Autorinnen und Autoren zeichnen für die 29 Beiträge dieser Ausgabe verantwortlich!) Unserer Meinung nach ist es mit der Hilfe dieser Kolleginnen und Kollegen gelungen, für eine breite Zielgruppe von Leserinnen und Lesern diese "Verortung" nicht nur auf einer rein deskriptiven, informierenden Ebene, sondern gezielt mit dem Fokus auf aktuelle und für die Zukunft als relevant erachtete Forschungs- und Entwicklungsfragen zu erreichen. Das Ergebnis zeigt die lohnende Bemühung und lässt klar ein eigenständiges, österreichisches Profil der Berufs- und Wirtschaftspädagogik ableiten.
Auch die Gestaltung und Gliederung dieser bwp @ Sonderausgabe spiegelt das Profil von Lehre, Forschung und Entwicklung in der beruflichen Bildung in Österreich wider. Die Gliederung in zwei große Hauptteile mit inhaltlich unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und differierendem Erscheinungsdatum hat sich nicht nur als pragmatisch sinnvoll und von der arbeitsmäßigen Belastung her als ein Glücksfall erwiesen. Es nähern sich damit (hoffentlich) auch zwei "parallele Welten" der österreichischen Berufsbildungslandschaft, die in der Vergangenheit ohne große Berührungsnotwendigkeiten ausgekommen sind. Zwei wichtige Veranstaltungen im April und Juli 2008 zeigen aber, dass Bewegung in die österreichische Berufsbildung gekommen ist, und wir hoffen, dazu auch ein klein wenig beitragen zu können.
Teil I, der im Oktober 2007 unter der Überschrift "Berufsbildungsforschung in Österreich" online gegangen ist, besteht aus 17 Beiträgen unterschiedlichster Akteure und Akteurinnen aus wissenschaftlichem und nicht wissenschaftlichem Umfeld - ausgenommen die Beiträge der vier Universitätsstandorte der Wirtschaftspädagogik in Österreich. Die zum Teil markant divergierenden Positionierungen zu Anspruch und disziplinärer Ausrichtung sowie die thematische Breite zeigen - positiv gesprochen - die Vielfalt, kritischer betrachtet die Fragmentierung der aktuellen Reflexionen und wissenschaftlichen Diskurse zur beruflichen Bildung in Österreich.
Teil II mit Erscheinungsdatum 1. Februar 2008 umfasst insgesamt zwölf Beiträge der vier Wirtschaftspädagogik-Standorte. Dieser zweite Teil, der mit einem gemeinsamen Beitrag der LehrstuhlinhaberInnen "eröffnet" wird, thematisiert und diskutiert aktuelle und für die Zukunft als relevant erachtete Forschungsfragen aus der Sicht der vier österreichischen WIPÄD-Standorte.
Der zuerst online publizierte Teil zur Berufsbildungsforschung allgemein gliedert sich wiederum in drei Bereiche:
1) Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
2) Universitäten und Hochschulen
3) Weitere zentrale Akteurinnen und Akteure
ad 1): Vertreterinnen und Vertreter außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die in Österreich jahrzehntelange Tradition in der Berufsbildungsforschung haben, zeichnen ein Bild der rezenten Ausgestaltung der Landschaft beruflicher Bildung sowie aktueller Forschungs- und Entwicklungsstränge, die vielfach im Rahmen von Auftragsforschung oder Europäischen Kooperationsprojekten umgesetzt werden. Dass wir von gleich drei Institutionen jeweils zwei Beiträge bekommen haben, zeigt einerseits die Rührigkeit und Vielfalt dieser Institute, andererseits aber auch die Bedeutung, die unserer Sondernummer von den betroffenen Forschungseinrichtungen beigemessen wird.
ad 2): Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie Forschung zur Berufsbildung wird durch die aktuellsten Entwicklungen nicht mehr in einem homogenen hochschulischen Raum umgesetzt. Dies lässt sich aus den Beiträgen der Universitäten und der neu geschaffenen pädagogischen Hochschulen ablesen. Insofern stellen die hier versammelten Beiträge gleichsam einen Ausgangspunkt für die künftige Positionierung von Universitäten und Hochschulen in diesem Feld dar. Die durchaus kontroversiellen Beiträge, zu deren Diskussion wir gerne einladen, zeigen, dass diese Entwicklung am Anfang steht.
ad 3): Ein Spezifikum der österreichischen Berufsbildungslandschaft stellt sicherlich auch die vielfältige Einbindung von Behörden, Interessenvertretungen und Verwaltungsstrukturen dar, die z.T. bis auf die operative Ebene reicht. Diese Verschneidung von Regulation und Expertise wird in den Beiträgen des dritten Abschnittes mehrfach angesprochen und sichtbar. Abgerundet wird dieser Teil von einem Beitrag aus dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur; dass das BMUKK ein äußerst wichtiger Player in der österreichischen Berufsbildungslandschaft ist, dürfte zumindest zum Teil in der Bedeutung der berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, denen kaum Vergleichbares in Europas Berufsbildungslandschaft gegenübergestellt werden kann, begründet sein.
Die Beiträge in den jeweiligen Teilkategorien sind ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie viel im Bereich der beruflichen Bildung bzw. der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich in Bewegung ist, und auf welch unterschiedlichen Ebenen und in zum Teil ganz verschiedenen Kontexten dazu gearbeitet wird. Mit diesem Teil dürfte es uns gelungen sein, einen ersten, beträchtlichen Teil der Topographie der Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich zu kartieren, der im Februar 2008 durch den zweiten Teil der universitären Wirtschaftspädagogik mit insgesamt 12 Beiträgen ergänzt wurde. Diese kommen von den vier österreichischen Universitätsstandorten, an denen WirtschaftspädagogInnen ausgebildet werden: Graz, Innsbruck, Linz und Wien (in alphabetischer Reihenfolge).
Besonders freuen wir uns über den einleitenden Aufsatz "Die Wirtschaftspädagogik an den Universitäten Österreichs", der gemeinsam von der Professorin und den Professoren dieser vier Universitätsstandorte verfasst wurde - ein herzliches Danke an Annette OSTENDORF und ihre vier Kollegen Josef AFF, Dieter MANDL, Georg Hans NEUWEG und Bruno SCHURER.
Gleichsam das Verbindungsglied zwischen diesen beiden großen Teilen stellt ein Beitrag aus der Sektion Berufsbildung des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur dar, verfasst von Helene BABEL.
Wir hoffen und sind zuversichtlich, dass wir das Ziel, eine österreichische Landkarte unserer Disziplin zu entwerfen, zumindest in Ansätzen erreicht haben. Unser herzlicher Dank geht an alle Kolleginnen und Kollegen, die dazu beigetragen haben. Und wie immer freuen wir uns über jegliche Art der Rückmeldung an atspezial (at) bwpat.de.
Franz Gramlinger, Peter Schlögl & Michaela Stock
(im Oktober 2007 und Februar 2008)
(inhaltlich verantwortliche Herausgeber von bwp @ AT-Spezial)