PARTNER von bwp@ Spezial 3: KIBNET - http://www.kibnet.org/   SAP   Arbeitswelt & Schule   1. Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung   http://www.bitmedia.cc
bwp@  home
www.bwpat.de

http://www.bwpat.de/ATspezial | Hrsg. bwp@-Spezial 3 - Österreich Spezial: Franz Gramlinger & Peter Schlögl & Michaela Stock

bwp@ Spezial 3 - Österreich Spezial
Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich. Oder:
Wer „macht“ die berufliche Bildung in AT?


Berufsbildungsforschung und Politik in Österreich – Schwerpunkte, Ergebnisse, Weichenstellungen

1. Einleitung

Der vorliegende Beitrag gibt eine Übersicht über Ergebnisse aus den Analysen zum Forschungsbericht im CEDEFOP-Refer-Net und verbindet diese Ergebnisse mit dem Wissen aus verschiedenen Überblicksarbeiten zu breiteren bildungspolitischen Programmen im Rahmen der Policy Analyse. Dabei wird insbesondere auf Material zurückgegriffen, das im Rahmen der Evaluierungen der Nationalen Aktionspläne (NAPs) und der Strategie im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) entstanden ist, sowie auf Arbeiten im Rahmen des Lissabon-Prozesses, der Österreichischen EU-Präsidentschaft 2006 und der Aktivitäten zur Schaffung des Berufsbildungs-, Lifelong Learning- und Hochschulraumes.

Die Berufsbildungsforschung wird in ihren institutionellen Strukturen und Hauptthemen dargestellt (2), dann wird auf Basis eines stilisierten Modells der Verwendung von Forschung und Entwicklung (F&E) im Rahmen der Politikprozesse versucht, die Beziehung zwischen Forschung und ihrer Verwendung unter dem heute forcierten Stichwort „Evidence Based Policy“ zu identifizieren (3). Eine Diskussion der Rolle der Berufsbildungsforschung bei der Entwicklung bildungspolitischer Schwerpunkte und Weichenstellungen beschließt den Beitrag (4).

2.  Berufsbildungsforschung

Im Bereich der österreichischen Berufsbildungsforschung haben sich in den letzten Jahren einige Entwicklungen angebahnt, die als wichtige Schritte in Richtung Qualitätsverbesserung und stärkerer Verbindung zur Praxis zu sehen sind. Im Rahmen der Aktivitäten zum Aufbau des Refer-Net hat sich mit Unterstützung des Bundesministeriums ein Netzwerk von Forschungsinstituten gebildet (abf-Austria), das wichtige Projekte im Rahmen der wissenschaftlichen Politikberatung übernommen hat, und insgesamt auch erste Schritte zur besseren Zusammenarbeit und Information in diesem Feld gesetzt hat. Im nächsten Jahr wird die erste österreichische Berufsbildungsforschungskonferenz stattfinden, die die bisherigen Entwicklungen sichtbar machen soll.

In diesem Abschnitt wird die Berufsbildungsforschung im Rahmen der institutionellen Strukturen der österreichischen Bildungsforschung skizziert, und es werden anschließend Befunde zur thematischen Entwicklung dargestellt, die auch die Schwächen des bisherigen Standes spiegeln.

2.1  Institutionelle Strukturen der österreichischen Bildungsforschung

Die österreichische Bildungsforschung ist in drei bis vier sehr verschiedene Bereiche zersplittert, die auch in unterschiedlichen institutionellen Kontexten angesiedelt sind. Man kann grundsätzlich unterscheiden zwischen den drei Hauptfeldern

•  schulbezogener Bildungsforschung,

•  Hochschulforschung und

•  Berufsbildungsforschung.

Zusätzlich besteht ein etwas weniger deutlich ausdifferenziertes Feld der Erwachsenenbildungsforschung, das beträchtliche Überschneidungen zu den anderen Feldern, insbesondere im Bereich der betrieblichen Weiterbildung zur Berufsbildungsforschung, aufweist, und es bestehen auch starke Überschneidungen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die in Österreich eine vergleichsweise starke Tradition hat und ebenfalls gewisse Überschneidungen zur Berufsbildungsforschung aufweist.

Die Identifikation dieser Felder ist insbesondere deshalb wichtig, weil diese jeweils in unterschiedlichen institutionellen Kontexten situiert sind und ein starkes Eigenleben führen, sich in den letzten Jahren unterschiedlichen Netzwerken zusammenschließen, und untereinander nur geringe Austauschbeziehungen aufweisen. Diese Aussagen sind nur teilweise durch formale empirische Befunde zu beweisen, wurden aber bereits mehrfach in unterschiedlichen Kontexten präsentiert und veröffentlicht und haben keinen nennenswerten Widerspruch geerntet.

Die Entwicklungsfunktion in der österreichischen Bildungsforschung ist nicht zu denken ohne die Einflüsse der internationalen Institutionen, insbesondere zunächst seit den 1960er Jahren der OECD, und seit der Mitte der 1990er Jahre – verstärkt in den letzten Jahren – der EU. Ein wichtiger Schritt war auch in den 1970er Jahren die Gründung einer staatlichen Agentur zur Durchführung und Evaluierung der damals gesetzlich fundierten Schulversuche zur Gesamtschule, die längerfristig zu einem stärker diversifizierten Zentrum für Schulentwicklung umgewandelt wurde und nun den Kern einer neu organisierten staatlichen Agentur für Bildungsforschung und Entwicklung (BIFIE - http://www.bifie.at/ ) bilden soll.

Spezielle Unterscheidungen betreffen die Beziehungen zwischen Forschung und Entwicklung, bzw. zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung, sowie – insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung – die Beziehungen zwischen unterschiedlichen disziplinären Kontexten. Die Bildungsforschung wird ja seit der Prägung des Begriffs als Forschungsfeld charakterisiert, in dem neben der Pädagogik oder Erziehungswissenschaft weitere Disziplinen ihre Beiträge leisten (Psychologie, Soziologie, Ökonomie, um nur einige zu nennen).

2.1.1  Institutionelle Kontexte

Abbildung 1 zeigt die verschiedenen institutionellen Kontexte der österreichischen Bildungsforschung. Die verschiedenen Forschungsfelder sind schwerpunktmäßig in unterschiedlichen Kontexten angesiedelt:

- Die schulbezogene Bildungsforschung wird überwiegend an den Universitäten (Institute für Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Wirtschaftspädagogik, teilweise auch psychologische Schulforschung) und in der staatlichen Agentur für Bildungsforschung und Entwicklung (Bifie) durchgeführt. Letztere befindet sich in einem Prozess der Neugestaltung, wobei auch das ursprünglich projektförmig organisierte PISA-Zentrum integriert wird. Die postsekundären Institutionen der PflichschullehrerInnenausbildung wurden in Pädagogische Hochschulen umgewandelt, die in Zukunft ebenfalls F&E-Leistungen erbringen sollen.

- Die Hochschulforschung wird in den letzten Jahren verstärkt in Form von internationalen Projekten durchgeführt und besitzt Organisationskerne an den Universitäten. Einerseits spielt ein Institut für Hochschulforschung (iff - http://www.uni-klu.ac.at/iff/inhalt/1.htm ) eine wichtige Rolle, andererseits haben die Universitäten in den letzten Jahren Entwicklungsabteilungen gegründet, die beispielweise für Evaluierungen zuständig sind. Der Non-Profit Bereich hat ebenfalls wichtige Beiträge zur Hochschulforschung geleistet.

 

- Die Berufsbildungsforschung findet im wesentlichen im nicht-universitären Sektor statt, mit dem Schwerpunkt im Bereich der Institute der Sozialpartner (IBW, ÖIBF) und markt-orientierter Institute, mit einem gewissen Beitrag unabhängiger Non-Profit Institute. Es handelt sich meistens um kleine Institutionen in der Größenordnung von zehn MitarbeiterInnen, die um Projekte konkurrieren. Mit dem Aufbau des CEDEFOP-Refer-Netzwerkes hat eine Strukturbildung im Bereich der Berufsbildungsforschung begonnen, indem ein Netzwerk mit einem Kern von fünf Institutionen (abf-Austria) und einem breiten erweiterten Kreis von TeilnehmerInnen aus Forschung und Praxis gegründet wurde. Die österreichische Berufsbildungsforschung steht in einem Naheverhältnis zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung , die stark vom Arbeitsmarktservice genutzt und unterstützt wird. In den letzten Jahren wurde ein AMS-Forschungsnetzwerk gegründet, das auch beträchtliche Überschneidungen zur Berufsbildungsforschung aufweist.

Von der Forschungsökonomie her gesehen, wird insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung Marktversagen angenommen, so dass öffentliche Unterstützung dafür nötig ist. Den Universitäten kommt dabei meistens eine Schlüsselstellung zu. Wie in einem stark marktmäßig organisierten Bereich zu erwarten ist, wird in der österreichischen Berufsbildungsforschung fast keine Grundlagenforschung durchgeführt. Die verhältnismäßig kleinen Einheiten befinden sich im Wettbewerb um die anwendungsbezogenen Aufträge und haben keine ausreichenden Ressourcen zur Weiterentwicklung in Richtung stärker theoretisch orientierter wie auch international sichtbarer Forschung.

2.1.2  Explorative Analysen zur europäischen Einbindung und Sichtbarkeit

Eine explorative Auswertung von europäischen Bildungsforschungsprojekten im 4. und 5. Rahmenprogramm kann diese Zusammenhänge illustrieren. Basis der Auswertung sind die in EC DG RESEARCH (2003) ausgewerteten Projekte. Diese Projekte wurden nach wissenschaftlichen Kriterien und nach politischen Prioritäten ausgewählt und können als Gradmesser der Forschungsqualität gesehen werden.

 

Von insgesamt 58 Projekten können 27 der Berufsbildungsforschung zugeordnet werden (20 der schulbezogenen Bildungsforschung und 11 der Hochschulforschung). Vergleicht man die Beteiligung Österreichs mit anderen kleineren Ländern gemessen durch die Zahl der beteiligten Forschungsinstitutionen, so haben aus den neun ausgewählten Ländern 174 Institutionen an Bildungsforschungsprojekten der beiden Rahmenprogramme teilgenommen (im Durchschnitt fast 20 teilnehmende Institutionen pro Land, ihre Verteilung auf die drei Forschungsbereiche entspricht der Verteilung der Projekte: 49 % : 34 % : 17 %). Abbildung 2 zeigt eine ziemlich unausgewogene Verteilung der Teilnahmen (die Hälfte aller Beteiligungen vereinigen die Niederlande, Griechenland und Finnland auf sich).

Aus Österreich haben 13 Institutionen teilgenommen (das macht einen Anteil von 7 %), darunter ist die Hochschulforschung deutlich überrepräsentiert (31 % der Teilnahmen im Vergleich zu 17 % im Durchschnitt der Länder), und die Berufsbildungsforschung ist deutlich unterrepräsentiert (nur 38 % im Vergleich zu 4 9% im Durchschnitt). Österreich hat die geringste Zahl an Beteiligungen in der Berufsbildungsforschung von allen ausgewählten Ländern (vgl. Abbildung 3). Die Berufsbildungsforschung hat sehr unterschiedliche Schwerpunkte in den verschiedenen Ländern, und ihr Anteil korreliert nicht unbedingt mit dem Gewicht der Berufsbildung. Die Niederlande, Griechenland, Belgien. Finnland und Österreich haben einen vergleichsweise niedrigen Anteil um 40 % im Bereich der Berufsbildung, in Portugal und Schweden ist dieser Anteil deutlich erhöht (um 60 %) und in Dänemark und Irland liegt der Schwerpunkt der Beteiligung klar im Bereich der Berufsbildung (80 % bis 9 0%).

 

Betrachtet man die Verteilung der universitären und nicht-universitären Forschungseinrichtungen, so sind in Österreich – wie auch in den mediterranen Ländern Griechenland und Portugal – insgesamt die nicht-universitären Forschungsinstitutionen in den europäischen Projekten überrepräsentiert (38 % gegenüber 32 %). Im Bereich der Berufsbildungsforschung ist Österreich das einzige Vergleichsland, in dem die nicht-universitären Institutionen überwiegen (Abbildung 4). Man kann nun mit diesen Daten ansatzweise und explorativ die These prüfen, ob die schwache Verankerung der Berufsbildungsforschung im universitären Bereich systematisch die Qualität der Forschung – gemessen an der Repräsentation in den europäischen Projekten – beeinträchtigt.

 

Folgende Zusammenhänge können geprüft werden:

•  Besteht ein Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil an nicht-universitären Institutionen und einer geringen Zahl an Beteiligungen, insgesamt und in den drei Forschungsbereichen?

•  Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der nicht-universitären Institutionen in den einzelnen Bereichen und dem Anteil der jeweiligen Bereiche an der Gesamtbeteiligung?

Wenn man von einer kompetitiven Struktur der Beteiligung ausgeht und annimmt, dass die nicht-universitären Institutionen begrenzte Ressourcen für die Beteiligung haben, dann müsste ein höherer Anteil auf Wettbewerbsnachteile schließen lassen. Diese Zusammenhänge bestehen jedoch nicht in linearer Form.

•  In Hinblick auf die Gesamtzahl der Beteiligungen ergibt sich kein Zusammenhang zum Anteil der nicht-universitären Institutionen. Wenn man die forschungsstarken Niederlanden, die allein ein Fünftel der Beteiligungen auf sich ziehen, als Beispielsfall betrachtet, so wäre ein mittlerer Anteil an nicht-universitären Institutionen günstig (die übrigen Länder zeigen im Aggregat interessanterweise eine deutlich gegenteilige Tendenz, derzufolge sowohl ein starker als auch ein schwacher Anteil der Universitäten die Beteiligung erhöht).

•  Die disaggregierte Betrachtung nach Forschungsbereichen zeigt ein konsistentes Bild, demzufolge sich ein mittlerer Anteil an nicht-universitären Institutionen als günstig für die Beteiligung in jedem der drei Bereiche erweist (Abbildung 5).

 

•  Betrachtet man die Zusammenhänge zur Verteilung der Forschungsbereiche, so ergeben sich unterschiedliche Bilder für die drei Forschungsbereiche, die möglicherweise auch Prioritäten widerspiegeln. In der Berufsbildungsforschung zeigt sich der erwartete negative Zusammenhang: je höher der Anteil der nicht-universitären Institutionen, je geringer der Anteil der Berufsbildungsforschung. In der allgemeinen Schul- und Bildungsforschung reproduziert sich der bereits bei der Zahl der Beteiligungen beobachtete Zusammenhang (der jedoch stark durch Sonderfälle bestimmt wird und nicht aussagekräftig ist). In der Hochschulforschung gibt es insgesamt wenige Fälle, die auf einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil nicht-universitärer Institutionen und dem Anteil der Hochschulforschung hinweisen (Abbildung 6).

Insgesamt ergeben sich aus dieser explorativen Analyse offensichtlich komplexe Zusammenhänge, die weitergehende Analysen der Wirkungen von unterschiedlichen institutionellen Strukturen auf die Qualität und Sichtbarkeit der Forschung rechtfertigen.

 

2.2  Forschungsthemen und -schwerpunkte in der Berufsbildungsforschung

Entsprechend der institutionellen Struktur besteht keine sehr gute Übersicht über die Forschungsthemen und ihre Entwicklung. Seit einigen Jahren wird im Rahmen der Aktivitäten des CEDEFOP Refer-Net ein jährlicher Forschungsbericht erstellt, der aufgrund verschiedener verfügbarer nationaler und europäischer Quellen versucht, eine Übersicht zu gewinnen und darzustellen (LASSNIGG 2003, 2004, 2005, 2006a). Als erste Quelle werden die im Rahmen der im Refer-Net gesammelten Publikationen zur Berufsbildungsforschung verwendet, diese werden ergänzt durch die Europäische Forschungsdatenbank ERO-Base und mit Auswertungen der österreichischen Bildungsforschungsdokumentation (Bifodok) verglichen.

Abbildung 7 gibt einen Überblick über die Hauptthemen nach dieser Informationsquelle für die vier Jahre 2003 bis 2006, geordnet nach der Absolutzahl 2006. Insgesamt wurden etwa 200 Publikationen erfasst, wobei sich die Zahl seit 2003 etwa verdoppelt hat. Im Durchschnitt über die vier Jahre sind der Arbeitsmarkt, der wirtschaftliche Bedarf und Fragen der Sozialpartnerschaft mit Abstand die wichtigsten Themen mit etwa einem Fünftel der erfassten Publikationen. Es folgen fünf etwa gleichgewichtige Themenbereiche mit je etwa einem durchschnittlichen Anteil von 10%: Bildungsinstitutionen, LernerInnen und Zielgruppen, Zertifizierung und Beratung, sowie die allgemeineren Sammelthemen über Berufsbildung und Allgemein/Hochschulbildung. Die übrigen sechs Themenbereiche sind eher mit kleineren Anteilen vertreten. LehrerInnen, Bildungsverwaltung, Personalentwicklung und politische Themen sind besonders schwach vertreten.

 

 

Die absolute Darstellung zeigt bereits ziemliche Schwankungen der Themenschwerpunkte im Zeitverlauf. Dies wurde bereits zu früheren Zeitpunkten aufgrund verschiedener Auswertungen deutlich: Es werden kaum Themen kontinuierlich bearbeitet. In Abbildung 8 ist die Entwicklung der Verteilung der Themen ersichtlich. Es sind kaum systematische Entwicklungen erkennbar, mit Ausnahme einer klaren sukzessiven Ausdehnung der LernerInnen und Zielgruppenthematik und einem ziemlich klaren Rückgang der Informationstechnologien sowie der Allgemein- und Hochschulbildung.

Der Vergleich der verschiedenen Quellen relativiert die Einschätzung einigermaßen (Abbildung 9). Für 2005 kann die Verteilung der Publikationen mit der österreichischen Bildungsforschungsdokumentation verglichen werden. Es wurden Projekte nach den Stichworten ausgewertet und den ERO-Deskriptoren zugeordnet. Im Vergleich sind vor allem die Wirtschafts- und Arbeitsmarktthemen, die Informationstechnologie und die Institutionen doppelt so stark vertreten gegenüber den Publikationen.

 

Der Vergleich zwischen den Publikationen und den Projekten der ERO-Base, der für 2005 und 2006 möglich ist, zeigt vor allem Unterschiede in den Schwerpunktsetzungen zwischen nationalen Projekten und transnationalen und europäischen Projekten. Im Jahr 2005 ist ein deutlicher Schwerpunkt auf Zertifizierung und Guidance erkennbar, während 2006 vor allem Curriculum und Informationstechnologie ausgeweitet wurde.

2.3  Qualitative Befunde

Auch wenn die Auswertungen der verschiedenen Quellen strukturelle Schwächen der österreichischen Berufsbildungsforschung ergeben, und daher auch keine systematischen Schwerpunktsetzungen erkennen lassen, gibt es doch in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen auch systematische Entwicklungen, die zu einer wesentlichen Ausweitung der Forschung und ihrer Nutzung geführt haben. Vor allem in den folgenden Bereichen hat es in den letzten Jahren bemerkenswerte Entwicklungen gegeben:

Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung (QE/QS): Im Bereich der Allgemeinbildung bestehen in Österreich seit Jahrzehnten schwelende Probleme der Schulorganisation, die mit der frühen Trennung der Kinder und Jugendlichen in die selektive „Allgemeinbildende Höhere Schule“ und die in drei Leistungsniveaus geführte „Hauptschule“ zusammenhängen. Aufgrund der immer wieder ausbrechenden politischen Konflikte um diese Trennung wurde die Schulorganisation verfassungsmäßig festgeschrieben und die bürokratische Grundstruktur des Schulwesens ist mit dadurch bedingt. Bereits in den 1980ern hat eine Bewegung zur Schulautonomie und Schulentwicklung begonnen, die versuchte innerhalb der gegebenen Strukturen zu arbeiten. Nachdem weitgehende Vorschläge zur Ausweitung der Schulautonomie (POSCH/ ALTRICHTER et al. 1992) fehlgeschlagen sind, wurde in den 1990ern ein breit angelegter Masterplan für die Qualitätsentwicklung (EDER et al. 2002) erarbeitet, der auch in einem neuen entwicklungsorientierten Lehrplan für die Mittelstufe Ausdruck gefunden hat (vgl. LASSNIGG/ MAYER 2001). Im Zuge dieser Aktivitäten hat sich eine ForscherInnengruppe von verschiedenen Universitäten etabliert, die einerseits mit dem nationalen PISA-Zentrum und andererseits mit dem staatlichen Zentrum für Schulversuche verbunden ist. Es wurde eine Internetressource entwickelt („Qualität in Schulen“ Q.I.S. http://www.qis.at/start.htm ) und in der Nachfolge auch ein Gutachten für die Reform des Schulwesens beauftragt, das immer noch wesentliche Impulse für die Umsetzung gibt (ZUKUNFTSKOMMISSION 2003). In der weiteren Folge wurde auch für den Bereich der schulischen Berufsbildung ein weitgehendes Programm zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung erarbeitet, das sich im Stadium der Umsetzung befindet („Qualität in der Berufsbildung“ QIBB, http://www.qibb.at/ ; vgl. auch TIMISCHL 2006). Sowohl im Bereich der Allgemeinbildung als auch im Bereich der Berufsbildung werden Standards für das ergebnisorientierte Monitoring der Schulqualität entwickelt. Es wird im Zuge der Qualitätsinitiativen auch die Beteiligung an den internationalen Large Scale Assessments verstärkt geplant.

Entwicklung des nationalen Qualifikationsrahmens (NQR): Österreich hat beschlossen, einen nationalen Qualifikationsrahmen zu entwickeln. Dabei wurden bereits in der Vorlaufphase forschungsgestützt die Voraussetzungen und Möglichkeiten in Form einer Feasibility-Studie (SCHLÖGL et al. 2006) und in Form eines Gutachtens für den Hochschulbereich im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft (LASSNIGG et al. 2006) analysiert. Die Entwicklung und Umsetzung wird von einer Projektgruppe unter breiter Einbindung der verschiedenen Stakeholder mit direkter Unterstützung durch ein Forschungskonsortium durchgeführt, wobei es einen laufenden Austausch zwischen Ergebnissen und Weiterentwicklungen gibt. Aufgrund der Analyse internationaler Erfahrungen, wie auch zentraler Entwicklungsfragen wird forschungsgestützt ein Konsultationsdokument entwickelt, auf dessen Grundlage in einem breiten Konsultationsprozess der NQR entstehen soll. Diese Form des engen und direkten Zusammenspiel von Forschung und Praxis ist etwas Neues in der österreichischen Berufsbildungspolitik.

SchulabbrecherInnen und Übergang in das Erwerbsleben: Die Problematik des Überganges von der Schule in die Arbeitswelt ist seit der Mitte der 1980er Jahre immer wieder im Bereich des Lehrstellenmarktes ein Thema, da in Zeiten des Konjunkturabschwunges periodisch zu wenig Lehrstellen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wurde die Thematik des frühen Schulabbruches durch die entsprechende EU-Benchmark im „Arbeitsprogramm für die Allgemeine und Berufliche Bildung 2010“ einer erweiterten Betrachtung zuteil, indem auch zunehmend die bisher verdeckten Probleme des Schulabbruches, die nicht am Lehrstellenmarkt zum Vorschein kommen, offengelegt wurden (STEINER/ STEINER 2006, STEINER 2005a,b). Die Sozialpartner haben in einer jüngsten Initiative der Bekämpfung des Schulabbruches großes Augenmerk zugewendet, die ebenfalls teilweise auf den Forschungsergebnissen aufbaut (CHANCE BILDUNG 2007). Im Rahmen der Interventionen des Europäischen Sozialfonds wurden und werden ebenfalls Maßnahmen für SchulabbrecherInnen entwickelt und umgesetzt, die forschungsgestützt evaluiert wurden (STEINER/ WAGNER/ PESSL 2006) . Aufbauend auf diesen Studien und Befunden wird aktuell in einem Entwicklungsprojekt unter Einbeziehung von internationalen Erfahrungen und der PraxisakteurInnen an der Entwicklung einer Strategie gegen den Schulabbruch gearbeitet (STEINER/ WAGNER 2007).

Berufsorientierung und –beratung („Lifelong Guidance“). Dieses Thema ist aufgrund des differenzierten und spezialisierten österreichischen Berufsbildungssystems mit dem Zwang zu frühen Wahlen von Ausbildungsgängen durch die Jugendlichen ebenfalls seit langem ein wichtiges bildungspolitisches Thema. Basierend auf einem OECD-Gutachten (OECD 2003) und umfassenden Erhebungen zu den österreichischen Initiativen wird 2005-2007 in einer Arbeitsgruppe systematisch an der Entwicklung und Umsetzung einer Strategie gearbeitet, die alle Bildungsbereiche einbezieht und eine Vielfalt von Verpflichtungen und Angeboten umfassen soll ( http://www.schulpsychologie.at/guidance/ ; vgl. auch BMUKK/BMWF 2007, KRÖTZL o.J.). Die österreichischen Aktivitäten sind auch eng in ein internationales Netzwerk eingebunden.

Entwicklung einer Lifelong Learning (LLL) Strategie. Bereits seit der Europäischen Beschäftigungsstrategie 1998 wird seitens der Kommission auf die Umorientierung der Bildungspolitik auf das Paradigma des Lebenslangen Lernens gedrungen. Im vorigen Programm des Europäischen Sozialfonds wurde bereits ein Schwerpunkt „Lifelong Learning“ gefördert, ebenso im Programmvorschlag für 2007-2013 ist ein Schwerpunkt vorgesehen ( http://www.esf.at/downloads/publikationen/ESF-OP_Februar-2007.pdf ). Die forschungsgestützte Informationsbasis hat sich deutlich verbessert und die Zielvorgaben wurden gegenüber der Vorperiode konkretisiert. Seit 2006 haben verschiedene ExpertInnengruppen an Vorschlägen für eine LLL-Strategie gearbeitet (vgl. EXPERTINNENGRUPPE 2006) und die Sozialpartner haben im Oktober 2007 ein umfassendes Konzept vorgelegt, das einen Satz von quantifizierten Benchmarks für die Erreichung der politischen Ziele in allen Bildungsbereichen von der Frühförderung bis zur Erwachsenen- und Weiterbildung enthält (vgl. CHANCE BILDUNG 2007). Eine wesentliche Frage der Umsetzung der Strategie betrifft die organisatorischen Strukturen, die bisher nur sehr wenig analysiert wurden. Das vorhandene Governance-System im Bildungswesen lässt aufgrund seiner in weiten Bereichen traditionell bürokratischen und segmentierten Struktur eine Gesamtsteuerung nicht zu, die jedoch für ein reibungsloses Lifelong Learning System nötig ist (vgl. LASSNIGG et al. 2007, LASSNIGG 2007a,b).

Antizipation von Qualifikationsbedarf und Monitoring des Überganges in Beschäftigung. Im spezialisierten österreichischen Berufsbildungssystem stellt sich verstärkt die Frage nach dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bzw. Bedarf nach Kompetenzen und Qualifikationen. Auf der Seite des Arbeitsmarktes gibt es eine seit Jahrzehnten entwickelte Forschung, die auch in einem etablierten Forschungsnetzwerk ihren Ausdruck findet ( www.ams-forschungsnetzwerk.at ). Die Arbeitsmarktforschung ist aber bisher nicht zum Erstausbildungssystem rückgebunden, und die Weiterbildungsforschung ist fast nicht existent. In einem Grundlagenprojekt seitens des Bildungsministeriums wurden die vorhandenen Mechanismen für die Organisation dieses Zusammenspiels aus der Sicht der Erstausbildung näher untersucht (vgl. LASSNIGG/ MARKOWITSCH 2004, LASSNIGG 2006b). Ein wichtiges Ergebnis dieser Analysen bestand darin, dass die Abstimmungsmechanismen vorwiegend aufgrund von informellem und lokalem ExpertInnenwissen vor sich gehen, und dass eine objektivierte forschungestützte Wissensbasis weitgehend fehlt. Weder werden regelmäßige Vorausschauen oder Prognosen durchgeführt, noch gibt es eine Datengrundlage für ein wirksames laufendes Monitoring der Verwendung der angebotenen Qualifikationen. Als Follow-up zu dieser Grundlagenstudie wird an einem Klassifikationssystem für die Berufsbildung gearbeitet, das als Basis für eine laufende Beobachtung und für ein Frühwarnsystem für Ungleichgewichte fungieren kann.

3.  Zur Verwendung der Berufsbildungsforschung: „Policy learning“ und „Evidence based policy“ in Österreich

Wenn man die bisherigen Ausführungen Revue passieren lässt, so drängt sich ein Bild auf, demzufolge offensichtlich die Berufsbildung in der Vergangenheit weitgehend ohne Forschung ausgekommen ist, dass aber in den letzten beiden Jahrzehnten – und zunehmend in den letzten Jahren – anscheinend die Inanspruchnahme und Nutzung von Forschung verstärkt wird. In der Politikforschung gibt es sehr verschiedene Ansichten und Erklärungsansätze über die Rolle von Forschung und Entwicklung in der Politik und Praxis. Ein neues EU-Dokument über „Evidence-based policy“ zitiert John Maynard Keynes: " There is nothing a government hates more than to be well informed; for it makes the process of arriving at decisions much more complicated and difficult " – dies ist eine Sichtweise, die darauf hinausläuft, dass Forschung im Prinzip gefürchtet (oder gehasst) wird, und gegebenenfalls zur Legitimation von (unbeliebten) Maßnahmen oder auch von Nicht-Maßnahmen genutzt wird, entsprechend dem berühmten Diktum von Harold Wilensky: Wer Maßnahmen setzen will setzt Maßnahmen, wer keine Maßnahmen setzen will, evaluiert.

Eine andere Sicht betont die steigende Unsicherheit, die gleichzeitig steigende Bedeutung von Bildung und Ausbildung und die traditionelle – in der Industriegesellschaft entstandene und mit der Wissensgesellschaft nur schwer kompatible – Struktur der Berufsbildungssysteme, die neues Wissen und Innovation auch für die Weiterentwicklung erfordert. Nachdem lineare und technokratische Modelle von Wissensgenerierung und Anwendung durch neue Paradigmen von komplexen Innovationssystemen abgelöst wurden, haben sich Konzepte des „Policy learning“ entwickelt. Nach diesen Konzepten spielen Heuristiken und Politikparadigmen in der Politikentwicklung eine wesentliche Rolle, und die Prozesse, die zur Ablösung von bestehenden Paradigmen durch neue führen, werden – zumindest teilweise – als „Lernen“ gesehen. Diese Lernprozesse haben viele Facetten und sind methodisch schwer abgrenzbar. Ein wichtiger Diskussionspunkt ist die Unterscheidung von unterschiedlichen Ebenen des Lernens, insbesondere ob es über das Lernen von Personen auch aggregiertes Lernen gibt, im Sinne von lernenden Organisationen oder lernenden Regionen, oder noch abstrakter, von lernenden Systemen. Ein weiterer Diskussionspunkt bezieht sich auf die unterschiedlichen Funktionsprinzipien von unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen oder Handlungsfeldern, beispielsweise Politik und Wissenschaft, wie die in der Politik handlungsleitenden Interessen gegenüber den in der Wissenschaft wirksamen Rationalitätskriterien.

Abbildung 10 gibt eine schematische Darstellung von grundlegenden Konzepten, die Prozesse des Policy learning auch empirisch erfassbar machen sollen. Grundlegend geht es bei Lernprozessen um veränderte Rationalität aufgrund von früheren Erfahrungen und neuen Informationen.

 

Lernen wird von Peter HALL (1993) entsprechend den bekannten Unterscheidungen von Lernformen unterschiedlicher Ordnung gefasst: Lernen erster Ordnung bedeutet, dass bestimmte Parameter einer bestimmten gegebenen Politik oder Maßnahme angepasst werden (beispielsweise wie viele offene Ausbildungsplätze in JASG-Maßnahmen in Abhängigkeit von der Entwicklung der Lehrstellensituation zur Verfügung gestellt werden), die Lernprozesse beziehen sich auf die Verarbeitung der in den Vorjahren gemachten Erfahrungen bzw. auf die Einbeziehung neuer Informationen, etwa von Prognosen über die zu erwartende Arbeitsmarktsituation. Lernen zweiter Ordnung bezieht sich auf die Entwicklung und Umsetzung neuer Instrumente, um gegebene Ziele zu erreichen (im Beispiel des Lehrstellenmarktes könnte man die Einführung des „Blum-Bonus“ als derartiges neues Instrument betrachten, während sich die Anpassungen der Fördersummen auf Lernen erster Ordnung beziehen). Lernen dritter Ordnung bezieht sich schließlich auf die Zielsetzungen der Politik, und umfasst im ausgeprägtesten Fall den Übergang zu einem neuen Paradigma (HALL führt als Beispiel den Übergang vom Keynesianismus zum Neoliberalismus in der Wirtschaftspolitik an, in dem – sehr vereinfacht gesprochen – von der Arbeitslosigkeit als zentraler Zieldimension zur Inflation als zentraler Zieldimension übergegangen wird). Die Identifikation dieser dritten Lernform stellt eine besondere Herausforderung dar, indem als neu bezeichnete Konzepte oft gleichzeitig als „alter Wein in neuen Schläuchen“ bezeichnet werden – das heißt, dass oft bei Neuerungen gesagt wird, das würde (unter anderem Namen) „ohnehin immer schon gemacht“, vielleicht sogar besser (beispielsweise bei Evaluierungsaktivitäten wird das angeführt); umgekehrt wird aber auch der Veränderungswert von Neuerungen angezweifelt, indem eine Art „Etikettenschwindel“ unterstellt wird (Autonomisierung ist ein Beispiel dafür). In der Bildungspolitik gibt es eine Reihe von Konzepten, die als Kandidaten für derartige Paradigmenwechsel, und damit für Beispiele von Lernen dritter Ordnung gehandelt werden: Lifelong Learning, Outcome- oder Output-Orientierung, auch die LernerInnen-Orientierung oder der Kompetenzbegriff können als Beispiele genannt werden.

Ein zweiter Ansatz wurde von Jonathan ZEITLIN (2005) aufgrund von Analysen der EU-Politik der „offenen Koordinationsmethode“ über die Unterscheidung von Mechanismen von Policy Learning entwickelt. Neue Heuristiken sind begriffliche Konzepte, die neue Phänomene oder bekannte Phänomene in einem neuen Verständnis bezeichnen und die politischen Maßnahmen beeinflussen (als Beispiel kann das Konzept der „Early School Leavers“ im Rahmen der EU-Politik gesehen werden, der ein verändertes Verständnis der Probleme des Schulabbruches mit sich brachte; auch die Konzepte des „effizienten Mitteleinsatzes“ können dieser Kategorie zugeordnet werden). Die Entwicklung neuer Wissensbasen ist ein zweiter Mechanismus, für den viele Beispiele angeführt werden können, von den internationalen Assessments (wie TIMSS, PISA, etc.) über die EU-Benchmarks und Strukturindikatoren, die durch den Vergleich mit anderen Ländern und Systemen eine wesentliche Quelle für Lernprozesse darstellen, bis zu den verschiedenen qualitativen Informationsbasen und Datenbanken (wie das bereits herangezogene Refer-Net oder die ERO-Base). Verbesserte Datenbasen und Monitoring-Systeme auf nationaler Ebene sind ebenso wichtige Quellen. Der dritte Mechanismus, der vom Autor Maieutik genannt wird, bezieht sich auf Reflexionsmechanismen, die bestehende Maßnahmen und Strategien grundlegend hinterfragen sollen (beispielsweise die Monitoring- und Evaluierungsmaßnahmen bei EU-Programmen, etwa die ESF-Evaluierung oder der Joint Employment Report im Rahmen der Beschäftigungsstrategie, auch wenn sie oft nur ansatzweise in dieser Richtung funktionieren, sind diesem Mechanismus zuzuordnen).

In Abbildung 10 wurde eine Kreuzung von Lernformen und –mechanismen angeregt, die die Frage nach der Unterscheidbarkeit und dem Zusammenhang dieser beiden Dimensionen aufwirft. In Tabelle 1 wird versucht, an einem Fallbeispiel der österreichischen Berufsbildungspolitik, der Problematik des frühen Bildungsabbruches, diese verschiedenen Dimensionen zu illustrieren. Die Lernformen beziehen sich offensichtlich auf die Ergebnisse von Politikprozessen (die einerseits als Input für die Politik als Problemlösung, andererseits als Output von Lernprozessen in der Politik gesehen werden können) während die zweite Dimension auf die Politikprozesse selbst und in ihnen wirksame Instrumente reflektiert.

 

Als Ausgangspunkt für die Analyse der Lernformen verschiedener Ordnung können die verschiedenen Politikmaßnahmen und –instrumente genommen werden, die entsprechend zuzuordnen sind. Für diese Policies können dann auch die verschiedenen Lernmechanismen differenziert werden.

Was ist der Ertrag dieser Übung? Erstens kann ein Beitrag zum Verständnis der Verwendung von Forschung im Politikprozess geleistet werden. Die Analyse zeigt, dass weder die überzogene Erwartung einer instrumentellen Verwendung von Forschungsergebnissen, noch die überkritische Sicht einer reinen Legitimationsübung zutreffend erscheint. Vielmehr fließen Forschungsergebnisse in mehr oder weniger transformierter Form und mit mehr oder weniger großer Zeitverzögerung in die Politikprozesse ein. Zweitens kann auch durch die Heuristik der Formen und Mechanismen des Policy Learning eine Einschätzung der Politikmaßnahmen im Hinblick auf ihren Innovationsgrad gegeben werden, der sich in der Tabelle von links oben nach rechts unten verstärkt.

“Evidence based policy” ist ein normatives Konzept, das gegenwärtig auf EU-Ebene stark forciert wird. Es besagt, dass Politik – also auch die Bildungspolitik – grundsätzlich verstärkt aufgrund von „Evidenzen“ gemacht werden soll. Was jedoch unter „Evidenz“ verstanden wird, und wie diese in die Politik einfließen sollen, darüber gibt es unterschiedliche Verständnisse. Wenn man die von Zeitlin analysierte „offene Koordinationsmethode“ unterstellt, so geht es um die Durchsetzung von Politikinstrumenten, die Policy learning ermöglichen sollen – in einem traditionelleren Verständnis wird jedoch eher an das instrumentelle Konzept technokratischer Politik der „Umsetzung von Forschungsergebnissen“ gedacht, das weithin als gescheitert bzw. als zum Scheitern verurteilt gesehen wird. Auch für die Klärung dieser Unterscheidungen können die angestellten Überlegungen und Analysen einen Beitrag leisten.

4.  Diskussion und Ausblick

Die Analyse ergibt ein gemischtes Bild zum Stand und Einfluss der österreichischen Berufsbildungsforschung. Insgesamt ist der Bereich im Vergleich zur allgemeinen Bildungsforschung und auch zur Hochschulforschung schwach entwickelt, insbesondere auch was die internationale und europäische Sichtbarkeit ausmacht. Die fast völlig fehlende akademische Verankerung ist ein wesentlicher Schwachpunkt, die lange Zeit zersplitterte marktmäßig organisierte und teilweise stark interessengeleitete Struktur hat die Entwicklung nicht gefördert. Die organisierenden Impulse im Zusammenhang mit dem österreichischen REFER-Zentrum und mit verschiedenen europäischen Politikimpulsen haben zur Weiterentwicklung beigetragen. Die Initiative für die Veranstaltung einer „1. Österreichischen Konferenz für Berufsbildungsforschung“ ist ein weiterer Schritt in dieser Richtung.

Es wurden einige inhaltliche Politikstränge herausgearbeitet, in denen die Berufsbildungsforschung eine nennenswerte und auch wachsende Rolle spielt: QE/QS, Entwicklung des NQF, Strategien gegen frühzeitigen Bildungsabbruch und für verbesserten Übergang in Beschäftigung, Lifelong Guidance, LLL-Strategie und Antizipation des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage an Kompetenzen. Der Einsatz und die Rolle der Forschung in diesen Politikbereichen sind unterschiedlich ausgeprägt, und die Wissensbasen sind unterschiedlich entwickelt. Eine umfassende Darstellung und Analyse des Standes in diesen Bereichen hätte den Umfang des vorliegenden Beitrages gesprengt. Aber es sollte klar geworden sein, welche Ingredienzien für die Entwicklung von Evidence based Policy im Sinne von Policy learning berücksichtigt werden müssen.

Das ältere und einfache OECD-Modell, das ein Zusammenspiel von drei prinzipiellen Akteursgruppen unterscheidet – F&E, Politik und Praxis – bedarf der weiteren Spezifikation der Prozesse im Sinne der obigen Überlegungen, grundsätzlich sind die Konzepte jedoch gut vereinbar. Die PraktikerInnen können in die Lernprozesse die frühere Erfahrung einbringen, die F&E bringt die neue Information, und die Politik erfordert institutionelle Strukturen, in denen Policy Learning möglich ist und gefördert wird. Das dargestellte und angewendete heuristische Schema zeigt, dass man Policy learning von sehr unterschiedlicher Reichweite unterscheiden kann. Die Frage, inwieweit bestimmte institutionelle Strukturen diese Reichweite begrenzen oder vergrößern, ist eine weitere wichtige Frage, die im Zusammenhang mit der Gestaltung der Governance-Strukturen diskutiert wird. Im Prinzip wird weithin unterstellt, dass bürokratische Strukturen grundsätzlich auf Lernen erster Ordnung ausgerichtet sind und die beiden anderen Formen erschweren. Bei den korporatistischen Strukturen der Sozialpartnerschaft, wie sie sich in Österreich entwickelt haben, kann Ähnliches unterstellt werden, gleichzeitig sind jedoch durch die kooperativen Mechanismen Weiterentwicklungen in diesem System auch angelegt (vgl. LASSNIGG 2007c). Wesentliche Impulse für die Entwicklung gehen von der internationalen Ebene (OECD) und der europäischen Ebene aus. Wie in anderen Bereichen geht es für Österreich auch im Bereich der Berufsbildungsforschung darum, vom Import und der Adoption von Entwicklungen zur eigenen Entwicklung von Neuerungen überzugehen. Die Neigung, von einem „Exzeptionalismus“ des österreichischen Systems auszugehen, und zu unterstellen, wir hätten es immer schon besser gewusst, wird zunehmend selbst dem Prinzip der Evidence based policy unterworfen und das ist gut so.

Notwendige Bedingungen für die Weiterentwicklung sind erstens die Weiterentwicklung der Wissensbasen in Form eines verbesserten Bildungsmonitoring und zweitens eine verbesserte Dokumentation der Forschungsaktivitäten und -ergebnisse. Beides ist in Entwicklung begriffen, durch den Aufbau einer Bildungsberichterstattung und die Veranstaltung einer ersten österreichischen Konferenz für Berufsbildungsforschung ( http://www.berufsbildungsforschung-konferenz.at/ ).

 

Literatur

BMUKK/BMWF (2007): Österreichischer Bericht über die Umsetzung des EU-Arbeitsprogrammes “Allgemeine und Berufliche Bildung 2010”. Online: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15320/abb2010_zwb07_dt.pdf (13-10-2007).

CHANCE BILDUNG (2007): Konzepte der österreichischen Sozialpartner zum lebensbegleitenden Lernen als Beitrag zur Lissabon-Strategie. Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen. Online: http://www.sozialpartner.at/sozialpartner/ChanceBildung_20071003.pdf und http://wien.arbeiterkammer.at/pictures/d59/ChanceBildung_Kurzfassung.pdf (13-10-2007).

EC DG RESEARCH (2003): European Union-supported educational research 1995-2003. Briefing papers for policy makers. Report Editor: A.S. Agalianos (EUR 20791). Luxembourg : Office for Official Publications of the European Communities. Online: ftp://ftp.cordis.lu/pub/citizens/docs/report_education_03.pdf (13-10-2007).

EDER, F. (Hrsg.) (2002): Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im österreichischen Schulwesen. Bildungsforschung des BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur Bd.17. Innsbruck.

EXPERTINNENGRUPPE (2006): Vorschläge zur Implementierung einer kohärenten LLL-Strategie in Österreich bis 2010. Erstellt durch eine facheinschlägige ExpertInnengruppe. Endfassung. Online: http://www.biber.salzburg.at/DonauuniLLL-Strategiepapier.pdf (13-10-2007).

HALL, P.A. (1993): Policy paradigms, social learning, and the state. The case of economic policy making in Britain . In: Comparative Politics, 25, H.3, 275-296.

KRÖTZL. G. (o.J.): Lifelong Guidance in Austria . Herausforderungen, Strategien und Initiativen. Präsentation. Online: http://www.leonardodavinci.at/filemanager/download/279/plenum_
Kr%C3%B6tzl_Lifelong%20Guidance%20in%20Austria.ppt
(13-10-2007).

LASSNIGG, L. (2003): VET-Research in Austria . Short description. Abf-InfoDoc 3 / 09-2003. Online: http://www.abf-austria.at/docs/abf%20InfoDoc%203-2003.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L. (2004): VET-Research in Austria - National research report 2003. Contribution to REFER-net. Online: http://www.equi.at/pdf/report-vet-research-austria-2003.pdf (14-10-2007).

LASSNIGG, L. (2005): ERO National Research Report Austria 2004. Contribution to REFER-Net. Online: http://www.equi.at/pdf/report-vet-research-austria-2004.pdf (14-10-2007).

LASSNIGG, L. (2006a): ERO National Research Report Austria 2005. Contribution to REFER-Net. Online: http://www.equi.at/pdf/enrr-at-06.pdf (14-10-2007).

LASSNIGG, L. (2006b): Approaches for the anticipation of skill needs in the "Transitional Labour Market" perspective - the Austrian experience. Discussion paper SP I 2006-105, Wissenschaftszentrum Berlin fuer Sozialforschung (WZB). Online: http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2006/i06-105.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L. (2007a): Überlegungen und Befunde zu einer LLL-Strategie in Österreich. In: Magazin Erwachsenenbildung.at Ausgabe 0. Online: http://www.eb-portal.at/magazin/07-0/meb-ausgabe07-0_03_lassnigg.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L. (2007b): Faktenlage, Positionen und Fragen in den Prioritäten für die LLL-Strategie. In: Magazin Erwachsenenbildung.at Ausgabe 0. Online: http://www.eb-portal.at/magazin/07-0/meb-ausgabe07-0_06_lassnigg.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L. (2007c): Social partnership as a frame for policy learning? The case of Austria . In: JOERGENSEN, H./ MADSEN, P. K. (Hrsg.): Flexicurity and beyond. Finding a new agenda for the European social model. Copenhagen , 451-480.

LASSNIGG, L. et al. (2007): Ökonomische Bewertung der Struktur und Effizienz des österreichischen Bildungswesens und seiner Verwaltung. IHS-Forschungsbericht. Online: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15515/ihs_oekbew.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L. et. al (2006): Europäischer Qualifikationsrahmen – EQF im Kontext der tertiären Bildung. Analyse auf der Grundlage eines ausgewählten Ländervergleichs. Online: http://www.equi.at/pdf/ihs-duk-eqf-lassnigg-vogtenhuber-pellert-cendon.pdf (13-10-2007).

LASSNIGG, L./ MARKOWITSCH, J. (Hrsg.) (2005): Qualität durch Vorausschau. Antizipationsmechanismen und Qualitätssicherung in der österreichischen Berufsbildung. Innsbruck, Wien.

LASSNIGG, L./ MAYER, K. (2001): Definition and Auswahl von Kompetenzen in Österreich. Länderbericht zum BFS-OECD Projekt DeSeCo. IHS-Sociological Series No. 52. Wien.

OECD (2003): OECD-Studie über Maßnahmen der Information, Beratung und Orientierung für Bildung und Beruf. Ländergutachten Österreich. Online: http://www.schulpsychologie.at/oecd/Country-Note_de.pdf (13-10-2007).

POSCH, P./ ALTRICHTER, H. et al. (1992): Schulautonomie in Österreich. Bildungsforschung des BM für Unterricht und Kunst, Bd.1. Wien.

SCHLÖGL, P./ SCHNEEBERGER, A./ MARKOWITSCH, J. (2006): Synopse der Stellungnahmen zum Arbeitsdokument der EK zum Europäischen Qualifikationsrahmens sowie Erstellung eines Optionenberichtes für mögliche Schritte zu einem Nationalen Qualifikationsrahmen. Forschungsbericht. Wien.

STEINER, M. (2005a): Thematic Study on Policy Measures Concerning Disadvantaged Youth. Nationaler Bericht Österreich. IHS-Forschungsbericht. Online: http://www.equi.at/pdf/abschlussbericht_dropoutstudie.pdf (13-10-2007).

STEINER, M. (2005b): Dropout und Übergangsprobleme. Ausmaß und soziale Merkmale von BildungsabbrecherInnen sowie Jugendlichen mit Einstiegsproblemen in die Berufstätigkeit. IHS-Forschungsbericht. Online: http://www.equi.at/pdf/abschlussbericht_dropoutstudie.pdf (13-10-2007).

STEINER, M./ STEINER, P. (2006): Bildungsabbruch und Beschäftigungseintritt. Ausmaß und soziale Merkmale jugendlicher Problemgruppen. IHS-Forschungsbericht. Online: http://www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/bildungsabbruch_2006.pdf (13-10-2007).

STEINER, M./ WAGNER, E. (2006): Dropouts - Strategien zur Reintegration von frühzeitigen Bildungsabbrecher/innen. Forschungsprojekt im Auftrag des BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Online: http://www.equi.at/fs_profil.htm (13-10-2007).

STEINER, M./ WAGNER, E./ PESSL, G.(2006): Evaluation der Kurse zur Vorbereitung auf den Hauptschulabschluss. BM für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Materialien zur Erwachsenenbildung Nr.2/2006. Online: http://www.erwachsenenbildung.at/services/publikationen/materialien_zur_eb/
evaluation_kurse_vorbereitung_hsch.pdf
(13-10-2007).

TIMISCHL, W. (2006): QIBB. Qualitätsinitiative Berufsbildung. Die Initiative der österreichischen Berufsbildung für Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität im Schulwesen. Beitrag zur Tagung der Generaldirektoren/innen für Berufsbildung im Rahmen der österreichischen EU-Präsidentschaft (27.-28. März 2006). Online: http://eu2006.bmbwk.gv.at/veranst/qual/ws7_qibb_vet_quality_initiative_timischl.pdf (13-10-2007).

ZEITLIN, J. (2005): Social Europe and experimentalist governance: towards a new constitutional compromise? European Governance Papers (EUROGOV) No.C-05-04 Online: http://connex-network.org/eurogov/pdf/egp-connex-C-05-04.pdf (13-10-2007).

ZUKUNFTSKOMMISSION (2003): Günter Haider, Ferdinand Eder, Werner Specht, Christiane Spiel: Zukunft Schule. Das Reformkonzept der Zukunftskommission – Strategien und Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung, Wien. Online: http://www.bmukk.gv.at/medienpool/10473/Konzept_Zukunft.pdf ; vgl. auch http://www.bmukk.gv.at/medienpool/12422/zk_kurzfassung.pdf (13-10-2007).

 


Inhaltlich verantwortliche Herausgeber: Franz Gramlinger, Peter Schlögl & Michaela Stock

Email: ATspezial (at) bwpat.de



 

Zuletzt verändert: 20.10.2007 10:55 AM
 
Herausgeber von bwp@-Spezial 3 sind
Franz Gramlinger & Peter Schlögl & Michaela Stock