Die österreichische Bildungslandschaft ist durch ein Nebeneinander dualer und vollzeitschulischer Ausbildungsgänge gekennzeichnet. Für die Jugendlichen ist die Alternative Lehre oder Schule insofern wichtig, als hiermit unterschiedlichen Neigungen, Eignungen und Entwicklungspotenzialen Entfaltungschancen geboten werden. Schule und duale Ausbildung gibt es auch in anderen europäischen Ländern nebeneinander (z.B. in den Niederlanden), spezifisch für Österreich dürfte aber die Differenzierung in mittlere und höhere schulische Berufsbildungsgänge sein.
Der Beitrag zeigt Hintergründe der österreichischen Berufsbildungsstrategie auf, belegt die –langfristig gesehen – erfolgreiche Entwicklung und stellt abschließend Fragen nach aktuellen Problemen und Herausforderungen.
1. Vielfalt berufspezifischer Qualifizierung auf der oberen Sekundarstufe
Das österreichische Berufsbildungswesen ist durch ausgeprägte institutionelle Vielfalt gekennzeichnet. Neben der AHS (allgemeinbildende höhere Schule) gibt es für die 14/15jährigen Jugendlichen im Wesentlichen drei Berufsbildungsrouten:
die 5jährige BHS (berufsbildende höhere Schule mit Studienberechtigung)
die zumeist 3- bis 4jährige BMS (berufsbildende mittlere Schule)
die Lehrlingsausbildung (zumeist 3- bis 3,5-jährig; selten 2-, 2,5- oder 4jährig), die dual in Lehrbetrieben und Berufsschulen organisiert ist.
Die Eigenständigkeit der Ausbildungsrouten ist stark ausgeprägt und manifestiert sich insbesondere in spezifischen behördlichen Zuständigkeiten und Wegen der Lehrerausbildung, die sich auch in unterschiedlichen Dienstrechten niederschlagen. Die Lehrkräfte der vollzeitschulischen Berufsbildung werden überwiegend an Universitäten ausgebildet, die Berufsschullehrkräfte wurden bisher an Pädagogischen Akademien ausgebildet, die in Zukunft als Pädagogische Hochschulen geführt werden.
Auch die politische Zuständigkeit ist unterschiedlich. So ist für die duale Berufsbildung (Lehrlingsausbildung) vor allem das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit zuständig, wobei für die Berufsschule das Bildungsministerium verantwortlich zeichnet. Für die vollzeitschulischen Berufsbildungsrouten ist das Bildungsministerium zur Gänze zuständig, wobei in bestimmten Sektoren (Gesundheitsberufe, Landwirtschaft) noch andere Institutionen ins Spiel kommen. Auch auf der regionalen Ebene manifestieren sich die Unterschiede in den Zuständigkeiten, so gibt es jeweils eigene Inspektoren für die BMHS (berufsbildende mittlere und höhere Schulen) und für die Berufsschulen. Die Mitgestaltung der Sozialpartner ist in der Lehrlingsausbildung über die Berufsbildungsbeiräte in Bund und Ländern stärker als in der schulischen Berufsbildung.
Alle Berufsbildungsrouten weisen erhebliche fachliche Vielfalt auf. So gibt es 270 Lehrberufe und eine vermutlich noch größere Zahl an schulischen Berufsbildungsmöglichkeiten (alleine im Bereich „Maschineningenieurwesen – Maschinenbau“ im engeren Sinne gibt es über 40 Ausbildungsgänge; im Bereich EDV und Informationstechnologie werden über 30 Ausbildungsgänge angeboten). Im Wesentlichen bedeutet dies, dass die berufliche Bildung auf der oberen Sekundarstufe berufsspezifisch qualifizieren und nicht nur für an die obere Sekundarstufe anschließende Ausbildungen vorbereiten soll.
Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen (78 Prozent laut letzter Volkszählung) hat die Ausbildung im Alter von 20 Jahren auch faktisch bereits abgeschlossen (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2005, 45). Kennzeichnend für das österreichische Bildungssystem mit seiner differenzierten oberen Sekundarstufe sind aber auch vielfältige Angebote und Förderungen des Aufbauens und Nachholens von Abschlüssen. So kann man die BHS nach Abschluss einer AHS oder einer BMS oder nach einer Lehre besuchen. Auch Lehrabschlüsse für Erwachsene ohne reguläre Lehrlingsausbildung sind verbreitet.
Die Lehrlingsausbildung besteht zu etwa 75 bis 80 Prozent aus Lernen im Betrieb, die BMHS sichern den Praxisbezug über Werkstätten, Laboratorien, Lehrküchen sowie Übungsfirmen und zum Teil durch Pflichtpraktika und Projekte mit Unternehmen. Wesentlich ist hierbei die grundsätzliche Akzeptanz der schulischen Berufsbildung durch die Unternehmen, die sich auch in Unterstützung und Zusammenarbeit niederschlägt.
2. ISCED-Einstufungen
Ein Artikel, der das österreichische Berufsbildungssystem in einer ausländischen Zeitschrift verständlich machen soll, kann nicht ganz auf die Hilfe von ISCED verzichten.
Im Rahmen der International Standard Classification of Education (ISCED) werden die Lehrlingsausbildungen generell und die BMS (auch Fachschulen genannt) größtenteils als ISCED 3B klassifiziert. Eine Ausnahme bilden die Fachschulen der Krankenpflegeausbildung, die schulstufenbezogen höhere Zugangsvoraussetzungen aufweisen (positiv absolvierte 10. anstatt 9. Schulstufe) und als ISCED 4B klassifiziert werden. Sonderformen der BMS für Erwachsene werden als ISCED 5B eingestuft. Die BHS werden in den meisten Formen (Hauptform, Aufbaulehrgang und Sonderformen für Berufstätige) als 4A, nur in der Kollegform als 5B klassifiziert. Die Einstufung der BHS-Hauptform (14- bis 19-Jährige) als ISCED 4A verweist vor allem auf den Umstand, dass mit dem Abschluss neben der beruflichen Ausbildung auch eine allgemeine Hochschulstudienberechtigung erworben wird. Die Einstufung ist aber insofern problematisch, als traditionell die Mehrheit der BHS-Absolventen/innen der Hauptform in den Beruf einsteigt und häufig Positionen ausfüllt, die in Ländern mit relativ schwacher externer Differenzierung der oberen Sekundarstufe von Graduierten besetzt werden (siehe Tabelle 5 – wäre 5B zu begründen).
3. Zugangsalter und -voraussetzungen der Berufsbildungsgänge
Die Jugendlichen steigen im Regelfall nach der 8. Schulstufe in die vollzeitschulische Berufsbildung ein, in die Lehrlingsausbildung nach der 9. Schulstufe. Ein einjähriger „Brückenlehrgang“ (Polytechnische Schule) soll diese Stufendifferenz ausgleichen. Aber auch die ersten Jahrgänge der BMHS enthalten erhebliche Anteile an Schülern/innen, die danach in die Lehrlingsausbildung überwechseln.
Insgesamt besuchen nach der letzten publizierten einschlägigen Statistik rund 21 Prozent der Jugendlichen in der 9. Schulstufe die Polytechnische Schule (vgl. STATISTIK AUSTRIA 2002, 189ff.). Unter den Anfängern der Lehrlingsausbildung weisen deutlich über 40 Prozent eine Vorbereitung im Rahmen der Polytechnischen Schule (PTS) auf. In der PTS werden in vielen Regionen den Jugendlichen wichtige Grundbildung vermittelt sowie erfolgreiche Kontakte mit Lehrbetrieben und dem Arbeitsmarktservice gepflegt.
Während die schulischen Ausbildungsgänge auf der oberen Sekundarstufe formale Vorbildungsanforderungen – bis hin zur Rangreihung von Bewerbern/innen nach Schulnoten – stellen (vgl. ARCHAN/ MAYR 2006, 28), ist für die Aufnahme einer Lehre formal nur die Absolvierung der 9-jährigen Schulpflicht erforderlich. Am Lehrstellenmarkt sind aber die schulischen Kenntnisse (und Noten) ein zunehmend relevanteres Kriterium geworden. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es jeden Herbst nicht nur Jugendliche, die keine betriebliche Lehrstelle finden, sondern auch Industriebetriebe, die keine geeigneten Lehranfänger/innen finden.
Differenzen in der Vorbildung belegen z.B. die PISA-Ergebnisse für 2003. Insgesamt zeigen sie, dass die AHS und BHS die größten Anteile an Jugendlichen mit überdurchschnittlicher Grundbildung (gemessen an der Lesekompetenz) aufweisen. Dies lässt sich an einigen markanten Kennzahlen belegen. So beläuft sich der Abstand der schultypspezifischen Mittelwerte zwischen BHS und BMS auf 82 Punkte. Der Abstand der BMS zur Berufsschule ist deutlich geringer (36 Punkte). Nur AHS (572) und BHS (544) lagen über dem Ländermittel von 491 Punkten. Die Berufsschüler/innen (Lehrlinge) weisen die größte Streuung der Lese-Kompetenzen auf (vgl. HAIDER/ REITER 2004, 104 f.).
4. Input der Bildungswege nach der Pflichtschule
Den Qualifikationserwerb der Jugendlichen kann man von zwei Seiten aus betrachten: Einerseits hinsichtlich des Zustroms zu den Bildungsgängen nach Absolvierung der Schulpflicht, andererseits hinsichtlich der erreichten Abschlüsse. Da die Ergebnisse dabei unterschiedlich ausfallen, empfiehlt es sich, beiden Betrachtungsweisen Aufmerksamkeit zu schenken.
Die 10. Schulstufe ist in Österreich die erste Schulstufe nach Absolvierung der allgemeinen Schulpflicht. In den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen handelt es sich dabei um die 2. Klasse bzw. den 2. Jahrgang, in der allgemeinbildenden höheren Schule um die 6. Klasse und in der Lehrlingsausbildung um das 1. Lehrjahr. Tabelle 1 zeigt den langjährigen Trend. Auffällig ist das Wachstum der BHS (berufsbildende höhere Schule). Diese Entwicklung entspricht bildungspolitischen Zielsetzungen, die sich in einer Ausweitung des Angebots an berufsbildenden höheren Schulen niedergeschlagen haben: So wurde die Zahl der berufsbildenden höheren Schulen zwischen 1973/74 und 1993/94 von 149 Einrichtungen auf 309 erhöht (vgl. ÖSTAT 1995, 55) und damit die „Gelegenheitsstruktur“(LASSNIGG 1997, 21) des Bildungswahlverhaltens durch die Entscheidung für eine spezifische Systementwicklungsvariante nachhaltig verändert. Möglicher Weise indiziert der aktuellste Jahrgang mit 26 Prozent BHS-Anteil das Erreichen eines Plafonds im Anteilswachstum unter den gegebenen Anforderungen und Lernzeiten.
Buben und Mädchen weisen traditionell starke Unterschiede in der Bildungswegwahl auf (siehe Tabelle 8). Am signifikantesten ist die geschlechtsspezifische Berufsschüler-/Lehrlingsquote: 49 Prozent der Buben und 29 Prozent der Mädchen entfallen in der 10. Schulstufe auf die duale Ausbildungsausbildung in Lehrbetrieb und Berufsschule. In beiden vollzeitschulischen Berufsbildungsarten haben die Mädchen signifikant höhere Beteiligungsraten. Auffällig an der BHS sind der Vorsprung der Mädchen bezüglich der wirtschaftlich ausgerichteten BHS-Bereiche sowie der Vorsprung der Buben bezüglich der technisch-gewerblichen höheren Schulen (HTL u.a.).
5. Universelle Ausbildungsinklusion als Zielsetzung
Bis 1996/97 konnte man die Schüler/innenzahlen anhand eines Jahrgangs der Bevölkerung im typischen Alter in Relativzahlen darstellen, dies ist seither nicht mehr möglich: Die Zahl der Schüler/innen in der 10. Schulstufe ist rechnerisch größer als die theoretisch vergleichbare Wohnbevölkerung. Dies hängt neben gestiegener Bildungsbeteiligung mit Wiederholungen, Umstiegen und Mehrfachanfängen von Ausbildungen zusammen. Vermutlich fehlen auch die Einstiegsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt in diesem Alter, die vor zwei bis drei Jahrzehnten gegeben waren.
Die Zahl der Jugendlichen, die nicht in Ausbildung sind, ist zu einer wichtigen Kennzahl des bildungswissenschaftlichen und -politischen Diskurses geworden. Aus der Volkszählung 2001 wissen wir, dass nur rund 2 Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren weder Schüler/innen noch Lehrlinge waren, bei den 16-Jährigen waren es knapp 7 Prozent und bei den 17-Jährigen 10 Prozent. Im Vergleich zur Volkszählung von 1991 bedeutet dies eine Verbesserung der Ausbildungsinklusion (vgl. SCHNEEBERGER 2006). In den letzten Jahren ist die Situation aber ständig prekär geblieben, nicht zuletzt aufgrund von Schwierigkeiten der Vermittlung Jugendlicher mit schwacher Grundbildung am Lehrstellenmarkt.
Neu ist, dass heute eine nahezu 100-prozentige Inklusion eines Altersjahrgangs in Ausbildung erwartet wird. Während noch vor einer Generation Arbeitsmarkteinstieg unmittelbar nach Absolvierung der Schulpflicht ohne formelle Ausbildung verbreitet und gesellschaftlich nicht stigmatisiert war (siehe Tabelle 3), trifft dies heute nicht mehr zu.
6. Erfolgreiche Entwicklung im Output
Welche Abschlüsse werden von den Jugendlichen erreicht? Damit stellt sich die Frage nach dem Output der Bildungswege nach der Pflichtschule.
Empirische Evidenz bieten mit höchster Validität die Volkszählungen. Laut letzter Volkszählung wiesen rund 83 Prozent der 20- bis 24jährigen Wohnbevölkerung in Österreich einen Abschluss der oberen Sekundarstufe auf. Hierbei entfielen 37 Prozent auf Lehrabschlüsse, 11 Prozent auf die Fachschulen (BMS), 16 Prozent auf die BHS, 17 Prozent auf die allgemeinbildende höhere Schule (AHS) und 2 Prozent auf Abschlüsse von Hochschulen oder verwandten Lehranstalten. Die Tertiärabschlüsse dieser Altersgruppe reduzieren die Anteile von BHS und AHS geringfügig, bei den Altersgruppen bis etwa 35 Jahren aber in zunehmenden Anteilen.
Der Anteil der BMS-Absolventen/innen hat sich im langfristigen Vergleich nicht reduziert, im mittelfristigen allerdings doch. Der BHS-Anteil hat sich innerhalb von 3 Jahrzehnten vervierfacht. Der Anteil der Lehrabschlüsse ist weitgehend konstant geblieben. Im Vergleich zu 1991 ist daher vor allem der demografische Rückgang für die Reduktion des Arbeitskräfteneuangebotes mit Lehrabschluss verantwortlich.
In geschlechtsspezifischer Hinsicht manifestieren sich die weiter oben angesprochenen Unterschiede. Nach der Staatsbürgerschaft wird die enorme Problematik der ausländischen Jugendlichen, von denen fast die Hälfte keinen Abschluss hat, erkennbar.
Insgesamt enthält der Anteil an Pflichtschulabsolventen/innen von 17 Prozent der 20- bis 24jährigen schätzungsweise etwa zur Hälfte Personen, die in einem Bildungsgang mehr oder weniger lang waren, aber diesen letztlich nicht positiv abgeschlossen haben. Der Rückgang dieses Anteils von 41 Prozent (1971) auf 17 Prozent kann als Beleg erfolgreicher Bildungspolitik gelten, auch wenn es heute neuartige Problemfelder in der Ausbildungsintegration der Jugendlichen gibt.
7. Sektorale Schwerpunkte nach Bildungswegen
Branchenbezogene Schwerpunkte je Ausbildungsroute sind empirisch evident (siehe Tabelle 4). Von den fast 1,6 Millionen Erwerbspersonen mit Lehrabschluss entfielen bei der letzen Volkszählung fast 60 Prozent auf Produktion, Handel + Reparatur. Demgegenüber entfielen die rund 500.000 Fachschulabsolventen/innen zu 76 Prozent auf Dienstleistungen und am häufigsten dabei auf den Gesundheitssektor.
Die Erwerbspersonen mit BHS-Qualifikation wiesen dabei den höchsten Anteil der drei Berufsbildungsrouten im privaten Dienstleistungssektor auf. Alle Ausbildungsgänge sind in der Erwerbstätigkeit ihrer Absolventen/innen von der Tertiärisierung der Wirtschaft erfasst, allerdings in sehr unterschiedlicher Form: so waren von BHS-Absolventen/innen bereits 1991 zu etwa 2/3 im Dienstleistungssektor beschäftigt. Die Beschäftigung der schulisch Qualifizierten hat in den wachsenden Dienstleistungen dort zugelegt, wo sie bereits traditionell relativ stark vertreten waren.
Von allen Erwerbspersonen mit Lehrabschluss entfielen 2001 rund 37 Prozent auf den sekundären Sektor, bei BMS-Abschluss waren es nur 16 Prozent. Der diesbezügliche Anteil der BHS belief sich auf knapp 27 Prozent, was mit der starken Industriebeschäftigung der HTL-Ingenieure zu tun hat. Die relativen Verluste an Lehrlingsausbildungsplätzen im sekundären Sektor sind damit bis zu einem gewissen Maße in den letzten 15 bis 20 Jahren als strukturwandelbedingt zu betrachten (siehe SCHNEEBERGER 2007, 98). Es gibt zwar große Anstrengungen, neue Wirtschaftsabschnitte und Berufsfelder zu erschließen, für diese interessieren sich aber auch die Curriculumsmacher/innen der BMHS, zum Teil schon seit längerem.
8. Beruflicher Verbleib nach Skill levels
Die Analyse nach Berufsgruppen kann die Unterschiede in der Beschäftigung noch weitergehend aufzeigen (Tabelle 5). Der Vergleich des beruflichen Einsatzes der Absolventen/innen wird anhand der österreichischen Version von ISCO (International Standard Classification of Occupation) vorgenommen (siehe: http://www.statistik.at/verzeichnis/beruf_einleitung1.pdf ; 27.8.2007).
Die rund 307.000 Erwerbspersonen mit BHS-Abschluss (Hauptform plus Kolleg) machten etwas über 8 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung bei der letzen Volkszählung aus. Die Verteilung nach Berufshauptgruppen zeigt, dass unter den Erwerbspersonen mit BHS-Abschluss fast 70 Prozent als Spezialisten/innen oder als Leitende tätig waren.
Die BMS weist etwas über 40 Prozent Erwerbspersonen auf Spezialistenlevel oder in leitender Position aus. Über 50 Prozent der rund 500.000 Fachschulabsolventen/innen sind auf Fachkräftelevel eingesetzt.
Die Volkszählung verzeichnet etwa 3 Mal so viele Lehrabsolventen/innen wie Erwerbspersonen mit Fachschulabschluss. Fast 70 Prozent der Lehrabsolventen/innen im Beruf sind auf adäquatem Level (über Skill level 1) eingesetzt. 22 Prozent weisen als Spezialisten/innen bzw. Leitende Aufwärtsmobilität in verschiedener Form auf. Sie machen in Absolutzahlen rund 343.000 Erwerbspersonen aus. Das sind deutlich mehr als die Zahl der BMS-Absolventen/innen (205.000) oder die Zahl der BHS-Absolventen/innen (194.000) mit vergleichbarer Einstufung. Dies zeigt, dass schulische und duale Berufsbildung Wege darstellen, die verschiedenen Interessen- und Begabungsvoraussetzungen gerecht werden und Entfaltungschancen bieten können.
Damit ist das in erheblichem Maße komplementäre Verhältnis der Berufsbildungsrouten bereits angedeutet. Das Nebeneinander der Berufsbildungsrouten beruht – so kann man die bisherigen Befunde zusammenfassen – zu einem erheblichen Teil auf einer gewissen Komplementarität sowohl im Hinblick auf die Entwicklungspotenziale der Jugendlichen als auch der beruflichen Einsatzbereiche, also auf Funktionalität im Beschäftigungssystem.
9. Ergebnisse am Arbeitsmarkt
Der zentrale Bewährungsaspekt jeglicher Berufsbildung ist außer der beruflichen Einstufung das Erreichen von Arbeitsmarktfähigkeit.
Die Arbeitslosenquoten der Erwerbspersonen mit beruflichem Abschluss lagen 2006 zwischen 3,3 und 4,1 Prozent, wobei der Abstand zu Erwerbspersonen ohne Ausbildung (9,6 Prozent Arbeitslosenquote) deutlich war. Die Arbeitslosenquoten nach formaler Bildung bestätigen nicht nur bildungsökonomische Postulate (vgl. WILLIAMS 1987, 81ff.), sondern im Großen und Ganzen die Berufsbildungspolitik der letzten Jahrzehnte.
10. Lehrstellenlücke, Facharbeitermangel und überregionale Rekrutierung
Die „Lehrstellenlücke“ ist seit mehr als zehn Jahren das vordringlichste Problem der Ausbildungspolitik. Allerdings werden dabei die Themen „Lehrstellenmangel“ und „Mangel an geeigneten Lehranfängern/innen“ nach wie vor in der öffentlichen Diskussion nicht selten konfundiert. Seit 1996 wurden „Auffangnetze“ am Lehrstellenmarkt mit hohem Mitteleinsatz geknüpft. Trotz erheblicher Lehrbetriebsförderungen in den letzten Jahren (vgl. WAGNER-PINTER 2006) ist das Thema der „Lehrstellenlücke“ auch im Herbst 2007 hochaktuell. Der Fokus im öffentlichen Diskurs ist hierbei längst vom betrieblichen zum gesellschaftlichen Bedarf allgemeiner Ausbildungsinklusion verschoben. Bislang hat sich eine Art „Dauerprovisorium“ in Form eines „Auffangnetzes“ durchgesetzt, zumal auch Durchtauchen bis schwächere Altersjahrgänge auf dem Lehrstellenmarkt auftreten werden als Argument eingebracht wird. Im alljährlich spätestens im August aufflackernden Diskurs um Lösungsansätze zur Lehrstellenlücke vermischen sich Forderungen nach einem Ausbildungsfonds (in den „nicht-ausbildende" Betriebe einzahlen sollen) und zusätzlichen Mitteln für außerbetriebliche Ausbildungseinrichtungen mit Forderungen zur Imageaufwertung der dualen Ausbildung durch die Berufsreifeprüfung und weiteren „Anreizen“ finanzieller und struktureller Art (z.B. leichtere Lösbarkeit der Lehrverhältnisse oder modulare Lehrberufe, welche betriebliche Spezialisierungen besser abdecken). Grundsätzlich ist zuzugestehen, dass die Sachlage nicht einfach zu durchschauen ist, zumal sich die Situation in Städten und am Land zumeist noch anders darstellt (zur Verteilung nach Bildungsrouten siehe Tabelle 7).
Solange es keine valide empirische Evidenz dafür gibt, dass sich Betriebe zugunsten von „Poaching“-Strategien von der Ausbildung zurückziehen, was sehr schwer zu belegen ist, da die Lehrstellenzahl auch von den Bewerbern/innen abhängt, bleibt die Forderung als Verbesserungsansatz nicht plausibel. Faktum ist, dass der Nachwuchs der autochthonen Bevölkerung stark geschrumpft ist (vgl. Tabelle 3), ausländische Jugendliche bzw. Jugendliche mit Migrationshintergrund aber diese Lücke bislang – so zeigen die Daten (Tabelle 3 und 7) – nicht ausfüllen. Letztendlich setzt sich hohe Flexibilität und Pragmatismus in der Sicherung der Ausbildungsplatzversorgung der Jugendlichen durch, (marktwirtschaftlich) ordnungspolitische Bedenken werden kaum mehr sichtbar.
Der „Facharbeitermangel“ kann daher so erklärt werden, dass die Beschäftigung im Produktionssektor zwar zurückgegangen ist, das Neuangebot an technisch-gewerblichen Lehrabsolventen/innen – vor allem demografisch bedingt (aber auch durch den Trend zur Vollzeitschule, siehe Tabellen 1 und 3) – aber noch stärker in den letzten etwa 15 Jahren geschrumpft ist. Der „Facharbeitermangel“ (insbesondere bezogen auf Schlosser, Dreher, Fräser) ist seit dem Jahresende 2006 – konjunkturbedingt – wieder ein Top-Thema in der Öffentlichkeit. Abhilfe soll vor allem überregionale Rekrutierung respektive die Öffnung der Ostgrenzen schaffen (vgl. z.B. HOFER/ PICHLMAIR 2007, 21). Unscharf bleibt dabei, welche Qualifikationslevels dabei gefragt sind. So zeigt eine Erhebung zum „Bedarf an aktuellen Neueinstellungen“: 14 Prozent Ungelernte, 39 Prozent angelernte Fachkräfte und 28,5 Prozent Berufsabschluss sowie 18,4 Prozent Fach- oder Hochschulabschluss (vgl. ICEI 2007). Auch andere Zugänge, wie Stellenanzeigenanalysen (vgl. MEDIA&MARKET 2007, 11), signalisieren Bedarf an Qualifikationen, die in Breite oder Tiefe unterhalb von Erstausbildungsabschlüssen in der Lehrlingsausbildung bleiben. Möglicherweise kann das von der EU-Kommission vorgeschlagene EQF-NQR-Verfahren, das Qualifikationslevels unter dem Lehrabschluss vorsieht, hierbei binnenstaatlich und international zu mehr Transparenz beitragen.
Hieraus folgt, dass die Deckung des betrieblichen Qualifikationsbedarfs einerseits noch stärker als bisher auf überregionale Arbeitsmärkte und Ausbildungsvorleistungen, andererseits auf verstärkte Weiterbildung und Umschulungen von Erwachsenen setzen müssen wird. Das heißt aber zugleich, dass berufliche Erstausbildung, die alle erfassen soll, zunehmend Grundbildungs- und soziokulturelle Integrationsfunktion übernehmen müssen wird. Common sense in der Bildungsforschung ist die Schlüsselrolle der Grundbildung der Jugendlichen und hierbei insbesondere jener mit Migrationshintergrund (schwache Sprachkenntnisse und eingeschränkte kulturelle Integration behindern die Ausbildungsinklusion (Siehe dazu BIFFL 2004, SCHNEEBERGER 2005, HECKL/ DÖRFLINGER/ DORR 2007, WALLACE/ WÄCHTER/ BLUM/ SCHEIBELHOFER 2007.)). Besonders betroffen sind großstädtische Agglomerationen, wofür insbesondere Wien steht. 65 Prozent der Kunden/innen des AMS Jugendliche in Wien im Zeitraum November 2006 und Januar 2007 waren Personen mit Migrationshintergrund (61 Prozent gaben als Muttersprache „nicht Deutsch“ an, 5 Prozent zweisprachiges Aufwachsen) (vgl. HECKL/ DÖRFLINGER/ DORR 2007, 19 ). Der Anteil der Schüler/innen mit nicht deutscher Erstsprache in den Bildungswegen nach der Pflichtschule beläuft sich im österreichischen Mittel auf 6 bis 14 Prozent, in Wien aber auf 20 bis 40 Prozent. Vor den stärksten didaktischen und ressourcenbezogenen Herausforderungen im Hinblick auf Integration stehen dabei mittlere schulische Berufsbildungsgänge in Wien. Verlängerte Übergangsprozesse nach der Pflichtschule zugunsten des mit Berufsbildung kombinierten Nachholens von Grundbildungsdefiziten und Zusatzangebote (Lehrgänge etc.) zu den bestehenden Ausbildungsgängen scheinen jedenfalls unverzichtbar, um allen eine Chance zu geben. Die von der aktuellen Bundesregierung ankündigte „Bildungsgarantie bis zum 18. Lebensjahr“ (BUNDESKANZLERAMT 2007, 89) weist in diese Richtung.
11. Ausblick
Die österreichische Berufsbildungsstrategie der Differenzierung auf der oberen Sekundarstufe in duale sowie mittlere und höhere schulische Berufsbildung muss Flexibilität in Form von institutionellen Zusatzangeboten zeigen, wo dies regional besonders erforderlich ist (um die „Punzierung“ der Jugendlichen im Auffangnetz zu vermeiden und trotzdem praxisnahe Ausbildung zu bieten). Sie wird sich aber generell in Richtung stärkerer Verzahnung von Aus- und Weiterbildung weiterentwickeln müssen, wofür es Ansätze (Modularisierung) und bildungspolitische Grundsatzerklärungen (Strategie zur Förderungen des lebenslangen Lernens etc.) gibt.
Zweifellos steht der Fokus des Erreichens von Employability bereits auf der oberen Sekundarstufe für etwa ¾ der Jugendlichen in einem Spannungsverhältnis zum globalen Trend der Verlängerung und Tertiärisierung der beruflichen Ausbildung. Auf Grund der starken soziokulturellen Verankerung des Ansatzes in Österreich ist aber mit großem Beharrungsvermögen zu rechnen, kreative Aufnahme der globalen und europäischen Inputs wird gefordert sein.
Weitgehend Spekulation bleiben auch Fragen nach den langfristigen Auswirkungen der europäischen Integration und Kooperation auf die Struktur der beruflichen Bildung auf der oberen Sekundarstufe. Als sicher kann aber gelten, dass sich die Abstände zwischen BHS-Abschlüssen und ersten Hochschulabschlüssen durch den Bologna-Prozess verringern werden. Da die Fachhochschulen viele Bachelor-Studiengänge und viele berufsbegleitende Studiengänge anbieten und sich im Wettbewerb um Studierende besonders bemühen, sind Veränderungen in der BHS mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten (Erhöhung der Hochschulstudier- und Abschlussquote der Absolventen/innen der Hauptform, Verluste bei den Kollegs und den Angeboten für Berufstätige).
Literatur
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