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http://www.bwpat.de/ATspezial | Hrsg. bwp@-Spezial 3 - Österreich Spezial: Franz Gramlinger & Peter Schlögl & Michaela Stock

bwp@ Spezial 3 - Österreich Spezial
Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Österreich. Oder:
Wer „macht“ die berufliche Bildung in AT?


Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen in der Übungsfirma am Beispiel des betrieblichen Rechnungswesens

 

 

 

 

 

 

1. Einleitung

Seit nunmehr über zehn Jahren sind handlungsorientierte Methoden und hier im Speziellen die Übungsfirma (ÜFA) ein zentrales Forschungsfeld am Standort Graz sowie fixer Bestandteil der Lehre für die Studienrichtung Wirtschaftspädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz. Im Rahmen der universitären Lehre wurde im Studienjahr 1996/97 erstmals eine Übungsfirma eingerichtet, im Sommersemester 2004 kam es in Graz zur Gründung einer zweiten Übungsfirma und bis heute haben über 450 Studierende der Wirtschaftspädagogik in diesen beiden Übungsfirmen gearbeitet, gelernt und diese handlungsorientierte Methode umfassend erfahren. Für die beiden Autorinnen des vorliegenden Beitrages ist Übungsfirma neben der Lehre auch ein Schwerpunktbereich in der Forschung.

Im vorliegenden Beitrag wird in einem ersten Schritt ein Ebenenmodell zur Übungsfirma vorgestellt, das am Standort Graz entwickelt wurde und das seit einigen Semestern mit Studierenden erprobt und immer wieder in der Umsetzung bzw. Anwendung weiterentwickelt wird. Die Simulation respektive Modellarbeit steht im Zentrum des darauf folgenden Kapitels, denn das Hinterfragen und Durchleuchten der didaktischen Aufbereitung der realen Unternehmenswelt ist zentrales Anliegen der Übungsfirmenarbeit an der Grazer Universität. Im vierten Kapitel werden vor allem empirische Befunde zum Rechnungswesen in der Übungsfirma diskutiert, wobei hierbei auf diesbezügliche Anforderungen an die Modellgestaltung eingegangen wird. Der vorliegende Beitrag schließt mit einer Auseinandersetzung mit den Anforderungen an die Übungsfirma in diesem Kontext.

2.  Grazer Ebenenmodell zur Übungsfirmenarbeit

Das Grazer Ebenenmodell zur Übungsfirmenarbeit wurde über die Jahre entwickelt und 2005 in der Schweizerischen Zeitschrift für kaufmännisches Bildungswesen erstmals publiziert. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf diesen Beitrag (vgl. BERCHTOLD/ STOCK 2005, 120-134) und werden durch die zwischenzeitlichen Weiterentwicklungen ergänzt. Bei der Arbeit mit den Studierenden der Wirtschaftspädagogik hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass das Grazer Ebenenmodell bei der Erschließung der Methode Übungsfirma sowie beim Aufzeigen der Zusammenhänge und Vernetzungen wertvolle Unterstützung leistet. Es bietet für die Lehr- und Forschungsarbeit am Standort Graz eine stimmige Grundlage für die Weiterentwicklung der Methode und schafft eine geeignete Basis für Lehrende ebenso wie für Lernende, um ein gemeinsames Verständnis für Übungsfirma zu schaffen. Mit einer Übungsfirma als ökonomisch valide Modellierung wird versucht, die Realität eines Unternehmens didaktisch so aufzubereiten, dass sie für Lernende erleb- und erfahrbar werden kann, wobei damit die Chance geboten wird, Geschäftsprozesse, betriebliche Abläufe sowie realwirtschaftliche Beziehungen respektive Marktverhältnisse zu realisieren, diskutieren und reflektieren (vgl. z.B. TRAMM/ GRAMLINGER 2006; BERCHTOLD/ TRUMMER 2000; BERCHTOLD/ STOCK 2005 & 2006; STOCK/ RIEBENBAUER 2007; GRAMLINGER/ TRUMMER 2001; SIEMON 2006). D. h. der validen Modellgestaltung kommt in der Übungsfirma eine zentrale Rolle zu. Bei aller Notwendigkeit der Modellgestaltung darf aber nicht vergessen werden, dass der Sinn und Zweck einer Übungsfirma einzig und alleine das Lernen ist – somit ist eine duale Sichtweise der Übungsfirma unerlässlich. Die folgende Grafik zeigt diesen Zusammenhang zwischen Modellierung und dualer Sichtweise der Übungsfirma.

Bei der dualen Sichtweise der Übungsfirma besteht aber immer die Gefahr, dass der Betrieb im Mittelpunkt steht – passiert dort doch in der Regel die meiste Arbeit – und auf den Lernort nahezu vergessen wird. Im Sinne der handlungsorientierten Methode (vgl. z.B. PETERSZEN 2001, 142ff) respektive aus pädagogischer Sicht muss der zentrale Fokus aber auf dem Lernort liegen. Beachtet man dabei auch noch, dass es an der Universität um die wissenschaftliche Berufsvorbildung möglicher zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer geht, so bedarf es des Einziehens einer dritten Ebene, der so genannten Metaebene, um auch die theoretischen Rahmenbedingungen respektive erforderliches Hintergrundwissen mit zu berücksichtigen. Das Grazer Ebenenmodell besteht folglich aus den drei Ebenen Betrieb, Lernort sowie Metaperspektive und lässt sich wie folgt darstellen.

 

Durch dieses in Abbildung 2 dargestellte Modell wird verdeutlicht, welche Faktoren für die Lehr- und Lernform Übungsfirma von zentraler Bedeutung sind, wobei den Kern des Modells der von Dewey entwickelte Regelkreis der Projektmethode bildet, der von Kolb (Rad des Lernens) oder auch von Deming für den Bereich des Qualitätsmanagements (Plan – Do – Check – Act) abgeleitet bzw. weiterentwickelt wurde. Wie die Abbildung 2 auch zeigt, kommt der Reflexion als Basis für eine zielorientierte Weiterentwicklung von Lernort und Betrieb in der Übungsfirma eine zentrale Bedeutung zu. „Für die Studierenden soll es zudem ein Gerüst sein, um Übungsfirma zu begreifen. Wir möchten damit vermitteln, dass in der ÜFA ein Lernen im Sinne der projektorientierten Pädagogik und der Handlungsorientierung nur dann stattfinden kann, wenn ganz gezielte Schritte zur Gestaltung des Betriebes, aber auch des Lernortes gesetzt werden. Dies wiederum ist nur möglich, wenn verstanden wird, wie die Elemente zusammenwirken und wenn Lehrende einerseits in der Lage sind, ein entsprechendes Modell eines simulierten Betriebes zu gestalten, sowie andererseits neben dem pädagogischen Rüstzeug auch bereit und fähig sind, neue Rollen im Sinne des Konzepts des handlungsorientierten Lernens (PETERSZEN, 2001) zu übernehmen.“ (BERCHTOLD/ STOCK 2005, 126f)

In den folgenden Ausführungen soll nun auf die einzelnen Ebenen des Grazer Ebenenmodells zur Übungsfirmenarbeit im Detail eingegangen werden.


Betrieb

Durch das Modell respektive die Simulation wird der Betrieb erzeugt . Die Simulation ist nicht einfach ein Abbild der Realität, denn einerseits gibt es die Realität nicht und andererseits wird gefordert, ein didaktisches Simulationsmodell zu generieren, um Lernen in optimaler Art und Weise zu ermöglichen (vgl. TRAMM/ GRAMLINGER 2006, 6). In der praxisrelevanten sowie didaktisch sinnvollen Modellierung des Betriebes nehmen die Lernenden die Rolle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein und sollen im Sinne des vollständigen Handelns, Ziele setzen, planen, durchführen und evaluieren sowie die Zusammenhänge und das Zusammenwirken erkennen und nachvollziehen. Der Betrieb lässt sich, eingebettet in das Rad des Lernens sowie fokussiert auf die zentrale Rolle der Reflexion, wie folgt darstellen.

 

In der Übungsfirma ist der Betrieb für die Lernenden sicherlich am leichtesten begreifbar zu machen, wobei der realitätsnahen Simulation des Betriebes aber eine zentrale Rolle zugeschrieben werden kann. Die strategische Ausrichtung, der Aufbau einer Prozessorganisation, ebenso wie ein Regelkreisdenken und -handeln sind u. a. zentrale Elemente des Betriebes Übungsfirma. In diesem Zusammenhang ist für den Betrieb aber auch die Zeit für Reflexion von immenser Bedeutung, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter respektive Lernenden vor allem über ihr eigenes Tun, den Praxisbezug der gemachten Erfahrungen oder das Modell als gesamtes sowie die Didaktik und Methodik im allgemeinen nachdenken können und auch in die Lage kommen, Zusammenhänge zu erkennen und zu analysieren – sprich: die Chance haben, im Sinne der handlungsorientierten Methode auch wirklich vollständig zu handeln.

Lernort

In der Übungsfirma kommt der Gestaltung des Lernortes ein zentrale Aufgabe zu, denn letztendlich geht es immer um Lernen respektive die optimale Ermöglichung von Lernprozessen, wobei es vor allem auch die pädagogischen Intentionen der Lehrenden sind, die ausschlaggebend für die Gestaltung des Modells der Übungsfirma verantwortlich zeichnen (vgl. z.B. TRAMM/ GRAMLINGER 2006, 7). Auch wenn im Rahmen der Übungsfirmenarbeit nicht alle Mängel, Paradoxien und Probleme, die ein Übungsfirmenmarkt respektive die Übungsfirmenvolkswirktschaft mit sich bringt, beseitigt werden können, so steht und fällt die Übungsfirma in letzter Konsequenz aber immer mit der Leiterin bzw. dem Leiter der jeweiligen Übungsfirma.

Es ist Aufgabe der Lehrenden, den Lernort Übungsfirma zu gestalten. D.h. sie sind dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen, in dem die Lernenden im Sinne des handlungsorientierten Lernens den gesamten Lernprozess (Zielfindung, Planung, Durchführung und Reflexion) durchlaufen können (vgl. z.B. STOCK/ RIEBENBAUER 2007, BERCHTOLD/ STOCK 2006, TRUMMER et al. 2003). Ohne Schaffung dieses Rahmens ist es für die Lernenden nur schwer möglich, ihre Handlungskompetenz auszubauen sowie die Basis für lebensbegleitendes Lernen zu entwickeln. Die folgende Abbildung zeigt den Lernort Übungsfirma sowie die zentrale Rolle der Reflexion für den Aufbau der Handlungsfähigkeit.

 

Ebenso wie für den Betrieb, steht auch im Lernort das Rad des Lernens im Sinne des handlungsorientierten Lernens im Mittelpunkt. Das bewusste Bewegen in den Lernort hinein bedeutet auch für die Lehrenden und Lernenden ein Aussteigen aus dem Betrieb und das Einnehmen der Metaperspektive. Egal wie auch immer dieser Ausstieg gestaltet wird, die Studierenden respektive Schülerinnen und Schüler sind Lernende und es geht in erster Linie um ihr Lernen, um das Erkennen von Zusammenhängen, Prozessen, Wechselwirkungen im betrieblichen Kontext ebenso wie auch im Bezug auf die Entwicklung der sozialen Kompetenz. „Wichtig ist, dass die Lernenden die Möglichkeit erhalten, auf situative Distanz zu ihrem Entscheiden und Handeln im Betrieb zu gehen. Sie sollten die gewonnenen Erkenntnisse mit ihren Annahmen, ihren Konstrukten der Realität sowie früher gelernten theoretischen Elementen vergleichen und verbinden können. Nur so kann der Kreislauf von Purposing – Planning – Executing – Judging geschlossen werden.“ (BERCHTOLD/ STOCK 2005, 129f)

Metaebene

Reflexion ist sowohl für den Betrieb als auch für den Lernort wesentlich. Nichtsdestotrotz ist die Reflexion im Zentrum der dritten Ebene, der Metaebene des Grazer Ebenenmodells, wobei hier zwei Perspektiven zu unterscheiden sind: Einerseits die Perspektive der Modellgestaltung und andererseits die pädagogische Perspektive. Die folgende Abbildung zeigt auch die dritte Ebene des Grazer Ebenenmodells der Übungsfirmenarbeit.

 

Ergänzend zur Ebene des Betriebes und des Lernortes ist gerade bei der wissenschaftlichen Berufsvorbildung der Studierenden der Wirtschaftspädagogik die Metaebene von besonderer Bedeutung, da hier einerseits eine umfassende Auseinandersetzung mit der Methode sowie allen methodischen und didaktischen Fragestellungen rund um die Übungsfirma sowie dem Rollenverständnis erfolgt und andererseits der Frage der Modellgestaltung respektive Simulation nachgegangen wird.

Beide Metaperspektiven haben besondere Bedeutung für potentielle zukünftige Lehrerinnen und Lehrer, sodass es gerade im Rahmen des Studiums der Wirtschaftspädagogik als äußerst wichtig zu erachten ist, dass eine intensive diesbezügliche Auseinandersetzung erfolgt. Gerade die Modellierung respektive Simulation der Übungsfirma ist aus Sicht der beiden Autorinnen eine Schlüsselrolle für Übungsfirmenleiterinnen und -leiter und es steht außer Frage, dass sich angehende Wirtschaftspädagoginnen und -pädagogen mit Fragestellung rund um die Methode Übungsfirma sowie möglichen unterschiedlichen Rollen in dieser im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Berufsvorbildung auseinanderzusetzen haben. Aus Sicht der Autorinnen ist diese Metaebene für die Übungsfirmenarbeit an der Universität unverzichtbar.

3.  Modellgestaltung – Simulation der Übungsfirma

Wie bereits im zweiten Kapitel des vorliegenden Beitrages angesprochen, ist die Modellgestaltung respektive Simulation der Übungsfirma eine Kernaufgabe der Übungsfirmenleiterinnen und -leiter. Auch wenn man sich mit der einschlägigen Literatur auseinandersetzt (vgl. z.B. ACHTENHAGEN/ TRAMM 1993; TRAMM/ GRAMLINGER 2006; RIEBENBAUER/ STOCK 2007; REETZ 1986; BERCHTOLD/ TRUMMER 2000), ist die zentrale Stellung der Modellierung in der Übungsfirmenarbeit außer Frage gestellt. Am Standort Graz haben die beiden Autorinnen in ihrer jahrelangen Übungsfirmenarbeit viele verschiedene Instrumente getestet, die die Modellierungsarbeit in der Übungsfirma unterstützen können (siehe dazu im Detail die Ausführungen in RIEBENBAUER/ STOCK 2007, 26f). Wie in diesem Beitrag festgehalten, gibt es keine einzig richtige, wahre Methode für die Modellierung der Übungsfirmenarbeit, denn je „nach Unternehmensgegenstand, Erfahrungen aus der beruflichen Praxis, Verbindungen zur Praxis sowie Vorlieben und Neigungen der Lehrenden sowie auch der Lernenden können unterschiedliche Methoden und Instrumente für die Modellarbeit eingesetzt werden“ (RIEBENBAUER/ STOCK 2007, 26).

Ob nun mit einer Partnerfirma zusammengearbeitet wird, wo die Partnerfirma Modell für die Übungsfirmenmodellierung steht, oder man mit Geschäftsmodellen arbeitet, wobei die Geschäftsprozesse (vgl. z. B. SIEMON 2006) hier in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden, oder ob man Branchenkennzahlen für die Modellierung zu Hilfe nimmt oder den Businessplan als unterstützendes Instrument einsetzt, ist letztendlich eine Frage der Zielsetzung, der Erfahrung der Lehrenden und nicht zuletzt auch des Geschmacks.

Die beiden Autorinnen haben all diese Möglichkeiten ausprobiert und arbeiten derzeit in ihren Übungsfirmen mit einer Kombination aus Businessplan und Brachenkennzahlen, weil sich diese beiden Instrumente für die beiden Grazer universitären Übungsfirmen als sehr dienlich für die Modellierungsarbeit erwiesen haben. Die Struktur des Businessplans bietet den roten Faden durch alle zentralen Unternehmensbereiche und die Brachenkennzahlen ermöglichen eine ökonomisch valide Modellierung der Aufwandsseite im Verhältnis zu den am Übungsfirmenmarkt erzielten Erträgen.

Als neues Projekt in einer der beiden universitären Übungsfirmen in Graz wurde im laufenden Wintersemester 2007/08 mit der Einführung eines ERP-Systems begonnen, um mit Unterstützung dieses Systems alle Dimensionen der Unternehmensrealität integrativ betrachten zu können (vgl. zur Notwendigkeit des Einsatzes von ERP-Systemen in der Übungsfirmenarbeit z.B. den Beitrag von SIEMON 2006).

Gelingt es, die komplexe Lernumgebung respektive das betriebswirtschaftliche Modell der Übungsfirma stimmig zu gestalten, so können die Lernenden innerbetriebliche Prozesse, wirtschaftliche Marktverhältnisse sowie funktionsübergreifende Zusammenhänge erkennen, verstehen und hinterfragen. Für diese Lernprozesse ist neben der Modellgestaltung das Aufzeigen der Vernetzungen sowie der betriebswirtschaftlichen Erfolge Voraussetzung, d. h. die Verknüpfungen zwischen den einzelnen unternehmerischen Teilbereichen sowie die Ergebnisse der gesetzten Handlungen sind für die Lernenden transparent zu machen.

Das betriebliche Rechnungswesen bietet als Informationssystem, das alle güter- und finanzwirtschaftlichen Vorgänge im Unternehmen abbildet, eine hervorragende Grundlage für das Aufarbeiten von ökonomischen Zusammenhängen. Zudem kann mit Hilfe der Auswertungen des Bereichs Rechnungswesen analysiert werden, wie gut die Modellierung der Lernumgebung Übungsfirma letztendlich gelungen ist, beispielsweise durch einen Vergleich der Kennzahlen der eigenen Übungsfirma mit den jeweiligen realen Branchenkennzahlen.

4.  Rechnungswesen in der Übungsfirma

4.1  Handlungskompetenz durch Rechnungswesenunterricht

Das Rechnungswesen als ein betriebswirtschaftlicher Kernbereich spielt in der kaufmännischen Berufsbildung auch in Österreich eine zentrale Rolle und scheint in allen kaufmännischen Lehrplänen auf. Das Rechnungswesen gilt als Schlüssel zum wirtschaftlichen Denken und Handeln und der Rechnungswesenunterricht strebt die Entwicklung einer ökonomischen Kompetenz an (vgl. ACHTENHAGEN 1996, 22; TRAMM 2005, 101).

Auf der Sinnsuche nach dem richtigen Leitbild für den Rechnungswesenunterricht rekonstruierte REINISCH zwei didaktische Zielkategorien: Das Leitbild des praktischen Buchhalters und das Leitbild des denkenden Buchhalters . Nach dem Leitbild des praktischen Buchhalters sollen sich die Lernenden im gemeinsamen Unterricht oder im Selbststudium genau jene Buchführungskenntnisse aneignen, die sie in der betrieblichen Praxis umgehend nutzen können. Die geistige Durchdringung und das Verständnis der Systematik der doppelten Buchführung beispielsweise sind dabei nebensächlich. Im Gegensatz dazu fordert das Leitbild des denkenden Buchhalters eine umfangreiche Behandlung des ökonomischen Zweckbezugs des Rechnungswesens. Im Unterricht sollen unternehmerisches Denken, kompetentes und verantwortliches Handeln sowie dispositive Elemente und fächerübergreifende Vernetzungen gefördert werden (vgl. REINISCH 1996, 63; REINISCH 2005, 21f).

Grundsätzlich sollen beide Leitbilder – nämlich Handlungssicherheit und Verständnis – angestrebt werden, d. h. dass der Rechnungswesenunterricht auf ein Verständnis von ökonomischen Systemzusammenhängen über die Beherrschung kaufmännischer Buchungs- und Verfahrenstechniken abzielt (vgl. TRAMM/ PREISS 1996, 5; SCHNEIDER 2005, 38). Lernende sollen befähigt werden, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge zu begreifen und dieses Verständnis sowie ihre erworbenen Rechnungswesenkenntnisse und -fertigkeiten für ihr persönliches kaufmännisches Handeln zu nutzen. Ziel des Rechnungswesenunterrichts ist demzufolge die Entwicklung von ökonomischer Handlungskompetenz.

Um Lernende auf ein selbstständiges Handeln in ökonomischen Lebenssituationen vorzubereiten, wo sie ihr individuelles Wissen in zielgerichtetem Tun anwenden, können aus methodischer Perspektive zwei Modelle unterschieden werden (vgl. SLOANE 2000, 48):

1. Instruktionspsychologisch – vom Wissen zum Handeln: Das menschliche Handeln wird zuerst in fachtheoretischen Einheiten kognitiv abgebildet. Danach erfolgt das Üben und Anwenden der Inhalte in praktischen Situationen (Theorie vor Praxis).

2. Konstruktivistisch – vom Handeln zum Wissen: Lernende setzen sich mit Problemen auseinander und erwerben neues Wissen während ihrer Handlungen, die sie auf Basis ihres Vorwissens ausführen (Praxis vor Theorie).

Die Entwicklung von Handlungskompetenz durch Rechnungswesenunterricht bedarf neben fachdidaktisch-curricularen Voraussetzungen auch verschiedene fachdidaktisch-methodische Voraussetzungen, beispielsweise werden vermehrt eine lernendenzentrierte Unterrichtsgestaltung, eine stärkere Variation der eingesetzten Methoden, komplexere Lernanlässe und eine gezielte Förderung von Systemzusammenhängen gefordert (vgl. SEIFRIED/ SEMBILL 2005, 1f). Es ist Aufgabe der Lehrenden, eine entsprechende Lernumgebung zu schaffen, die komplexe Problemstellungen bietet und den Lernenden ausreichende Handlungs- respektive Entscheidungsspielräume gewährt. Bei der Konzeption einer handlungsorientierten Lernumgebung im Rechnungswesenunterricht sollen u. a. folgende Aspekte berücksichtigt werden (vgl. TRAMM/ PREISS 1996, 4; SEIFRIED 2003, 211):

•  Einsatz eines repräsentativen Modellunternehmens,

•  Bearbeitung beruflich relevanter Problemfälle,

•  Verbuchung von Belegen mit üblichen Rechen-, Informations- und Kommunikationstechniken,

•  Verrichtung von kaufmännischen Tätigkeiten auf Sachbearbeitungsebene inklusive entsprechender Entscheidungskompetenz,

•  Ausrichtung auf alle handelnden Personen im Wirtschaftsleben und deren unterschiedliche Lebenssituationen,

•  Vermeidung von Vereinfachungen, um ökonomische Zusammenhänge und sinnverstehendes Lernen in komplexen Situationen zu fördern, sowie

•  Analyse und Interpretation betriebswirtschaftlicher Modelldaten zum Zwecke des externen sowie internen Rechnungswesens und Controllings.

Bezieht man diese zu berücksichtigenden Aspekte für den Rechnungswesenunterricht auf das Lernen und Arbeiten in der Übungsfirma, so kann festgestellt werden, dass mit der Methode Übungsfirma als Unternehmenssimulation zu Lernzwecken gerade auch im Kontext des Rechnungswesens eine dafür bestens geeignete Lernumgebung geschaffen werden kann.

4.2  Empirische Befunde zum Rechnungswesen in der Übungsfirma

Die nachfolgenden Forschungsergebnisse wurden einerseits durch eine schriftliche Befragung der Lehrenden in österreichischen Übungsfirmen und andererseits durch qualitative Untersuchungen von sechs ausgewählten Übungsfirmen aus Deutschland, Italien, Österreich und den Vereinigten Staaten erzielt. Diese Untersuchungen, durchgeführt im Rahmen der Dissertation einer der Autorinnen, hatten die deskriptive Analyse der Ist-Situation der Übungsfirmenarbeit, insbesondere des Stellenwerts des Rechnungswesens in der Übungsfirma, zum Ziel (vgl. RIEBENBAUER 2007).

Die Befragung aller im Jänner 2006 bei der österreichischen Übungsfirmenzentrale ACT registrierten Lehrenden (Rücklauf 42,5 %) zeigt, dass in den österreichischen Übungsfirmen, die zu über 93 % an Schulen angesiedelt sind, im Schnitt 17 Lernende bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich vier Stunden beschäftigt sind (vgl. RIEBENBAUER 2006, 12f; RIEBENBAUER 2007, 263). Betrachtet man die Aufbauorganisation, so sind Rechnungswesen, Sekretariat, Einkauf, Marketing und Verkauf die bedeutendsten Organisationseinheiten. Die Einheit Rechnungswesen ist mit 98 % nicht nur der am häufigsten eingerichtete, sondern mit durchschnittlich 3,27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch der größte Bereich. Aus der Sicht der Lehrenden ist das Rechnungswesen eindeutig die Organisationseinheit mit dem größten Betreuungsaufwand (vgl. RIEBENBAUER 2007, 183f).

Die Rechnungswesen-Lehrziele der Befragten stimmen mit den Leitbildern nach REINISCH überein, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Übungsfirma vorrangig ihre Sicherheit in der Anwendung bestehender Rechnungswesenkenntnisse (74,9 %) und den Umgang mit einer Rechnungswesen-Software (62,4 %) verbessern sollen sowie ebenso ihr Verständnis für betriebliche Zusammenhänge (71,8 %) gefördert werden soll. Die Lehrenden wurden im Zuge der Untersuchung außerdem aufgefordert, eine Einschätzung der Lernerfolge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich Rechnungswesen vorzunehmen. Sie beobachten große Lernzuwächse beim Anwenden von bereits Gelerntem, bei fachlichen Fähigkeiten, bei sozialer Kompetenz und im Umgang mit fachspezifischer Software. Die Lernergebnisse in den komplexeren Bereichen, wie selbstständige Problemlösung sowie Übersicht über betriebliche Strukturen und Abläufe, werden als normal eingeschätzt. Für eine umfassendere Beurteilung des Lernerfolgs wären jedoch die Einbeziehung der Lernenden bzw. Messungen deren tatsächlichen Lernerfolgs von Nöten (vgl. RIEBENBAUER 2007, 202ff; RIEBENBAUER/ STOCK 2007, 28).

Hinsichtlich des Aufgabenspektrums der Organisationseinheit Rechnungswesen zeigen die Ergebnisse, dass in erster Linie die Führung der laufenden Buchhaltung (98,4 %), die Abwicklung des Zahlungsverkehrs inklusive Verwaltung der offenen Posten (90 %) sowie laufende Steuerberechnungen (65,4 %) wahrgenommen werden. Weiterführende Aufgaben, wie Bilanzierung (41,1 %), Kostenrechnung (13,1 %) und Controlling-Tätigkeiten (13,4 %) werden dagegen eher selten erledigt. Da die vorherrschende Rechtsform am österreichischen Übungsfirmenmarkt die GmbH (93,8 %) ist, erstellen mehr als 97 % eine doppelte Buchführung. Nur 2,5 % führen eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung (vgl. RIEBENBAUER 2007, 193f).

Das Berichtswesen der österreichischen Übungsfirmen wird von laufenden Meldungen über die Berechnung von Steuern und Abgaben dominiert, d. h. dass die monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldung (90,4 %) sowie Meldungen an die ACT-Gebietskrankenkasse (68,8 %) am häufigsten vorkommen. Die weiteren erstellten Auswertungen sind in der folgenden Tabelle dargestellt.

 

Die erstellten Auswertungen und Berichte werden zwar in 80,7 % der Übungsfirmen in gemeinsamen Besprechungen thematisiert, aber sie werden bei betrieblichen Entscheidungen kaum herangezogen (32,8 %) oder an andere Organisationseinheiten weitergegeben (26 %). Sitzungen am Beginn oder Ende der Übungsfirmeneinheit werden in 92,2 % der Übungsfirmen auch genutzt, um betriebliche Prozesse und Zusammenhänge aufzuarbeiten. 68 % der Befragten verfügen dazu über eine graphische Darstellung des betriebswirtschaftlichen Modells ihrer Übungsfirma, 42,2 % bilden die Modellierung schriftlich ab, 13,8 % setzten dazu einen Businessplan ein und bei 5,5 % existiert das Modell nur im Kopf der ÜFA-Leitung. 12,4 % der Übungsfirmen steht eine reale Partnerfirma als Datenlieferant für die Modellgestaltung zur Seite. Der Großteil der Lehrenden (76,3 %) simuliert neben den am ÜFA-Markt abgewickelten Geschäften zusätzliche Geschäftsfälle respektive die dabei anfallenden Belege wie z. B. Rechnungen für Miete, Material, Strom- und Telefonaufwand, um die Modellierung vollständiger und stimmiger zu machen (vgl. RIEBENBAUER 2007, 265f).

Um einen tieferen Einblick in die reale Umsetzung des Konzepts Übungsfirma zu gewinnen, wurden neben der Lehrendenbefragung sechs, nach aufgestellten Kriterien ausgewählte Übungsfirmen mit Hilfe von teilnehmenden Beobachtungen, Leitfadeninterviews, mündlich unstrukturierten sowie schriftlichen Befragungen und Dokumentenanalysen untersucht und portraitiert. Die erzielten, empirischen Befunde zeigen verschiedene Umsetzungsvarianten der Methode Übungsfirma auf. Hinsichtlich des bildungstheoretischen Modells können die sechs untersuchten Übungsfirmen wie folgt unterteilt werden (vgl. RIEBENBAUER 2007, 268f).

 

Es fällt auf, dass in den beiden amerikanischen Übungsfirmen der Schwerpunkt im Bereich Rechnungswesen auf der Finanzplanung und dem laufenden Berichtswesen liegt. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden beispielsweise wöchentliche Budgetberichte, Break-Even-Analysen, Planbilanzen und ein umfangreicher Businessplan erstellt, wobei im Rechnungswesen nur mit MS-Excel gearbeitet wird und keine fachspezifische Software zum Einsatz kommt. Im Gegensatz dazu wird in den vier europäischen Übungsfirmen großer Wert auf die ordnungsmäßige Erfassung der laufenden Geschäftsfälle und die korrekte Verwaltung der offenen Posten gelegt. In jenen drei Übungsfirmen, wo die Lernenden bereits über einschlägige Vorkenntnisse verfügen, wird auch ein Jahresabschluss erstellt oder werden zumindest Vorarbeiten dazu geleistet. Die Auswertungen des Rechnungswesens sind von externen Meldungen geprägt, während ein internes Berichtswesen kaum vorhanden ist. Eine Ausnahme dazu ist die universitäre Übungsfirma, wo neben dem Jahresabschluss auch ein Zwischenabschluss sowie monatliche Controllingberichte mit ausgewählten Kennzahlen und realen Branchenvergleichen erarbeitet werden (vgl. RIEBENBAUER 2007, 270f). Eine Besonderheit stellen die bayrischen Wirtschaftsschulen dar, wo der Gegenstand Übungsfirmenarbeit über zwei Schuljahre läuft und die Schülerinnen und Schüler zum Teil zeitgleich mit der Übungsfirma und dem herkömmlichen Rechnungswesenunterricht beginnen (vgl. ISB 2000, 5ff).

Sowohl Lehrende als auch Lernende beschreiben die Arbeit im Rechnungswesen in der Übungsfirma als sehr herausfordernd, v. a. wird die Einarbeitung zu Beginn bzw. nach einer Job Rotation aufgrund der zahlreichen Rechtsvorschriften und des noch nicht vorhandenen Überblicks als schwierig beurteilt. Wegen der Einhaltung der gesetzlichen Fristen stehen die Lernenden häufig unter Zeitdruck, besonders wenn Stunden ausfallen oder einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen. Als äußerst hilfreich stellen sich dabei die Dokumentation der wesentlichen Informationen und Arbeitsschritte in einem Handbuch (wie in der universitären Übungsfirma) sowie die Arbeit mit Leittexten (wie in der bayrischen Übungsfirma, vgl. AKADEMIE FÜR LEHRERFORTBILDUNG UND PERSONALFÜHRUNG DILLINGEN 2000) heraus.

Die durchgeführten empirischen Untersuchungen zeigen, dass die Tätigkeit im Rechnungswesen in der Übungsfirma generell von allen Beteiligten trotz der meist vielen und anspruchsvollen Arbeit geschätzt wird, da das selbstständige Arbeiten und der hohe Praxisbezug als sehr lehrreich bewertet werden. Ebenso wird immer wieder hervorgehoben, dass durch die Arbeit im Rechnungswesen interne Zusammenhänge meist besser erkannt werden als in anderen Organisationseinheiten der Übungsfirma (vgl. dazu auch GRAMLINGER 1997, 290).

5.  Anforderungen an die Übungsfirma

Um handlungs- bzw. kompetenzorientiertes Lernen zu ermöglichen, stellt die didaktische Gestaltung der Übungsfirma eine große Herausforderung für Lehrende dar. In diesem Teil des vorliegenden Beitrages sollen, ausgehend vom vorgestellten Grazer Ebenenmodell und der Modellierung der Übungsfirma sowie den dargestellten empirischen Ergebnissen, nun einige ausgewählte Maßnahmen für die Einrichtung eines funktionierenden, den Anforderungen gerecht werdenden Rechnungswesens in der Übungsfirma aufgezeigt werden.

•  Mit dem Grazer Ebenenmodell wird den Lernenden eine Hilfestellung geboten, die duale Sichtweise der Übungsfirma für das eigenen Handeln und Lernen zu realisieren. Ebenso wird ein Bewegen im Modell und damit das Lernen im und am Modell gefördert, die erforderliche Reduktion der Komplexität der Realität unterstützt und das Ebenenmodell bietet Hilfestellung, um Zusammenhänge erfassbar zu machen, was für das vollständige Handeln im Rechnungswesen unerlässlich ist. Es sind die Lehrenden, die im Rahmen ihrer Übungsfirmenarbeit gefordert sind, eine didaktische Aufbereitung der Realität eines Unternehmens sicherzustellen, damit für Lernende betriebliche Abläufe und Zusammenhänge sowie wirtschaftliche Beziehungen und Markverhältnisse erleb- und erfahrbar werden können. Dies setzt aber voraus selbst mit der Methode Übungsfirma und dem pädagogischen sowie betrieblichen respektive betriebswirtschaftlichen Abläufen, Zusammenhängen, Beziehungen etc. vertraut zu sein.

•  Eine valide Modellierung der Übungsfirma ist Voraussetzung, um sinnvolle Lernprozesse im Rechnungswesen zu ermöglichen. Lehrende sollten sich dabei vor allem aktiv um die Gestaltung der Aufwandsseite kümmern, da sonst die Gefahr besteht, dass die Auswertungen aus dem Rechnungswesen ein völlig falsches Bild der Realität vermitteln, z. B. wenn sie aufzeigen, dass der am ÜFA-Markt erzielte Umsatz auch dem Gewinn der Übungsfirma entspricht oder die einzigen Aufwendungen das angemeldete Personal betreffen.

•  Eine intensive Auseinandersetzung mit der Strategie und der wirtschaftlichen Zielsetzung der Übungsfirma ist notwendig, damit die Lernenden den Zusammenhang von Zielen, Prozessen und Ergebnissen begreifen (vgl. z.B. BERCHTOLD/ TRUMMER 2000, 46ff; TRUMMER/ BERCHTOLD 2002, 183ff; TRAMM/ GRAMLINGER 2006, 11). Nur wenn ihnen die strategische Ausrichtung vertraut ist, sind sie im Stande, ihren eigenen Beitrag zum Betriebsergebnis zu erkennen sowie selbst betriebswirtschaftlich korrekte Entscheidungen auf operativer Ebene im Rahmen der Arbeit in ihrer Organisationseinheit zu treffen.

•  Bei der Modellgestaltung der Übungsfirma sollte auf eine Anpassung an das Leistungsniveau der Lernenden geachtet werden. So bestimmt die Wahl der Rechtsform auch die Art der Erfolgsermittlung. Wenn die Lernenden beim Eintritt in die Übungsfirma beispielsweise über keinerlei kaufmännische Vorkenntnisse verfügen, so sollte eine Rechtsform gewählt werden, die die Ermittlung des betrieblichen Erfolgs mittels Einnahmen-Ausgaben-Rechnung erlaubt. Die Lernenden können dann neben der Führung von Kassabuch, Wareneingangsbuch und Anlagenverzeichnis das Betriebsergebnis der Übungsfirma durch die Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und -ausgaben anhand eines einfachen Tabellenkalkulationsprogramms bewerkstelligen (vgl. RIEBENBAUER 2007, 315ff).

•  In vielen Übungsfirmen hierzulande wird der korrekten Erfassung der Geschäftsfälle und der Berechnung der laufenden Steuern und Abgaben die größte Bedeutung beigemessen, d. h. dass im Rechnungswesen primär nur die Dokumentationsfunktion und die externe Informationsfunktion erfüllt werden. Es steht außer Frage, dass in der Übungsfirma alle Funktionen des betrieblichen Rechnungswesens wahrgenommen werden sollten, nämlich auch die interne Informations-, Steuerungs-, Kontroll- und Dispositionsfunktion dieses Bereichs. Dies bedarf z. B. der Implementierung einer Kostenrechnung, der Analyse der erreichten betrieblichen Ergebnisse sowie der Aufstellung von Planungs- und Kontrollrechnungen (vgl. RIEBENBAUER 2007, 325).

•  Die empirischen Befunde zeigen auch, dass vielen Übungsfirmen ihre erfolgsrelevanten Ergebnisse während des Geschäftsjahres nicht bekannt sind. Eine Forcierung des betrieblichen Berichtswesens sollte diesem Informationsdefizit entgegenwirken. So können z. B. mit Hilfe von regelmäßigen Controlling- bzw. Budgetberichten wichtige Daten über die Umsatzentwicklung, die gegenwärtige Erfolgssituation oder die derzeit vorhandenen finanziellen Mitteln präsentiert und dringender Handlungsbedarf aufgezeigt werden. Die Lernenden erhalten auf diese Weise auch eine betriebswirtschaftliche Rückmeldung auf ihre gesetzten Handlungen. Außerdem beinhalten diese Berichte großes Potential, um wirtschaftliche Zusammenhänge transparent zu machen (vgl. RIEBENBAUER 2007, 325f).

•  Wie die durchgeführten Beobachtungen ergeben, ist auch eine enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Organisationseinheiten wünschenswert, damit Lernende die Verknüpfungen respektive Vernetzungen zwischen den verschiedenen Unternehmensbereichen erkennen und begreifen. Da sich z. B die Erstellung des Jahresabschlusses der Übungsfirma ohnehin als eine sehr umfangreiche und herausfordernde Aufgabe erweist, kann der Jahresabschluss durch eine Verteilung der Abschlussarbeiten als gemeinsames Projekt in der Übungsfirma organisiert werden. Das Sekretariat kann Inventurarbeiten durchführen, während der Bereich Einkauf neben der Aufstellung des Anlagenverzeichnisses auch die offenen Kreditoren abstimmt und der Verkauf die offenen Debitoren bewertet. Die Verantwortlichen für die Personalverrechnung können die Abstimmung aller Lohn- und Gehaltskonten sowie der damit verbundenen Verbindlichkeiten übernehmen. Das Marketing ist bei der Aufbereitung und Analyse sowie der Endpräsentation behilflich. Das Rechnungswesen koordiniert sämtliche Abschlussarbeiten, nimmt die Erfolgsermittlung und Steuerberechnungen vor.

•  Um die Überforderung in der Anfangszeit der Arbeit im Rechnungswesen zu minimieren, sollte eine Dokumentation des Aufgabenbereichs erfolgen. Dabei erweisen sich detailliert ausgeführte Handbücher, Leittexte zu zentralen Tätigkeiten im Rechnungswesen und Checklisten mit zu erledigenden Aufgaben respektive einzuhaltenden Fristen eines Monats als äußerst hilfreich (vgl. RIEBENBAUER 2007, 324f). Weitere Maßnahmen können u. a. eine Übergabe der einzelnen Bereiche durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vorjahres sowie die Organisation interner Schulungen sein.

•  Bei allen Arbeiten in der Übungsfirma ist es Aufgabe der Lehrenden, die Vollständigkeit des Handelns sicherzustellen . Die Lernenden sollen die Möglichkeit haben, alle Phasen des vollständigen Handelns zunehmend selbstständig zu durchlaufen. Am Beispiel des Jahresabschlusses kann das bedeuten, dass sie ausgehend von der gemeinsamen Zielsetzung, den Abschluss ordnungsgemäß und fristgerecht zu erstellen, anhand eines selbst erarbeiteten Meilensteinplans die erforderlichen Schritte im Team durchführen. Nach Fertigstellung kontrollieren sie ihre Arbeit sowie reflektieren ihre gesetzten Handlungen und Lernerfahrungen (vgl. STOCK/ RIEBENBAUER 2007, IV).

Diese oben ausgeführte Liste an Anforderungen an die Übungsfirma im Kontext des Rechnungswesens stellt in keiner Weise den Anspruch an Vollständigkeit. Vielmehr soll damit exemplarisch aufgezeigt werden, dass die komplexe Lehr- und Lernmethode Übungsfirma große Möglichkeiten sowohl für den Erwerb respektive die Vertiefung von Kenntnissen im Rechnungswesen als auch für den Aufbau von ökonomischer Handlungskompetenz in sich birgt.

Das in diesem Beitrag vorgestellte Grazer Ebenenmodell, sowie die dargestellten Maßnahmen zur Modellierung der Übungsfirma und zur didaktischen Gestaltungen des Bereichs Rechnungswesens in der Übungsfirma sollen Ansätze zur laufenden Weiterentwicklung der Übungsfirmenarbeit leisten, sodass das volle Potential dieser handlungsorientierten Unterrichtsmethode noch umfassender genutzt werden kann.

 

Literatur

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Artikel online seit 1.2.2008


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Zuletzt verändert: 31.01.2008 7:13 PM
 


  



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