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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Problemstellen des Wissenserwerbs in Lernfirmen


 

 


1. Übersicht

Lernfirmen haben sich in den kaufmännischen Schulen fest etabliert. Das hat gute Gründe. Sie erlauben es, Aufgaben und Abläufe, die mit Problemstellungen und Lösungen der betrieblichen „Wirklichkeit“ strukturelle Verwandtschaft zeigen, in einem simulativen Kontext nachzubilden. Über sie etwas zu lernen wird so auch gerade jenen Jugendlichen möglich, die keine duale Ausbildung erhalten. Problemstellungen, Verfahren, Werkzeuge, sonstige Artefakte werden grundsätzlich „erfahrbar“ und im Rahmen situativer Kontexte aufeinander bezogen und interpretierbar.

Allerdings bleibt hier eine wichtige Differenz zwischen den „wirklichen“ und den simulierten Weltkonstruktionen zu beachten. Sie soll künftig als Situierungsdifferenz bezeichnet werden. Sie resultiert teils aus der Modellbildung, die Grundlage jeder Simulation ist, weil die für das „Original“ typischen Merkmale wie Vielfalt, Mehrperspektivität, Ambivalenzen, Unschärfen usw. verschwinden. Sie ergeben sich teils aus den didaktisch-pädagogischen Intentionen, die in die Simulation einfließen, die im „Original“, also hier der betrieblichen Wirklichkeit, so nicht anzutreffen sind.

Der Umgang mit dieser Differenz wirft einige didaktische Fragen auf. Auf sie soll im Abschnitt 2 eingegangen werden.

Es gibt eine zweite strukturelle Differenz, die für die Lernfirmenarbeit von Bedeutung ist. Sie erhält insbesondere dann großes Gewicht, wenn die erste, die Situierungsdifferenz fruchtbar überbrückt werden konnte. Sie wird hier als Generalisierungsdifferenz bezeichnet.

Worum geht es dabei? Man kann in der Lernfirmenarbeit eine Lehrform sehen, die induktives Lernen repräsentiert: Es werden singuläre, situierte, erfahrbare und konkrete Kontexte geschaffen, mit denen die Lernenden sich auseinandersetzen sollen. Dazu erhalten sie Problemstellungen, Aufgaben, Bearbeitungsaufträge u.ä.

Es fällt nun nicht schwer sich vorzustellen, dass die Schüler dabei an ausgewählten Exempeln ganz spezifische Praxen, Verfahrensnormen, Rechtsnormen, Bearbeitungsgänge usw. kennen lernen. Das sind auch sinnvolle Lernzuwächse, denn es wird später in betrieblichen Zusammenhängen durchaus erwartet, dass die entsprechenden Personen konkrete Aufträge auch tatsächlich ausführen können.

Es wird nun aber weiterhin vermutet, dass dieses singulär erworbene, spezielle Wissen in nachfolgenden gedanklichen Schritten „irgendwie“ verallgemeinert wird. Die dabei beschwörend genannten Zauberformeln „vom Konkreten zum Abstrakten“, „vom Besonderen zum Allgemeinen“ usw. geben aber wenige Hinweise, was eigentlich jeweils das Verallgemeinerte ist und warum und wie dessen gehaltvolle Konstruktion gelingt. Was ist z.B. die Verallgemeinerung der speziellen Norm, dass das Mindeststammkapital bei der Gründung einer GmbH zur Zeit 25 Tsd. Euro beträgt? Oder ist das bereits die generelle Aussage, weil das für jede GmbH gilt und nicht nur für das Beispiel, das die Schüler gerade betrachten? Oder ist dieser Typ des Allgemeinen im Speziellen gemeint, wenn von induktivem Lernen in Verbindung mit Lernfirmen gesprochen wird? Fragen wie diese werden im Abschnitt 5 behandelt.

Mit dem induktiven Lernen verbindet sich ein weiteres Strukturproblem, das als Konzeptdifferenz bezeichnet werden soll. Sie entsteht, wenn Schüler im Rahmen ihrer Arbeit in der Lernfirma auch Begriffe und Zusammenhänge erwerben sollen, die keine Verallgemeinerungen von singulärem Erfahrungswissen oder eingebundenen Spezialinformationen (insb. spezielle rechtliche und prozedurale Bestimmungen) darstellen, sondern auf eigenen, artifiziellen, nicht-alltagsweltlichen Konstruktionen beruhen.

Das betrifft vor allem die Begriffe, Modelle, Aussagengefüge, die wissenschaftlicher Herkunft sind. Diese Konstruktionen beruhen auf ganz eigenen Setzungen und Zugriffen. Sie haben eine systematische Differenz zum Alltagswissen. Folgt man hier beispielsweise der wissenschaftstheoretischen Vorstellung der analytischen Philosophie, dann ist selbst das, was in der Wissenschaft ein Erfahrungssatz oder Datum ist, in aller Regel bereits ein methodisch speziell herbeigeführtes „Ereignis“ bzw. ein qualifiziertes Protokoll, das allenfalls eine lose Verwandtschaft zum Alltagswissen hat.

Hier liegt also ein großes Problem vor, wenn das verstehende Lernen wissenschaftsbestimmter Informationen im Kontext von Lernfirmenarbeit gelingen soll. (s.u. Abschnitt 3)

Die Prämisse, wissenschaftsbestimmte Informationen verstehend zu lernen, aber auch die Forderungen der Rahmenlehrpläne, eine ganze Reihe gewichtiger Kompetenzen zu erwerben, führen dazu, dass eine vierte Differenz zu beachten ist, die nachfolgend als Modellierungsdifferenz bezeichnet wird. Sowohl der Aufbau der angesprochenen Kompetenzen wie auch das verstehende Lernen ausgewählter Begriffe und Zusammenhänge scheinen begünstigt zu werden, wenn sie soweit wie möglich selbst gesteuert erfolgen. Wenn aber Schüler angehalten werden, Lernaufgaben selbst gesteuert zu bearbeiten, dann ist nicht davon auszugehen, dass ihre begrifflichen und verknüpfenden Konstruktionen genau das enthalten, was die Menschheit insgesamt in mehreren Jahrtausenden an gehaltvollen Begriffen, Erkenntnissen und Werkzeugen gebildet hat. (s.u. Abschnitt 4)

Einige der hier herausgestellten Differenzen sind nicht spezifisch für das Arbeiten in Lernfirmen – insb. die Modellierungsdifferenzen treten bei jedem selbst gesteuerten Unterricht auf. Aber wenn man annimmt, dass Lernfirmen ihre besondere Stärke nutzen, die in der simulierten Situierung von betrieblichen Arbeitsvollzügen liegt, dass das Lernen über Bearbeitungsaufträge gesteuert wird, die für Lernende eher wenig offen sind und dass fehlende „theoretische“ Informationen heute eher über mündliche Instruktionen oder übliche Texte aus Schulbüchern oder vergleichbar strukturierte (Internet-)Texte eingebunden werden, dann werden die aufgezeigten Differenzen bislang offenbar alle mehr oder weniger ignoriert. Insofern werden für sie bislang auch nur unzureichend sinnvolle Lösungen diskutiert. Das soll nachfolgend gezeigt werden. Eine andere Frage ist, ob die besonderen Stärken des Lernfirmenlernens nicht auch genutzt werden können, um die aufgezeigten Differenzen, die grundsätzlich vorhanden und unvermeidlich sind, produktiv zu gestalten.


2.  Situierungsdifferenz

Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen, (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen,) als seine Anschauungen sich verständlich zu machen (d.i. sie unter Begriffe zu bringen.)

Liest man dieses erkenntnistheoretische Postulat, das KANT 1781 am Anfang des II. Teils der Kritik der reinen Vernunft formulierte (Einleitung: Idee einer transzendentalen Logik, I. Von der Logik überhaupt, 2. Absatz), mit didaktischem Interesse, dann könnte der erste Teil dieser Setzung, also der Gewinn an Anschauung, den Lernfirmen als Programm vorangestellt sein. (Inwieweit sich Lernfirmen auch um die Einlösung des zweiten Teils, die Begriffsarbeit, bemühen, soll im Abschnitt über die Konzeptdifferenzen untersucht werden.) Es geht tatsächlich vor allem darum, eine Anschaulichkeit und Aktivierung zu erreichen, die den Rahmen von Tafel-und-Kreide- bzw. PC-Raum-Unterricht bei weitem übersteigt. Dem Anspruch nach werden die Lernenden nicht den eher verblosen Beschreibungen von Vorgängen und Sachverhalten ausgesetzt, sondern sehr konkrete Aufgabenstellungen werden mit Hilfe von – im wörtlichen Sinne – fasslichen Artefakten bearbeitet, Handlungen geplant und ausgeführt, die sehr viel mehr umfassen als das Abschreiben von Tafelbildern usw.

Die schlechte Integrierbarkeit üblicher kaufmännischer Stoffe in konventionellen Präsentationen resultiert – jedenfalls bei wirtschaftlichen Gegenständen – erstens aus der letztlich so oft klassifikatorischen Organisation der Informationen – selbst in Fließtexten. Damit ist gemeint, dass in den Sätzen der Texte zwar Verben auftreten, dass die aber selbst keine wesentliche Information beisteuern; strukturbildendes Verknüpfungselement ist entweder der Ausdruck ‚ist ein' , durch den Aussagenbestandteile eine Unter- bzw. Gleichordnung erfahren, oder der Ausdruck ‚hat die Eigenschaft', mit dem Aussagenbestandteile Merkmalszuschreibungen erhalten.

Nehmen wir zum Beispiel eine Information über den Gegenstand ‚ Leasing '.

Der folgende Beispielsatz, der aus wikipedia stammt (www.wikipedia.org/wiki/Leasing, Zugriff am 17.06.2006), könnte auch in jedem Wirtschaftslehrebuch stehen:

Leasing ist eine Finanzierungsform, bei der das Leasinggut vom Leasinggeber dem Leasingnehmer gegen Zahlung eines vereinbarten Leasingentgelts zur Nutzung überlassen wird .“

Es handelt sich im Kern um eine klassifikatorische Mitteilung, in der Verben (und insofern Ereignisse) bedeutungslos sind und beide Verknüpfungselemente auftreten:

a) Leasing ist eine Finanzierungsform.

b) Leasing hat die Eigenschaft : Nutzungsüberlassung des Leasingguts an den Leasingnehmer gegen Zahlung eines vereinbarten Leasingentgelts an Leasinggeber. (Der tautologische Aspekt, bei dem offenbar Leasing durch Wortverbindungen mit Leasing „erklärt“ wird, soll hier undiskutiert bleiben.)

In den Ausdrücken Nutzung , Überlassung , Zahlung , vereinbart sind Handlungen zwar noch in Restspuren auffindbar, was auch so sein muss, weil die dahinter liegenden Begriffsnetze sich um Handlungen zentrieren, aber man darf bezweifeln, dass Leser entsprechende Elaborationen herbeiführen oder bei fehlendem Alltagswissen entsprechende Recherchen beginnen. (Beispielsweise ergab eine von uns vor einigen Jahren durchgeführte Untersuchung zum Textverständnis von Schülern zu Schulbuchtexten beim Thema Kaufvertrag, dass einige Schüler bei dem Ausdruck Antrag, der zusammen mit der Annahme konstitutiv ist für das Entstehen der Verträge, an Vorgänge dachten, die der Beantragung von Sozialhilfe oder von Pässen bei der Kommune vergleichbar waren. Ihre Elaborationen, die ja nur aufgrund der Nachfrage offenkundig wurden, waren also alles andere als sachangemessen.)

Vergleichbar sind die Informationsorganisationen selbst dort, wo es scheinbar um Vorgänge und Handlungen geht. Nehmen wir das Ausbleiben einer erwarteten Leistung. Beispielsatz: „ Eine andere Leistungsstörung besteht beim Lieferverzug . Lieferverzug liegt vor, wenn der Verkäufer die Kaufsache dem Käufer nicht zum fälligen Zeitpunkt übergibt und übereignet, wenn der Verkäufer das verschuldet und wenn der Käufer den Verkäufer gemahnt hat, sofern das nicht ausnahmsweise entbehrlich war. ( Angelehnt an: www.ratgeberrecht.de/fragen/view/rf10279.html . Zugriff: 17.06.2006.) – Auch dieses Aussagengefüge setzt sich im Grunde aus einer ist-ein- Klassifikation und drei (Nimmt man es genau, handelt es sich sogar um vier Merkmalszuschreibungen, weil die Information, dass Mahnungen ausnahmsweise entbehrlich sein können, präzisiert und nachgeordnet werden müsste.) hat-die-Eigenschaft -Klassifikationen zusammen.

 

Das Problem für Lernende besteht hier darin, dass wir kognitiv zwar in der Lage sind, klassifikatorische Strukturen zu verarbeiten, sie uns auch einzuprägen und vielleicht zu reproduzieren, dass das aber als so anregend und nützlich erlebt wird wie das Lesen eines botanischen Lexikons von Seite 1 bis 100, d.h.: wir sind dazu in der Lage, aber wir präferieren es nicht.

Und so wie ein großer Teil der Wissenschaft sich vor allem darum bemüht, die Welt über Gesetzmäßigkeiten zu erklären und antizipierbar zu machen, was nichts anderes heißt, dass er nach gehaltvollen Wirkungsbehauptungen sucht, also Vorgänge und nicht Taxonomien ins Zentrum der Bemühungen rückt (Taxonomien haben in der wissenschaftlichen Arbeit dennoch ihren Platz. Beispielsweise werden sie benötigt, um die Anwendungsbereiche allgemeiner Aussagen bzw. von Gesetzen zu beschreiben. ), so gibt es Hinweise, dass es auch im nicht-wissenschaftlichen Denken Vorgänge sind, die Kognitionen in erheblichem Maße strukturieren. Alle bekannteren kognitionswissenschaftlichen Ansätze, die aus der schematheoretischen Wende vor etwa 30 Jahren hervorgegangen sind, rücken Handlungen und Vorgänge ins Zentrum. Mal wird der Aufbau der Kognitionen aus der Notwendigkeit des (problemlösenden) Handelns abgeleitet und die Handlung als Kernelement von Begriffen aufgefasst wie etwa bei AEBLI (1980). Mal werden Vorgänge bei Wissensrepräsentationen in die Knoten der kognitiven Netze gerückt, wie bei der RUMELHART-NORMAN-LINDSAY-Gruppe (1978). Dann wieder finden wir Verben als Organisatoren der grammatischen Muster wie etwa in der Kasustheorie von FILLMORE (1987; 2003). Vor allem aber bei dem Vorschlag von SCHANK und ABELSON (1977), sich bedeutende Teile des Alltagswissen von Menschen als Konstruktionen aus scripts und plans vorzustellen, werden umfangreiche, komplexe Informationen entlang von Handlungsplänen geordnet und leicht verfügbar gemacht.

Da nachstehend für die Analyse und Diskussion der Lernfirmenarbeit systematisch auf das Konstrukt der Scripts zurückgegriffen wird, soll zu diesem Schematyp eine kurze Erläuterung eingefügt werden, obwohl es sich auch im deutschsprachigen Raum inzwischen um eine vertraute und häufig beschriebene kognitive Struktur handelt.

Vereinfacht kann man sagen, dass Scripts die kognitive Repräsentation von sozialen Routinen sind, deren Stereotypisierung nicht selten kulturell arrangiert wird (etwa in Arztpraxen, Restaurants, Selbstbedienungseinrichtungen usw.). Damit wird transparent und berechenbar gemacht, wie etwas abläuft, wer dort mit welchen Erwartungen auftritt, mit welcher Umgebung und mit welchen Requisiten zu rechnen ist, welche besonderen Anforderungen und Regeln gelten. Das kognitive Schema dazu wird beschrieben als eine (meist feste) Abfolge von Szenen, die den Vorgang insgesamt gut abbildet. Für jede Szene werden die Akteure, Erwartungen, Requisiten usw. hervorgehoben, die dort notwendig und typisch sind. Daneben gibt es Leerstellen, die durch das Script nicht beschrieben werden: Es ist klar, dass man an der Supermarktkasse die Waren bezahlt, die man aufs Band stellt, aber es ist nicht festgelegt, ob man mit der Kassiererin plaudert und worüber man redet. Auch ist man an die Abarbeitung des Scripts nicht gebunden, wenn man angefangen hat, sich nach seinen Vorgaben zu verhalten: Natürlich kann man es abbrechen, weil man z.B. im Geschäft einen alten Bekannten getroffen hat, mit dem man erst einmal ein Eis essen will (neues Script).

Die Annahme, dass Scripts wesentliche Teile unseres Verhaltens regulieren, ist aus mehreren Gründen attraktiv. Zwei seien genannt:

Zum einen wird erklärbar, warum wir eine große Informationsmenge über die Welt sehr unangestrengt und fast beiläufig handhaben können: Es wird immer nur der Teil des Wissens aktiviert, das allerdings sehr facettenreich, der szenisch erforderlich ist, um handeln zu können, und auch die Übergänge zur nächsten Szene sind präformiert.

Zum anderen wird das Reden über soziale Ereignisse erleichtert und verständlich. Erlebnisberichte, Erzählungen, Meldungen sind fragmentarisch. Wenn wir wissen, auf welches Script sich die Berichte beziehen, können alle subjektiv als fehlend eingestuften Informationen dem jeweiligen Script entnommen werden. Oder Umgekehrt; Der Erzähler kann sich auf das konzentrieren, was nicht zum Regelgehalt des Scripts gehört. – Wir müssen dazu allerdings annehmen, dass sich die Scripts durch kulturelle Überformung bei allen Mitgliedern der Bezugsgruppe ähneln. Dafür gibt es aber experimentelle Bestätigungen.

Man kann nun sagen, dass das besondere Verdienst von Lernfirmen darin besteht, dass sie Schülern in den fachlichen Unterrichten Wissen zugänglich machen wollen, das in Form berufsrelevanter Scripts organisiert ist. Bei Wahl entsprechend problemhaltiger Lernaufgaben ist es zwar auch vorstellbar, dass der Aufbau anderer handlungsleitender Konzepte gefördert wird, aber der Aufbau script-basierten Wissens scheint das zu sein, was die spezifische Leistungsfähigkeit von Lernfirmen am stärksten charakterisiert. Das Lernbare scheint sehr viel handlungsmächtiger, detaillierter, kontextgebundener zu sein, als das etwa bei der Bearbeitung von Fallstudien oder gängiger Problemlöseaufgaben möglich wäre.

In der offensichtlichen Stärke des Lernens in Lernfirmen ist nun zugleich eine besondere didaktische Schwierigkeit versteckt: die Lernaufgaben nehmen über die Scripts sehr viel Kontext mit auf und repräsentieren ihn auch im erworbenen kognitiven Schema – aber der Kontext ist simuliert!

Scripts, hatten wir gesagt, führen stereotypisierte Bestandteile von Handlungsabläufen und Szenenabfolgen, Akteure mit ihren Rollen und Erwartungen, das Wissen um Folgen von Erwartungsverletzungen, typische Requisiten, Anfangs- und Endbedingungen, das Verständnis der zentralen Motive der Akteure und des funktionalen Gesamtzusammenhangs usw. sinnvoll zusammen. Sie erlauben ein spezifisches Verständnis von „Kausalität“, das hier als pragmatisches Begründungsmuster bzw. als pragmatisches Verstehen bezeichnet werden soll: PCs werden angestellt, weil bestimmte Daten benötigt werden, die Daten werden benötigt, um ein Angebot vorlegen zu können, ein Angebot soll vorgelegt werden, weil...

Nun scheint es so, dass tatsächlich einige der für ein berufliches Script konstitutiven Elemente auch im Rahmen einer Simulation angemessen gelernt werden können. Über die Requisiten z.B., also Formulare, Verzeichnisse, Ablagen, Faxgeräte, Schreibtische usw., kann Wissen zutreffend erworben werden. Auch ein großer Teil der beruflich zu beachtenden Verfahrensnormen und der daran gebundenen Handlungsabläufe verliert nichts an Gültigkeit und Lernbarkeit durch die simulative Situierung.

Problematischer ist bereits alles, was mit Interaktionen zu tun hat, weil sich in die sozialen Beziehungen Nicht-Authentisches, Un-Professionelles und auch Fingiertes mischen und das Script in einer für die Lernenden nicht klar analysierbaren Weise einfärben. Durch den pädagogischen Kontext, um den alle Beteiligten stets wissen, erlangen script-untypische Motive, Erwartungen, Reaktionen Bedeutung und mehrere Deutungen des funktionalen Zusammenhangs konkurrieren miteinander. Eine für Schüler attraktive Zusammenhangsdeutung wird stets gruppendynamisch beeinflusst sein, eine andere unvermeidbar auf das Verständnis schulischer Rollen von Lehrenden und Lernenden zurückgreifen, eine dritte Deutungsmöglichkeit mag scripttypischer sein, aber wegen der Unechtheit der Interaktionspartner spekulative Unschärfen enthalten.

Da das pragmatische Erklärungsmuster , das in Scripts angelegt ist, nicht an der Strukturgrenze innehält, die durch das Script gesetzt wird, sondern auf Sachverhalte überspringt, die sich im spezifischen Umfeld einer spezifischen Scriptanwendung finden lassen, entstehen die zentralen kognitiven Probleme nicht beim Aufbau der Kernbestandteile des Scripts und bei deren Anwendungen, sondern durch den Simulationskontext bei der Scriptbearbeitung. Warum schreibt Susanne für den „Kunden“ T. ein Angebot? Warum bittet sie Steffen, der doch eigentlich ein „Einkäufer“ ist, um einen Tipp bei der Formulierung einer Mahnung? Warum bricht sie ihre Arbeit ab, nur weil eine Glocke schellt. Warum macht sie nach einem kritischen Kommentar der Lehrerin eine Kalkulation neu, obwohl die Lehrerin nicht einmal zur Firma gehört(?). Warum strengt sie sich dabei an, obwohl sie keine Kündigung befürchten muss, aber auch keine Beförderung auf einen besseren Arbeitsplatz erhoffen kann. Und natürlich ist ihr Arbeitsplatz nicht in Gefahr, wenn sie (und ihre Mitschüler) Fehlentscheidungen im Marketing, bei der Geschäftsidee oder bei der Ablauforganisation getroffen hat: es ist ein Betrieb ohne wirkliche marktwirtschaftliche Sanktionen. Allenfalls gibt es nicht belohnte Anstrengungen oder unerfüllte Hoffnungen, über die man dann allgemein-menschlich trauern mag wie über einen Sauerbraten, der einem misslungen ist.

Man kann hier tausend weitere Fragen stellen und Antworten konstruieren. Das Problem ist immer dasselbe. Lernfirmen schaffen sich um die Kernprozesse herum, die durch Scripts abbildbar sind, einen fingierten Kontext, der sich sprachlich und spielerisch betriebswirtschaftlich gibt, der für die Schüler aber auf der Ebene des Erlebens, der Motive, der Pragmatik, der Steuerung nicht unerheblich in der Logik von Lehrer-Schüler- und Schüler-Schüler-Beziehungen verharrt. Das führt zu einer schrecklichen Konfundierung von Bezugssystemen, Terminologien und „Welterklärungen“. Das betrifft vor allem die Bereiche, die im betriebswirtschaftlichen Jargon mit Personalentwicklung, Führung, betrieblicher Organisation, Geschäftsgründung, Wahl von Rechtsformen usw. zu tun haben. Man simuliert Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht, faktisch bewegt man sich im Schulrecht. Man argumentiert bei Käufen und Verkäufen mit den Bestimmungen des BGB, ist aber rechtlich gar nicht belangbar. Man interagiert mit Abteilungen und spricht doch nur vertraute Mitschüler an. Man arbeitet in Abteilungen, aber es ist übliche Partner- oder Gruppenarbeit. Man arbeitet in einem Betrieb, aber die Steuerung erfolgt nicht aus ökonomischer, sondern aus pädagogischer Rationalität. Man beschäftigt sich mit der Wahl von Rechtsformen oder sogar Standortfragen, aber es ist faktisch irrelevant oder außermarktlich reguliert. Man hat einen unkündbaren Arbeitsplatz, aber findet faktisch keinen Ausbildungsplatz usw.

Die didaktischen Konsequenzen sind eigentlich offensichtlich. Wenn die Konfundierung der Bezugssysteme schon unvermeidlich ist, und davon wird hier ausgegangen, dann müsste von den Lehrkräften viel Energie und Sorgfalt darauf verwendet werden, bei allen Sachverhalten, die aus dem Simulationskontext auf das Scriptverständnis und die pragmatischen Begründungen einwirken, die Differenzen herauszuarbeiten, die zu tatsächlichen Problemstellungen von betrieblicher Personal- und Organisationsentwicklung, Führung, Mitarbeitermotivation, Kündigung, Marketing usw. bestehen. Diese Differenzerfahrungen würden ein angemessenes Verstehen ermöglichen und zudem das lediglich implizite Konstruieren von pragmatischen Begründungen in explizite Erklärungen überführen.

Das offensive Bearbeiten der impliziten Misskonzepte der Schüler durch die explizite Beschäftigung mit den Differenzen zwischen den „realen“ und den in der Simulation „erlebten“ Welten scheint in der Lernfirmenarbeit bislang keine große Rolle zu spielen und nicht zum didaktischen Profil zu gehören. Im Gegenteil: Es ist wird eher immer wieder herausgestellt, dass eigentlich alles so ist, wie im wirklichen Leben, in wirklichen Betrieben, dass die der Simulation geschuldeten Abseitigkeiten eher geringfügig und zu vernachlässigen seien. Diese Didaktik des Gleichsetzens und Bagatellisierens ist schädlich und entwertet die Vorteile der Lernfirmenarbeit, scriptgebundenes Wissen und Handeln sowie pragmatische Erklärungsmuster für Schüler verfügbar machen zu können.

Wer sich mit den Folgen des bagatellisierenden Umgangs mit der Situierungsdifferenz etwas näher beschäftigen möchte, sei auf den Bericht über eine kleinere Untersuchung verwiesen, bei der Schülerinnen und Schüler einer Juniorfirma gebeten wurden, ein Organigramm ihres Betriebes zu zeichnen (vgl. GERDSMEIER/ TORRES MINOVES 2005). Die Organigramme erinnerten nicht selten eher an ein Soziogramm und eine Dokumentation über Gruppenarbeit, sie waren zwischen den Schülern sehr uneinheitlich und sehr anrührend-hilflos in dem Bemühen, die Lehrerin in das Strukturbild als zweiten Vorstand oder „Über“vorstand zu integrieren. In einer Fortführung dieser Experimente sind die Schüler einer anderen Klasse kürzlich gebeten worden, ein Organigramm ihres „Betriebes“ Schule anzufertigen (TORRES MINOVES 2006). Die zweitmächtigste Person nach dem Rektor war für einige Schüler der Hausmeister. Das ist im Referenzsystem des schulischen Stellenplans blanker Unsinn, im Referenzsystem alltäglichen Erlebens sehr glaubhaft und nachvollziehbar. Und damit sind wir wieder bei der Notwendigkeit, mit Schülern über differente Interpretationslinien zu reflektieren, wenn es uns wichtig ist, dass gehaltvolles Weltwissen entsteht.


3.  Konzeptdifferenz

Das Bestreben, über die Situierungsdifferenz aufzuklären und dabei Wissen vertiefend einzuführen und für Lernende verständlich zu machen, wirft eine neues, schwieriges Problem auf. Das liegt daran, dass es grundsätzlich um Wissen geht, das sich bei den Schülern gerade nicht aus dem alltäglichen Denken ergibt. Wäre es so, entständen die Misskonzepte, Fehlschlüsse und Deutungen nicht, die die Situierungsdifferenz begründen.

Was den Schülern fehlt, sind Begriffe und ein Zusammenhangswissen, die ihre Scripts und die über alltägliche Erfahrungen gespeisten sonstigen Präkonzepte übersteigen und die den kulturellen Wissensbeständen direkt oder didaktisiert entstammen. Entweder liegen sie als besonders reflektiertes Berufswissen vor, sind also Expertenwissen , oder es handelt sich um ein Wissen, das durch Fragestellungen geleitet und methodisch besonders kontrolliert erzeugt wurde, also Wissenschaftswissen ist bzw. auf diesem beruht (In schulischen Unterrichten kommt Wissenschaftswissen nur selten in „reiner Form“ vor – etwa als originaler Quellentext. Die an Schüler weitergegebenen Informationen stammen i.d.R. aus zweiter, dritter Hand. Man kann sogar die Ansicht vertreten, dass das in Schule gelehrte Wissen eine Wissensgattung eigener Art ist, Schulwissen eben (und nicht Wissenschaftswissen), die nur noch terminologisch mit dem Wissenschaftswissen verbunden ist. Ursache für die Entstehung dieses Schulwissens ist das, was didaktische Reduktion genannt wird und sich verheerend auf die Verstehbarkeit der Informationen auswirkt und den konstruktivistischen Grundgedanken ignoriert, dass Lernen ein Prozess des Differenzierens, Erweiterns und Ordnens subjektiv vorhandener kognitiver Strukturen ist und nicht als Kenntnisnahme vom Konstrukten, die als Simplifizierung anspruchsvoller externer, vorgedachter Wissensbestände deutbar sind. – Dieses Problem, dass ein Instruktionswissens existiert, das didaktisch und fachinhaltlich nicht gut legitimiert ist, soll in der nachfolgenden Betrachtung nicht weiter beachtet werden. ).

Das Bemerkenswerte ist nun, dass die Präkonzepte (subjektive Theorien, Alltagsbegriffe, Vor-Urteile, Gewissheitsdenken u.ä.) und dabei speziell die Scripts auf systematisch anderen Konstruktionen und Evidenzen beruhen als das Wissenschaftswissen und das Expertenwissen. Beim Expertenwissen scheint die Differenz etwas kleiner, weil es neben Beständen aus dem Wissenschaftswissen ebenfalls Scripts enthält und auf einer Fülle von Generalisierungen und Werkzeugen beruht, die zwar häufig reflexiv gebildet wurden, bei denen aber die zugrunde liegenden Reflexionen weder systematisch angeleitet noch methodisch kontrolliert sind. Da Expertenwissen im schulischen Unterricht ohnehin nur selten eine Rolle spielt, sollen sich die nachstehenden Überlegungen auf das Wissenschaftswissen konzentrieren. Didaktisch relevant sind nun folgende Einschätzungen:

Das Alltagswissen/ die Präkonzepte – insbesondere in der Form der Scripts, deren Aufbau bzw. Ausformung wesentlicher Teil von Lernfirmenarbeit ist – und das Wissenschaftswissen unterscheiden sich qualitativ und strukturell systematisch. Idealtypisch gesprochen, besteht das eine vor allem aus singulären Aussagen, mäßig präzisierten Allaussagen und Um-zu-Aussagen, die sich alle alltagssprachlich formulieren lassen, das andere verwendet artifizielle Begriffe und bemüht sich um kausale Aussagen, also um Behauptungen, die für spezifische Anwendungsbedingungen Wenn-dann-Beziehungen als gültig annehmen.

•  Die Differenz erklärt sich einerseits aus den ‚Produktionsbedingungen' ( verfügbare Zeit, verfügbare Ressourcen, Beobachtbarkeit von Sachverhalten usw. ) und der ‚Produktionsweise' ( Grad der Bewusstheit der Urteile, Systematik der Informationsverarbeitung , methodische Kontrolliertheit, intersubjektive Kontrolle usw. ), aus der das Wissen jeweils hervorgeht. Und es hat andererseits etwas mit den Absichten und Ansprüchen zu tun, die den Wissensaufbau regulieren ( z.B. pragmatische Gestaltungsinteressen versus Wahrheitsfindung, Theoriebildung, prognostische Interessen usw. ). Und so kommt es, dass in Betrieben tätige Industriekaufleute aus ihren beruflichen Scripts heraus niemals Begriffe entwickeln würden wie Risikoneutralität, Superspiel, dominante Strategie usw., die alle aus der Spieltheorie stammen und für die konsistente Konstruktion und Interpretation sehr formaler und komplexer Modelle benötigt werden. Und dabei beanspruchen diese Spieltheorien durchaus, auch Handlungssituationen abzubilden, die man bei Industriekaufleuten antreffen kann.

•  Das Alltagswissen/ die Präkonzepte werden vom Lerner nicht einfach durch wissenschaftsbestimmte Konstruktionen ersetzt, wenn er diese Konstruktionen kennen lernt. Das ist auf der Ebene der Scripts unmittelbar einleuchtend. Es zeichnet Scripts ja gerade aus, dass sie sehr leicht handhabbar sind und zugleich Routinen begründen, die aus subjektiver Sicht zu hinlänglich guten Ergebnissen führen. Warum sollte man dann die zeitaufwändigen und anstrengenden Analysen und Übertragungen spieltheoretischer Modelle auf sich nehmen, um zu Handlungsplänen zu kommen? Aber auch bei anderen Präkonzepten, die im subjektiven Alltagsdenken gut verankert sind, ist ein Austausch der Konstrukte nicht ohne weiteres zu erwarten. Erstens müsste dann im Alltagsdenken vermutlich mehr umgebaut werden als nur eine lokale Information, damit wieder als konsistent empfundene Strukturen entstehen, zweitens ist die Berührung mit der wissenschaftsbestimmten Denkalternative in vielen Fällen viel zu flüchtig, um nachhaltige Folgen zu erzeugen.

•  Es gibt keine direkten Übergänge zwischen den verschiedenen Strukturformen des Wissens – mit der Folge, dass aus dem Nachdenken über Scripts nicht einfach wissenschaftsbestimmte Begriffe und Theorien entstehen wie umgekehrt wissenschaftsbestimmte Informationen wegen ihrer „Script-Unabhängigkeit“, ihren komplexen Implikationen und anstrengenden Behandlung nicht einfach in „aufgeklärte“ Handlungen oder Haltungen einmünden. Das ist oben am Beispiel der Spieltheorie bereits zu zeigen versucht worden.

•  Eine Möglichkeit, mit den verschiedenen Wissensarten und dem problematischen Verhältnis zwischen ihnen didaktisch sinnvoll umzugehen, sehe ich darin,

•  die Differenz zwischen den Strukturformen didaktisch einfach zu akzeptieren,

•  unterrichtlich beiden Strukturformen angemessenen Raum zu geben auszukristallisieren und

•  sie dann möglichst in kultivierender Absicht in Beziehung zu setzen , um für die Scripts bzw. die daraus resultierenden Routinen mehr Vernünftigkeit, Verfeinerungen und ein tieferes Verständnis der Zusammenhänge im „Hintergrund“ zu gewinnen und um für die wissenschaftlichen Begriffe Literacy zu erzeugen, also die Fähigkeit der Lernenden, diese Begriffe auf subjektiv neuartige alltägliche Kontexte sinnvoll anzuwenden.

Die Idee zielt also darauf, wenn schon zwischen den Wissensarten weder unmittelbare und zwingende Übergänge möglich sind, noch die eine Art durch die andere substituierbar ist, die graduelle Offenheit der verschiedenen Konstruktionen zu nutzen und Wissen anderer Strukturbereiche „störend“ zu verwenden, um reflexiv Veränderungen anzustoßen. Für die berufsbezogenen Scripts heißt das, sie unter Nutzung sonstigen Alltagswissens aufzubauen und zu festigen, sie – wie auch die sonstigen Präkonzepte, die Einstellungen usw. – aber zugleich reflexiv mit Hilfe „sperriger Informationen“ zu „vertiefen“, mit mehr Kompetenz und reiferen Haltungen auszustatten. In gleicher Weise wird sich das Verständnis wissenschaftsbestimmter Begriffe, Modelle, Theoreme, Denkstile verändern, wenn man ernstlich versucht, all das auf praktische Probleme zu beziehen.

•  Obwohl es im ersten Punkt bereits beschreibend erwähnt wurde, soll es wegen der Bedeutung noch einmal explizit hervorgehoben werden. Akzeptiert man den Dualismus der Strukturformen und gibt man ihm unterrichtlich einen sinnvollen Rahmen, so werden für die Schüler neben den pragmatischen Erklärungen, die sich aus der Logik der Scripts ergeben, auch kausale Erklärungen verfügbar, die in den wissenschaftsbestimmten Ansätzen enthalten sind. Darin steckt m.E. ein erheblicher Zugewinn bei der fachlichen und kommunikativen Kompetenz.

Ich vermute, dass die hier beschriebene Konzeptdifferenz den meisten Lehrkräften, die in Lernfirmen arbeiten, in ihrer ganzen Reichweite nicht ganz bewusst ist. Es gibt wohl ein Empfinden dafür, dass es bestimmte Gegenstände gibt, die sich nicht so gut in die für Lernfirmen typischen Arbeitsaufträge unterbringen lassen, aber wenn man bei Unterrichten hospitiert, findet man eher wenige Hinweise darauf, dass der systematische Grund dafür gesehen wird. Man muss hier außerdem bedenken, dass auch die Lehrpläne in diesem Punkt keine Hilfe sind und eher desorientieren. Sie suggerieren, dass alles für Schüler Wissenswerte aus letztlich einer Perspektive, der Betrachtung von Geschäftsprozessen, herleitbar ist. Dass ein umfassenderes Verständnis des persönlichen Handlungsfeldes im Betrieb, das für den Aufbau der in den Lehrplänen geforderten Kompetenzen unverzichtbar ist, nur möglich wird, wenn dieses Handlungsfeld auch mit Hilfe von Begriffen und Gesetzmäßigkeiten beschrieben wird, die eher in Distanz zur betrieblichen Handlung gewonnen werden, ist eine Auffassung, die man in den Lehrplänen heute so nicht nachlesen kann. Die Idee, dass es Strukturdifferenzen geben könnte, ist den Lehrplänen fremd.

Zwei Bewältigungsstrategien für die undurchschaute Konzeptdifferenz scheinen gegenwärtig besonders häufig. Bei der ersten werden für alle Gegenstände, die als script-unabhängig und als in Lernfirmenarbeit schlecht integrierbar gelten, Arbeitsaufträge entwickelt, die recht traditionell auf (Lehr)Textbearbeitung bzw. Internetrecherchen (mit vergleichbaren Textoberflächen) zielen. Das ist eine völlig unbefriedigende Vorgehensweise, solange es an Fragestellungen fehlt, die für die Lernfirma nicht nur fiktive Relevanz haben, und solange die Lehrtexte im Kern klassifikatorisch organisiert sind, wie das für Schulbücher und Internetbelehrungen bis heute ganz überwiegend der Fall ist. Es entstehen dann – wie oben besprochen – keine nachhaltigen Kenntnisse, keine Literacy, kein Zusammenhangswissen, das die pragmatischen Erklärungen, die in den Scripts angelegt sind, gehaltvoll überschreitet.

Die zweite Strategie versucht ‚theoretisches Wissen' in der Weise zu vermitteln, dass die Informationen beiläufig gemacht werden und dem Erwerb script-gebundener Informationen zugemischt werden. Betrachten wir dazu beispielhaft, dass Schüler in der Lernfirmenarbeit lernen, Dritte zur Abgabe von Angeboten aufzufordern, Angebote zu vergleichen, Bestellungen zu formulieren, Lieferungen u.U. zu reklamieren usw. und diskutieren wir das im Hinblick auf das, was dabei an Verständnis rechtlicher Inhalte zu erwarten ist.

Die Beschaffungsvorgänge sind durchaus ein wichtiger Lerninhalt. Sie scheinen eine pragmatische („handlungsorientierte“) Zentrierung zu haben und es drängt sich für sie ein Scriptbezug auf. Der Gegenstand zeigt aber zugleich weitere Perspektiven auf – organisatorische, informatorische, kaufmännische, die die Wertströme, die Kundenbeziehungen u.ä. betreffen, und rechtliche. Und diese Perspektiven sind nicht, jedenfalls nicht ausschließlich im Schema von Scripts durchschaubar und verstehbar. Versucht man es dennoch, alle Perspektiven in dem einen Strukturtyp zu bündeln, werden diese Perspektiven bis zur Unkenntlichkeit „wegintegriert“. (Das ist für die Mathematik im kaufmännischen Unterricht bereits vorgemacht worden – sie existiert nicht mehr in der Form problembezogenen Modellierens, sondern nur noch als algorithmengesteuertes Rechnen in zumeist schlechter oder fehlerhafter Schreibweise. Und auch der Lernfeldansatz wird überwiegend so verstanden, als es gehe um die Überwindung der Vielfalt von kognitiven Strukturtypen statt um ihre möglichst produktive, verknüpfte Koexistenz. In gewisser Weise wiederholt man den Fehler, den man überwinden will – die Förderung der Allgegenwart eines Musters, das bisherige in der klassifikatorischen Informationsorganisation abbilddidaktischer Provenienz bestand.)

Aber auch der Scriptbezug für die angenommenen Beschaffungsvorgänge ist nicht ganz unproblematisch. Man kann darüber streiten, ob SCHANK /ABELSON (1977) zeitlich derart zerdehnte, entpersönlichte, sozial intransparente Vorgänge überhaupt noch als Anwendungsfall von Scripts auffassen und das Kaufen-Script nicht auf Situationen direkter sozialer Kontakte begrenzen würden. Da es aber auch bei der schriftlichen Beschaffung um „ritualisierte“, routinisierbare interaktive Abläufe geht, soll die Zulässigkeit einmal angenommen werden. (Man kann vielleicht von artifiziellen Scripts sprechen.)

Aber dann gibt es das didaktische Folgeproblem, dass in die vom Schüler zu lernenden „Ritualisierungen“ bereits Reflexe auf Rechtliches eingeflossen sind. Und die Gefahr ist nun groß, dass Schüler von dem Rechtlichen nur noch einen terminologischen Abklatsch mitbekommen: den einen Brief nennt man Antrag, ein anderer repräsentiert die Annahme eines Antrags, das Ganze nennt man dann Kaufvertrag, ein nachfolgender Vorgang wird Leistungsstörung und Lieferverzug genannt und provoziert ein weiteres Schreiben usw.

Bei dieser impliziten Mitführung rechtlicher Aspekte bestehen nur geringe Chancen, dass das Spezifische des rechtlichen Denkens, der rechtlichen Praxis, der rechtlichen Begriffsbildung und des Verhältnis des Rechtlichen zum sozialen Agieren, dem Hauptanwendungsfeld der Scripts, für Schüler überhaupt in den Blick kommt. Kaufen ist zunächst einmal ein außerrechtlicher, ein sozialer Vorgang, der ganz überwiegend zu akzeptierten, unproblematischen Ergebnissen führt. Und selbst, wenn es zu Problemen kommt, werden diese ganz überwiegend ohne rechtliche Rückgriffe gelöst (wobei die Lösungen selbst von der Kenntnis der Rechtsprechung beeinflusst sein mögen).

Das (Privat)Recht wird nur dafür benötigt, für die kleine Klasse der sozial nicht lösbaren Konflikte Lösungen durch „Dritte“ zu finden, die nicht willkürlich handeln sollen, sondern methodisch, überprüfbar, mit vernünftigen Güteabwägungen usw. Und dafür wird über die sozialen Vorgänge ein Netzwerk aus juristisch ausgetüftelten Begriffen gelegt – Willenserklärung, Übereinstimmung, Verpflichtungsgeschäfte, Verfügungsgeschäfte, Verschulden usw. – mit deren Hilfe die scriptartigen Vorgänge dann rechtlich rekonstruiert und interpretiert und rechtsprechend zu einem Ende gebracht werden.

Diese sehr anspruchsvollen Begriffe, ihre rekonstruktive Verwendung, den ganzen rechtlichen Denkstil, seine auslegende Offenheit gegenüber situativen Besonderheiten, die Weiterentwicklung des Rechts selbst durch die Rechtsprechung usw. lernen Schüler vermutlich nicht zu verstehen, wenn die rechtliche Perspektive nur implizit in der Bearbeitung der script-gebundenen Probleme mitbehandelt wird.

Wer Unterrichte beobachtet, hat jedenfalls so gut wie nie den Eindruck, dass die Lernenden so zentrale rechtliche Konstrukte wie Rechtsfähigkeit oder Eigentum mehr als oberflächlich „verstanden“ haben. Der ideengeschichtliche Hintergrund der Konstrukte, ihre Verwobenheit in unsere Kultur, die sich wandelnde Ausgestaltung, ihre Erosion in einigen Aspekten usw. sind von Schülern als Thema überwiegend noch nicht entdeckt. Brauchen die Schüler hier aber keine Empfänglichkeit und Grundlage, wenn zugleich erwartet wird, dass sie Schule fach- und handlungskompetent verlassen? Ist auch jemand gebildet (was ebenfalls Vorgabe der Rahmenlehrpläne ist), der besondere Errungenschaften der abendländischen Kultur nicht begriffen hat, sondern ihnen nur terminologisch in einem Script begegnet ist, eine Berührung, die wenig zu dem ergänzt hat, was das Alltagswissen ohnehin bereit hält?


4.  Modellierungsdifferenz

Die Diskussion der Konzeptdifferenz hat zu dem Plädoyer geführt, eine Vielfalt von Strukturtypen der Wissensorganisation unterrichtlich zu berücksichtigen, sie in der ihnen jeweils angemessenen Weise zu behandeln und das jeweils schemaabhängig eigenständig organisierte Wissen in einem späteren Schritt miteinander reflexiv in Beziehung zu bringen, um die Schemata einerseits weiter anzureichern und andererseits – wenn nötig – auch noch im Rahmen des jeweils verbliebenen Freiraums zu modifizieren. Diese Überlegungen sollen nun fortgeführt werden.

Was ist nun die jeweils angemessene Weise , in der ein Strukturtyp zu behandeln ist? Für das scriptbezogene Wissen scheint das im Rahmen von Lernfirmenarbeit weitgehend klar. Mit den Aufträgen, die das Lernen hier steuern, sind wir mehr oder weniger vertraut. Sie sind das für Lernfirmenarbeit Typische. Die Ausgestaltung der Aufträge im Hinblick auf Offenheit, Komplexität und Grad der Selbststeuerung der Lerner variieren zwar von Lehrkraft zu Lehrkraft, aber daraus soll an dieser Stelle kein grundsätzliches Problem gemacht werden.

Uneinheitlicher ist der Umgang mit Informationen in den Lehr-Lernarrangements, wenn das zu Lernende wissenschaftsbestimmter Herkunft ist. Dass das Lernen hier nicht über die Lektüre klassifikatorisch organisierter, synoptischer und dadurch weitgehend entproblematisierter Texte erfolgen sollte oder durch die beiläufige Behandlung bei der Bearbeitung anderer Fragen, ist vorstehend diskutiert worden. Es gibt gute Gründe davon auszugehen, dass ein nachhaltiger Erwerb dieses Wissens gefördert wird, wenn das Lernen der Grundlagen so selbst gesteuert erfolgt, wie es in der jeweiligen Lerngruppe möglich ist. Das Medium, durch das dieses Lernen angestoßen werden kann, sind Lernaufgaben bzw. problemhaltige Lernumgebungen (vgl. GERDSMEIER/ KÖLLER 2006).

Bleiben wir dabei, dass Schüler sich Informationen vom wissenschaftsbestimmten Strukturtyp erschließen sollen – dass sie z.B. das betriebswirtschaftliche Verständnis von betrieblicher Organisation durchschauen wollen oder eine Antwort auf die Frage suchen, warum nicht alle Betriebe eine mehr oder weniger gleiche Organisation haben, oder sich um die Klärung der Fragestellung bemühen, wo eigentlich in Marktwirtschaften die Organisation des Marktes steckt usw. Dann scheinen vor allem zwei grundsätzliche Aspekte didaktisch bedeutsam:

•  Wie kann selbst gesteuertes Lernen über Lernaufgaben, die sich nicht im Nachlesen von Texten erschöpfen, zu guten Ergebnissen führen?

•  Sollten die auf wissenschaftsbestimmte Begriffe und Zusammenhänge abstellenden Lernaufgaben unmittelbar an der Erarbeitung der script-gebundenen Kenntnisse und Problemstellen anknüpfen?

Der erste Punkt hat ganz offensichtlich mit der Arbeit in Lernfirmen direkt nichts mehr zu tun. Er wird aber auch hier zum Problem, wenn man sich erstens entscheidet, Strukturvielfalt in der Lernfirmenarbeit zuzulassen und zu fördern, wenn man zweitens auch für die Informationen, die nicht script-gebunden sind, eine größere Verständnistiefe bei den Schülern anstrebt und wenn man drittens meint, dies u.a. durch verstärkt selbst gesteuertes Lernen erreichen zu können. Insofern stellt sich die Frage, wie Schüler selbst organisiert Anschluss an das einschlägige Fach- und Begriffswissen erhalten, auch für Lernfirmenarbeit.

Da diese Frage bereits an anderer Stelle diskutiert worden ist (vgl. GERDSMEIER 1999; 2004), soll ein möglicher didaktischer Weg hier nur in den Grundzügen wiedergegeben werden. Auch für diesen Weg ist es kennzeichnend, dass er Differenzen akzeptiert, provoziert, thematisiert und reflexiv ausbalanciert. Die Differenzen entstehen, wenn anspruchsvolle, problemhaltige, zumindest teilweise offene Lernaufgaben gestellt werden und der Lernprozess nicht über das Gesamtarrangement (Sequenz von Aufträgen an die Schüler, Auswahl der Daten, Kommentare und Interventionen der Lehrkräfte) so gesteuert wird, dass nur eine einzige, die „richtige“ Lösung herauskommen kann und diese dann auch noch ‚zufällig' der Deutung entspricht, die im wissenschaftlichen Diskurs bevorzugt wird. Eine selbst gesteuerte Bearbeitung einer ergebnisoffenen Aufgabe wird vielmehr zu sehr persönlichen Ansätzen, Wegen und Lösungen der Lernenden führen, die hier als Eigenmodellierungen bezeichnet werden sollen. Und diese Eigenmodellierungen werden typischerweise von den Deutungen abweichen, die sich im Laufe einer letztlich Jahrhunderte langen Forschung in einer Disziplin als die leistungsfähigsten durchgesetzt haben – und hier kontrastierend als Fremdmodellierungen bezeichnet werden sollen.

Welche Vorteile hat es nun, dass man Schüler Eigenmodellierungen erstellen lässt, die nicht „dem Stand der Wissenschaft“ entsprechen? Unter der Voraussetzung, dass die Modellierungen kontrastierend diskutiert werden, gibt es mindestens drei sinnvolle Gründe:

•  Bei der Eigenmodellierung erfahren die Schüler die Schwierigkeiten, die in der Sache stecken. Erst diese Schwierigkeitserfahrungen helfen ihnen die Besonderheiten anderer Lösungen zu erkennen und zu verstehen – auch die Grenzen dieser Lösungen. Der Weg über die Eigenmodellierung schafft also gewissermaßen die Voraussetzungen, die Fremdmodellierungen überhaupt zu begreifen.

•  Eine kontrastierende Beschäftigung mit den Fremdmodellierungen entwertet keineswegs die Eigenmodellierungen. Sie werden möglicherweise aufgrund weiterer Überlegungen noch modifiziert, aber sie sind nicht einfach „falsch“, sondern bleiben eine Alternative. Derartiges wird auch benötigt, denn was will man z.B. mit dem Hinweis anfangen, der vielen ökonomischen Konstrukten im Unterricht oder in Schulbüchern am Ende nachgeschoben wird, dass diese Konstruktionen natürlich sehr ideal seien und deshalb nicht so recht auf die Wirklichkeit zu beziehen seien, wenn man keine gedankliche Alternative hat? Man stände ja nur auf einem Fuß...

•  Etwas als besser oder bereichsweise leistungsfähiger zu erkennen, setzt immer voraus, dass man zuvor andere Möglichkeiten geprüft und schließlich (teilweise) verworfen hat. Diese konstruktivistische Regel kommt hier zur Anwendung.

Im Übrigen klingt der Hinweis, dass die Modellierungen kontrastierend diskutiert werden, viel konfrontativer als es faktisch ist, weil die Wissenschaft selbst häufig konkurrierende Deutungen enthält und weil die Reflexionen, die sich an die Eigenmodellierung anschließen, das Entscheidende sind.

Nehmen wir einmal an, die Schüler bekämen einen kurzen Text, in dem ein konkreter Autobahnunfall erwähnt wird und in dem geschildert wird, wie andere Verkehrsteilnehmer helfend eingreifen, um Erste Hilfe zu leisten, die Unfallstelle abzusichern, den Notdienst zu verständigen usw.

Man kann die Schüler dann bitten, aufgrund ihres bisherigen Wissens (ihrer Präkonzepte) abzuwägen, zu entscheiden und zu begründen, ob sie das, was die Verkehrsteilnehmer da machen, als Organisation auffassen.

Tatsächlich lässt sich dieses spontane Interagieren, bei dem die Handlungspläne verschiedener Personen sinnvoll ineinander greifen, als spontane Organisation auffassen und entsprechende wissenschaftliche Positionen gibt es auch. Ein Soziologe wird hier möglicherweise auch anders urteilen als ein Ökonom. Aber am Ende wird verständlich werden, warum dem Ökonomen eine spontane Organisation nicht reicht und im Zentrum seiner Überlegungen Stellenpläne und -beschreibungen stehen. Und darin liegt überhaupt keine Abwertung der Modellierungen, die Schüler im Hinblick auf den Verkehrsunfall vorgenommen haben.

 

Der zweite oben angesprochene Punkt, ob die auf wissenschaftsbestimmte Begriffe und Zusammenhänge abstellenden Lernaufgaben unmittelbar an der Erarbeitung der script-gebundenen Kenntnisse und Problemstellen anknüpfen sollten, ist m. W. bislang nicht systematisch untersucht worden. Man kann aber mehrere Gründe anführen, warum man mit dieser Idee der unmittelbaren Anbindung sehr vorsichtig umgehen sollte.

•  Der eine Grund ist bereits im Abschnitt über die Konzeptdifferenzen diskutiert worden, als es um die implizite Behandlung wissenschaftsbestimmten Wissens im Kontext der Erarbeitung von Scripts ging. Die Gefahr, dass die Strukturvielfalt des Wissens eingeebnet wird, wenn man den Unterricht zu ausschließlich an die Leitstruktur der Scripts koppelt, scheint recht hoch.

•  Ein zweiter Grund besteht darin, dass die zu erarbeitenden Begriffe und Zusammenhänge ihre Thematisierungen nicht vorrangig aus den parallel inszenierten Unterrichten beziehen sollten, sondern aus der Beschäftigung mit den Präkonzepten der Schüler und mit den Konstrukten, die ins Blickfeld der Schüler geraten sollen. Das vorstehend skizzierte Beispiel zum Gegenstand der betrieblichen Organisation zeigt das auf: Es forciert die Bewusstwerdung und Artikulation subjektiver Vorstellungen zum Konstrukt der Organisation und es macht letztlich grundsätzliche ökonomische Sichtweisen auf den Gegenstand zum Thema. Beides würde ausgeklammert, wenn man die Bauchnabelperspektive der Lernfirma verwenden würde, ob z.B. die betriebliche Organisation der Lernfirma verbessert werden könnte.


5. Generalisierungsdifferenz

Eine Kernidee des Arbeitens in Lernfirmen besteht in der Vorstellung, induktives Lernen werde ermöglicht, ein Lernen also, das vom Einzelfall , vom didaktisch sorgfältig gewählten Beispiel ausgehe und über Generalisierungen singulärer Erklärungen die ganze Welt zu erschließen helfe. Zugunsten einer derartigen Lehr- und Lernstrategie wird betont, dass es alltägliches Erfahrungslernen nachstelle. Beim Erfahrungslernen werden subjektiv neuartige Erlebnisse über Reflexionen und weitere Erlebnisse, die die ersten Deutungen festigen, teilweise modifizieren und ergänzen, für eine bestimmte Klasse von Anwendungen als Schema verallgemeinert. Die Beschreibungen PIAGETs zu den Prozessen der Akkomodation und Assimilation bei der Schemaanwendung geben ein plastisches Bild davon.

Eine wohl häufig gleichartig gemeinte Beschreibung stellt heraus, dass Lernende in Lernfirmen das Fachliche konkret kennen lernen und dadurch befähigt würden, es nachfolgend auch abstrakt zu charakterisieren.

Die argumentativ verwendeten Kategorien, singulär und konkret auf der einen Seite, generell und abstrakt auf der anderen Seite sind vermutlich nicht gleichwertig, was die Diskussion ungemein erschwert. Die erste Sichtweise betont den Aspekt des Anwendungsbereichs eines sich artikulierenden Wissens und seine Schematisierung. Es ist die Sichtweise, die wir in den Beschreibungen wieder finden, in denen die Herausbildung von Scripts oder von kontextgebundenen Allaussagen erläutert werden.

Die zweite Sichtweise betont stärker die Frage der Anschauung und der Fähigkeit, sich begrifflich von einer konkreten Anschauung zu lösen und das Konstrukt vielleicht hinsichtlich der als konstitutiv angesetzten Merkmale charakterisieren zu können. Um das Beispiel mit der spontanen Organisation noch einmal zu bemühen: Der erste Teil der Aufgabe zielt darauf, dass die Lerner sich der Merkmale bewusst werden, die sie in ihren Präkonzepten mit Organisationen verbinden. Es geht darum, abstrakte, dem Einzelfall inzwischen vorgängig gewordene Merkmale von Begriffen zu artikulieren. Das ist für jeden von uns ein anstrengender Vorgang, weil der abstrahierende Umgang mit Informationen im alltäglichen Denken nicht planvoll, vielmehr meistens beiläufig erfolgt, so dass die Ergebnisse nicht bewusst werden und auf Nachfrage erst mühsam rekonstruiert werden müssen. (Auch vor diesem Hintergrund könnte man nochmals ausführlicher begründen, warum Schüler von klassifikatorisch organisiertem Instruktionswissen nicht stark profitieren: Es ist nicht gut integrierbar, weil die Präkonzepte selbst auf klassifikatorischer Ebene nicht klar strukturiert vorliegen. Oder in anderer Sprechweise: Eine Durcharbeitung der Fremdmodellierungen erfolgt kaum, weil die Eigenmodellierungen für die Lerner schwer fasslich sind. Die Fremdmodellierungen bleiben „un“bedeutend. )

Neben der Unschärfe, welcher Aspekt von Generalisierung durch das induktive Lernen in Lernfirmen besonders gefördert wird oder gefördert werden soll, kommt für die Lernfirmenarbeit noch das Problem hinzu, dass das Lernen keineswegs durchgängig als induktiv organisiert anzunehmen ist. Die Vielfalt von Wissensstrukturen legt es nahe – so ist hier jedenfalls argumentiert worden – unterschiedliche, auf den jeweiligen Strukturtyp abgestimmte Lernaufgaben und Lernumgebungen zuzulassen, lokale Wissensstrukturen in ihrer Eigenheit zu kultivieren und die Ergebnisse reflexiv aufeinander zu beziehen und durchzuarbeiten. Da das Ganze an zwei differenten Wissensstrukturen durchgespielt worden ist, an den Scripts und an wissenschaftsbestimmten Konstrukten, sind für eine Beurteilung des Generalisierens beim Lernen nun vor allem drei Konstellationen zu beachten:

•  Die Erarbeitung von Aspekten beruflicher Kompetenz, die script-basiert erfolgt.

•  Die Erarbeitung von Aspekten beruflicher Kompetenz, die wissenschaftsbestimmtes Weltverstehen einschließt.

•  Die reflexive Durcharbeitung der Ergebnisse, die Schüler bei der Bearbeitung von Aufträgen und Aufgaben herstellen.

Die beiden ersten Linien werden hier als komplementär aufgefasst, der dritte Gesichtspunkt steht quer zu den beiden anderen und beeinflusst stark die Güte dessen, was in diesen beiden Linien und insgesamt herauskommt.

Der Erwerb und die Generalisierung script-basierten Wissens in der Lernfirmenarbeit scheint auf den ersten Blick ganz unproblematisch, weil Scripts bereits als generalisierte Muster, als Schemata aufgefasst werden. SCHANK/ ABELSON kennen zwar auch das episodische Script. Es handelt sich aber nur um die „Erstgeschichte“, die dann durch wiederholtes Erleben und Durchleben schnell zu einem – wie sie es nennen – kategorialen Script generalisiert wird, das sich dann bei häufiger Anwendung bis zu einem – in ihrer Sprache – hypothetischen Script verfeinern kann, indem es mit vielen konditionalen Urteilen, Erwartungen, Um-zu-Varianten usw. angereichert wird, und in die Nähe von Expertise gelangen kann.

Wie weit die Generalisierung des script-gebundenen und daran anknüpfenden Wissens in Lernfirmen tatsächlich voranschreitet, lässt sich generell nicht sagen, aber man wird eher vorsichtig davon ausgehen müssen, dass die Generalisierung relativ früh abbricht. Denn es gibt mehrere Punkte, die den Prozess behindern. Erstens wird nach der Einführung in ein Script unter schulischen Bedingungen die Anwendung dieses Schemas bald aussetzen, weil der Unterricht sich anderen Themen und Scripts zuwendet. Zweitens bleibt offen, inwieweit die Aufarbeitung der Situierungsdifferenz gelingt. Und hier wäre es – unter Generalisierungsgesichtspunkten – besonders wichtig, sich mit den verschiedenen Praxen in den realen Unternehmen intensiver auseinander zu setzen. Man muss aber bezweifeln, dass das unterrichtlich gelingt, weil die Schüler, die typischerweise in Lernfirmen lernen, i.d.R. selbst keine (abweichende) Erfahrung einbringen können und die Lehrkräfte die Praxen der Betriebe häufig auch nicht genau genug kennen. Drittens ist unklar, inwieweit sich Lehrkräfte bemühen werden, auf reflexivem Wege kontextgebundene Allaussagen zu erarbeiten, die an die Scripts anknüpfen, aber nicht zum festen Schemabestandteil gehören. (Man denke hier beispielhaft daran, dass Lehrkräfte, die mit Schülern darüber arbeiten, wie man normrichtig und sinnvoll Zahlungen anmahnt, auch aufzeigen, wie sich die Zahlungsmoral kulturell oder bei bestimmten Personengruppen /Institutionen ausgeformt hat, welche Trends sich zeigen, was die Hintergründe sind usw. )

Noch schwieriger sind die Generalisierungsaspekte bei der Erarbeitung jenes Wissens zu beurteilen, das eine wissenschaftsbestimmte Herkunft hat. Es ist ja sogar die Frage, ob hier induktive Lernstrategien zum Zuge kommen. Erarbeiten sich Schüler Wissen hier an den gängigen Lehrtexten, dann enthalten die i.d.R. die genau entgegengesetzte Instruktionsstrategie: Die Texte bestehen – unbeschadet der z.T. zahlreichen klassifikatorisch eingeschachtelten Details – aus mehr oder weniger genauen und gehaltvollen Generalisierungen; beigefügte Beispiele dienen durchgängig der Illustration. Beides ist typisch für deduktive Vorgehensweisen.

Selbst wenn das wissenschaftsbestimmte Wissen anhand von Lernaufgaben erarbeitet werden soll, ist nicht sicher, dass hier sinnvoll von induktivem Lernen und von Generalisierungen gesprochen werden kann. Zum einen müssen interessante Lernaufgaben nicht notwendig etwas Singuläres zum Ausgangspunkt nehmen. Da aber auch hier für den Fall, dass allgemeinere Gesetzmäßigkeiten durchdacht werden sollen, Tatsachenbehauptungen eine Rolle spielen werden, also Deskriptionen mit Raum-Zeit-Bezug, wird es zu einer wissenschaftstheoretischen Frage, ob eine solche Lernaufgabe nicht letztlich doch einen singulären Kern hat. Das ist ein besonderer Diskurs, der hier nicht vertieft werden soll.

Nehmen wir deshalb an, die Lernaufgabe enthalte eine Fallbeschreibung und sei zu einer der im Wirtschaftslehreunterricht typischen Entscheidungsaufgabe ausgestaltet, dann enthält die Lösung der Aufgabe durch die Schüler noch keine (bewusste und gezielte) Generalisierung: Es ist die Lösung einer singulären Problemstellung. Generelles kann erst durch die reflexive Nachbearbeitung der Lösungen entstehen – durch die Diskussion von Lösungen und Lösungswege, durch Vergleich und Einordnung der Befunde, durch bewusstes Hypothesieren, durch Überprüfen von Vermutungen usw. (vgl. zur Dominanz und Problematik von Entscheidungsaufgaben GÖCKEDE 2005).

Das heißt aber, dass hier die Generalisierung in besonderem Maße von dem dritten der oben genannten Punkte abhängt, von der reflexiven Durcharbeitung der Ergebnisse. Das gilt jedenfalls, wenn das Generalisieren die Lernenden zu besonderen, didaktisch intendierten allgemeineren Einsichten führen soll. Das Herbeiführen dieser Einsichten ist kein Selbstläufer, es fordert von den Lernenden Anstrengungen und von den Lehrenden große kommunikative Präsenz und ein diagnostisches Gespür für den aktuellen Lernstand der Schüler – und natürlich eine ausgezeichnete eigene kognitive Strukturiertheit zum jeweils thematisierten fachlichen Gegenstand.


6. Ausblick

Es sind für das Arbeiten in Lernfirmen vier Problemstellen vorgestellt worden, von denen angenommen wird, dass ihre Handhabung wesentlichen Einfluss auf die Lernergebnisse nimmt. Lernfirmen mit ihrem besonderen didaktischen Profil, das insbesondere der Ausformung berufsbezogener Scripts große Aufmerksamkeit schenkt, bieten die Chance, Lerner sehr gehaltvoll auf ihr späteres Leben vorzubereiten. Es ist hier die These vertreten worden, dass dazu aber die bei der Arbeit in den Lernfirmen unvermeidlich auftretenden Bruch- und Problemstellen sehr offen, sehr offensiv und inspiriert behandelt werden müssen. Das heißt zugleich, dass wir uns daran gewöhnen sollten, dass Unterrichte eine Vielfalt von Aufgaben bereitstellen, die sich hinsichtlich der Machart und der didaktischen Intentionen deutlich unterscheiden. Und in diesen Unterrichten müssten Reflexionsphasen an Bedeutung gewinnen, die von den Lehrkräften zu moderieren sind, in denen das, was in den Phasen der Aufgabenbearbeitung „passiert“ und angebahnt wurde, miteinander verknüpft, kultiviert, verallgemeinert und neu geordnet wird. Die Bearbeitung von Lernaufgaben endet in diesen Unterrichten nicht einfach mit der Präsentation der Ergebnisse durch die Schüler.

Im Grunde sind die aufgezeigten Typen von Differenzen keine Besonderheit der Lernfirmenarbeit. Wir finden fast alle Problemstellen mal mehr, mal weniger ausgeprägt auch in anderen Lehr-Lernarrangements. Sie treten in der Lernfirmenarbeit aber besonders klar in Erscheinung und sie lassen sich hier deshalb besonders gut untersuchen. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich auch ab, dass wir Lehrkräfte in einigen Punkten insgesamt stärker unterstützen müssten.

Das betrifft die Sensibilisierung für unterschiedliche Aufgabenformate, die Ermutigung, die Vielfalt auszunutzen, und die Fähigkeit „intelligente“ Lernaufgaben zu konstruieren. Das betrifft die Konzepte, Lernarrangements und Lernkulturen mit den Schülern aushandelnd herzustellen, so dass auch die Lerner Vielfalt aushalten und sich motivieren können, sich auf verschiedene Lernangebote einzulassen.

Das betrifft die Entwicklung von Interventionskonzepten für die Schülerarbeit, die einerseits genug Unterstützung geben, die aber zugleich die Ergebnisoffenheit von Arbeitsprozessen nicht untergraben. Das zieht auch den Bedarf an einem diagnostischen Inventar nach sich. Und es betrifft die Strategien, Arbeitsprozesse und -ergebnisse mit Schülern gemeinsam zu reflektieren und in allgemeinere und vernetzte Strukturen zu überführen.

Hier steht deshalb auch noch einige Grundlagenarbeit aus. Es kann nicht erwartet werden, dass sie von der Lehrkraft übernommen wird, die unter täglichem Handlungsdruck steht.

 

Literatur

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GERDSMEIER, G./ TORRES MINOVES, A. (2005): Eine wirtschaftsdidaktische Bildgeschichte. In: BÜCHTER, K./ SEUBERT, R./ WEISE-BARKOWSKY, G. (Hrsg.): Berufspädagogische Erkundungen. Eine Festschrift für Martin Kipp. G.A.F.B.-Verlag Frankfurt 2005, 413-430.

GERDSMEIER, G./ KÖLLER, C. (2006): Nachhaltiges Lernen, selbst gesteuertes Lernen und Aushandlungsprozesse. In: Hessisches Kultusministerium (Hrsg.), Modellversuchsinformation zum BLK-Modellversuch LunA (Lernen und nachhaltige berufliche Ausbildung), 2006. Der Text ist auch zugänglich unter: http://www.uni-kassel.de/fb1/bwp/gerdsm/forschung/Luna_Nachhaltiges_Lernen.pdf (10.7.2006).

GÖCKEDE, B. (2005): Wie würden Sie entscheiden? Entscheidungsaufgaben im Wirtschaftlehre-Unterricht kaufmännischer Schulen – eine fachdidaktische Analyse hinsichtlich selbstgesteuerten Lernens. In: sowi-online e.V. , Bielefeld, Veröffentlichungsdatum 24.02.2005. http://www.sowi-onlinejournal.de/2004-2/entscheidungsaufgaben_goeckede.htm (10.7.2006).

KANT, I. (1781): Kritik der reinen Vernunft. Zweiter Teil: Die transzendentale Logik, Einleitung: Idee einer transzendentalen Logik, I. Von der Logik überhaupt.

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SCHANK, R.C./ ABELSON, R. (1977): Scripts, plans, goals and understanding: an inquiry into human knowledge structures . Hillsdale, NJ : Erlbaum 1977

TORRES MINOVES, A. (2006): Unveröffentlichte Materialien, Kassel.