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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Anforderungen an Modellunternehmen durch ERP- und Geschäftsprozessorientierung


 

 


1.  Problemstellung

1.1 Veränderte Bedingungen unternehmerischen Handelns

Modellunternehmen sind didaktisch modellierte Simulationsmodelle betrieblicher Realität. Diese Realität hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten fundamental gewandelt. Auslöser waren Veränderungen des Marktes, die zusammenfassend mit dem Wechsel von einem anbieterorientierten Markt zu einem nachfrageorientierten Markt beschrieben werden.

Effekte, an denen diese Veränderungen für Unternehmen deutlich werden, sind

•  eine sinkende Unternehmens- und Markenloyalität der Kunden,

•  steigende Kundenanforderungen,

•  kürzere Produktlebenszyklen und

•  schwierigere persönliche Bindungen zu Mitarbeitern der Kunden

(TREIS/ WOLF 1995; PRAHALAD/ RAMASWAMY 2004; MEFFERT 2005, 147; HIPPNER/ WILDE 2005, 465). Entsprechend einer Studie der Unternehmensberatung Mercuri International messen 85,4 % der befragten Unternehmen einer schnelleren und effizienteren Bedienung von Kundenwünschen und -anforderungen eine wachsende Bedeutung bei, wobei die Strukturen und Prozesse des Anbieters mit den Kundenanforderungen im Einklang stehen müssen. 51,5 % sehen darin gar eine der größten Herausforderung an ihr Unternehmen (MERCURI INTERNATIONAL 2005, 4ff., 42ff.).

Auf die zunehmende Abhängigkeit von Kunden reagieren Unternehmen durch konsequente Kundenorientierung, d. h. durch eine Ausrichtung aller Unternehmensaktivitäten an den Bedürfnissen der Kunden (BRUHN/ HOMBURG 2000; HOMBURG/ SIEBEN 2005, 437).

1.2  Bedeutung von Informationssystemen

Viele Unternehmen versuchen, durch eine Umgestaltung ihrer Unternehmensstrukturen und Geschäftsprozesse dem zunehmenden Wettbewerbsdruck zu begegnen. Ineffizienzen sollen durch eine Ausrichtung der Geschäftsprozesse an den Bedürfnissen der Kunden vermieden werden.

Vor diesem Hintergrund sind Informationen zu einem zentralen Produktions- und Wettbewerbsfaktor geworden (PICOT 1988). Durch eine effizientere Nutzung von Informationen versuchen Unternehmen

•  systembedingte Verzögerungen in der Informationsverteilung und damit in der Ausführung kritischer Geschäftsprozesse zu minimieren oder vollständig zu beseitigen,

•  möglichst viele (unternehmensinterne wie –externe) Informationen in den Leistungserstellungsprozess mit einzubeziehen, um damit eine Individualisierung der Leistungen zu erreichen (KLEINALTENKAMP 1993, 108f.; MENGEN 1993, 24ff.; JACOB 1995, 49ff.),

•  die Kommunikation zwischen dem Unternehmen und seinen Kunden und Lieferanten zu verbessern. Dies reicht mittlerweile bis hin zu einer informatorischen Verknüpfung von Wertschöpfungsprozessen zwischen Anbietern und Nachfragern (KLEINALTENKAMP/ HAASE 1999, 173; WEIBER/ JACOB 2000, 529; KLEINALTENKAMP 2005, 364) sowie

•  die Kommunikation der Unternehmung mit den Kunden durch Instrumente wie einem unternehmensdatenbasierten customer relationship management (HIPPNER/ WILDE 2005) oder weiteren häufig IT-basierten Instrumenten der Anbieter-Kunde-Kommunikation (MEFFERT 2005, 160) zu verbessern.

Im Bereich der kaufmännisch-verwaltenden Tätigkeiten zeigt sich die hohe Bedeutung der Informationsgewinnung und -verarbeitung darin,

•  dass enterprise-resource-planning Systeme (ERP-Systeme) zur Unterstützung oder Bearbeitung annähernd aller Tätigkeiten und Aufgaben eingesetzt werden und

•  dass sich die organisatorische Struktur an den Geschäftsprozessen ausrichtet, zu deren Bearbeitung und Unterstützung ERP-Systeme eingesetzt werden.

Die derzeit in der kaufmännischen Ausbildung eingesetzten Modellunternehmen tragen diesen beiden grundlegenden Veränderungen der unternehmerischen Realität noch kaum Rechnung. Modellunternehmen und die sich aus dem Vorangegangenen ergebenden neuen Anforderungen beschreibt der folgende Abschnitt.

2. Modellunternehmen

In der kaufmännischen Ausbildung werden Modellunternehmen dazu eingesetzt, unternehmerische Realität medial zu repräsentieren (ACHTENHAGEN et al. 1992, 85; TRAMM 1996, 226). Gleichzeitig eröffnen Sie den Auszubildenden einen komplexen Handlungs- und Erfahrungsraum, in dem kaufmännisches Handeln und ökonomisches Räsonieren unmittelbar aufeinander bezogen werden kann (TRAMM 1991, 248; TRAMM 1996, 297f.). Modellunternehmen erfüllen damit gleichzeitig die Aufgabe des Lernobjektes und der Lernumgebung. Zu den einzelnen Ausprägungen und Varianten von Modellunternehmen vgl. auch den Aufsatz von LAND und SIEMON in dieser Ausgabe (2006).

Der Einsatz von Modellunternehmen ermöglicht handlungsorientierten Unterricht (TRAMM 1991, 251f.), ohne die in der Realität vorfindbaren Sanktionsbedingungen (ACHTENHAGEN et al. 1988, 25).

Der handlungsorientierte Unterricht in einem Modellunternehmen zielt darauf ab, Schüler dazu zu befähigen,

•  sich in komplexen, dynamischen, vernetzten, intransparenten und normativ ambivalenten Situationen zu orientieren und in ihnen vernünftig zu handeln (TRAMM 1991, 250; ACHTENHAGEN ET AL. 1992, 75), aber auch

•  Handlungssituationen und Systemzusammenhänge angemessen wahrzunehmen und innerlich zu modellieren (TRAMM/REBMANN 1997, 16), um adäquate Handlungsalternativen überhaupt erkennen zu können.

Daraus ergeben sich die Anforderungen an Modellunternehmen. Diese müssen

•  die relevanten Ausschnitte aus der objektiven Realität (Objekte, Prozesse, Ereignisse, gesellschaftliche Erfahrungen) (LOMPSCHER 1985, 36) bereithalten (siehe 3 ) und

•  es ermöglichen, dass Auszubildende darin Rollen übernehmen und in funktionsspezifisch-realistischer Weise und unter Nutzung realitätsanaloger Arbeitsmittel handeln (TRAMM 1991, 248) (siehe 4 ).

3.  Zugangsmöglichkeiten zu Ausschnitten der objektiven Realität

Die für kaufmännisches Handeln typischen Ausschnitte der objektiven Realität sind zumeist Teilsysteme der Unternehmung z. B. Produktion, Logistik, Lagerverwaltung, Personalplanung, Einkaufsplanung, Rechnungswesen, Controlling, Produktionsplanung, Absatzplanung oder Marketing. Die verschiedenen Funktionsbereiche können fachwissenschaftlich nach unterschiedlichen Gesichtspunkten strukturiert werden. Betrachtet man die Unternehmung ganzheitlich als künstlich geschaffene, reale, offene, dynamische, komplexe und sozio-technische Systeme (ULRICH 1984, S. 31ff.; HOPFENBECK 2000, 55), müssen die materielle, die kommunikative, die soziale sowie die wertmäßige Dimension (HOPFENBECK 2000, 52) gleichzeitig betrachtet werden. Dabei entsteht allerdings ein komplexes Netzwerk von Beziehungen und Systemzusammenhängen, das sich für den Betrachter kaum noch entschlüsseln lässt.

Dieses unübersichtliche Netzwerk der Unternehmensrealität entflechtet sich dann, wenn man es nach einer einzelnen Dimension strukturiert und sequenziert. Zwei Beispiele für solche Entflechtungen sind die in der wirtschaftspädagogischen Literatur weit verbreiteten Darstellungen von GOMEZ und PROBST (1987) (vgl. Abbildung 1 ). Problematisch ist in diesen Modellen allerdings, dass sie kaum Möglichkeiten bieten, weitere Dimensionen der Betrachtung zu integrieren. So enthält ein Organigramm (oberer Teil der Abbildung 1 ) keine Hinweise auf die Kommunikationsstruktur der Unternehmung. Aus der Kommunikationsstruktur der Unternehmung (unterer Teil der Abbildung 1 ), kann weder eine zeitliche Sequenzierung noch der Materialfluss abgeleitet werden.

Es sollte daher zumindest ein Zugang zur unternehmerischen Realität zur Verfügung stehen, der die verschiedenen Dimensionen der Unternehmensrealität integrativ betrachtet und damit neben einer singulären Betrachtung auch die Verknüpfungen zu den weiteren fachsystematischen Strukturen enthält. Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, die Geschäftsprozesse der Unternehmung heranzuziehen und von diesen aus die anderen Dimensionen zu erschließen. Im Einzelnen sind dies:

•  In Geschäftsprozessen können neben den Abläufen alle weiteren Dimensionen (materielle, kommunikative, soziale und wertmäßige) abgebildet werden.

•  Die Geschäftsprozesse der Unternehmung sind die Ausgangsbasis für zielgerichtetes, kaufmännisches Handeln. Sie visualisieren alle denkbaren Handlungsalternativen, die Parameter, die für Entscheidungen herangezogen werden sowie die zu erwartenden Ergebnisse (GADATSCH 2005, 34ff.; CORSTEN 1997, 15f.).

•  Geschäftsprozesse sind organisations- und funktionsübergreifend. Nach neueren Managementansätzen resultiert die Unternehmensstruktur gar aus den Geschäftsprozessen der Unternehmung (GAITANIDES/ ACKERMANN 2004, 14).

•  Geschäftsprozesse sind aus der Unternehmensstrategie abgeleitet. Der Erfolg von Handlungen auf der operativen Ebene lässt sich über die Geschäftsprozesse auf die strategische Ebene der Unternehmung zurück beziehen (GADATSCH 2005, 34ff.; CORSTEN 1997, 15f.).

•  Über die Einteilung von Geschäftsprozessen in Kernprozesse (Leistungserstellung, ausgehend von Kundenwünschen), Supportprozesse (Unterstützung der Leistungserstellung ohne oder mit geringem Wertschöpfungsanteil) und Steuerungsprozesse (Organisation des Zusammenspiels von Kern- und Supportprozessen) (GADATSCH 2005, 39f.) lässt sich die Bedeutung der jeweiligen Tätigkeit für die Erreichung der Unternehmensziele veranschaulichen.

Damit sind Geschäftsprozesse ein ideales Modellierungswerkzeug, um von dort aus die weiteren relevanten Dimensionen der Realität einer Unternehmung zu erschließen.

4.  Funktionsspezifisch-realistisches Handeln

Zur Ermöglichung von Handlungen in Lernprozessen ist die Lernumgebung von entscheidender Bedeutung. Aus ihr heraus ergeben sich Situationen und darin enthaltene Probleme, die für die Zielbildung und Motivation von Auszubildenden bedeutsam sind. Die Lernumgebung stellt erforderliches Fachwissen zur Verfügung und hält die Handlungsalternativen bereit, für die sich die Auszubildenden entscheiden können. Sie ermöglicht die Ausführung von Handlungsalternativen, gibt ein Feedback auf die Effekte der Handlungsausführung und ermöglicht somit, den Erfolg oder Misserfolg der vorangegangenen Phasen zu erkennen.

Ein Modellunternehmen, verstanden als eine handlungsermöglichende Lernumgebung, muss Auszubildende in all diesen Phasen unterstützen und entsprechende Hilfen bereithalten.

4.1  Situationen und Probleme

Zum Handeln muss der Handelnde zunächst eine Rolle einnehmen und sich folglich in spezifische Situationen innerhalb des Geschehens des Modellunternehmens begeben. Für Auszubildende, die auf kaufmännische Tätigkeiten im Berufsleben vorbereitet werden sollen, sind dies zunächst die typischen Rollen sachbearbeitender Tätigkeiten. Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass sich diese Tätigkeiten in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. Durch den Einsatz von IT-Systemen ist es zu einem deutlichen Wegfall von Routinetätigkeiten und zu einer Zunahme der Bearbeitung von Stör- und Sonderfällen gekommen. So geht Douglas Burgum, Leiter von Microsoft Business Solutions, davon aus, dass Sachbearbeiter 80 % ihrer Arbeitszeit mit 20 % der Transaktionen, die Sonderfälle darstellen, verbringen (O. V. 2004).

Für die Gestaltung von Modellunternehmen ist eine Orientierung an solchen Stör- und Sonderfällen durchaus produktiv. Aus ihnen resultiert die Möglichkeit der aktiven Auseinandersetzung mit lernförderlichen Problemen, die reine Routinetätigkeiten zumeist nicht bereitstellen.

4.2  Zielbildung und Motivation

Aus den Möglichkeiten zur Selbstbestimmung und den inhaltlichen Tätigkeitsanreizen resultiert ein großer Anteil der intrinsischen Lernmotivation (DECI/ RYAN 1993; PRENZEL/ DRECHSEL 1996; PRENZEL/ DRECHSEL/ KRAMER 1998). Modellunternehmen müssen also so gestaltet sein, dass Auszubildende den Zielbezug ihrer Tätigkeiten wahrnehmen und sich zu Eigen machen. Damit ist die Zielebene des Unternehmens angesprochen, die im Modellunternehmen deutlich erkennbar sein muss. Aus dieser ergibt sich letztlich die Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit eines sachbearbeitenden Handelns auf der operativen Ebene (TRAMM 2002, 15; TRAMM 2003, 19). Zudem muss das Modellunternehmen Entscheidungsmöglichkeiten für die Auszubildenden bereitstellen. Eine motivationsförderliche Selbstbestimmung kann von den Auszubildenden nur dann wahrgenommen werden, wenn nicht alle (Lern-)Wege bereits vorgegeben sind.

4.3  Fachwissen, Strukturverständnis und Handlungsalternativen

Oberstes Ziel einer beruflichen Ausbildung ist die Vermittlung von beruflicher Handlungskompetenz (ACHTENHAGEN et al. 1992; DUBS 1989). Diese setzt unter anderem eine Fachkompetenz voraus, mit der Aufgaben und Probleme gelöst und Ergebnisse beurteilt werden können (KMK 2000, 9).

Etwa 70 % der deutschen Unternehmen setzen heute ERP-Systeme ein, um Tätigkeiten auf allen Ebenen unternehmerischen Handelns zu unterstützen (KRONFELLER/ KUHNERT/ KÖRTING 2004). ERP-Systeme sind damit bei einer großen Mehrheit der deutschen Unternehmen integrativer Bestandteil kaufmännischer Arbeit.

Ein für die Erlangung beruflicher Handlungskompetenz erforderliches Fachwissen und Strukturverständnis bezieht sich daher heute nicht mehr nur auf ökonomische Sachverhalte, sondern auch darauf, wie diese in ERP-Systemen abgebildet und bearbeitet werden. PFÄNDER geht bei seinen Überlegungen zur Ausbildung mit ERP-Systemen noch einen Schritt weiter. Er stellt die Überlegung an, dass ERP-Systeme die Geschäftsprozess- und Datenmodelle vorhalten, um annähernd alle kaufmännischen Vorgänge eines Unternehmens zu bearbeiten. Damit sind ERP-Systeme selbst ein Abbild des Fachwissens und der Strukturen, auf denen kaufmännisches Handeln basiert (2000, 69ff.). KRUCZYNSKI beschreibt ERP-Software gar als ein „Kompendium der Betriebswirtschaftslehre“ und damit als ein ideales Studienobjekt (1995, 623).

Mit anderen Worten: Zieht man von einer angenommenen Menge kaufmännischen Fachwissens, das in einem kaufmännischen Curriculum enthalten ist, die Menge ab, die in einem vollständigen, branchentypischen ERP-System in Form von Geschäftsprozessen und Daten- und Organisationsstrukturen abgebildet ist, bleibt eine Restmenge an Curriculuminhalten übrig, die sich auf wenige spezifische Bereiche kaufmännischen Handelns sowie auf die Ebene der Unternehmensziele und -strategien beziehen.

Die Vermittlung von Fachwissen und Strukturverständnis soll damit allerdings nicht darauf reduziert sein, ERP-Systeme zu durchschauen bzw. diese gar nur bedienen zu können. Für den Erwerb von Fachwissen als notwendige Komponente beruflicher Handlungskompetenz ist es entscheidend, die Modelle zu kennen, auf denen die ERP-Systeme aufbauen (vgl. Abschnitt 3 ). Auf dieser Basis können Angestellte berufliche Handlungssituationen verstehen, Handlungsalternativen abwägen, Aufgaben erledigen, Probleme bewältigen und letztendlich ihr eigenes Handeln reflektieren.

4.4 Handlungsausführung, Feedback und Reflexion

Sofern die Auszubildenden über entsprechendes Wissen verfügen oder aber es bei der Suche nach Problemlösungen aufgebaut haben, können sie sich nun unter Zuhilfenahme geeigneter Arbeitsmittel, zumeist ERP-Systeme, an die Lösung der Problemstellung begeben. Wichtig ist dabei vor allem, dass mit der reinen Ausführung der Tätigkeit der Lernprozess nicht abgeschlossen ist. Die Auszubildenden sollten eine Rückmeldung erhalten, ob ihr Lösungsansatz erfolgreich war. Eine Interpretation der Ergebnisse ist dabei nicht auf der Ebene der operativen Handlung möglich, sondern unter Einbezug des unternehmerischen Ziel- und Strategiehorizontes (TRAMM 2003, 20). Erst dadurch ist es möglich, einzelne voneinander separierte Prozesse in ein grundlegendes Systemverständnis zu integrieren und sich den systemischen Gesamtzusammenhang zu erschießen (TRAMM 2004, 138).

5.  Fazit

Eine kaufmännisch-verwaltende Tätigkeit ist ohne den Einsatz von ERP-Systemen und der Orientierung an Geschäftsprozessen kaum noch vorstellbar. Zumindest in der unternehmerischen Praxis finden sich immer weniger Beispiele, die ohne diese beiden Aspekte kaufmännischen Handelns auskommen.

Ganz anders ist das Bild in der kaufmännischen Ausbildung. Sofern hier Modellunternehmen überhaupt zum Einsatz kommen, sind diese an Organisationsstrukturen des Unternehmens ausgerichtet und vernachlässigen die Perspektive der geschäftsprozessorientierten Vorgangsbearbeitung und auch die (Modell-)unternehmensweite Integration von Informationen. Daraus resultieren deutliche Einschränkungen der Realitätsnähe und damit des möglichen Transfers erworbenen Wissens und Könnens, der vorfindbaren Handlungsmöglichkeiten und der Möglichkeiten zur Reflexion eigenen Handelns. Ein ganzheitliches Verständnis aktueller Unternehmenswirklichkeit kann so kaum aufgebaut werden.

Es sind daher verstärkte Anstrengungen erforderlich, diese Problemfelder zu beheben. Mit der Einführung des Prinzips der Geschäftsprozessorientierung in die kaufmännischen Lehrpläne ist ein erster Schritt getan. Nun müssen sich die Entwickler der Modellunternehmen dieser Herausforderung stellen und die Lehrerinnen und Lehrer an den kaufmännischen Schulen, die Modellunternehmen einsetzen, sich in ihrem Auswahlverhalten an den Anforderungen orientieren, die an ihre Auszubildenden gestellt werden.

 

Literatur

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Exkurs: ERP-Systeme

Unter einem enterprise resource planning-System (ERP-System) versteht man aus der Perspektive der Informatik ein unternehmensweites Informationssystem mit genau einer Datenbank und einer einheitlichen Benutzerschnittstelle (KURBEL 2003, 324). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist ein ERP-System eine modular strukturierte, betriebliche Standardsoftware zum Zwecke der Geschäftsprozessoptimierung (LEßWENG/ LANNINGER/ THOME 2004, 221f.). Ein ERP-System stellt die Informationen bereit, die ein Unternehmen dazu befähigen, seine Geschäftstätigkeit zu planen, zu steuern, zu überwachen und zu optimieren.

Typische Module eines ERP-Systems sind

•  das facility management, also die Verwaltung der Immobilien und der technischen Infrastruktur des Unternehmens,

•  das material requirements planning (Materialbedarfsplanung), ein softwaregestütztes Verfahren zur Überwachung und Steuerung des Herstellungsprozesses z. B. zum Beispiel für das Bestellwesen, die Lagerhaltung und das Verwalten von Terminplänen,

•  das supply chain management (SCM; etwa Lieferketten-Management), also die Koordination mit Zulieferern und Vertriebspartnern,

•  das customer relationship management (CRM; etwa Kundenkontakt­verwaltung)

•  das workflow management system (WFMS; Arbeitsablauf-Verwaltungssystem) oder

•  das executive information system (EIS; Informationssystem für die Geschäftsführung) mit einem decision support system (DSS; Entscheidungsfindungshilfe).

Heute gehen ERP-Systeme über die Grenzen der einzelnen Unternehmen hinaus. Sie integrieren über Web-Shops, Internet-Marktplätze, Unternehmensportale, CRM, SCM oder collaborative commerce die IT-Systeme von Kunden und Lieferanten. In diesem Falle spricht man von ERP II-Systemen.