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 bwp@ Ausgabe Nr. 10 | Juli 2006
Lernfirmen

Narrativ modellierte Situationen in Lernfirmen


 

 


1.  Einleitung

Mit der Gestaltung und dem Einsatz von Lernfirmen im Unterricht (ganz gleich, ob es sich um Übungsfirmen, Lernbüros oder computersimulierte Modellunternehmen handelt) wird die Überzeugung verbunden, didaktisch modellierte Arbeitssituationen unterstützten die Lernenden dabei, sowohl Wissen in konkreten Fällen anzueignen als auch auf neue Kontexte zu übertragen und anzuwenden. Als Initiator für Lernprozesse in Lernfirmen gelten komplexe Problemstellungen, die durch Geschichten (narrative Sequenzen) umgesetzt werden. In der konkreten Ausgestaltung eignet sich allerdings nicht jedes Erzählformat zum Initiieren von Lernprozessen.

Eine systematische Aufarbeitung literaturwissenschaftlicher Erzählformate unter didaktischer Perspektive sowie eine Analyse der dramaturgischen Mittel, um diese Erzählformate in narrativ modellierten Situationen einzusetzen, ist bislang in der (wirtschafts-)pädagogischen Literatur nicht vorhanden. Ebenso mangelt es an Instrumenten und Methoden zur Konstruktion narrativer Sequenzen. Autoren computergestützter Lernumgebungen stehen ebenso wie Lehrer beim Einsatz von Lernfirmen vor der Aufgabe, narrative Sequenzen und Situationen ohne pädagogisches Modell oder dramaturgische Anleitung intuitiv ausgestalten zu müssen.

Um den pädagogischen Akteuren ein solches Instrument an die Hand zu geben, werden zunächst drei in der pädagogischen Forschungsliteratur vorherrschende Erzählformate identifiziert (Kap. 2). Um die Formate für ihren Einsatz in Lernfirmen analysieren zu können, erweist es sich dabei als notwendig, zwischen Lern- und Modellsituation zu unterscheiden (Kap. 3). Unter Rückgriff auf dramaturgische Konzepte können anschließend Kriterien zur Gestaltung narrativ modellierter Situationen gefunden werden. Diese werden zunächst dargestellt (Kap. 4) und schließlich in einen Handlungsbogen überführt sowie an einem Beispiel konkretisiert (Kap. 5). Ein Ausblick zeigt weiterführende Fragestellungen auf (Kap.6).

2.  Analyse narrativer Ansätze

Nicht jeder narrative Ansatz ist geeignet, um Lernende zum Handeln anzuregen und Problemlösen zu initiieren. Um die Unterschiede narrativer Ansätze erfassen zu können, werden im Folgenden zunächst grundsätzliche literaturwissenschaftliche Merkmale vorgestellt. In der Literaturwissenschaft wird zwischen narrativ-erzählendem und szenisch-darstellenden Geschichten unterschieden. Ein narrativ-erzählender Text enthält den Bericht eines Erzählers über eine Sache oder Handlung (VOGT 1999). Demgegenüber besteht ein Drama aus der Darstellung einer Handlung, mit der Szene als zeitlicher, räumlicher und inhaltlicher Darstellungseinheit (GRAFF 1999). Bei der szenischen Darstellung im Drama finden Handlung und Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Figuren statt. PFISTER (2001) bezeichnet dies als inneres Kommunikationssystem . Im Gegensatz dazu verfügen narrativ-erzählende Berichte neben dem inneren über ein vermittelndes Kommunikationssystem , da der Erzähler dem Rezipienten (Leser, Zuhörer oder Zuschauer) die Handlung und die Figuren beschreibt, kommentiert und interpretiert. Auf der vermittelnden Instanz berichtet der Erzähler über Ereignisse, Figuren und Orte. Indem er bestimmte Ereignisse erwähnt und andere auslässt, indem er Orte und Figuren mit bestimmten Wörtern be- und umschreibt, fließen Interpretationen, Kommentare und Wertungen in die Erzählung ein. Der narrativ-erzählende Text wird so zu einem Medium darüber, was der Erzähler berichten will bzw. für berichtenswert hält . Diese Kommunikationsebene muss der Rezipient entschlüsseln bzw. dekodieren (können).

Das Vorhandensein einer vermittelnden Kommunikationsebene kann auch in der Pädagogik als erstes Kennzeichen für die Unterscheidung narrativer Ansätze herangezogen werden. Weiterhin können narrative Ansätze nach ihrer Stellung und ihrer Funktion im Lehr-Lernprozess unterschieden werden (vgl. WIRTH 2006b). Der Einsatz von Geschichten ist in der Pädagogik weit verbreitet, um Lernprozesse sowohl beim individuellen Lernen als auch in der Arbeit mit Gruppen zu initiieren, zu unterstützen und zu kontrollieren. In Forschungsliteratur und Praxis lassen sich verschiedene Ansätze ausmachen, die aufgrund ihrer Kommunikationsebene und der Stellung im Lehr-Lernprozess in drei unterschiedliche Formate eingeteilt werden können: das Storytelling, die Narration und Lerngeschichten. Die drei Formate werden im Folgenden vorgestellt.

Bereits vorhandene Geschichten können in Lehr-Lernprozessen eingesetzt werden, um Lernenden als Beispiel für das eigene Handeln zu dienen. Dieses Format wird als Storytelling bezeichnet . Storytelling wird in pädagogischen Situationen genutzt, um Erfahrungen von Experten aus spezifischen Arbeits-, Problemlöse- und Alltagssituationen darzustellen. Der Gestaltungsgrundsatz des Modeling im Cognitive Apprenticeship Ansatz (COLLINS/ BROWN/ NEWMAN 1989) lehnt sich an dieses Erzählformat an. Beim Modeling zeigt ein Experte den Lernenden zunächst sein Vorgehen bei der Bearbeitung eines Problems, wobei er seine Überlegungen und seine Vorgehensweise explizit artikuliert sowie analysiert und kommentiert. Der Experte agiert in diesem Fall als Ich-Erzähler. Das entscheidende Problem sei, „to decide how and when to tell the story” (BURKE 1998, 182). EDELSON (1998) empfiehlt den Einsatz eines „Storytellers“, der die Lernenden beobachtet und je nach Bedarf die richtigen Geschichten auswählt. BURKE schlägt vor, verschiedene Strategien zu verwenden, um Lernenden in bestimmten Situationen die passenden Geschichten zu erzählen. Er unterscheidet 13 Storytelling-Strategien, um den Lernenden Alternativen aufzuweisen, an die Einschätzungen der Lernenden anzuknüpfen und zum Beispiel vor zu optimistischen Erwartungen zu warnen, mögliche Konsequenzen der Handlung anzugeben sowie Perspektiven, Blickwinkel und Positionen anderer Personen aufzuzeigen und zu erklären.

Weiterhin können Geschichten szenisch konstruiert werden, um Lernende zum Handeln und Problemlösen anzuregen. In der pädagogischen Literatur hat sich für dieses Format der Begriff Narration weitgehend durchgesetzt (vgl. WIRTH/ KLAUSER, 2004). Das wohl bekannteste Beispiel stellt der Anchored Instruction Ansatz der Cognition and Technology Group at Vanderbilt dar (CTGV 1997) . Das Spezifische dieses Ansatzes besteht darin, dass die Lernenden komplexe Probleme in Form einer Videosequenz erhalten. In diesen Sequenzen steht eine fiktive Figur in realitätsnahen, authentischen Situationen vor einem Problem, das es zu lösen gilt. Die Lernenden erhalten den Arbeitsauftrag, dieses Problem für die Figur zu lösen und so die Geschichte fortzusetzen. Zur Bearbeitung des Problems können sich die Lernenden die einzelnen Szenen der Geschichte auf Videobildplatten wiederholt ansehen. Anschließend haben die Lernenden die Möglichkeit, die eigene Lösung mit einer auf Bildplatte bereit gestellten Musterlösung zu vergleichen.

Schließlich werden unter dem Stichwort Lerngeschichten Verfahren zusammengefasst, bei denen Lernende ihre Erfahrungen mit dem Lernen bzw. mit den Lerngegenständen in narrativer Form festhalten (REINMANN-ROTHMEIER/ MANDL/ KROSCHEL, 1995). Hierbei fungiert der Lernende als Textproduzent und Erzähler. Die Erzählform ist für Lerngeschichten nicht vorgeschrieben: Lerntagebücher sind ebenso möglich wie kurze szenische Darstellungen des Gelernten.

Alle drei Formate können mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Funktionen in Lernfirmen eingesetzt werden. Das spezifische Potenzial von Lernfirmen entfaltet sich allerdings erst dadurch, dass Lernende in didaktisch modellierten Situationen handeln und durch das eigene Handeln Wissen im Kontext beruflicher Situationen erarbeiten und anwenden können. In allen drei Erzählformaten wird der Lernende mit unterschiedlichen Situationen konfrontiert. Um diese Situationen narrativ modellieren zu können, ist es notwendig, im Folgenden auf den Begriff der didaktischen Situation näher einzugehen.

3. Kennzeichen didaktischer Situationen

TRAMM (1992, 105f.) definiert Situationen als subjektbezogene, interne Modelle zur „Integration von Umwelt- und Personvariablen im Zusammenhang definierter Handlungsinteressen“, die die „Gesamtheit der äußeren und inneren Determinanten für einen bestimmten Orientierungs- oder Handlungszusammenhang [modellieren], soweit diese subjektiv zugänglich und relevant sind“. BECK (1996, 88) konkretisiert sie als „Konstellation von Gegebenheiten, Bedingungen und Möglichkeiten, für die es zu bestimmen gilt, in welche Folgekonstellation sie unter Einwirkung einer Person überführt werden soll“ . Auch BECK (1996, 94f.) betont, Situationen seien „intentional gesteuerte Erlebniseinheiten“. Eine Veränderung der Situation wird immer durch intentionale Veränderungen ausgelöst. Folgende sechs Dimensionen kennzeichnen seiner Meinung nach (pädagogische) Situationen (BECK 1996, 92f.):

•  die Zeitdimension, die inter- und intrapersonell variiert und dabei gesteuert wird „durch die intentionale Ausrichtung der Aufmerksamkeit (die Fokussierung) auf einen Sachverhalt“,

•  der Raum, durch dessen Wahrnehmung die Situation bestimmt wird,

•  die wahrgenommene Gegenstandskonstellation, wobei die „subjektive Ausrichtung der Wahrnehmung bestimmt, welche dieser „Gegenstände“ zum „Situationsbestandteil“ werden“,

•  die begrifflichen Konzepte, die dem Subjekt zur Verfügung stehen,

•  die aktualisierten Rollen, die das Subjekt an- und übernimmt sowie

•  die Bewertungen, mit denen das Subjekt die Gegenstandskonstellationen versieht.

Für die Arbeit mit und in Lernfirmen ist eine Ausgestaltung und Modellierung von Situationen auf zwei unterschiedlichen Ebenen notwendig:

Einerseits wird eine Lernsituation mit ihrem spezifischen Raum-/Zeitgeschehen sowie mit einer bestimmten Gegenstandskonstellation und den Akteuren Lehrer, Schüler A, Schüler B, etc. angenommen. Lernsituationen sind durch ein jeweils spezifisches zeitliches, räumliches, soziales und kulturelles Wirkungsgefüge gekennzeichnet. Sie sind in ihrer Durchführung einzigartig und nicht wiederholbar. Die Arbeit mit Lernfirmen sowie die Reflexion über das Handeln in der Lernfirma findet in Lernsituationen statt. Lerngeschichten sind von den Lernenden zu gestaltende Bestandteile der Lernsituation. Sie bieten sich an, wenn als Lernziel ein kreativer Umgang mit dem Medium Text angestrebt wird. Innerhalb der Lernsituation können aber auch Experten ihren Umgang mit komplexen Problemen und ihre Erfahrungen schildern und die Lernenden zum Problemlösen auffordern, wie es beim Modeling angestrebt wird. Der Experte agiert in diesem Fall als Ich-Erzähler. Er kommentiert und interpretiert die erzählten Situationen.

Andererseits handeln die Lernenden in einer Lernfirma aber auch als Sachbearbeiter, Kunde, Abteilungs- oder Projektleiter und nehmen die jeweils definierten Rollen innerhalb eines fiktiven Raum-/Zeit-/Gegenstandsgefüges ein. Es handelt sich um Situationen aus dem zukünftigen Berufsfeld der Lernenden, anhand derer die Lernenden Lösungen für typische Konflikte und Probleme entwickeln und diskutieren können. Situationen in der Mikrowelt einer Lernfirma werden didaktisch modelliert und sind in ihrem Modellcharakter jederzeit (auch mit anderen Lernenden) wiederholbar. Um diese Modellsituationen wiederholbar inszenieren zu können und Lernende mit ihnen zum Problemlösen anzuregen, ist es notwendig, die für die Situation typische Konstellation von Gegebenheiten, Bedingungen und Möglichkeiten narrativ, das heißt in Form einer Geschichte aufzubereiten. Bei der Gestaltung narrativ modellierter Situationen im Sinne des Anchored Instruction Ansatzes fehlt zunächst die vermittelnde Kommunikationsebene. In der konkreten Ausgestaltung sehen die Lernenden die szenische Darstellung einer Modellsituation als Videofilm. In der Folge übernehmen die Lernenden eine Rolle innerhalb der Modellsituation – sie treten sozusagen in die Modellsituation ein, die inszenierte Modellsituation wird Teil der Lernsituation. Erst im Anschluss an den Problemlöseprozess handeln die Lernenden wieder ausschließlich innerhalb der Lernsituation, indem sie ihr Vorgehen gemeinsam reflektieren, analysieren und kommentieren. In dieser Phase des Lehr-Lernprozesses erfolgt ein Lernen ausschließlich am Modell (vgl. für das Lernen im und am Modell TRAMM 1997).

Um Lernprozesse zu initiieren und zum Problemlösen im Modell anzuregen, eignet sich ein szenisches Erzählformat, das eine typische Modellsituation darstellt: Sollen Herausforderung und Spannung im Mittelpunkt des Lehr-Lernprozesses bzw. einzelner Phasen des Lehr-Lernprozesses stehen, dann ist ein hoher Grad an Involviertheit und Identifikation des Lerners mit den zu Grunde liegenden Problemen, Situationen und Handlungen notwendig. Für diese Zielstellung bieten sich szenische Darstellungen wegen ihrer Unmittelbarkeit und der Nähe des Rezipienten zur Konfliktstruktur an. Ist hingegen eine systematische Reflexion Ziel des Lehr-Lernprozesses, dann stehen Formen der Interpretation, der Bewertung und Kommentierung im Vordergrund. In diesem Fall bieten sich narrativ-erzählende Formate mit einer vermittelnden Kommunikationsebene an. Ein narrativ-erzählendes Format eignet sich daher insbesondere zur Unterstützung während des Lernprozesses oder zur Kontrolle des Lernerfolgs.

Wie können nun narrativ modellierter Situationen in Lernfirmen konkret ausgestaltet werden? Die Lernenden werden in Lernfirmen unmittelbar mit Problemen und Konflikten konfrontiert, daher wird für die Darstellung das Erzählformat der Narration gewählt. Für die konkrete Ausgestaltung bieten sich dramaturgische Konzepte an, die allerdings aus einer didaktischen Perspektive analysiert und modifiziert werden müssen, um Kriterien für narrativ modellierte Situationen zu erhalten.


4.  Kriterien narrativ modellierter Situationen

4.1  Dramaturgische Handlungsstruktur

Jeder erzählten Geschichte, gleich ob im Format des narrativen Textes oder als szenische Darstellung, liegt eine dramaturgische Grundstruktur (Plot) zugrunde: der Plot umfasst die wesentlichen Figuren, deren Beziehungen zueinander, eine spezifische Raum-/Zeitstruktur sowie einen Grundkonflikt bzw. ein bestehendes Problem. Der Konflikt bzw. das Problem bewirkt, dass die dargestellten Figuren handeln. (Um den Modellcharakter hervorzuheben, wird in diesem Artikel nicht von Charakteren oder Personen sondern von Figuren gesprochen). Der Plot beinhaltet demnach eine Reihe von Situationen, die aufeinander folgen und dadurch eine Handlung ergeben.

Die Handlung beginnt dramaturgisch mit einer Einführung, der Exposition. Anschließend entwickelt sich ein Konflikt, das heißt es wird am so genannten Point of Attack ein Problem aufgeworfen und bis zum Höhepunkt gesteigert. Der Höhepunkt zeigt die Lösung des Problems. Die Steigerung des Konflikts kann durch einen oder mehrere so genannte Plot Points unterbrochen und zurückgeworfen werden, um Spannung zu erzeugen. Diese dramaturgische Grundstruktur wird für die Gestaltung narrativ modellierter Situationen in Lernfirmen übernommen. Im Folgenden sollen die dramaturgisch wichtigen Handlungspunkte kurz vorgestellt und unter didaktischen Gesichtspunkten diskutiert werden.

Die Exposition dient der Einführung in die Handlung. In ihr werden die Schauplätze gezeigt und die handelnden Personen sowie deren Beziehungen zueinander vorgestellt. In der Exposition wird mit dem Point of Attack eine zentrale Frage gestellt bzw. ein Problem aufgeworfen. SEGER (2001) stellt fest, dass die zentrale Frage des Point of Attack häufig mit „Ja“ beantwortet wird, also eine positiv formulierte Frage darstellt. Die Lösung des Problems bzw. die Beantwortung der aufgeworfenen Frage erfolgt im Höhepunkt . Der Point of Attack und der Höhepunkt gelten als Anfangs- bzw. Endpunkt der Handlung. Zwischen Anfangs- und Endpunkt verzögern Plot Points die Lösung des Problems. Plot Points werden als “Sinnabschnitte mit klar erkennbaren Grenzen“ (EDER 1999, 105) verstanden. Es kann sich bei der Abgrenzung dieser Sinnabschnitte durchaus um komplexe Ereignisse handeln. EDER definiert: „1. Ein Plot Point ist ein Ereignis (oder Ereigniskomplex) [...] in dem ein Teilziel der Hauptfigur endgültig erreicht oder verfehlt wird und sie ein neues Teilziel auf dem Weg zur Lösung des zentralen Problems ins Auge fasst. 2. Durch dieses Ereignis wird beim Zuschauer eine Makro-Frage zweiter Ordnung (eine, die weniger umfassend ist als die zentrale Frage des Films) beantwortet und eine neue aufgeworfen.“

An der Idee der Plot Points setzt das Konzept der so genannten didaktischen Haltepunkte an (WIRTH 2006a; 2006b). An einem Plot Point schließt die Hauptfigur die Bearbeitung eines Teilziels auf dem Weg zur Lösung des übergeordneten Problems ab. Jedem Plot Point kann nun ein didaktischer Haltepunkt zugeordnet werden. An einem didaktischen Haltepunkt wird der lineare Ablauf der Geschichte unterbrochen. Die Lernenden erhalten die Möglichkeit, authentisches Material aus der Geschichte nachzulesen und einzelne Fragestellungen zu bearbeiten, um die Problemlöseversuche der Hauptfiguren nachzuvollziehen. Indem die Lernenden die Haltepunkte bearbeiten, bauen sie ein mentales Modell auf, das heißt sie entwickeln einen Problemraum. Aus didaktischer Perspektive vermitteln Haltepunkte weitere Informationen über die dargestellten Probleme und beziehen die Lernenden sukzessive in die Modellsituation ein.

Plot Points und mit ihnen auch didaktische Haltepunkte zählen zu den Wendepunkten einer Geschichte. Sie greifen die zentrale Fragestellung des Point of Attack erneut auf und führen in ein neues Umfeld oder eine neue Perspektive ein und bauen so Spannung auf (SEGER 2001). Allerdings können nicht alle spannungsfördernden Maßnahmen für die Modellierung pädagogischer Situationen übernommen werden. Daher werden im Folgenden dramaturgische Maßnahmen zum Aufbau von Spannung dahingehend analysiert, ob sie Lernende beim Aufbau eines adäquaten Problemraums bzw. eines mentalen Modells fördern oder behindern.

4.2  Aufbau problembasierter Spannung

Um Spannung gezielt aufzubauen, sehen dramaturgische Ansätze folgenden Schritte vor (SEGER 2001; PFISTER 2001): Zunächst wird in das Thema eingeleitet. Ein erster Spannungsaufbau erfolgt durch Andeutungen . Bereits sehr früh innerhalb der Geschichte wird ein Hinweis darauf gegeben, dass es ein Problem, bzw. ein Rätsel oder einen Konflikt geben wird. Im weiteren Verlauf der Geschichte werden so lange neue Informationen gegeben, bis das Problem deutlich hervor tritt. Die Lernenden bauen mit diesen Informationen einen Problemraum auf und konkretisieren ihn sukzessive. Anschließend wird das Problem das erste Mal von einer Figur formuliert. Die Spannung wird an dieser Stelle dadurch gehalten, dass ein Antwortversprechen erfolgt, also ein Hinweis darauf, dass es sich um ein lösbares Problem handelt und daher eine Antwort erwartet wird. Die Lernenden erhalten durch das Antwortversprechen eine Bestätigung darüber, dass es (für sie) eine Möglichkeit gibt, das Problem zu lösen.

Anschließend folgt eine dramaturgische Phase, in der die Antwort zur Lösung des Problems durch Plot Points bewusst aufgeschoben wird (Verzögerung der Lösung). Dramaturgisch kann dies dadurch bewirkt werden, dass Nebenhandlungen den Vorrang vor der Haupthandlung erhalten oder dass Lösungsmöglichkeiten blockiert werden. Eine weitere Möglichkeit, um Spannung zu erzeugen, besteht dramaturgisch darin, die Zuschauer zu täuschen oder irrezuführen. Die Zuschauer bilden durch diese spannungsfördernden Maßnahmen ein mentales Modell, dass allerdings in denjenigen Punkten, die die Problemlösung betreffen, fehlerhaft oder unvollständig ist. Die Differenz zwischen fehlerhaftem mentalen Modell und dem Fortgang der Handlung erzeugt dramaturgisch gesehen Spannung.

Aus didaktischer Perspektive sind diese spannungsaufbauenden Maßnahmen jedoch nur bedingt sinnvoll. Um zu vermeiden, dass Lernende ein fehlerhaftes mentales Modell aufbauen, kann die Verzögerung der Problemlösung auch durch problembasierter Maßnahmen erfolgen. Dazu können komplexe Probleme in Teilprobleme zerlegt werden, die von den Figuren in den narrativen Sequenzen gelöst, verfehlt oder verworfen werden ( Teillösungen ). So besteht aus didaktischer Perspektive heraus die Möglichkeit, Spannung aufzubauen bzw. die Problemlöseversuche der Figuren zu verzögern, ohne dass die Lernenden ein fehlerhaftes mentales Modell des Problemraums aufbauen. Im Verlauf der narrativen Sequenz können außerdem unterschiedliche Alternativen zur Lösung erläutert oder gedanklich durchgespielt werden. Dabei ist es durchaus möglich, den problemlösenden Figuren bzw. den Lernenden Risiken und Fehler der einzelnen Annahmen oder Alternativen vor Augen zu führen oder die Auswirkungen bestimmter Handlungen vorweg zu nehmen. Die Figuren in der narrativen Sequenz können verschiedene Perspektiven auf das Problem und auf die Problemlösung repräsentieren oder sogar mehrere mögliche Lösungen diskutieren. Die Zuschauer besitzen dadurch mehr Informationen als die handelnden Figuren. Zum Schluss der dramaturgischen Handlung wird die richtige Lösung enthüllt.

Mit diesen Maßnahmen ist es möglich, Modellsituationen zu inszenieren, die einerseits Spannung erzeugen, aber die Lernenden andererseits nicht dazu verleiten, ein fehlerhaftes mentales Modell aufzubauen. In der Literatur zu Lernfirmen wird insbesondere das Handeln in authentischen Situationen als lernfördernd angesehen. Voraussetzung dafür ist, dass die Lernenden die Perspektive der in der Situation handelnden Figuren übernehmen.

4.3  Übernahme von Rollen

Unter einer Rolle versteht TRAMM (1997, 71) ein „funktional begründetes Bündel von Verhaltensweisen, Verhaltenserwartungen und Verhaltensnormen“. Wie bereits angesprochen, müssen für die Arbeit mit und in Lernfirmen Rollen auf zwei verschiedenen Ebenen modelliert werden. Einerseits nehmen die Lernenden auf der Ebene der Lernsituation die Rolle Schüler ein und interagieren mit der Rolle des Lehrers bzw. des Experten . Andererseits werden die Lernenden in der Lernfirmenarbeit aufgefordert, berufsspezifische Rollen, zum Beispiel Sachbearbeiter , Unternehmensberater , Personal - oder Projektleiter zu übernehmen und innerhalb dieser Rolle Probleme zu lösen und Aufgaben zu bearbeiten. Ziel dieser Modellsituationen ist es, dass die Lernenden die Perspektive der jeweiligen Rolle erkennen, sie übernehmen und in ihr handeln sowie mit anderen didaktisch modellierten Figuren in Modellsituationen interagieren.

Die dargestellten Figuren übernehmen innerhalb der Modellsituationen jeweils spezifische Rollen . Gleichzeitig haben diese Figuren auch didaktische Funktionen innerhalb der jeweiligen Lehr-Lernsituation inne (WIRTH 2006b). Zu einem solchen didaktisch modifizierten Rollenkonzept gehören

•  ein oder mehrere Protagonisten , mit denen sich Lernende identifizieren können und die auftretende Probleme lösen,

•  ein oder mehrere Auftraggeber , deren didaktische Funktion es ist, den Identifikationsfiguren sowohl beim Formulieren und Definieren des Ziels zu helfen als auch beim Erreichen eines Ziels Anerkennung und Feedback zu geben,

•  ein oder mehrere Antagonisten oder Gegenspieler, die Hindernisse und bei der Problemlösung repräsentieren und Konfliktpotenziale in die Handlung einbringen sowie

•  verschiedene Experten als Ansprechpartner , Helfer und Informanten.

Bei der Konstruktion narrativ modellierter Situationen für wirtschaftswissenschaftliche Lerngegenstände gilt es zum Beispiel, Figuren zu entwerfen und zu gestalten, deren Leitidee vom unternehmerischen Denken und Handeln geprägt ist. Dieses Beispiel wird im Folgenden am Modellunternehmen IMPULS-Schuh AG konkretisiert, das im Kontext des Projekts IMPULS EC entstand (WIRTH/ KLAUSER 2004). Das Projekt IMPULS EC (Interdisziplinäres multimediales Programm für universitäre Lehre und selbstorganisiertes Lernen: Electronic Commerce) wurde im Rahmen des Programms „Neue Medien in der Bildung“ im Zeitraum von 2001 bis 2004 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. An dem Projekt waren sechs wirtschaftswissenschaftliche Lehrstühle mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt. Vorrangiges Ziel des Projekts war die Entwicklung, der Einsatz und die Evaluation eines netzbasierten, multimedial umgesetzten Lehrgangs zum Thema Electronic Commerce (E-Commerce) . Im Rahmen dieses Projekts wurde ein virtuelles Modellunternehmen, die IMPULS-Schuh AG konstruiert und in der universitären Lehre eingesetzt. Innerhalb des Unternehmens handeln Subjekte mit unterschiedlichen Perspektiven und Zielen in narrativ modellierten Situationen und lösen Probleme mit Hilfe authentischer Dokumente und Software.


5.  Handlungsbogen generativen Problemlösens – Instrument zur Ausgestaltung narrativer Sequenzen

5.1  Die IMPULS-Schuh AG

Die IMPULS-Schuh AG ist das Modellunternehmen, auf das sich die komplexen Problemstellungen des Lehrgangs zum Thema E-Commerce beziehen. Das Modell ist einem real existierenden Unternehmen mit vergleichbarer Produktpalette, Organisations- und Ablaufstruktur sowie mit vergleichbaren praktischen Aufgabenstellungen nachempfunden und entwickelt sich in Abhängigkeit von der Qualität der Geschäftsprozessgestaltung der Lernenden. Die Modellierung der IMPULS-Schuh AG sowie der zu lösenden Probleme erfolgte auf strategischer und operativer Managementebene. Die IMPULS-Schuh AG besitzt eine eigene Internet-Präsenz (http://www.impuls-schuh.de) und ein Intranet. Geld- und Warenströme werden simuliert. Für die Ausgestaltung der narrativen Sequenzen im Lehrgang E-Commerce wurden folgende Rollen modelliert (vgl. Abb. 1).

Im Modellunternehmen IMPULS-Schuh AG agieren zwei Figuren als Protagonisten stellvertretend für die Lernenden: die Praktikantin Frau Klein und der Projektleiter Herr Meyer. Beide Identifikationsfiguren übernehmen spezifische Rollen innerhalb des Unternehmens, an die die Lernenden auf diese Weise herangeführt werden. Der Projektleiter Herr Meyer betrachtet die auftretenden Probleme aus Sicht des Unternehmens. Sein Status als Projektleiter E-Commerce erfordert es, operative Entscheidungen für alle Fachabteilungen zu treffen. Für die strategischen Entscheidungen des Vorstands stellt er Unternehmensdaten zusammen und präsentiert sie. Die Praktikantin Frau Klein studiert Betriebswirtschaftslehre. Frau Klein besitzt durch ihr Studium ein gewisses Maß an Expertise, allerdings fehlen ihr bisher die unternehmensspezifischen Anwendungsmöglichkeiten des erworbenen Wissens. Gleichzeitig repräsentiert die Praktikantin einen externen, vergleichsweise laienhaften Blick auf das Unternehmen und übernimmt Aufgaben auf operativer Ausführungsebene. Durch Frau Klein erhalten die Lernenden einen Einblick in verschiedene Abteilungen und Aufgabenbereiche des Modellunternehmens. Für die Probleme, die die verschiedenen Manager, Abteilungsleiter sowie der Projektleiter Meyer zu lösen haben, übernimmt Frau Klein vorbereitende Aufgaben.

Für die IMPULS-Schuh AG wurden weiterhin zwei Auftraggeber modelliert: der kaufmännische Geschäftsführer Dr. Schuhmacher und die technische Geschäftsführerin Frau Weber. Im Unternehmen begegnen der Praktikantin sowie den Lernenden verschiedene Abteilungsleiter wie zum Beispiel den Leiter der Abteilung Einkauf mit dem Namen Herr Kaufmann sowie Herr Althans als Leiter der Abteilung Organisation und IT. Von ihnen erhalten Frau Klein und Herr Meyer Informationen und Unterstützung bei der Bewältigung ihrer jeweiligen Aufgaben. Die Unternehmensberaterin Frau Rathmann repräsentiert die Expertin für E-Commerce. Da sie die IMPULS-Schuh AG aus externer Perspektive analysiert und für umfassende Änderungen eintritt, besteht an dieser Stelle ein Konfliktpotenzial, das Planung, Kommunikation und zielorientierte Abstimmung verlangt.

Alle vorgestellten Figuren handeln in der IMPULS-Schuh AG in spezifischen Situationen und stehen vor Problemen, die es zu lösen gilt. Um diese Situationen und Handlungen ausgestalten zu können, sind narrative Sequenzen dramaturgisch zu strukturieren. In Anlehnung an die dramaturgische Handlungsstruktur (vgl. Kapitel 4.1) wurde zur Modellierung narrativer Lernsequenzen ein Handlungsbogen generativen Problemlösens konstruiert, dessen Elemente aus verschiedenen Videosequenzen und Haltepunkten sowie einem Arbeitsauftrag und einer Musterlösung bestehen.

5.1  Videosequenzen und didaktische Haltepunkte

Die komplexe Problemstellung der narrativen Sequenz im Lehrgang E-Commerce besteht aus drei Videosequenzen mit dazu gehörenden Haltepunkten (vgl. Abb. 2 auf der folgenden Seite).

In der ersten Videosequenz zum Einführungskurs E-Commerce ist der Point of Attack erreicht, als Dr. Schuhmacher den Artikel aus der Handelswoche , einer fiktiven Fachzeitschrift, über die Erfolge des konkurrierenden Unternehmens liest: er beschließt zu handeln. Die Problemlöseversuche von Dr. Schuhmacher erstrecken sich zunächst darauf, unternehmensinterne Unterstützung anzufordern, insbesondere den Rat der technischen Geschäftsführerin Frau Weber (1. Plot Point). Durch diese Verzögerung wird Spannung aufgebaut. Am Haltepunkt der ersten Videosequenz ist es den Lernenden möglich, den Artikel aus der Handelswoche nachzulesen. Sie erhalten damit einen Einblick in die Problemlage und können die Entscheidung des Geschäftsführers individuell nachvollziehen.

Im zweiten Teil der Videosequenzen stellt Dr. Schuhmacher zusammen mit dem Vorstand des Unternehmens fest, dass Unterstützung durch die Unternehmensberaterin Frau Rathmann notwendig wird. Der Unternehmensvorstand entscheidet, E-Commerce im Unternehmen einzuführen. Ein gemeinsames Gespräch zwischen Vorstand und Unternehmensberaterin führt dazu, auch intern einen Verantwortlichen zu benennen (2. Plot Point). In diesem Gespräch deutet die Unternehmensberaterin an, dass es für das Problem zwar eine Lösung gibt, diese jedoch nicht leicht zu erreichen sein wird. An dieser Stelle wird Spannung dadurch aufgebaut, dass einerseits ein Antwortversprechen gegeben wird, andererseits aber die Antwort in die Ferne rückt. Der Vorstand wählt Herrn Meyer als Verantwortlichen für das Projekt E-Commerce. Ein zweiter Haltepunkt stellt den Lernenden die Unterlagen der Unternehmensberaterin zur Verfügung, in denen die Lernenden die Einschätzung nachvollziehen können.

 

Im weiteren Verlauf der Handlung macht Frau Weber Herrn Meyer mit seiner ersten Arbeitsaufgabe als Projektleiter bekannt. Durch das filmtechnische Mittel einer subjektiven Kameraführung wird die Identifikationsfigur Herr Meyer eingeführt. Eine subjektive Perspektive zielt darauf ab, dass sich der Zuschauer mit derjenigen Figur identifiziert, aus dessen Blickwinkel gefilmt wird (SEGER 2001). Die Lernenden übernehmen im wörtlichen und übertragenen Sinn den Blickwinkel der Identifikationsfigur. Die den Lernenden bereits bekannte Situation wird von Frau Weber zusammengefasst und mit Konsequenzen versehen: Herr Meyer und mit ihm die Lernenden erhalten den ersten Arbeitsauftrag (3. Plot Point). Herr Meyer soll sich über Einsatzmöglichkeiten von E-Commerce informieren und seine Rechercheergebnisse auf der folgenden Vorstandssitzung präsentieren. Ein dritter Haltepunkt besteht in den Notizen, die sich Herr Meyer während des Gesprächs gemacht hat. Spannung wird an dieser Stelle aufgebaut, indem ein neuer Begriff (E-Business) eingeführt und in Bezug zum Begriff des E-Commerce gesetzt wird, das heißt das Problem wird in Teilprobleme aufgeteilt und es werden Alternativen angedeutet.

An dieser Stelle enden die Videosequenzen der komplexen Problemstellung. Dennoch handelt es sich nicht um die endgültige Auflösung des Problems, also den dramaturgischen Höhepunkt, sondern um einen weiteren Plot Point. Den Lernenden stellt sich die Frage, ob es der Impuls-Schuh AG durch die Zusammenarbeit von Frau Rathmann und Herrn Meyer möglich sein wird, ebensolche Erfolge wie das konkurrierende Unternehmen zu erzielen. Eine Fortführung der Geschichte setzt allerdings die aktive Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lernsequenzen voraus. Um die Geschichte fortzuführen, müssen die Lernenden allein oder in Gruppen aktiv werden. Dazu erhalten die Lernenden einen Arbeitsauftrag , der sie anregt, die handelnden Figuren zu unterstützen und ihnen bei der Problemlösung zu helfen.

5.2  Arbeitsauftrag

Im Arbeitsauftrag formuliert der Autor bzw. der Lehrende das Ziel und die der komplexen Problemstellung zugrunde liegende Intention mit Bezug auf einzelne Phasen des Problemlöseprozesses. Ergebnis des Problemlöseprozesses ist ein konkretes „Produkt“, also eine technische Anpassung oder Softwarelösung, ein Curriculum für eine Mitarbeiterschulung oder ein betriebswirtschaftliches Konzept. Bei den erstellten Produkten handelt es sich jeweils um eine von mehreren Problemlösungen, deren Lösungsweg von den beteiligten Lernenden abhängt.

Die Lernenden werden im Arbeitsauftrag aufgefordert, die handelnden Personen im modellierten Unternehmen beim Lösen ihrer Probleme zu unterstützen. Zur Aufforderung gehören nach BIBER und WITTWER (1994) ein zur Handlung aktivierendes Verb, der Gegenstand der Handlung sowie die Bedingungen bzw. Zielsetzungen der Handlung. Der Arbeitsauftrag enthält diejenigen Instrumente zur Problemlösung, die in der szenischen Darstellung nicht bzw. nicht ausreichend dargestellt wurden.

Im Einführungskurs des Lehrgangs E-Commerce werden die Lernenden im Arbeitsauftrag auf das Ergebnis der Problemlösung hingewiesen. Darüber hinaus erhalten die Lernenden Hinweise darauf, welchen Umfang ihr Ergebnis haben sollte sowie auf entsprechende Referenzmodelle. Im Arbeitsauftrag sind die einzelnen Schritte zur Bearbeitung der komplexen Problemstellung explizit anzusprechen. Mit Bezug auf die Problemstruktur können Autoren den Lernenden in diesem Element Hinweise auf Vernetztheit und Komplexität der Variablen sowie deren Dynamik geben. Weiterhin ist es möglich, den Lernenden aus dem Problemkontext Auskünfte auf intransparente Variablen, verschiedenartige und gegenläufige Ziele sowie deren Offenheit zu geben. Neben Angaben zur Wahrnehmung der Differenz zwischen Anfangs- und Zielzustand kann der Arbeitsauftrag mögliche Hindernisse und Randbedingungen auf dem Weg zum Ziel, die geeignete Abfolge von Operationen und Maßnahmen sowie entsprechende Problemlösemethoden enthalten. Neben Hinweisen auf allgemeine Problemlösemethoden finden sich im Arbeitsauftrag Angaben zu problem- bzw. fachspezifischen Dokumenten und Instrumenten. Die Formulierungen des Arbeitsauftrags sind mit konkreten Anweisungen für die individuelle Lernsituation verbunden und beziehen sich auf die in der Videosequenz gezeigte Anwendungssituation, in der die Identifikationsfigur des Modellunternehmens das Problem bearbeitet. Dieser Bezug sollte sich auch in den Formulierungen widerspiegeln. Schließlich kann der Arbeitsauftrag Hinweise auf grundlegende allgemeine sowie fachspezifische Methoden, Modelle und Konzepte aufweisen.

Mit dem Arbeitsauftrag erstellen die Lernenden für Herrn Meyer den Bericht, den dieser auf der Vorstandssitzung halten soll. Die Informationen, die die Lernenden für die Erstellung des Reports benötigen, erhalten sie in den folgenden Lernsequenzen. Die Lernsequenzen sind ebenso wie die bereit gestellten Instrumente Komponenten der Lernumgebung bzw. der jeweiligen Lernsituation. Erst wenn die Lernenden die Lernsequenzen bearbeitet haben, wird die Geschichte als Musterlösung fortgesetzt.

5.3 Musterlösung

Die Lernenden können sich als Musterlösung eine Videosequenz ansehen, in der die Hauptfigur der Geschichte das komplexe Problem löst. Ein Kennzeichen komplexer Probleme besteht darin, dass für die Lösung nicht nur eine richtige Möglichkeit existiert. Statt dessen gibt es verschiedene Alternativen, die jeweils in unterschiedlichem Maß akzeptiert werden (vgl. VOSS 1990; FRENSCH/ FUNKE 1995; FUNKE 2003). Kriterium für eine „gute“ Lösung ist demnach das Maß, in dem die Lösung allgemein bzw. im Expertenkreis als angemessen anerkannt wird. Die Lernenden erhalten mit der Musterlösung einen Einblick darin, wie die im Modellunternehmen handelnden Experten das Problem analysieren und bearbeiten.

Im Einführungskurs zum Lehrgang E-Commerce können die Lernenden sich den Vortrag auf Video ansehen, den Herr Meyer vor der nächsten Vorstandssitzung hält. Gleichzeitig erhalten sie die Unterlagen und Ergebnisse der von Herrn Meyer erarbeiteten Lösung. Die in der Musterlösung vorgestellte Lösung umfasst sowohl die Ergebnisse der Problemlösung als auch die Darstellung des Lösungsprozesses, der zu diesen Ergebnissen geführt hat. Die Lernenden sind aufgefordert, ihren eigenen Lösungsvorschlag mit der Musterlösung zu vergleichen und Alternativen zu diskutieren. Mit der in der Musterlösung dargestellten Anwendungssituation werden die Lernenden in der individuellen Lernsituation angeregt, ihre eigene Lösung zu reflektieren und kritisch zu bewerten. Der Vergleich mit der vorgegebenen Musterlösung kann bei den Lernenden Prozesse der Systematisierung und Reflexion unterstützen.


6.  Ausblick

Abschließend kann festgehalten werden, dass Konzepte der Dramaturgie und Literaturwissenschaft grundsätzlich zum Strukturieren und narrativen Ausgestalten pädagogisch akzentuierter Situationen in Lernfirmen sowie zum Aufbau problembasierter Spannung herangezogen werden können. Allerdings müssen sie aus einer didaktischen Perspektive kritisch hinterfragt und modifiziert werden.

Zwar werden narrative Ansätze in der Pädagogik bereits genutzt, eine systematische Aufarbeitung über deren Einsatz fand allerdings bisher nicht statt. Bei einer Analyse der in der (wirtschafts-)pädagogischen Forschungsliteratur und Praxis gängigen Ansätze konnten drei verschiedene Erzählformate unterschieden werden. Kriterien für die Einteilung waren einerseits das Vorhandensein einer vermittelnden Kommunikationsebene und andererseits Stellung und Funktion innerhalb des Lehr-Lernprozesses. Als hilfreich für Auswahl und Einsatz eines spezifischen Erzählformats erwies sich die Einteilung didaktischer Situationen in Lernsituation und Modellsituation.

Für die narrative Ausgestaltung von Modellsituationen wurde auf Grundlage dramaturgischer Konzepte ein Handlungsbogen entwickelt. Mit dem vorgestellten Handlungsbogen generativen Problemlösens wird Lehrern und Autoren computergestützter Lernumgebungen ein Instrument für die Ausgestaltung narrativ modellierter Situationen in Lernfirmen an die Hand gegeben. Der Handlungsbogen stützt sich auf eine dramaturgische Strukturierung einzelner Szenen, um sie zu Sequenzen zusammenzusetzen. Abfolge und Aufbau der Szenen sowie der Aufbau von Spannung folgen pädagogischen Kriterien problembasierten Lernens.

 

Literatur

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