wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

Schrift vergrößern Schrift zurücksetzen Schrift verkleinern download pdf-file pdf 150kb | www.bwpat.de

 
 
 

 

 bwp@ Ausgabe Nr. 12 | Juni 2007
Qualifizierung von Berufs- und Wirtschaftspädagogen zwischen Professionalisierung und Polyvalenz

Die Kollegiale Evaluation (KoEv) – Ein Instrument zur Entwicklung der Reflexionsfähigkeit von Referendaren


 

 


1.  Die Kollegiale Evaluation (KoEv) in der Praxis

Skepsis begleitete die Implementierung der Kollegialen Evaluation (KoEv) in die Praxis der bremischen Lehrerausbildung. Eine Skepsis, die unter den Fachleitern des Landesinstituts für Schule (LIS) bis heute anhält, allerdings zunehmend durchsetzt wird von optimistischen und begeisterten Stimmen jener Mitarbeiter des LIS, die die Kollegiale Evaluation (KoEv) kennen und schätzen gelernt haben. Dabei ist die Skepsis keinesfalls einer Unkenntnis geschuldet, die sich weigert die Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr gibt es durchaus Punkte, die es notwendig erscheinen lassen, den Einsatz der Kollegialen Evaluation (KoEv) nicht unbedacht und übereilt vorzunehmen. Diese Punkte sollen im Folgenden zunächst beschrieben werden. Danach werden wir auf jene Aspekte eingehen, die nach den bisherigen Erfahrungen die Durchführung der Kollegialen Evaluation (KoEv) als besonders lohnend erscheinen lassen.

Die ersten, die sich skeptisch gegenüber der Kollegialen Evaluation (KoEv) äußerten, waren die im Focus dieses Verfahren stehenden Referendare der „ersten Stunde“. Sie äußerten ihre Befürchtungen insbesondere in zwei Richtungen: Zum einen hatten sie Bedenken, ob die Qualifikation der Fachleiter für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens ausreichend sei. Zum anderen befürchteten sie klassisches, d. h. hierarchisches Fachleiterverhalten in einem auf Gleichrangigkeit der Beteiligten angelegten Verfahren.

Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass die Qualifikation der Fachleiter eine entscheidende Gelingensbedingung für die Kollegiale Evaluation ist. Nach unseren bisherigen Erfahrungen benötigen die Teilnehmer etwa zehn Sitzungen, bis sie das Verfahren so beherrschen, dass seine Elemente ohne Hilfe „von außen“ angemessen eingesetzt werden. Mindestens bis dahin müssen die Fachleiter gewährleisten, dass das Verfahren der Kollegialen Evaluation (KoEv) angemessen angewendet wird.

Bei der Durchführung der Kollegialen Evaluation (KoEv) geht es allerdings nicht nur darum, Verfahrensregeln zu kennen und Gesprächstechniken zu beherrschen. Voraussetzung hierzu ist vielmehr, dass alle Beteiligten vor dem Hintergrund eines Menschenbildes operieren, das dem der Humanistischen Psychologie entspricht. Denn es geht nicht um eine mechanistische Anwendung von Regeln, sondern um eine Haltung der Teilnehmer, zu der diese über die Regelanwendung hinfinden (und die sie in ihren pädagogischen Alltag transferieren).

Nach unseren Erfahrungen wird das Verfahren der Kollegialen Evaluation (KoEv) am Anfang von neuen Teilnehmern geradezu als rigide empfunden. Im Laufe der Zeit setzt diesbezüglich nicht nur eine Gewöhnung ein sondern sich auch die Auffassung mehr und mehr durch, dass es gerade die Rigidität der ausgefeilten Regeln ist, die die befürchteten „Übergriffe“ von Fachleitern, aber auch von („profilierungssüchtigen“) Mit-Referendaren verhindern hilft.

Es ist das ausgefeilte Regelwerk, das, neben dem zugrunde liegenden Menschenbild, den Hauptunterschied der Kollegialen Evaluation (KoEv) zur Gruppenhospitation alter Prägung deutlich werden lässt. Die Vorbehalte von Fachleitern, die Gruppenhospitationen als ineffizient und ineffektiv kennen gelernt hatten, bestätigten sich bei der Durchführung der Kollegialen Evaluation (KoEv) nicht.

Es stellt sich die Frage, welchen Gewinn der Einsatz der Kollegialen Evaluation (KoEv) der Lehrerausbildung bringt. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen liegt der Wert dieses Instruments insbesondere in einer Steigerung der Reflexionsfähigkeit der Referendare. Dieses lässt sich in zweierlei Hinsicht feststellen: für die hospitierte Person selbst und für die als Berater fungierenden Referendare. Die hospitierte Person erfährt am eigenen Leibe die Bedingungen einer wertschätzenden Beratung, die beratenden Referendare vollziehen einen systematischen Perspektivwechsel, der in anderen Formen der Ausbildung (Einzelhospitation, Seminar) nicht oder weniger leicht möglich ist.

Bei der Implementierung der Kollegialen Evaluation (KoEv) in der bremischen Lehrerausbildung wurden zwei für das Verfahren bedeutsame Gesichtspunkte virulent:

•  Die organisatorische Umsetzung der Kollegialen Evaluation (KoEv)

•  Die Beteiligung und Qualifizierung der Fachleiter

Legt man eine optimale Gruppengröße von vier bis maximal sieben Referendaren zugrunde und geht man davon aus, dass die beteiligten Referendare je zwei bis drei Mal im Laufe der Ausbildung (In Bremen wird die Dauer des Referendariats vom 01.05.2008 an von zwei auf eineinhalb Jahre verkürzt.) als hospitierte Personen agieren sollen, ergeben sich rechnerisch acht bis zwölf bzw. vierzehn bis einundzwanzig Termine für eine Gruppe. Zu jedem Termin sollten alle Referendare der Gruppe anwesend sein können. Es ist offensichtlich, dass sich diese Anzahl an Hospitationsterminen für die Kollegiale Evaluation (KoEv) nicht mehr oder kaum durch eine individuelle Terminfestlegung, sondern nur durch eine generelle Regelung zwischen allen Beteiligten realisieren lässt. Diese generelle Regelung, an der Schulen, Referendare und Studienseminar beteiligt sind, beinhaltet beispielsweise folgende Elemente:

•  Die Kollegiale Evaluation (KoEv) findet an einem festen Wochentag statt.

•  Die Referendare werden an diesem Tag von ihrer Schule aus der Unterrichtsversorgung herausgenommen.

•  Gleichzeitig ermöglichen die Schulen ihren Referendaren zwei bis drei Mal im Laufe der Ausbildung an dem besagten Wochentag die Übernahme einer Unterrichtsstunde in einer Schulklasse, die den Referendaren nach Möglichkeit bekannt sein sollte.

Diese nicht gerade geringen organisatorischen Anforderungen an die Kollegiale Evaluation (KoEv) führten u. a. dazu, dass die bei der Novellierung der bremischen Lehrerausbildungsverordnung ursprünglich angedachte Verpflichtung zur Durchführung von „Gruppenhospitationen“ einer entsprechenden Kann-Bestimmung gewichen ist. (Vgl. § 4 der Lehrerausbildungsverordnung vom 28.02.2006 ) Aktuell wird die Kollegiale Evaluation (KoEv) im Landesinstitut für Schule lediglich im Hauptseminar für die beruflichen Fachrichtungen systematisch als Ausbildungselement (Während einer zweijährigen Ausbildung absolvieren die Referendare in Bremen durchschnittlich 2 bis 3 KoEv in der Rolle der hospitierten Person, 6 bis 12 KoEv in der Rolle als Berater, 7 bis 8 Einzelhospitationen durch Fachleiter, 11 bis 12 Einzelhospitationen durch Mentoren in den Schulen. ) eingesetzt (nicht zuletzt auch deshalb, weil der BLK-Modellversuch SOLAB in diesem Ausbildungssegment angesiedelt war). Um die Kollegiale Evaluation (KoEv) überhaupt erst einmal in den beteiligten Schulen „an den Start“ zu bringen, wurden diesen das Verfahren und seine Zielsetzung vorgestellt und die Schulen um ihre Unterstützung für die organisatorische Umsetzung gebeten. Als Türöffner erwies sich dabei der Umstand, dass in den Berufsbildenden Schulen in Bremen zu diesem Zeitpunkt der Personal- und Unterrichtsentwicklung schon hoher Stellenwert beigemessen wurde und sich mit der Kollegialen Evaluation (KoEv) die Möglichkeit auftat, im Lehrerkollegium die gemeinsame Unterrichtsentwicklung zu fördern.

Im Landesinstitut für Schule absolvieren insgesamt 450 Referendare für alle Lehrämter ihr Referendariat. Im Hauptseminar für die beruflichen Fachrichtungen werden durchschnittlich etwa 80 Referendare ausgebildet. Bisher findet nur dort eine Ausbildung statt, die die Kollegiale Evaluation (KoEv) als systematisches Element enthält. Gemessen daran ist dieses Verfahren noch nicht sehr verbreitet. Doch das ist nur die eine Sicht. Für viel entscheidender halten wir die Tatsache, dass alle an der Kollegialen Evaluation (KoEv) beteiligten Fachleiter dieses Verfahren aus Überzeugung anwenden. Es ist uns wichtig, dass die Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme an der Kollegialen Evaluation (KoEv) bei den Ausbildern verbleibt. Die Fortbildungen für die Fachleiter sind so angelegt, dass die mit dem Instrument vertrauten Kollegen ihr Wissen und ihre Erfahrungen auf eine Art und Weise weitergeben, die ausreichende Freiheitsgrade für die Auseinandersetzung mit den Vorgehensweisen und Gestaltungsprinzipien gewährleisten. So finden die Grundvoraussetzungen eines jeden pädagogischen Prozesses, der Respekt vor der Autonomie, Rationalität, Reflexivität und Kommunikativität, auch im Diskurs unter Fachleiterkollegen explizite Berücksichtigung

2.  Das Verfahren der Kollegialen Evaluation (KoEv)

Die Kollegiale Evaluation (KoEv) ist nicht einfach nur eine Methodensammlung, die (mehr oder weniger eklektisch) zusammengetragen und in den Kontext von Unterrichtsnachbesprechung eingebettet wurde, sondern sie fußt auf einer methodologisch und theoretisch stimmigen Konzeption. Um dies zu verdeutlichen, werden wir zunächst die theoretischen Grundlagen dieses Beratungsmodells skizzieren, bevor wir das Instrument der Kollegialen Evaluation (KoEv) darstellen. Wir werden eine kurze Erörterung des Zusammenhangs von Theorie und Methode vornehmen, anschließend unser Verständnis vom zu behandelnden pädagogischen 'Gegenstand' explizieren und dann die daraus resultierenden konzeptionellen und methodischen Konsequenzen für Beratung und Unterrichtsnachbesprechung im Rahmen kollegialer Evaluation erläutern.

2.1  Menschenbildannahmen

(Wissenschaftliche) Theorien entstehen niemals auf einer tabula rasa, sondern sind immer das Produkt von Voraussetzungen, die in den Prozess der Theoriebildung eingeflossen sind. Einen (Forschungs-)Gegenstand ohne vorheriges Verständnis von ihm zu beobachten, ist also unmöglich. Jeweils abhängig von der Beobachtungs- (bei konkreten Entitäten) bzw. Rekonstruktionsmethode (bei abstrakten Konstrukten) findet eine spezifische Konstituierung des betrachteten Gegenstandes statt, ebenso, wie aus einem bestimmten Gegenstandsverständnis dem entsprechende Beobachtungsmethoden folgen. Diese wissenschaftstheoretische Prämisse muss auch auf pädagogische Technologien übertragen werden: Die Wahrscheinlichkeit, dass (professionelles) Handeln zum erwünschten Ziel führt, ist demnach dann groß, wenn Handlungsgegenstand und Methode in ihren (ggf. nur impliziten) Wertbezügen übereinstimmen. Letztlich bedeutet dies, dass die Methode dem Gegenstand nachzuordnen ist, also Vorgehensweisen zur Beobachtung oder zur Gestaltung immer am Gegenstandsverständnis auszurichten sind. Eine solche Priorisierung zeichnet sog. quasiparadigmatische Forschungsprogramme (vgl. HERRMANN 1976, 29 ff.) aus.

Gegenstand der Pädagogik ist der Mensch, daher sprechen wir von Menschenbildannahmen anstatt von Gegenstandsverständnissen. In dem unseren Überlegungen zugrunde liegenden Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST) wird der Mensch als handelndes Subjekt 'modelliert', d.h. als Persönlichkeit, die stets auf der Basis ihrer eigenen Intentionen, Überlegungen, Planungen, Sinngebungen etc. Handlungen ausführt. Der Mensch wird als aktiver Konstrukteur seiner eigenen Kognitionen konzipiert, womit ihm die Potenziale zugeschrieben werden, sich mit allen seinen Erlebnissen und Erfahrungen rational und reflexiv auseinandersetzen sowie für sein Handeln Verantwortung übernehmen zu können. Seine Gedanken, Ideen, Erlebnisse, Gefühle etc. speichert er nicht wahllos, sondern in Strukturen, die einer persönlichen (ggf. nur impliziten) Logik bzw. Argumentation folgen. Da dem Menschen zudem potenzielle Kommunikationsfähigkeit unterstellt wird, können sie als sog. Subjektive Theorien rekonstruiert werden.

Fasst man den Menschen als Subjektiven Theoretiker auf, dann wird er als Experte seiner selbst begriffen und als Forscher (vgl. KELLY 1955, GROEBEN 1988, 19), der für sein eigenes Leben sowie ihn beschäftigende Fragen seine Potenziale der Rationalität, Reflexivität, Kommunikativität und Autonomie ausnutzt. Es wird ihm aber durchaus auch zugestanden, dass er nicht zu jedem Zeitpunkt seine Potenziale optimal realisiert, also diesbezüglich Entwicklungsbedarf hat und dementsprechend zu fördern ist.

Subjektive Theorien fundieren das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen. Insofern ist davon auszugehen, dass zwischen ihrer Güte und der Wirksamkeit des daraus resultierenden Handelns ein enger Zusammenhang besteht. Je stimmiger, d.h. rationaler die Subjektiven Theorien eines Menschen sind, desto erfolgreicher sind seine Handlungen. Unausgereifte oder logisch inkonsistente Subjektive Theorien führen zu widersprüchlichem Agieren und zu Ineffektivität.

Dieses nur scheinbar triviale Postulat hat bedeutsame Konsequenzen für die Gestaltung von Bildungsprozessen, denn ihm ist die Annahme inne, dass nicht mehr nur das beobachtbare Verhalten beispielsweise eines Lehreranwärters, sondern auch seine persönlichen Sichtweisen Berücksichtigung in der Ausbildung finden müssen. Einen Referendar als Subjektiven Theoretiker zu begreifen bedeutet demnach, in ihm ein Individuum zu sehen, das in einem ständigen, selbstgesteuerten Prozess von Anwendung, Umkonstruktion und Weiterentwicklung seines eigenen subjektiven Wissens steht. Die pädagogische Intervention des Fachleiters muss dann nicht primär auf eine gewünschte Verhaltensänderung seines Schützlings abzielen, sondern darauf, dass dieser selbst seine Subjektiven Theorien autonom umkonstruiert – in der Hoffnung (!) auf eine dem folgende Handlungsmodifikation.

2.2  Methodische Konsequenzen

Das Forschungsprogramm Subjektive Theorien ist keine wertneutrale Theorie, sondern mit ihm wird das in vielen wissenschaftlichen Theorien geforderte Werturteilsfreiheitspostulat bewusst aufgegeben (GROEBEN 1988, 222). Mit den o.g. anthropologischen Kernannahmen wird nicht nur der Mensch als Subjekt beschrieben, sondern es wird im FST darüber hinaus ausdrücklich eine Präskription vorgenommen, wonach jegliches psychologisches oder pädagogisches Handeln dazu dienen muss, dem Zielsubjekt der Intervention zu größtmöglicher Ausschöpfung ihrer Potenziale und damit, daraus resultierend, zu größtmöglicher Tragfähigkeit seiner Subjektiven Theorien zu verhelfen. Es handelt sich bei dieser Forderung nicht um eine aus der Theorie abgeleitete nomopragmatische Regel, sondern um die explizit postulierte Präferenz, in psychologischen und pädagogischen Situationen stets so zu handeln, dass bspw. im Ausbildungsprozess keine Kommunikativität, Reflexivität, Rationalität und Autonomie der auszubildenden Person 'verschenkt' wird.

Lehrerausbildung, die diesen Wert- und Zielsetzungen gerecht wird, unterscheidet sich damit qualitativ vom aktuellen Mainstream, denn die Befähigung der Kandidaten zu einem reflexiven und die Rationalität steigernden Umgang mit der eigenen Berufspraxis hat nun zentralen Stellenwert. Damit wird der Focus der Ausbildung nicht lediglich auf standardisierbares (von außen beobachtbares) Verhalten, sondern auf das Handeln des Kandidaten gerichtet (das nur im Dialogkonsens mit ihm rekonstruiert werden kann; vgl. NEVELING 2007, 133 ff.). Im Vertrauen darauf, dass er selbst bestrebt ist, ein 'guter' Lehrer zu werden, gilt es, ein pädagogisches Setting zu schaffen, in dem die Entwicklung professioneller Handlungskompetenz durch Modifikation Subjektiver Theorien stattfindet. Dies ist ein Prozess, der nur autonom vom lernenden Subjekt bewerkstelligt werden kann.

In Ausbildung befindliche Lehreranwärter können dem entsprechend als Forscher für pädagogisches Handeln begriffen werden. Ihre Kommilitonen oder Mitreferendare sind quasi Forscher-Kollegen, mit denen zusammen sie sich in einem Forum zur Rekonstruktion und Weiterentwicklung ihrer Subjektiven Theorien befinden. Entsprechend der sog. scientific community zur Weiterentwicklung wissenschaftlicher Theorien im Wissenschaftsbetrieb können Lehreranwärter in einer sowohl wertschätzend-respektvollen als auch gleichzeitig kritisch-hinterfragenden Atmosphäre ihre persönlichen Sichtweisen in kollegialen Unterstützungsgruppen zur Diskussion stellen, auf empirischen Gehalt überprüfen, ggf. verändern und so ihren Subjektiven Theorien zunehmend mehr Realitätsadäquanz verleihen.

Für den Fachleiter geht daraus die Ausbildungsaufgabe hervor, den Forschungsprozess seiner Referendare zu fördern und zu stützen, nicht aber, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Bei inhaltlichen Fragen steht er ihnen zur Verfügung, er vermittelt Wissen wie beispielsweise das theoretische Fundament des FST (nicht zuletzt auch, um Plausibilität und Transparenz für sein eigenes Handeln zu schaffen) sowie die dazu stimmigen Hilfsmittel, Methoden und Vorgehensweisen, er leistet Unterstützung in metakommunikativen Prozessen und ist Modell für (den zugrunde liegenden Theorien entsprechendes) Handeln in pädagogischen Situationen. Die Anwärter erhalten durch ihn Grundlagen und Instrumente, um ihren eigenen Forschungsprozess beschreiben, erklären und gestalten zu können.

Die eigentliche Entwicklung zu handlungsfähigen Lehrern können die Anwärter den Menschenbildannahmen des FST entsprechend allerdings nur eigenverantwortlich vollziehen. Kooperativen Lernformen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, denn sie ermöglichen Veränderungen, die Dynamisierungsprozesse in Gang setzen: Lernarrangements können so gestaltet sein, dass die in kollegialer Unterstützung erzielten Lernergebnisse ihrerseits dazu beitragen, weitere Lernergebnisse leichter zu erreichen. Dieser Effekt, der immer dann zum tragen kommen kann, wenn Lerninhalt und Lernform identisch sind (vgl. den "pädagogischen Doppeldecker" von GEISSLER 1985), soll durch das Verfahren der Kollegialen Evaluation (KoEv) für die Lehrerausbildung genutzt werden.

Dynamisierung von Lernen heißt aus der Perspektive des Referendars betrachtet, dass er sich zu einem handlungsfähigen Lehrer entwickelt, indem er zur Reflexion seiner subjektiven Theorien genau diese auf sich anwendet. Durch die so gemachten Erfahrungen verhilft ihm seine eigene (anwachsende) Rationalität in einem dynamisierenden Prozess dazu, zu immer kompetenterem Handeln zu gelangen. Er lernt sowohl durch die Reflexion des eigenen Lehrerhandelns als auch durch die Reflexion des eigenen Lernens. Der Lehramtsanwärter ist sich selbst eine stets verfügbare empirische Datenquelle für die Erforschung von Lernen und dessen, was zur Gestaltung erfolgreicher Lernprozesse notwendig ist. Er lernt nicht nur durch die Reflexion des eigenen Handelns, sondern auch durch die Reflexion des eigenen Lernens (vgl. NEVELING 2007, 120).

Im Rahmen des FST werden die Modifikation Subjektiver Theorien und die Gelingensbedingungen, die dies ermöglichen, in einem sehr engen Zusammenhang gesehen (vgl. SCHLEE 1988, 292 ff.). Da Subjektive Theorien quasi einen Teil der Persönlichkeit ausmachen, also als Bestandteil der Identität begriffen werden, geht man davon aus, dass ein Subjekt Veränderungen seiner Subjektiven Theorien nicht zufällig, planlos oder bedingungslos vornimmt, sondern nur, wenn es an die Grenzen ihrer Brauchbarkeit durch die Konfrontation mit der Realität oder mit anderen Sichtweisen stößt. Da jedoch die Subjektiven Theorien seinem Anwender Orientierung und Sicherheit geben, ist auch davon auszugehen, dass ein Subjekt an ihnen so lange festhält, wie es irgendwie zu rechtfertigen ist (entsprechende Analoga im Wissenschaftsbetrieb haben KUHN bezogen auf die Verdrängung von Theorien und LAKATOS unter dem Prädikat des geläuterten Falsifikationismus beschrieben; vgl. STEGMÜLLER 1985, 281 ff.).

Es bedarf also angemessener Gelingensbedingungen, damit ein Mensch seine eigenen Subjektiven Theorien modifiziert. Sind hierzu zwar einerseits Konfrontationen notwendig, so zeigt andererseits die Erfahrung, dass gerade Konfrontationen Menschen verunsichern und sie an dem festhalten lassen, was ihnen Sicherheit und Identität verspricht, nämlich ihre bisher als gültig angesehenen Sichtweisen bzw. Subjektiven Theorien! Es entspricht der Logik unserer Psyche, um so mehr an dem festzuhalten, das uns vertraut und sicher erscheint, je stärker wir uns durch äußere Anlässe verunsichert fühlen. Daher müssen pädagogisch motivierte Konfrontationen einerseits angemessen sein und andererseits auf einem zuvor geschaffenen (und in jedem Gespräch erneut gelegten) Fundament psychischer Sicherheit und persönlichen Vertrauens aufbauen.

Für die Gestaltung eines Beratungsgesprächs ergeben sich daraus – unter der Prämisse, dass hiermit auf die Modifikation Subjektiver Theorien abgezielt wird – zumindest die folgenden Zielsetzungen:

2.3  Praktische Umsetzung der Beratungsgrundsätze in der Kollegialen Evaluation (KoEv)

Wir möchten im Folgenden dem Leser einen groben Überblick über Aufbau und Ablauf einer kollegialen Unterstützungsgruppensitzung vermitteln, in der die Kollegiale Evaluation (KoEv) zum Einsatz kommt. In diesem Verfahren sind die o.g. grundsätzlichen Überlegungen zur Gestaltung von Beratung berücksichtigt. In dieser Darstellung werden wir zunächst das Setting sowie die metakommunikative Struktur erläutern, anschließend werden wir den Ablauf einer Beratungssitzung sowie einzelne Methoden exemplarisch darstellen. Wir schließen mit Überlegungen zur Einbettung dieses Instruments in bestehende Lehrerausbildungskonzeptionen.

2.3.1 Setting und Metakommunikative Struktur einer KoEv-Sitzung

Mit der Größe einer KoEv-Gruppe konnten wir in den vergangenen Jahren vielfältige Erfahrungen sammeln. Im Bremer Landesinstitut konstituieren sich die kollegialen Unterstützungsgruppen zu 4-5 Referendaren, bei Hospitationen in Niedersachsen und Hamburg haben nicht selten 8-10 oder sogar mehr Personen an einer KoEv-Sitzung teilgenommen. Je größer eine Arbeitsgruppe ist, desto zeitaufwändiger sind die Nachbesprechungen und desto größer ist die kommunikative Disziplin, die die Beteiligten aufbringen müssen. Große Gruppen haben allerdings den Vorteil, dass eine erheblich größere Bandbreite von Sichtweisen und Einschätzungen thematisiert wird.

Durchschnittlich dauert eine KoEv-Sitzung 60-75 Minuten. Dieser Zeitumfang kann bei großen Gruppen jedoch zu knapp bemessen sein, da erfahrungsgemäß mit der Zahl der Teilnehmer auch die Zahl der Gesprächsbeiträge zunimmt.

Das Verfahren ist inhaltlich und prozessual eindeutig strukturiert und durch Regeln abgesichert. Um kommunikative Verunsicherungen, Irritationen oder gar Verletzungen (vor allem bei der hospitierten Person) zu vermeiden, müssen die Teilnehmer feste Vorgaben während der Unterrichtsnachbesprechung einhalten. So ist es beispielsweise nur nach Absprache und auch nur in vorgegebenen Beratungsabschnitten erlaubt, Fragen, Ratschläge oder andere Interventionen einzubringen. Metakommunikativ werden durch Ritualisierungen von Ablauf oder Fragestellungen, durch Visualisierungshilfen wie ein Beratungsplan oder ein Prozessanzeiger sowie durch feste Aufgaben- und Funktionszuordnungen während jeder Sitzung Bedingungen geschaffen, dass einerseits die Beratungsstruktur transparent eingehalten bleibt und dass andererseits fehlerhafte Grenzüberschreitungen sofort korrigiert werden können.

Insbesondere die zu Beginn einer jeden Nachbesprechung vorgenommenen Aufgabenzuordnungen haben sich als ein zuverlässiges Hilfsmittel zur kommunikationspsychologischen Absicherung des Verfahrens bewährt. Sie wurden bereits in der von SCHLEE ( vgl. SCHLEE 2004) entwickelten Kollegialen Beratung und Supervision (KoBeSu) über viele Jahre erprobt und mussten nur den Erfordernissen der kollegialen Evaluation angepasst werden. Beim aktuellen Stand des Verfahrens werden die folgenden verschiedenen Aufgaben bzw. Funktionen zu Beginn an die Teilnehmer der Beratungssitzung verteilt. Dabei wird darauf geachtet, dass die Zuordnungen in jeder Sitzung verschieden sind:

Die im Verfahren praktizierte metakommunikative Strukturierung der Arbeitsgruppe durch die dargestellte explizite Aufgabenzuordnung führt zu einer erheblichen Entlastung der kommunikativen Beziehungsebene, denn die jeweiligen Beauftragten handeln nun bei gegebenem Anlass unmissverständlich nicht aus vermeintlicher Besserwisserei, sondern aus einer ihnen ausdrücklich von den anderen Gruppenmitgliedern angetragenen Verantwortung heraus. Dieser Umstand verleiht allen Sitzungsmitgliedern größtmögliche Handlungssicherheit im Bemühen um eine effektive und störungsfrei verlaufende Sitzung.

Durch die Aufgabenzuordnung sowie die feste und transparente Strukturvorgabe wird überdies ein bedeutsamer Beziehungseffekt erzielt: Unabhängig vom realen Beziehungsgefüge innerhalb der Arbeitsgruppe entsteht – zumindest auf der Ebene der Unterrichtsnachbesprechung – eine von uns sog. Symmetrie in Komplementarität: Fachleiter oder ggf. auch Schulleiter, die an der Sitzung teilnehmen, sind den gleichen Regeln und Strukturen unterstellt, wie jeder andere Teilnehmer auch. Die jeweiligen Funktionsträger in der Sitzung haben zudem die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass diese Vorgabe nicht aufgegeben wird. Dadurch entsteht eine Beratungsatmosphäre, die – bezogen auf die Beziehungsstruktur in Beratungen – der herkömmlichen Unterrichtsnachbesprechung überlegen ist, denn die Anwärter können in größerem Maße angstfrei handeln.

2.3.2 Methodische Ausgestaltung der Kollegialen Evaluation (KoEv)

Alle Methoden der Kollegialen Evaluation (KoEv) sowie deren Sequenzierung sind darauf abgestellt, dem Anspruch auf Förderung von Kommunikativität, Reflexivität, Rationalität und Autonomie der Hospitierten Person gerecht zu werden. Das daher in der Nachbesprechung verfolgte Anliegen, der Hospitierten Person möglichst große Freiheitsgrade zur Rekonstruktion und Modifikation ihrer Subjektiven Theorien einzuräumen, korreliert allerdings mit vielfältigen kommunikativen Einschränkungen für die Berater. Die methodische Konsequenz und Eindeutigkeit, in der dies realisiert wird, ruft gerade bei unerfahrenen Teilnehmern immer wieder Irritationen hervor. Ihnen fällt es zunächst sehr schwer, nur in eigens dafür ausgewiesenen Abschnitten völlig frei kommunizieren zu dürfen und sich über umfangreiche Zeiträume während der Beratung verbal nur in einem inhaltlich und formal eingeschränkten Spektrum bewegen zu dürfen. Es hat sich aber gezeigt, dass diese methodische Reglementierung dazu geeignet ist, die Kommunikation im Beratungsgespräch von (ggf. problematischen) Beziehungsbotschaften zu entlasten und die Professionalität des Informationsaustauschs zu Lasten alltagssprachlichen Geplauders zu erhöhen. So kann beispielsweise gesichert werden, dass die hospitierte Person in der Unterrichtsnachbesprechung nicht in eine Rechtfertigungs- oder Verteidigungsposition gerät, die – wie oben erläutert – sie in erster Linie an der Weiterentwicklung ihrer eigenen Subjektiven Theorien behindern würde.

Die Kollegiale Evaluation (KoEv) ist in drei Hauptphasen sequenziert, die den o.g. inhaltlichen Qualitäten (vgl. Tab. 1) einer Beratungssitzung entspricht: Die erste Phase dient der Herstellung von Sicherheit und Vertrauen bei der Hospitierten Person, die die Möglichkeit erhält, ihre Subjektiven Theorien zum Unterrichtsgeschehen und -verlauf zu explizieren . Die zweite Phase ist auf Reflexion und Konfrontation abgestellt mit dem für die Hospitierte Person angestrebten Ziel der Modifikation ihrer Subjektiven Theorien. Die dritte Phase ist vom aktuell beobachteten Unterrichtsgeschehen losgelöst. Erste Beratungsergebnisse sollen sich hier in Form von Handlungsperspektiven niederschlagen, die sich auf die weitere Ausbildung des Anwärters beziehen.

Jede Beratungsphase ist als ein Methodenpool konstruiert, aus dem die Hospitanten im Laufe der Kollegialen Evaluation (KoEv) passend für den jeweiligen Gesprächsverlauf und die jeweiligen Gesprächsinhalte und Themenwünsche auswählen. Das Verfahren ist also als ein Beratungsbaukasten aufzufassen, mit dem die Teilnehmer das Evaluationsgespräch bedarfsgerecht für die hospitierte Person zusammensetzen können. Mit der Phasensequenzierung und durch die metakommunikative Struktur wird die Statik des jeweils entstehenden Beratungsgebäudes gesichert.

Im Folgenden geben wir einen knappen Einblick in die Auswahl der verschiedenen wählbaren Methoden ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Wir beabsichtigen mit dieser Darstellung keinen Leitfaden zur Anwendung des Verfahrens, sondern wir möchten lediglich einen Eindruck von der methodischen Vorgehensweise in der Kollegialen Evaluation (KoEv) vermitteln.

2.3.2.1  Methoden der 1. Phase (Sicherheit und Vertrauen)

Die erste Phase ist verbindlich auf eine Zeitdauer von 20 Minuten festgelegt. Diese Vorgabe hat sich als notwendig erwiesen, weil unerfahrene Arbeitsgruppen sehr schnell die Bedeutung dieses Beratungsabschnittes unterschätzen. Sicherheit und Vertrauen in die kollegiale Unterstützungsgruppe gewinnt die Hospitierte Person vor allem durch eine nondirektive Gesprächsführung, d.h. durch die Möglichkeit, zunächst eigene Erlebnisse und Empfindungen der beobachteten Unterrichtsstunde ausführlich schildern zu können. Die Berater haben die Auflage, in dieser Phase ausschließlich zuzuhören. Es ist verboten Fragen zu stellen, Vorschläge zu unterbreiten oder irgendwelche Konfrontationen vorzunehmen. Ihnen ist lediglich zugestanden, das Gespräch unter Einsatz des sog. aktiven Zuhörens (Paraphrasieren, Reflektieren) zu gestalten. Alle Gesprächsbeiträge sind ausschließlich partnerzentriert. Die letzten 5 Minuten der ersten Phase können für eine Feedbackrunde genutzt werden, in der ausschließlich positive Beobachtungen dargestellt werden (vgl. GOLL 2002, 53 ff.). Jeder Teilnehmer beschriftet in Stichworten (je nach Gruppengröße) ein oder zwei Metaplankarten unter de inhaltlichen Vorgabe, was ihm gut gefallen hat. Anschließend werden die Karten reihum vorgestellt und kurz erläutert.

2.3.2.2  Methoden der 2. Phase (Reflexion und Konfrontation)

Die zweite Phase ist in zwei Abschnitte gegliedert. Zunächst wird eine Auswahl der in der Sitzung zu besprechenden Themen vorgenommen. Hierzu bestehen verschiedene Möglichkeiten: Meistens wird eine Themenauflistung auf Metaplankarten von allen Beteiligten vorgenommen, aus der die Hospitierte Person 2-3 Themen zur Besprechung auswählt. Anders, als von vielen Fachleitern vermutet, nutzen die Anwärter diese Freiheit nicht dazu aus, um nur vermeintlich unverfängliche Themen anzusprechen und sich somit in ein gutes Licht zu stellen, sondern es hat sich gezeigt, dass sie in beeindruckendem Maße Selbstverantwortung für ihre eigene Ausbildung übernehmen und sich ohne Angst vor Konfrontation den Themen stellen, die für sie die größte aktuelle Bedeutung haben. Weitere Möglichkeiten zur Themenfindung sind beispielsweise die Vorgabe durch die Berater oder die Auswahl aus einem zuvor bestimmten Themenpool.

Im zweiten Teil der zweiten Phase werden die einzelnen Themen anhand konkreter Besprechungsmethoden konfrontativ-kritisch bearbeitet. Aktuell können die Teilnehmer in diesem Beratungsabschnitt aus einem Angebot von knapp 20 Vorgehensweisen auswählen und so dem jeweiligen Beratungsanliegen gerecht werden. Drei Methodenklassen sind dabei zu unterscheiden:

•  Assoziative Methoden, bei denen sich die Berater in die Situation von Unterrichtsbeteiligten (z.B. Schüler) versetzen und aus dieser Rolle heraus kritisch berichten oder bei denen sie in Form von Bildern oder Metaphern Einschätzungen zum Unterricht abgeben.

•  Fragemethoden, bei denen reihum eine zuvor vereinbarte Frage in stereotyper Wiederholung an die Hospitierte Person gerichtet wird. Anders, als zu vermuten, gerät die befragte Person hierbei nicht in Bedrängnis, sondern gelangt zunehmend in das Zentrum ihrer handlungsleitenden Kognitionen und kann sich diese sukzessive bewusst machen.

•  Vorschlags- und Ideenmethoden, bei denen die Berater der Hospitierten Person konkrete methodische Angebote unterbreiten, Feedback formulieren oder Beobachtungen und Stellungnahmen als Denkanstöße unterbreiten.

Die jeweilige Methodenauswahl wird von den Beratern im Rahmen des aktuellen Beratungsgesprächs vorgenommen und der Hospitierten Person nahe gelegt. Diese entscheidet in letzter Instanz darüber, ob eine Methode angewendet wird und wie lange sie sich dieser Anwendung aussetzen will. Als "Königin des Verfahrens" kann die Hospitierte Person entscheiden, wie stark sie sich den Konfrontationen stellen möchte.

Die zweite Phase dauert insgesamt ca. 25 Minuten.

2.3.2.3  Methoden der 3. Phase (Entwicklung von Handlungsperspektiven)

Das eigentliche kollegiale Evaluationsgespräch schließt mit der dritten Phase. Trotz methodisch großer Ähnlichkeit zur zweiten Phase hat sie allerdings eine völlig andere Funktion als diese: Nun liegt der Schwerpunkt nicht mehr auf der Evaluation der Unterrichtsstunde, sondern auf der Entwicklung von Handlungsschritten, die in der Ausbildung als nächstes von der Hospitierten Person verfolgt werden. Mittels verschiedener Fragemethoden können die Hospitanten Hilfestellungen bei der Konkretisierung eigener Ängste, Defizite, Schwächen oder Stärken sowie der Entwicklung daraus resultierender Handlungsperspektiven geben. Über methodische Anregungen können auch verbindliche Vereinbarungen für Hausaufgaben oder Handlungspläne getroffen werden.

Der zeitliche Umfang der dritten Phase beträgt 10-15 Minuten.

2.3.2.4  Metakommunikativer Abschluss

Die kollegiale Unterstützungsgruppensitzung endet mit einer Blitzlicht- und einer Feedbackrunde, in der die Teilnehmer ihre eigene psychische Befindlichkeit am Ende der Sitzung kundgeben und den einzelnen Funktionsträgern eine Rückmeldung über die Bewältigung ihrer Aufgabe geben können.

2.4  Einbettung der Kollegialen Evaluation (KoEv) in die Lehrerausbildung

Das Verfahren der Kollegialen Evaluation (KoEv) ist dazu geeignet, eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis zu schaffen, wenn es nicht isoliert als Unterrichtsnachbesprechungsinstrument eingesetzt wird, sondern seminardidaktisch eingebunden wird. So ist es beispielsweise denkbar, über die Funktion des Logbuchschreibers Besprechungsthemen aus der jeweiligen Sitzung auszugliedern (etwa, weil sie für alle beteiligten Referendare relevant sind) und in einem Fragen- und Themenspeicher festzuhalten. Derartige Themen können in den regulären Seminarsitzungen unter entsprechend besseren zeitlichen Ressourcen bearbeitet werden – mit dem Vorteil, dass nun mehrere Beteiligte auf konkret erlebte Ereignisse Bezug nehmen können. Gelingt es, die Besprechungsergebnisse in Beobachtungsbögen zu operationalisieren, dann können die Seminarinhalte Gegenstand der nachfolgenden Unterrichtshospitationen werden. Da die mit den Themen verbundenen Wertsetzungen bereits erfolgt sind, reicht es zumeist aus, dem jeweiligen Referendar einen ausgefüllten Beobachtungsbogen im Anschluss an die von ihm präsentierte Unterrichtsstunde auszuhändigen, damit er anhand dessen eine themenbezogene Selbsteinschätzung vornehmen kann. Mit dem Instrument der Kollegialen Planung (KoPlan), das ebenfalls als Verfahren für die kollegiale Unterstützungsgruppenarbeit zur Erstellung von Unterrichtsplanungen entwickelt wurde, lässt sich so eine Reflexionsschleife realisieren, die den gesamten Kernbereich der Lehrertätigkeit – Unterrichtsplanung, -durchführung, -auswertung – umfasst.

Von einer kasuistischen Curriculumerarbeitung ist hier zu sprechen, da die Anwärter den Lehrplan nicht nach einem fest vorgegebenen Schema erarbeiten, sondern fallbezogen und aus den kollegialen Evaluationssitzungen hervorgehend erfüllen. Ihre Arbeitsergebnisse lassen sich in einem Portfolio dokumentieren, durch das auch überprüft werden kann, ob alle curricularen Themen berücksichtigt worden sind.

Damit die Kollegiale Evaluation (KoEv) in Bremen ein auch langfristig erfolgreiches Instrument der Lehrerausbildung der zweiten Phase wird, ist es aus unserer Sicht wichtig, dass sie sich auch in den anderen Hauptseminaren des Landesinstituts als sinnvoll und praktikabel erweist und dass sie mehr und mehr als „Impulsgeber“ für die Seminararbeit dient. Schließlich, und das scheint besonders wichtig zu sein, sollte die Implementierung dieses Verfahrens nicht „über´s Knie“ gebrochen werden, denn die Durchführung der Kollegialen Evaluation (KoEv) setzt vermutlich bei einigen Fachleitern eine Modifikation ihrer subjektiven Theorien voraus. Für diesen Lernprozess ist die Ressource Zeit eine entscheidende Gelingensbedingung.

 

Literatur

GEISSLER, K. A. (1985): Lernen in Seminargruppen. Tübingen.

GOLL, A. (2002): Das Planungs- und Entwicklungsgespräch. In: SCHLEE, J. et al. (Hrsg.): Beraten lernen: Personzentrierte Gesprächs- und Arbeitsformen. Dortmund, 53 ff.

GROEBEN, N. (1988): Explikation des Konstrukts Subjektive Theorien. In: GROEBEN, N./ WAHL, D./ SCHLEE, J./ SCHEELE, B. (Hrsg.): Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen, 17-24.

HERRMANN, T. (1976): Die Psychologie und ihre Forschungsprogramme. Göttingen, Toronto, Zürich.

KELLY, G.A. (1955): The Psychology of Personal Constructs. 2 Bde., New York.

NEVELING, A. (2005): Kollegiale Evaluation (KoEv) – Ein Verfahren zum Lernen am eigenen Modell. In: Bundesarbeitskreis der Seminar- und Fachleiter/innen e.V. (Hrsg.): Dokumentation Soest 2003 – Videogestützte Unterrichtsreflexion, Seminar 4/2005, 78-99.

NEVELING, A. (2007): Primat des Subjekts. Grundlagen einer erziehungswissenschaftlich konsistenten Lehrerausbildung auf der Basis des Forschungsprogramms Subjektive Theorien (in Vorbereitung).

SCHLEE, J. (1988): Anwendung und Forschung: Das Beispiel "Modifikation". In: GROEBEN, N./ WAHL, D./ SCHLEE, J./ SCHEELE, B. (Hrsg.): Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Eine Einführung in die Psychologie des reflexiven Subjekts. Tübingen, 292-306.

SCHLEE, J. (2004): Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe. Stuttgart.

STEGMÜLLER, W. (1985): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Band II-2, Theorie und Erfahrung. Theorienstrukturen und Theoriendynamik. 2. korr. Aufl.. Berlin, Heidelberg, New York, Tokio.