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 bwp@ Ausgabe Nr. 14 | Juni 2008
Berufliche Lehr-/ Lernprozesse - Zur Vermessung der Berufsbildungslandschaft
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 14 sind H.-Hugo Kremer, Karin Büchter und Franz Gramlinger

Die Rolle der Basiskompetenzen Mathematik und Lesefähigkeit in der beruflichen Ausbildung und die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten im ersten Ausbildungsjahr


     


1.  Problemaufriss und Fragestellungen

Spätestens seit der Veröffentlichung der ersten PISA-Ergebnisse rückten defizitär entwickelte Basiskompetenzen in das Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit. Die von den PISA-Forschern im Anschluss an die Forschungsergebnisse vertretene These, dass ca. 20% der 15jährigen Schülerinnen und Schülern aufgrund von Mängeln in der Lesekompetenz oder mathematischen Defiziten kaum fähig sei, eine berufliche Ausbildung erfolgreich zu absolvieren (Aufgrund unzureichender mathematischer Kompetenz (Kompetenzstufe 1 und darunter) prognostizierte man dies 2003 für 21,6% und 2006 für 19,9% der Schülerinnen und Schüler ( PISA-Konsortium Deutschland 2007, 267). ), gab den von Seiten der Arbeitgeber immer wieder ins Feld geführten Argumenten, viele Jugendliche seien nicht ausbildungsfähig (NICKOLAUS 1998) einen weiteren Impuls. Auch die positiven jedoch z.T. nicht signifikanten Veränderungen der von deutschen Schülerinnen und Schülern in PISA 2003 und 2006 erzielten Ergebnisse ( Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2008, S. 82; PISA-Konsortium Deutschland 2007) milderten die kritische Wahrnehmung kaum. Speziell in Mathematik, im unteren Leistungsbereich auch im Lesen, ergaben sich vor allem zwischen PISA 2000 und PISA 2003 positive Effekte, die sich im Weiteren stabilisierten (PISA-KONSORTIUM Deutschland 2007, 268f). Gravierende Unterschiede zeigen sich nach wie vor erwartungskonform zwischen den Schularten, was im Bereich beruflicher Bildung bedingt durch Selektionsmechanismen an der ersten Schwelle zu berufsspezifisch variierenden Ausprägungen des Defizitsyndroms führt. Dass die mathematische Kompetenz für den Ausbildungserfolg tatsächlich bedeutsam ist, wurde inzwischen für verschiedene Ebenen (Facharbeiter, Akademiker) bestätigt, variiert jedoch auch berufs- bzw. berufsfeldspezifisch. Inwieweit es gelingt, im Verlaufe der Ausbildung im „Normalunterricht“ der Berufsschule, d.h. ohne spezifische Förderprogramme, bestehende mathematische Defizite zu mildern, wurde bisher kaum untersucht. Im Folgenden wird (1) knapp resümiert, inwieweit sich die Basiskompetenzen in ausgewählten Berufen als Prädiktor der Fachkompetenzentwicklung erweisen, (2) illustriert in welchen (berufsbezogenen) mathematischen Aufgabenzuschnitten Probleme auftreten und schließlich (3) der Frage nachgegangen, ob es im Ausbildungsverlauf zu einer Milderung der Problematik kommt. Zur Entwicklung der Lesekompetenz, die sich auch bei gezielten Interventionen z.T. nicht in wünschenswerter Weise vollzieht, sei hier auf den Beitrag von PETSCH u.a. in dieser Ausgabe von bwp@ verwiesen.

2.  Basiskompetenzen als Prädiktor der Fachkompetenzentwicklung

Für den akademischen Bereich wurde die exponierte Stellung der Mathematiknote für die Vorhersage des Studienerfolgs mehrfach dokumentiert (vgl. z.B. BARON-BOLDT/ SCHULER/ FUNKE 1988; TRAPPMANN/ HELL/ WEIGAND/ SCHULER 2007). Die Korrelationskoeffizienten sind z.T. relativ hoch und erreichen z.B. im Studienfach Wirtschaftsinformatik an der Universität Stuttgart die Größenordnung von ca. 0,7 (ABELE/ GEISSEL/ NICKOLAUS 2007, 75). Zugleich kann davon ausgegangen werden, dass die Mathematiknote unter allen Schulfachnoten am stärksten mit Intelligenzscores korreliert (TENT 2006, 811).

Auf Facharbeiterebene wurden in der von LEHMANN u.a. vorgelegten Studie ULME III im gewerblich-technischen Bereich z.B. für die Anlagenmechaniker, Industriemechaniker, Elektroinstallateure und Tischler signifikante Effekte der mathematischen Vorkenntnisse auf die Fachleistungsergebnisse gegen Ende der Ausbildung referiert (HOFFMANN/ LEHMANN 2007, 159ff.). Die Lesekompetenz trägt in ULME im gewerblich-technischen Bereich hingegen nicht zur Varianzaufklärung des Fachwissens bei. In eigenen Untersuchungen in der Grundstufe erweist sich die mathematische Kompetenz allerdings ebenfalls als gewichtiger Prädiktor der Entwicklung des Fachwissens (Ausführlicher siehe NICKOLAUS/ GSCHWENDTNER/ GEISSEL 2008; GEISSEL 2008; GSCHWENDTNER 2008; NICKOLAUS 2008). Wie aus den Abbildungen 1 und 2 hervorgeht, erweist sich insbesondere in der elektrotechnischen Grundbildung die mathematische Kompetenz als zentraler Prädiktor des Fachwissens.

Basis dieser Analyse sind Erhebungen in 9 Berufsschulklassen bei 203 Auszubildenden in Baden-Württemberg (ausführlicher siehe NICKOLAUS/ GSCHWENDTNER/ GEISSEL 2008). Bemerkenswert scheint bei den Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik, dass die mathematische Kompetenz nicht nur einen beachtlichen Beitrag zur Varianzaufklärung des fachspezifischen Vorwissens erbringt, sondern auch als substantieller Prädiktor des Fachwissens zum Zeitpunkt des Abschlusstests in Erscheinung tritt. Bestätigt wird hier auch die Relevanz der Lesekompetenz für mathematische Fähigkeiten und die Fachkompetenzentwicklung.

Etwas weniger gewichtig geht die Mathematik in das Pfadmodell bei den Kfz-Mechatronikern ein (vgl. Abb. 2), aber auch hier ist es mit Abstand der bedeutendste Prädiktor für das fachspezifische Vorwissen, das sich seinerseits als hoch bedeutsam für die Entwicklung des Fachwissens erweist.

Die Unterschiede des Stellenwertes der Mathematik als Prädiktor für die Fachkompetenzentwicklung in den beiden Modellen bzw. Berufen könnte auch durch die Testgestaltung verursacht sein, die durch deutlich geringere Anteile mathematiklastiger Aufgaben im Kfz-Bereich gekennzeichnet war. Die Erklärungskraft der Mathematikleistung differiert auch in Abhängigkeit vom Kompetenzniveau der Auszubildenden. In Feinanalysen im Anschluss an Niveaumodellierungen berufsfachlicher Kompetenz zeigte sich, dass vor allem auf der niedrigsten Stufe der Fachkompetenz die Lesekompetenz als starker Prädiktor wirksam ist (GEISSEL 2008; GSCHWENDTNER 2008; NICKOLAUS/ GSCHWENDTNER/ GEISSEL 2008). Bei den Kfz-Mechatronikern ergibt sich beispielsweise bei den schwächeren Auszubildenden der Kompetenzstufe 1 eine Varianzaufklärung von 10,7 % durch die Lesekompetenz.

Über die an der ersten Schwelle wirksamen Selektionsverfahren münden in die einzelnen Berufe Auszubildende mit deutlich differenten Voraussetzungen ein (vgl. dazu z.B. LEHMANN/ SEEBER 2007; STAMM 2006; NICKOLAUS/ KNÖLL/ GSCHWENDTNER 2006). Eine Übersicht zu den Leistungsständen zu Beginn der Ausbildung in den beiden hier ins Auge gefassten Berufen geben die folgenden Abbildungen, in welchen neben der Mathematikleistung auch die IQ-Werte und die Ergebnisse im Lesetest wiedergegeben sind. Erhoben wurden diese Daten zur Mathematik auf der Basis von Aufgaben aus dem Hamburger Schulleistungstest (SL-HAM 10/11) Mathematik. Wiedergegeben sind hier Rohpunkte, wobei maximal 18 Punkte erreichbar waren. Die Raschwerte (Normierung erfolgt auf 100) bewegten sich zwischen 93 und 159. Die Aufgaben wurden so ausgewählt, dass drei mathematische Dimensionen (Geometrie, Algebra, Arithmetik) vertreten waren, wobei die einzelnen Aufgaben über die angegebene Skalenweite streuen. Die Daten zur Lesekompetenz wurden auf der Basis des kulturadäquat übersetzten Gates MacGinitie-Tests erhoben (MACGINITIE 2000).

Deutlich wird hier vor allem, dass es den Industrieunternehmen gelingt, für den gleichen Ausbildungsberuf – und gegebenenfalls künftig wenig anspruchsvolle Arbeitsplätze am Band – wesentlich bessere Auszubildende zu rekrutieren, als dies im Handwerk möglich ist. Zugleich wird sichtbar, dass auch die Gruppe der Industrielehrlinge noch deutliche Defizite aufweist. Innerhalb des Handwerks ergeben sich bei diesen Berufen keine bedeutsamen Unterschiede. Zieht man andere (handwerkliche) Ausbildungsberufe heran, z.B. Berufe aus dem Berufsfeld Bautechnik, zeigen sich deutliche Leistungsunterschiede zwischen Bauzeichnern einerseits und Maurern, Stuckateuren, Fliesenlegern andererseits. Noch deutlich schlechter als die relativ schwachen Maurer-, Stuckateur- und Fliesenlegerklassen schneiden die nicht durch die erste Schwelle selektierten Hauptschulklassen der Klassenstufe 9 ab (AVERWEG 2007, 23). Die Daten wurden im Berufsfeld Bau gegen Ende des ersten Ausbildungsjahres erhoben, einbezogen waren 11 Berufsschulklassen und ergänzend drei Abschlussklassen der Hauptschule (N gesamt =223).

Nun stößt man gelegentlich in den Debatten um unzureichend entwickelte Basiskompetenzen auch auf die Positionierung, im beruflichen Alltag müsse der Facharbeiter ja kaum rechnen, weshalb die mathematischen Fähigkeiten zwar für den (schulischen) Ausbildungserfolg aber weniger für die berufliche Leistung bedeutsam seien. Tätigkeitsanalysen, z.B. von Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik, würden wohl auch bestätigen, dass es relativ selten notwendig ist, einen Leitungswiderstand, einen notwendigen Leitungsquerschnitt oder den Gesamtwiderstand einer gemischten Schaltung zu berechnen (Die tatsächlich vorliegenden Analysen (HÄGELE 2002) bieten keine Aussagen in diesem Detaillierungsgrad. ). In den meisten Fällen gehört z.B. die Wahl eines Leitungsquerschnittes zu den Routineentscheidungen, und in selteneren Fällen auftretende Entscheidungsunsicherheiten sind gegebenenfalls durch die Nutzung von Tabellenbüchern überwindbar. Die Akzeptanz dieser Argumentation und des daran anschließenden Schlusses, dann seien die Mängel in Mathematik ja doch nicht so bedeutsam, impliziert allerdings auch, dass (1) eine eingeschränkte Selbständigkeit z.B. im Fall der Bestimmung des Spannungsabfalles auf einer Leitung und die damit verbundenen Implikationen für die verfügbare Leistung akzeptiert werden bzw. ganz generell, die Aussetzung des Anspruchs ein sicheres Verständnis elektrotechnischer Zusammenhänge zu gewinnen. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass sich kompetente Facharbeiter gerade in solchen Situationen von jenen unterscheiden, die lediglich routinisiert (und unreflektiert) ihre Arbeit verrichten. Für das Berufsfeld Bau, in das in der Regel Auszubildende mit geringer ausgeprägten Basiskompetenzen einmünden als in die Elektronikerberufe oder der Beruf des Kfz-Mechatronikers, hat AVERWEG beispielhaft herausgearbeitet, welche mathematischen Anforderungen z.B. bei der Einrichtung einer Baustelle, bei der Bestimmung des Materialbedarfs, bei der Bestimmung – des auch ökonomisch relevanten – Verschnitts bedeutsam werden (AVERWEG 2007; vgl. auch AVERWEG u.a. 2008). Das Fazit: Die im Anschluss an die KMK Bildungsstandards im Fach Mathematik für den Hauptschulabschluss unterschiedenen Leitideen (KMK 2004, 8ff.) des Umgangs mit Zahlen, des Messens, Raum und Form, die Bestimmung funktionaler Zusammenhänge und des Umgangs mit Daten und Zufall sind mit Ausnahme des Zufalls beständig benötigte Fähigkeiten (AVERWEG 2007). So ist z.B. bei der Berechnung des Baustoffbedarfs die Nutzung von Rechengesetzen (Punkt- vor Strich-Regel, Klammerregeln), bei der Berechnung der Mörtelanteile die Prozentrechnung, bei der Einrichtung einer Baustelle die Nutzung der Grundprinzipien des Messens einschließlich der Umwandlung von Einheiten, bei der Bestimmung bearbeiteter Flächen oder benötigter Mengen die Berechnung von (zusammengesetzten) Flächen oder Rauminhalten unterschiedlicher geometrischer Elemente, bei der Ermittlung von Maßen die Anwendung der Sätze der Geometrie (insbesondere des Pythagoras) und bei der Berechnung von Längenausdehnungen z.B. von Stahlbetonteilen, die Nutzung einfacher funktionaler Zusammenhänge erforderlich (ebd., 10f.). Die zentrale Frage lautet folglich nicht, ob die mathematischen Fähigkeiten benötigt werden, sondern inwieweit diese ausgebildet sind.

3.  Mathematische Leistungen der Auszubildenden und Förderbedarfe

Nach den PISA-Studien erreichen die Hauptschüler im Mittel (Der von den Hauptschülern erreichte Mittelwert liegt mit 420 an der oberen Grenze der Kompetenzstufe 1 (PISA KONSORTIUM Deutschland 2007, 270).) die Kompetenzstufe 1, die gekennzeichnet ist durch die Bewältigung von klar definierten Fragen, zu welchen alle relevanten Informationen gegeben sind, die vertraut sind und zu deren Lösung Routineverfahren angewandt werden können (PISA-KONSORTIUM Deutschland 2007, 252, 270). Relativ stark ausgeprägt ist allerdings die Streuung (SD=77), bemerkenswert sind auch relativ stark ausgeprägte Überlappungsbereiche zwischen den Leistungsspektren der Hauptschüler und der Realschüler. Die Realschüler erreichen im Mittel die Kompetenzstufe 3, aber auch hier kommt ein Anteil von ca. 15% nicht über die Kompetenzstufe 1 hinaus (PISA-KONSOR­TIUM Deutschland 2007, 270f.).

Bedingt durch die Selektionsmechanismen an der ersten Schwelle, bei der neben den regionalen Arbeitsmarktbedingungen, dem Schulabschluss, dem Migrationshintergrund und den berufsspezifischen Anforderungen auch die Schulnoten und dabei nicht zuletzt die Mathematiknote eine gewichtige Rolle spielen (FRIEDRICH 2006; ULRICH/ TROLTSCH 2003), münden in die einzelnen Berufe Jugendliche mit stark unterschiedlichen mathematischen Kompetenzausprägung in die Ausbildung ein.

Um beispielhaft deutlich werden zu lassen, wo sich im mathematischen Bereich bei den Auszubildenden in verschiedenen Ausbildungsberufen Probleme ergeben, wird im Folgenden an Beispielaufgaben einerseits illustriert, welche Aufgaben Schwierigkeiten bereiten und andererseits ein erster Einblick in Fehlkonzepte gegeben, die bei der Analyse falscher Lösungen sichtbar werden. Herangezogen werden Aufgaben, die von maximal 50% der Auszubildenden gelöst werden.

Deutlich wird hier, dass auch relativ einfache Aufgaben zur Anwendung der Grundrechenarten noch erhebliche Probleme bereiten, Bruch- und Prozentrechnen von einem großen Teil der Schüler nicht beherrscht wird, eigenständige algebraische Umformungen nur von wenigen Schülern erwartet werden können, in Texte eingekleidete und damit realitätsnahe Aufgaben, die eigene Modellierungsleistungen erfordern noch größere Probleme bereiten wie im Rechenweg strukturgleiche Aufgaben ohne Modellierungsanforderungen, die Umrechnung von Einheiten Probleme bereitet, ein sicherer Umgang mit maßstäblichen Darstellungen nur von ca. 20% der Auszubildenden erwartet werden kann und Aufgaben zur Einteilung (Verteilung) von Elementen auf eine Strecke, wie sie z.B. bei Fliesenlegern jeden Tag strukturgleich vorkommen, nur in Ausnahmefällen bewältigt werden können. Durchschnittlich wurden je Klasse 7,9 (SD 3,0) von 25 Aufgaben richtig gelöst, wobei bis auf zwei Berufsschulklassen die klasseninternen Streuungen größer waren als im Vergleich der Klassen untereinander. Die durchschnittlich unbearbeitete Anzahl der Aufgaben je Schüler betrug 10,2 bei einer Standardabweichung von 3,9. Etwa 18% der Schüler konnten nur zwei oder weniger Aufgaben richtig lösen (AVERWEG 2007; AVERWEG u.a. 2008).

b) Inhaltliche Defizite und Fehlkonzepte

Auffällig war, dass viele Schüler bereits Probleme mit den Grundrechenarten hatten. Ein Großteil einschlägiger Fehler ließ sich darauf zurückführen, dass den Schülern das Verständnis für den Aufbau des Dezimalsystems fehlt, was sich z.B. durch fehlende Überträge bei der schriftlichen Addition und Subtraktion äußerte. Manche Schülern kennen die Begriffe Produkt, Differenz oder Durchschnitt nicht, Relationszeichen wie „>“ oder „<“ wurden verwechselt. Eingekleidete Aufgaben, in welchen diese Begriffe Verwendung fanden, konnten in Folge nicht angemessen interpretiert werden. So dividierten beispielsweise 11% der Schüler, die den Durchschnitt dreier Werte errechnen sollten durch zwei (AVERWEG u.a. 2008). Eine Hürde stellten generell Textaufgaben dar, die neben Anforderungen an die Lesekompetenz in der Regel eigenständige mathematische Modellierungen erfordern. Bei Aufgaben zum Prozentrechnen konnten z.B. die im Aufgabentext angegebenen Größen nicht zugeordnet werden. Beim Umformen linearer Gleichungen ließen sich Fehler z.B. darauf zurückführen, dass manche Schüler den Zusammenhang zwischen Rechenoperationen und deren Umkehrung entweder nicht kennen oder aber nicht nutzen können, was sich u.a. bei der Aufgabe „9x=12, berechnen Sie x“, in einer Lösungshäufigkeit von 2% ausdrückte.

Der Rest der Schüler kam zu den Lösungen: x=9-12; x=9/12; x=12 * 9.

Der Variantenreichtum bei den Fehlkonzepten, der sich bereits im Bereich der Grundrechenarten zeigte, sei hier an der Aufgabe 3(12+13)+3 * 5=? angedeutet.

Lösungsversuch 1 12+13=25; 3 * 25=61,5; 3 * 5=15; 15+61,5=76,5

Offensichtlich rechnete der Schüler bei 3 * 25 zunächst 3 * 5=15 und 3 * 2=6 und schrieb die beiden Ergebnisse hintereinander. Da ihm dieses Ergebnis zu groß erschien, setzte er zusätzlich ein Komma.

Lösungsversuch 2 12+13=25; 3+3=9 * 5=45; 25+45=70

Der Schüler scheint verstanden zu haben, dass er zunächst den Wert in der Klammer bestimmen soll, das weitere Verfahren bereitet jedoch Probleme. Vermutlich erkannte er nicht, dass das nicht explizit ausgeführte Operationszeichen vor der Klammer ein Malpunkt ist, denn er rechnete 3+3=9, wobei die zweite Drei wohl dem letzten Summanden des Terms entstammt. Zudem wird die Punkt-vor-Strich-Regel missachtet, die Unstimmigkeit im Term 3+3=9 * 5=45 fällt dem Schüler nicht auf (ausführlicher siehe AVERWEG 2007). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse scheint es angezeigt, bei einem Teil dieser Klientel Fördermaßnahmen bereits im Bereich fundamentaler Grundlagen einzuleiten.

Die Leistungen der Auszubildenden im Elektro- und Kfz-Bereich sind zwar partiell besser. So lösen beispielsweise ca. 70 % der Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik die Aufgabe zur Umrechnung der Gewichtsmaße (gegenüber 11 % bei den Bauleuten), aber auch bei dieser Gruppe sind z.T. deutliche Defizite feststellbar. Probleme bereiten z.B. einfachere Formelumstellungen und das Bruchrechnen (NICKOLAUS/ ZIEGLER 2005; NICKOLAUS 2005; KNÖLL 2007).

4.  Die Entwicklung mathematischer Fähigkeiten im ersten Halbjahr der Ausbildung bei Kfz-Mechatronikern und Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik

In ersten Untersuchungen in der elektrotechnischen Grundbildung, in welchen wir in die Tests zur Erfassung der Fachkompetenz auch einige mathematische Aufgaben aufgenommen hatten, die enge Bezüge zu Anforderungssituationen bei der rechnerischen Ermittlung elektrotechnischer Größen hatten, waren wir auf das Phänomen gestoßen, dass im Verlauf des ersten Halbjahres bei einzelnen Aufgabentypen (z. B. Umrechnung elektrotechnischer Einheiten) zunächst deutliche Leistungssteigerungen zu verzeichnen waren, die sich jedoch nicht als nachhaltig erwiesen (NICKOLAUS/ ZIEGLER 2005; KNÖLL 2007). Vielmehr fielen die Leistungen zum Abschlusstest wieder deutlich ab. Diese auf wenigen Aufgaben beruhenden Ergebnisse ließen allerdings keine sichere Abschätzung der Leistungsentwicklung zu und ermöglichten auch keine Aussagen zum Einfluss der mathematischen Fähigkeiten auf die Fachkompetenzentwicklung, wie sie hier in Abschnitt 2 vorgestellt wurden. Vor diesem Hintergrund gingen wir eingebettet in ein größeres Projekt (DFG Ni 606/3-1) auch der Frage nach, ob es im regulären Unterricht, d.h. ohne spezielle Fördermaßnahmen, gelingt, mathematische Defizite zu mildern. Erhoben wurden Daten zu den mathematischen Fähigkeiten im Rückgriff auf die Hamburger Schulleistungstests zu Beginn der Ausbildung und in der Mitte des ersten Ausbildungsjahres. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Erfahrungen waren lediglich bereichsspezifisch Fortschritte zu erwarten. Die beiden Testvarianten umfassten 13 identische Ankeraufgaben, die einen direkten Vergleich ermöglichen.

Ermittelt man zunächst den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben (Schwierigkeitsgrad = Anzahl der Schüler, die die Aufgabe richtig lösten, dividiert durch die Gesamtzahl der Schüler) zu den beiden Testzeitpunkten, so ergeben sich nur geringe Differenzen zwischen den Schwierigkeitsgraden (mittlere Differenz = 0,01, max = 0,09, min = 0,00) (ausführlicher siehe Schürg 2007, 66f.). Die Effektstärke der Leistungsveränderung zwischen beiden Messzeitpunkten liegt bei bescheidenen 7 %, so dass von keinem wesentlichen Zuwachs gesprochen werden kann.

Klassenspezifische Auswertungen zeigen deutliche klassenspezifische Differenzen, die bereits im Eingangstest deutlich zu Tage treten und zum zweiten Testzeitpunkt eher etwas größer werden. Auffällig ist, dass von 21 Klassen nur eine Leistungssteigerungen von ca. 10 % zu verzeichnen hat, bei 12 Klassen bewegt sich der Leistungsunterschied innerhalb von 5 %, wovon 8 Klassen ein negatives Vorzeichen aufweisen. Im Mittel erreichen die Elektroniker eine Leistungssteigerung von 1,5 %, die Kfz-Mechatroniker von 1,4 %. Der Unterschied zwischen der besten und schlechtesten Klasse liegt im Abschlusstest bei 31,3% (SCHÜRG 2007, 77f.). Entwicklungsdifferenzen in Abhängigkeit von der Unterrichtsform (eher direktiv, eher handlungsorientiert) sind nicht feststellbar. Erwartungskonform zeigen sich hoch signifikante Leistungsunterschiede zwischen Haupt- und Realschülern, wobei letztere auch deutlich günstigere Leistungsverläufe aufweisen. Dennoch können auch die schwächeren Auszubildenden partiell Leistungssteigerungen verzeichnen.

5.  Diskussion

Die hier im Überblick vorgestellten Forschungsergebnisse bestätigen den Stellenwert der Basiskompetenzen (Mathematik und Lesefähigkeit) für die Fachkompetenzentwicklung der Auszubildenden. Eingeschränkte Lesekompetenzen machen sich vor allem bei den schwächeren Auszubildenden als Barrieren der Fachkompetenzentwicklung bemerkbar. Spezifische Interventionen zur Förderung der Lesekompetenz, z.B. im Rückgriff auf den Ansatz des Reciprocal Teaching, führen nach den vorliegenden Untersuchungen im Bereich der beruflichen Bildung nur partiell zu den gewünschten Effekten (GSCHWENDTNER 2004; GSCHWENDTNER/ ZIEGLER 2006a/b; PETSCH u.a. 2008). Am ehesten scheinen Effekte bei den besonders Schwachen erzielbar, wobei zu berücksichtigen bleibt, dass (auch) bei dieser Personengruppe der Ansatz des Reciprocal Teaching nur bedingt umgesetzt werden kann. Probleme ergeben sich u.a. bei der Realisierung des reziproken Elements, das die Schüler in die Lehrerrolle versetzt und von den Schülern – gestützt durch die Lehrkraft – z.B. die Anleitung der anderen Schüler bei der Textverarbeitung einfordert. Zu prüfen bleibt, inwieweit es gelingt, die Umsetzungsqualität des Reciprocal Teaching zu verbessern und damit auch günstigere Effekte zu erzielen.

Im gegenwärtig überall eingeforderten handlungsorientierten, durch Selbststeuerung gekennzeichneten Unterricht, kommt der Lesekompetenz noch größere Bedeutung zu als in traditionellen eher direktiven Lehrformen. Das bundesweit angelaufene Projekt „Pro Lesen“ trägt dem Rechnung, berufliche Schulen sind dabei allerdings nur am Rande einbezogen (Baden-Württemberg fokussiert z.B. im Kontext dieses Projektes insbesondere den Übergang zwischen der Sekundarstufe I und der beruflichen Bildung und bezieht dabei auch drei berufliche Schulen ein. Ob im Rahmen dieses Projektes auch aussagekräftige Daten zu Effekten auf der Kompetenzebene gewonnen werden können, ist gegenwärtig noch offen). In die gleiche Richtung zielte auch der BLK-Modellversuch VERLAS (KITZIG u.a. 2008), aus dem allerdings keine Daten hervorgingen, die eine Abschätzung der Lesekompetenzentwicklung gestatten.

Noch gewichtiger als die Lesekompetenz erweisen sich für die Fachkompetenzentwicklung die mathematischen Fähigkeiten. Dies zeigt sich einerseits in deren durchgängiger Berücksichtigung in den Erklärungsmodellen für die Fachkompetenzentwicklung für die gewerblich-technischen Berufe in ULME (LEHMANN/ SEEBER 2007) und andererseits in den in Abschnitt 2 präsentierten Erklärungsmodellen für die Fachkompetenzentwicklung bei Kfz-Mechatronikern und Elektronikern für Energie- und Gebäudetechnik. Die qualitativen Analysen verdeutlichen zugleich, welche mathematischen Anforderungen (besondere) Schwierigkeiten bereiten, wobei zu berücksichtigen bleibt, dass bedingt durch die Selektionsprozesse an der ersten Schwelle, die Defizite stark berufsspezifisch auftreten. Die in diesem Beitrag beispielhaft für den Baubereich illustrierten Defizitbereiche legen den Gedanken nahe, auch hier spezielle Förderansätze unter den Bedingungen der beruflichen Ausbildung zu testen. Einschlägige Arbeiten, die zugleich Aussagen zu den Effekten der Interventionen ermöglichen, liegen dazu unseres Wissens nicht vor (Ein spezifisch ausgerichtetes Förderkonzept wird gegenwärtig an der Steinbeißschule in Stuttgart erprobt und in einem Experimental- und Kontrollgruppendesign evaluiert (NICKOLAUS 2006). Als Erfolg versprechender Ansatz könnte sich dabei gegebenenfalls das Lernen aus Fehlern erweisen (OSER/ HASCHER/ SPYCHIGER 1999), wobei zu prüfen wäre, ob über die Identifikation von Fehlkonzepten und daran anschließenden (individuellen) gezielten Fördermaßnahmen wünschenswerte Effekte zu erzielen sind. Zu klären wäre auch, ob einschlägige Fähigkeiten vorteilhafter in den lernfeldorientierten Fachunterricht integriert oder in separaten Lehreinheiten entwickelt werden können.

Im hohen Grade fraglich bleibt, ob über einschlägige Fördermaßnahmen im „Übergangssystem“ die seit Jahren anhaltende Ausbildungsmisere gemildert werden kann. Selbst wenn die Fördermaßnahmen wünschenswerte Erfolge erbringen, was, wie das Beispiel der Leseförderung zeigt, keineswegs durchgängig unterstellt werden kann (GSCHWENDTNER 2004; GSCHWENDTNER/ ZIEGLER 2006a/b; PETSCH u.a. 2008), dürfte sich das Angebot an Ausbildungsplätzen nur begrenzt verändern. Eher sind bei positiv verlaufenden Maßnahmen günstige Effekte im Hinblick auf die individuelle Wettbewerbsfähigkeit zu erwarten, wobei auch hier durch die ungünstigere Einmündungssituation der „Altbewerber“ (FRIEDRICH 2006) Skepsis angebracht scheint.

Für jene Auszubildende, die trotz erheblicher Defizite in den Basiskompetenzen einen Ausbildungsplatz erringen konnten, vermuten wir die günstigsten Effekte. Vor allem die im schulischen Bereich aufgrund unzureichender Basiskompetenzen auftretenden Probleme, die z.T. auch für Ausbildungsabbrüche verantwortlich sein dürften, könnten damit gegebenenfalls gemildert werden.

Für Jugendliche im Übergangssystem wären neben der Förderung der Basiskompetenzen u.E. ergänzende strukturelle Maßnahmen erforderlich, die auch in Zeiten unzureichender Ausbildungsplatzangebote eine Vollqualifizierung, gegebenenfalls auch außerhalb des dualen Systems ermöglichen.

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