KARIN BÜCHTER & FRANZ GRAMLINGER
(Universität Hamburg)
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Lernen in Netzen - Einige neuralgische
Punkte und offene Fragen in der berufs- und wirtschaftspädagogischen
Diskussion |
1 Einführung |
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Mit "Lernen in Netzen" ist Unterschiedliches gemeint.
Innerhalb der Berufsbildungsdiskussion finden wir diese Formulierung
auf mindestens drei Ebenen:
1. der interinstitutionellen,
2. der intrainstitutionellen oder organisationalen und
3. der informations- und kommunikationstechnischen.
Ad 1.: Auf interinstitutioneller Ebene bezeichnet Lernen
in Netzen einen Austausch von Informationen insbesondere zum
Zweck der Entscheidungs- und Handlungskoordination zwischen
unterschiedlichen Institutionen bzw. Akteuren, beispielsweise
der beruflichen Bildung. Die Idee der interinstitutionellen
Vernetzung spielt vor allem in der Theorie und Praxis regionaler
Berufsbildung seit den 80er Jahren eine besondere Rolle. Ein
wesentlicher Anstoß hierfür war die damals verstärkt
geführte Diskussion um "Regionalisierung der Strukturpolitik",
in der Qualifizierung als "immaterieller Standortfaktor"
oder "endogenes Entwicklungspotenzial" innerhalb
der Region charakterisiert wurde. Eine Förderung der
Regionalentwicklung durch Berufsbildung, so der Tenor, setze
eine an regionalen Leitbildern orientierte Kooperation oder
Vernetzung unterschiedlicher regionaler berufsbildungsrelevanter
Akteure oder Institutionen voraus. Spätestens mit dem
BMBF-Programm, "Lernende Regionen - Förderung von
Netzwerken" (BMBF 2000), und der bis zu diesem Zeitpunkt
bereits weit verbreiteten Idee von der lernenden Gesellschaft
wurde "Lernen in Netzen" zu einer Leitfigur regionaler
Berufsbildungspolitik.
Ad 2: Darüber hinaus ist Lernen in Netzen ein
Inbegriff für Organisationsentwicklung. Inspiriert durch
die betriebswirtschaftliche Organisationstheorie ist auch
in Teilen der betrieblichen (Weiter-)Bildungsdiskussion seit
den 80er Jahren an die Stelle des Bildes von der Organisation
als bürokratischem Ordnungsgefüge das eines "evolutionären
Systems" getreten. Der Fokus richtet sich hierbei weniger
auf die Gestaltung von Organisationen, als vielmehr auf Prozesse
ihrer Eigendynamik und Selbstorganisation, die es zu initiieren
und zu ermöglichen gilt. Umweltanpassung, Leistungsoptimierung,
Wissenserweiterung und -transformation sind zentrale Schlagworte
in entsprechenden Konzeptionen zum organisationalen Lernen
(vgl. HANFT 1997). Das die Organisation tragende Ensemble
von Individuen soll zum ständigen selbstorganisierten
Lernen und zum Austausch von Wissen angeregt werden. In diesem
Zusammenhang erhalten auch das informelle Lernen im Betrieb
und am Arbeitsplatz ihre Relevanz für die Unternehmensentwicklung
- und zwar mit Hinweis auf die Möglichkeit der Wissenstransparenz,
-transformation und -nutzung via Kommunikation. Das prominenteste
Medium zur Unterstützung des Lernens in organisationalen
Netzen ist demzufolge der Computer.
Ad 3.: Lernen in technischen bzw. virtuellen Netzen
gehört derzeit zu den rationalsten Formen der Wissensaneignung.
Als wesentliche Vorteile dabei gelten, dass von beliebigen
Orten aus und zu jeder Zeit auf abgestelltes Wissen zugegriffen
werden kann, Lernmaterialien abgerufen werden können,
eigenes Wissen angeboten, trotz räumlicher Distanz Fragen
gestellt und beantwortet werden usw. Im Glossar des Handbuchs
E-Learning (HOHENSTEIN/WILBERS 2002) wird unter dem Stichwort
"E-Learning" darauf verwiesen, dass im Gegensatz
zum ursprünglichen Sammelbegriff für alle Formen
elektronisch unterstützten Lernens heute beinahe ausschließlich
Internet- bzw. Intranet-basiertes Lernen gemeint ist, wenn
von E-Learning die Rede ist. Das Potenzial bzw. die Möglichkeiten,
nicht nur Rechner miteinander zu vernetzen oder den Lernenden
über Netze Informationen besser, schneller, umfassender
und billiger zugänglich zu machen, sondern auch Lernende
und Lehrende sowie Lernende mit Lernenden zu "vernetzen"
- dieses Potenzial wurde zwar bereits - in erster Linie von
marktwirtschaftlich und profit-orientierten Institutionen
- erkannt, allerdings noch sehr wenig effektiv genutzt (vgl.
dazu den Beitrag von EULER in dieser Ausgabe). Bildungsinstitutionen
auf allen Ebenen - von der Volksschule bis zur Universität,
von teuren Privatinstituten bis zur Volkshochschule - sind
gerade dabei, "auf diesen Zug aufzuspringen", wobei
nach wie vor Kosten- und Effizienzgründe plus "die
Zeichen der Zeit" weit vor pädagogisch-didaktischen
Überlegungen und Begründungen rangieren. Theoretische
Ansätze zu Themen wie Knowledge Building Communities
(die Gruppe um SCARDAMALIA & BEREITER in Toronto), Learning
Communities oder CSCL (computer-supported collaborative learning)
weisen allerdings darauf hin, dass sich die Wissenschaft -
zumindest im englischen Sprachraum - dieser Potenziale sehr
wohl bewusst ist.
In der deutschsprachigen Berufsbildungsdiskussion spiegelt
sich die zunehmende Bedeutung von Internetlernen in der Praxis
in einer allmählich wachsenden Anzahl von - vor allem
auch anwendungsbezogenen - Publikationen wider, in denen es
in erster Linie um folgende Themen geht:
·Potenziale des Internets für berufliche Lehr-Lernprozesse
·Veränderung von Lernkulturen
·Relation von Selbstorganisation und Kooperation
beim
Internetlernen
·Sozialformen beim Internetlernen
·Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Gestaltung
von
Lernumgebungen
·Lernportale und Lernplattformen
·unterschiedliche Formen des Lernens
·synchrone, asynchrone und Misch-(Hybrid-)formen
der zeitlichen
Gestaltung
·tutorielle Betreuung
·Qualitätskriterien
·Kompetenzen zur Begleitung, Beratung und Steuerung
des
Lernens in Netzen
Im Folgenden werden wir uns auf die dritte Variante des Lernens
in Netzen, also das Lernen im Internet konzentrieren, möchten
aber nicht unerwähnt lassen - auch um unsere obige Differenzierung
der drei Ebenen des Lernens in Netzen zu begründen -
dass uns der Gedanke beschäftigt, das interinstitutionelle,
organisationale und informations- und kommunikationstechnische
Lernen in deren Kohärenz zu begreifen und zu erforschen.
Theoretische und empirische Auseinandersetzungen hierzu, etwa
fallbezogene, stehen noch aus. Während sich die unmittelbaren
Zusammenhänge dieser drei Ebenen theoretisch noch relativ
leicht konstruieren lassen, dürfte eine empirische Rekonstruktion
realer horizontaler (auf den einzelnen Ebenen) und vertikaler
Prozesse (zwischen den einzelnen Ebenen) ein höchst kompliziertes
methodisches Vorgehen erfordern. Dies wollen wir an anderer
Stelle weiter thematisieren und kommen nun zu unseren eigentlichen
Fragen.
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2
Zu den neuralgischen Punkten und offenen Fragen |
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Zwar hat sich Deutschland - erst in den letzten Monaten -
innerhalb Europas zu einer der führenden Nationen hinsichtlich
privater und kommerzieller Nutzung des Internets entwickelt
und auch verschiedenste Initiativen wie Schulen-ans-Netz oder
Initiative d21 scheinen Erfolg hinsichtlich der (lokalen)
Internetanbindung von Bildungseinrichtungen zu zeitigen. Verfolgt
man allerdings die theoretische Diskussion und die praktische
Realisierung netzbasierten Lernens und Lehrens in der Bildungslandschaft
Deutschlands und vergleicht das mit Berichten aus Kanada,
Australien, den USA oder den skandinavischen Ländern,
so scheint hierzulande alles etwas vorsichtiger, bedächtiger,
nach gründlicher Abwägung und Diskussion - oder
einfach schleppender vor sich zu gehen (vgl. GRAMLINGER 2002).
Diskussionen zum Thema E-Learning - zumal erziehungswissenschaftliche
bzw. berufs- und wirtschaftspädagogische, ebenso wie
erwachsenenpädagogische - kreisen in der Regel um bestimmte,
immer wieder auftretende Grundsatzfragen, die - wenn nicht
expliziert - sich unterschwellig durch eine ganze Debatte
ziehen können.
Fünf dieser Fragestellungen wollen wir im Folgenden versuchen
zu pointieren, und zwar die Fragen nach
1. dem Technikverständnis, genauer: dem Technikbild
2. der Vereinbarkeit ökonomischer und pädagogischer
Maxime
3. dem "Bildungswert" des Internets
4. den konkreten Lehr-Lerninhalten
5. der Verortung der Auseinandersetzung mit E-Learning innerhalb
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik.
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2.1
Technikbilder in der Diskussion um E-Learning |
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In seiner Abhandlung über
"Technikbilder" hat HUBER (1988) zwischen zwei Grundhaltungen
differenziert: einer "eutopen" und einer "dystopen".
Basierten eutope Technikbilder auf neuzeitlichen Leitbildern
des Rationalismus und Humanismus und unterstellten dank der
technischen Entwicklung einen sukzessiven Fortschritt in den
unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, präsentierten
dystope Technikbilder quasi das komplementäre Gegenstück:
mit ihnen würden Fortschrittsskepsis und Schreckensvisionen
über die technologische Entwicklung verbreitet. Beide Bilder
finden sich in der Diskussion um Computerisierung - wie dies
HUBER anhand der unterschiedlichen Einsatzbereiche verdeutlicht
(61ff.) - ebenso wie innerhalb der Debatte um das Internet und
das Internetlernen wieder. So steht der euphorischen Einstellung
zu den Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT) bzw.
dem Internet, nach der diesem eine Schlüsselrolle in der
Wissensgesellschaft zugeschrieben wird, da es von traditionellen
Lerneinschränkungen befreie und jedem die Chance eröffne,
an der Vermehrung und Verbreitung von Wissen im Sinne des individuellen
Weiterkommens und des gesellschaftlichen Fortschritts teilzuhaben,
die pessimistische Vorstellung vom Computer/Internet als Instrument
zur Förderung geistiger Verarmung, sozialer Isolation,
von Kontrolldefiziten über Wissensinhalte angesichts der
Fülle an Informationen etc. gegenüber. Nicht der Mensch
kommuniziere mittels der Technik, sondern die Technik, selber
zum Subjekt geworden, übernehme zunehmend menschliche Verantwortung:
"Es sind primär technische Systeme, Geräte, nicht
Personen, welche Informationen [...] austauschen, deren Bedeutung
in wachsendem Maße nur in einer Auflösung apparativer
Funktionen liegt, also dem technischen System immanent bleibt
[...] Das Veränderungspotential wird nicht mehr primär
im Menschen, sondern in der von ihm hervorgebrachten Technik
gesehen, die sich' entwickelt, gesellschaftliche Veränderungen
bewirkt und schließlich sogar die Ziele für die Entwicklung
der Menschen vergibt" (SESINK 1998, 82).
Zwischen diesen beiden polaren und auf dem entsprechenden Kontinuum
anzusiedelnden unterschiedlichen Mischformen in der Einstellung
zu Computer und Internet kann nicht mit der Frage nach richtig
oder falsch entschieden werden, auch hier gibt es keine absolute
Bestimmung. Vielmehr bieten solche konträren Positionen
die Ausgangsbasis für kritisch-konstruktive Reflexionen.
Oder mit MAROTZKI (2000, 254): "Zwischen einer uniformierten
Ablehnung des Internets in einer bewahrpädagogischen Tradition,
die sich oftmals einer kulturkritischen Perspektive bedient,
und einer unkritischen Euphorie im Sinne einer Technologie-Affirmation
kann das Projekt einer erziehungswissenschaftlich orientierten
Internetkritik systematisch angesiedelt werden." Beispielsweise
geben solche unterschiedlichen Positionen Aufschluss über
die jeweils daran geknüpften sozialen Interessen und die
den Technikbildern korrespondierenden Gesellschafts- und Menschenbildern
und ihren sinnvermittelnden bzw. orientierenden Funktionen,
die jeweils wiederum entwicklungshemmend oder -fördernd
wirken können.
Symptomatisch ist - und dies gilt für beide Extrempositionen
- deren technisch-deterministische Implikation, d.h. die Entwicklung
der IKT und die sukzessive Veralltäglichung des Internets
werden als immanente Folgen eines eigendynamisch verlaufenden
Entwicklungsprozesses gedeutet - mit jeweils unterschiedlichem
Ausgang. Vergessen wird dabei zuweilen, dass der Computer, das
Internet im Grunde völlig trivial sind, sie selber haben
weder Wissen noch sind sie eine Welt für sich. "Sie
bestehen nur aus Daten, die wir uns erst zu Informationen gestalten"
(KORING 2000, 144). Die hohe Relevanz dieses Mediums ist eine
durch und durch sozial konstituierte - eine banale und alte
Feststellung, die aber dazu auffordert, technische Instrumente
in ihrer Historizität und sozialen Gestaltbarkeit zu begreifen.
Die Frage, die sich aber dann hieraus ergibt ist, was bedeutet
Gestaltung von Technik in diesem Zusammenhang genau? Wie ist
die Gestaltbarkeit von Computer und Internet vorstellbar? Bezieht
sich diese lediglich auf die unterschiedlichen Formen der Nutzung,
die vom einfachen Datenabruf bis hin zur Interaktion und Zusammenarbeit
via Internet reichen können? Anders gefragt: Welche Möglichkeiten
der IuK-Technikgestaltung haben Berufs- und Wirtschaftspädagogen,
Lehrer, Studierende, Schüler beispielsweise? Wo liegen
Anknüpfungspunkte, welches sind Grenzen und Bedingungen?
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2.2
Vereinbarkeit ökonomischer und pädagogischer Maxime |
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Darüber, dass der Einsatz
multimedialer und telekommunikativer Medien in Lehr-Lernprozessen,
zumal betrieblichen, ökonomischer Rationalisierungslogik
folgt, besteht in der Literatur kaum Dissens. Mediengestütztes
Lernen könne hervorragend selbstorganisiert verlaufen,
direkte und indirekte Kosten für Weiterbildungsseminare
und der damit verbundene Arbeitsausfall könnten eingespart
werden, weniger produktive Phasen während der Arbeit könnten
zu Lernzwecken genutzt werden: da "Leerzeiten" zu
"Lehrzeiten" (vgl.
EULER in dieser Ausgabe) werden, die Verteilung von Wissen
könne viel rascher erfolgen als mit traditionellen Mitteln,
Lernen könnte viel bedarfsgerechter statt finden. Vor allem
drängen elektronische Medien, so resümiert EULER (in
dieser Ausgabe), "auf den Bildungsmarkt, wenn sie einen
ökonomischen Erfolg versprechen", und: "Ein ökonomischer
Erfolg ist dann zu erwarten, wenn die neuen Produkte [...] einen
Mehrwert gegenüber den vorhandenen bieten". Gleichzeitig
- und hiermit wird eine vermeintliche Konvergenz ökonomischer
und pädagogischer Rationalität beim Einsatz Neuer
Medien unterstrichen - werden den neuen Medien didaktische Potenziale
nachgesagt, die es zu nutzen gelte.
Dass aber zur Herstellung von einer Konvergenz ökonomischer
und pädagogischer Rationalität didaktische Kreativität
alleine nicht ausreicht, sondern über die Prozesse auf
der unmittelbaren Ebene der Gestaltung und Durchführung
von Lehr-/Lernprozessen eine Reihe weiterer Fragen wie die nach
Einstellung, Erfahrung und Motivation der Lernenden (KLAUSER/
KIM/BORN in dieser Ausgabe), nach den Fähigkeiten der
E-Lehrenden (EULER in dieser Ausgabe), der tutoriellen Betreuung
(TENBERG in dieser Ausgabe),
der beratenden Dienstleistungen (LUDWIG
in diesem Band) und des supports durch andere kooperierende
regionale Berufsbildungseinrichtungen (WILBERS
in dieser Ausgabe) zu klären sind, ist hier deutlich
geworden.
Die Wahrung pädagogischer Standards, die also nicht allein
mit einer Didaktisierung des unmittelbaren Lehr-Lernprozesses
erledigt ist, sondern zu denen nicht zuletzt die gleiche Verteilung
von Wissen bzw. den Zugangs- und Nutzungsmöglichkeiten,
die Dokumentation der berufsbiographischen Verwertbarkeit des
Gelernten gehören sollten, die also eine Reihe materieller,
institutioneller, personeller und zeitlicher Ressourcen und
Kapazitäten voraussetzt, erfordert aber einen Aufwand,
der dem ökonomischen Interesse an einer raschen und möglichst
kostengünstigen Mitarbeiteranpassung zuwiderlaufen kann.
Hier stellt sich die Frage nach der Sicherung pädagogischer
Standards. Theoretisch könnten Qualitätskriterien
eine Möglichkeit sein, pädagogische Ansprüche
an E-Learning-Prozesse festzuschreiben. Darüber, inwieweit
und in welcher Relation ökonomische und pädagogische
Maxime beim E-Learning tatsächlich realisiert werden, könnten
Evaluationen des E-Learnings Aufschluss geben (vgl. SEVERING
et al. 2001, 142f). In der Praxis erweist sich die Evaluierbarkeit
von online-Lehr-Lernprozessen jedoch als äußerst
schwierig (KRAFT 1999, 176). Auseinandersetzungen mit "Möglichkeiten
und Grenzen der Evaluation multimedialer und telekommunikativer
Lehr-Lernarragements" (EULER 1999) stehen nach wie vor
am Anfang.
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2.3
"Bildungswert" des Internets |
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Im Kontext der Frage nach den pädagogischen Maximen
stellt sich auch die Frage nach dem "Bildungswert des
Internets" (MAROTZKI/MEISTER/SANDER 2000), die ihrerseits
unmittelbar zu der Frage führt, was ein "Bildungswert"
ist und damit, was Bildung ist. Nach traditioneller und (noch
gültiger) bildungstheoretischer Auffassung entspricht
der gebildete Mensch "dem moralisch Richtigen und Gerechten
nicht bloß im Gehorsam gegenüber den Konventionen,
sondern nach selbständiger Prüfung der Ansprüche
und Entscheidungssituationen. Auf die objektiven Bedingungen
der Welt bezieht er sich nicht mit einer subjektiven Meinung,
er verfügt über reflektierte, gut mit Bezug auf
den Wahrheitsanspruch begründete Urteile. Er ist nicht
abhängig von Moden, sondern vermag sicher seine Geschmacksurteile
zu treffen" (GRUSCHKA 1998, 99). Nicht nur aufgrund der
Elastizität dieser Definition, sondern auch aufgrund
der Schwierigkeit bei der Einschätzung von Wirkungen
und der Konturierung des gesamten Mediums Internet und seiner
pädagogischen Substanz lässt sich schwer messen,
ob eine so verstandene Bildung bzw. ein entsprechender "Bildungswert"
dem Internet innewohnt oder nicht. Bei der Frage nach dem
Bildungswert des Internet finden sich an den jeweiligen Enden
eines Kontinuums von unterschiedlichen Einschätzungen
polare Deutungen, von denen die eine jeglichen Bildungswert
des Internets verneint, da es nur um eine unverzügliche
Anpassung an technisch determinierte Anforderungen gehe, die
keine Zeit für intensive Auseinandersetzungen und Reflexionen
der Welt, der Gesellschaft und des Selbst mehr übrig
lasse, gefragt sei der schnelle Anwender, der Reagierende,
und schließlich verkomme die Frage nach dem Bildungswert
ohnehin zunehmend; die andere betont - mit Hinweis auf die
vielfältigen technischen Gestaltungsspielräume -
die prinzipiellen Möglichkeiten zur Bildung - und zwar
eher Sinne eines anything goes: "Der anarchistische Ansatz
des Internets, nämlich ohne staatliche Reglementierung
auszukommen, bildet ein Milieu, in dem man ein freies Verhältnis
zur medial vermittelten Welt über den Weg des entdeckenden
Lernens entwickeln kann. Die Computertechnologie ermöglicht
im Feature Internet eine chaotische Lernumgebung von höchster
Aktualität, sie ermöglicht aber auch das bewusste
Arrangement von Lernumgebungen" (MEDER 2000, 38; Herv.
i.O.).
Letztendlich ist es müßig, die Frage, ob das Internet
einen Bildungswert hat oder nicht, beantworten zu wollen.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Computer, das Internet
sui generis keinen Bildungswert haben, und dass ein suggerierter
in seinen Gehalten und Ausmaßen sozial konstruiert ist.
Bei der Analyse des Bildungswertes von Internet sind abgesehen
von der pädagogischen Qualität von Lernumgebungen,
-formen und -supports eine Reihe unterschiedlicher Aspekte
zu berücksichtigen, von denen hier zunächst nur
zwei genannt werden sollen: Hierzu gehört der Aspekt
der Virtualität: MAROTZKI (2000) spricht von einer "Virtualitätsverlagerung"
und meint mit diesem Begriff, "dass Menschen offline
ein Leben in sozialen Räumen organisieren und viabel
gestalten und dass sie parallel dazu beginnen, ein Leben online
in digitalen Welten zu gestalten" (245; Herv. i.O.).
Der Befürchtung, dem häufigen Aufenthalt in digitalen
Welten stehe eine Vernachlässigung der realen Lebenswelt
gegenüber, entgegnet Marotzki mit dem Hinweis darauf,
dass die Virtualitätslagerung durchaus zu einer "Polyperspektivität"
und vieldimensionaler Reflexivität beitragen könnte.
Aber: "Die pädagogische Nutzung des Internets -
sei es in lern- oder bildungstheoretischer Hinsicht - setzt
eine Abschätzung der Reichweite dieses neuen öffentlichen
Raums voraus. Eine Sondierung hinsichtlich der Einschätzung,
ob es sich um einen herrschaftsfreien Raum handelt oder wie
er kolonialisiert wird, ist vonnöten" (254).
Der Bildungswert des Internets misst sich - wie bei traditionellen
Medien auch - daran, inwieweit komplexe Sachverhalte von den
Lernenden tatsächlich entschlüsselt, zur Lösung
von Problemen herausgefordert und metakognitive Reflexionen
gefördert werden - anstatt flüchtiges Wissen einfach
nur abrufen und sammeln zu lassen. Ferner korreliert der Bildungswert
des Internets mit den in den Informationen enthaltenen Implikationen,
wie Gesellschafts- und Menschenbilder, ebenso wie mit der
Art und Weise, wie Informationen didaktisch aufbereitet und
präsentiert werden.
Zentral für die Frage nach dem Bildungswert ist zudem
nicht nur, zu wissen, wie, womit und wodurch gelernt wird,
sondern vor allem auch was gelernt wird.
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2.4
Die Inhaltsfrage |
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Während die Frage nach den geeigneten Lernumgebungen
und -formen in der erziehungswissenschaftlichen bzw. berufs-
und wirtschaftspädagogischen Diskussion um E-Learning
eine relativ bedeutende Rolle spielt, bleibt die Frage nach
den konkreten Inhalten weitgehend unterbelichtet. Eine Abstrahierung
von der Inhaltsfrage, genauer: von der Auswahl, Begründung
und Anordnung von Lerninhalten in Lehr-Lernprozessen zeigt
sich im übrigen auch in der sich spätestens seit
den 70er Jahren stärker auf die Methodenfrage konzentrierenden
berufs- und wirtschaftspädagogischen Curriculumforschung
und -diskussion. Ursache oder Folge hiervon ist ein sich Voneinanderwegbewegen
von Qualifikations- und Curriculumforschung - oder wie HUISINGA
(2002) formuliert, eine "Diskontinuität und Segmentation
des Zusammenhangs von Qualifikations- und Curriculumforschung".
Inhalte spielten bei der Gestaltung von Lehr-Lernprozessen
eine entscheidende Rolle, auch oder gerade im Zusammenhang
mit der Frage nach Möglichkeiten der Entwicklung von
extrafunktionalen Kompetenzen. Aus der Bildungstheorie ist
bekannt, dass "(berufliche) Bildung [...] nicht nur formale
Bildung, und zwar auch dort nicht [ist], wo es sich um die
Herausbildung von Sozial- und Selbstkompetenz, also um Subjektbildung'
handelt. Selbstständigkeit, kritische Distanz, Autonomie
und Handlungskompetenz erschöpfen sich nicht in den Lernformen,
sondern setzen die inhaltliche Auseinandersetzung mit den
bereits bekannten Gegenständen voraus, die Begrenzungen,
Vereinseitigungen, neue Risiken und neue Hierarchisierungen
hervorrufen" (RÜTZEL 1998, 47). Folglich können
sich Auseinandersetzungen mit der Frage nach den Kompetenzen
für und durch E-Learning nicht nur auf Methodenkompetenzen,
etwa auf das Handling der Technik und den Umgang mit der Vielfalt
an Informationen im Internet - deren bzw. dessen Relevanz
für einen souveränen Umgang mit dem Computer keinesfalls
relativiert werden soll - konzentrieren. Auch wenn es heißt,
extrafunktionale Kompetenzen, zumal Problemlösungswissen,
seien mittlerweile mindestens genauso bedeutsam wie Faktenwissen,
bleibt letzteres eine zentrale Basis für kompetentes
und souveränes Handeln.
Allein aus den oben genannten Gründen ergibt sich u.E.
die Notwendigkeit, die Frage nach dem Umgang mit der konkreten,
fachbezogenen Inhaltlichkeit bei Auseinandersetzungen mit
E-Learning innerhalb der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
zu präzisieren.
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2.5
Berufs- und wirtschaftspädagogische Verortung |
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Als letzte möchten wir die Frage nach dem Stellenwert
der Debatte um E-Learning innerhalb der berufs- und wirtschaftspädagogischen
Diskussion aufwerfen. Zwar lässt sich in den letzten
Jahren eine zunehmende Hinwendung zu dieser Thematik feststellen,
gleichzeitig haben diese Auseinandersetzungen innerhalb der
Disziplin eher noch punktuellen bzw. Segmentcharakter. Um
eine Verbreitung der Beschäftigung mit E-Learning innerhalb
der Berufs- und Wirtschaftspädagogik voranzutreiben,
wäre zunächst eine Systematisierung relevanter Forschungsfragen
im Bereich des E-Learnings hilfreich, um Zuordnungen wie etwa
zur Institutionen-, Professionalisierungs-, Curriculum-, Lehr-Lern-Forschung
usw. vornehmen zu können. Auch würde sich in diesem
Zusammenhang die Frage der multidisziplinären Ausrichtung
von Diskussionen und Forschungsvorhaben stellen. In ihrer
"Berichterstattung über Berufsbildungsforschung"
differenzieren VAN BUER/KELL (2000) zwischen wissenschaftsbezogenen
und bereichsbezogenen Verflechtungen in der Berufsbildungsforschung.
Fragen des Internets, seiner gesellschaftlichen Bedeutungen
und Voraussetzungen, können und werden einmal in den
die Berufsbildungsforschung bzw. Berufs- und Wirtschaftspädagogik
betreffenden unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen behandelt
(wie in der Arbeitswissenschaft, der Wirtschaftswissenschaft,
der Rechtswissenschaft, der Politikwissenschaft, der Soziologie,
der Psychologie, der Anthropologie), und gleichzeitig in den
unterschiedlichen benachbarten Forschungsbereichen (wie in
der Biographie-, Berufs-, Arbeitsmarkt-, Hochschul-, Frauen-,
Jugend-, Erwachsenenbildungs- und Bildungsforschung) thematisiert.
In den unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsbereichen
werden Fragen gestellt, Perspektiven entwickelt und Untersuchungen
durchgeführt, die auch für die Weiterentwicklung
der berufs- und wirtschaftspädagogischen Auseinandersetzung
mit Lernen in Netzen ertragreich bzw. inspirierend sein können.
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3
Schluss |
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Das Thema "Lernen in Netzen" - das haben unsere
Erfahrungen gezeigt - wirft in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
umso mehr Fragen auf, je intensiver die Diskussionen darum
geführt werden. Einige haben wir nur angerissen. Darüber,
welche Theorien konstruiert, welche Konzeptionen entwickelt,
welche Untersuchungen mit welchen Fragestellungen und methodischen
Zugängen in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik
bzw. in den für sie relevanten Nachbarbereichen durchgeführt
werden, gibt es derzeit keinen Überblick - etwa in Form
einer Datenbank. Eine solche Systematisierung könnte
aber beispielsweise nicht nur dem Austausch dienen, sondern
auch eine Grundlage dafür sein, das Forschungsfeld aus
der Sicht der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zu konturieren
und zu vermessen, um so Fragen zu präzisieren, Forschungsbedarfe
zu definieren und Reformvorschläge zu formulieren.
Wir haben mit Hinweis auf die anderen Beiträge in dieser
Ausgabe darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Diskussion
um E-Learning nicht allein auf Lehr-Lernprozesse reduzieren
sollte, sondern neben den subjektiven Voraussetzungen, den
vorhandenen Ressourcen und Kapazitäten auch die kontextuellen
Bezüge in Schule und Betrieb zu berücksichtigen
sind. Darüber hinaus spielt dann auch das, was WILBERS
(in dieser Ausgabe) als "zweite Stoßrichtung"
bezeichnet hat, eine Rolle, nämlich das "Lernen
in sozialen und institutionellen Netzen". Mit einer ähnlichen
Überlegung hatten wir eingangs von einer Kohärenz
von interinstitutionellem, organisationalem und informations-
und kommunikationstechnischem Lernen gesprochen.
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Literatur |
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