JOACHIM LUDWIG (Universität der
Bundeswehr München) |
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Be-online: Lernberatung im Netz |
Der
folgende Beitrag problematisiert aus einer didaktiktheoretischen
und lerntheoretischen Perspektive Lehr-, Lernverhältnisse
im Internet und stellt das didaktische Konzept einer Online-Lernberatung
für Weiterbildungsprozesse in betrieblichen Modernisierungskontexten
vor. Es wird zunächst die These begründet, dass Weiterbildung
in gesellschaftlich-betrieblichen Modernisierungskontexten in
vielen Fällen eine beratungsorientierte Didaktik - im Unterschied
zu einer vermittlungsorientierten Didaktik - erfordert. Daran
anschließend wird aus einer lerntheoretischen Perspektive
"verstehen/beraten" als zentraler Referenzpunkt didaktischen
Handelns vorgestellt. Schließlich werden am Beispiel des
Forschungs- und Entwicklungsprojektes be-online die Vor- und
Nachteile des Mediums Internet für eine beratungsorientierte
Didaktik dargelegt und zukünftige Forschungsperspektiven
aufgezeigt. Dieser Beitrag konzentriert sich also auf didaktik-
und lerntheoretische Begründungen sowie auf eine Problematisierung
der Umsetzungsmöglichkeiten für eine beratungsorientierte
Didaktik im Internet. Dabei wird der spezifische Charakter dieser
Zeitschrift als Online-Zeitschrift genutzt, um an verschiedenen
Stellen Verbindungen zu bildungspraktischen Darstellungen der
Online-Lernberatung im Internet herzustellen (www.projekt-be-online.de).
Die theoretischen Begründungen und die praktischen Darstellungen
mögen zusammen einen vertieften Einblick in den Versuch
einer Online-Lernberatung geben. |
1 Der
Eigensinn des Lerners als Problem der Online-Didaktik |
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Bildungsangebote im Internet basieren
überwiegend auf einer vermittlungsorientierten Didaktik:
ein von Pädagogen oder Anderen vorbestimmter Stoff wird
Lernenden als Lernanforderung angetragen und methodisch so aufbereitet,
dass seine Aneignung in anschaulicher Weise gelingen mag. Vermittlungsdidaktiken
umfassen ein breites Spektrum: Es reicht von einfacheren Übertragungsmodellen,
denen gemäß Lernende instruiert werden, bis hin zu
anspruchsvollen Entdeckungs- bzw. Verständigungsmodellen
. Immer aber bleibt ein zu vermittelnder Inhalt - meist exemplarisch
ausgewählt - der Ausgangspunkt didaktischen Handelns. Immer
ist die Aneignung des Inhalts Ziel des didaktischen Handelns
- auch wenn dies in individualisierter oder relativierter Weise
geschieht (z.B. in den Verständigungsmodellen). Schul-
und Ausbildungssituationen sind typisch für diese didaktischen
Vermittlungsperspektiven. Der Lehrplan für einen bestimmten
Schul- oder Ausbildungsabschnitt repräsentiert die Lernanforderung
mit den zu vermittelnden Inhalten.
Der didaktische Referenzpunkt des Lernens im Netz bleibt der
vom Lehrenden bzw. vom Lehrprogramm zu vermittelnde Inhalt,
den sich möglichst die gesamte Lerngruppe aneignen soll.
Der einzelne Lerner kann dabei nur begrenzt abweichen: auf den
vom Programm vorbedachten und angebotenen Wegen oder über
tutorielle Angebote. Individuelle Lernbesonderheiten können
in der face-to-face-Situation des Präsenzseminars durch
erfahrene Lehrer/innen leichter aufgegriffen werden. Lernen
ist nicht die einfache Kehrseite des Lehrens. Dieser "Lehr-Lern-Kurzschluss"
(Holzkamp 1996) tritt auf, wenn die subjektive Planungsaktivität
des Lehrers mit der subjektiven Lernaktivität des Lerners
in Eins gesetzt wird. Lernhandlungen gehorchen bei aller Lehrplanung
durch Pädagogen dem subjektiven Eigensinn des Lerners und
sind von der Lehrhandlung zu unterschieden.
Diese Differenz von Lehrhandlung und Lernhandlung mag in Schul-
und Ausbildungssituationen oft übersehen werden, weil dort
das Expertenwissen der Lehrenden von allem Beteiligten -zumindest
vordergründig - als sinnvoll akzeptiert wird. Eine Vermittlungsdidaktik
hat in Schul- und Ausbildungssituationen auch ihren festen Ertrag.
Weiterbildungsprozesse in Modernisierungskontexten stellen sich
aber grundlegend anders dar, weil die Weiterbildungsteilnehmer
selbst Experten ihrer spezifischen Handlungssituation sind,
die vorgeplante Lösungen nicht ohne weiteres akzeptieren.
Der Eigensinn des Lerners und das von ihm eingebrachte Wissen
als spezifischer Bedeutungshorizont erhalten einen zentralen
Stellenwert im Weiterbildungsprozess, den Online-Angebote aufzunehmen
haben. |
2
Charakteristika der Weiterbildung in betrieblichen Modernisierungskontexten |
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Aus lerntheoretischer und didaktischer
Perspektive ist für betriebliche Modernisierungsprojekte
charakteristisch, dass dort Menschen an die Grenzen ihrer
Handlungsfähigkeit stoßen und im Rahmen ihrer bis
dato erworbenen beruflichen Kompetenz problematische Handlungssituationen
erfahren. Gesellschaftlich-betriebliche Modernisierungsprozesse
stellen sich unübersichtlich, offen, gefahrvoll und komplex
dar. Konstitutiv für Komplexität sind beispielsweise
uneindeutige Zielvorgaben, unklare Neben- und Fernwirkungen,
die Eigendynamik von Entwicklungen und unbekannte Handlungsmöglichkeiten.
Dies soll mit einem Beispiel aus der Weiterbildungspraxis
kurz illustriert werden: Wilfried ist als Personalratsvorsitzender
einer Kommunalverwaltung ein zentraler Akteur im Rahmen der
Verwaltungsreform. Die Verwaltungsstrukturen sollen durch
Dezentralisierung und Flexibilisierung im Rahmen der Verwaltungsreform
effizienter und bürgerfreundlicher gestaltet werden.
Die Reform soll darüber hinaus den Beschäftigten
der Kommunalverwaltung humanere, interessante und sichere
Arbeitsplätze bringen. Ein Zielbündel, dass in seiner
Komplexität unklar, zum Teil widersprüchlich und
offen ist. Die Akteure handeln in diesem Reformprojekt mit
einem hohen Grad an Unsicherheit. Wilfried entscheidet sich
für eine Weiterbildung mit dem Thema "Gestaltungskompetenz
in Modernisierungsprojekten", nachdem er in einem Reformprojekt
"Wohnungsbörse" in Konflikte gerät, die
er selbst nicht mehr ausreichend zu überblicken glaubt
und aus denen er keinen Ausweg mehr erkennt. Das Projekt "Wohnungsbörse"
des Sozialamts wird sowohl in der Öffentlichkeit, von
der Verwaltungsspitze, vielen Personalräten und auch
von Wilfried selbst sozialpolitisch unterstützt. Es soll
die Wohnungsvermittlung insbesondere für benachteiligte
Bürger verbessern. Allerdings müssen gemäß
dem Projektplan auch Ämter zusammengelegt werden, was
den Interessen einiger Beschäftigtengruppen entgegen
läuft. Diese Modernisierungsverlierer fordern von Wilfried
zur Vertretung ihrer Interessen die Verhinderung bestimmter
Reformmaßnahmen, insbesondere die geplanten Zusammenlegungen.
Wilfried will einerseits das Reformprojekt sozialpolitisch
unterstützen, andererseits aber auch die Interessen dieser
Beschäftigtengruppen vertreten. Diese Rücksichtnahme
auf die Beschäftigteninteressen wird von den Protagonisten
des Projekts nicht geschätzt. Das bringt ihn in ein Dilemma
und in verschiedene Konfliktsituationen. Wie soll er weiter
handeln?
Wilfried bringt vor diesem Hintergrund eine Handlungsproblematik
in die Weiterbildung ein, die unterschiedlichste Aspekte umfasst:
In seiner konfliktgeladenen Handlungssituation treffen Identitätsfragen
als Personalrat, rechtliche Aspekte, Macht- und Beziehungsfragen,
Genderkonflikte, Fragen nach möglichen Interessensvertretungsmodellen
und verschiedene Rollenverständnisse von Interessensvertretern
aufeinander.
Bildungsteilnehmer/innen suchen Orientierung in solchen unübersichtlichen
und komplexen Handlungssituationen. Welcher Weiterbildner
kann für solche Situationen noch Hilfe versprechende
Inhalte planend auswählen und legitim vermitteln? Teilnehmer/innen
an Weiterbildungen stehen Bildungsangeboten skeptisch gegenüber,
die aus der Sicht eines Experten Lösungen anbieten. Dies
hat verschiedene Gründe. Anders als in Ausbildungssituationen
sehen sich mit Expertenrat konfrontierte Weiterbildungsteilnehmer/innen
nicht in ihrem eigenen Expertenstatus anerkannt. Hinzu kommt,
dass von Experten vorbedachte Weiterbildungsinhalte meist
nur einzelne Aspekt der vom Teilnehmer mitgebrachten Handlungsproblematik
tangieren, z.B. den rechtlichen Aspekt, den Beziehungsaspekt
usw. Dies muss aber nicht der Aspekt sein, den der/die Teilnehmer/in
zur Lösung seines/ihres Problems für relevant hält.
Halten Teilnehmer/innen aber das Angebot für sich nicht
relevant, wird weder Lernen noch ein Transfer in den Alltag
möglich.
Weiterbildung allgemein und auch Online-Weiterbildung im Besonderen
haben sich den Relevanzen und dem Eigensinn der Lernenden
zuzuwenden. Erforderlich ist ein didaktischer Paradigmenwechsel,
der dem Eigensinn der Lernenden gerecht wird und nicht bei
seiner Rolle als Adressat oder Teilnehmer stehen bleibt. Lernende
konstituieren den Bildungsprozess in gleicher Weise wie die
Lehrenden und nehmen nicht nur teil . Die Rolle der Lernenden
in Weiterbildungsprozessen lässt sich selbst als Ausdruck
gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse verstehen, an denen
Weiterbildung teil hat und die Weiterbildung als Institution
verändern. Zwei gesellschaftliche Modernisierungsphänomene
treffen in der Weiterbildung aufeinander: zum einen ein erweitertes
Selbstbewusstsein der Lernenden gegenüber pädagogischen
Anforderungen, zum anderen eine verringerte Sicherheit bezüglich
der Geltung und Relevanz zu vermittelnder Wissensbestände.
Expertenwissen wird in der Wissensgesellschaft selbst problematisch
und reflexiv . Der technischen Innovation wäre also -
zumindest für Weiterbildungsprozesse in Modernisierungskontexten
- eine didaktische Innovation an die Seite zu stellen, die
Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Komplexität
sozialer Handlungssituationen angemessen aufgreift und mit
der flexiblen Verfügbarkeit des Internets verbindet.
Ertragreich erscheinen hier didaktische Ansätze, die
als Referenzpunkt ihres didaktischen Handelns nicht "vermitteln",
sondern "verstehen/beraten" wählen. Das pädagogische
Handeln bezieht sich dann verstehend und beratend auf den
Eigensinn des subjektiven Lernhandelns. Wie aber ist der Eigensinn
des Lernenden zu begreifen, damit er im didaktischen Kontext
verstanden werden kann?
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3
Lernen als soziale und begründete Handlung |
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Lernhandlungen Erwachsener sind
interessensbestimmt. Sie entstehen, wie bei Wilfried, aus einer
subjektiv empfundenen Unzulänglichkeitserfahrung in bestimmten
Handlungssituationen und sind mit dem Interesse verbunden, zukünftig
in solchen oder ähnlichen Situationen wieder handlungsfähig
zu werden oder erfolgreicher zu handeln. Lernen erscheint Erwachsenen
dabei als eine erfolgversprechende Strategie, mit der sie/er
weiterführende Einsichten und Perspektiven antizipieren
kann.
Lernen kann als eine spezielle Form sozialen Handelns (vgl.
Holzkamp 1993) verstanden werden. Lernhandlungen oder Lernschleifen
entstehen an jenen Stellen des Alltagshandelns, an denen das
Subjekt ein Handlungsproblem erfährt und sich durch Lernen
eine erweiterte Handlungsfähigkeit verspricht. Die Lernhandlung
des Subjekts basiert also auf einer Irritation als Diskrepanzerfahrung,
aus der heraus es Gründe für eine Lernschleife entwickelt.
Diese subjektiven Lernbegründungen zielen auf eine Erweiterung
der empfundenen gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten
. Wilfried will beispielsweise seinen Konflikt lösen und
Handlungsperspektiven gewinnen, die ihm sowohl die Interessenvertretung
der betroffenen Beschäftigten ermöglichen als auch
sein sozialpolitisches Ziel realisieren.
Lernen ist so betrachtet eine soziale Kategorie, die mit den
Bedürfnissen und Interessen des Weiterbildungsteilnehmers
in seiner Lebenspraxis verbunden ist. Lernende dringen in für
sie noch nicht verfügbare gesellschaftliche Handlungsmöglichkeiten
ein, indem sie sich gesellschaftlich verfügbare, aber noch
nicht subjektiv gegebene Bedeutungshorizonte/Wissen erschließen.
In Wilfrieds Fall wären dies beispielsweise verschiedene
Rollenkonzepte von Gestaltungsakteuren in Modernisierungsprojekten.
Solche Rollenkonzepte könnten sich ihm dann als potentieller
Lerngegenstand darstellen, wenn er mit einem neuen Rollenkonzept
eine Erweiterung seiner Handlungsfähigkeit antizipieren
kann. Inwieweit er diese Potenzialität aufgreift oder verweigert
ist also seinen Interessen geschuldet, die in seiner spezifischen
Diskrepanzerfahrung und seinen Lernbegründungen zum Ausdruck
kommen. Lernen ist so gesehen ein Selbstverständigungsprozess,
den der Lernende zwischen seinen bestehenden Bedeutungshorizonten
und noch nicht verfügbaren gesellschaftlichen Bedeutungshorizonten
vollzieht. |
4 Verstehen/beraten
als didaktischer Referenzpunkt der Lernberatung |
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Wenn Lernen in der beschriebenen Weise als begründetes
Handeln im sozialen Kontext verstanden werden kann, dann besteht
in Lehr-, Lernverhältnissen die Möglichkeit, Lernhandlungen
als Selbstverständigungsprozess zwischen subjektiv gegebenen
und noch nicht verfügbaren gesellschaftlichen Bedeutungshorizonten
zu verstehen und zu unterstützen. Dies bietet einen Referenzpunkt
für didaktisches Handeln, der beim lernenden Subjekt
und seiner Handlungsproblematik liegt und nicht bei einem
zu vermittelnden Inhalt.
Lernberatung zielt auf die Unterstützung des Selbstverständigungsprozesses
des Lernenden in seinem gesellschaftlich-betrieblichen Umfeld.
In Wilfrieds Fall zielte die Lernberatung beispielsweise auf
das erweiterte Verstehen seiner Konfliktsituation mit den
implizierten Handlungsgründen der verschiedenen Akteure
und den spezifischen betrieblichen Strukturen, um daraus neue
Handlungswege ableiten zu können. Lernberatung zielt
- in Abgrenzung zu Konzepten, die Lernberatung als Kompensation
individueller Lerndefizite definieren - nicht nur auf die
Person der/des Lernenden, sondern insbesondere auf das Verhältnis
zwischen Lernendem und gegenständlich-thematischen Problemstellungen.
Der Versuch, den Selbstverständigungsprozess des Lernenden
zu verstehen, ist ein Fremdverständigungsprozess zwischen
Weiterbildner/in und Lernendem. Dieser Versuch beinhaltet
immer zugleich auch die Möglichkeit des Nicht-Verstehens.
Wer als Weiterbildner/in Lernende verstehen will ist selbst
gefordert, auf die erzählte Handlungsproblematik des
Lernenden das eigene mitgebrachte Vorwissen, seine eigene
Sinnperspektive anzulegen. Ein Vorgang in dem bereits Nicht-Verstehen
angelegt ist, wenn das eigene Vorverständnis die Oberhand
gewinnt und den fremden Sinn immer gleich subsumiert. Das
Verstehen des Selbstverständigungsprozesses des Lernenden
als Fremdverstehen durch den/die Weiterbildner/in ist ein
hermeneutischer Prozess, der einerseits handlungshermeneutische
Kompetenz voraussetzt (vgl. Ludwig 2002) und andererseits
einer gewissen Systematik bedarf, die es als didaktisches
Setting abzusichern gilt. Beides soll Verstehen ermöglichen
und verhindern, dass vorschnell die Handlungsproblematik des
Lernenden unter die Sinnperspektive des/der Weiterbildners/in
subsumiert wird.
Das didaktische Handeln mit dem Referenzpunkt verstehen/beraten
ist als hermeneutischer Prozess mit der Fallrekonstruktion
in der qualitativen Sozialforschung vergleichbar und steht
vor ähnlichen Problemen. Verstehen verfolgt in beiden
Fällen das Ziel, Typisches und Verallgemeinerbares in
der besonderen Handlungsproblematik des Lernenden zu finden,
aus dem heraus der Fall/die Handlungsproblematik in neuer
Weise verstanden werden kann. Das Verstehen des Selbstverständigungsprozesses
ist ein abduktiver Prozess , in dem die Sinnperspektiven des
Lernenden mit den Sinnperspektiven des Verstehenden als Gegenhorizont
verschränkt werden. Das im Verstehensprozess Gesuchte
ist ein Begründungs- und Erklärungszusammenhang,
der die Handlungsproblematik in ihren relevanten Aspekten
verstehen lässt. Das Problem dabei ist, dass es einen
prinzipiell unabgeschlossenen Raum von Gegenhorizonten (mögliche
Sinn- und Bedeutungshorizonte/ Erklärungszusammenhänge)
auf den Fall/die Handlungsproblematik gibt und die Relevanz
der einzelnen Bedeutungshorizonte für die Begründung/Erklärung
des Falles im Lehr-, Lernprozess von den Beteiligten unterschiedlich
bewertet wird.
Im Unterschied zur Textrekonstruktion im Rahmen der qualitativen
Sozialforschung ist der Textproduzent, der seine Handlungsproblematik
erzählt, im Weiterbildungsprozess selbst anwesend. Dies
hat zur Folge, dass Gegenhorizonte, also alternative Sinnperspektiven
auf die erzählte Handlungsproblematik, vom Erzähler
schnell als unzulässige Kritik empfunden werden. Ohne
kritische Gegenhorizonte gelingt aber kein Verstehen der eingelagerten
gesellschaftlichen Strukturen im Fall. Es bliebe bei einem
reinen Nachvollzug der erzählten Sinnperspektiven in
der Handlungsproblematik, was schließlich einer intentionalistischen
Verkürzung der Handlungsproblematik gleich käme.
Die Kritik im Verstehensprozess des Lehr-, Lernverhältnisses
ist deshalb im Medium unbedingter Anerkennung des Lernenden
zu leisten, welche die Kritik in der Schwebe lässt (vgl.
Straub 1999, 66). Verstehen, Kritik und Anerkennung bilden
einen untrennbaren Zusammenhang in der Lernberatung.
Kritik bei gleichzeitiger Anerkennung kann gelingen, wenn
kritische Gegenhorizonte auf die Handlungsproblematik als
mögliche Gegenhorizonte in den Verstehensprozess eingebracht
werden und nicht mit einem Wahrheits- und Durchsetzungsanspruch
verbunden werden. Letzteres behindert Verstehen als Selbst-
und Fremdverständigungsprozess. Die Multiperspektivität,
wie sie in kooperativen Lerngruppen durch die Mitarbeit mehrerer
Interpreten geschaffen wird, kann ein breites Möglichkeitsfeld
an Gegenhorizonten erschließen. Gegenhorizonte auf die
erzählten Sinnhorizonte in der Handlungsproblematik besitzen
für Lernende dann Beratungscharakter: sie können,
müssen aber nicht für die Erklärung der eigenen
Handlungsproblematik herangezogen werden. Das Lernen im Sinne
einer Erweiterung/Ausdifferenzierung bestehender Sinnhorizonte
bleibt als subjektiver Prozess für Andere unverfügbar.
Lernberatung will ein intersubjektives und kooperatives Lehr-,
Lernverhältnis ermöglichen (vgl. Holzkamp1993, 528),
in dem die Beteiligten versuchen, sich selbst und wechselseitig
zu verstehen, indem sie ihre unterschiedlichen Bedeutungshorizonte
auf eine Handlungsproblematik miteinander vergleichen und
in anerkennender Weise kritisieren. Dies meint, dass die Handlungsgründe
des Lernenden in einer schwierig erlebten Handlungssituation
einerseits anerkannt werden, andererseits aber auch in kritischer
Absicht die Möglichkeit alternativer Bedeutungs-, Begründungshorizonte
als Gegenhorizonte in die Lernberatung eingebracht werden.
5
Lernberatung online |
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Das Projekt be-online (www.projekt-be-online.de) ist
Teil des Forschungs- und Entwicklungsprogramms "Lernen
für den Wandel - Wandel im Lernen: Lernkultur Kompetenzentwicklung"
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Ziel des Projekts be-online ist die Entwicklung eines
beratungsorientierten Bildungszusammenhangs im Internet.
Diese Lernberatung im Netz wird mit Blick auf Weiterbildungsträger
entwickelt, die beratungsorientierte Bildungsprozesse
im Internet als ein neues Angebot in ihr Programm aufnehmen
wollen. Weiterbildungsträger sollen unterstützt
werden, Online-Lernberatung für Akteure in betrieblichen
Modernisierungsprojekten durchführen zu können.
Das Projekt be-online wird derzeit in Bildungsstätten
der Gewerkschaft ver.di umgesetzt. Bildungsteilnehmer/innen
in diesen Online-Foren sind Betriebs- und Personalräte
aus betrieblichen Modernisierungsprojekten. Die Online-Foren
umfassen ca. 12 Teilnehmer/innen, die in einem Mix aus
Präsenzseminaren und Onlinephasen zusammen arbeiten.
Jedes Online-Forum beginnt mit einem einwöchigen
Präsenzseminar und wird dann online im Internet
weitergeführt. Insgesamt arbeitet ein Online-Forum
zirka ein Jahr zusammen. Die einjährige Onlinephase
wird nochmals von einem dreitägigen Zwischenseminar
unterbrochen. Ziel der Online-Foren ist die zeitnahe
und arbeitsplatznahe Unterstützung der betrieblichen
Gestaltungskompetenz von Betriebs- und Personalräten
bei der Bewältigung des betrieblichen Wandels.
Das Konzept der Online-Lernberatung hat in zentraler
Weise das Bildungskonzept und Arbeitsmodell "Fallarbeit"
zur Grundlage, wie es von Kurt R. Müller u.a. (1998
u.1997) entwickelt wurde . "Fallarbeit" nimmt
seinen Ausgangspunkt in problematisch erlebten Handlungssituationen/
Handlungsproblematiken einzelner Bildungsteilnehmer,
die als "Fallerzählung" Eingang ins Seminar
bzw. Online-Forum finden. Diese Handlungsproblematiken
können Aktualität besitzen oder aber auch
länger zurück liegen. Sie sollten in jedem
Fall eine emotionale Befindlichkeit und Diskrepanzerfahrung
des Fallerzählers repräsentieren, die eine
Lernschleife begründen kann. Im Beispielfall Wilfried
(http://www.projekt-be-online.de/projekt/realisierung/beispielfall.php)
ist dies die subjektiv empfundene Konfliktlage im Projekt
Wohnungsbörse zwischen dem sozialpolitischen Ziel
und dem Ziel, die Interessen der betroffenen Beschäftigten
zu vertreten. Wilfried wollte "am liebsten alles
hinwerfen".
Das Arbeitsmodell "Fallarbeit" wurde für
die vernetzte Arbeitssituation im Internet, in der die
einzelnen Forumsteilnehmer/innen einerseits kooperierend,
andererseits aber auch individueller und losgelöster
vom Forum arbeiten können, zu vier Arbeitskomplexen
zusammengefasst (www.projekt-be-online.de/projekt/konzepte/arbeitsmodell.php):
1. Arbeitskomplex: Erzählen der
Fallgeschichte und Nachfragen stellen
2. Arbeitskomplex: Hineinversetzen in die Akteure der
Fallerzählung
3. Arbeitskomplex: Spuren suchen und Kernthemen sammeln
4. Arbeitskomplex: Kernthemen bearbeiten und Handlungsoptionen
eröffnen.
Die Lernberatung beginnt mit der Auswahl eines Falles,
der zunächst vom Fallgeber erzählt und von
den anderen Forumsteilnehmern/innen nachgefragt wird.
In die erzählte Handlungsproblematik - hier von
Wilfried - versetzen sich die anderen Forumsteilnehmer/innen
aus ihren individuell verschiedenen Perspektiven hinein
und eröffnen so neue, vom Fallerzähler bisher
nicht erkannte Sichtweisen auf den Fall. Im dritten
Arbeitskomplex wird die erzählte Handlungsproblematik
unter verschiedenen Aspekten interpretiert (z.B. Handlungsgründe
der Projektleitung und der betroffenen Beschäftigen,
Beziehungen zwischen den Personalratsmitgliedern sowie
zur Verwaltungsleitung und zu den Beschäftigten,
ökonomische und organisatorische Strukturen in
der Verwaltung usw.). Je mehr Perspektiven auf den Fall
möglich werden, um so breiter wird das Spektrum
möglicher Bedeutungshorizonte auf die Handlungsproblematik
aufgedeckt. Bei dieser Suche nach möglichen Lesarten
des Falles ist das Ziel Vielfalt und Differenz - hergestellt
durch die individuellen Perspektiven der einzelnen Forumsteilnehmer/innen,
nicht Einheit und Kosens für eine "richtige"
Lesart. Es sollen möglichst viele, auch für
den Fallerzähler kritische Lesarten erarbeitet
werden, aus denen er später eine für sich
passende Lesart auswählen kann. Die kritischen
Aspekte in den alternativen Lesarten zu den Handlungssituationen
im Fall bleiben in der Schwebe, weil diese kritischen
Lesarten nur mögliche Perspektiven auf den Fall
darstellen.
Zum Ende des dritten Arbeitskomplexes werden durch den
Fallerzähler zentral erscheinende Kernthemen ausgewählt,
die im vierten Arbeitskomplex mit Hilfe zusätzlich
eingeführten Wissens in abduktiver Weise verknüpft
werden. In Wilfrieds Fall waren dies verschiedene Rollenmodelle
als Gestaltungsakteur in Organisationsentwicklungsprojekten.
Dadurch soll die individuell erlebte, besondere Handlungsproblematik
in ihren allgemeinen typischen Strukturen erkennbar
werden und sich für den Fallerzähler in ihrer
strukturellen Rahmung zeigen, aus der sich neue Handlungswege
ableiten lassen. Durch die Verallgemeinerung der besonderen
Handlungsproblematik können die anderen Teilnehmer/innen
ebenfalls Einsichten in eigene schwierige Handlungssituationen
gewinnen, die ähnliche Strukturen aufweisen. Am
Ende dieses beratungsorientierten Bildungsprozesses
werden vor dem Hintergrund der gewonnen Einsichten in
den Fall und auf den Fall mögliche Handlungsoptionen
gesammelt, die der Fallerzähler Wilfried für
sein Modernisierungsprojekt mitnehmen kann. Durch neue
Einsichten in die Handlungsproblematik und durch praktische
Handlungsoptionen, bezogen auf die konkrete betriebliche
Situation, will die Fallberatung Voraussetzungen für
die Erweiterung von Wilfrieds Handlungsfähigkeit
schaffen.
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5.1 Das Internet als günstige Voraussetzung für eine
beratungsorientierte Didaktik |
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Die Zusammenarbeit im Internet bietet im Vergleich zum Präsenzseminar
- neben Nachteilen - auch günstige Voraussetzungen für
eine Lernberatung. Zu nennen ist hier zunächst die mögliche
Aktualität in der Bearbeitung von Handlungsproblematiken.
Akteure in betrieblichen Modernisierungsprojekten können
sich langfristig - über ein Jahr hinweg - in einem Online-Forum
als Netzwerk zusammenschließen und vergangene sowie
aktuell entstehende Handlungsproblematiken zum Gegenstand
des Online-Forums machen. Auf diese Weise wird vermieden,
dass jemand für eine aktuell entstehende Lernproblematik,
die in einem Projekt entsteht, ein passendes und zeitnahes
Weiterbildungsangebot suchen muss - was selten gelingt.
Ein zentraler Vorteil der Online-Lernberatung ist die individualisierte
und zugleich gruppenvernetzte Arbeitsweise im virtuellen Kontext
des Internets. Online-Foren bilden in doppelter Hinsicht ein
Netz. Sie sind technisch über das Internet vernetzt und
bilden zugleich ein Netzwerk individueller Perspektiven auf
eine gemeinsame Fallgeschichte im Forum. Demgegenüber
unterstützt die Gruppensituation im Präsenzseminar
einen "Anschluss-Effekt", in dessen Folge sich Interpretationen
Einzelner an einer Leitinterpretation anschließen können.
Im Online-Forum interpretiert zunächst jedes Mitglied
die Fallerzählung für sich selbst im Austausch mit
dem Fallerzähler. Der/die einzelne Interpret/in hat also
mehr Distanz zu den anderen Forumsmitgliedern. Die Verbindung
zu den anderen Forumsmitgliedern ist zu Beginn der Fallarbeit
nur punktuell gegeben. Dies unterstützt ein möglichst
breites Spektrum an Interpretationen der Fallgeschichte. Erst
wenn die Vielfalt der Interpretationen erarbeitet ist, wird
gemeinsam das Neue und Verallgemeinerungsfähige im Fall
gesucht. Der virtuelle Kontext wird so im Rahmen einer beratungsorientierten
Didaktik zum Vorteil, der mehr Multiperspektivität ermöglicht.
Im Rahmen einer vermittlungsorientierten Didaktik gerät
die Individualisierung im virtuellen Kontext zum Nachteil,
weil ein erhöhter Kontrollaufwand mit Blick auf die Aneignung
der geplanten Lehrziele erforderlich wird.
Für die Lernberater/innen ergeben sich Vorteile aus der
distanzierten und schriftlichen Kommunikation im Online-Forum
. Der verstehende Zugang zu den Lernbegründungen der
einzelnen Seminarteilnehmer/innen ist in Präsenzseminaren
für den/die Fallberater/in aufgrund der alltäglichen
Kommunikationssituation im Seminar begrenzt. Relevante Bedeutungs-/Begründungshorizonte
von Seminarteilnehmer/innen können in der Gruppenkommunikation
verloren gehen. Demgegenüber liegen die Bedeutungs-,
Begründungshorizonte der Forumsteilnehmer/innen in den
asynchronen Forumsbeiträgen schriftlich vor und können
von den Online-Fallberatern/innen immer wieder neu rekonstruiert
werden. Ihre Situation ähnelt hier der von Sozialforschern,
die am Textprotokoll arbeiten. Durch die distanzierte Kommunikationsform
wird auch die abduktive Rekonstruktion des Falles im vierten
Arbeitskomplex unterstützt. Während in Präsenzseminaren
nur solche Erklärungsfolien für die ausgewählten
Kernthemen des Falles herangezogen werden können, die
dem/der Fallberater/in in der Seminarsituation verfügbar
sind, kann der/die Online-Fallberater/in mittels der bestehenden
zeitlichen Distanz geeignete theoretische Folien suchen, die
zur Handlungsproblematik passen.
Ein weiterer wichtiger Vorteil der Lernberatung in Online-Foren
ist die Transferevaluation. Fallorientierte Weiterbildung
ist mit ihrem beratungsorientierten Ansatz grundsätzlich
in hohem Maße transferorientiert, weil Ausgangs- und
Endpunkt des didaktischen Handelns die besondere Handlungssituation
des Fallerzählers ist: die Interpretation bezieht sich
auf die besondere Handlungssituation und auch die Handlungsoptionen
am Ende der Fallbearbeitung beziehen sich auf das weitere
Handeln in der besonderen Situation. Die Transferleistung,
die in vermittlungsorientierten Didaktiken der/die einzelne
Bildungsteilnehmer/in vom allgemeinen Bildungsinhalt hin auf
seine/ihre Praxis zu leisten hat, wird in der beratungsorientierten
Didaktik im Seminar/Forum selbst vollzogen: Dem Fallerzähler
werden mehrere Interpretationen seiner besonderen Situation
angeboten, aus denen er auswählen kann. Im Online-Forum
besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den weiteren
Verlauf des Falles zu beobachten und zu reflektieren. Wilfried
kann beispielsweise nach seiner Fallbearbeitung im Forum erzählen,
welche Handlungsoptionen er letztlich ausgewählt hat
und wie sich der Fallverlauf weiter entwickelte. Der Transferprozess
kann auf diese Weise selbst nochmals, ggf. als neuer Fall,
reflektiert werden.
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5.2
Probleme für eine beratungsorientierte Didaktik im Internet |
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Das Medium Internet bereitet einer beratungsorientierten Didaktik
auch Probleme. Es lassen sich technische und didaktische Probleme
unterscheiden.
Technische Probleme ergeben sich an jenen Stellen, die eine
synchrone Kommunikation im Forum erfordern. Diese Anforderung
stellt sich vor allem in der Nachfragephase im ersten Arbeitskomplex
und in der Kernthemenbearbeitung im vierten Arbeitskomplex.
Dies sind jeweils Reflexionsphasen, die einen unmittelbaren
und differenzierten Vergleich und Abgleich der eigenen Bedeutungshorizonte
mit den Bedeutungshorizonten des Fallerzählers (Arbeitskomplex
1) bzw. der anderen Forumsteilnehmer/innen (Arbeitskomplex
4) zum Ziel haben. Insbesondere die Kernthemenbearbeitung
im vierten Arbeitskomplex verlangt einen Vergleich der eigenen
Bedeutungshorizonte auf den Fall mit den eingebrachten allgemeinen
Interpretationsfolien des/der Fallberaterin oder anderer Forumsteilnehmer/innen.
In dieser Phase stellt sich für jede/n einzelnen Forumsteilnehmer/in
die Frage, ob die eingebrachte Theoriefolie zur Differenzierung
der eigenen Bedeutungshorizonte beiträgt, ob "ich"
also etwas im Fall lernen kann. Dieser Vergleich lässt
sich asynchron im Forum kaum herstellen, weil er Sinnhorizonte
und feine Nuancen zum Gegenstand hat, die im unmittelbaren
Gespräch in Form wechselseitiger Nachfragen deutlicher
werden als nur in vorbereiteten schriftlichen Ausführungen.
Erforderlich wird an dieser Stelle eine Chat-Software, die
übliche "Plauder-Funktionalitäten" von
Chats überschreitet. Sie sollte beispielsweise Meldelisten
und mehrere Themenfenster umfassen, damit die Wartezeiten
im Chat für themenbezogene Diskussionen in einer 12-köpfigen
Gruppe nicht zu lang werden. Solche Funktionalitäten
finden sich bisher nur bei Client-Server-Software, die für
Online-Foren von Bildungsträgern wenig tauglich ist:
Betriebe sind wegen der Forumsteilnahe einer/s Beschäftigten
nicht bereit, eine gesonderte Software auf den betrieblichen
Server zu legen. Web-basierte Chat-Software weist diese Funktionalitäten
bisher nicht auf.
Ein zentrales didaktisches Problem resultiert aus dem emotional
armen virtuellen Kontext. Die Bereitschaft, dass "ich"
mich auf ein fremdes Handlungsproblem in verstehender Weise
einlasse ist im Internet geringer als in Präsenzsituationen,
wo "ich" zusammen mit dem Fallerzähler körperlich
unmittelbar involviert bin. Im Online-Forum sitze "ich"
allein mit meinen Reflexionen in meinem Arbeitsraum. Die Relevanz
des fremden Handlungsproblems und die Potentialität des
damit verbundenen Nutzens für mich im Online-Forum konkurrieren
mit meinen alltäglichen Anforderungen am Arbeitsplatz.
"Ich" muss also schon einen guten Lerngrund besitzen,
um mich parallel zu meinen drängenden Alltagsanforderungen
an dem kooperativen Lernprozess im Online-Forum engagieren
zu können.
Ein weiteres Problem resultiert aus der Kehrseite des Aktualitätsvorteils
im Online-Forum. Der Vorteil erhöhter Aktualität
mündet zugleich in einen Nachteil verringerter zeitlicher
Distanz zur Handlungsproblematik. Im Extremfall ist die Handlungsproblematik
so aktuell, dass sie sich während der Fallbearbeitung
im Zeitraum von ca. drei Wochen verändert. Dies bedeutet,
dass die erzählte Handlungsproblematik ggf. plötzlich
nicht mehr existiert, weil sie sich im zwischenzeitlichen
Fallverlauf aufgelöst und ggf. einer anderen Platz gemacht
hat. Bildung kann in ihrer beratungsorientierten Form an dieser
Stelle die Grenze zum Coaching überschreiten. Dem steht
die Verantwortung gegenüber den anderen Forumsteilnehmern/innen
entgegen, die Interpretationen einbringen, um selbst verallgemeinerte
Einsichten aus der Fallbearbeitung gewinnen zu können.
Der kooperative Lernzusammenhang wird nur dann kooperativ
empfunden, wenn Handlungsproblematiken/Lerngegenstände
wechselseitig bearbeitet werden können. Eine nicht abschließbare
und fortlaufende Bearbeitung einer einzelnen fremden Handlungsproblematik
verhindert dies, wenn die anderen Forumsteilnehmern/innen
ihren eigenen Lerngegenstand nicht bearbeiten können.
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6
Forschungsperspektiven |
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Das Projekt be-online verfolgt einen qualitativen Forschungsansatz,
mit dem die Lernbegründungen und empfundenen Lernbehinderungen
im Rahmen der Online-Lernberatung rekonstruiert werden können
. Die meisten Forschungsprojekte zum Lernen im Internet untersuchen
aus einer kognitionspsychologischen oder sozialpsychologischen
Perspektive Bedingungen für motiviertes Handeln oder
erfolgreiches Lernen im Internet. Dabei werden beispielsweise
verschiedene Kommunikationskanäle oder zeitliche und
örtliche Kommunikationscharakteristika hinsichtlich ihrer
Wirkung auf Motivation, Partizipation und Lernerfolg untersucht.
Im Projekt be-online stehen statt solcher Bedingungen für
Lernen die subjektiven Lernbegründungen und die von den
Forumsteilnehmer/innen subjektiv empfundenen Lernbehinderungen
im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Erstens wird nach
dem Verhältnis von Alltagshandeln und Lernhandeln gefragt.
Dazu zählen Fragen nach typischen Lernbegründungen
für eine Teilnahme an Online-Foren, Fragen nach der Gestaltung
alltäglicher Anforderungen am Arbeitsplatz in Verbindung
mit Reflexionsanforderungen im Online-Forum und schließlich
Fragen nach dem Transfer in die Organisation hinein: Wie gehen
Forumsteilnehmer/innen mit ihren neu gewonnen Einsichten in
ihren Betrieben um bzw. welche typischen Umgangsweisen lassen
sich rekonstruieren? Ein zweiter Fragenkomplex richtet sich
auf das beratungsorientierte Lehr-, Lernverhältnis im
Online-Forum. Hier wird nach der subjektiven Befindlichkeit
in den jeweiligen Fallbearbeitungen, nach dem individuellen
Lernverlauf und der dabei erreichten Tiefe des Gegenstandsaufschlusses
gefragt. Ein dritter Fragenkomplex zielt auf die pädagogisch-professionellen
Anforderungen und Möglichkeiten für Online-Fallberater/innen.
Im Mittelpunkt stehen hier Fragen nach den Möglichkeiten
und Grenzen des Sinnverstehens in Online-Foren.
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Literatur |
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