RALF TENBERG (Technische Universität
München) |
|
Telekommunikation in beruflichem Unterricht |
Telekommunikativem
Lehren und Lernen wird innerhalb und außerhalb beruflicher
Bildung eine erhebliche Zukunftsperspektive zugewiesen. Nahezu
alle privaten und öffentlichen Bildungsträger, sowie
betriebliche Bildungseinrichtungen befassen sich gegenwärtig
mit netzgestützten Lehrkonzepten*. GIERINGER stellt in
einer nüchternen Betrachtung für die betriebliche
Ausbildung und vor allem Weiterbildung fest, dass sich deren
Kosten vor allem durch eine unabhängige Wahl des Ausbildungsortes
erheblich reduzieren lassen: ".. sei es nun am Arbeitsplatz,
im Selbstlernzentrum oder zu Hause. Ausfallzeiten und Reisekosten
durch Seminarbesuche entfallen. Jeder Personalverantwortliche
wird bestätigen, dass 50% der Kosten von externen Weiterbildungsmaßnahmen
auf die Nebenkosten entfallen" (GIERINGER, 1999, 37).
Im Zusammenhang mit beruflichem Unterricht erweist sich diese
Dynamik gegenwärtig noch zurückhaltend. Berufsschulischer
Unterricht ist seit jeher Präsenzunterricht. Räumlich-zeitliche
Probleme stellen sich kaum, da Berufsschulen in der Regel
auf relativ enge Sprengel zugreifen. Ausnahmen bilden innerhalb
dieses Bezugsfeldes Berufsgruppen weiträumigerer Sprengel,
wie beispielsweise die Optiker in Bayern. Fachschulen wie
Meister- und Technikerschulen besitzen nicht nur wesentlich
umfassendere Einzugsbereiche, sondern stehen zudem einer Schüleraltersgruppe
gegenüber, welche auf Grund beruflicher und familiärer
Hintergründe über wesentlich geringere zeitliche
Kapazitäten verfügt, als berufliche Anfänger.
Somit steht fest, dass beruflicher Unterricht im Sinne der
festgestellten Behebung von räumlich-zeitlichen Defiziten
durch digitale Telekommunikation optimiert werden könnte.
Zukünftig kann sich diese Dynamik erhöhen, wenn
sich die berufliche Bildung mehr und mehr der telekommunikativen
Möglichkeiten besinnt und auch bedient. Z.B. werden bei
neuen Ausbildungsordnungen Wahl- bzw. Wahlpflichtfächer
in der Fachbildung vorgesehen, welche in ihrer Breite nicht
mehr von einer einzelnen beruflichen Schule angeboten werden
können. Diese könnten dann für die Lernenden
telekommunikativ zugänglich gemacht werden.
*Beispielsweise
übertragen Universitäten, einzeln oder im Verbund
mit anderen, Inhalte und Veranstaltungen ins Internet. Die
Fernuniversität Hagen befindet sich in der Endphase einer
Umwandlung zur virtuellen Universität. Unter dem Stichwort
produktorientierte Weiterbildung' werden im Weltkonzern
Siemens zentral hergestellte Lehrpakete für die Schulung
an neuen Produkten mit Intranetzen weltweit verbreitet. Als
Vision steht dabei ein Telekommunikationsprodukt, das die
Produkttrainer weltweit selbst über Netze unterrichtet
und diesen nach erfolgter Schulung die Zertifizierung für
ihre Trainerqualifikation für das neue Produkt nach erfolgreichem
Assessment erteilt.
|
1 Fernunterricht |
|
Unter dem Begriff Fernstudium' fassen HOLMBERG und SCHUEMER
(vgl. 1979, 507ff ) jede Form räumlich getrennten Unterrichts
zusammen, unabhängig, auf welchem Bildungsniveau dieser
stattfindet. Sie unterscheiden dabei zwischen vorproduzierten
Fernkursen einerseits und einer medienvermittelten Interaktion
zwischen den Studierenden und der helfenden Organisation'
andererseits. Im Folgenden soll nur der zweite Aspekt unter
der Bezeichnung Fernunterricht' erörtert werden,
da eine Durchführung beruflichen Unterrichts über
vorproduzierte Fernkurse gegenwärtig noch keine größere
Rolle spielt und zudem eine medienvermittelte Interaktion für
den beruflichen Unterricht perspektivenreicher erscheint.
Eine medienvermittelte Interaktion zwischen Studierenden und
einer unterrichtenden Organisation wird im Weiteren als Fernunterricht
bezeichnet. Dieser lässt sich nach folgenden Aspekten kennzeichnen:
Anwendungsbereiche, Theoretische Ansätze, Konstituierende
Elemente; Organisatorische Aspekte.
Fernunterricht findet somit in speziellen Anwendungsbereichen
statt, wird auf Basis spezifischer theoretischer Ansätze
geplant sowie durchgeführt und rückt als primäres
konstituierendes Element die Lehrer-Lerner-Kommunikation in
den Mittelpunkt. Dabei spielen organisatorische Aspekte eine
bedeutende Rolle.
Im Weiteren gilt es zunächst zu klären, welche Parameter
telekommunikativen Lernens sich aus diesen Feststellungen ableiten
lassen, um dann die Effekte der veränderten Kommunikationssituation
auf unterrichtsinterne und auch -externe Prozesse abzusehen
. |
2
Parameter telekommunikativen Lernens |
|
Die vorausgehenden allgemeinen Betrachtungen
von Fernlernen haben gezeigt, dass im Zentrum ernstzunehmender
organisatorischer und didaktischer Ansätze die Kommunikation
zwischen Lehrern und Schülern steht. Somit erscheint
es schlüssig, im Weiteren spezifische Ausprägungen
von Kommunikation darzustellen und voneinander zu unterscheiden,
um deren Möglichkeiten und Grenzen für einen nach
außen verlagerten beruflichen Unterricht herauszuarbeiten.
Diese spezifischen Ausprägungen von Kommunikation werden,
wie die allgemeinen Betrachtungen von Fernlernen offen legten,
vorwiegend durch drei Parameter bestimmt (s. Abbildung):
(1) Durch die technischen Möglichkeiten des Gesamtsystems.
(2) Durch die personelle Partizipation des Unterrichtenden
in Form einer tutoriellen Betreuung.
(3) Durch den Grad der zeitlichen Synchronität des Lehr-Lern-Prozesses.
Je positiver diese Parameter ausgeprägt sind, desto mehr
kann die Telelernsituation mit einem Präsenzlernen verglichen
werden. Je negativer diese Parameter ausgeprägt sind,
desto defizitärer ist diese Telelernsituation einzustufen.
|
|
Abbildung: Parameter telekommunikativen
Lernens |
Zu (1): Großen Einfluss auf die Qualität
des Telelernens haben aus technischer Perspektive nicht nur
klassische Hardwarekomponenten, wie die zur Verfügung
stehenden Rechner, Netzanschlüsse und die Netze selbst.
Medienhardware wie Videokameras, Mikrophone und deren Digitalisierungshardware
treten dann in den Vordergrund, wenn über den schriftlichen
Informationsaustausch hinaus verbale bzw. audiovisuelle Kommunikation
realisiert werden soll. Ebenso wichtig sind Softwarekomponenten
wie die genutzten Betriebssysteme, die verwendete Kommunikationssoftware
sowie die spezifische Mediensoftware.
Gegenwärtig differenzieren sich hier zwei Welten der
Telekommunikation: Auf der einen Seite stehen einfache, leicht
realisierbare und fast schon zum allgemeinen Standard gewordene
Konfigurationen von Rechnern, die über ein Modem auf
das Internet zugreifen können. Sie erlauben Kommunikation
über electronic mail bzw. sog. chats' (Chat-boxes
bestehen aus einer Software, die nacheinander eingehende Texte
untereinander oder gegenüberstellend präsentiert),
bei denen zeitsynchron Texte hin- und hergesandt werden können.
Diese Systeme sind hinsichtlich ihrer Anwendung einfach, standardisiert
und relativ stabil. Auf der anderen Seite stehen aufwändige
vielkomponentige Mediensysteme, die erst über separate
Netze zusätzlich in der Lage sind, Bild und Ton zu übertragen.
Ihre Stabilität hängt von vielen Einzelfaktoren
ab und sie erfordert hochkompetente fachmännische Installation
und Betreuung.
Dies lässt hinsichtlich des Parameters Technische
Möglichkeiten' zu der Feststellung kommen, dass ein (gegenwärtiger)
telekommunikativer beruflicher Unterricht realistisch betrachtet
nur in Ausnahmefällen in audiovisueller Form stattfinden
kann. Eine absehbare Perspektive für derartige Konzepte
besteht momentan vorwiegend über eine schriftliche, günstigenfalls
auditive Kommunikation, wenn es gelingt, E-Mails durch voice
E-Mails zu ersetzen. Trotzdem soll davon ausgegangen werden,
dass die Technik in ungebremster Dynamik auch diese Problematik
in den Griff bekommen wird; zum einen hinsichtlich der Problematik
einer stabilen, schnellen und hochkomprimierten Datenaufnahme
und -übertragung, zum anderen hinsichtlich der damit
verbundenen Kosten. Die mit Beginn des Jahres 1999 sich etablierende
Technik des MP3 ist beispielsweise ein erfreuliches Signal
in diese Richtung (Das MP3-Format (moving pictures expert
group) ist ein Standard, mit dem Audiosequenzen in bisher
ungekannter Komprimierungsrate und damit Geschwindigkeit über
das Internet übertragen werden können).
Zu (2): Im Gegensatz zu den technischen Möglichkeiten
lässt sich der Parameter tutorielle Betreuung'
als relativ zeitstabil betrachten. Er hängt nicht vom
Entwicklungsstand bestimmter Systeme ab, sondern wird ausschließlich
durch den Aufwand bestimmt, den ein Lehrer betreibt, wenn
er Fernlernprozesse unterstützt. Wie schon erwähnt,
betrifft dies nicht den Vorbereitungsaufwand des Fernunterrichts
bzw. die Installation und Betreuung der technischen Systeme,
sondern ausschließlich die Partizipation des Lehrers
am eigentlichen Lernprozess.
Die Schüler können theoretisch 24 Stunden tutoriell
betreut werden, bzw. zu keinem Zeitpunkt. Intensive Konzepte
sehen vor, dass ein Betreuer zu bestimmten Zeiten online'
anwesend ist. Der Tutor steht für einige Stunden täglich
für direkte Fragen mit sofortigen Antworten zur Verfügung.
Mittlere Konzepte arbeiten mit offline'-Tutoren. Diese
greifen zu bestimmten Tageszeiten gestellte Fragen auf und
beantworten diese vom Stapel'. Extensive Konzepte sehen
einen Tutoren vor, der sich einmal täglich bis wöchentlich
um angefallene Fragen kümmert. Entsprechend dieses Parameters
stellt sich auch eine mehr oder minder intensive Schüler-Lehrer-Beziehung
ein. Kann diese im Falle einer engen Betreuung fast der eines
Präsenzunterrichts entsprechen, ist sie in sehr langen
Feedback-Zeiträumen sicher sehr gering ausgeprägt.
Zu (3): Zu den Hauptgründen, Unterricht über Netze
durchzuführen, zählt die Möglichkeit, einen
Unterricht zeitlich zu flexibilisieren. Lernende können
dann auf den Unterricht zugreifen, wenn sie individuell dazu
bereit und in der Lage sind. Lehrende können unabhängig
von diesen Zeiten ihren Betreuungsaufgaben nachgehen. Dieser
Begründungsaspekt ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten,
denn je zeitlich asynchroner ein Telelernen stattfindet, desto
weiter entfernt es sich von der sozio-kommunikativen Situation
eines im Klassenverband stattfindenden beruflichen Unterrichts.
Es ist somit davon auszugehen, dass eine stark ausgeprägte
zeitliche Asynchronität erhebliche Defizite hinsichtlich
der sozialen Gesamtsituation mit sich bringt. Im Extremfall
wartet ein Lernender lange auf die Beantwortung an den Tutoren
gestellter Fragen bzw. führt ein Gespräch mit anderen
Lernenden über erhebliche Zeiträume. Ideal wäre
die Aufhebung dieser Asynchronität, wobei dann Telelernen
jedoch nur noch zur Überbrückung räumlicher
Distanzen Sinn machen würde.
Wie sich schon in den Einzelbetrachtungen der Parameter abzeichnete,
üben diese nicht nur Wirkungen innerhalb ihres Definitionsbereichs
aus, vielmehr sind ihre Effekte ineinander verschränkt.
Auch eine maximale zeitliche Synchronisierung kommt nur schlecht
zur Wirkung, wenn die tutorielle Betreuung nicht mithält.
Umgekehrt kann eine optimale tutorielle Betreuung nur in zeitlicher
Synchronität stattfinden. Ebenso verhält es sich
im Zusammenhang mit den technischen Möglichkeiten. Eine
Videokonferenz lässt sich nur dann durchführen,
wenn alle Beteiligten zeitgleich anwesend sind.
Berufliches telekommunikatives Lernen wird von den Parametern
Technische Möglichkeiten', Tutorielle Betreuung
' und Synchronität' bestimmt. Je nach Ausprägung
der einzelnen Parameter stellt sich eine individuelle Telelernsituation
ein, die auf Grund einer internen Verschränktheit der
nicht separat wirkenden Parameter als einzigartig betrachtet
werden muss. Telelernsituationen, innerhalb welcher einzelne
Parameter reduziert sind, bringen in jedem Falle absehbare
Einschränkungen mit sich. Dabei ist zu vermuten, dass
sich technische Defizite in wesentlich geringerem Maße
als solche innerhalb der tutoriellen Betreuung auf die Diskrepanz
zum Präsenzunterricht auswirken. Dies soll im Folgenden
näher betrachtet werden.
|
3 Effekte
einer auf Telekommunikation reduzierten Unterrichtskommunikation
3.1 Veränderungen des Kanals: Die telekommunikative
Technik |
|
Je nach technischer Ausstattung eines Telekommunikationssystems
wirkt dieses mehr oder weniger filternd.
Im (momentan vorstellbaren) Bestfall' besteht eine audiovisuelle
Übertragung, bei der sich alle Beteiligten sehen und hören
können. Innerhalb dieser, einem Präsenzunterricht
sehr nahen Situation, lassen sich vordergründig hinsichtlich
der Kommunikation kaum Einschränkungen absehen. Tatsächlich
muss jedoch auch in diesem Falle angenommen werden, dass sich
das physische Gegenüber eines Unterrichts nicht telekommunikativ
substituieren lässt.
Entsprechend der Untersuchungen von ADLER (1999) ist davon auszugehen,
dass sich der Anteil der formellen Kommunikation gegenüber
dem der informellen erhöhen wird. Über Kamera und
Mikrofon erscheint zunächst ein Austausch von Unsachlichem'
als noch unangemessener als in direkter Kommunikation. Dieser
primär eher lernförderlich erscheinende Effekt zieht
einen schwer einschätzbaren Wirkungskomplex nach sich.
Vordergründig steht in Aussicht, dass die Erschwernis informeller
Kommunikation durch das Telemedium die Wahrscheinlichkeit von
Ausschweifungen bis hin zu Störungen des Unterrichts verringert
und damit dessen Effizienz steigert. Da jedoch die sozial-emotionalen
Anteile des Unterrichts auch über diese Schiene laufen,
und damit mitreduziert werden, sind in diesem Bereich Defizite
zu erwarten. Lernende und auch Lehrer verlieren die unmittelbare
soziale Kommunikation. Die Subjekte des Lernprozesses finden
ihre Rolle nicht in einer realen Konfrontation mit Menschen,
sondern in einer Projektion. Damit besteht keine unmittelbare
menschliche Nähe. Diese wäre jedoch für die Basis
allen sozialen Lernens, eine situative Identifikation, entscheidend.
Zudem muss bedacht werden, dass durch das Medium nicht nur die
informelle Kommunikation erschwert wird, sondern auch die formelle,
da ein medialer Austausch bisher nicht die Selbstverständlichkeit
eines direkten Gesprächs ersetzen kann.
Darüber hinaus bedingt voraussichtlich der Verlust des
situativen Schutzes eines geschlossenen' Klassenzimmers,
gerade bei Leistungsschwächeren ein Kommunikationshemmnis.
Diese Annahme gilt auch gegenüber dem Lehrer, der nunmehr
weiß, dass alles was er von sich gibt' nach außen'
geht, an Personen übertragen wird, die ihm nicht gegenüber
sind und sogar aufgezeichnet werden kann.
Im Bereich der Metakommunikation sind weitere Einschränkungen
zu erwarten. Zwar ermöglicht eine audiovisuelle Übertragung
eine große Bandbreite an Informationen, nicht jedoch die
Gesamtheit dessen, was in einem situativen Gegenüber möglich
wäre. Kameras sind gerichtet und besitzen einen begrenzten
Blickwinkel. Mikrofone nehmen nur das auf, was in sie hineingesprochen
wird. Diese Filterfunktion entspricht jedoch nur dem Beginn
einer Wirkungskette. Die insgesamt von vornherein telekommunikativ
verringerten metakommunikativen Signale lassen auch eine reduzierte
Reaktivität bei den Teilnehmern der virtuellen Gruppe erwarten.
Dies betrifft weniger den Teilaspekt des Appells, sondern eher
Selbstoffenbarung und Beziehungssetzung. Innerhalb der stark
versachlichten Telekommunikation kann derartige sozial-emotionale
Arbeit' leicht vermieden werden, da ja keine situative
Notwendigkeit besteht, diese zu leisten. Die räumliche
Distanz schafft auch soziale Distanz. Mit der Reduktion der
Metakommunikation wird Telelernen zu einem sozial-emotionalen
Artefakt, innerhalb welchem sich die beteiligten Menschen je
nach Ausprägung ihrer Sozialisation verstecken oder gefesselt
und dementsprechend wohler, aber auch unwohler fühlen können.
Präsenzunterricht bildet eine Gesamtsituation, innerhalb
welcher alle Beteiligten permanent miteinander konfrontiert
sind. Würde man dies auf nur 20 Personen telekommunikativ
umsetzen wollen, müsste jeder der Teilnehmer in der Lage
sein auf seinem Monitor 20 Personen explizit wahrzunehmen. Er
müsste zwar nicht gleichzeitig alle rezipieren können,
aber zumindest deren gesamte Kommunikationsanteile ebenso wie
die Reaktionen der anderen darauf registrieren können.
Dieses für die Realität vorstellbare Szenario ist
medial absehbar kaum möglich. Die menschliche Fähigkeit,
trotz gerichteter Aufmerksamkeit sich nebenher parallel mit
der Breite einer komplexen Kommunikationssituation auseinander
zusetzen, scheitert an der Übertragung. Sehen ist vor allem
Hinsehen' und Hören entsteht zu einem bedeutenden
Teil erst aus dem Hinhören'. Durch die mediale Vermittlung
einer komplexen Kommunikationssituation wird die wahrnehmungspsychologisch
bedeutende Fähigkeit des Menschen zur gerichteten Aufmerksamkeit
unterlaufen. Dies hat entweder zur Folge, dass sich der Überforderte
auf das Machbare' einschränkt, oder resigniert. Auf
das Machbare' einschränken, bedeutet für den
Schüler in erster Linie Abbruch der Schüler-Schüler-Kommunikation
und Zuwendung zur Lehrer-Schüler-Kommunikation. Daher dürfte
in telekommunikativem Unterricht eine Tendenz zur Asymmetrie
kaum vollständig abzuwenden sein.
Gegenwärtiger Teleunterricht findet jedoch nur selten über
eine derartige Übertragungstechnologie statt. In den weitaus
meisten Fällen stehen nur textbasierte Kommunikationssysteme
zur Verfügung. Die Teilnehmer können sich electronic-mails
zusenden oder über einen gemeinsamen Monitor chatten'.
Obwohl sog. voice E-Mails in nächster Zeit als gesprochene
Kurzbriefe die geschriebenen E-Mails ablösen könnten,
werden diese auf Grund der schwankenden Übertragungsraten
des Internets für Unterrichtszwecke bisher eher selten
verwendet. Wirkliche Videokonferenzen, in denen Bild und Ton
synchron und ohne Holpern' übertragen werden, können
gegenwärtig nur über Intranetze bzw. Standleitungen
hergestellt werden.
Somit ist im Realfall bisher davon auszugehen, dass ein permanenter
Austausch audiovisueller Daten zwischen den Teilnehmern nicht
stattfinden kann und die Kommunikation von geschriebenen Texten
dominiert wird.
Damit ist eine weitere Formalisierung der Kommunikation zu erwarten.
Der Wissenserwerb tritt noch stärker ins Zentrum des Lernprozesses;
sozial-emotionale Vorgänge verringern sich weiter. Die
für die audiovisuelle Kommunikation beschriebenen Hemmnisse
auf Grund der Offenheit der Lernsituation nach außen müssen
auch hier abgesehen werden. Hinzu kommt das Hemmnis des Schreibens.
Zwischen einer Verbaläußerung und einer schriftlichen
besteht hinsichtlich der Gefahr, Fehler zu begehen und deren
Offensichtlichkeit und Dokumentiertheit ein großer Unterschied.
Sprechen reduziert den Druck grammatikalischer bzw. orthografischer
Exaktheit. Ein begangener Rechtschreibfehler wird auf der ausgegebenen
Nachricht mitdokumentiert, weiterversandt und festgehalten.
Das gleiche gilt auch für die Qualität der Äußerung.
Der Kommunizierende weiß genau, dass ihn eine unsachliche
Frage oder eine falsche Antwort als unwissend' oder nicht-bei-der-Sache'
entlarven könnte. Dies gilt für Teleunterricht wie
für Präsenzunterricht, nur mit dem Unterschied, dass
wiederum der Fehler nicht nur ausgesprochen wurde, sondern schwarz
auf weiß' lesbar geworden ist. Daher tendieren Schüler
und auch Lehrer wahrscheinlich zu einer Sicherheitshaltung,
innerhalb welcher Kommunikation zunächst verringert wird,
auf das dringend Notwendige' beschränkt und mit einem
hohen Sicherheitsaufwand betrieben wird. Bzgl. informeller Anteile
ist zu befürchten, dass diese ganz in Bereiche außerhalb
des Unterrichts ausgelagert werden.
Als absehbare Folge dieser Formalisierung der Kommunikation
muss von einem sehr pragmatischen, distanzierten Lehr-Lern-Prozess
ausgegangen werden, in welchen sozial-emotionale Prozesse kaum
eingebunden werden können. Diese Wirkung wird von dem zu
erwartenden fast vollständigen Verlust der Metakommunikation
durch reinen Schriftverkehr sicher mitgetragen.
Wenn die informelle Kommunikation sich minimalisiert, gewinnt
die Lehrer-Schüler-Kommunikation noch größeren
Überhang, was die Vermutung nahe legt, dass die Gesamtkommunikation
in textbasiertem Teleunterricht noch asymmetrischer ist, als
in einem audiovisuell unterstützten.
Die Verlegung des Kommunikationskanals von einer direkten in
eine mediale Kommunikation kann mit verschiedensten technischen
Mitteln realisiert werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass
sich dabei eine Formalisierung der Unterrichtskommunikation
einstellen wird. Diese nimmt voraussichtlich mit dem Abstraktionsgrad
der Informationsübertragung zu. Das gleiche gilt im Zusammenhang
mit dem Aspekt der Metakommunikation. Je stärker die Übertragung
der Kommunikation sich auf semantische Daten eingrenzt, desto
weniger Raum kann für die Metakommunikation verbleiben.
Dies lässt insgesamt für telekommunikativen Unterricht
einen quantitativen Rückgang der Gesamtkommunikation in
Verbindung mit einer verstärkten Pragmatisierung und Formalisierung
erwarten.
Diese zunächst nicht unerfreuliche Perspektive wird von
zu befürchtenden starken Defiziten im Bereich sozial-emotionalen
Lernens überschattet. Hinzu kommt eine nicht zu vermeidende
Verschiebung der Dominanz im Unterricht auf Seiten des Lehrers.
Gerade bezüglich eines angestrebten Vermittelns komplexer
Handlungskompetenzen muss diese Feststellung nachdenklich machen.
Dies nicht nur aus der Betrachtung bestehender Telekommunikationstechnik
heraus, sondern vielmehr im Hinblick auf die Tatsache, dass
hier zu erwartende Technologiefortschritte nie über die
aufgezeigten, im Zusammenhang mit den beteiligten Subjekten
stehenden Grenzen hinweg führen werden.
Nur bei Prognose einer Veränderung menschlicher Sozialbezüge
im Zusammenhang mit einer sich ausbreitenden Virtualisierung
unserer Welt, können sich diese Grenzen verschieben bzw.
auflösen. Die neuen Medien bilden inzwischen durch ihre
hohe Dynamik einen eigenständigen sozialen Handlungsraum.
Wenn der Mensch diesen Raum bezieht und auch lernt, sich darin
zu bewegen und zu positionieren, kann telemediales Lernen zu
einem sozialen Ereignis werden. Dabei stellt sich aber nicht
nur die Frage, ob dies eintreten wird, sondern auch jene, ob
dies erstrebenswert erscheint.
3.2
Veränderungen der Partizipation: Betreuungsintensität |
|
Im Gegensatz zum Aspekt der Telekommunikationstechnik
stellt sich die Betreuungsintensität als ein Parameter
telekommunikativen Lernens dar, der zu 100 Prozent optimiert
werden kann. Bei vollbetreutem Unterricht kann ein Lernender
jederzeit und vollständig mit einem Lehrenden in
Kommunikation treten. Dies setzt jedoch zunächst
ein gewisses Maß an Synchronität (vgl. nächster
Aspekt) voraus, darüber hinaus aber auch eine sehr
geringe Anzahl an Schülern pro Lehrer. Auch bei
vollsynchronem Fernunterricht gilt: Je größer
die für den Tutoren zu betreuende Anzahl von Schülern
wird, desto schwieriger wird eine intensive Unterrichtskommunikation.
Bei optimaler Betreuung kann jede beliebige Frage eines
Schülers umfassend und explizit beantwortet werden.
Der Lehrende hat Zeit, sich mit allen Aspekten der an
ihn gerichteten Nachricht auseinander zusetzen, kann
diese sowohl sachinhaltlich als auch beziehungsinhaltlich
erschließen und interpretieren, ist in der Lage,
auch metakommunikative Aspekte wahrzunehmen und kann
dann die Antwort entsprechend komplex verfassen und
gezielt an den Schüler ausgeben.
Mit sinkendem Betreuungsgrad ist davon auszugehen, dass
sich die Beziehungskommunikation schnell reduziert.
Der Lehrer sieht sich mit einer großen Anzahl
von Lernenden konfrontiert. Er wird sich bei der Betreuung
dieser Masse' mit steigendem Druck mehr und mehr
auf inhaltliche Aspekte eingrenzen, da er seinen primären
Auftrag darin sieht, den unterrichtlichen Fortschritt
zu gewährleisten. Die Schüler werden damit
zunehmend entindividualisiert'. Beziehungsaspekte
verlieren auf diese Weise schnell ihre Basis. Wenn ein
Schüler erst bemerkt, dass er für den Tutoren
an Stelle eines Individuums eine Adresse repräsentiert,
die ab und zu in Erscheinung tritt, wird er sich aus
persönlichen Zusammenhängen zurückziehen.
Um wiederum festzustellen, dass hier eine Einschränkung
alleine aus dem Aspekt der Betreuungsintensität
erfolgt, sei ein kurzes Beispiel angeführt. Angenommen,
die Technik wäre perfekt (in Form eines vollfunktionsfähigen
Videokonferenzsystems) und es bestünde zeitliche
Synchronität, so ergebe sich doch bei einer zu
großen Zahl von Lernenden eine Situation, welche
das Ausschöpfen dieser günstigen Rahmenbedingungen
nicht mehr erlauben würde. Obwohl der Lehrer permanent
präsent wäre, könnten die einzelnen Lernenden
nur noch in Form einer Warteschlange auf ihn zugreifen.
Tritt der Lernende dann mit dem Tutoren in audiovisuelle
Kommunikation, wird der bestehende Zeitdruck und die
nicht existierende persönlich Bindung zu einer
Kommunikation führen, die zwar über Bild und
Ton abläuft, eigentlich aber überwiegenden
Textcharakter hätte. Informelle- und Metakommunikation
enden dabei nicht im Sender, sondern im Empfänger,
da dieser nur dann etwas damit anfangen könnte,
wenn sich interpersonell eine Beziehung eingestellt
hätte. Ist dies nicht der Fall, tropfen'
diese Kommunikationsanteile im übertragenen Sinne
ab'. Die Situation ist schlimmstenfalls mit einem
Auskunftsschalter zu vergleichen: Der Fragende ist mit
einer beantwortenden Person unmittelbar konfrontiert,
ohne jedoch im geringsten in eine Beziehungskommunikation
zu treten. Trotz freundlichen Umgangs bleibt der Austausch
auf reiner Sachebene.
Bezüglich der Schüler-Schüler-Kommunikation
müssen die getroffenen Annahmen zunächst nicht
gelten. Man könnte sogar unterstellen, dass diese
mit abnehmender Betreuungsintensität steigen müsse,
wenn diese in substituierender Absicht erfolgen würde.
Ob sich dies jedoch tatsächlich bewahrheitet, muss
die Praxis im Einzelfall zeigen, denn Schüler-Schüler-Kommunikation
findet, wie vorausgehend festgestellt wurde, unter sehr
spezifischen und theoretisch nur rudimentär erschließbaren
Bedingungen statt.
Eine dichte tutorielle Betreuung von netzgestützten
Lernprozessen kann als Garant für eine breite und
intensive Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden
eingestuft werden. Dabei ist, entsprechend der bestehenden
technischen und zeitlichen Rahmenbedingungen, Kommunikation
in jeder Hinsicht möglich. Je größer
das Missverhältnis zwischen Lehrern und Schülern
wird, desto weniger Bedeutung kommt insgesamt den anderen
Rahmenbedingungen zu, da diese dann nicht mehr entsprechend
zur Wirkung kommen können. In einem virtuellen
Massenlernen' dominiert die formale Kommunikation;
andere Aspekte fallen mangels menschlicher Beziehungen
heraus. Die Annahme, dass dieses Defizit eine Intensivierung
der Schüler-Schüler-Kommunikation nach sich
ziehen könne erscheint jedoch nur unter relativ
komplexen, näher zu untersuchenden Bedingungen
schlüssig.
|
|
3.3
Veränderungen der Gleichzeitigkeit von Lern- und Lehrsituation:
Synchronität und Asynchronität |
|
Im Gegensatz zum Aspekt der Telekommunikationstechnik stellt
sich auch die Synchronität als ein Parameter telekommunikativen
Lernens dar, der zu 100% optimiert werden kann. Bei vollsynchronem
Unterricht besteht hinsichtlich dieses Aspektes keinerlei
Unterschied zum Präsenzunterricht. Mit Zunahme der Asynchronität
stellen sich Effekte ein, die zentral im Zusammenhang mit
der Tatsache stehen, dass menschliche Kommunikation ein permanent
rückgekoppelter Prozess ist. Asynchronität erhöht
die Rückkoppelungsintervalle. Was im direkten Gegenüber
Sekunden dauert, kann im telekommunikativen Unterricht zwischen
Stunden und Tage dauern. Es stellt sich erneut die Frage,
welche Wirkungen dies auf die Einzelaspekte der Unterrichtskommunikation
erwarten lässt.
Da zeitliche Verschiebungen Lehrende und Lernende verstärkt
mit der Tatsache einer medialen Kommunikation konfrontieren,
ist absehbar, dass mit dem Grad der Asynchronität auch
die Artifiziellität des Mediums für die Beteiligten
zunimmt. Je länger der Zeitraum zwischen Frage und Antwort
antizipiert wird, desto größer wird die Bedeutung
der einzelnen Informationseinheit. Wenn ein Schüler einen
Tag auf eine Antwort des Lehrers warten muss, wird er vermutlich
versuchen, seine Frage zunächst so gut wie möglich
selbst zu klären, dann evtl. andere - schnellere - Informationsquellen
zu Rate zu ziehen und dann erst in möglichst exakter,
komplexer und differenzierter Weise seine Frage zum Ausdruck
zu bringen (vgl. ADLER 1999)
Im Sinne eines Unterrichts, welcher neben der fachlich-inhaltlichen
Auseinandersetzung des Lernenden auch dessen Selbstständigkeit
und Kommunikationsfähigkeit fördern soll, erscheint
dies zunächst vorteilhaft. Die Tendenz, sich belehren'
zu lassen, vermindert sich zu Gunsten eines selbsttätigen
Lernens. Der Kontakt zum Lehrer wird vom Schüler gezielt,
dosiert und explizit wahrgenommen. Dieses Idealszenario kann
jedoch durch verschiedene Umstände erheblich gestört
werden. Wenn die Selbstinformation des Lernenden erschwert
wird, wandelt sich für diesen eine aktivierende Lernumgebung
in eine hemmende. Informationshemmnisse können dabei
in allen Teilen des Gesamtsystems auftreten. Beispiele dafür
sind eine Überforderung der Lernautonomie des Schülers,
unzureichende oder lückenhafte Informationsmaterialien
oder auch eine schwierig handhabbare oder störanfällige
Kommunikationstechnologie.
Informelle Kommunikation und Metakommunikation sind innerhalb
eines Präsenzunterrichts an den formellen Kommunikationsprozess
lose angekoppelt, erfolgen jedoch eher beiläufig. Mit
der Notwendigkeit, Kommunikation zu antizipieren, sinkt die
Wahrscheinlichkeit nicht formeller Anteile. Da die Lernenden
diese Kommunikation als primär nicht lernförderlich
betrachten und mit ihr Unsachlichkeit bis hin zu Ablenkung
in Verbindung bringen, ist zu erwarten, dass sie auf diese
dann völlig verzichten, wenn sie nicht in Parallelität
zur formellen Kommunikation stattfinden kann. Vermutlich wird
dann das Bedürfnis nach Abschweifen bzw. Ablenkung anderweitig
über schnellere Systeme gedeckt.
Auch der Lehrer erfährt sein Wirken in stark formalisierter
Form. Er sieht sich nur noch mit gründlich formulierten
Fragen konfrontiert und nimmt die Schüler-Schüler-Kommunikation,
wenn überhaupt, nur noch als emotionsarmen Informationsaustausch
wahr. Damit ist zu erwarten, dass bei asynchronem Teleunterricht
zwischen den Beteiligten eine stark rudimentäre soziale
Interaktion stattfindet.
Je größer sich die Wartezeiträume hinsichtlich
einer Frage erstrecken, desto weniger besteht für einen
Schüler die Tendenz, einfach einmal bei den anderen rückzufragen.
Situatives Ausdiskutieren oder gemeinsames Entwickeln eines
Zusammenhangs erscheinen unter diesen Bedingungen als wesentlich
unattraktiver, als ein Aufsuchen von Klärungen, die ihm
ohne viele Rückfragen und -antworten sicher weiterhelfen.
Dieser Zusammenhang unterstützt auch die Annahme, dass
sich mit dem Grad der Asynchronität auch eine zunehmende
Asymmetrie der Kommunikation einstellen wird. Lehrer und Lernende
werden in ihren Rollen als Wissende und Unwissende durch die
stark formalisierte Kommunikation permanent bestätigt
und damit manifestiert.
Zeitliche Asynchronität bietet nicht nur die Möglichkeit,
hochgradig selbstständiges Lernen zu fördern; es
erzwingt dieses geradezu. Damit ergibt sich die Chance, eine
Unterrichtsform zu fördern, welche gegenüber lehrerdominierten
Konzepten große Vorteile aufweist. Schülerselbstständigkeit
birgt jedoch auch die Gefahr eines Alleinlassens' der
Lernenden in sich. Situationen, in denen ein Lernender nicht
in der Lage ist, aus eigener Kraft voranzukommen, gefährden
dann inhaltlich und auch motivatorisch sofort das Gesamtkonzept.
Der insgesamt wenig kommunikative Lernprozess wird von formeller
Kommunikation dominiert, was zunächst eine Versachlichung
mit sich bringen muss. Informelle Kommunikation und Metakommunikation
gehen dabei jedoch stark zurück. Dies bedingt erhebliche
Mängel hinsichtlich des Sozialereignisses Unterricht.
Ein komplexer Kompetenzerwerb wird hierdurch in Frage gestellt.
Für Lernende und Lehrer eröffnet sich ein kommunikatives
Vakuum, das permanent überbrückt werden muss. Als
Folge dieser Tatsache ist neben der schleppenden Schüler-Lehrer-Kommunikation
eine Minimalisierung der Schüler-Schüler-Kommunikation
zu erwarten, welche den Unterricht hochgradig asymmetrisch
werden lässt.
|
3.4
Fazit |
|
Als vorläufiges Fazit der hier getroffenen Überlegungen
zeichnet sich ab, dass dem technischen Aspekt bezüglich
der Qualität eines telemedialen Unterrichts eine eher
geringfügige Rolle beizumessen ist. Zwischen personaler
und medialer Kommunikation deutet sich vordergründig
eine Abgrenzung an. Diese begründet sich jedoch vorwiegend
auf den Menschen selbst jedoch kaum auf seine Kommunikationstechnik.
Wenn der Mensch lernt, virtuelle Räume als soziale Räume
zu erschließen, wird er dort voraussichtlich relativ
unabhängig von den bestehenden technischen Möglichkeiten
Kommunikation in jeder Form wahrnehmen können.
Anders stellen sich jedoch die Aspekte Synchronität'
und Tutorielle Betreuung' dar. Die sich schon durch
technische Mängel abzeichnenden Effekte einer Pragmatisierung
und Formalisierung der Lehrer-Schüler-Kommunikation werden
bei mangelhafter Ausprägung dieser Aspekte manifestiert.
Eine formalisierte Kommunikation lässt sozial-emotionale
Reduktionen erwarten. Damit sind neben einer Abkühlung'
des Lernklimas Defizite hinsichtlich sozialer Lernprozesse
und einem in diesem Zusammenhang stehenden komplexen Kompetenzerwerb
absehbar. Der Unterricht wird zunehmend vom Lehrer dominiert
bzw. kippt im Extremfall zu einem Szenario allein gelassener
Schüler. Die Schüler-Schüler-Kommunikation
bleibt unter den getroffenen Überlegungen wenig einschätzbar.
Einerseits eingeschränkt durch technische und temporäre
Erschwernisse, wird sie durch bestimmte Defizite geradezu
erforderlich gemacht. Es wäre jedoch kaum angemessen,
festzustellen, dass zur Förderung der schülerinternen
Kommunikation sich eine mangelhafte Telelernumgebung anbieten
würde.
|
4
Zusammenfassung |
|
Telekommunikation kann in beruflichem Unterricht zum Einsatz
gebracht werden, um räumlich-zeitliche Distanzen medial
zu überbrücken. Dabei steht jedoch von vorn herein
fest, dass eine derartige Verlegung von Präsenzunterricht
in einen virtuellen Raum nicht aus pädagogischen Intentionen
erfolgen kann, sondern vorwiegend aus pragmatischen. Die Tatsache,
dass sich durchaus positive Nebeneffekte, wie eine Erhöhung
von Selbstständigkeit und Medienkompetenz einstellen
können, darf nicht als Begründungsansatz für
einen telekommunikativ unterstützten, beruflichen Unterricht
angesehen werden. Aus dieser Perspektive galt es hier zu klären,
wodurch sich in telekommunikativem Unterricht Defizite einstellen
können und wie sich diese dort auswirken.
Im Zentrum dieser Diskussion stehen Veränderungen im
unterrichtlichen Kommunikationsprozess, welche durch die Verlegung
einer unmittelbaren in eine mittelbare Kommunikation absehbar
sind. Dabei zeichnen sich als Parameter dieser Veränderungen
die technischen Möglichkeiten des im Unterricht zum Einsatz
gebrachten Telekommunikationssystems, die Betreuungsintensität
des Lehrers und die zeitliche Synchronität im Lehr-Lern-Prozess
ab. Diese Parameter wirken separat, aber auch ineinander verschränkt
und stellen damit ein komplexes Wechselfeld sich gegenseitig
bedingender Einflüsse dar. Innerhalb dieses Wechselfeldes
steht ein hohes Wirkungspotential bei den pesonalen Faktoren
einem relativ geringem Wirkungspotential des technischen Aspekts
gegenüber.
Über eine vertiefte Analyse des Kommunikationsprozesses
im Unterricht stellt sich dieser als ein Gefüge verschiedener
wort- und körpersprachlicher Kommunikationsabläufe
dar. Diese lassen sich in formelle, informelle und metakommunikative
Anteile differenzieren. Die Kommunikation zwischen Lehrern
und Schülern unterscheidet sich von jener unter den Schülern
durch einen verstärkt formellen Charakter, geringere
metakommunikative Anteile und eine gewisse Asymmetrie.
Kommunikationsprozesse im virtuellen Unterricht erfahren prinzipiell
Einschränkungen durch die mediale Mittelbarkeit. Auch
bei bester audiovisueller Übertragungstechnologie ist
davon auszugehen, dass die Kommunikation formelleren Charakter
annimmt. Sie wird sich auf Grund ihrer Offenheit nach außen
sowie einer möglichen Protokollierbarkeit insgesamt aus
Angsthemmnissen verringern. Dies insbesondere dann, wenn sie
nur in schriftlicher Form möglich ist. Die innerhalb
von Präsenzunterricht bestehende Asymmetrie wird dabei
verstärkt. Die Intensität der tutoriellen Betreuung
wirkt in diesem Bezugsfeld noch stärker. Bei einem virtuellen
Massenlernen, innerhalb welchem ein Schüler sich nicht
mehr als Individuum eingebunden sieht, besteht die Gefahr,
dass der Unterricht sich nur noch in Form eines Austauschs
von Fachinformationen erstreckt. Die Gefahr eines derartigen
Alleinlassen' der Lernenden erscheint nicht nur bei
mangelnder Betreuung, sondern auch bei zu großen Zeiträumen
innerhalb der Kommunikation gegeben. Asynchronität im
virtuellen Unterricht führt zwangsweise zu einer Erhöhung
der Schülerselbständigkeit . Diese geht jedoch einher
mit einer zunehmenden Abkehr von der Kommunikation an sich.
Aus allen drei Aspekten lassen sich Einschränkungen vor
allem im Bereich sozial-emotionaler Prozesse absehen, welche
nicht nur eine generelle Verschlechterung des Lernklimas mit
sich bringen, sondern auch ein neben dem inhaltlichen Lernen
stattfindendes soziales Lernen in Frage stellen und damit
insgesamt den Erwerb komplexer Handlungskompetenzen.
Kommunikationsprozesse außerhalb eines virtuellen Unterrichts
besitzen, im Gegensatz zum Präsenzunterricht, keinen
vorgegebenen Rahmen. Somit erscheint die Entstehung einer
wirklichen Gruppe aus den Lernenden fraglich. Vielmehr ist
anzunehmen, dass die Schüler sich vorwiegend als Einzelpersonen
ohne wirkliche soziale Anbindung wahrnehmen. Neben den schon
prognostizierten Defiziten hinsichtlich sozialen Lernens kann
davon ausgegangen werden, dass vor allem wenig kommunikative,
passive bzw. wenig begabte Schüler noch größeren
Lernhemmnissen gegenüberstehen, da ihnen der Schutzraum
einer zurückhaltenden Kommunikationsteilnahme fehlt.
Obwohl davon auszugehen ist, dass LehrerInnen, welche neben
ihrem Präsenzunterricht Teleunterricht durchführen,
den beschriebenen Prozessen weniger stark ausgesetzt sind,
sind doch deutliche Veränderungen in der Ausübung
ihres Berufs absehbar. Neben ähnlichen zu erwartenden
Effekten aus sozialen bzw. kommunikativen Defiziten ist davon
auszugehen, dass Fähigkeiten als Teletutor zukünftig
zu den Berufskompetenzen von LehrerInnen in den entsprechenden
Bezugsfeldern gehören werden. DÖRR stellt vor dem
Hintergrund der Evaluation eines Telekom-Fernlernkonzepts
diesbezüglich fest: "Die Situation, Lerngruppen
nur indirekt mittels Telekommunikation betreuen zu können,
erfordert Kenntnisse und Fertigkeiten, über die Trainer
in der Regel nicht verfügen" (Dörr, 1999, 69)
(Vgl. dazu auch GRÄSEL, FISCHER, BRUHN, MANDL, 1997)
(Gräsel, et. Al., 1997, 4f).
An dieser Stelle ist auf Erfahrungsbereiche hinzuweisen, innerhalb
welcher in den letzten Jahren intensive Forschung im Zusammenhang
mit psychosozialen Effekten durch den Einsatz telekommunikativer
Technologie innerhalb von beruflicher Arbeit und Führung
betrieben wurde. Sowohl die Arbeit- und Organisationspsychologie
als auch die Betriebswirtschaftslehre setzen sich seit längerem
mit der Problematik kooperierender Kommunikation mittels digitaler
Telemedien auseinander. Neben anderen Autoren stellen insbesondere
BÜSSING (Vgl. Büssing, 1999, 119-175) bzw. REICHWALD
und BASTIAN (Vgl. Reichwald, Bastian, 1999, 141-162) als ein
Ergebnis vertiefter Studien heraus, dass vor allem im Zusammenhang
mit affektiven und emotionalen Anteilen der Kommunikation
zwischen beruflich Tätigen bzw. Führungskräften
eine face-to-face-Kommunikation' mit Hilfe eines Ferndialogs
nicht vollständig zu substituieren ist. Die vor allem
sozial-kommunikative Problematik digitalisierter Kommunikation
von intensiv interagierenden Menschen besitzt hier eine besonders
breite empirische Basis.
Aus den vorausgehenden Feststellungen lassen sich einige Konsequenzen
für telekommunikativen beruflichen Unterricht ableiten:
· Nicht primär die Technik entscheidet über
die Qualität telekommunikativen Unterrichts, sondern
dessen Synchronität und tutorielle Betreuung
· Die Technik sollte eher den Kriterien Sicherheit,
Funktionalität und Konstanz gerecht werden, als einer
maximalen Medienausnutzung
· Eine permanente Synchronität ist als Ideal
zu betrachten, wird sich jedoch im Realfall nicht konsequent
verwirklichen lassen. Es sollten jedoch sichere Zeiten der
virtuellen Begegnung bestehen. Die Zeiträume zwischen
Fragen und Antworten müssen zuverlässig einschätzbar
und möglichst gering sein
·
Wie im Präsenzunterricht dürfte ein Lehrer virtuell
kaum mehr als 30 Schüler intensiv betreuen können.
Wird diese Zahl deutlich überschritten, kann bald nicht
mehr von Unterricht die Rede sein
· Hochgradig schülergesteuertes Selbstlernen
kommt telekommunikativem Lernen entgegen, ändert jedoch
nichts an den bisherigen Feststellungen
· Lehrer und Schüler müssen auf diesen
Unterricht breit vorbereitet werden. Vor allem der Komplex
der Kommunikationsfähigkeiten spielt hier eine entscheidende
Rolle
· Auf Grund sozialer und emotionaler Defizite bietet
sich telekommunikativer Unterricht eher als additiver Ansatz
an, denn als substitutiver
· Rein telemedialer Unterricht sollte regelmäßig
und möglichst oft durch Zusammenkünfte aller Beteiligten
sozial hinterlegt werden
· Lehrer und Schüler mit sozialen bzw. kommunikativen
Defiziten könnten in telekommunikativem Unterricht
einerseits Schutz erfahren, andererseits aber auch ihre
Defizite verstärken. Sie laufen Gefahr, dort noch stärker
als im Präsenzunterricht in den Hintergrund zu geraten
· Komplexe berufliche Handlungskompetenz kann hier
bestenfalls vorbereitet, bzw. deren laufender Erwerb unterstützt
werden. Dies alleine zu leisten, dürfte in telekommunikativem
beruflichem Lernen sehr schwierig sein
Eine kommunikationsbezogene Analyse von telemedialem beruflichem
Unterricht führt zu dem Tenor, dass mit einem Absinken
der Qualität des virtuellen Unterrichts die Gefahr vor
allem sozial-emotionaler Defizite steigt. Damit verengt sich
der Adressatenkreis derartiger Ansätze und ihre Lernwirkung
müssen eher vorsichtig eingeschätzt werden. Berufliches
telekommunikatives Lernen erscheint geeignet, um bestimmten
räumlich-zeitlichen Defiziten zu begegnen, sollte jedoch
gegenwärtig in jedem Falle eher präsenzunterrichtsbegleitend
als -ersetzend zum Einsatz gebracht werden.
|
Literatur |
|
ADLER, M. (1999)l: Detailuntersuchung 2: Städtische Technikerschule
München - Telekommunikatives Lernen. In: Euler, Dieter
/ Schelten, Andreas: Arbeitsbericht Nr. 30. Zwischenbericht
über die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs:
Multimedia und Telekommunikation für berufliche Schulen
(MUT) in Bayern. München und Nürnberg: Hintermaier,
S. 138-156
BÜSSING, A. (Hrsg.) (1999): Telearbeit aus psychologischer
Sicht. Themenheft der Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie
43 3 S. 119-175
DÖRR, G.: (1999) Didaktisches Design multimedialer Lernumgebungen
in der betrieblichen Weiterbildung - Einsatzmöglichkeiten
verschiedener Komponenten multimedialer Lernumgebungen in der
betrieblichen Weiterbildung der Deutschen Telekom. In: Unterrichtswissenschaft
1 S. 61-77
GIERINGER, H. (1999): Vorteile, Arten und Grenzen multimedialen
Lernens. In: Wissensmanagement 1 S. 35-38
GRÄSEL, C., FISCHER, F., BRUHN, J., MANDL, H. (1997): Ich
sag Dir was, was Du schon weißt. Lehrstuhl für Empirische
Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig
Maximilians Universität München Forschungsbericht
Nr. 82
HOLMBERG, B., SCHUEMER, R.( 1979): Lernen im Fernstudium. In:
Franz E. Weinert / Heinz Mandl: Enzyklopädie der Psychologie.
Psychologie der Erwachsenenbildung. Pädagogische Psychologie
/ 4. Göttingen; Bern; Toronto; Seattle: Hogrefe Verl. für
Psychologie, S. 507-550
REICHWALD, R., BASTIAN, C. (1999): Führung von Mitarbeitern
in verteilten Organisationen. Ergebnisse explorativer Forschung.
In: A. Egger, O. Grün, R. Moser (Hrsg.): Managementinstrumente
und Konzepte: Entstehung, Verbreitung und Bedeutung für
die BWL. Stuttgart: Schäffler Poeschl, S. 141-162
TENBERG, R. (2001): Multimedia und Telekommunikation im beruflichen
Unterricht. Theoretische Analyse und empirische Untersuchungen
im gewerblich-technischen Berufsfeld. Bern, Brüssel, Frankfurt,
New York: Lang-Verlag
|
|
|