wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 
RALF TENBERG (Technische Universität München)
Telekommunikation in beruflichem Unterricht

Telekommunikativem Lehren und Lernen wird innerhalb und außerhalb beruflicher Bildung eine erhebliche Zukunftsperspektive zugewiesen. Nahezu alle privaten und öffentlichen Bildungsträger, sowie betriebliche Bildungseinrichtungen befassen sich gegenwärtig mit netzgestützten Lehrkonzepten*. GIERINGER stellt in einer nüchternen Betrachtung für die betriebliche Ausbildung und vor allem Weiterbildung fest, dass sich deren Kosten vor allem durch eine unabhängige Wahl des Ausbildungsortes erheblich reduzieren lassen: ".. sei es nun am Arbeitsplatz, im Selbstlernzentrum oder zu Hause. Ausfallzeiten und Reisekosten durch Seminarbesuche entfallen. Jeder Personalverantwortliche wird bestätigen, dass 50% der Kosten von externen Weiterbildungsmaßnahmen auf die Nebenkosten entfallen" (GIERINGER, 1999, 37).
Im Zusammenhang mit beruflichem Unterricht erweist sich diese Dynamik gegenwärtig noch zurückhaltend. Berufsschulischer Unterricht ist seit jeher Präsenzunterricht. Räumlich-zeitliche Probleme stellen sich kaum, da Berufsschulen in der Regel auf relativ enge Sprengel zugreifen. Ausnahmen bilden innerhalb dieses Bezugsfeldes Berufsgruppen weiträumigerer Sprengel, wie beispielsweise die Optiker in Bayern. Fachschulen wie Meister- und Technikerschulen besitzen nicht nur wesentlich umfassendere Einzugsbereiche, sondern stehen zudem einer Schüleraltersgruppe gegenüber, welche auf Grund beruflicher und familiärer Hintergründe über wesentlich geringere zeitliche Kapazitäten verfügt, als berufliche Anfänger. Somit steht fest, dass beruflicher Unterricht im Sinne der festgestellten Behebung von räumlich-zeitlichen Defiziten durch digitale Telekommunikation optimiert werden könnte. Zukünftig kann sich diese Dynamik erhöhen, wenn sich die berufliche Bildung mehr und mehr der telekommunikativen Möglichkeiten besinnt und auch bedient. Z.B. werden bei neuen Ausbildungsordnungen Wahl- bzw. Wahlpflichtfächer in der Fachbildung vorgesehen, welche in ihrer Breite nicht mehr von einer einzelnen beruflichen Schule angeboten werden können. Diese könnten dann für die Lernenden telekommunikativ zugänglich gemacht werden.


*Beispielsweise übertragen Universitäten, einzeln oder im Verbund mit anderen, Inhalte und Veranstaltungen ins Internet. Die Fernuniversität Hagen befindet sich in der Endphase einer Umwandlung zur virtuellen Universität. Unter dem Stichwort ‚produktorientierte Weiterbildung' werden im Weltkonzern Siemens zentral hergestellte Lehrpakete für die Schulung an neuen Produkten mit Intranetzen weltweit verbreitet. Als Vision steht dabei ein Telekommunikationsprodukt, das die Produkttrainer weltweit selbst über Netze unterrichtet und diesen nach erfolgter Schulung die Zertifizierung für ihre Trainerqualifikation für das neue Produkt nach erfolgreichem Assessment erteilt.


1 Fernunterricht

Unter dem Begriff ‚Fernstudium' fassen HOLMBERG und SCHUEMER (vgl. 1979, 507ff ) jede Form räumlich getrennten Unterrichts zusammen, unabhängig, auf welchem Bildungsniveau dieser stattfindet. Sie unterscheiden dabei zwischen vorproduzierten Fernkursen einerseits und einer medienvermittelten Interaktion zwischen den Studierenden und der ‚helfenden Organisation' andererseits. Im Folgenden soll nur der zweite Aspekt unter der Bezeichnung ‚Fernunterricht' erörtert werden, da eine Durchführung beruflichen Unterrichts über vorproduzierte Fernkurse gegenwärtig noch keine größere Rolle spielt und zudem eine medienvermittelte Interaktion für den beruflichen Unterricht perspektivenreicher erscheint.

Eine medienvermittelte Interaktion zwischen Studierenden und einer unterrichtenden Organisation wird im Weiteren als Fernunterricht bezeichnet. Dieser lässt sich nach folgenden Aspekten kennzeichnen: Anwendungsbereiche, Theoretische Ansätze, Konstituierende Elemente; Organisatorische Aspekte.
Fernunterricht findet somit in speziellen Anwendungsbereichen statt, wird auf Basis spezifischer theoretischer Ansätze geplant sowie durchgeführt und rückt als primäres konstituierendes Element die Lehrer-Lerner-Kommunikation in den Mittelpunkt. Dabei spielen organisatorische Aspekte eine bedeutende Rolle.
Im Weiteren gilt es zunächst zu klären, welche Parameter telekommunikativen Lernens sich aus diesen Feststellungen ableiten lassen, um dann die Effekte der veränderten Kommunikationssituation auf unterrichtsinterne und auch -externe Prozesse abzusehen .


2 Parameter telekommunikativen Lernens

Die vorausgehenden allgemeinen Betrachtungen von Fernlernen haben gezeigt, dass im Zentrum ernstzunehmender organisatorischer und didaktischer Ansätze die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern steht. Somit erscheint es schlüssig, im Weiteren spezifische Ausprägungen von Kommunikation darzustellen und voneinander zu unterscheiden, um deren Möglichkeiten und Grenzen für einen nach außen verlagerten beruflichen Unterricht herauszuarbeiten. Diese spezifischen Ausprägungen von Kommunikation werden, wie die allgemeinen Betrachtungen von Fernlernen offen legten, vorwiegend durch drei Parameter bestimmt (s. Abbildung):
(1) Durch die technischen Möglichkeiten des Gesamtsystems.
(2) Durch die personelle Partizipation des Unterrichtenden in Form einer tutoriellen Betreuung.
(3) Durch den Grad der zeitlichen Synchronität des Lehr-Lern-Prozesses.
Je positiver diese Parameter ausgeprägt sind, desto mehr kann die Telelernsituation mit einem Präsenzlernen verglichen werden. Je negativer diese Parameter ausgeprägt sind, desto defizitärer ist diese Telelernsituation einzustufen.


 

Abbildung: Parameter telekommunikativen Lernens

Zu (1): Großen Einfluss auf die Qualität des Telelernens haben aus technischer Perspektive nicht nur klassische Hardwarekomponenten, wie die zur Verfügung stehenden Rechner, Netzanschlüsse und die Netze selbst. Medienhardware wie Videokameras, Mikrophone und deren Digitalisierungshardware treten dann in den Vordergrund, wenn über den schriftlichen Informationsaustausch hinaus verbale bzw. audiovisuelle Kommunikation realisiert werden soll. Ebenso wichtig sind Softwarekomponenten wie die genutzten Betriebssysteme, die verwendete Kommunikationssoftware sowie die spezifische Mediensoftware.

Gegenwärtig differenzieren sich hier zwei Welten der Telekommunikation: Auf der einen Seite stehen einfache, leicht realisierbare und fast schon zum allgemeinen Standard gewordene Konfigurationen von Rechnern, die über ein Modem auf das Internet zugreifen können. Sie erlauben Kommunikation über electronic mail bzw. sog. ‚chats' (Chat-boxes bestehen aus einer Software, die nacheinander eingehende Texte untereinander oder gegenüberstellend präsentiert), bei denen zeitsynchron Texte hin- und hergesandt werden können. Diese Systeme sind hinsichtlich ihrer Anwendung einfach, standardisiert und relativ stabil. Auf der anderen Seite stehen aufwändige vielkomponentige Mediensysteme, die erst über separate Netze zusätzlich in der Lage sind, Bild und Ton zu übertragen. Ihre Stabilität hängt von vielen Einzelfaktoren ab und sie erfordert hochkompetente fachmännische Installation und Betreuung.
Dies lässt hinsichtlich des Parameters ‚Technische Möglichkeiten' zu der Feststellung kommen, dass ein (gegenwärtiger) telekommunikativer beruflicher Unterricht realistisch betrachtet nur in Ausnahmefällen in audiovisueller Form stattfinden kann. Eine absehbare Perspektive für derartige Konzepte besteht momentan vorwiegend über eine schriftliche, günstigenfalls auditive Kommunikation, wenn es gelingt, E-Mails durch voice E-Mails zu ersetzen. Trotzdem soll davon ausgegangen werden, dass die Technik in ungebremster Dynamik auch diese Problematik in den Griff bekommen wird; zum einen hinsichtlich der Problematik einer stabilen, schnellen und hochkomprimierten Datenaufnahme und -übertragung, zum anderen hinsichtlich der damit verbundenen Kosten. Die mit Beginn des Jahres 1999 sich etablierende Technik des MP3 ist beispielsweise ein erfreuliches Signal in diese Richtung (Das MP3-Format (moving pictures expert group) ist ein Standard, mit dem Audiosequenzen in bisher ungekannter Komprimierungsrate und damit Geschwindigkeit über das Internet übertragen werden können).

Zu (2): Im Gegensatz zu den technischen Möglichkeiten lässt sich der Parameter ‚tutorielle Betreuung' als relativ zeitstabil betrachten. Er hängt nicht vom Entwicklungsstand bestimmter Systeme ab, sondern wird ausschließlich durch den Aufwand bestimmt, den ein Lehrer betreibt, wenn er Fernlernprozesse unterstützt. Wie schon erwähnt, betrifft dies nicht den Vorbereitungsaufwand des Fernunterrichts bzw. die Installation und Betreuung der technischen Systeme, sondern ausschließlich die Partizipation des Lehrers am eigentlichen Lernprozess.
Die Schüler können theoretisch 24 Stunden tutoriell betreut werden, bzw. zu keinem Zeitpunkt. Intensive Konzepte sehen vor, dass ein Betreuer zu bestimmten Zeiten ‚online' anwesend ist. Der Tutor steht für einige Stunden täglich für direkte Fragen mit sofortigen Antworten zur Verfügung. Mittlere Konzepte arbeiten mit ‚offline'-Tutoren. Diese greifen zu bestimmten Tageszeiten gestellte Fragen auf und beantworten diese ‚vom Stapel'. Extensive Konzepte sehen einen Tutoren vor, der sich einmal täglich bis wöchentlich um angefallene Fragen kümmert. Entsprechend dieses Parameters stellt sich auch eine mehr oder minder intensive Schüler-Lehrer-Beziehung ein. Kann diese im Falle einer engen Betreuung fast der eines Präsenzunterrichts entsprechen, ist sie in sehr langen Feedback-Zeiträumen sicher sehr gering ausgeprägt.

Zu (3): Zu den Hauptgründen, Unterricht über Netze durchzuführen, zählt die Möglichkeit, einen Unterricht zeitlich zu flexibilisieren. Lernende können dann auf den Unterricht zugreifen, wenn sie individuell dazu bereit und in der Lage sind. Lehrende können unabhängig von diesen Zeiten ihren Betreuungsaufgaben nachgehen. Dieser Begründungsaspekt ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten, denn je zeitlich asynchroner ein Telelernen stattfindet, desto weiter entfernt es sich von der sozio-kommunikativen Situation eines im Klassenverband stattfindenden beruflichen Unterrichts. Es ist somit davon auszugehen, dass eine stark ausgeprägte zeitliche Asynchronität erhebliche Defizite hinsichtlich der sozialen Gesamtsituation mit sich bringt. Im Extremfall wartet ein Lernender lange auf die Beantwortung an den Tutoren gestellter Fragen bzw. führt ein Gespräch mit anderen Lernenden über erhebliche Zeiträume. Ideal wäre die Aufhebung dieser Asynchronität, wobei dann Telelernen jedoch nur noch zur Überbrückung räumlicher Distanzen Sinn machen würde.

Wie sich schon in den Einzelbetrachtungen der Parameter abzeichnete, üben diese nicht nur Wirkungen innerhalb ihres Definitionsbereichs aus, vielmehr sind ihre Effekte ineinander verschränkt. Auch eine maximale zeitliche Synchronisierung kommt nur schlecht zur Wirkung, wenn die tutorielle Betreuung nicht mithält. Umgekehrt kann eine optimale tutorielle Betreuung nur in zeitlicher Synchronität stattfinden. Ebenso verhält es sich im Zusammenhang mit den technischen Möglichkeiten. Eine Videokonferenz lässt sich nur dann durchführen, wenn alle Beteiligten zeitgleich anwesend sind.

Berufliches telekommunikatives Lernen wird von den Parametern ‚Technische Möglichkeiten', ‚Tutorielle Betreuung ' und ‚Synchronität' bestimmt. Je nach Ausprägung der einzelnen Parameter stellt sich eine individuelle Telelernsituation ein, die auf Grund einer internen Verschränktheit der nicht separat wirkenden Parameter als einzigartig betrachtet werden muss. Telelernsituationen, innerhalb welcher einzelne Parameter reduziert sind, bringen in jedem Falle absehbare Einschränkungen mit sich. Dabei ist zu vermuten, dass sich technische Defizite in wesentlich geringerem Maße als solche innerhalb der tutoriellen Betreuung auf die Diskrepanz zum Präsenzunterricht auswirken. Dies soll im Folgenden näher betrachtet werden.



3 Effekte einer auf Telekommunikation reduzierten Unterrichtskommunikation
3.1 Veränderungen des Kanals: Die telekommunikative Technik

Je nach technischer Ausstattung eines Telekommunikationssystems wirkt dieses mehr oder weniger filternd.
Im (momentan vorstellbaren) ‚Bestfall' besteht eine audiovisuelle Übertragung, bei der sich alle Beteiligten sehen und hören können. Innerhalb dieser, einem Präsenzunterricht sehr nahen Situation, lassen sich vordergründig hinsichtlich der Kommunikation kaum Einschränkungen absehen. Tatsächlich muss jedoch auch in diesem Falle angenommen werden, dass sich das physische Gegenüber eines Unterrichts nicht telekommunikativ substituieren lässt.

Entsprechend der Untersuchungen von ADLER (1999) ist davon auszugehen, dass sich der Anteil der formellen Kommunikation gegenüber dem der informellen erhöhen wird. Über Kamera und Mikrofon erscheint zunächst ein Austausch von ‚Unsachlichem' als noch unangemessener als in direkter Kommunikation. Dieser primär eher lernförderlich erscheinende Effekt zieht einen schwer einschätzbaren Wirkungskomplex nach sich. Vordergründig steht in Aussicht, dass die Erschwernis informeller Kommunikation durch das Telemedium die Wahrscheinlichkeit von Ausschweifungen bis hin zu Störungen des Unterrichts verringert und damit dessen Effizienz steigert. Da jedoch die sozial-emotionalen Anteile des Unterrichts auch über diese Schiene laufen, und damit mitreduziert werden, sind in diesem Bereich Defizite zu erwarten. Lernende und auch Lehrer verlieren die unmittelbare soziale Kommunikation. Die Subjekte des Lernprozesses finden ihre Rolle nicht in einer realen Konfrontation mit Menschen, sondern in einer Projektion. Damit besteht keine unmittelbare menschliche Nähe. Diese wäre jedoch für die Basis allen sozialen Lernens, eine situative Identifikation, entscheidend.

Zudem muss bedacht werden, dass durch das Medium nicht nur die informelle Kommunikation erschwert wird, sondern auch die formelle, da ein medialer Austausch bisher nicht die Selbstverständlichkeit eines direkten Gesprächs ersetzen kann.

Darüber hinaus bedingt voraussichtlich der Verlust des situativen Schutzes eines ‚geschlossenen' Klassenzimmers, gerade bei Leistungsschwächeren ein Kommunikationshemmnis. Diese Annahme gilt auch gegenüber dem Lehrer, der nunmehr weiß, dass alles was er ‚von sich gibt' nach ‚außen' geht, an Personen übertragen wird, die ihm nicht gegenüber sind und sogar aufgezeichnet werden kann.

Im Bereich der Metakommunikation sind weitere Einschränkungen zu erwarten. Zwar ermöglicht eine audiovisuelle Übertragung eine große Bandbreite an Informationen, nicht jedoch die Gesamtheit dessen, was in einem situativen Gegenüber möglich wäre. Kameras sind gerichtet und besitzen einen begrenzten Blickwinkel. Mikrofone nehmen nur das auf, was in sie hineingesprochen wird. Diese Filterfunktion entspricht jedoch nur dem Beginn einer Wirkungskette. Die insgesamt von vornherein telekommunikativ verringerten metakommunikativen Signale lassen auch eine reduzierte Reaktivität bei den Teilnehmern der virtuellen Gruppe erwarten. Dies betrifft weniger den Teilaspekt des Appells, sondern eher Selbstoffenbarung und Beziehungssetzung. Innerhalb der stark versachlichten Telekommunikation kann derartige sozial-emotionale ‚Arbeit' leicht vermieden werden, da ja keine situative Notwendigkeit besteht, diese zu leisten. Die räumliche Distanz schafft auch soziale Distanz. Mit der Reduktion der Metakommunikation wird Telelernen zu einem sozial-emotionalen Artefakt, innerhalb welchem sich die beteiligten Menschen je nach Ausprägung ihrer Sozialisation verstecken oder gefesselt und dementsprechend wohler, aber auch unwohler fühlen können. Präsenzunterricht bildet eine Gesamtsituation, innerhalb welcher alle Beteiligten permanent miteinander konfrontiert sind. Würde man dies auf nur 20 Personen telekommunikativ umsetzen wollen, müsste jeder der Teilnehmer in der Lage sein auf seinem Monitor 20 Personen explizit wahrzunehmen. Er müsste zwar nicht gleichzeitig alle rezipieren können, aber zumindest deren gesamte Kommunikationsanteile ebenso wie die Reaktionen der anderen darauf registrieren können. Dieses für die Realität vorstellbare Szenario ist medial absehbar kaum möglich. Die menschliche Fähigkeit, trotz gerichteter Aufmerksamkeit sich nebenher parallel mit der Breite einer komplexen Kommunikationssituation auseinander zusetzen, scheitert an der Übertragung. Sehen ist vor allem ‚Hinsehen' und Hören entsteht zu einem bedeutenden Teil erst aus dem ‚Hinhören'. Durch die mediale Vermittlung einer komplexen Kommunikationssituation wird die wahrnehmungspsychologisch bedeutende Fähigkeit des Menschen zur gerichteten Aufmerksamkeit unterlaufen. Dies hat entweder zur Folge, dass sich der Überforderte auf ‚das Machbare' einschränkt, oder resigniert. Auf ‚das Machbare' einschränken, bedeutet für den Schüler in erster Linie Abbruch der Schüler-Schüler-Kommunikation und Zuwendung zur Lehrer-Schüler-Kommunikation. Daher dürfte in telekommunikativem Unterricht eine Tendenz zur Asymmetrie kaum vollständig abzuwenden sein.

Gegenwärtiger Teleunterricht findet jedoch nur selten über eine derartige Übertragungstechnologie statt. In den weitaus meisten Fällen stehen nur textbasierte Kommunikationssysteme zur Verfügung. Die Teilnehmer können sich electronic-mails zusenden oder über einen gemeinsamen Monitor ‚chatten'. Obwohl sog. voice E-Mails in nächster Zeit als gesprochene Kurzbriefe die geschriebenen E-Mails ablösen könnten, werden diese auf Grund der schwankenden Übertragungsraten des Internets für Unterrichtszwecke bisher eher selten verwendet. Wirkliche Videokonferenzen, in denen Bild und Ton synchron und ohne ‚Holpern' übertragen werden, können gegenwärtig nur über Intranetze bzw. Standleitungen hergestellt werden.

Somit ist im Realfall bisher davon auszugehen, dass ein permanenter Austausch audiovisueller Daten zwischen den Teilnehmern nicht stattfinden kann und die Kommunikation von geschriebenen Texten dominiert wird.
Damit ist eine weitere Formalisierung der Kommunikation zu erwarten. Der Wissenserwerb tritt noch stärker ins Zentrum des Lernprozesses; sozial-emotionale Vorgänge verringern sich weiter. Die für die audiovisuelle Kommunikation beschriebenen Hemmnisse auf Grund der Offenheit der Lernsituation nach außen müssen auch hier abgesehen werden. Hinzu kommt das Hemmnis des Schreibens. Zwischen einer Verbaläußerung und einer schriftlichen besteht hinsichtlich der Gefahr, Fehler zu begehen und deren Offensichtlichkeit und Dokumentiertheit ein großer Unterschied. Sprechen reduziert den Druck grammatikalischer bzw. orthografischer Exaktheit. Ein begangener Rechtschreibfehler wird auf der ausgegebenen Nachricht mitdokumentiert, weiterversandt und festgehalten. Das gleiche gilt auch für die Qualität der Äußerung. Der Kommunizierende weiß genau, dass ihn eine unsachliche Frage oder eine falsche Antwort als ‚unwissend' oder ‚nicht-bei-der-Sache' entlarven könnte. Dies gilt für Teleunterricht wie für Präsenzunterricht, nur mit dem Unterschied, dass wiederum der Fehler nicht nur ausgesprochen wurde, sondern ‚schwarz auf weiß' lesbar geworden ist. Daher tendieren Schüler und auch Lehrer wahrscheinlich zu einer Sicherheitshaltung, innerhalb welcher Kommunikation zunächst verringert wird, auf das ‚dringend Notwendige' beschränkt und mit einem hohen Sicherheitsaufwand betrieben wird. Bzgl. informeller Anteile ist zu befürchten, dass diese ganz in Bereiche außerhalb des Unterrichts ausgelagert werden.

Als absehbare Folge dieser Formalisierung der Kommunikation muss von einem sehr pragmatischen, distanzierten Lehr-Lern-Prozess ausgegangen werden, in welchen sozial-emotionale Prozesse kaum eingebunden werden können. Diese Wirkung wird von dem zu erwartenden fast vollständigen Verlust der Metakommunikation durch reinen Schriftverkehr sicher mitgetragen.
Wenn die informelle Kommunikation sich minimalisiert, gewinnt die Lehrer-Schüler-Kommunikation noch größeren Überhang, was die Vermutung nahe legt, dass die Gesamtkommunikation in textbasiertem Teleunterricht noch asymmetrischer ist, als in einem audiovisuell unterstützten.
Die Verlegung des Kommunikationskanals von einer direkten in eine mediale Kommunikation kann mit verschiedensten technischen Mitteln realisiert werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich dabei eine Formalisierung der Unterrichtskommunikation einstellen wird. Diese nimmt voraussichtlich mit dem Abstraktionsgrad der Informationsübertragung zu. Das gleiche gilt im Zusammenhang mit dem Aspekt der Metakommunikation. Je stärker die Übertragung der Kommunikation sich auf semantische Daten eingrenzt, desto weniger Raum kann für die Metakommunikation verbleiben. Dies lässt insgesamt für telekommunikativen Unterricht einen quantitativen Rückgang der Gesamtkommunikation in Verbindung mit einer verstärkten Pragmatisierung und Formalisierung erwarten.

Diese zunächst nicht unerfreuliche Perspektive wird von zu befürchtenden starken Defiziten im Bereich sozial-emotionalen Lernens überschattet. Hinzu kommt eine nicht zu vermeidende Verschiebung der Dominanz im Unterricht auf Seiten des Lehrers. Gerade bezüglich eines angestrebten Vermittelns komplexer Handlungskompetenzen muss diese Feststellung nachdenklich machen. Dies nicht nur aus der Betrachtung bestehender Telekommunikationstechnik heraus, sondern vielmehr im Hinblick auf die Tatsache, dass hier zu erwartende Technologiefortschritte nie über die aufgezeigten, im Zusammenhang mit den beteiligten Subjekten stehenden Grenzen hinweg führen werden.
Nur bei Prognose einer Veränderung menschlicher Sozialbezüge im Zusammenhang mit einer sich ausbreitenden Virtualisierung unserer Welt, können sich diese Grenzen verschieben bzw. auflösen. Die neuen Medien bilden inzwischen durch ihre hohe Dynamik einen eigenständigen sozialen Handlungsraum. Wenn der Mensch diesen Raum bezieht und auch lernt, sich darin zu bewegen und zu positionieren, kann telemediales Lernen zu einem sozialen Ereignis werden. Dabei stellt sich aber nicht nur die Frage, ob dies eintreten wird, sondern auch jene, ob dies erstrebenswert erscheint.

3.2 Veränderungen der Partizipation: Betreuungsintensität


Im Gegensatz zum Aspekt der Telekommunikationstechnik stellt sich die Betreuungsintensität als ein Parameter telekommunikativen Lernens dar, der zu 100 Prozent optimiert werden kann. Bei vollbetreutem Unterricht kann ein Lernender jederzeit und vollständig mit einem Lehrenden in Kommunikation treten. Dies setzt jedoch zunächst ein gewisses Maß an Synchronität (vgl. nächster Aspekt) voraus, darüber hinaus aber auch eine sehr geringe Anzahl an Schülern pro Lehrer. Auch bei vollsynchronem Fernunterricht gilt: Je größer die für den Tutoren zu betreuende Anzahl von Schülern wird, desto schwieriger wird eine intensive Unterrichtskommunikation.

Bei optimaler Betreuung kann jede beliebige Frage eines Schülers umfassend und explizit beantwortet werden. Der Lehrende hat Zeit, sich mit allen Aspekten der an ihn gerichteten Nachricht auseinander zusetzen, kann diese sowohl sachinhaltlich als auch beziehungsinhaltlich erschließen und interpretieren, ist in der Lage, auch metakommunikative Aspekte wahrzunehmen und kann dann die Antwort entsprechend komplex verfassen und gezielt an den Schüler ausgeben.
Mit sinkendem Betreuungsgrad ist davon auszugehen, dass sich die Beziehungskommunikation schnell reduziert. Der Lehrer sieht sich mit einer großen Anzahl von Lernenden konfrontiert. Er wird sich bei der Betreuung dieser ‚Masse' mit steigendem Druck mehr und mehr auf inhaltliche Aspekte eingrenzen, da er seinen primären Auftrag darin sieht, den unterrichtlichen Fortschritt zu gewährleisten. Die Schüler werden damit zunehmend ‚entindividualisiert'. Beziehungsaspekte verlieren auf diese Weise schnell ihre Basis. Wenn ein Schüler erst bemerkt, dass er für den Tutoren an Stelle eines Individuums eine Adresse repräsentiert, die ab und zu in Erscheinung tritt, wird er sich aus persönlichen Zusammenhängen zurückziehen.

Um wiederum festzustellen, dass hier eine Einschränkung alleine aus dem Aspekt der Betreuungsintensität erfolgt, sei ein kurzes Beispiel angeführt. Angenommen, die Technik wäre perfekt (in Form eines vollfunktionsfähigen Videokonferenzsystems) und es bestünde zeitliche Synchronität, so ergebe sich doch bei einer zu großen Zahl von Lernenden eine Situation, welche das Ausschöpfen dieser günstigen Rahmenbedingungen nicht mehr erlauben würde. Obwohl der Lehrer permanent präsent wäre, könnten die einzelnen Lernenden nur noch in Form einer Warteschlange auf ihn zugreifen. Tritt der Lernende dann mit dem Tutoren in audiovisuelle Kommunikation, wird der bestehende Zeitdruck und die nicht existierende persönlich Bindung zu einer Kommunikation führen, die zwar über Bild und Ton abläuft, eigentlich aber überwiegenden Textcharakter hätte. Informelle- und Metakommunikation enden dabei nicht im Sender, sondern im Empfänger, da dieser nur dann etwas damit anfangen könnte, wenn sich interpersonell eine Beziehung eingestellt hätte. Ist dies nicht der Fall, ‚tropfen' diese Kommunikationsanteile im übertragenen Sinne ‚ab'. Die Situation ist schlimmstenfalls mit einem Auskunftsschalter zu vergleichen: Der Fragende ist mit einer beantwortenden Person unmittelbar konfrontiert, ohne jedoch im geringsten in eine Beziehungskommunikation zu treten. Trotz freundlichen Umgangs bleibt der Austausch auf reiner Sachebene.

Bezüglich der Schüler-Schüler-Kommunikation müssen die getroffenen Annahmen zunächst nicht gelten. Man könnte sogar unterstellen, dass diese mit abnehmender Betreuungsintensität steigen müsse, wenn diese in substituierender Absicht erfolgen würde. Ob sich dies jedoch tatsächlich bewahrheitet, muss die Praxis im Einzelfall zeigen, denn Schüler-Schüler-Kommunikation findet, wie vorausgehend festgestellt wurde, unter sehr spezifischen und theoretisch nur rudimentär erschließbaren Bedingungen statt.

Eine dichte tutorielle Betreuung von netzgestützten Lernprozessen kann als Garant für eine breite und intensive Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden eingestuft werden. Dabei ist, entsprechend der bestehenden technischen und zeitlichen Rahmenbedingungen, Kommunikation in jeder Hinsicht möglich. Je größer das Missverhältnis zwischen Lehrern und Schülern wird, desto weniger Bedeutung kommt insgesamt den anderen Rahmenbedingungen zu, da diese dann nicht mehr entsprechend zur Wirkung kommen können. In einem virtuellen ‚Massenlernen' dominiert die formale Kommunikation; andere Aspekte fallen mangels menschlicher Beziehungen heraus. Die Annahme, dass dieses Defizit eine Intensivierung der Schüler-Schüler-Kommunikation nach sich ziehen könne erscheint jedoch nur unter relativ komplexen, näher zu untersuchenden Bedingungen schlüssig.


3.3 Veränderungen der Gleichzeitigkeit von Lern- und Lehrsituation: Synchronität und Asynchronität


Im Gegensatz zum Aspekt der Telekommunikationstechnik stellt sich auch die Synchronität als ein Parameter telekommunikativen Lernens dar, der zu 100% optimiert werden kann. Bei vollsynchronem Unterricht besteht hinsichtlich dieses Aspektes keinerlei Unterschied zum Präsenzunterricht. Mit Zunahme der Asynchronität stellen sich Effekte ein, die zentral im Zusammenhang mit der Tatsache stehen, dass menschliche Kommunikation ein permanent rückgekoppelter Prozess ist. Asynchronität erhöht die Rückkoppelungsintervalle. Was im direkten Gegenüber Sekunden dauert, kann im telekommunikativen Unterricht zwischen Stunden und Tage dauern. Es stellt sich erneut die Frage, welche Wirkungen dies auf die Einzelaspekte der Unterrichtskommunikation erwarten lässt.

Da zeitliche Verschiebungen Lehrende und Lernende verstärkt mit der Tatsache einer medialen Kommunikation konfrontieren, ist absehbar, dass mit dem Grad der Asynchronität auch die Artifiziellität des Mediums für die Beteiligten zunimmt. Je länger der Zeitraum zwischen Frage und Antwort antizipiert wird, desto größer wird die Bedeutung der einzelnen Informationseinheit. Wenn ein Schüler einen Tag auf eine Antwort des Lehrers warten muss, wird er vermutlich versuchen, seine Frage zunächst so gut wie möglich selbst zu klären, dann evtl. andere - schnellere - Informationsquellen zu Rate zu ziehen und dann erst in möglichst exakter, komplexer und differenzierter Weise seine Frage zum Ausdruck zu bringen (vgl. ADLER 1999)
Im Sinne eines Unterrichts, welcher neben der fachlich-inhaltlichen Auseinandersetzung des Lernenden auch dessen Selbstständigkeit und Kommunikationsfähigkeit fördern soll, erscheint dies zunächst vorteilhaft. Die Tendenz, sich ‚belehren' zu lassen, vermindert sich zu Gunsten eines selbsttätigen Lernens. Der Kontakt zum Lehrer wird vom Schüler gezielt, dosiert und explizit wahrgenommen. Dieses Idealszenario kann jedoch durch verschiedene Umstände erheblich gestört werden. Wenn die Selbstinformation des Lernenden erschwert wird, wandelt sich für diesen eine aktivierende Lernumgebung in eine hemmende. Informationshemmnisse können dabei in allen Teilen des Gesamtsystems auftreten. Beispiele dafür sind eine Überforderung der Lernautonomie des Schülers, unzureichende oder lückenhafte Informationsmaterialien oder auch eine schwierig handhabbare oder störanfällige Kommunikationstechnologie.
Informelle Kommunikation und Metakommunikation sind innerhalb eines Präsenzunterrichts an den formellen Kommunikationsprozess lose angekoppelt, erfolgen jedoch eher beiläufig. Mit der Notwendigkeit, Kommunikation zu antizipieren, sinkt die Wahrscheinlichkeit nicht formeller Anteile. Da die Lernenden diese Kommunikation als primär nicht lernförderlich betrachten und mit ihr Unsachlichkeit bis hin zu Ablenkung in Verbindung bringen, ist zu erwarten, dass sie auf diese dann völlig verzichten, wenn sie nicht in Parallelität zur formellen Kommunikation stattfinden kann. Vermutlich wird dann das Bedürfnis nach Abschweifen bzw. Ablenkung anderweitig über schnellere Systeme gedeckt.
Auch der Lehrer erfährt sein Wirken in stark formalisierter Form. Er sieht sich nur noch mit gründlich formulierten Fragen konfrontiert und nimmt die Schüler-Schüler-Kommunikation, wenn überhaupt, nur noch als emotionsarmen Informationsaustausch wahr. Damit ist zu erwarten, dass bei asynchronem Teleunterricht zwischen den Beteiligten eine stark rudimentäre soziale Interaktion stattfindet.

Je größer sich die Wartezeiträume hinsichtlich einer Frage erstrecken, desto weniger besteht für einen Schüler die Tendenz, einfach einmal bei den anderen rückzufragen. Situatives Ausdiskutieren oder gemeinsames Entwickeln eines Zusammenhangs erscheinen unter diesen Bedingungen als wesentlich unattraktiver, als ein Aufsuchen von Klärungen, die ihm ohne viele Rückfragen und -antworten sicher weiterhelfen. Dieser Zusammenhang unterstützt auch die Annahme, dass sich mit dem Grad der Asynchronität auch eine zunehmende Asymmetrie der Kommunikation einstellen wird. Lehrer und Lernende werden in ihren Rollen als Wissende und Unwissende durch die stark formalisierte Kommunikation permanent bestätigt und damit manifestiert.

Zeitliche Asynchronität bietet nicht nur die Möglichkeit, hochgradig selbstständiges Lernen zu fördern; es erzwingt dieses geradezu. Damit ergibt sich die Chance, eine Unterrichtsform zu fördern, welche gegenüber lehrerdominierten Konzepten große Vorteile aufweist. Schülerselbstständigkeit birgt jedoch auch die Gefahr eines ‚Alleinlassens' der Lernenden in sich. Situationen, in denen ein Lernender nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft voranzukommen, gefährden dann inhaltlich und auch motivatorisch sofort das Gesamtkonzept.

Der insgesamt wenig kommunikative Lernprozess wird von formeller Kommunikation dominiert, was zunächst eine Versachlichung mit sich bringen muss. Informelle Kommunikation und Metakommunikation gehen dabei jedoch stark zurück. Dies bedingt erhebliche Mängel hinsichtlich des Sozialereignisses Unterricht. Ein komplexer Kompetenzerwerb wird hierdurch in Frage gestellt. Für Lernende und Lehrer eröffnet sich ein kommunikatives Vakuum, das permanent überbrückt werden muss. Als Folge dieser Tatsache ist neben der schleppenden Schüler-Lehrer-Kommunikation eine Minimalisierung der Schüler-Schüler-Kommunikation zu erwarten, welche den Unterricht hochgradig asymmetrisch werden lässt.


3.4 Fazit


Als vorläufiges Fazit der hier getroffenen Überlegungen zeichnet sich ab, dass dem technischen Aspekt bezüglich der Qualität eines telemedialen Unterrichts eine eher geringfügige Rolle beizumessen ist. Zwischen personaler und medialer Kommunikation deutet sich vordergründig eine Abgrenzung an. Diese begründet sich jedoch vorwiegend auf den Menschen selbst jedoch kaum auf seine Kommunikationstechnik. Wenn der Mensch lernt, virtuelle Räume als soziale Räume zu erschließen, wird er dort voraussichtlich relativ unabhängig von den bestehenden technischen Möglichkeiten Kommunikation in jeder Form wahrnehmen können.

Anders stellen sich jedoch die Aspekte ‚Synchronität' und ‚Tutorielle Betreuung' dar. Die sich schon durch technische Mängel abzeichnenden Effekte einer Pragmatisierung und Formalisierung der Lehrer-Schüler-Kommunikation werden bei mangelhafter Ausprägung dieser Aspekte manifestiert. Eine formalisierte Kommunikation lässt sozial-emotionale Reduktionen erwarten. Damit sind neben einer ‚Abkühlung' des Lernklimas Defizite hinsichtlich sozialer Lernprozesse und einem in diesem Zusammenhang stehenden komplexen Kompetenzerwerb absehbar. Der Unterricht wird zunehmend vom Lehrer dominiert bzw. kippt im Extremfall zu einem Szenario allein gelassener Schüler. Die Schüler-Schüler-Kommunikation bleibt unter den getroffenen Überlegungen wenig einschätzbar. Einerseits eingeschränkt durch technische und temporäre Erschwernisse, wird sie durch bestimmte Defizite geradezu erforderlich gemacht. Es wäre jedoch kaum angemessen, festzustellen, dass zur Förderung der schülerinternen Kommunikation sich eine mangelhafte Telelernumgebung anbieten würde.


4 Zusammenfassung


Telekommunikation kann in beruflichem Unterricht zum Einsatz gebracht werden, um räumlich-zeitliche Distanzen medial zu überbrücken. Dabei steht jedoch von vorn herein fest, dass eine derartige Verlegung von Präsenzunterricht in einen virtuellen Raum nicht aus pädagogischen Intentionen erfolgen kann, sondern vorwiegend aus pragmatischen. Die Tatsache, dass sich durchaus positive Nebeneffekte, wie eine Erhöhung von Selbstständigkeit und Medienkompetenz einstellen können, darf nicht als Begründungsansatz für einen telekommunikativ unterstützten, beruflichen Unterricht angesehen werden. Aus dieser Perspektive galt es hier zu klären, wodurch sich in telekommunikativem Unterricht Defizite einstellen können und wie sich diese dort auswirken.

Im Zentrum dieser Diskussion stehen Veränderungen im unterrichtlichen Kommunikationsprozess, welche durch die Verlegung einer unmittelbaren in eine mittelbare Kommunikation absehbar sind. Dabei zeichnen sich als Parameter dieser Veränderungen die technischen Möglichkeiten des im Unterricht zum Einsatz gebrachten Telekommunikationssystems, die Betreuungsintensität des Lehrers und die zeitliche Synchronität im Lehr-Lern-Prozess ab. Diese Parameter wirken separat, aber auch ineinander verschränkt und stellen damit ein komplexes Wechselfeld sich gegenseitig bedingender Einflüsse dar. Innerhalb dieses Wechselfeldes steht ein hohes Wirkungspotential bei den pesonalen Faktoren einem relativ geringem Wirkungspotential des technischen Aspekts gegenüber.
Über eine vertiefte Analyse des Kommunikationsprozesses im Unterricht stellt sich dieser als ein Gefüge verschiedener wort- und körpersprachlicher Kommunikationsabläufe dar. Diese lassen sich in formelle, informelle und metakommunikative Anteile differenzieren. Die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern unterscheidet sich von jener unter den Schülern durch einen verstärkt formellen Charakter, geringere metakommunikative Anteile und eine gewisse Asymmetrie.

Kommunikationsprozesse im virtuellen Unterricht erfahren prinzipiell Einschränkungen durch die mediale Mittelbarkeit. Auch bei bester audiovisueller Übertragungstechnologie ist davon auszugehen, dass die Kommunikation formelleren Charakter annimmt. Sie wird sich auf Grund ihrer Offenheit nach außen sowie einer möglichen Protokollierbarkeit insgesamt aus Angsthemmnissen verringern. Dies insbesondere dann, wenn sie nur in schriftlicher Form möglich ist. Die innerhalb von Präsenzunterricht bestehende Asymmetrie wird dabei verstärkt. Die Intensität der tutoriellen Betreuung wirkt in diesem Bezugsfeld noch stärker. Bei einem virtuellen Massenlernen, innerhalb welchem ein Schüler sich nicht mehr als Individuum eingebunden sieht, besteht die Gefahr, dass der Unterricht sich nur noch in Form eines Austauschs von Fachinformationen erstreckt. Die Gefahr eines derartigen ‚Alleinlassen' der Lernenden erscheint nicht nur bei mangelnder Betreuung, sondern auch bei zu großen Zeiträumen innerhalb der Kommunikation gegeben. Asynchronität im virtuellen Unterricht führt zwangsweise zu einer Erhöhung der Schülerselbständigkeit . Diese geht jedoch einher mit einer zunehmenden Abkehr von der Kommunikation an sich. Aus allen drei Aspekten lassen sich Einschränkungen vor allem im Bereich sozial-emotionaler Prozesse absehen, welche nicht nur eine generelle Verschlechterung des Lernklimas mit sich bringen, sondern auch ein neben dem inhaltlichen Lernen stattfindendes soziales Lernen in Frage stellen und damit insgesamt den Erwerb komplexer Handlungskompetenzen.

Kommunikationsprozesse außerhalb eines virtuellen Unterrichts besitzen, im Gegensatz zum Präsenzunterricht, keinen vorgegebenen Rahmen. Somit erscheint die Entstehung einer wirklichen Gruppe aus den Lernenden fraglich. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Schüler sich vorwiegend als Einzelpersonen ohne wirkliche soziale Anbindung wahrnehmen. Neben den schon prognostizierten Defiziten hinsichtlich sozialen Lernens kann davon ausgegangen werden, dass vor allem wenig kommunikative, passive bzw. wenig begabte Schüler noch größeren Lernhemmnissen gegenüberstehen, da ihnen der Schutzraum einer zurückhaltenden Kommunikationsteilnahme fehlt.

Obwohl davon auszugehen ist, dass LehrerInnen, welche neben ihrem Präsenzunterricht Teleunterricht durchführen, den beschriebenen Prozessen weniger stark ausgesetzt sind, sind doch deutliche Veränderungen in der Ausübung ihres Berufs absehbar. Neben ähnlichen zu erwartenden Effekten aus sozialen bzw. kommunikativen Defiziten ist davon auszugehen, dass Fähigkeiten als Teletutor zukünftig zu den Berufskompetenzen von LehrerInnen in den entsprechenden Bezugsfeldern gehören werden. DÖRR stellt vor dem Hintergrund der Evaluation eines Telekom-Fernlernkonzepts diesbezüglich fest: "Die Situation, Lerngruppen nur indirekt mittels Telekommunikation betreuen zu können, erfordert Kenntnisse und Fertigkeiten, über die Trainer in der Regel nicht verfügen" (Dörr, 1999, 69) (Vgl. dazu auch GRÄSEL, FISCHER, BRUHN, MANDL, 1997) (Gräsel, et. Al., 1997, 4f).
An dieser Stelle ist auf Erfahrungsbereiche hinzuweisen, innerhalb welcher in den letzten Jahren intensive Forschung im Zusammenhang mit psychosozialen Effekten durch den Einsatz telekommunikativer Technologie innerhalb von beruflicher Arbeit und Führung betrieben wurde. Sowohl die Arbeit- und Organisationspsychologie als auch die Betriebswirtschaftslehre setzen sich seit längerem mit der Problematik kooperierender Kommunikation mittels digitaler Telemedien auseinander. Neben anderen Autoren stellen insbesondere BÜSSING (Vgl. Büssing, 1999, 119-175) bzw. REICHWALD und BASTIAN (Vgl. Reichwald, Bastian, 1999, 141-162) als ein Ergebnis vertiefter Studien heraus, dass vor allem im Zusammenhang mit affektiven und emotionalen Anteilen der Kommunikation zwischen beruflich Tätigen bzw. Führungskräften eine ‚face-to-face-Kommunikation' mit Hilfe eines Ferndialogs nicht vollständig zu substituieren ist. Die vor allem sozial-kommunikative Problematik digitalisierter Kommunikation von intensiv interagierenden Menschen besitzt hier eine besonders breite empirische Basis.

Aus den vorausgehenden Feststellungen lassen sich einige Konsequenzen für telekommunikativen beruflichen Unterricht ableiten:

· Nicht primär die Technik entscheidet über die Qualität telekommunikativen Unterrichts, sondern dessen Synchronität und tutorielle Betreuung

· Die Technik sollte eher den Kriterien Sicherheit, Funktionalität und Konstanz gerecht werden, als einer maximalen Medienausnutzung

· Eine permanente Synchronität ist als Ideal zu betrachten, wird sich jedoch im Realfall nicht konsequent verwirklichen lassen. Es sollten jedoch sichere Zeiten der virtuellen Begegnung bestehen. Die Zeiträume zwischen Fragen und Antworten müssen zuverlässig einschätzbar und möglichst gering sein

· Wie im Präsenzunterricht dürfte ein Lehrer virtuell kaum mehr als 30 Schüler intensiv betreuen können. Wird diese Zahl deutlich überschritten, kann bald nicht mehr von Unterricht die Rede sein

· Hochgradig schülergesteuertes Selbstlernen kommt telekommunikativem Lernen entgegen, ändert jedoch nichts an den bisherigen Feststellungen

· Lehrer und Schüler müssen auf diesen Unterricht breit vorbereitet werden. Vor allem der Komplex der Kommunikationsfähigkeiten spielt hier eine entscheidende Rolle

· Auf Grund sozialer und emotionaler Defizite bietet sich telekommunikativer Unterricht eher als additiver Ansatz an, denn als substitutiver

· Rein telemedialer Unterricht sollte regelmäßig und möglichst oft durch Zusammenkünfte aller Beteiligten sozial hinterlegt werden

· Lehrer und Schüler mit sozialen bzw. kommunikativen Defiziten könnten in telekommunikativem Unterricht einerseits Schutz erfahren, andererseits aber auch ihre Defizite verstärken. Sie laufen Gefahr, dort noch stärker als im Präsenzunterricht in den Hintergrund zu geraten

· Komplexe berufliche Handlungskompetenz kann hier bestenfalls vorbereitet, bzw. deren laufender Erwerb unterstützt werden. Dies alleine zu leisten, dürfte in telekommunikativem beruflichem Lernen sehr schwierig sein

Eine kommunikationsbezogene Analyse von telemedialem beruflichem Unterricht führt zu dem Tenor, dass mit einem Absinken der Qualität des virtuellen Unterrichts die Gefahr vor allem sozial-emotionaler Defizite steigt. Damit verengt sich der Adressatenkreis derartiger Ansätze und ihre Lernwirkung müssen eher vorsichtig eingeschätzt werden. Berufliches telekommunikatives Lernen erscheint geeignet, um bestimmten räumlich-zeitlichen Defiziten zu begegnen, sollte jedoch gegenwärtig in jedem Falle eher präsenzunterrichtsbegleitend als -ersetzend zum Einsatz gebracht werden.


Literatur

ADLER, M. (1999)l: Detailuntersuchung 2: Städtische Technikerschule München - Telekommunikatives Lernen. In: Euler, Dieter / Schelten, Andreas: Arbeitsbericht Nr. 30. Zwischenbericht über die wissenschaftliche Begleitung des Modellversuchs: Multimedia und Telekommunikation für berufliche Schulen (MUT) in Bayern. München und Nürnberg: Hintermaier, S. 138-156

BÜSSING, A. (Hrsg.) (1999): Telearbeit aus psychologischer Sicht. Themenheft der Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie 43 3 S. 119-175

DÖRR, G.: (1999) Didaktisches Design multimedialer Lernumgebungen in der betrieblichen Weiterbildung - Einsatzmöglichkeiten verschiedener Komponenten multimedialer Lernumgebungen in der betrieblichen Weiterbildung der Deutschen Telekom. In: Unterrichtswissenschaft 1 S. 61-77

GIERINGER, H. (1999): Vorteile, Arten und Grenzen multimedialen Lernens. In: Wissensmanagement 1 S. 35-38

GRÄSEL, C., FISCHER, F., BRUHN, J., MANDL, H. (1997): Ich sag Dir was, was Du schon weißt. Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig Maximilians Universität München Forschungsbericht Nr. 82

HOLMBERG, B., SCHUEMER, R.( 1979): Lernen im Fernstudium. In: Franz E. Weinert / Heinz Mandl: Enzyklopädie der Psychologie. Psychologie der Erwachsenenbildung. Pädagogische Psychologie / 4. Göttingen; Bern; Toronto; Seattle: Hogrefe Verl. für Psychologie, S. 507-550

REICHWALD, R., BASTIAN, C. (1999): Führung von Mitarbeitern in verteilten Organisationen. Ergebnisse explorativer Forschung. In: A. Egger, O. Grün, R. Moser (Hrsg.): Managementinstrumente und Konzepte: Entstehung, Verbreitung und Bedeutung für die BWL. Stuttgart: Schäffler Poeschl, S. 141-162

TENBERG, R. (2001): Multimedia und Telekommunikation im beruflichen Unterricht. Theoretische Analyse und empirische Untersuchungen im gewerblich-technischen Berufsfeld. Bern, Brüssel, Frankfurt, New York: Lang-Verlag