KARL WILBERS(Universität St.Gallen) |
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Lernen in Netzen: Modernismen und Traditionen,
Schismen und Integrationsversuche |
1.
"Lernen" und "Netze": Zwei allgemeine, emotional
geladene Konzepte treffen aufeinander |
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"Lernen" und "Netze" bzw. "Netzwerke"
sind - wenn nicht schon die Modernität der letztgenannten
Begriffe abschreckt - emotional positiv geladene Konzepte. Beide
Konzepte sind außerdem ausgesprochen allgemein. So verdeutlicht
der Bericht "How People Learn" (BRANSFORD/BROWN/COCKING
2000) eindrucksvoll die Weite und die Tragfähigkeit des
Konzepts "Lernen". Netzwerke als formales Konstrukt
aus einer Trägermenge und einer Familie von Relationen
(WILBERS 1997) umfassen so unterschiedliche Dinge wie technische,
soziale oder politische Netzwerke. So verwundert es kaum, dass
sich anscheinend - wie im Editorial zur dieser Ausgabe der bwp@
behauptet wird - ein neues und attraktives, da positiv geladenes
Aufgabenfeld für die Berufs- und Wirtschaftspädagogik
auftut. Offen bleibt dabei jedoch zunächst, ob "Lernen
in Netzen" nicht nur eine syntaktische Klammer über
ganz unterschiedliche, unverbundene Arbeitsfelder bleibt oder
ob sich daraus zumindest ein thematischer Fokus als Grundvoraussetzung
für einen wissenschaftlichen Diskurs ergibt. |
2.
Zwei Stoßrichtungen der Auseinandersetzung um Lernen in
Netzen |
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Grob vereinfachend - eben bipolar - lassen sich zwei Stoßrichtungen
der Auseinandersetzung im Feld "Lernen in Netzen"
ausmachen:
(1) Lernen und technische Netzwerke - heutzutage gefasst unter
dem Stichwort "E-Learning",
(2) Lernen in sozialen und institutionellen Netzwerken.
In der ersten Stoßrichtung, E-Learning, verlängert
die Diskussion um die pädagogische Nutzung technischer
Netzwerke wie z.B. dem Internet die ältere Tradition
des informationstechnisch unterstützten Unterrichts etwa
in Form vom Computer based Trainings (CBT). Im zweiten Fall
nähert sich die Diskussion dem Gruppenkonzept, dem kooperativen
Lernen und neuerdings dem der Gemeinschaften (communities)
an. Die Übergänge zu institutionellen Netzwerken
sind dabei fließend und theoretisch höchst interessant.
Beide Stoßrichtungen werden in den folgenden Abschnitten
skizziert. Anschließend werden Aspekte der erneuten
Konvergenz aufgezeigt.
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2.1
Die erste Stoßrichtung: Pädagogische Nutzung technischer
Netzwerke - "E-Learning" |
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In der ersten Stoßrichtung geht es um die Nutzung technischer
Netzwerke wie z.B. des Internets für pädagogische
Zwecke. Diese Auseinandersetzung wird zur Zeit unter dem Chiffre
"E-Learning" geführt. "Technik und Ökonomie
gelten traditionell nicht als ein Stoff, der die Pädagogik
adeln könnte" (Euler 2002). Pädagogen in Wissenschaft
und Praxis wiederholen daher gebetsmühlenartig, dass
die Didaktik der Technik vorausgehe. Oft in gnadenloser Überschätzung
der Reichweite des eigenen Tuns verlangen Pädagogen,
dass die Technik der pädagogischen Nutzung anzupassen
sei. Diese Diskussion ist trotz aller Modernismen so alt wie
die Informationstechnik selbst (vgl. TWARDY/WILBERS 1996).
E-Learning folgt einem bestimmten Entscheidungsrahmen, den
ich hier aufgrund gemeinsamer Arbeiten mit Dieter Euler darstelle
(vgl. EULER/WILBERS 2002). Elektronische können ebenso
wie die traditionellen Medien (z.B. Overheadfolien, Arbeitsblätter)
zum Bestandteil einer Lernumgebung werden. Vor diesem Hintergrund
besitzen elektronische Medien das Potential, die methodische
Gestaltung einer Lernumgebung zu erweitern und begründen
so neue Optionen für das Lehren und Lernen. Prinzipiell
können Lernumgebungen über die folgenden Grundbausteine
arrangiert werden:
1. Sozialformen, d.h. das Lernen vollzieht sich entweder individualistisch
oder eingebunden in ein Team bzw. in ein größeres
Plenum (z.B. Klasse, Vorlesungsgruppe);
2. Sozial-kommunikative Lehraktionsformen, d.h. das Lernen
wird unterstützt durch die sozialen Aktivitäten
eines Lehrenden. Dieser bietet Inhalte dar, entwickelt diese
im Dialog oder schafft die Bedingungen zu deren eigenständiger
Erarbeitung.
3. Medien.
Lernen mit elektronischen Medien bedeutet in diesem Zusammenhang,
dass sich der Lernende zur Unterstützung seines Lernens
der zusätzlichen Komponenten Lehr- und Informationssoftware
sowie Telekommunikationsnetze bedienen kann. Durch die E-Medien
wie z.B. Tutorial, Simulationssoftware, Webquest entstehen
neue Möglichkeiten der Veranschaulichung von Lerninhalten
sowie der aktivierenden Auseinandersetzung des Lernenden mit
ihnen. Durch die Einbeziehung der Telekommunikation wird es
möglich, räumlich entfernte Personen in den Lernprozess
einzubeziehen. Dies führt zu telekommunikativ gestützten
Lernumgebungen, bei denen die Lernenden wiederum in unterschiedliche
Sozialformen eingebettet und zudem ebenfalls durch Lehrende
unterstützt werden können. Die Unterstützung
durch die Lehrenden kann vor Ort oder über das Netz geschehen
- im letztgenannten Fall entstehen neue Formen der Lehrunterstützung
wie E-Instruktion, E-Tutoring sowie E-Moderation bzw. E-Coaching.
Im Überblick entsteht folgender Zusammenhang:
Das Modell kombiniert klassische' Gestaltungselemente
der Didaktik mit neuen Elementen des E-Learning. So wird es
möglich, drei Typen von Lernumgebungen zu erfassen:
1. Konventionelle Lernumgebungen, die nur die traditionellen
und bekannten Elemente integrieren.
2. Ausschließlich durch Anwendung von E-Medien bzw.
E-Lehr-Aktionsformen gestützte Lernumgebungen, die von
Formen des Präsenzlernens, d.h. eines realen Zusammenkommens
von Studierenden und Lehrenden in einem Raum, vollkommen absehen.
3. Hybride Lernumgebungen (blended learning'), die Formen
des Präsenzlernens mit Formen des Lernens außerhalb
von Präsenzkontexten kombinieren. Beispiel: Auftakt der
Lehrveranstaltung über einen KickOff, bei dem sich die
Lernenden real kennen lernen, Aufgaben absprechen usw., in
der Folge dann telekooperativ arbeiten, um die Ergebnisse
in einer Präsenzveranstaltung dann zusammen zu führen.
Die drei Sozialformen (Einzellernen, Teamlernen, Lernen im
Plenum) heben auf die Gruppierung der Lernenden ab. Einzellernen
bietet das Potential - keineswegs die Gewähr - für
die Individualisierung. Mit anderen Worten: Individualisierung
ist der komparative Vorteil des Einzellernens gegenüber
den anderen Sozialformen. Individualisierung meint, dass sich
die anderen Gestaltungselemente auf einen individuellen Lernenden
zuschneiden lassen. Der Lernende erhält mithin individuelle
Lernziele, individuelle Möglichkeiten der Lernkontrolle
usw. Teamlernen und Lernen im Plenum stellen hingegen das
soziale Lernen bzw. den Erwerb entsprechender Kompetenzen
in den Vordergrund. Für diese Fälle lassen sich
Leistungsvorteile kooperativen Lernens begründen.
Die drei sozialkommunikativen Lehr-Aktionsformen stellen auf
die Tätigkeit bzw. die Rolle des Lehrenden in Präsenzsituationen
ab. Die drei E-Lehr-Aktionsformen stellen demgegenüber
die Rolle der Lehrenden in telekommunikativ getragenen Lernumgebungen
in den Vordergrund:
1. E-Instruktion bezeichnet Aktivitäten eines Lehrenden
über das Netz, die der Unterweisung der Lernenden dienen.
Wird beispielsweise eine Vorlesung synchron über das
Netz übertragen, wobei ein Teil der Studierenden den
Dozierenden vor Ort, ein anderer Teil ihn hingegen auf einem
Bildschirm verfolgt, dann wird diese Lernumgebung für
die räumlich entfernten Studierenden als Teleteaching
bezeichnet.
2. E-Tutoring bezeichnet eine Lernumgebung, in der ein Lehrender
dann zur Verfügung steht, wenn die Studierenden im Prozess
des selbstorganisierten Lernens mit traditionellen und / oder
elektronischen Medien eine Lernhilfe bzw. eine Rückmeldung
durch einen Lehrenden benötigen. Die Aktionen des Lehrenden
konzentrieren sich dann beispielsweise auf die Bereitstellung
von prozessbezogenen Lernhilfen. Das Lernen der Studierenden
kann in die Sozialformen des Einzel- oder Teamlernens eingebettet
sein.
3. E-Moderation bzw. E-Coaching bezieht sich auf Lernumgebungen,
innerhalb derer die Studierenden telekommunikativ an einer
Frage- oder Problemstellung arbeiten. Der Lernprozess wird
dabei von einem Lehrenden über das Netz moderiert bzw.
im Rahmen eines Coachings unterstützt.
E-Medien und traditionelle Medien sind Präsentationsmedien,
Interaktionsmedien oder Informationssysteme und Instrumente
des individuellen Wissensmanagements. Präsentationsmedien
wie z.B. filmische Darstellungen der Fallsituation dienen
dabei der anschaulichen und verständlichen Darbietung.
Interaktionsmedien wie z.B. WebQuests dienen der Aufforderung
und Anleitung zur interaktiven Erschließung, Festigung,
Anwendung und kritischen Reflexion von Lerninhalten. Informationssysteme
und Instrumente des individuellen Wissensmanagements richten
sich primär an den einzelnen Lernenden. Sie haben grundsätzlich
verschiedene Ansprüche, aus didaktischer Sicht jedoch
die Gemeinsamkeit, dass sie nur Teile der Lehrfunktionen übernehmen
und alle weiteren dem Lernenden überlassen. In didaktischer
Sicht handelt es sich um ein hochgradig selbstgesteuertes
Lernen. Als Informationssysteme gelten hier: Assistenten und
Agenten, Hilfesysteme sowie Datenbanken.
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2.2
Die zweite Stoßrichtung: Lernen in sozialen und institutionellen
Netzwerken |
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Die zweite Stoßrichtung der Auseinandersetzung im Feld
"Lernen in Netzen" betrifft die pädagogische
Reflexion sozialer und institutioneller Netzwerke. Soziale Netzwerke
sind ein "Geflecht von sozialen Beziehungen, das als Ganzes
betrachtet das Verhalten einzelner Beteiligter beeinflussen
und zur Interpretation dieses Verhaltens herangezogen werden
kann." (WEGMANN 1995, S. 225). Eingeführt wurde der
Terminus von dem Sozialanthropologen Alfred R. Radcliffe-Brown,
ausgebaut wurde die Theorie vor allem von John A. Barnes und
Clyde Mitchel. "Die Netzwerke sozialer Beziehungen verbergen
sich gewissermaßen hinter den stabilen Interaktionen im
Rahmen formaler und hierarchischer Strukturen. Und genau dies
hat der Analyse solcher Netzwerke die Besonderheit verliehen.
Die Aktualisierung latent vorhandener persönlicher Beziehungen,
z.B. der Wahlhilfe, die Netzwerkgliederung von Patronage- und
Klientelsystemen, die Bildung informeller Zirkel in Politik,
Kunst und Kultur sind Beispiele, die ... die Idee des sozialen
Netzwerkes nähren." (SCHENK 1983, S. 88).
Man sieht schon an diesen wenigen Äußerungen, dass
die Theorie der sozialen Netzwerke zwar in einer soziometrischen
Tradition steht, dass ihr Anspruch aber weit darüber hinaus
geht; dass der Begriff des sozialen Netzwerkes sehr viel allgemeiner
als der Gruppenbegriff ist - so setzt z.B. das Gruppenkonzept
Grenzen der Zugehörigkeit, direkte Kontakte etc. voraus.
In der Theorie sozialer Netzwerke wurden umfangreiche formale
Forschungsmethoden aufgebaut (vgl. WASSERMANN/FAUST 1994; JANSEN
1999).
Dominanter Theorieansatz für die Untersuchung institutioneller
Netzwerke ist die Institutionenökonomik (vgl. bspw. WILBERS
2000h; SYDOW 1992). Grundlegend ist hier die Annahme, dass Individuen,
die in Austauschprozessen involviert sind, die Transaktionskosten
wie z.B. Kosten der Anbahnung, der Vereinbarung und der Kontrolle
der Transaktion vorausschauend begrenzt rational minimieren.
Dieser Ansatz bestimmt drei Koordinationsformen: Markt - Netzwerk
- Hierarchie. Der Markt ist in der ökonomischen Theorie
eine Koordinationsform von Aktivitäten, in der sich rational
und opportunistisch verhaltende, gleichberechtigte und unabhängige
Individuen eine genau spezifizierte Leistung austauschen ('arms-length-transaction',
'spot contracting'). Dieses Instrument, d.h. der Markt, versagt
bei bestimmten Bedingungen wie z.B. bei Transaktionen mit hoher
Unsicherheit und Komplexität. Zur Vermeidung opportunistischen
Verhaltens des Austauschpartners kann daher ein Tauschpartner
beispielsweise in eine Hierarchie ('firm') mit dem gemeinsamen
Wertesystem einer Unternehmenskultur etc. eingebunden werden.
Im Zuge einer 'employment relationship' ersetzt die hierarchische
Koordination wie z.B. durch Weisungen die Marktkoordination.
Weisungen werden ergänzt durch weitere Maßnahmen
zur Deckung des Koordinationsbedarfs, d.h. technokratische Instrumente
wie z.B. Pläne, organisationsorientierte Instrumente wie
z.B. organisatorische Formalisierung, personenorientierte Instrumente
wie z.B. Anreizsysteme sowie weitere Maßnahmen zur Reduzierung
des Kooperationsbedarfs. Zu Hierarchieversagen hingegen kommt
es bei sicheren Transaktionen geringer Komplexität etc.
Netzwerke entstehen - aus Sicht der Hierarchie - durch die (Quasi-)
Externalisierung von Aktivitäten, d.h. etwa im Zuge der
Konzentration auf die Kernkompetenzen durch die Auslagerung
von Aktivitäten z.B. als Verringerung der Fertigungstiefe.
Andererseits entstehen Netzwerke durch (Quasi-) Internalisierung,
d.h. eine engere Zusammenarbeit mit Marktpartnern wie dies z.B.
für Joint-ventures typisch ist.
Im Diskurs um Weiterbildung - die lange Zeit durch den scheinbar
unüberbrückbaren Gegensatz von Markt und Staat gelähmt
war - wurde der neue' Regulationstypus dankbar'
aufgenommen. Die Diskussion um den Regulationstypus (vgl. bspw.
FAULSTICH 1997) trifft sich hier mit der Tradition der regionalen
Weiterbildungsforschung (vgl. bspw. SAUTER 1995). Inzwischen
liegen eine Fülle konzeptioneller und empirischer Ergebnisse
vor (siehe FAULSTICH 2002).
Mit wenigen Ausnahmen - wie etwa BÜCHTER 2000 - wird diese
Diskussion völlig unabhängig von einer in vielen Teilen
ähnlichen Diskussion betreffend die berufliche Ausbildung
geführt. Die Zusammenarbeit im dualen bzw. trialen System,
die Lernortkooperation' (vgl. die Übersicht bei EULER
1999), meint das Mit-, Gegen- und Nebeneinander von berufsbildender
Schule, Betrieb und überbetrieblicher Berufsbildungsstätte
in der Berufsausbildung. In Deutschland gibt es diesbezüglich
eine relativ lange Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungstradition,
die zur Zeit vornehmlich im Programm "Kooperation der Lernorte
in der beruflichen Bildung" (Kolibri, http://www.blk-kolibri.de)
gebündelt wird.
3.
Berufsbildungsnetzwerke als integrierendes Konstrukt und
Forschungsprogramm |
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Die beiden Stoßrichtungen sind in vielfacher Weise
verwoben: So ist im Bereich des E-Learning- siehe dazu
beispielsweise die Diskussion zum Topic "E-Learning
didaktisch gestalten" im Handbuch E-Learning online
(http://www.global-learning.de/handbuch-elearning) -
eine deutliche Präferenz der Experten für
Formen kooperativen Lernens bzw. für Communities
festzustellen. Andererseits wird zunehmend auch der
Aspekt der technischen Unterstützung von Netzwerken
diskutiert (vgl. STENDER 2002).
"Berufsbildungsnetzwerke" werden hier als
integrierendes Konzept und Forschungsprogramm betrachtet.
Ein regionales Berufsbildungsnetzwerk besteht - in einer
allgemeinen Annäherung - aus einer Menge von Institutionen
aus der Region, die mit Bildung befasst sind und zwischen
denen eine Reihe von Relationen wie z.B. politischer
Einfluss, Austausch von Wissen, Freundschaft oder informationstechnische
Beziehungen bestehen. Die Relationen zwischen den Institutionen
eines Netzwerkes können relativ dauerhaft sein
wie z.B. die Beziehung zwischen einer Schule und ihrer
Schulaufsicht. Diese Relationen können auch temporär
sein wie z.B. bei der Durchführung eines Projektes
zwischen Schule und Unternehmen. Zwischen den beteiligten
Institutionen können starke oder schwache Beziehungen
bestehen. Starke Beziehungen (strong ties') bieten
zwar eine gute Grundlage für die Entwicklung von
Vertrauen, erfordern jedoch hohe Aufmerksamkeit durch
einen Akteur, so dass die Anzahl der starken Beziehungen
eines Akteurs begrenzt ist. Netzwerke sind grundsätzlich
offene Strukturen. Sie werden auf der Grundlage von
Zielen und den aufgrund dieser Ziele relevanten Betroffen
und Beteiligten (Stakeholdern) abgegrenzt.
Das Konzept des Netzwerkes hat im Berufsbildungsdiskurs
Integrationspotentiale in dreifacher Hinsicht. Es kann
erstens innerhalb des pädagogischen Diskurses -
etwa die Diskussion um Lernortkooperation und Weiterbildungsnetzwerke
- integrieren. Zweitens eröffnet der Rückbezug
auf Netzwerke Anschlüsse an andere Disziplinen.
Zu nennen sind insbesondere die Soziologie und die Sozialpsychologie,
die Politologie sowie die Wirtschaftswissenschaften.
Schließlich integriert es mit der Netzwerkanalyse
eine eigene Forschungsperspektive (siehe auch FAULSTICH
2002).
Angesprochen sind so:
1. die Zusammenarbeit im dualen bzw. trialen System,
2. die Zusammenarbeit von Betrieben und Schulen in vollzeitschulischen
Berufsbildungsgängen,
3. Ausbildungsverbünde,
4. die regionale Zusammenarbeit zwischen Schulen,
5. die Kooperation zwischen Einrichtungen der Benachteiligtenförderung,
6. regionale Netzwerke in der Weiterbildung sowie
7. lernende Regionen.
Bezüglich der Wirkungen bzw. in anderer Perspektive
der Ziele regionaler Berufsbildungsnetzwerke werden
folgende Thesen aufgestellt (siehe WILBERS 2001; WILBERS
2002):
1. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein begünstigender
Kontext für die Verbindung von systematischem und
kasuistischem Lernen in der Berufsbildung.
2. Regionale Berufsbildungsnetzwerke stellen ein Instrument
zur Differenzierung in und durch Berufsbildung dar.
3. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Instrument
zur Abfederung von Transitionsproblemen im Berufsbildungssystem.
4. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Mittel
zur Abfederung quantitativer Probleme wie z.B. ungünstiger
Angebots-/Nachfragerelationen in der Berufsbildung.
5. Regionale Berufsbildungsnetzwerke sind ein Beitrag
zu einer höheren Wirtschaftlichkeit der Berufsbildung
und ein Instrument der Regionalentwicklung.
Es kann kaum davon ausgegangen werden, dass sich die
Aktualisierung der angeführten Potentiale von Berufsbildungsnetzwerken
von selbst einstellen wird. Im Sinne einer Kontextsteuerung
können Bedingungen geschaffen werden, die bestimmte
Handlungen der Individuen behindern oder erleichtern.
Für die Gestaltung von Berufsbildungsnetzwerken
sind drei Thesen leitend:
1. (Politische und ökonomische Infrastruktur) Berufsbildungsnetzwerke
bedürfen Institutionen, die in der Region handlungsfähig
sind, d.h. Ziele setzen, über Ressourcen verfügen,
Verpflichtungen eingehen können usw. Dies erscheint
zur Zeit primär problematisch bei berufsbildenden
Schulen. Berufsbildendende Schulen sind vor diesem Hintergrund
entsprechend eines Gesamtkonzepts teilautonomer Schulen
zu gestalten. Gleichzeitig sind - sozusagen als Ausgleich
für den zurückgenommenen Staat - Schulen regional
in neue Formen der Produktion regionaler Bildungspolitik
einzubinden.
2. (Soziale Infrastruktur) Zwischen und in den Institutionen
muss ein soziales Klima bestehen, dass die Zusammenarbeit
unterstützt. Bei der Gestaltung einer solchen sozialen
Infrastruktur geht es um die Ermöglichung von Vertrauensbildung
sowie um das Entstehen von Communities.
3. (Wissens- und IT-Infrastruktur) Zwischen und in den
Institutionen muss als zentrale Ressource Wissen zirkulieren.
Dabei kann die Informationstechnik unterstützend
wirken. E-Learning wird dabei zu einem speziellen Fall
des Aufbaus und des Austausches von Wissen.
Alle drei Faktoren wirken in enger Weise zusammen, wie
der folgende beispielhafte Gedankengang verdeutlichen
soll. Formen der regionalen Produktion von Berufsbildungspolitik
z.B. in Beiräten sind immer dann zahnlos, wenn
sie sich nicht auf substantielle Entscheidungen wie
z.B. Ausstattungs- oder Personalfragen beziehen. Dies
setzt jedoch beispielsweise voraus, dass die Schule
in einem solchen Netzwerk überhaupt in der Lage
ist, derartige Entscheidungen in der Region zu treffen.
Mit einem derart starken Partner wird man vermutlich
auch eher bereit sein, Wissen - etwa unter Nutzung von
Informationstechnik - gemeinsam zu erwerben oder auszutauschen.
Dies dürfte voraussetzen, dass sowohl in der Institution
als auch im Verhältnis zwischen den beiden Partnern
nicht die Vorstellung besteht, dass man sich selbst
entwertet, wenn man eine zentrale Ressource, nämlich
Wissen, weggibt'.
Vor dem Hintergrund derartiger Modellierungen besteht
die Hoffnung, dass Syntaxkonstruktionen wie "Lernen
in Netzen" zu einer Klammer für gemeinsame
Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen werden.
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Literatur |
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