wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 

FRANZ GRAMLINGER (Universität Hamburg)
Lernen in Netzen - Chancen, Probleme, Potenziale


1 Einleitung und Übersicht

Die meisten Publikationen zum Themenbereich Netzwerke der letzten zwei bis drei Jahre beginnen damit, wie populär oder sogar inflationär der Begriff des Netzwerkes seit längerem bereits ist - zu lesen ist von "Hochkonjunktur", "Modethema", der Begriff "hat Karriere gemacht" etc. Mitte der 1990er Jahre heißt es bei CASTI (1995): "Just about any direction you turn nowadays, the term 'network' pops up." (zit.n. WILBERS 2000, 12)
Eine zusätzliche Bedeutung, die aus meiner Sicht beinahe unabhängig zur hier thematisierten Diskussion besteht, bekamen Netzwerke seit den 60er Jahren durch den englischsprachigen Begriff der "networks" als Synonym für Fernsehsender mit einem weit verzweigten Netz eigener Sendestationen - ABC, CBS, NBC oder CNN sind die amerikanischen TV-Networks. Schließlich stößt man heute bei der Suche nach einer Beschreibung des Begriffs zu allererst auf Netzwerke im Zusammenhang mit der Vernetzung von Computern. LANs (Local Area Networks) und WANs (Wide Area Networks) waren erst der Anfang - heute werden schon Städte, Regionen, Handynetze und vieles mehr mittels Technologie vernetzt. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass man bei einer flüchtigen Internet-Recherche (wieder ein Netz - eigentlich heute das Netz der Netze!) mit Google alleine auf deutschen WWW-Seiten 659.000 Treffer erzielt (März 2002).
Von der Ökonomie bis zur Soziologie, von den Kommunikations- bis zu den Erziehungswissenschaften, von der Informatik bis zur Politikwissenschaft beschäftigen sich Wissenschafter und Praktiker mit der Konstitution und der Untersuchung von Netzwerken. Das wird auch auf "Lern-" oder "Wissensnetzwerke" fokussiert.
Dieser Beitrag will in einem ersten Schritt den Netzwerk-Begriff eingrenzen und für unsere berufs- und wirtschaftspädagogischen Intentionen "handhabbar" machen. In einem zweiten Schritt wird ein Lehrveranstaltungssetting vorgestellt, das sich zum Ziel gesetzt hatte, ein Lern-Netzwerk aufzubauen. Im Anschluss daran werden Erfolg bzw. Misserfolg ausgelotet, und schließlich wird noch einmal die Frage nach Sinn und Machbarkeit der Vernetzung von Lernenden aufgeworfen.


2 Netzwerke

Auch abseits des "Technikerjargons" und der Computer-Vernetzungs-Thematik gibt es genügend Ansatzpunkte für eine Klärung und inhaltliche Schärfung des Netzwerk-Begriffs. Für die Soziologie übernimmt die Netzwerkanalyse die Aufgabe, Sozialstrukturen zu beschreiben. In diesem Zusammenhang werden Netzwerke allgemein beschrieben als eine Anzahl von Knoten und der Menge der zwischen ihnen verlaufenden so genannten Kanten. Die Knoten und Kanten sind gemeinsames Merkmal aller Netzwerk-Definitionen. Knoten - verstanden als Akteure - können sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen (korporative Akteure) sein, wie beispielsweise Unternehmen, Vereine, Ministerien oder auch Länder. Schließlich müssen Knoten nicht notwendiger Weise Akteure sein - es können auch Ereignisse oder Objekte sein (vgl. dazu beispielsweise JANSEN 1999). Die Kanten verbinden die Knoten miteinander und stellen eine Beziehung oder Relation dar. Übertragen auf die hier behandelte Thematik sind es verschiedene Kommunikationskanäle, die die Funktion der die Knoten verbindenden Kanten erfüllen.
HELLMER et al. (1999, 55 ff.) nehmen in "Mythos Netzwerke" eine sehr nützliche Gliederung der gesamten Netzwerkdiskussion vor. Sie differenzieren vier Ansätze: Danach würde die Netzwerkanalyse zum formalen Netzwerkansatz (1) zu zählen sein. Als Kern der Neuen Institutionellen Ökonomie bezeichnen sie die Transaktionskostentheorie (2): Zentral dabei ist die Frage nach der effizientesten Organisationsform des Austauschs von Gütern und Diensten zwischen Individuen. Zwischen den beiden Polen hinsichtlich der Regulationsmechanismen - Staat (zentralistische Hierarchie) auf der einen und Markt (Wettbewerb nach Angebot und Nachfrage) auf der anderen Seite - werden Netzwerke von HELLMER et al. als "hybride Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie" bezeichnet. FAULSTICH/ZEUNER (2001, 100) umschreiben dieselbe Form (mit der Anmerkung, dass Netzwerke dabei als Lösungspotenziale wie Phönix aus der Asche auftauchen) als Regulationsmechanismus, bei dem "weder auf egoistische Kalküle in Marktbeziehungen noch auf verinnerlichte Wertbezüge sozialer Normen abgestellt wird, sondern auf gemeinschaftsbildende Handlungsformen wie Bekanntheit, Vertrauen und geteilten kulturellen Kontext".

Tabelle 1: Koordinationsformen nach der Transaktionskostentheorie

1. Einleitung und Übersicht

2. Netzwerke

3. Ein Lehrveranstaltungs-Setting als Versuch der Netzwerkbildung

4. Fazit zum Versuch der Netzwerkbildung und Ausblick


Literatur








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Ein Stück weit geht diese Beschreibung, die FAULSTICH/ZEUNER auch als Regulationsmechanismen "dritter Art" betiteln, in die Richtung der qualitativen Netzwerkanalyse (3), die die Einbettung ökonomischer Transaktionen in soziale Beziehungen in den Mittelpunkt stellt. Zentral sind dabei nicht die einzelnen Akteure des Austauschs, sondern die Kontextbedingungen wie Vertrauen, Normen und Werte, eine gemeinsame Beziehungsgeschichte und ähnliches. Der vierte Ansatz ist schließlich der der Politikfeldforschung (4), der Netzwerke als leistungsstarke (auch innovative) Organisationsformen betrachtet. Unter dem Begriff der "policy networks" werden Politiknetzwerke als Instrumente der Politikproduktion betrachtet, in denen der Formwechsel vom klassischen Obrigkeitsstaat zum modernen "interaktiven" Staat diskutiert wird (vgl. WEYER 2000, 23 und WILBERS 2000, 23 f.).

FAULSTICH (2002) unterscheidet die in Abbildung 1 dargestellten Netzwerkformen, grenzt Netzwerke (als Form kontinuierlicher Interaktion) hinsichtlich des Niveaus sozialer Koppelung von Körperschaften (juristische Institution) und Verbünden (verbindliche Kooperation) ab und arbeitet die folgenden fünf Wesensmerkmale von (sozialen) Netzen heraus:
- dezentrale Strukturen
- Vielfalt von Knoten
- weniger formalisiert, mehr informell
- weniger hierarchisch, mehr symmetrisch
- Ressourcenverteilung auf viele
Im Gegensatz zur Regulation über Macht oder Geld bilde in Netzwerken Kooperation einen wesentlichen Faktor, ebenso wie Vertrauen und Anerkennung von zentraler Bedeutung seien (ebenda).
Abschließend soll hier als erste Zusammenfassung eine Definition des Begriffs vorgenommen werden, die für die weitere Untersuchung verbindlich ist. In Anlehnung an WEGGE (1996, vgl. 19 f. - mit Bezug auf DÖHLER 1993) wollen wir ein Netzwerk definieren als eine Konfiguration von Akteuren (Personen oder Gruppen), die in einer interdependenten Beziehung zueinander stehen; das bedeutet, dass keiner der Akteure die alleinige Kontrolle über Tauschrelationen oder Entscheidungsprozesse hat und dass alle in irgendeiner Form aufeinander angewiesen sind. Dazu kommen als zusätzliche Bestimmungskriterien
- eine lose Koppelung (mit irgendeiner Art von Formalisierung zumindest im Ansatz),
- die relative Autonomie (nicht jedoch die Gleichheit) aller,
- ein Regelungssystem oder die Handlungsoptionen der Akteure begrenzende Weisungsbefugnisse sowie
- eine thematische Ausrichtung, die die Grenzen des Netzwerks bestimmt.
Ein Netzwerk zu Lernzwecken (Lern-Netzwerk) weist nach diesem Verständnis noch die folgenden spezifischen Charakteristika auf:
· Die inhaltliche Ausrichtung bzw. der Zweck des Netzwerks ist im weitesten Sinn das Lernen: Gegenstand der Austauschbeziehungen ist die Expertise, das Wissen und Können der Akteure, aber auch die Suche, das Fragen, die Diskussion.
· Daraus folgt ein Mindestmaß an Zusammenarbeit - das Netz als Form der Kooperation im Sinne FAULSTICHS.
· Vertrauen ist dafür eine konstituierende Variable, die allerdings schwer mit einem Mindestmaß festzumachen ist.
· Kontinuität muss ebenfalls mit einem Mindestausmaß vorhanden sein (zeitlich nicht zu kurzfristig, abhängig vom konkreten Netzwerk).
Auf der Basis dieser Überlegungen wurden die zentralen Kategorien des folgenden Vergleichs von Implementation und Durchführung zweier netzwerkorientierter Lehrveranstaltungen gebildet.


3 Ein Lehrveranstaltungs-Setting als Versuch der Netzwerkbildung


Im Wintersemester 2001/02 war der Autor Leiter von zwei wirtschaftspädagogischen Lehrveranstaltungen - einer in Linz (eine reine distance-Veranstaltung mit 17 Teilnehmern) und einer in Hamburg (die teils synchron und teils asynchron mit 12 Studierenden abgehalten wurde) -, die eine Reihe von Gemeinsamkeiten hatten:

· Die Arbeit war stark aufgaben- und problemorientiert mit zunehmender Vernetzung der Kleingruppen (können als Knoten gesehen werden - in Hamburg 4 und in Linz 5).

· Es gab wenige synchrone Termine (sechs bzw. sieben) bei wöchentlich asynchron stattfindenden Terminen.

· Betont wurde die webgestützte Kommunikation (Kanten!) und Kooperation, angestrebt wurde eine internet-basierte Kollaboration
(In der englischen Sprache wird teilweise unterschieden zwischen collaborative und cooperative: Die Lösung von Aufgaben oder Problemen erfolgt dann kooperativ, wenn die Aufgaben zwischen den Mitgliedern einer Gruppe aufgeteilt werden und jeder seinen Zuständigkeitsbereich hat - es ist damit jeder für einen Teilbereich der Problemlösung zuständig. Kollaborativ wäre die Herangehensweise, wenn eine (Gruppen-) Vereinbarung besteht, ein Problem koordiniert und gemeinsam zu lösen - so ist jeder für das Gesamtergebnis verantwortlich (vgl. dazu LEHTINEN et al. 1998 und GRAMLINGER 2002)
.

· Zentral für Kommunikation und Kooperation waren jeweils eine eigene Homepage, in Linz: http://www.wipaed.uni-linz.ac.at/lehre/learnnet und in Hamburg: http://www.ibw.uni-hamburg.de/lehre/ws0102/ibl_ws01 , auf deren Inahlte alle Teilnehmer volle Zugriffs- und Gestaltungsrechte hatten.

Die Ziele, dargestellt am Beispiel der Linzer Veranstaltung, waren:

· Die theoretische Erarbeitung und praktische Erprobung verschiedener virtueller Lernräume (mit und durch Diskussion in und zwischen den Gruppen).
· Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen, sowohl individuell als auch in der Gruppe - mit großen Freiheitsgraden.

· Die Nutzung des Internets für die Kommunikation, Diskussion und Kooperation sowie für die Auswahl einer Lernplattform (in der ersten Phase - auf Linz beschränkt).

· Die Erarbeitung eines WebQuests in gemischten (aus Hamburger und Linzer Studierenden bestehenden) Gruppen und eine gemeinsame Bewertung (in der zweiten Phase).

Das übergeordnete Ziel bestand in der Vernetzung von Lernern und Lerngruppen über das Internet mit dem Ziel einer Zusammenarbeit. Vernetzt werden sollten insbesondere:

· Lerner und Lerngruppen am Standort, aber v. a. auch zwischen den beiden Orten
· deren Wissen und Können, Erfahrungen, Fähigkeiten, Interessen und Neugierde
· Aufgaben- und Problemstellungen, Arbeitsschritte und Lernprozesse
· Informationen, (Recherche-)Ergebnissen etc. im WWW auf der eigenen Homepage

In Abbildung 2 sind die potenziellen Vernetzungen zwischen Lernenden (L) untereinander, in den Kleingruppen (KGR), zwischen diesen am Standort und zwischen den beiden Standorten - jeweils auf personaler und Gruppenebene -, und mit dem Lernmoderator (LM; keine wirklich optimale Bezeichnung, aber in Ermangelung eines besseren und um anzuzeigen, dass er wirklich eine andere Rolle hat, wird der Lehrveranstaltungsleiter in dieser Abbildung so bezeichnet) dargestellt; schließlich ist auch eine Vernetzung mit den Inhalten des Internet möglich (dargestellt durch die Verbindungslinie zu WWW) und das Internet selbst bildet mit seinen verschiedenen Kanälen (den Kanten) die Basis und den Rahmen der Netzwerkbildung.
Kommuniziert wurde asynchron mittels E-Mail und Mailinglisten, über die Homepage (Zugriff mittels FTP) und Diskussionsforen, teilweise verwendet wurden Chats und verschiedene Instant Messenging Systeme zur synchronen Kommunikation zwischen den Gruppen, der LV-Leiter verwendete regelmäßig das Desktop-Video-Conferencing System Netmeeting für die synchronen Termine mit Linz und an Lernplattformen kamen zum Einsatz Blackboard, Quickplace, CommSy, Lehrer online (l-on.net) sowie Knowledge Forum.
Einige wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse aus den beiden Lehrveranstaltungen, die auf den Rückmeldungen der Teilnehmer (schriftlich befragt wurde mittels Fragebogens zu Beginn und zum Schluss, die Linzer Gruppe hatte zusätzlich ein Lerntagebuch zu führen), den Beobachtungen des Tutors in Linz und den eigenen Erfahrungen sowie sehr ausführlicher (großteils internetbasierter) Kommunikation basieren:

· Innerhalb der beiden lokalen Gruppen (getrennt in Linz und Hamburg) waren die Ergebnisse der Lern- und Arbeitsprozesse durchwegs gut bis sehr gut und auch die Prozesse, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, verliefen sehr zufriedenstellend. Die Koordination innerhalb der Kleingruppen (KGR), die die Möglichkeit hatten, sich auch persönlich (face-to-face) zu treffen, funktionierte auf dieser Ebene sehr gut, die Vernetzung kann als gelungen bezeichnet werden. Auffallend dabei war, dass die Linzer sich viel seltener als die Hamburger in ihren jeweiligen KGR trafen (nicht einmal die Hälfte an face-to-face-Treffen), weil die gruppeninterne Kommunikation und Koordination viel mehr über E-Mail und Instant-Messenging-Systeme abgewickelt wurde.

· Sehr gute bis durchschnittliche Ergebnisse brachte die zweite Phase, in der neugebildete KGR, bestehend jeweils aus zwei Linzern und einem oder zwei Hamburgern, gemeinsam ein WebQuest zu erarbeiten hatten. In dieser Phase gestalteten sich die innerhalb dieser Kleingruppen ablaufenden Komunikations- und Kooperationsprozesse zum Teil wesentlich schwieriger und problematischer. Das Spektrum bei acht KGR reichte von "es ist alles reibungslos und sehr gut abgelaufen" bis hin zu "so kann man nicht arbeiten - wir machen das alleine". Diese letzte Aussage führte dazu, dass sich eine KGR (bestehend aus einem Teilnehmer in Linz und zweien aus Hamburg) dafür entschied, lieber zwei getrennte Lösungen zu erarbeiten (eine in Linz, eine in Hamburg), weil die Kommunikationsprobleme nicht zu lösen waren. Die rein virtuelle Vernetzung und Gruppenbildung brachte demnach sehr gegensätzliche Ergebnisse; als Ursachen für Konflikte und Probleme konnten einheitlich nicht inhaltliche Differenzen, sondern ausschließlich Kommunikationsschwierigkeiten bestimmt werden.

· Daraus resultierende Rivalitäten oder Konflikte zwischen einzelnen Akteuren strahlten zum Teil auf die beiden Gesamtgruppen über - deutlich erkennbar war das in der abschließenden Bewertung der getrennt erarbeiteten beiden WebQuests: Hier war die Tendenz erkennbar, die von der je eigenen Gruppe erarbeiteten Ergebnisse besser zu bewerten.

· Beide Gruppen waren sich einig, dass sie einen vergleichsweise höheren Arbeits- und Zeitaufwand in diese Lehrveranstaltung investieren mussten. Dieser höhere Zeitaufwand wurde aber akzeptiert und bei der Abschlussbefragung auch gut geheißen, weil praktisch alle mit den Ergebnissen sehr zufrieden waren. Die Lernbereitschaft war insgesamt überdurchschnittlich hoch.

· Der subjektiv geäußerte und objektiv festgestellte Bedarf an synchroner Kommunikation war insgesamt höher als zuvor angenommen. Während in der ersten Phase recht unterschiedliche Usancen in der Notwendigkeit von face-to-face-Treffen zwischen der Hamburger und der Linzer Gruppe festgestellt werden konnten, war es in der zweiten Phase doch das einheitliche Bestreben, die lokal entfernten Gruppenmitglieder zumindest in einem Chat oder mittels ton- und/oder bildgestützter Kommunikationstools "alle in einem Raum" zu treffen - sich gleichsam an einen "virtuellen Tisch" zu setzen. Koordination und Vereinbarungen lediglich mithilfe asynchroner Medien zu erreichen, wurde als schwierig bezeichnet.

· Konzeptionell war in der zweiten Phase die Zeit für das Kennen-Lernen der anderen bzw. neuen Gruppenmitglieder des anderen Studienstandortes zu kurz bemessen. Was in der Literatur allgemein festgestellt wird (so bei EULER 1998 und 2002), konnten wir - leider - im Nachhinein bestätigen: Zumindest ein Teil der aufgetretenen Probleme hätte sich wahrscheinlich leichter lösen lassen, wenn die Teilnehmer sich besser gekannt hätten und die Kommunikations- und Gruppenregeln besser vereinbart worden wären.

· Auffallend war, dass die unterschiedlichen Gewohnheiten und Erfahrungen, wie Technologie (in diesem Fall konkret die verschiedenen internetbasierten Kommunikations- und Kooperations-Instrumente) in den beiden LV-Gruppen eingesetzt und verwendet wird, nicht zuletzt eine Frage von unterschiedlicher "Kultur" sind. So ist es in Linz bereits seit mehreren Semestern üblich, in verschiedenen Veranstaltungen das Internet auch extensiv einzusetzen, und die Möglichkeiten der Studierenden, an der Universität, von zu Hause und insbesondere auch in Studentenheimen einen schnellen Internetzugang zu haben, sind im Durchschnitt wesentlich besser als die der Hamburger Gruppe. Diese Gewohnheiten und die damit verbundene größere Vertrautheit mit dem Medium bei zumindest einem relativ großen Teil der Gruppe (die auch überstrahlt auf die Gesamtgruppe und eine bewusst genutzte Lernchance für alle darstellt), ist zumindest am Hamburger Fachbereich Erziehungswissenschaft noch nicht in dieser Art und diesem Ausmaß gegeben. Aus meiner subjektiven Sicht wird sich das schon bald ändern, derzeit sind wir aber in Hamburg dabei, das zur Gewohnheit zu machen, was in Linz bereits seit zumindest zwei Semestern der Fall ist.

Eine derartige "Veränderung der Kultur" braucht Zeit und ist von einer Reihe flankierender Maßnahmen und dem Aufbau geeigneter Infrastruktur zu unterstützen.

Einige Aussagen der Linzer Studierenden sollen helfen, das Bild abzurunden:
=> 15 von 16 Teilnehmern würden diese Lehrveranstaltung wieder besuchen (einer "wahrscheinlich").
=> Das Lernen in der Gruppe (am gleichen Ort) wird überwiegend begrüßt, auch wenn es mit Koordinationsproblemen verbunden sein kann.
=> Generell wurde eine sehr große Aufgeschlossenheit gegenüber den Informations- und Kommunikationstechnologien geäußert, die aber zumindest teilweise begründet werden kann mit einer Vorselektion: diese Lehrveranstaltung war für einen Teil der Studierenden eine von mehreren Wahlmöglichkeiten.
=> Als notwendige Voraussetzungen für internetbasiertes Zusammenarbeiten in Gruppen wurde von den Gruppen genannt (in der Reihenfolge der Anzahl der Nennungen): geeignetes Kommunikationsverhalten, Motivation und Interesse, technische Infrastruktur, Offenheit.


Tabelle 2: Auswahl aus den Aussagen der Linzer Studierenden (n = 17)


Die aus Tabelle 2 ersichtliche Auswahl aus den quantitativen Ergebnissen bestätigt nochmals die Zustimmung zur und Zufriedenheit mit der Arbeit in der Gruppe - auch und gerade wegen der stark internetbasierten Arbeits- und Kommunikationsweise. Das zeigen nicht nur die Mittelwerte der ersten drei Items, auch der Wert = 3,80 auf die Frage nach den face-to-face-Treffen (die wurden als nicht so notwendig erachtet) und der Mittelwert von 4,07 bei Item 5 zeigen, dass die Teilnehmer mit den Modalitäten dieser Veranstaltung (wenige synchrone zugunsten regelmäßiger asynchroner Termine mit hohem Anteil an Eigenständigkeit und an Gruppenarbeit) zufrieden waren. Unterstrichen wird das noch vom vorletzten Item - der Durchschnittswert liegt deutlich beim ablehnenden Teil der Skala von 1 bis 5. Auf die Frage nach dem Interesse und Engagement für ein Lernnetzwerk wird allerdings eher zurückhaltend geantwortet.

4 Fazit zum Versuch der Netzwerkbildung und Ausblick


Die folgende Gegenüberstellung verwendet die eingangs festgelegten Bestimmungsmerkmale eines Netzwerks (mit der Spezifizierung auf ein Lern-Netzwerk) und überprüft sie anhand der beschriebenen Ergebnisse:
Entspricht einem Netzwerk:

++> Interdependente (Austausch-) Beziehung der Akteure: viele Ergebnisse wurden erst durch den Austausch bzw. das Einbringen von Wissen und Informationen einzelner möglich.

++> Die Akteure waren (mehr oder weniger) aufeinander angewiesen (bedingt durch die Notwendigkeit zum teils arbeitsteiligen, teils kollaborativen Zusammenarbeiten).

++> Ein Regelungssystem war durch die Rahmenbedingungen der Lehrveranstaltung vorhanden.

++> Eine thematische Ausrichtung auf Lernen war klar gegeben, wobei der so genannte "soft skill-Bereich" (insbesondere Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft) auch immer mit thematisiert und betrachtet wurde.

++> Zusammenarbeit war notwendig und gegeben.

++> Die notwendige Vertrauensbasis war vorhanden - allerdings in erster Linie in den lokalen (Klein)Gruppen.

Entspricht nicht einem Netzwerk:

- Im Zweifel hat der LV-Leiter alleinige Entscheidungsmacht (hier ist er definitiv nicht Lernmoderator) - die teilweise fehlende Autonomie der Akteure widerspricht dem Gedanken eines Netzwerkes.

- Innerhalb der Gruppen bestand zum Teil keine lose Koppelung, sondern vielmehr eine relativ enge Bindung. Starke Abhängigkeit und enge Gruppenbindung widersprechen ebenfalls der Idee eines Netzes, Gruppen- und Teambildung stehen wesentlich mehr im Vordergrund.

- Fehlendes Vertrauen war dann feststellbar, wenn keine Verbindlichkeiten erzeugt werden konnten. Fehlende Verbindlichkeit wiederum führte zu mangelhaften Austausch- bzw. Kooperationsbemühungen und -erfolgen.

- Zu geringe zeitliche Kontinuität: dieser letzte Punkt führte schließlich endgültig dazu, das konkrete Lernsetting nicht als Netzwerk zu betrachten. Nicht die relativ kurze Dauer von 8 - 10 Wochen, in der die beiden Gruppen auch zusammen arbeiten und lernen sollten, sondern das von vorneherein klar absehbare Ende mit Erfüllung der gestellten Aufgabe verhinderte echte Kontinuität.

An dieser Stelle der Betrachtung werden noch einmal die von FAULSTICH (2002 - siehe dazu oben) betonten Begriffe Vertrauen, Zusammenarbeit und Kontinuität bedeutsam: Diese Begriffe lassen sich nicht oder nur schwer quantifizieren und damit messen, sie spielen aber dann eine wichtige Rolle, wenn festgestellt wird, dass sie nicht in ausreichendem Maß vorhanden sind. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Sie lassen sich nicht "verordnen", sondern müssen von den Beteiligten gewollt und zumindest zum Teil aus eigenem Interesse mitgetragen werden.

Als Fazit und Ausblick zugleich sollen drei Punkte festgehalten werden:

1. Die Möglichkeiten der Vernetzung mit Hilfe des Internets begünstigen die Netzwerkbildung sehr wesentlich. Allerdings erleichtert der persönliche Kontakt - selbst wenn nur selten und unregelmäßig - zwischen einzelnen Beteiligten sowohl den Aufbau als auch die Erhaltung eines Netzwerkes in starkem Maß.
Spezifisch für ein Netzwerk zu Lernzwecken kann darüber hinaus Folgendes angenommen werden: Wenn die Kanten zwischen den Knoten ausschließlich auf elektronischer Kommunikation basieren , wird für den Aufbau noch mehr Zeit benötigt werden, die Gefahr, dass zumindest ein Teil der Involvierten früh wieder ausscheidet oder erst gar nicht richtig einsteigt, ist wesentlich größer, und die Erfolgsaussichten sind generell geringer.
Dass die Gefahren bzw. Problembereiche durch die laufende technologische Verbesserung reduziert werden können, ist mit Blick auf schnellere und stabilere Internetanbindungen sowie immer raschere Updates von synchronen Komunikationstools (mit eingebundenem Ton und teilweise Video) anzunehmen.

2. Netzwerke haben dann eine Chance länger zu bestehen, wenn starke Interessen entweder der moderierenden Instanz (funktional) oder hohe Eigeninteressen der Akteure (intentional) dahinter stehen - und das über einen längeren Zeitraum.
Für den in diesem Beitrag beschriebenen Fall wären, um von einem Netzwerk sprechen zu können, die Anknüpfung von Folgeveranstaltungen und die Möglichkeit der "älteren" Akteure, sich weiterhin aktiv im Netzwerk einbringen zu können, zwei Voraussetzungen. (Eine weitere Voraussetzung wäre auch der gerade erwähnte moderierende Knoten, der - als Einzelperson oder als Gruppe - dafür sorgt, dass das Netzwerk nicht inaktiv wird.) Im Softwarebereich gibt es allerdings schon eine große Zahl von Produkten und Lösungsansätzen, die auf leistungsfähige Datenbanken gestützt eben das ermöglichen. Viele Communities im Internet versuchen außerdem genau das: ein Netzwerk aufzubauen.
Für Lern-Netzwerke böte sich die Möglichkeit, nicht immer wieder bei Null zu beginnen, sondern auf dem aufbauen und weiter arbeiten zu können, was Vorgänger(-Gruppen) bereits erfahren, diskutiert, erarbeitet und reflektiert haben. (Die im englischen Sprachraum diskutierten Communities of Learners basieren auf ganz ähnlichen Zielen.)

3. Zumindest im deutschen Sprachraum erfordern diese beiden Punkte - Aufbau eines Lern-Netzwerkes und intensivere Nutzung des Internets für Lern-Lehr-Aktivitäten und damit auch für die Kommunikation und Kooperation - nicht in erster Linie eine Verbesserung der IuK-Technologie, sondern eine Veränderung der Kommunikations-, Lern- und Arbeitskultur. Diese Veränderungsprozesse sind notwendig und möglich (und werden von Politik, Bildungsinstitutionen und Wissenschaft derzeit auch thematisiert), sie brauchen aber ausreichend Zeit (gerechnet muss wohl eher in Jahren denn in Monaten werden). Und sie müssen intendiert und geplant werden und zählen damit zu wichtigen Aufgaben sowohl der Organisations- als auch der Personalentwicklung in Institutionen, die sich mit solchen Lehr-Lernprozessen befassen.



Literatur

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