wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 
KARIN BÜCHTER & FRANZ GRAMLINGER (Universität Hamburg)
Berufsschulische Kooperation als Analysekategorie:
Beziehungen, Strukturen, Mikropolitik - und CULIK


1. Einleitung und Fragestellungen

In der politischen und theoretischen Auseinandersetzung um die Gestaltung beruflicher Bildung spielt der Begriff Kooperation eine zentrale Rolle. Insbesondere dann, wenn Abstimmungsdefizite zwischen Institutionen - beispielsweise zwischen Berufsschule und Betrieb oder zwischen Anbietern auf dem beruflichen Weiterbildungsmarkt - behoben, oder wenn Modernisierungen und veränderte Standards eingeführt werden sollen, wird Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen und innerhalb der jeweiligen Institutionen als eine wesentliche Voraussetzung betont, um die an berufliche Bildung geknüpften Ziele auch weiterhin oder besser realisieren zu können. Unabhängig davon, um welche konkreten Umstrukturierungen es im Einzelnen geht, handlungsorientierend sind die jeweiligen Zwecke der berufsbildenden Institution; wie beispielsweise im Hinblick auf die Berufsschule der Erziehungs- und Bildungsauftrag: Befähigung zur "Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung" (KMK 2000, 3).

Darunter liegen eine Reihe weiterer Ziele, die nur kooperativ realisierbar sind, wie beispielsweise die Bewältigung der zunehmenden Vielfalt an beruflichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Berufe, der sukzessiven Entgrenzung von Aus- und Weiterbildung, die Gestaltung der Binnendifferenzierung des berufsschulischen Angebots, der Integration Benachteiligter sowie die Flexibilisierung der Bildungsgangsstruktur im Sinne erweiterter Entscheidungsspielräume und Entfaltungsmöglichkeiten für Auszubildende (vgl. KUTSCHA 1995, 14). All das erfordert Kooperationen bis ins Kleinste bzw. ein dichtes Netzwerk informeller und formeller Beziehungen in und zwischen den Schulen und ihrem Umfeld (vgl. GERDS/ LUND 2000, 4).

In der bildungspolitischen Auseinandersetzung um die Frage nach der Gestaltung von beruflicher Aus- und Weiterbildung wurde erstmals in den 1960er Jahren nachdrücklich für eine Intensivierung der Kooperation zwischen den verschiedenen "Lernorten" plädiert. Auslöser hierfür waren deutlicher werdende Abstimmungsdefizite bzw. Unsystematik und Intransparenz in der beruflichen Bildung. Erfolge in der beruflichen Aus- und Weiterbildung wurden in Abhängigkeit davon gesehen, ob und inwieweit die unterschiedlichen Partner miteinander kooperierten. So mahnte beispielsweise der DEUTSCHE AUSSCHUSS FÜR DAS ERZIEHUNGS- UND BILDUNGSWESEN (1966) mit Blick auf das Duale System der Berufsausbildung: "Ein Gegeneinander gefährdet die gemeinsame Sache [...]. Die Partner müssen [...] auf allen Ebenen zusammenarbeiten" (503). Für den Weiterbildungssektor wurde eine funktionierende Kooperation zwischen dafür Verantwortlichen nicht nur als Bedingung für eine übersichtliche, inhaltlich koordinierte und ökonomische Weiterbildungspolitik gedeutet, sondern auch als Voraussetzung für die Profilierung von Weiterbildung im Bildungssystem zum quartären Sektor. So heißt es im "Strukturplan" des DEUTSCHEN BILDUNGSRATES (1970): "Die Verwirklichung der Integration und der gleichzeitige Ausbau der Weiterbildung, die Verknüpfung der Bildungsgänge innerhalb des Bildungssystems sowie die Abstimmung, Erweiterung und Profilierung des Weiterbildungsangebotes ist nur durch eine umfassende Kooperation aller Beteiligten möglich" (208).

In den folgenden Jahren war Kooperation sodann nicht mehr nur ein bildungspolitisches Schlagwort, sondern in der berufs-/wirtschaftspädagogischen sowie weiterbildungswissenschaftlichen Theorie und Forschung begannen von nun an die Diskussionen und Untersuchungen zu Bedingungen und Problemen von Lernorten und ihren Kooperationsbeziehungen (vgl. GREINERT 1979; KEIM/ OLBRICH/ SIEBERT 1973). Einen Einblick in die damalige berufs- und wirtschaftspädagogische Literatur gibt KIPP (1979) in seinem kommentierten Schriftenverzeichnis zur "Lernortproblematik".

Während sich die jüngere berufs- und wirtschaftspädagogische Auseinandersetzung mit und Forschung von Lernortkooperationen seither vor allem auf den Austausch und die Abstimmung zwischen den beiden Partnern im Dualen System (vgl. z.B. BUSCHFELD 1994; PÄTZOLD/ WALDEN 1995; EULER 1999) konzentriert, fokussieren vor dem Hintergrund der Programmatiken zur Regionalentwicklung Diskussionen und Untersuchungen in der Weiterbildung in erster Linie auf "Verbünde", "Runde Tische" oder "Qualifizierungsnetzwerke", also auf das Zusammenspiel zwischen mehreren unterschiedlichen an der regionalen Weiterbildungsgestaltung Beteiligten (vgl. DOBISCHAT/ HUSEMANN 1995; 1997; DOBISCHAT 1999; FAULSTICH/ ZEUNER 1999; BÜCHTER 2000; WILBERS 2002). Auch wenn es in diesen genannten Forschungsbereichen primär um die Frage der interinstitutionellen Kooperationen geht, wird hierbei jeweils deutlich, dass auch interne Strukturen, Entscheidungs- und Kommunikationswege der einzelnen Institutionen in den Blick genommen werden müssen.

Institutionsinterne Kooperation wird beispielsweise dort thematisiert, wo es um die Frage nach der Führung und Autonomie von Berufsschulen (vgl. DUBS 1994; 1997; LISOP 1998), um Schulinnovations- (CAPAUL 2002) oder Schulentwicklungsprozesse (vgl. z.B. GERDS/ LUND 2000; VON RÜDEN 2000; STARK/ FITZNER/ SCHUBERT 1995; PHILIPP/ROLFF 1999), um Organisationsentwicklung und Wissensmanagement (vgl. HUISINGA/LISOP 1999) geht. Insbesondere im Kontext bildungspolitischer und berufspädagogischer Konzepte beispielsweise zu "Lernfeldern" (vgl. HUISINGA/ LISOP/ SPEIER 1999; LIPSMEIER 2000) oder zur "Weiterentwicklung der Berufsschule zu Zentren der beruflichen Aus- und Weiterbildung" (KUTSCHA 1995) bzw. zu "Kompetenzzentren" (BUND-LÄNDER-KOMMISSION 2002) spielt die berufsschulinterne Kooperation als Reformbedingung eine wichtige Rolle.

Welche strukturellen Veränderungen in oder mit der Berufsschule auch geplant sind, ihre Umsetzungen erfordern also Kooperationen, berufsschulintern und mit anderen relevanten Institutionen. Aber auch unabhängig von größeren Innovationen können sich die Akteure der Berufsschule Kooperationen untereinander oder mit schulexternen Institutionen und Akteuren nicht entziehen. Eine Berufsschule kann nicht entscheiden, ob sie kooperieren will oder nicht. Kooperation, samt ihres Aufbaus, ihrer Pflege, ihrer Modifikation ist eines ihrer konstitutiven Merkmale, sie ist Voraussetzung für ihre Funktionsfähigkeit, Existenzsicherung und für die Erfüllung ihrer zentralen Ziele.

Angesichts dieser bildungspolitischen und berufspädagogischen Relevanz von Kooperation in und mit Berufsschulen und des sich in den unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen ergebenden Forschungsbedarfs hierzu scheint es uns angebracht, Kooperation quasi als gesellschaftliche Form selber zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, sie in ihrer Komplexität, Strukturiertheit, Konstitution und Prozesshaftigkeit in den Blick zu nehmen.

Ein Anfang soll im Folgenden versucht werden:


2. Komplexität von berufsschulexternen und -internen Kooperationsbeziehungen


Die vielfältigen Beziehungen, die eine Berufsschule nach außen hin hat, deuten auf die Komplexität von Kooperationen hin. Mit ihrer "multiplen Systemreferenz" sind wiederum unterschiedliche Kooperationspartner, -gegenstände, -interessen verbunden. In Anlehnung an LISOP (1998, 55) kann zwischen vier zweckbestimmten berufsschulexternen Kooperations-beziehungen zu jeweils unterschiedlichen funktionsbezogenen Einrichtungen bzw. Personen differenziert werden:

· Administration (z.B. Bund, Land, Kreis, Schulaufsicht)

· pädagogische Professionalität (z.B. Ausbildungsseminare, Fortbildungsinstitute, Schulentwicklungsinstitute, Universitäten)

· Förderung beruflicher Bildung (z.B. Ausbildungsbetriebe, Kammern, Gewerkschaften, Jugendamt, Arbeitsamt, Weiterbildungseinrichtungen)

· Kommunikation mit den mittelbar und unmittelbar Beteiligten (z.B. Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitung, Schulförderverein).

Innerhalb der Institution Berufsschule ergeben sich aufgrund unterschiedlicher schulexterner Anforderungen, aber auch aufgrund der schulinternen Abteilungs- und Aufgabendifferenzierungen, der unterschiedlichen Schulformen, Bildungsgänge, Curricula, der Heterogenität der Schülerschaft, der Programmatiken, Regeln und Traditionen für unterschiedliche hausinterne Bereiche die verschiedensten mehr oder weniger intensiven Kooperationsbeziehungen mit unterschiedlichen Inhalten und Zielen.

Sowohl die berufsschulexternen als auch die -internen Kooperationsbeziehungen variieren dann noch im Hinblick darauf, ob sie formell oder informell stattfinden, ob sie längerfristig angelegt oder ob sie sporadisch sind, ob sie einen hohen oder niedrigen personellen Aufwand erfordern.

Diese Komplexität der Kooperationsbeziehungen erfordert für eine empirische berufsschulische Kooperationsforschung, die nicht nur konkrete Aussagen über Kooperationsquantität sondern auch -qualität machen will, eine begründete Fokussierung beispielsweise auf spezifische Kooperationsakteure und -gegenstände.


3. Komplexität der Kooperationsstrukturen


Neben den Kooperationsbeziehungen sind die berufsschulischen Kooperationsstrukturen, wie sie beispielsweise auch in der Lernortkooperationsforschung (vgl. EULER 1999; PÄTZOLD/ WALDEN 1999; HOLZ/RAUNER/WALDEN 1999) und in der regionalen Weiterbildungsforschung (DOBISCHAT 1999) untersucht worden sind, eine weitere Betrachtungsebene. Zu den kooperationsstrukturellen Momenten gehören:

· Inhalte und Ziele der Kooperation: Die konkreten Gegenstände und Ziele der Kooperation zwischen berufsschulischen Akteuren untereinander und mit Mitgliedern anderer Institutionen variieren je nach zu lösender Aufgabe bzw. zu lösendem Problem. Eine bildungstheoretisch begründete Kooperation, die "auf einer umfassenden Bildungstheorie, aus der entsprechende Zielperspektiven für gesellschaftliches Handeln abgeleitete sind" (PÄTZOLD 1995, 151), ist eine unter mehreren, zu denen diejenigen gehören, bei denen es um didaktisch-methodische Angelegenheiten geht, oder bei denen pragmatisch-utilitaristische oder formale Themen im Vordergrund stehen (vgl. 150). Eine solche im Kontext der Lernortkooperationsforschung entwickelte Typologie von Kooperationsverständnissen kann auch als Folie für Untersuchungen von innerinstitutionellen Kooperationen herangezogen werden. Angesichts der innerorganisatorischen Differenzierung erfolgen auch in der Berufsschule Kooperationen nicht nur in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen, sondern auch mit unterschiedlichen inhaltlichen Bezügen und jeweils differierenden Formen nebeneinander, teils sich sogar überschneidend oder auch miteinander konkurrierend. Da aufgrund der definitorischen Dehnbarkeit des Definitionsbegriffs bereits punktuelle und kurze Kontakte, wie Informations- und Materialaustausch, schülerbezogene Nachfragen, Klärung von Prüfungsangelegenheiten u.ä. auch als Kooperationsformen bezeichnet werden können, kann weder die theoretische Auseinandersetzung noch die empirische Kooperationsforschung auf Präzisierungen des Kooperations-verständnisses auf den Ebenen von Anspruch und Realität verzichten.

· Ressourcen der Kooperation: Das Gelingen von Kooperationsvorhaben, insbesondere von bildungspolitisch und berufspädagogisch anspruchsvollen und längerfristig angelegten, bei denen es beispielsweise um die Implementation neuer Curricula, didaktisch-methodische Neuerungen und um organisatorische Restrukturierungen geht, hängt in hohem Maße von den zur Verfügung stehenden materiellen und immateriellen Ressourcen ab. Neben der Ausstattung (Lehr-/Lernmittel, Räumlichkeiten, Gebäude), den finanziellen und zeitlichen Ressourcen sind als immaterielle Voraussetzungen eine genügende Anzahl an kooperierenden Personen, Erfahrungen, Know-how und Initiative zu nennen, ebenso wie ein Netzwerk mit Austausch- und Ansprechpartnern in Bedarfsfällen während des Projektes bzw. während der Kooperationsarbeit.

· Initiative der Kooperation: Für die Untersuchungen von Kooperationen ist es wichtig zu wissen, ob die Kooperation von außen bzw. "von oben" angestoßen oder selbstorganisiert sind - insbesondere auch dann, wenn es das Ziel ist, die Kooperation zu verstetigen. Befunde aus verschiedenen Projekten zur Kooperation in der beruflichen Bildung haben gezeigt, dass Kooperationsbeziehungen umso stabiler sind, je stärker sie von "unten gewollt" sind (vgl. BOSCH 1995; REUTTER 1996). Dies bedeutet nicht gleich, dass projektinitiierte Kooperationen von vornherein instabiler sind, sondern dass die Initiierung von Kooperation vorsichtig und schrittweise erfolgen sollte, und zwar: indem die Initiatoren an bereits funktionierende Kooperationserfahrungen und -formen, laufende Kooperationsbeziehungen und -prozesse anknüpfen, die Akzeptanz der Kooperationspartner ausloten und ihnen möglichst gleiche Partizipationschancen einräumen, Spielräume bei der Durchführung des jeweiligen Projektes für besondere Interessen zulassen und beratende und moderierende Support-Strukturen zur Verfügung stellen. Erfahrungen aus unterschiedlichen Projekten zeigen, dass Kooperationen nicht selten mit der Beendigung von Modellphasen, d.h. nach Ablauf der institutionalisierten Unterstützung und der Finanzierung, aufgrund einer oftmals fragilen Koordination und/oder mangelnder Akzeptanz auf Seiten der Beteiligten nicht weiter fortgesetzt werden (vgl. BOSCH 1995). Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Kooperationsprojekte trotz relativ geringer Überlebensdauer durchaus Impulswirkungen auf künftig eigeninitiierte Zusammenarbeit haben, also auch weitere Kooperationen stimulieren können, je nachdem, ob die Beteiligten vom Sinn und Nutzen der Kooperation überzeugt waren.

· Kooperationsmotive und -interessen: Auch wenn Kooperationspartner in ihrem Alltagshandeln in etwa gleichermaßen von der Einführung einer Innovation, beispielweise der Implementation eines Lernfeldes oder Umstrukturierung der Schule in ein Kompetenzzentrum, betroffen sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Beteiligten gleich motiviert und an Kooperationen mit anderen interessiert sind. Je nach subjektiver Relevanzstruktur, nach Berufsethos und Arbeitsorientierung, dem Status im sozialen Kontext Berufsschule aber auch nach dem subjektiv antizipierbaren Nutzen des Einsatzes ändert sich das Kooperationsengagement der Mitglieder. Aus Kooperations- und Netzwerkstudien (vgl. HELLMER/ FRIESE/ KOLLROS/ KRUMBEIN 1999) geht hervor, dass Motivation und Interesse daran, Kooperationen zu initiieren oder mitzutragen am ehesten dann hoch sind, wenn eine als unumgänglich angesehene Veränderung eine Kooperation mit anderen erfordert, der antizipierbare Kooperationsnutzen dem Zweck der Institution entgegen kommt, eigene materielle oder immaterielle Vorteile sichtbar werden, Autonomie, Status und Image der Institution und der eigenen Person gefördert werden, wenn die Kooperationsakteure Vertrauen haben zu anderen Partnern bzw. Unterstützern und wenn sie eigeninitiativ handeln können.

· Kooperationsklima und Kooperationskultur: Während des Kooperations-prozesses ist das Kooperationsklima (vgl. LISOP 1998; WALDEN 1999) mit entscheidend für das Gelingen des Vorhabens. Dieses hängt beispielsweise von der Einstellung der Beteiligten zur Kooperation ab, von ihren Erfahrungen mit Kooperationen, von Kooperationsstilen, von Modi des Umgangs mit Konflikten, davon, wie ausgeprägt der Konsens der Beteiligten in Sinn und Nutzen des Vorhabens ist, von dem Einblick in relevante Information und von der Überzeugung im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit der Kooperationsergebnisse an ihren Handlungskontext.

Abb. 1: Kooperationsstrukturelle Faktoren

Kooperationsforschung, die sich vor allem auf das Herausfiltern von Kooperationsbeziehungen und strukturellen Momenten beschränken würde, wäre überwiegend deskriptiv. Wenn aber Kooperation - wie eingangs erwähnt - als gesellschaftlich formbestimmte Analysekategorie begriffen werden soll, dann sind auch interpretative Konstitutionselemente sowie die soziale Prozesshaftigkeit von Kooperation mit zu betrachten.

 

4. Kooperation als sozial konstituierter Prozess


Auch wenn Kooperation eine wesentliche Vorraussetzung dafür ist, Veränderungen in Berufsschulen herbeizuführen, ist sie also trotz ausreichender Ressourcenausstattung nicht von vornherein ein Garant dafür, dass die Programmatiken und Konzepte auch im Sinne ihrer Erfinder umgesetzt werden.

Kooperation ist als sozialer Akt sowohl weder im Prozessverlauf noch im Ergebnis vollständig plan- und berechenbar. Anhand der strukturellen Momente Kooperationsmotive und Kooperationsklima wurde bereits auf den "Eigensinn" der beteiligten Subjekte, der in die Kooperation mit einfließt und das Ergebnis beeinflusst, hingewiesen. Außer den Interessen der Einzelnen an der Kooperation und der Kooperationskultur sind die damit zusammenhängenden divergierenden Deutungs- und Interpretationsleistungen der Kooperationsmitglieder begrenzt kalkulierbare und gleichzeitig richtungsgebende Momente von Kooperation.

Leitlinien, Handreichungen etc., selbst wenn sie von den Kooperationspartnern selber erarbeit worden sind, sind nur lose an die Ebene des praktischen Handelns gekoppelt. Diese lockere Verbindung ermöglicht zunächst Freiräume für eigene Entscheidungen. So heißt es in dem Ergebnisbericht der Hamburger Fallstudie "Schulentwicklung und Innovationskultur" (GERDS/ LUND 2000): "Wie Schulleitungen und LehrerInnen diese neuen und erweiterten Aufgaben unter Wahrung ihres Bildungsauftrages interpretieren, wie sie ihre Aufgaben im einzelnen wahrnehmen und welchen organisatorischen Rahmen sie sich und ihrer Schule dafür geben, bleibt ihnen jedoch innerhalb der relativ weitmaschigen rechtlichen und verwaltungstechnischen Rahmenvorgaben weitgehend überlassen" (4).

In welcher Weise diese Freiräume gegenüber einzelnen Vorgaben genutzt werden, hängt von den Präferenzen, Nutzenkalkülen, Routinen oder Angemessenheitskriterien, die von den Einzelnen berücksichtigt werden, ab (vgl. HASSE/ KRÜCKEN 1999, 10) und davon, wie sie mit denen anderer Kooperationspartner verhandelt oder arrangiert werden.

Das bedeutet, dass Konzepte, wie es sie in Berufsschulen in unterschiedlicher Form gibt, sei es als Lernfelder oder Schulentwicklungsprogramme o.ä., innerhalb der Institution, aber insbesondere innerhalb von Gruppen, die für die Umsetzung verantwortlich sind, allererst noch sozial konstituiert werden müssen. Inwieweit dies gelingt, hängt auch davon ab, wie sie "von oben", außen und unter den Kooperationspartnern kommuniziert werden und wie andere Akteure in Bezug auf diese Konzepte handeln. Erleben die kooperierenden Mitglieder, "dass Leitsätze lediglich proklamatorischen Charakter haben und für die Handlungsentwürfe von Organisationsmitgliedern von nur geringer Bedeutung sind, werden sie dies bei der Erstellung eigener Handlungsentwürfe berücksichtigen. Sie können Leitsätze dann ihrerseits weitgehend ignorieren oder aber deren Bedeutung zu erhöhen versuchen, indem sie Handlungsentwürfe bewusst auf sie abstellen" (HANFT 1995, 23).

Nicht unerheblich hierbei ist, welche Perspektiven die kooperierenden Mitglieder auf das Geschehen innerhalb der Gesamtinstitutionen und in der jeweiligen Gruppe einnehmen und welche mikropolitischen Strategien sie verfolgen.


5. Kooperation als Mikropolitik


Das Konzept der Mikropolitik (vgl. KÜPPER/ ORTMANN 1988) eignet sich, um soziale Prozesse wie Kooperationen nicht als determiniert, systematisch geordnet, sondern in ihrer "Politikhaltigkeit" zu begreifen: unter dem Aspekt des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Präferenzen, Interessen und Sichtweisen der Mitglieder. Widersprüchlichkeiten, Konfliktträchtigkeiten, wechselnde Beziehungsstrukturen, partielle Harmonie, Aushandlungsbedarfe usw. sind hier keine störenden Probleme, deren Ursache den Kooperationsbeziehungen und -strukturen anzulasten wären, sondern Anknüpfungspunkte für mikropolitische Theorie und Forschung. Zentrale Grundannahme des Mikropolitikansatzes ist die Begrenztheit von Rationalität, d.h. die Tatsache, "dass Menschen nicht alle Handlungsalternativen und -konsequenzen übersehen - geschweige denn konsequent und konsistent bewerten - können und sich deshalb mit habituellem Verhalten, eher vereinfachten inneren Modellen der Umwelt, selektiven Wahrnehmungen und zufriedenstellenden (statt optimalen) Lösungen begnügen müssen" (BECKER/ KÜPPER/ ORTMANN 1988, 91). In Kombination mit interpretationsbedürftigen Leitlinien eröffnet die "begrenzte Rationalität" einzelner Akteure in sozialen Zusammenhängen die Plattform für ein Nebeneinander unterschiedlicher Interessen, Wahrnehmungen und Präferenzen, für offensichtliche Konflikte, ihr latentes Fortbestehen in vorläufigen Lösungen und in immer wieder neuen Aushandlungen sowie für das Verfolgen mal des eines, mal des anderen Teilziels, für das Redefinieren von Aufgaben und Zielen usw. Zentraler Bestandteil in diesem Geschehen ist Macht - eine Position, die in der Mikropolitiktheorie unter Rekurs auf CROZIER/ FRIEDBERGs (1979) Abhandlung zu "Macht und Organisation" unterfüttert wird: "Jede ernstzunehmende Analyse kollektiven Handelns muss [...] Macht in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives Handeln ist im Grunde nichts anderes als tagtägliche Politik. Macht ist ihr ‚Rohstoff'" (14). Macht wird hier handlungstheoretisch gefasst: als Voraussetzung zum Einsatz bzw. zur Verweigerung von für das Geschehen relevanten Ressourcen. Anders: Der mikropolitische Machtbegriff wird von seiner einseitig negativen Konnotation befreit, nicht nur als Hindernisse für die Durchsetzung von Veränderungen verstanden, sondern auch als deren Medium begriffen.

Organisationen, in denen kollektives Handeln, also auch Kooperation stattfindet, werden als "mikropolitische Arenen" bezeichnet, als "Arenen heftiger Kämpfe, heimlicher Mauscheleien und gefährlicher Spiele mit wechselnden Spielern, Strategien, Regeln, Fronten. Der Leim, der sie zusammenhält, besteht aus partiellen Interessenkonvergenzen, Bündnissen und Koalitionen, aus side payments und Beiseitegeschafftem, aus Kollaboration und auch aus Resistance [...] Die Machiavelli der Organisation sind umringt von Bremsern und Treibern, change agents und Agenten des ewig Gestrigen, Märtyrern und Parasiten, grauen Eminenzen, leidenschaftlichen Spielern, gewieften Taktikern: Mikropolitiker allesamt. Sie zahlen Preise und stellen Weichen, errichten Blockaden oder springen auf Züge, geraten aufs Abstellgleis oder fallen die Treppen hinauf, gehen in Deckung oder seilen sich ab, verteilen Schwarze Peter und holen Verstärkung, suchen Rückendeckung und Absicherung, setzen Brückenköpfe und lassen Bomben platzen, schaffen vollendete Tatsachen oder suchen das Gespräch. Dass es ihnen um die Sache nicht ginge, lässt sich nicht behaupten; aber immer läuft mit: der Kampf um Positionen und Besitzstände, Ressourcen und Karrieren, Einfluss und Macht" (KÜPPER/ ORTMANN 1988, 7).

Diese "heimlichen Machtspiele" begrenzen nicht nur Handeln, sondern ermöglichen neue Optionen und verhelfen dazu, innovationsbremsende Barrieren zu beseitigen. In etwa meinten dies auch GERDS/ LUND (2000) mit den sogenannten "grauen Maßnahmen": "Um den [...] Anforderungen zu genügen, müssen sie [die Schulen] notfalls auch bereit und in der Lage sein, ‚graue Maßnahmen' mit den Beteiligten (z.B. mit Kammern, Verbänden, Betrieben und einzelnen Schülern) zu finden und zu vereinbaren, die den geltenden offiziellen Regelungen zuwiderlaufen. Gelegentlich werden erst durch diese ‚begrenzten und kalkulierten Regelverstöße' neue Wege und Lösungen gefunden, die den veränderten Bedingungen gerecht werden" (4).
Solche Aussagen aus der berufsschulischen Praxis deuten darauf hin, dass Veränderungsprozesse und die in diesen Kontexten stattfindenden Kooperationsprozesse weder geordnet noch ausschließlich nach vorgegebenen Regeln, vorgesetzten Konzepten folgend verlaufen. Vielmehr sind sie überaus komplex und dynamisch. Ihre Ergebnisse sind nicht immer vorhersehbar - und dennoch können sie konstruktiv sein.

Innovationspostulate an Berufsschulen sollten auf die strukturelle Komplexität, auf die Lebhafigkeit und Widersprüchlichkeit von Prozessen der Veränderung und Kooperation Rücksicht nehmen. Um dieses leisten zu können, ist auch die Berufsschulforschung gefordert, Prozesse der Implementation neuer Konzepte und die zur Umsetzung von Neuerungen institutionalisierten Kooperationen zu untersuchen, beispielsweise anhand von prozessorientierter Begleitforschungen oder von strategischen Kooperationsanalysen, die ähnlich der "strategischen Organisations-" oder "Netzwerkanalyse" (vgl. WEYER 2000; HELLMER/ FRIESE/ KOLLROS/ KRUMBEIN 1999; HANFT 1995) konzipiert werden könnten.

Die Bedeutung von Kooperation als Reformbedingung auf der einen Seite und gleichzeitig die Komplexität und der mikropolitische Gehalt von berufsschulischer Kooperation auf der anderen Seite lassen sich anhand unterschiedlichster Innovationsprojekte verdeutlichen.


6. Ein Beispiel für projektinitiierte Kooperation: CULIK


CULIK steht für "Curriculumentwicklungs- und Qualifizierungsnetzwerk Lernfeldinnovation für Lehrkräfte in Berufsschulfachklassen für IndustrieKaufleute" und ist ein BLK-Modellversuch innerhalb des Programms "innovelle-bs" - Innovative Konzepte der Lehrerbildung (2. und 3. Phase) für berufsbildende Schulen. Das Projekt ist als länderübergreifendes Verbundprojekt von Niedersachsen und Hamburg konzipiert, wissenschaftlich begleitet wird es vom Institut für Berufs- und Wirtschaftspädagogik der Universität Hamburg. Ausgangspunkt für CULIK war die zum Antragszeitpunkt bevorstehende Neuordnung des Ausbildungsberufs Industriekaufmann / Industriekauffrau zum 1.8.2002 (vgl. KMK 2002) und die damit verbundene Implementation des Lernfeldkonzepts (vgl. KMK 1996/2000) in den betroffenen Berufsschulen.

Zentrale Ziele von CULIK sind

· die gemeinsame Erarbeitung von Lehr-Lern-Arrangements für die Umsetzung des Lernfeldkonzepts zur Konkretisierung und Umsetzung des neuen Rahmenlehrplans;

· die Entwicklung eines Konzeptes zur kooperativen Qualifizierung von Lehrkräften im Kontext curricularer Entwicklungsprozesse;

· der Aufbau und die Weiterentwicklung einer dauerhaften Kommunikations- und Kooperationsplattform unter Nutzung des Internets sowie die Entwicklung dafür geeigneter Arbeitsformen und Konventionen.

Damit sind die drei Schwerpunkte Curriculumentwicklung, (Lehrer-Selbst-)Qualifizierung und technologische Innovation (über eine gemeinsame Internetplattform) verbunden durch die dafür notwendige Kooperation - die Zusammenarbeit in den unterschiedlichen Kontexten bildet gleichsam die Klammer um das gesamte Projekt.

Der Fokus, der hinsichtlich des Kooperationsaspektes von den beiden Projektpartnern als zentral definiert wurde, ist dabei ein unterschiedlicher: In Hamburg legt die Staatliche Handelsschule mit Wirtschaftsgymnasium Schlankreye (H3) das Hauptaugenmerk auf die intrainstitutionelle Zusammenarbeit innerhalb des Lehrerteams. In Niedersachsen dagegen sind vier Schulen und drei Studienseminare beteiligt - hier steht die interinstitutionelle Kooperation im Mittelpunkt des Interesses. Dass sich beide Arten der Kooperation wechselseitig bedingen, ist nicht alleine durch die Tatsache, dass für letztere die Zusammenarbeit innerhalb der Institutionen notwendig ist, offensichtlich; darüber hinaus wirkt die Hamburger Berufsschule als eine von insgesamt acht Institutionen an der gemeinsamen Aus- und Erarbeitung, Diskussion, Erprobung und Reflexion der Lernfelder mit, wodurch gewährleistet werden soll, dass die Erfahrungen dieses Lehrerteams auf der schulinternen Ebene synergetisch den anderen Projektpartnern helfen. Das Ausstrahlen dieser beiden Kerngruppen - das CULIK-Team in der H3 sowie die CULIK-Partner in den niedersächsischen Schulen und Studienseminaren - auf die eigenen und andere Lehrerkollegien ist nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Dissemination, sondern auch der Kooperation von Bedeutung.

Abb. 2: Struktur von CULIK (Quelle: GRAMLINGER 2002, S. 38)

Kooperationsnotwendigkeiten sieht die Projektkonzeption vor:

· innerhalb der einzelnen Institutionen (Erarbeitung von Curriculumbausteinen);

· zwischen Schule und Studienseminar an den einzelnen Standorten (Aspekte des Lernfeldkonzepts, Qualifizierung);

· zwischen den beteiligten Berufsschulen (die zentrale Kooperationsebene);
· zwischen den beteiligten Studienseminaren (zukünftige regionale Innovationszentren?);

· zwischen allen Projektbeteiligten inklusive der Projektleitung (als CULIK-Gesamtgruppe bezeichnet);

· zwischen der CULIK-Gesamtgruppe und einer "interessierten Öffentlichkeit", die frühzeitig Ergebnisse aus der Projektarbeit zur Verfügung gestellt bekommt, damit über deren Rückmeldungen zusätzliche Beurteilungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten einfließen;

· schließlich auch zu anderen Modellversuchen, die sich mit ähnlichen und teilweise überschneidenden Forschungsfragen beschäftigen - was bereits aus dieser Ausgabe von bwp@ leicht nachvollziehbar ist.

Die angestrebte Kooperation innerhalb der CULIK-Gesamtgruppe soll basieren auf kontinuierlicher gegenseitiger Information und laufender Kommunikation und Koordination; die Zusammenarbeit ist zwar initiiert und wird punktuell immer wieder gestützt durch face-to-face-Treffen aller Beteiligten, die eigentliche Basis soll aber das internetbasierte Netzwerk bilden - sowohl unter dem inter- als auch unter dem intrainstitutionellen Betrachtungsfokus.

Dass eine stark internetbasierte Zusammenarbeit noch einmal anderer Voraussetzungen bedarf und unterschiedlichsten Problemen ausgesetzt ist, hat sich erwartungsgemäß bald gezeigt. Auch, dass die Zusammenarbeit von verschiedenen Gruppen wesentlich komplexer und schwieriger ist als innerhalb dieser Gruppen. Erste empirische Ergebnisse werden im Frühjahr 2003 vorliegen, bis dahin wird versucht, über die Homepage www.culik.de ein möglichst hohes Ausmaß an Transparenz und damit Interesse an der Mitarbeit zu erzeugen.


7. Fazit


Ausgangspunkt des Beitrags ist die Relevanz von berufsschulinternen und -externen Kooperationen angesichts eines zunehmenden Veränderungsdrucks, dem die Berufsschulen ausgesetzt sind. Die Komplexität, die Dynamik und der mikropolitische Gehalt von Kooperationen machen hier bereits deutlich, dass es nicht ausreicht, den Schulen im "top-down-Verfahren" rezeptartige Innovationsvorschläge zu unterbreiten. Die fehlende empirische Basis vieler neuer Ansätze und mit Schlagworten gefüllte Programmatiken mögen auf der einen Seite zwar die Möglichkeit zum Ausprobieren bieten, andererseits können sie selber aufgrund oftmals immens großer Interpretationsspielräume dazu beitragen, dass kooperative Implementationsprojekte eher einem muddling-through ähneln. Eine fehlende Kontinuität und solide Fundierung im Kontext von Prozessen der Implementation neuer Curricula beispielsweise und die Neigung, "sich an wenig fundierten ‚trendigen' Konzepten zu orientieren, führt bei vielen Kollegen zu zusätzlicher Verunsicherung, die Kreativität und Innovationsbereitschaft hemmt" (GERDS/ LUND 2000, 22). All dies spricht nicht nur für eine Intensivierung der prozessbezogenen Kooperationsforschung, sondern auch der kommunikativen und kooperativen Begleitung von Innovationsprozessen an Berufsschulen. Dies soll mit CULIK angestrebt werden.

 



Literatur

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