wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 
JÜRGEN VAN BUER & OLGA TROITSCHANSKAJA
(Humboldt-Universität zu Berlin)
Das Betriebspraktikum als Lernort im Lernortverbund -
zwischen Anspruch und Wirklichkeit


1. Zur Einführung - die dreijährige Berufsfachschule als "Ersatzangebot" für das Duale System der Berufsausbildung?

Seit Jahren stellt sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt, besonders auf dem der betrieblichen Ausbildung, als stark angespannt dar; dies gilt besonders für den kaufmännisch-verwaltenden Bereich, und dort nochmals verstärkt für die Ausbildungsberufe, die als zukunftsträchtig und mit höheren Vermittlungschancen nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung angesehen werden (vgl. z. B. BMBF 2002, 37ff, 85ff; für Berlin vgl. VAN BUER, WAHSE u.a. 1999, 211 ff).

Gerade in der Region Berlin hat sich diese Situation in den beiden letzten Jahren eher verschärft als entspannt; so sind Ende September 2002 nach Auskunft der Berliner Arbeitsverwaltung 9.000 bis 10.000 Jugendliche noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, auch wenn zu diesem Zeitpunkt nach Auskunft der Kammern noch ca. 1.000 betriebliche Ausbildungsplätze nicht besetzt sind. In Brandenburg als direkter Umgebung mit starken Pendlerbewegungen auch seitens der Nachfrager nach betrieblicher Ausbildung nach Berlin hinein stellt sich die Situation ähnlich schwierig wie in den anderen neuen Bundesländern dar (vgl. BMBF 2002, 62ff; für Brandenburg z. B. REGIERUNGSKOMMISSION BRANDENBURG 2000; auch FREIE PLANUNGSGRUPPE BERLIN (2000).

Vor diesem allgemeinen Hintergrund ist eine Vielfalt von staatlich gestützten bis hin zu ausfinanzierten Maßnahmen entstanden, um den Bewerbern/innen hinreichend Ausbildungsplätze oder funktionale Äquivalente zur Verfügung stellen zu können. Dabei reicht die Spannbreite von der Verbundausbildung über die Verstärkung der überbetrieblichen Ausbildung ohne betriebliche Ausbildungsangebote bis hin zum Ausbau vollzeitschulischer Varianten der Berufsausbildung mit externer Kammerprüfung, hier besonders der dreijährigen Berufsfachschule (OBF3) (zur Evaluation der Verbundausbildung in Berlin vgl. SEEBER/ VAN BUER/ MOHR 2001; als Beispiel für die überbetriebliche Ausbildung gerade für lernschwächere Jugendliche in Berlin vgl. die Modulare-Duale-QualifizierungsMaßnahme Stufe II: VAN BUER, BADEL u.a. 2001). Für die nähere Zukunft, spätestens ab 2006/ 2007, in den neuen Bundesländern schon früher, ist jedoch abzusehen, dass die geburtenschwachen Jahrgänge zu einem erheblichen Rückgang der Nachfrage nach Berufsausbildung insgesamt führen werden (z. B. für Brandenburg vgl. FREIE PLANUNGSGRUPPE BERLIN 2000).

Angesichts dieses kurz skizzierten Hintergrunds stellt sich durchaus berechtigt die Frage: Stellt die OBF3 nur eine mittelfristig eingesetzte "Ersatzlösung" dar, bis der betriebliche Ausbildungsstellenmarkt eine zufriedenstellende Balance auch in den einzelnen Nachfragesegmenten aufweist?

Dabei bezieht sich die Chiffre der "Ersatzlösung" primär auf den folgenden Fakt: Als ein Beispiel für vollzeitschulische Angebote kann die OBF3 zwar auf eine Reihe von Vorteilen verweisen; diese sind im Wesentlichen: Systematisierung der Lehrangebote, weitreichendes Umsetzen ausdifferenzierter Simulationen betrieblicher Arbeitsprozesse mittels komplexer Arrangements, Investitionen in die Konstruktion von Lernfeldern und nicht zuletzt über die Lernzeit hinaus Betreuung der individuellen Entwicklung der Jugendlichen (zu komplexen Arrangements vgl. z. B. ACHTENHAGEN 1995; zur Lernfeldkonstruktion vgl. z. B. die Beiträge in HUISINGA/ LISOP/ STEIER 1999). Die folgende Schwäche kann diese Form der Berufsausbildung jedoch nicht überwinden: Dies ist die sich grundsätzlich einstellende Erfahrungsferne, die sich durch die Nicht-Einbindung der Jugendlichen in die Wertschöpfungsketten von Unternehmen ergibt (zum Lernen am Arbeitsplatz vgl. z. B. PÄTZOLD/ LANG 1999); diese äußert sich u. a. in Scholarisierung als Ausgliederung von Lernen aus dem alltäglichen betrieblichen Leistungsvollzug (zum Problem der Scholarisierung in der Berufsbildung vgl. z. B. BRUCHHÄUSER 2001).

Eine mögliche Antwort auf diese Debatte ist die Integration betrieblicher Praktika in die vollzeitschulischen Angebote in der beruflichen Bildung, so auch in der OBF3.


2 Die dreijährige Berufsfachschule mit Betriebspraktikum - ein Bildungsgang zwischen systematischen Lehrangeboten, komplexer Simulation von Arbeitswirklichkeit und Erfahrungsraum betrieblicher Wertschöpfung


Berufsausbildung, die den Jugendlichen keine Erfahrungen über Wertschöpfungsketten und den daraus entstehenden Anforderungen an den einzelnen Arbeitnehmer in einem betrieblichen Kontext vermittelt, sei trotz der erweiterten Zeitbudgets für systematisches Lernen "eingeengt", so ein Argument, das berufsbildungspolitisch zentral verwendet wird, aber auch lehr-lern-theoretisch fundiert ist.

Am Berliner Oberstufenzentrum (OSZ) Bürowirtschaft & Dienstleistungen wird dies für die beiden Ausbildungsberufe des/der Bürokaufmanns/-frau bzw. des/der Kaufmanns/ -frau für Bürokommunikation in der OBF3 systematisch in dreifacher Weise aufgenommen:

· Über Lernbüroarbeit wird eine komplexe Simulation betrieblicher Wirklichkeit mit dem vergleichsweise hohen Anteil von etwa 30% des insgesamt verfügbaren Zeitbudgets realisiert.

· Die Lernfeldkonstruktion wird stark dahin vorangetrieben, dass eine systematische Verknüpfung von fachtheoretischem Unterricht und Lernbüroarbeit mit dem Blick auf die Abbildung komplexer Arbeitszusammenhänge entsteht.

· In das zweite Ausbildungsjahr der hier diskutierten vollzeitschulischen Berufsausbildung ist fest ein 12wöchiges Praktikum eingebunden. Das OSZ versucht, mittels eines informationell gestützten Netzwerkes Kooperationsbeziehungen zu den entsprechenden Unternehmen aufzubauen und diese zu verstetigen.

Gestützt durch i. d. R. schulindividuelle Investitionen stellt die Kopplung von fachtheoretischem Unterricht und Lernbüroarbeit einen Bereich dar, der curricular und didaktisch-methodisch zumindest hinsichtlich vorliegender Modelle relativ weit entwickelt ist. Die Konstruktion von Lernfeldern markiert derzeit einen sowohl theoretisch als auch hinsichtlich der Konstruktion im unterrichtlichen Alltag einen eher kontrovers diskutierten Bereich, dessen Implementation im Alltag im Vergleich der einzelnen beruflichen Schulen äußerst unterschiedlich vorangetrieben ist. Das Betriebspraktikum hingegen kann bislang als ein Lernort charakterisiert werden, dessen geplante / gedachte Funktion im Bildungsgang auf einer generellen Definitionsebene zwar klar verortet ist; angesichts der Bandbreite der verfügbaren Praktikumplätze und der dort angebotenen Tätigkeitsfelder verbleibt dessen curriculare Einbindung in den Bildungsgang bisher jedoch eher unscharf, in Teilen auch zutiefst unklar (s. Abschnitt 3).

Verschärft wird letzteres noch durch den Umstand, dass die Kooperation zwischen den verschiedenen Lehr- und Ausbildungsinstitutionen in der beruflichen Bildung als eher unbefriedigend zu bezeichnen ist: So kann man in der Dualen Berufsausbildung mit einem tradierten rechtlichen Definitionsrahmen nur in wenigen Fällen von Kooperation im Sinne des Wortes sprechen (vgl. z. B. die Beiträge in WALDEN/ PÄTZOLD 1999). Vieles deutet darauf hin, dass die Agenten in den ausbildenden Institutionen zudem den Begriff der Kooperation mit unterschiedlichen Bedeutungen und in der Folge auch mit unterschiedlichen Handlungsoptionen versehen (für die Verbundsausbildung vgl. SEEBER/ VAN BUER/ MOHR 2001, 221ff). Zu vermuten ist: Diese unbefriedigende Situation verschärft sich für betriebliche (Erfahrungs-)Angebote, die sich auf Praktikumplätze beziehen, nochmals; denn diese sind nicht in den Rechtsrahmen von Ausbildungsordnungen und von daraus entstehenden justiziablen Verantwortungsübernahmen seitens der Unternehmen eingebunden.

Vor diesem hier nur kurz skizzierten Hintergrund stellen sich somit mindestens die folgenden Fragen: Welche Funktionen werden dem Praktikum in den Modellen zugeschrieben, die in der einschlägigen Literatur zu finden sind? Und welche dieser Funktionen können empirisch nachgewiesen werden? Welche Rolle spielt dabei die Variationsbreite der individuellen Arbeitserfahrungen pro Praktikumplatz sowie die Breite der Praktikumplätze für die jeweilige Lerngruppe / Klasse? Daraus folgt je nach empirischem Befund die folgende Frage: Kann, - und wenn ja - auf welche Weise kann das Betriebspraktikum curricular und didaktisch-methodisch in den Bildungsgang der hier diskutierten OBF3 systematisch und nicht nur singulär-kasuistisch eingebunden werden?


3. Zu den Funktionen des Betriebspraktikums in der dreijährigen Berufsfachschule - theoretische Überlegungen

Die einschlägige Diskussion in der Berufsbildungsforschung betont die Bedeutung von (individueller) Erfahrung in unterschiedlichen Lebenssituationen und dem reflexiven Umgang mit dieser für den Entwicklungsprozess der Jugendlichen (zur Bedeutung von Lernen (in Wertschöpfungskontexten) und Arbeiten für die Entwicklung des jungen Individuums vgl. z. B. NOS 2000). Dies gilt besonders für die Institution der (beruflichen) Schule; denn diese kann durch die starke Ausgliederung der in ihr realisierten Wissens-, Denk- und Handlungsräume aus der Alltäglichkeit und Vielfalt gesellschaftlichen Lebens charakterisiert werden (zum Problem der Scholarisierung vgl. z. B. BRUCHHÄUSER 2001).

Vor diesem Hintergrund wäre eine eher reichhaltige einschlägige Literatur zur Funktion und Wirkung von Betriebspraktika in den unterschiedlichen Schulstufen und Bildungsgängen der allgemeinen und beruflichen Bildung zu erwarten. Dies ist jedoch nicht der Fall, besonders nicht für die berufliche Bildung. Vor allem fehlen Untersuchungen, in denen die dem Praktikum jeweils theoretisch zugewiesenen Funktionen empirisch geprüft werden. Darüber hinaus liegen zwar einzelne theoretisch ausgerichtete Beiträge zu möglichen Funktionen von Praktika vor (vgl. z. B. FELLER 2001); im Unterschied zu unterrichtstheoretischen Modellen aus der allgemeinen Didaktik und aus den verschiedenen Fachdidaktiken sind diese jedoch kaum bildungs- bzw. schultheoretisch fundiert; eher kann man von einer Auflistung von möglichen Funktionen sprechen. Dabei ist i. d. R. wenig geklärt, ob die jeweils ausformulierten Listen vollständig oder beispielhaft sind, ob die Funktionen strukturell auf derselben Ebene angesiedelt sind etc. Vor allem können z. B. die folgenden Fragen empirisch gesichert nicht beantwortet werden: Welche der mittels theoretischer Überlegungen identifizierten Funktionen entfalten generelle Wirkungen, können somit für die gesamte Population eines Bildungsgangs Gültigkeit beanspruchen? Unter welchen Bedingungen (Kontexten) tun sie dies? Für wie lange tun sie dies? Und können die möglicherweise nachgewiesenen Wirkungen in den Lehr- und Lernraum von (beruflicher) Schule transferiert werden? Insgesamt ist der Zustand der einschlägigen Literatur als wenig befriedigend zu charakterisieren.

In der folgenden kurzen Synopse der einschlägigen Literatur kann nur darauf hingewiesen werden, dass die meisten Funktionen im Rahmen der einschlägigen Modelle zu den gesellschaftlichen Funktionen von (Berufs-)Bildungssystemen platziert und ausdifferenziert werden können (vgl. dazu z. B. BALLAUF 1982; auch VAN BUER/ WAHSE u. a. 1999, 59ff). Dem (Betriebs-)Praktikum können für die Entwicklung des betroffenen Individuums typologisch im Wesentlichen die folgenden Funktionen zugeschrieben werden; dabei stellt die Reihenfolge keine Rangfolge dar:

· Orientierungsfunktion: Das Praktikum ermöglicht ein erstes erfahrungsgestütztes Kennenlernen von Arbeitszusammenhängen in der betrieblichen Wirklichkeit. Dadurch erhalten die Schüler und Schülerinnen eine erste Vorstellung über ihren möglichen zukünftigen Arbeitsplatz bzw. Tätigkeitsbereich. Diese Vorstellungen sind zwar singulär; die so gewonnenen subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen können dann jedoch - z. B. in (beruflichen) Schule - objektiviert und reflexiv z. B. für die Berufsfindung und ?wahl genutzt werden.

· Motivationsfunktion: Die Jugendlichen erwerben im praktischen Leistungsvollzug erste berufsbezogene Kenntnisse und (Teil-)Fertigkeiten. Diesem Prozess wird eine starke intrinsische Motivation für die darauf folgenden Lernprozesse auch im scholarisierten Raum von Schule zugeschrieben.

· Berufsfindungs- / Berufswahlfunktion: Die Mehrzahl der Jugendlichen geht aus den allgemeinen Schulen in das Berufsbildungssystem über, ohne über genauere Vorstellungen über bezahlte Arbeit zu verfügen. So ist es nicht verwunderlich, dass i. d. R. jeder zweite oder dritte Jugendliche nur über ungenaue bzw. stark artefaktgefährdete Vorstellungen über die von ihm zu durchlaufenden Bildungs- und Entwicklungsprozesse verfügt (vgl. z. B. VAN BUER/ WAHSE u.a. 1999, 150ff; für die Verbundausbildung vgl. SEEBER/ VAN BUER/ MOHR 2001, 91ff). Verschärft wird dieser Zustand noch dadurch, dass - hier in der dreijährigen Berufsfachschule - ca. ein Drittel der Schüler und Schülerinnen das Berufsbild nicht aktiv gewählt hat (s. die Befunde im Abschnitt 4.2.1). Somit wird dem Betriebspraktikum die Funktion attribuiert, dass es den Berufsfindungs- und Berufswahlprozess im Sinne einer Bindung an den Beruf bzw. an das Tätigkeitsfeld bzw. im Sinne einer Korrektur der bisherigen Berufsfindung unterstütze.

· Transferfunktion: In der (beruflichen) Schule erworbene Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten können - so die Überlegungen - in der betrieblichen Leistungssituation angewendet und weiter entwickelt werden. Dabei kann von Transfers in zweierlei Richtung ausgegangen werden, (a) von Transfers von dem in der Schule Gelernten in die betriebliche Leistungssituation hinein und (b) von Transfers der in dieser Leistungssituation (weiter) entwickelten Kompetenz in den darauf folgenden (berufs-)schulischen Lernprozess hinein.

· Verknüpfungsfunktion: Die komplexen Simulationen betrieblicher Wirklichkeit z. B. im Rahmen eines handlungsorientierten Unterrichts sollen helfen, Wissen, Denken und Handeln des lernenden Individuums systematischer als in traditionellen scholarisierten Lehrkontexten zu verknüpfen; die Virtualität des Handlungsraumes bleibt jedoch grundsätzlich erhalten und führt somit notwendig zu spezifischen, ebenfalls tendenziell durch Virtualität gekennzeichneten Verknüpfungen. Im Betriebspraktikum sollen die Jugendlichen die Gelegenheit erhalten, ihr Wissen, Denken und Handeln unter der engen Fristigkeit und der akzeptierten nur geringen Qualitätsvariation von betrieblicher Leistungserstellung in Wertschöpfungsketten zu erleben und damit zu einer veränderten Verknüpfung von Wissen, Denken und Handeln zu kommen.

· Lernfunktion: Hier wird i. d. R. organisationales Wissen angesprochen. Zunehmende Bedeutung kommt aber auch dem prozeduralen Wissen zu, über dessen Zustand ca. ein Jahr vor Eintritt in die berufliche Bildung die Befunde der PISA-Studie für die deutschen Jugendlichen teils massive Mängel offen legt (vgl. BAUMERT/ KLIEME u.a. 2001, 271ff).

· Qualifizierungsfunktion: Mit dieser Funktion wird primär der Erwerb betriebs- und arbeitsplatzspezifischen Wissens bzw. entsprechender (Teil-)Kompetenzen thematisiert. U. a. entsteht daraus der mögliche Kontrast von singulärem erfahrungsgestützten Wissen einerseits und generalisierungsfähigen Wissensbeständen andererseits. Dieser Kontrast kann sich in schulischen Lehr- und Ausbildungskontexten ambivalent auswirken - lernförderlich, aber auch lernbehindernd.

· Sozialisationsfunktion: Die expliziten und impliziten Regularien und Rituale von (beruflicher) Schule als einem separierten und abgeschirmten Lehr-Lern-Raum sind notwendiger Weise andere als diejenigen in einem Unternehmen; denn letzteres agiert nicht in einem abgeschirmten, ausfinanzierten, auf Lernen fokussierten Raum, sondern bietet seine Produkte bzw. Dienstleistungen unter Konkurrenzbedingungen auf Märkten an und muss verkaufen, um zu überleben. Somit sind der Sozialisationskontext einer Schule, eingebettet in die je spezifische Ausformung der Schulkultur, und derjenige eines Betriebes deutlich unterschieden. Die Sozialisationsfunktion bezieht sich primär auf den Entwicklungsgewinn, den die Jugendlichen aus der Verknüpfung des für sie ungewohnten Kontextes betrieblicher Leistungserstellung und der sozialen Einbindung in das Unternehmen gewinnen (können).

Über die oben ausgewiesenen Funktionen hinaus kann zumindest für den hier diskutierten Bildungsgang aus der subjektiven Sicht der Jugendlichen zusätzlich noch die Netzwerkbildungsfunktion angesprochen werden. Damit sprechen die Jugendlichen ihre Hoffnung an, durch die während des Praktikums geknüpften Kontakte ihre spätere Arbeitsplatzsuche effektiver gestalten zu können.

4. Zu den dem Betriebspraktikum nachweisbaren Funktionen - erste empirische Befunde zur dreijährigen Berufsfachschule


Im Folgenden werden ausgewählte Befunde der empirischen Studien der Wissenschaftlichen Begleitung (WB) zu dem hier diskutierten Bildungsgang der OBF3 vorgestellt. Sie wurden im Rahmen des Modellversuchs (MV) VERONIKA "Verbundinnovation in der kaufmännischen Ausbildung zur Intensivierung der Lernortkooperation" erzeugt.

4.1 Zur Struktur der Untersuchungen der Wissenschaftlichen Begleitung


Die evaluativen Teilstudien sind so angelegt, dass sie die Perspektiven der verschiedenen Agenten erfassen und miteinander verknüpfen. Dies sind in erster Linie die Jugendlichen selbst, auf die sich die Mehrzahl der Teilstudien bezieht, aber auch die Lehrer und Lehrerinnen sowie die Betriebe, die Praktikumplätze für den hier diskutierten Bildungsgang anbieten.

Eingesetzt werden sowohl standardisierte als auch halbstandardisierte Fragebögen (vgl. die Beiträge in z. B. HERRMANN/ TACK 1994). Teils werden einschlägige Instrumente verwendet bzw. adaptiert (z. B. das Ausbildungstagebuch (für das Ausbildungstagebuch vgl. z. B. NOS 2000; auch SEEBER/ VAN BUER/ MOHR 2001, 131ff). Insgesamt sind die verwendeten Instrumente in den Zwischenberichten der WB dokumentiert), teils sind sie neu konstruiert.

Insgesamt folgen die Studien eher Modellen summativer Evaluation, auch wenn diese sich stärker auf Prozessvariablen konzentrieren (vgl. z. B. WOTTAWA/ THIERAU 1998; auch VAN BUER 2000). Ausgangspunkt ist das Produkt-Prozess-Paradigma mit Input-, Prozess- und Outputvariablen, die durch die institutionellen etc. Kontextvariablen moderiert werden (ausführlich vgl. VAN BUER/ BADEL u.a. 2001, 43ff in einem vergleichbar angelegten Design für die wissenschaftliche Begleitung eines MV für lernschwächere Jugendliche in der beruflichen Bildung). Dabei werden die verschiedenen Durchgänge des Bildungsgangs erfasst, so dass sich zum Abschluss der WB ein mehrfach vernetzter Längsschnitt ergeben wird (2000/2001 - Juni 2003).
Vor diesem Hintergrund sind die im Folgenden vorgestellten Befunde als Zwischenergebnisse zu bewerten.

4.2 Zu soziobiographischen Merkmalen der Jugendlichen im Bildungsgang

Die Altersspannbreite ist relativ groß; sie reicht von 17 bis 28 Jahren; der Schwerpunkt der Verteilung liegt jedoch mit etwa drei Vierteln der Jugendlichen zwischen 18 und 20 Jahren. Insgesamt handelt es sich um so genannte marktbenachteiligte Jugendliche, von denen mehr als drei Viertel über den Realschulabschluss und ca. 15% über den erweiterten Hauptschulabschluss verfügen; Abiturienten stellen knapp 10% der Population. Durch die beiden Berufsbilder bedingt, liegt mit ca. 75% eine klare Dominanz der weiblichen Jugendlichen vor. Hinsichtlich ihrer nationalen Herkunft stammen über die verschiedenen Durchgänge hinweg ca. 15-18% der Jugendlichen als Spätaussiedler aus den osteuropäischen Ländern; Migranten anderer nationaler Herkunft sind prozentual in ähnlichem Ausmaß vertreten. Ca. 25% aller Jugendlichen kommunizieren in der Familie ausschließlich in einer anderen Nationalsprache als Deutsch.

4.3 Zu den Urteilen der Jugendlichen über das Betriebspraktikum


Insgesamt liegt eine Vielzahl von Befunden zu dieser Frage vor. Die folgende Skizze konzentriert sich auf vier Aspekte: (a) auf das Finden des Praktikumplatzes, (b) auf die Art der geleisteten Tätigkeiten und deren Bewertung, (c) auf die emotional-motivationale Qualität des Praktikums und (d) auf die dem Praktikum zuerkannten Funktionen aus der Sicht der Jugendlichen.

4.3.1 Zum Auffinden des Praktikumplatzes

Der Blick in die Berliner Oberstufenzentren (OSZ) zeigt, dass das Finden von Praktikumplätzen den meisten Jugendlichen selbst obliegt. Schulindividuelle Netzwerke über Unternehmen, die Praktikumplätze anbieten, und über die erwartbare Struktur dieser Plätze liegen in Berlin derzeit (noch) nicht vor.

Wenn einschlägige Informationen in umfangreicherem Maße vorliegen, sind sie lehrerindividuell "privat" . Im Kontext des hier diskutierten MV wurde dieses privatisierte Wissen in ein schulinternes informationell gestütztes Informationssystem überführt. Damit gelingt es, ca. ein Drittel der Schüler und Schülerinnen direkt über das Berliner OSZ Bürowirtschaft & Dienstleistungen an Praktikumbetriebe zu vermitteln. Weitere ca. 25% haben durch die Eltern Kenntnis von einem möglichen Praktikumbetrieb, knapp 28% werden durch Freunde und Bekannte auf einen solchen aufmerksam, und ca. 7% entnehmen entsprechende Informationen aus der Presse bzw. nutzen ihre Kontakte, über die sie durch frühere Aushilfstätigkeiten bereits verfügen.

Die Erfahrungen im Berliner OSZ "Bürowirtschaft und Dienstleistungen" machen vor allem sichtbar, dass der Aufbau und besonders die Pflege bereits eines solchen einzelschulinternen Informationsnetzwerkes aufwändig ist. Dies lässt erahnen, was die Konstruktion und Verstetigung eines einzelschulübergreifenden Informationsnetzwerkes "kosten" würde.

4.3.2 Zu den im Betriebspraktikum geleisteten Tätigkeiten und deren Bewertung


Die Jugendlichen in einem Durchgang wurden mittels eines Ausbildungstagebuchs zum einen und durch standardisierte, eher summative Skalen zum anderen befragt (Frühjahr 2000), welche Tätigkeiten sie in ihrem Praktikum durchgeführt haben und wie sie diese bewerten.

· Zur Spannbreite der Tätigkeiten: Die über die Gesamtheit der Schüler und Schülerinnen erfassten Tätigkeiten reichen vom Telefondienst über allgemeine Sekretariatsaufgaben, Postbearbeitung bis hin zur Vorbereitung von Schulungen und Seminaren. Diese Bandbreite umfasst sowohl Routinetätigkeiten von geringem Anspruchsniveau als auch komplexe Arbeitsaufgaben mit relativ hohem Verantwortungshalt. Die Bandbreite der Tätigkeiten, die von dem einzelnen Jugendlichen während des Praktikums realisiert wurde, variiert ebenfalls äußerst stark; allerdings deuten sie an, dass diese Bandbreiten auch davon abhängen, wie offensiv sie selbst nachgefragt haben, unterschiedliche Arbeitsbereiche zu durchlaufen.

Die bei dieser Befragung von 78 Jugendlichen vorgelegten Ausbildungstagebücher beinhalten insgesamt 510 verschiedene Tätigkeitsnennungen. Diese wurden von der WB in zwei große Bereiche gegliedert - in sog. Kerntätigkeiten auf der einen und in Neben- bzw. ausbildungsfremde Tätigkeiten auf der anderen Seite. Dabei beziehen sich die beiden Begriffe auf die in den beiden Berufsbildern definierten curricularen Elemente. Allerdings ist es nicht gelungen, diese beiden Bereiche vollständig überschneidungsfrei zu konstruieren. Dies betrifft besonders den "Telefondienst"; denn dieser kann sowohl im Sinne von Kundenbetreuung komplexere Aufgaben als auch kurze Informationsabgaben und Weiterleiten an andere Gesprächspartner beinhalten.

· Zum zeitlichen Verhältnis von Kern- und Nebentätigkeiten: Das zeitliche Verhältnis dieser beiden Bereiche in ihrem Praktikum schätzen die Schüler und Schülerinnen selbst sehr unterschiedlich ein; über alle ergibt sich das folgende Bild: Bei fast drei Vierteln der Befragten sind etwa 80% und mehr ihrer Zeit im Praktikumbetrieb durch Kerntätigkeiten ausgefüllt. Für ca. 30% der Schüler und Schülerinnen ist jedoch nur bis etwa eine Drittel ihrer Zeit in diesen Tätigkeitsbereich gefallen. Hinsichtlich der Neben- und ausbildungsfremden Tätigkeiten ergibt quasi das Spiegelbild: Fast 80% der Jugendlichen haben nach ihrer Auskunft nicht während mehr als 20% ihrer Arbeitszeit Tätigkeiten in diesem Bereich ausführen müssen.

· Zu den Kerntätigkeiten im Einzelnen: Die insgesamt angegebenen 377 verschiedenen Tätigkeiten in diesem Bereich wurden von der WB zu 10 Gruppen zusammengefasst. Mit knapp einem Viertel der Nennungen nimmt "Telefondienst/Kundenberatung" Rangplatz 1 ein. An Rangplatz 2 mit ca. 15% der Nennungen liegt "Textverarbeitung", gefolgt von "Tabellenkalkulation", "Arbeiten in der Lager- und Materialwirtschaft" sowie "Bearbeiten der Ein- und Ausgangspost" mit jeweils ca. 11%.

· Zu den Neben- und ausbildungsfremden Tätigkeiten im Einzelnen: In diesem Bereich liegen insgesamt 133 verschiedenen Tätigkeitsnennungen vor, die zu 8 Kategorien verdichtet wurden. An Rangplatz 1 mit ca. 35% der Nennungen liegen "Botendienste", mit ca. 25% an Rangplatz 2 "Getränke zubereiten/Aufräumen". "Telefondienst" mit ca. 12% nimmt Rangplatz 3 ein; mit jeweils 10% sind die nächsten durch "allgemeine Sekretariatsaufgaben" - häufig Kopieren - und "Ablage/Sortieren" besetzt. Größerer zeitlicher Umfang durch "private Unterhaltung" (4%; letzter Rangplatz) wurde nur in einzelnen Praktikumplätzen eingenommen.

· Zur summativen Bewertung des Praktikums: Mittels eines standardisierten Fragebogens wurden die Jugendlichen über ihr Urteil zu ihrem Betriebspraktikum gefragt, das erste Mal nach ca. 6 Wochen, das zweite Mal nach Abschluss des Praktikums. Die 13 vierpoligen Items thematisieren vor allem den subjektiv erlebten Kompetenzgewinn sowie den vorgefundenen Support (1 = sehr niedrige Ausprägung; 4 = sehr hohe Ausprägung). Die Faktorenanalysen ergeben zwei Faktoren, die mit r " -.35 korrelieren:

o "Lernzuwachs" (a = .72; n = 87; mw " 3.05, s " .55 ): Hinsichtlich ihres subjektiv erfahrenen Kompetenzzuwachses sprechen ca. 90% der Befragten von hohen bis sehr hohen Gewinnen. Dies gilt sowohl für den ersten als auch für den zweiten Befragungszeitpunkt. Allerdings liegen die Korrelation zwischen beiden Befragungszeitpunkten bei r = .05. Damit deutet vieles darauf hin, dass nicht über die gesamte Praktikumzeit hinweg relativ gleichmäßig von den Jugendlichen Kompetenzzuwachs erlebt wird; statt dessen scheint dies je nach Tätigkeitsstruktur und inhaltlicher Bandbreite der zugewiesenen Arbeitsaufgaben äußerst unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Trotzdem sagen insgesamt mehr als 90% der Jugendlichen, dass sie "viel dazu gelernt" und auch "meistens intensiv mitgearbeitet" hätten. Weiterhin wurde ebenfalls mehr als 90% der Befragten das Gefühl vermittelt, dass "ihre Tätigkeiten für den Betrieb von Bedeutung" gewesen seien. Gleichzeitig werden auch die soziale Einbindung in den Betrieb und die Unterstützung sowie das Feedbackverhalten der Mitarbeiter als ausgesprochen positiv bewertet.

o "Praktikum als Aushilfstätigkeit" (a = .70; n = 88; mw " . 1.4, s " .65): Fast 95% der Befragten sagen aus, dies habe nicht oder kaum für ihr Praktikum zugetroffen; allerdings geben auch knapp 10% an, dies habe eher bzw. voll und ganz zugetroffen.
Diese ausgesprochen positive Bewertung des Betriebspraktikums bezieht sich nicht nur auf den erlebten Kompetenzgewinn, sondern ebenfalls auf die erfahrene soziale Integration in das jeweilige Unternehmen, dort vor allem in die jeweilige Abteilung.
Insgesamt kann festgehalten werden: Die Eingliederung der Jugendlichen in Wertschöpfungsketten wird von der großen Mehrheit vor allem deshalb als für sie gewinnbringend und entwicklungsförderlich erlebt, weil für sie

o erst in diesem Kontext die Bedeutung des in der OBF3 Gelernten für ihre spätere Arbeitstätigkeit sichtbar und erlebbar wurde;

o dies durch hohe soziale Integration mit intensivem Feedbackverhalten der Mitarbeiter in dem Unternehmen gestützt wurde.

4.3.3 Zur emotional-motivationalen Qualität des Praktikums


Mittels 15 vierpoliger Items sollte für den im Abschnitt 4.3.2 befragten Durchgang nach Abschluss des Praktikums mittels eines dem OSGOODschen Differential angenäherten Instruments die emotional-motivationale Qualität dieser Zeit erfragt werden (n = 78). Die Endpunkte der Items sind mit Adjektiven wie "gut - schlecht", "bunt - einfarbig", "cool - uncool" "weich - hart" gekennzeichnet. Die Faktorenanalyse führt zu zwei Faktoren:

· "Motivationale Stimulanz" (a = .91; mw = 1.7, s = .50): In diese Skala gehen Items wie "motivierend - lähmend", "gut - schlecht" oder strukturiert - diffus" ein. Ca. 40% der Befragten haben ihr Praktikum als äußerst motivierend erlebt, weitere ca. 53% als eher motivierend; nur knapp 2% sagen aus, dies sei für sie eindeutig nicht so gewesen.

· "Emotionale Akzeptanz" (a = .87; mw = 1.9, s = .55): In dieser Skala sind Items wie "in - out" oder "aufregend - langweilig" zu finden. Die Verteilung ist derjenigen der ersteren Skala sehr ähnlich. Ca. 30% bewerten ihr Praktikum unter diesem Aspekt als ausgesprochen positiv, weitere ca. 55% als in eher positiv und nur knapp 2% als ausgesprochen negativ.

Die hohe Korrelation der beiden Skalen von r = .52 macht auf Folgendes aufmerksam: Das Erleben des Praktikums ist emotional und motivational tief in den Jugendlichen verankert. Dabei deuten die Befunde auf einen starken allgemeinen Evaluationsfaktor hin, der die generelle Einstellung der Jugendlichen hin auf Arbeiten und weg von scholarisierten Lehrangeboten markiert, wie dies z. B. MERKENS (1998) in seiner Studie über Berliner Jugendliche festgestellt hat - dies zwar in Abhängigkeit von ihrem Schulabschluss, jedoch insgesamt als starken generellen Trend.

4.3.4 Zur Vernetzung der Bewertungsskalen über das Betriebspraktikum


Die korrelative Vernetzung der in den Abschnitten 4.3.2 und 4.3.3 diskutierten Skalen führt zu dem folgenden pfadanalytischen Bild (abgebildet über partielle Korrelationskoeffizienten); dabei spielen die Variablen "Geschlecht", "Alter" und "nationale Herkunft" sowie "Finden des Praktikumplatzes" keine auf dem 5%-Niveau signifikante Rolle.

Hervorstechendes Ergebnis ist: Zwischen der Variable "Für meinen späteren Beruf etwas gelernt" und den übrigen Skalen liegen keine signifikanten Korrelationen vor. Für die Skalen aus den Abschnitten 4.3.2 und 4.3.3 zeigen sich zwei korrelative ‚Kerne', die untereinander wiederum nicht verknüpft sind:

· Der erste Kern wird gebildet durch den erlebten "Lernzuwachs", durch das "Praktikum als Aushilfstätigkeit" und durch die Einzelvariable "Interesse am Betriebspraktikum" (Lernzuwachs - Aushilfe rpart = -.24; Lernzuwachs - Interesse rpart = .43; Aushilfe - Interesse rpart = -.43).

· Den zweiten Kern stellen die beiden Skalen aus dem semantischen Differential dar; diese korrelieren mit rpart = .35.

Dieses Pfaddiagramm ist ein Zwischenergebnis. Die Frage ist, ob sich in den weiteren Teilstudien die Tendenz bestätigt, dass bei den Jugendlichen die drei erfragten Bereiche des erlebten Kompetenzgewinnes durch das Praktikum, der emotional-motivationalen Einbettung des Praktikums und des Blicks auf die mögliche zukünftige Arbeits- / Berufstätigkeit zumindest in ihren Bewertungsmustern weitestgehend unabhängig voneinander ausgeprägt sind.
Hier deutet sich ein möglicher Aspekt der curricularen Verwertung der Praktikumerfahrungen an; er zielt darauf, dass diese in den Wahrnehmungs- und Urteilsmustern möglicherweise stark separierten Felder in den berufsschulischen Lehr- und Ausbildungskontexten gerade unter der Perspektive ihrer Einbettung in das subjektive individuelle Entwicklungskonzept des Jugendlichen reflektiert werden.

4.3.5 Zur subjektiv erlebten Funktionalität des Praktikums


Im Abschnitt 3 sind die in der einschlägigen Literatur benannten Funktionen aufgeführt, die dem Betriebspraktikum aufgrund theoretischer Überlegungen zugewiesen werden können. In einer Teilstudie (Frühjahr 2002) wurde bei den Jugendlichen im hier diskutierten Bildungsgang ein standardisierter Fragebogen eingesetzt, in dem diese Funktionen semantisch durch jeweils mehrere vierpolige Items abgebildet werden (1 = hohe Ausprägung, 4 = niedrige Ausprägung).

Mittels Faktorenanalysen wurde versucht, die im Abschnitt 3 vorgelegte Funktionsstruktur zu rekonstruieren. Dies ist in dieser Pilotstudie nicht gelungen (n = 128). Nur zwei reliable Skalen konnten (re-)konstruiert werden:

· Zur Skala "Verbindungs- / Transferfunktion" des Praktikums" (a = .80; mw = 2.2, s = .7): Diese Skala bezieht sich auf die Erfahrung der Jugendlichen, ihre in der OBF3 erworbenen Kenntnisse in ihrem Praktikumbetrieb anwenden zu können und dafür auch entsprechendes Feedback zu erhalten. Bezüglich dieser Funktion sind die Urteile der Jugendlichen eher zwiespältig: Sie bewegen sich mehrheitlich im Bereich von "eher ja" bis "eher nein"; eindeutig zustimmende Urteile (knapp 10%), aber auch eindeutig ablehnende Urteile (ca. 5%) sind relativ selten. Die Aussagen aus der Praktikumbetrieben selbst führen zu der Vermutung, dass die Transferfunktion vor allem durch die in der OBF3 erworbenen EDV-Kenntnisse erzeugt wird, an deren Verwertung diese Unternehmen stark interessiert sind.

· Zur Skala "Berufsfindungs- / Berufswahlfunktion" (a = .83; mw = 1.8, s = .9): Hier geht es um die Frage, ob das Praktikum den Jugendlichen bei ihrer weiteren Berufsfindung und Berufswahl hilft. Auch hier zeigt sich ein ähnlich ambivalentes Bild wie bei der obigen Skala. Weitere korrelative Befunde deuten an: Auf der einen Seite wird der Berufswunsch in diesem Tätigkeitsbereich verstärkt, wenn dieser bei Eintritt in die OBF3 bereits der Wunschberuf war (dies ist nur bei etwas mehr als der Hälfte der Jugendlichen der Fall). Auf der anderen Seite wird die subjektive Perspektive verstärkt, in einen anderen Beruf zu wechseln, damit möglicherweise die OBF3 auch vorzeitig zu verlassen, wenn die Zuweisung zu dieser OBF3 gegen die Wunschperspektiven erfolgte (bei ca. einem Viertel der Jugendlichen).

4.4 Zu den Interessenlagen und Wünschen der Betriebe

Ein Ziel des MV ist es, solche Betriebe zu identifizieren, die an einer intensiveren, vor allem zeitstabilen Zusammenarbeit mit dem Berliner OSZ Bürowirtschaft & Dienstleistungen interessiert sind; weiterhin soll ein breites Netzwerk von "geeigneten" Praktikumplätzen für die OBF3 aufgebaut werden. Die Diskussion, was ein "geeigneter" Praktikumplatz sei, ist derzeit in der MV / WB-Arbeitsgruppe in vollem Gang. Wichtige Indikatoren können dabei die schon älteren Überlegungen von z. B. VOLPERT (1989) zu entwicklungsförderlichen Aspekten von Arbeits- und Lernbedingungen sowie die empirischen Studien zum Lernen am Arbeitsplatz stellen (vgl. z. B. NOS 2000).

In einer Pilotstudie (Frühjahr 2002) wurden die den einzelnen Praktikanten betreuenden Lehrer und Lehrerinnen gebeten, mittels eines halbstandardisierten Fragebogens bei ihrem Besuch des Praktikumbetriebes formale Merkmale des Unternehmens, Merkmale der Arbeitsbedingungen, Motive für die Vergabe von Praktikumplätzen und Kriterien für die Auswahl des Bewerbers bzw. der Bewerberin zu erfragen. Im Folgenden werden erste Zwischenergebnisse vorgestellt:

· Branchen / Größe der Betriebe: Die Betriebe, in denen Jugendliche aus der OBF3 mit dem Berufsbild "Bürokaufmann/-frau" bzw. "Kaufmann/-frau für Bürokommunikation" ihr Praktikum absolvieren, arbeiten in einem äußerst breiten Branchenspektrum; dieses reicht vom Handel bis hin zur Industrie. Vereinzelt sind auch öffentliche Einrichtungen wie Kirche, Krankenhaus etc. zu finden. Folgt man der Klassifikation der Berliner Arbeitsverwaltung, sind ca. die Hälfte Unternehmen mittlerer Größe, ca. ein Drittel Großbetriebe und ca. 15% Kleinbetriebe; mehr als jedes zweite Unternehmen hat mehrere Standorte.

· Ausbildungsaktivitäten / Personalentwicklung: Die Mehrzahl der Unternehmen ist im Bereich der Personalentwicklung stärker aktiv: Zwei Drittel bilden selbst aus, ca. 60% haben einen eigenen Ausbilder an dem entsprechenden Standort. Ein Viertel bildet auch in den beiden Berufsbildern aus. Fast alle Unternehmen gehen davon aus, dass Weiterbildungsangebote an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen notwendige Bedingungen für das Überleben des Unternehmens am Markt sind. Knapp die Hälfte bietet interne Schulungen an.

· Anforderungen an die Praktikanten / Auswahlkriterien: Ca. zwei Drittel der Unternehmen erwarten von den möglichen Praktikanten vor allem Selbstständigkeit in der Aufgabenerfüllung, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Anforderungen und anpassungsfähiges differenziertes kommunikatives Auftreten. Besonderes Interesse gilt gut entwickelten EDV-Kenntnissen in der Bürokommunikation.

· Nutzen der Praktikanten als Arbeitskraft: Auch die ausbildenden Unternehmen scheinen einen deutlichen Unterschied zwischen ihren eigenen Auszubildenden einerseits und den Praktikanten andererseits zu machen; dies scheint nicht nur aufgrund der unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen so zu sein, sondern vor allem auch aufgrund unterschiedlicher genereller Hintergrunderwartungen. Hinsichtlich der Praktikanten kann man resümieren: Ca. 85% der Unternehmen erwarten, die Praktikanten als weitgehend "kostenfreie" Arbeitskräfte nutzen und dabei vor allem kurzfristig personelle Engpässe schließen zu können. Ca. 10% geben darüber hinaus an, über die Praktikanten gute potenzielle Bewerber an sich binden zu können. Die Beschreibungen der den Jugendlichen zugewiesenen Arbeitsaufgaben stimmen weitest gehend mit den Beschreibungen der Jugendlichen selbst überein.

· Bewertung der Praktikanten durch die Unternehmen: Fast alle Unternehmen geben ein positives Urteil über die Praktikanten aus dem Berliner OSZ Bürowirtschaft & Dienstleistungen ab. Besonders hervorgehoben wird die gute Qualität der verfügbaren EDV-Kenntnisse. Eine Konsequenz daraus ist, dass die Mehrzahl der Unternehmen wieder Praktikanten aus dem OSZ nehmen würde. Ein Drittel könnte sich auch vorstellen, generelle Absprachen mit dem OSZ über Praktikumplätze zu treffen. Die Mehrzahl würde Praktikanten auch fortlaufend über das ganze Jahr hinweg übernehmen.

· Zusammenarbeit mit dem OSZ: Auf einer generellen Ebene gefragt, würden fast alle Unternehmen mit dem Berliner OSZ kooperieren. Engere Zusammenarbeit können sich jedoch nur noch ca. 40% vorstellen, 25% wünschen keine. Die meisten können sich keine gemeinsame Projektarbeit vorstellen. Die Distanz zu Lehrerpraktika ist ebenfalls sehr groß.

Insgesamt dominiert seitens der Unternehmen eindeutig ein ökonomisches Verwertungsinteresse bei der Vergabe von Praktikumplätzen. Dabei sind sie durchaus bereit, die Jugendlichen in dem für sie neuen Lebensraum zu begleiten und dort auch zu integrieren; die Schüler und Schülerinnen bestätigen in ihren Befragungen, dass dies in hohem Maße der Fall ist. Die Beziehungen zum Berliner OSZ können - zumindest im derzeitigen Status der Entwicklung - aus der Sicht der Unternehmen als ein "Lieferanten-Verhältnis" charakterisiert werden.

Vieles deutet auf Folgendes: Bei der Vergabe von Praktikumplätzen eher aktiv sind Betriebe, die selbst schon ausbilden und zudem stärker in ihre eigene Personalentwicklung investieren. In diesem insgesamt günstigen Arbeits- und sozialen Integrationsrahmen spielen ökonomische Interessen der Humankapitalverwertung nach wie vor eine, wenn nicht die zentrale Rolle. Die Urteile der Jugendlichen und diejenigen der Unternehmen verweisen jedoch auf einen breiten gemeinsamen Interessenraum - zugespitzt formuliert: Verwerten auf der einen Seite und in (bezahlter) Arbeit Verwertet-werden-Wollen auf der anderen Seite. Und das ‚Eintauchen' in diesen Raum trägt zu dem insgesamt positiven Erleben der Praktikumzeit durch die Schüler und Schülerinnen der OBF3 bei.


5. Das Betriebspraktikum als Lernort im Lernortverbund - Diskussion der Zwischenergebnisse


Ein zentraler Ausgangspunkt der Überlegungen in diesem Beitrag ist (Abschnitt 2): Die dreijährige Berufsfachschule (OBF3) mit dem integrierten Praktikum birgt eine nicht zu unterschätzende Gefahr, der sie in ihrem eigenen institutionellen und zeitlichen Verfügungsraum auch mittels Simulierung von Arbeitswirklichkeit nicht grundsätzlich, sondern nur ‚abmildernd' begegnen kann. Diese ist, für die betroffenen Jugendlichen nach 10 Jahren erlebter Scholarisierung - das heißt vor allem weit(est)gehende Ausgliederung des Erfahrungsraums "Schule" aus ihrem restlichen Alltagsleben - zu einer von ihnen als solche empfundenen Fortsetzung ihres Scholarisierungsschicksals zu werden. Selbst wenn die berufliche Schule die Vorteile nutzt, systematische Lehr- und Ausbildungsorganisation zwischen kleinschrittig gesteuertem Unterricht, komplexer Simulation und selbstgesteuerten Lernprozessen mit hohen Autonomieräumen für die Jugendlichen anzubieten, kann sie diese institutionelle Verfasstheit nicht grundsätzlich überschreiten.

Dies kann insofern starke Lerndistanzen bei den betroffenen Jugendlichen erzeugen, als nach ihrer gescheiterten Bewerbung auf dem betrieblichen Ausbildungsstellenmarkt viele von ihnen die OBF3 eher als nachrangige Bildungs- und Qualifizierungsmöglichkeit ansehen. Gestützt wird diese Tendenz noch dadurch, dass Arbeiten und Erwerb für die meisten Jugendlichen mit Realschulabschluss und erweitertem Hauptschulabschluss in ihrem derzeitigen Wunschzentrum stehen. Berufliche Schule wird dabei im Wesentlichen "nur" als notwendiger Teil der beruflichen Erstausbildung akzeptiert.

Hier kann das Betriebspraktikum - so die Konstruktionsüberlegungen - die Anbindung des schulisch Gelernten / zu Lernenden an den Erfahrungsraum alltäglichen Arbeitsvollzuges in einem ökonomischer Rationalität folgenden Unternehmen systematisch eingesetzt werden - dies vor allem, um die oben aufgezeigten Grenzen hinsichtlich ihres möglichen entwicklungsbegrenzenden Effekts zumindest abzumildern. So ist nicht verwunderlich, dass dem Betriebspraktikum idealiter eine Vielzahl möglicher Funktionen zugeschrieben wird (vgl. Abschnitt 3). Allerdings können diese in den subjektiven Urteilen der Schüler und Schülerinnen mit Ausnahme der "Verbindungs- / Transferfunktion" und der "Berufsfindungs- / Berufswahlfunktion" nicht rekonstruiert werden (vgl. Abschnitt 4.3.5).

Die vorgelegten Befunde markieren einen Zwischenstand der Ergebnisse der WB (vgl. Abschnitt 4). Sie deuten an, dass in einem realen Betrieb arbeiten zu dürfen, bei den Jugendlichen besonders auf eine starke positiv besetzte Emotionalität trifft. Diese scheint so stark ausgeprägt zu sein, dass sie andere Urteilsaspekte ‚überlagert' und z. B. keiner systematischen Abhängigkeit vom erlebten Kompetenzzuwachs oder von der wahrgenommenen Bedeutung des zu Tuenden für die spätere Arbeits- / Berufstätigkeit unterliegt. Wie weit diese starke emotionale Akzeptanz und die daraus entstehende motivationale Stimulanz sich auf das weitere Lernen in der Institution der beruflichen Schule positiv auswirkt, ist derzeit empirisch gesichert nicht deutlich. Der beschriebene starke Einbettungsfaktor scheint auch das Moment darzustellen, an dem sich die ökonomischen Verwertungsinteressen des Praktikumbetriebes mit den Interessen der Jugendlichen treffen.

Gleichzeitig deutet sich ebenfalls an: Gerade angesichts der schwierigen Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt (vgl. Abschnitt 1) kann das Betriebspraktikum hinsichtlich der individuellen Berufsfíndung / Berufswahl eine wichtige Funktion übernehmen. Denn nur für jeden zweiten Betroffenen stellen die beiden hier besprochenen Berufsfelder in der OBF3 den Wunschberuf dar; weiterhin kann man davon ausgehen, dass ca. ein Drittel dieser marktbenachteiligten Jugendlichen keine oder zumindest keine differenzierten Vorstellungen über die eigene Berufs- und Erwerbskarriere mit in das Berufsbildungssystem bringt. Hier kann das Praktikum berufsbindend wirken, wenn es sich um den gewünschten Tätigkeitsbereich handelt und Kompetenzzuwachs und soziale Integration erlebt werden (vgl. Abschnitt 4.3.5). In den Fällen, wo keiner der beiden Ausbildungsberufe den individuellen Wunschberuf darstellt (bei ca. einem Viertel der Jugendlichen), wirkt das Praktikum tendenziell in Richtung auf Umorientierung, sei es noch während der OBF3, sei es nach Abschluss dieses Bildungsgangs.

Die Frage, ob eine systematische curriculare Verknüpfung des Betriebspraktikums mit den Lernorten in der beruflichen Schule möglich sei, kann derzeit empirisch gestützt nicht beantwortet werden. Allerdings sind angesichts der Bandbreite der Tätigkeiten, die die Jugendlichen in ihrem Praktikum vollzogen haben, die Schwierigkeiten unübersehbar. Diese betreffen das grundsätzliche Verhältnis

· zwischen der Singularität individueller Erfahrungen und deren Überführung in nicht generalisierungsfähiges oder fälschlicher Weise generalisiertes Wissen auf der einen Seite und

· der Aufgabe von (beruflicher) Schule als einem für Lernen geschaffenem Raum, generalisierungsfähiges Wissen zu offerieren und in solche Lehrkontexte einzubetten, dass dieser Aspekt bei der Überführung in individuelle Wissensstrukturen erhalten bleibt.

Ein Verknüpfungsaspekt von betrieblicher Arbeitserfahrung während des Praktikums und Lehrkontext in der beruflichen Schule kann das reflexive Umgehen mit dem Erlebten sein; denn die tiefe emotionale Verknüpfung des Erlebten mit dem zentralen Wunsch der Jugendlichen nach Arbeit und Erwerb in diesem Stadium ihrer Entwicklung kann schnell zu einer stark idealisierten Vorstellung über die Bedingungen für die Konstruktion der eigenen Berufs- und Erwerbsbiographie führen.




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