WOLFGANG
JÜTTE (Donau-Universität Krems) |
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Die Netzwerkanalyse als Methode zur Untersuchung
von Kooperationsstrukturen in der Weiterbildung |
Diese Ausführungen basieren auf meiner Studie zum "Sozialen
Netzwerk Weiterbildung" (JÜTTE 2002).
1.
Netzwerke als Organisations- und Analyse-Kategorie |
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Die Organisationsform des Netzwerkes erfährt gegenwärtig
als ein weitgehend hierarchiefreier und kommunikativer Raum
horizontaler Verknüpfung eine positive Zuschreibung.
In nahezu allen sozialen und pädagogischen Arbeitsfeldern
wird Kooperation und Vernetzung ein bedeutendes Lösungspotenzial
für Strukturprobleme zugeschrieben. Es gibt kaum ein
pädagogisches Handlungsfeld, in dem Netze nicht postuliert
und entdeckt werden. Die Notwendigkeit von Vernetzung wird
je nach Handlungsfeld unterschiedlich begründet. Gemeinsam
leitet sie sich jedoch aus folgenden Überlegungen ab:
- Netzwerke bilden eine organisatorische Antwort auf die Komplexität
der Lebens- und Bedarfslagen pädagogischer Zielgruppen.
Diese Ausdifferenzierung verlangt auf der anderen Seite auch
wieder Integrationsanstrengungen, d. h. das Knüpfen von
Netzen.
- Die Vernetzung mehrdimensionaler Problemlagen erfordert
Zusammenarbeit und ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen.
Erst vielfältige Netzwerkbezüge ermöglichen
die Leistungserstellung und werden dem Integrationsanspruch
gerecht.
- Unzureichende Koordination im Handlungsfeld bildet den Ausgangspunkt
für Vernetzungsprozesse.
- Vernetzung zielt auf eine verbesserte Kommunikation zwischen
den Akteuren und dient gemeinsamen Planungsprozessen zur Sicherstellung
und Abstimmung von Angeboten.
- Vernetzung trägt zu mehr Effektivität und Effizienz
bei.
- Vernetzung dient der Sicherung von Qualität.
- Vernetzung zielt auf Synergie. Von dem Zusammenwirken bisher
getrennt von einander agierender Akteure werden Synergieeffekte
erwartet.
Im Folgenden wird jedoch ein sozialwissenschaftlicher Netzwerkbegriff
verwandt, der Netzwerk nicht als eine "Organisations-Kategorie",
sondern als eine analytische Kategorie erfasst. Danach lässt
sich ein "soziales Netzwerk" als ein Geflecht sozialer
Beziehungen von Einheiten und Verknüpfung zwischen diesen
definieren. Clyde MITCHELL, ein Begründer der modernen
Netzwerkanalyse, bezeichnet es als ein "specific set
of linkages among a defined set of persons, with the additional
property that the characteristics of these linkages as a whole
may be used to interpret the social behaviour of the persons
involved" (MITCHELL 1969, 2).
In den letzten Jahren hat die Netzwerkanalyse eine "wissenschaftliche
Karriere" erfahren und übt einen disziplinübergreifenden
Reiz aus. Als interdisziplinärer Forschungsansatz erfährt
sie vor allem in den USA eine starke Verbreitung und hat eigene
Kommunikationsorgane entwickelt (siehe das 1978 gegründete
"International Network for Social Network Analysis"
www.sfu.ca/~insna/ 10-11-02).
Die Untersuchungsgegenstände der Netzwerkanalyse sind
vielfältig. So zielt eine betriebswirtschaftliche Netzwerkforschung
auf die Analyse von Unternehmens- und Produktionsnetzwerken;
die psychologische Netzwerkforschung untersucht soziale Netzwerke
vor allem hinsichtlich ihrer Unterstützungsfunktion bei
der Bewältigung von Krisen und Krankheiten und die politikfeldwissenschaftliche
Netzwerkforschung analysiert Politikfelder.
Verschiedene anthropologische und soziologische Forschungsstränge
tragen zur Netzwerkanalyse bei. Dabei lassen sich quantitativ-mathematische
und qualitativ ausgerichtete Analyseverfahren unterscheiden.
In der quantitativ verfahrenden Netzwerkforschung werden Netze
als empirische Systeme betrachtet und mittels mathematisch-statistischer
Analysen erfasst. Zentrale Analyseverfahren formaler Strukturen
sind hier Cliquen-, Cluster-, Blockmodell- und Pfadanalysen.
Die Netzwerkanalyse ist aber nicht nur ein "statistisches
Instrumentarium", sondern auch eine "Theorieperspektive"
(JANSEN 1999, S. 11). Es dürfte sich bei diesen rudimentären
Theorieansätzen eher um eine Reihe von Orientierungshypothesen
über das Handeln von Akteuren in sozial strukturierten
Zusammenhängen handeln. So verweist der amerikanische
Soziologe Mark GRANOVETTER (1985) in seiner Theorie der "Embeddedness"
darauf, wie Handeln in soziale Beziehungen eingebunden ist.
Um das zweckorientierte Handeln angemessen zu erfassen, gilt
es, die Einbindung der Akteure in die soziale Struktur zu
berücksichtigen. Direkte und indirekte soziale Beziehungen
eröffnen Möglichkeiten oder aber sie sind Behinderungen
für das zielgerichtete Handeln des Akteurs. Die Netzwerkanalyse
betrachtet das Verhalten Einzelner vor dem Hintergrund struktureller
Beziehungen. Unterscheidungen zwischen "starken"
und "schwachen" Beziehungen gehören ebenso
zu den netzwerktheoretischen Annahmen und Untersuchungsfeldern
wie die "Multiplexität" von Beziehungen und
das Entstehen von "sozialem Kapital".
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2. Strukturen der Vernetzung: Die Nordstadtstudie
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Jede Problemstellung hat ihre eigene
Genese. Den Ausgangspunkt vorliegend beschriebener Studie bildete
das Thema der Kooperation in der Weiterbildung. Je tiefer ich
nach den ersten explorativen Interviews in das Untersuchungsfeld
eintauchte, desto mehr wuchs der Zweifel darüber, wie fruchtbringend
die "klassische Diskussion" der Kooperation für
die Weiterbildungsforschung sei. Die bisherige Engführung
des Kooperationsbegriffs konnte nicht befriedigen. Vielmehr
galt es durch eine Verschiebung der Forschungsperspektive neue
Einblicke in die bisher noch nicht ausgeschöpfte Kooperationsproblematik
zu gewinnen. Dem politisch-normativ aufgeladenen Kooperationsbegriff
wurde ein analytisch-deskriptiver Netzwerkforschungsansatz gegenübergestellt.
Entsprechend wurde der Zugang nicht durch eine Rekonstruktion
der zumeist ordnungspolitisch geführten Kooperationsdebatte
gesucht, sondern durch die empirische Analyse faktischer Akteursbeziehungen.
Damit schien ein Ansatz gefunden worden zu sein, welcher der
als steril empfundenen Kooperationsforschung Impulse geben könnte.
Im Folgenden soll beispielhaft gezeigt werden, wie netzwerkanalytische
Konzepte als Bezugs- und Analyserahmen für Untersuchungen
zur Kooperation dienen können. Dabei wird auf meine Studie
zur lokalen Institutionenlandschaft der Weiterbildung (JÜTTE
2002) zurückgegriffen. Bei der untersuchten lokalen Weiterbildungslandschaft
handelt es sich um eine kreisfreie Stadt mittlerer Größe,
die in der Untersuchung mit dem Namen "Nordstadt"
belegt wird. Angenommen wird, dass das Ensemble interagierender
Akteure in ihrer Gesamtheit und ihren Wechselbeziehungen ein
lokal-regionales Funktionssystem bilden. Dies beinhaltet, dass
die dort Agierenden - wie in jedem System - auf Interaktion,
Kommunikation und Kooperation angewiesen sind. Dafür steht
der Begriff des "sozialen Netzwerks". Sozial wird
das Netzwerk genannt, weil es sich durch Beziehungen konstituiert.
Die Netzwerkanalyse ist ein strukturbeschreibender Ansatz. Die
leitende Fragestellung, unter der das institutionelle Netz analysiert
wird, lautet: In welcher Beziehung stehen die Akteure zueinander?
Dieses Vorgehen soll anhand zweier Beispiele, der Erhebung des
institutionellen Gesamtnetzes und der Analyse von Beziehungskonstellationen,
gezeigt werden.
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2.1
Gesamtnetzwerk |
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Bei einem Gesamtnetzwerk werden die spezifischen Beziehungen
von allen Akteuren eines genau bestimmten und abgegrenzten
Systems oder einer Population erfasst. Die Erhebung sozialer
Beziehungen ist insofern mit Schwierigkeiten behaftet, als
diese sich je nach Inhalten unterschiedlich definieren lassen.
Strukturen ergeben sich als ein " Netzwerk aus Netzwerken"
(JANSEN 1999, 20). Die vollständige Struktur der Akteursbeziehungen
in der Weiterbildung kann daher nur bedingt erfasst werden,
aber erhobene partielle Interaktionsstrukturen geben Hinweise
auf die lokale Ausprägung der Beziehungsnetze.
Die Erhebung des potenziellen Gesamtnetzwerks ist forschungsökonomisch
äußert aufwendig. Daher erfolgt die Rekonstruktion
lokaler Interaktionsstrukturen des Weiteren durch die Erhebung
von Teilnetzwerken. Sie müssen als begrenzte Wirklichkeitsausschnitte
aus dem komplexen Geschehen des Gesamtsystems betrachtet werden.
Dabei stellt sich immer die Frage nach den Abgrenzungsmöglichkeiten.
In der Nordstadtstudie werden konzeptionelle Unterscheidungen
zwischen Politik-, Themen- und Ereignisnetzwerken vorgenommen.
Bei ihnen handelt es sich jeweils um weitgehend eigenständige,
sich wenig überlappende Partialnetzwerke.
Genauer geht es bei der Analyse von Politiknetzwerken um die
Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und um die Initiierung
eines Weiterbildungsverbundes. Als thematische Netzwerke werden
Arbeitskreise zur Weiterbildung in den Blick genommen und
als ein Ereignisnetzwerk wird der sich zum Internationalen
Jahr der Senioren 1999 gegründete Arbeitskreis "Neue
Wege in der Seniorenarbeit" untersucht.
Hier soll jedoch die Erhebung des institutionellen Gesamtnetzes
betrachtet werden. In der standardisierten Befragung wurde
alle in die Untersuchung einbezogenen Akteuren ein fester
Akteurskranz vorgegeben, und sie wurden gebeten, Angaben zu
den drei Beschreibungsdimensionen
- Kommunikationskontakt (Wie häufig haben Sie Kontakt
mit dem Akteur X?),
- Bedeutung (Für wie bedeutsam halten Sie Akteur X?)
und
- Sympathie (Wie sympathisch finden sie den Akteur X?)
zu machen. Im Gegensatz zu der Abfrage nach Interaktion, Bedeutung
und Sympathie, in der den Befragten eine Liste mit der Auswahl
von 31 lokalen Akteuren vorlag, erfolgte im Fall der Kooperationsbeziehungen
eine freie Abfrage ("Mit wem arbeiten sie zusammen?")
mit der Möglichkeit, diese kurz inhaltlich zu definieren.
Der vorliegende Ansatz könnte als eine soziometrisch
verfahrende Analyse des Gesamtnetzes bezeichnet werden. Methodisch
weist er Ähnlichkeiten zu der in den 1940er Jahren von
Jacob MORENO entwickelten Soziometrie zur Erfassung sozialer
Beziehungen in Gruppen auf (vgl. MORENO 1996; DOLLASE 1973,
1995).
Die mathematisch-statistische Analyse des 31-Akteure-Netzwerkes
verlangt eine spezielle Datenorganisation. Die Notation des
Netzwerkes erfolgt in quadratischen Berührungsmatrizen.
In den Spalten sind die jeweiligen auskunftsgebenden Akteure
und in den Zeilen die bewerteten Akteure angegeben. Die Datenmatrix
bildet den Ausgangspunkt verschiedener netzwerkanalytischer
Operationen (vgl. zu den formalen netzwerkanalytischer Methoden
ausführlicher JÜTTE /MATIASKE 2002). Die Analyse
soziometrischer Netzwerkdaten erfordert in der Regel besondere
Softwareprogramme.
Die Netzwerkdichte zählt zu einer der meist gebräuchlichen
Maßzahlen für Netze. Die "Dichte" des
Gesamtnetzes wird erfasst, indem die Zahl der faktischen Verbindungen
in Bezug zu den potenziell möglichen Beziehungen gesetzt
wird. Die Zahl ist hierbei unter 1. Die Anzahl der möglichen
Akteursbeziehungen beträgt die Größe der Population
(n) multipliziert mit (n-1). Dies ergibt bei den hier einbezogenen
31 Akteuren 930 mögliche (spezifische) Beziehungen.
Die Dichte der Beziehungen sagt zunächst etwas über
die Verbundenheit und die Häufigkeit wechselseitiger
Kontakte zwischen den Akteuren aus. Sie gibt einen Hinweis
auf die Intensität der interorganisationalen Kommunikationsstruktur
und des Wissensaustausches zwischen den Akteuren als eine
wichtige Vorraussetzung für Kooperation. In dichtgeknüpften
Netzen haben Akteure direkte Kommunikation. Nun darf davon
ausgegangen werden, dass eine hohe Beziehungsdichte für
Kooperation spricht. Je mehr Akteure in einer Region miteinander
in Kontakt stehen, desto höher ist die Gelegenheit zur
Kooperation. Die Dichte eines Netzwerkes gilt auch als ein
Maßstab für die Verbreitung von Innovation (vgl.
JANSEN 1999, 88). Wenn wir nun den Grad der Verbundenheit
der verschiedenen Akteursverflechtungen betrachten, dann ergibt
sich folgendes Bild:
Tabelle 1: Matrix der Dichte
Während der Umfang der Kooperation eher gering ist,
ist das Beziehungsniveau weitaus höher. Die Dichte des
Netzes der Arbeitskreise (0,452) ist höher als die der
Kooperation (01,67), ohne den Weiterbildungsverbund (0,157)
fällt sie dahinter zurück. Dies unterstreicht die
beziehungsstiftende Funktion des Verbundes für die lokale
Weiterbildung.
Neben den absoluten Kooperations- und Interaktionshäufigkeiten,
wie sie durch das Dichtemaß erfasst werden, geht es
auch um deren Verteilung. So lassen sich interaktionsintensive
und interaktionsarme Akteure unterscheiden. In Tabelle 2 sind
die degree-basierten Zentralitätsmaße der einzelnen
Akteure in den verschiedenen Netzen angegeben.
In der Tabelle ist ebenfalls die Rangfolge der Akteure (in
einer Art Ranking) der unterschiedlichen Daten-Matrizen zusammengestellt.
Wer die meisten Beziehungen zu anderen hat, nimmt den ersten
Rang ein. Dabei wird die bereits aufgrund der Korrelationen
gewonnene Annahme bestätigt, dass es einen Zusammenhang
zwischen den unterschiedlichen Datenmatrizen gibt. So weist
beispielsweise der Akteur 01 in den verschiedenen Netzen eine
ähnliche Rangordnung zwischen Rang 5 und 9 auf. Betrachtet
man einzelne Akteure, so differenziert sich das Bild weiter.
Bei den Akteuren mit öffentlichem Interesse (01 bis 06)
gibt es keine hohen Abweichungen zwischen den Merkmalen der
Interaktion, Bedeutung und Sympathie. Hinsichtlich des letzten
Merkmals fällt lediglich der Akteur 05 heraus (Rang 17
in der Sympathie). Bei dem Institutionenblock der Akteure
mit partikularen Interessen (P1 bis P13) fällt die Rangfolge
unterschiedlicher aus. Einige der Akteure in den Arbeitskreisen
(P2, P5) schneiden bei der Sympathie deutlich besser ab als
bei der Interaktion und Bedeutung. Auch wird einigen Partikularen
eine weit höhere Sympathie zuteil, als sich dies aufgrund
ihrer Kontakte vermuten ließe. So wird z. B. der Einrichtung
P8 (Familienbildungsstätte) hohe Sympathie (Rang 6) zuteil,
wobei sie eher mittelmäßige Bedeutung (Rang 15)
zugewiesen bekommt und die Interaktionen mit ihr gering ausfallen
(Rang 23). Bei dem Block der Akteure mit erwerbswirtschaftlichen
Interessen (E1 bis E8) weisen einige Einrichtungen wiederum
eine weit geringere Sympathie auf, als dies aufgrund der Interaktion
geschlossen werden könnte. Die Sympathie der Akteure
mit organisationsinternen Interessen (I1 bis I4) liegt weit
höher als deren Interaktion; in den Arbeitskreisen der
Weiterbildung spielen sie kaum eine Rolle.
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2.2
Beziehungskonstellationen |
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Die "Institutionenlandschaft" ist nicht die Summe
individueller Akteure, sondern sie entsteht erst durch die
spezifischen Relationen zwischen ihnen (vgl. JANSEN 1999,
16). Nachdem in einem ersten Schritt die lokalen Beziehungsstrukturen
erhoben wurden, ging es im Weiteren darum, stärker die
soziale Morphologie von Beziehungsgeflechten und Organisationsformen
der Weiterbildung zu erhellen. Das Entdecken vernetzter Strukturen
lediglich in dem Sinne, dass "alles irgendwie mit allem
zusammenhängt", ist nicht erklärungsmächtig.
Vielmehr gilt es, die Institutionenlandschaft strukturell
in Teilsysteme und Konfigurationen zu differenzieren. Eine
Beziehungsanalyse des vielfältigen Zusammenspiels erfasst
die Stellung der Akteure zueinander und die entstehenden soziometrischen
Muster. Die Auflösung lokaler Interaktionsbeziehungen
in Akteurskonstellationen und strukturelle Figurationen ist
deswegen erforderlich, weil Kooperation und Konkurrenz keine
durchgängigen Konstanten von Weiterbildungsakteuren bilden.
Vielmehr sind diese Verhaltensmerkmale kontext- und situationsspezifisch.
Im Folgenden werden die Beziehungen zwischen Einrichtungen
mit dem Ziel der Qualifizierung und Beschäftigung in
den zweiten Arbeitsmarkt näher betrachtet. Es handelt
sich dabei um Akteure mit ähnlichen Umweltbedingungen.
Die Matrixanalysen ergeben das folgende unspektakuläre
Bild.
Sämtliche Einrichtungen mit dem Ziel der Qualifizierung
und Beschäftigung im zweiten Arbeitsmarkt sind untereinander
relativ stark miteinander verbunden und haben häufig
bzw. sehr häufig Kontakt. Auch äußern die
Akteure überwiegend eine Sympathie füreinander.
Der Vergleich der Bewertung beteiligter Akteure untereinander
mit dem Gesamtnetz unterstreicht, dass es sich um eine verdichtete
Teilgruppe, die eine stärkere Geschlossenheit aufweist,
handelt. Dennoch unterscheiden sich die Einrichtungen nachhaltig.
Neben den drei "freien" Trägern zählt
dazu auch die kommunale Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
als öffentlicher Träger. Das Verhältnis zwischen
freien und öffentlichen Trägern ist strukturell
problematisch: Während der kommunale Träger finanziell
abgesichert ist und über Macht verfügt, befinden
sich die freien Beschäftigungs- und Qualifizierungsträger
in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm.
Schauen wir uns zunächst die gemeinsame Beziehungs-Geschichte
der beteiligten Akteure an. Denn die umfangreichen Koordinationsaufgaben,
die die kommunale Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
zu erfüllen hat, sind historisch abzuleiten. Nachdem
die Kommune Nordstadt die Notwendigkeit erkannte, auf kommunaler
Ebene verstärkt Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit
zu entwickeln, wurde Anfang der 1990er Jahre die kommunale
Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft ("BeQua")
gegründet. Ihr wurde die koordinierende Funktion zugewiesen,
die zahlreichen (ABM-)Maßnahmen des Arbeitsamts, der
Stadt und die der "freien Träger" auf lokaler
Ebene besser abzustimmen. Aus Sicht der vorhandenen "freien
Träger" führte dieser Schritt zu neuen Abhängigkeiten
bei der Finanzierung von kombinierten Beschäftigungs-
und Qualifizierungsmaßnahmen.
Im Folgenden wird das Beziehungsgefüge der Einrichtungen
des zweiten Arbeitsmarktes aus der Perspektive einer relationalen
Machttheorie betrachtet (vgl. dazu COOK/EMERSON 1978; MATIASKE/GRETZINGER
2000). Danach ist die Abhängigkeit eines Akteurs b von
einem Akteur a umso größer, je wichtiger die von
a kontrollierten Ressourcen sind und je schwieriger sie für
b außerhalb der Beziehungen zu a zu erlangen sind (vgl.
MATIASKE/ GRETZINGER 2000, 57).
Macht und Abhängigkeit zwischen den freien Trägern
und der kommunalen "BeQua" zeigt sich neben der
Finanzierung auch in der "Zuteilung" von Teilnehmern.
Insbesondere die Teilnehmerzuweisung macht die "Gatekeeper-Funktion"
der kommunalen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft
für die Bildungsträger deutlich. Dies lässt
sich in einer strukturellen Figuration darstellen:
Abb. 1: Gatekeeper als Zugangskontrolleur
Der Gatekeeper (a) hält die Verbindungen zu den Ressourcengebern
und zur politischen Umwelt (c) und kontrolliert die Verteilungen
zu den Maßabnahmeträgern (b). Damit hat a einen
exklusiven Zugang zu Ressourcen und zu Informationen. Herr
Pirschle, ein Leiter einer Einrichtung b, schildert, welche
Kontrolle über die Ressourcenzufuhr die Einrichtung a
hat. Sie kontrolliert sowohl die Finanzmittel als auch die
Teilnehmer. Seine Formulierung "austrocknen" verweist
auf die Kontrolle des Zuflusses, die wie durch einen Trichter
oder ein Nadelöhr läuft:
" Einmal, dass sie zuständig sind für die Teilnehmerzuweisung
für uns, d. h. da sitzt bei der BeQua eine Sachbearbeiterin,
die so eine Vorauswahl trifft von allen Leuten, die sie vom
Sozialamt bekommt. Die also potenziell Mitarbeiter hier bei
uns sein könnten, hier bei uns oder in anderen Einrichtungen.
Da macht sie, wie so ein Filter im Grunde, so eine Vorsortierung
und guckt, wer ist geeignet für unseren Arbeitsbereich
und wer für andere Arbeitsbereiche, d. h. sie kennt uns
sehr genau, auch schon über einige Jahre, aber kennt
eben auch andere Bereiche, wo auch diese Zuweisung über
die BeQua läuft und da ist es eine Schiene der Zusammenarbeit,
wo wir auch drauf angewiesen sind. Also wenn die uns nicht
gut gesonnen sind, dann können sie uns auch austrocknen."
In der maßnahmebezogenen Weiterbildung spielt die Auswahl
der "richtigen" Teilnehmer eine wichtige Rolle für
das Gelingen der Arbeit. Die inhaltliche Vorauswahl soll zu
einer besseren Passung zwischen Teilnehmern und Maßnahme
führen. Teilnehmer werden von den Akteuren nach ihren
Wiedereingliederungschancen beurteilt, da das Vermittlungsrisiko
eine Rolle für die Finanzzuweisung spielt. Danach gibt
es Teilnehmer mit höherem und geringerem Vermittlungsrisiko.
Die "Siebung" bzw. das "Ausfiltern" "passender"
Teilnehmer von machtvollen Akteuren wird als "unfair"
verstanden. Frau Paelsen beklagt, dass die BeQua sich die
"guten Leute" ausfiltert, bevor sie den Rest auf
die anderen Träger verteilt. Hier werden "Creaming-Strategien"
geschildert, d. h. das Ausfiltern von Teilnehmern, die die
besten Eingliederungschancen haben: "Aber der pickt sich
natürlich die Rosinen raus" (Frau Paelsen). Dazu
zählt sie z. B. Migranten, die eine Kochlehre haben:
"Wenn aber nun ein ganz toller, fetter drunter ist, ein
Koch oder so was, hätte ich ja auch mal gerne, muss ich
ja sagen, dann wird der in ein BeQua-Projekt gesteckt irgendwo.
Den kriegen wir gar nicht zu fassen."
Dies führt in der Konsequenz dazu, dass die schwierigen
"Fälle" mit einem hohen Betreuungsaufwand übrig
bleiben, deren Eingliederungschancen weniger aussichtsreich
sind.
Für die Bildungsträger (b) gibt es formale Dienstwege,
die sie einhalten müssen. Wenn Frau Paelsen direkt beim
Sozialamt (c) anruft und die koordinierende Stelle (a) übergeht,
bekommt sie "einen auf den Deckel" (Frau Paelsen).
Damit wird sehr anschaulich die Machtbalance ausgedrückt.
Den Bildungsträgern (b) bleiben aufgrund der formalen
Vorgaben bei der Initiierung und Implementation von kombinierten
Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kaum
alternative Ressourcenwege als über a. Ihnen bleibt höchstens
noch der Weg der kommunikativen Vernetzung untereinander (b1-
b3) als Weg der Koalitionsbildung, um bei c stärker Gehör
zu finden, oder die intensive Pflege der bilateralen Tauschbeziehungen
a- b. Entweder kann b für a interessante Tauschgüter
bereitstellen oder man sorgt auf informellem Wege zu a und
sogar zu c dafür, dass die Austauschbeziehungen optimiert
werden. Ungeachtet des Machtvorteils von a ist dieser Akteur
auf das enge Zusammenwirken mit b1- b3 angewiesen, da nur
durch gemeinsame Anstrengungen die von c geforderte Leistungserstellung
auf kommunaler Ebene erbracht werden kann.
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3.
Beitrag zur Weiterbildungsforschung |
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Abschließend soll die explanative Leistung der Netzwerkanalyse
für die Weiterbildung gewürdigt werden.
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3.1 Netzwerkanalyse als sensibilisierendes Konzept für
lebensweltliche Institutionalisierungsprozesse |
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Zu der von FLECHSIG (1989, 3) geforderten "Entwicklung
von Denkwerkzeugen', die geeignet wären, den veränderten
Wirklichkeiten im Weiterbildungsbereich entsprechende Orientierungen
zu vermitteln", kann die Netzwerkanalyse einen Beitrag
leisten. Sie dient als ein konzeptioneller Bezugsrahmen für
die Beschreibung und Analyse von Interorganisationsbeziehungen
in der Weiterbildung. Als ein sensibilisierendes Konzept kann
sie strukturelle Zusammenhänge und Interdependenzen aufdecken.
Neben den Organisations- und Kooperationsstrukturen von Netzwerken
gibt es noch die tieferliegende Realität von informell
vernetzten Interaktionen der Weiterbildungsakteure. SCHÄFFTER
(2001, 3) hat diese dichten informalen Netze als "latente
soziale Netzwerke [als] Ausdruck von lebensweltlichen Institutionalisierungsprozessen
mit langfristiger Strukturierungswirkung" bezeichnet.
Entsprechend gilt es "wahrnehmungsfähig zu werden
für die bereits vorhandenen latenten Vernetzungen, um
sie als Wert anzuerkennen, sie für ein bestimmtes Vorhaben
zu aktivieren und um die strukturelle Vernetzung als Qualitätskriterium
für WB-Organisation berücksichtigen zu können"
(SCHÄFFTER 2001, 1).
Netzwerkanalysen bieten die Voraussetzungen, um sich des Beziehungspotenzials
zu vergewissern. Zugleich bieten sie zahlreiche Anknüpfungspunkte
für kooperative Netzwerke an. Bei der Gestaltung formaler
Kooperationsformen stellt sich die Frage des bewussten Anknüpfens
an bereits vorhandene Beziehungsnetze und Sozialstrukturen.
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3.2 Vermittlung von Handlungs- und Strukturperspektive |
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In Forschungsarbeiten zur Kooperation in der Weiterbildung
werden üblicherweise strukturelle und personale Erklärungsmuster
nebeneinander angeführt. Häufig wird mit dem Argument,
dass Kooperation von der Person abhänge, das Spannungsverhältnis
einseitig aufgelöst. Durch die Analyse relationaler Beziehungen
wird Kooperation weder nur als das Ergebnis individuellen
Handelns angesehen noch ausschließlich auf strukturelle
Rahmenbedingungen zurückgeführt. Durch die netzwerkanalytische
Betrachtung wird die soziale und strukturelle Bedingtheit
kooperativen Handelns von Weiterbildungsakteuren sichtbar.
Die Handlungsoptionen werden durch strukturelle Kontexte mitbeeinflusst
und die eigenen kompetitiven und kooperativen Kommunikationsstile
durch Strukturen überformt. In dieser Verbindung und
besonderen Akzentuierung von akteurs- und systembezogener
Dimension liegt der Reiz und die Leistung der qualitativen
Netzwerkanalyse.
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Literatur |
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equity, and commitment in exchange networks. In: American Sociological
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Weiterbildung. In: Grundlagen der Weiterbildung - Praxishilfen.
5.10. Neuwied.
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DOLLASE, R. (1995): Soziometrie. In: H. HAFT/H. KORDES (Hrsg.):
Methoden der Erziehungs- und Bildungsforschung. (Enzyklopädie
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The Problem of "Embeddedness". In: American Journal
of Sociology, H. 3, 481-510.
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Neuordnung der Gesellschaft. Unveränderter Nachdruck der
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of Sociometry, Group Psychotherapy and Sociodrama, New York,
1953]
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Dokumentation der KBE-Fachtagung "Vernetzung auf allen
Ebenen" vom 10./11.05.2001. Online-Dokument: http://www.treffpunktlernen.de/objects/KFT_Lernende_Organisation.pdf
(10-11-02)
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In: Wirtschaftswissenschaftliches Studium 2000, H. 12, 703-706.
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