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RITA MEYER (Universität der Bundeswehr Hamburg)
Regionalisierung, Marktorientierung und Netzwerkbildung
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Kritische Annäherungen im Kontext der Diskussion um regionale
Berufsbildungszentre
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Inhalt:
1 Deregulierung der öffentlich geförderten Weiterbildung
2 Regulierung der Weiterbildung im IT-Sektor
3 Regionalisierung in der beruflichen Erstausbildung
4 Strukturveränderungen und sozialer Gestaltungsbedarf
5 Regionalisierung durch Netzwerkbildung
6 Marktausrichtung in der Berufsbildung
7 Berufsbildungsnetzwerke und Marktzwang
Im Folgenden werden beispielhaft aktuelle Entwicklungen, die sich
zur Zeit im Bereich der beruflichen Bildung vollziehen, präsentiert
und unter dem Aspekt der sukzessiven Rücknahme staatlicher
Verantwortung thematisiert: auf der bundespolitischen Regelungsebene
werden die scheinbar widersprüchlichen Entwicklungen der Deregulierung
im Bereich der öffentlich geförderten Weiterbildung und
der Regulierung im IT-Sektor dargestellt. Regionalisierung als Steuerungsform
in der Berufsbildung wird anschließend daran mit dem Trend
zur Bildung Regionaler Berufsbildungszentren exemplarisch thematisiert.
Dabei wird insbesondere die zunehmende marktförmige Steuerung
von Bildungsprozessen, die in allen drei Beispielen gleichermaßen
zu konstatieren ist, kritisch in den Blick genommen. Dies erfolgt
auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Forderung nach netzwerkförmiger
Kooperation in der Beruflichen Bildung, deren Grundprinzipien jedoch
zu einer Marktorientierung zum Teil im Widerspruch stehen.
1 Deregulierung der öffentlich geförderten Weiterbildung
Trotz des ohnehin schon geringen gesetzlichen Institutionalisierungsgrades
sind in der öffentlich geförderten Weiterbildung weitere
Deregulierungstendenzen zu verzeichnen, die sich vor allem auf Veränderungen
in der Finanzierungsstruktur bisher arbeitsamtsgeförderter
Maßnahmen beziehen. Auf der Ebene der bundespolitischen Regelung
lassen sich Veränderungen am deutlichsten in der Folge der
Umsetzung der Hartz-Reform beobachten. Die öffentlich geförderte
Weiterbildungslandschaft sah sich schon seit einiger Zeit Kritik
ausgesetzt: bemängelt wurde, dass sie zu teuer sei und aufgrund
einer mangelnden Ausrichtung an den Bedarfen des Marktes ineffizient,
zudem sei Sie praxisfremd, wenig betriebsbezogen und die Weiterbildungsmaßnahmen
würden eher die Interessen etablierter Träger bedienen
als die des Arbeitsmarktes (vgl. PASSENS 2002; WEGGE 1996, 85f.)
Ausgehend von dieser Kritik spielt die geförderte Weiterbildung
in den neuen Dienstleistungsgesetzen nur noch eine untergeordnete
Rolle. Es ist dagegen ein Paradigmenwechsel zu verzeichnen, der
unabhängig von qualifikatorischen Aspekten nun die Vermittlung
bzw. das Heranführen an den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt
stellt. In diesem Zusammenhang werden zum einen Zeitarbeitsfirmen
eingesetzt und zum anderen wird die Attraktivität von Minijobs
und der Übergang in die Selbständigkeit gefördert.
Auch durch das Senken von Zumutbarkeitsschwellen und den Zwang zur
Arbeitsaufnahme sollen Arbeitslose möglichst schnell wieder
dem Arbeitsmarkt zugeführt werden.
Von den Folgen der "Gesetze für moderne Dienstleistungen",
die ursprünglich als Instrument der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik
gedacht waren, sind nun vor allem die Bildungsträger betroffen:
durch die Einführung von Bildungsgutscheinen soll die Position
der Bildungsnachfragenden gestärkt und der Wettbewerb unter
den Trägern gefördert werden. Die Weiterbildungsträger
sollen erfolgsbezogen, gemessen am Vermittlungserfolg, honoriert
werden, wobei eine Maßnahme nur dann durchgeführt wird,
wenn auch eine Vermittlungsquote von 70% garantiert wird. Nach Einschätzungen
der Bundesanstalt für Arbeit ermöglicht dieses Vorgehen
eine "Marktbereinigung" um ca. ein Drittel der bisherigen
Weiterbildungsträger (vgl. PASSENS 2002). Die hier nur angedeuteten
Instrumente sollen die Orientierung von Qualifizierungsmaßnahmen
an betrieblichen Bedarfen sicherstellen, Defizite des einzelnen
Bildungsteilnehmers passgenauer beseitigen und so die Kosten für
öffentlich geförderte berufliche Weiterbildung erheblich
senken.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass es entgegen dieser nun
faktisch vollzogenen Deregulierung schon seit den 1970er Jahren
Bestrebungen gibt, die o.a. Defizite im Bereich der Weiterbildung
durch eine stärkere staatliche Regulierung in den Griff zu
bekommen. Im Rahmen der Diskussion um die Realisierung eines Weiterbildungsgesetzes
konstatierten Vertreter der Gewerkschaften Regelungsbedarf für
die folgenden Bereiche, die auf der Bundesebene zur Regelung anstünden
und durch berufsbildungspolitische Maßnahmen flankiert werden
müssten: der Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen, die Durchlässigkeit
und Gestaltung der Bildungsübergänge, die Qualitätssicherung,
die Formulierung von Anforderungen an Institutionen und Personal,
die Zertifizierung, Lernzeitansprüche, die Finanzierung sowie
Statistik und Forschung (vgl. BAYER 2000, 802). Da diese Forderungen
im Rahmen einer gesetzlichen Verankerung der Weiterbildung bisher
nicht umgesetzt werden konnten, steht nun zu befürchten, dass
der im Rahmen der angestrebten Marktregulierung zu verzeichnende
"neoliberale Mainstream" die Defizite der Weiterbildung
eher verstärken wird (vgl. BAYER 2002). Die Thematisierung
der Konsequenzen, die sich aus diesen Entwicklungen insbesondere
durch die Orientierung am Konzept der "employability"
ergeben, findet zunehmend auch Eingang in den (berufs-)bildungstheoretischen
und -politischen Diskurs (vgl. BOSCH 2002; FRANZPÖTTER 2003;
FAULSTICH 2003; LUTZ 2003).
Den beschriebenen Tendenzen zur Deregulierung in der öffentlich
geförderten Weiterbildung, die vor allem hinsichtlich der formalen
Organisation und der Finanzierung der Maßnahmen als Rückzug
des Staates auch aus dem Bereich der Berufsbildung gewertet werden
können, stehen für den Bereich des IT-Sektors Regulierungstendenzen
gegenüber. In diesem Rahmen konnten auch einige Aspekte der
o.a. gewerkschaftlichen Forderungen umgesetzt werden.
2 Regulierung der Weiterbildung im IT-Sektor
Im Frühjahr des Jahres 2002 hat die Bundesregierung eine "Verordnung
über die berufliche Fortbildung im Bereich der Informations-
und Telekommunikationstechnik" (IT-Fortbildungsverordnung)
erlassen, die in ein komplexes System zur Weiterbildung in der IT-Branche
eingebettet ist. Auf verschiedenen Qualifikationsebenen sind in
sechs Fortbildungsverordnungen und einer zusätzlichen Vereinbarung
über "Spezialisten-Profile" insgesamt 35 Abschlüsse
entwickelt worden, um der bis dahin herrschenden Unübersichtlichkeit
der Weiterbildungslandschaft im IT-Bereich entgegenzuwirken. Für
sechs Berufe der beiden obersten Qualifikationsebenen - zwei Berufsprofile
mit Qualifikation für Leitungsfunktionen auf der Ebene von
Strategischen Professionals und vier Berufe mit Qualifikation für
mittlere Fach- und Führungskräfte auf der Ebene von Operativen
Professionals - bestehen Rechtsverordnungen des Bundes, auf deren
Grundlage ein Nachweis der beruflichen Qualifikation durch die Prüfung
an einer Industrie- und Handelskammer erbracht werden muss (nach
§ 46 BBiG). Die erste Ebene des Weiterbildungssystems mit den
29 Spezialistenprofilen ist dagegen eher "ungeregelt"
und eine öffentlich-rechtliche Prüfung ist nicht vorgesehen.
Diese werden stattdessen in einem privatrechtlich organisierten
Verfahren zertifiziert. Zielgruppen des IT-Weiterbildungssystems
sind die Absolventen der vier IT-Ausbildungsberufe ebenso wie Seiten-
und Wiedereinsteiger ohne formale Qualifizierung. Eine Leistungsbewertung
über das international anerkannte Credit-Point-System und die
Vergabe von Bachelor- und Masterabschlüssen soll eine Vergleichbarkeit
über die Bundesgrenzen hinweg einerseits und die Durchlässigkeit
zwischen Beruf und Studium andererseits garantieren.
Besonders hervorzuheben ist, dass mit dem Konzept der "Arbeitsprozessorientierten
Weiterbildung" (APO) auch ein didaktisch-curriculares Modell
zur Umsetzung der konkreten Qualifizierungsmaßnahmen in den
Betrieben empfohlen wird. Selbstbestimmtes und projektorientiertes
Lernen am Arbeitsplatz bildet den Kern dieses Konzeptes, das vom
Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik (ISST)
im Auftrag des BMBF entwickelt wurde. In dieser didaktisch-curricularen
Umsetzung arbeitsbezogener Lernformen geht es unter anderem darum,
eine Verknüpfung von formellen und informellen Lernprozessen
herzustellen. Im Rahmen des APO-Konzeptes erfolgt zunächst
eine exemplarische Herauslösung berufstypischer Referenzprozesse
aus dem Arbeitsprozess. Die Qualifizierung wird dann an realen betrieblichen
individuell ausgesuchten Projekten im Arbeitsprozess und am Kundenauftrag
durchgeführt. Der Lernprozess soll von den Lernenden weitgehend
selbstständig organisiert und mit inhaltlicher und methodischer
Unterstützung von Fachberatern und Prozesscoaches durchgeführt,
reflektiert und dokumentiert werden (vgl. ROHS 2002). Die Dokumentation
und die Reflexion des Lernprozesses bilden zugleich die Grundlage
für die spätere Zertifizierung.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich bei diesem System
um die bisher weitestgehende Regulierung im Weiterbildungssektor
handelt. Auf der einen Seite legt dies den Schluss nahe, dass der
Staat hier seine politische und finanzielle Verantwortung gegenüber
der bisher subsidiären Steuerung erhöht hat. Auf der anderen
Seite ist jedoch zu konstatieren, dass faktisch der staatliche Einfluss
und die Kontrollfunktionen eher gering sind, da die Ebene des mittleren
Qualifikationsniveaus, d.h. die Spezialistenprofile, zwar berufsförmig
aber eben nicht nach dem Berufsbildungsgesetz geregelt wurden und
damit in hohem Maß der Marktsteuerung überlassen werden
(vgl. MEYER 2003).
Die Vorbereitung auf die Zertifizierung wird zwar zur Zeit noch
durch öffentliche Fördergelder finanzielle unterstützt,
eine inhaltlich Kontrollfunktion kommt dem Staat in hier nicht mehr
zu. Zudem ist zur Zeit mit der Neugründung von Zertifizierungsgesellschaften
das Entstehen eines neuen Marktes zu verzeichnen. Aber auch im alten
Markt der Bildungsträger, die bisher im Bereich der IT-Qualifizierung
aktiv waren, sind durch diese Maßnahmen deutliche Veränderungen
zu erwarten. Dies gilt insbesondere, da im Zuge der konsequenten
Arbeitsprozessorientierung von den IT-Bildungsträgern eine
didaktische und methodische Neuorientierung gefordert ist. Insofern
kann die Einführung des IT-Weiterbildungssystems - zumindest
bezogen auf die Ebene der Spezialistenprofile, wie auch die Maßnahmen
im Zuge der Hartz-Reform, als weiterer Indikator für eine zunehmend
marktförmige Organisation im Bereich der Berufsbildung gelten.
3 Regionalisierung in der beruflichen Erstausbildung
Dass der Staat sich auch im Bereich der beruflichen Erstausbildung
zum Teil aus der inhaltlichen sowie der direkten Organisations-
und Finanzierungsverantwortung zunehmend zurückzieht, kann
insbesondere an der zunehmenden Tendenz der Bildung von Berufsbildungszentren
bzw. regionaler Kompetenzzentren gezeigt werden (Ich
danke unseren studentischen Hilfskräften Christian Albrecht
und Guido Neumann, die mich bei den Recherchen zu diesem Teil unterstützt
haben.).
SPÖTTL (2003) führt die drei bundesweit wichtigsten aktuellen
Entwicklungsmodelle zur Kooperation von Berufsschulen auf, die sich
in diesem Rahmen beobachten lassen:
· Regionale Ausrichtung - Verstärkte Vernetzung mit
anderen beruflichen Schulen, Bildungsträgern und Unternehmen
innerhalb einer Region,
· Sektorale Ausrichtung - Kompetenzzentren konzentrieren
sich auf wirtschaftlich bedeutende Sektoren und Branchen in einer
Region oder in einem Bundesland und verstärken die Vernetzung
mit diesem,
· Kompetenz im Zentrum der Ausrichtung - über ein
von innen heraus gestalteten Profil Suche nach Partnern in und
über die eigene Region hinaus, um Dienstleistungen erfolgreich
anzubieten.
Ziel dieser Vernetzungen und Kooperationsbeziehungen ist vor allem
die Nutzung von Synergieeffekten im Sinne der Bindung organisationaler
Fähigkeiten. Dabei geht es z.B. darum, eine bessere Auslastung
von Räumlichkeiten wie Labors u.ä. gewährleisten
und doppelte Anschaffungen zu vermeiden. Es ist darüber hinaus
auch geplant, die Angebotspalette von Berufsschulen zu erweitern
und dort z.B. auch Weiterbildungsmaßnahmen durchführen
zu lassen (vgl. BÜCHTER 2000). In diesem Rahmen wird von allen
beteiligten Akteuren - sowohl Personen als auch Institutionen -
ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft gefordert. Um die
Synergieeffekte zwischen den einzelnen Institutionen nutzbar machen
zu können, ist es wichtig, dass sie ihre jeweiligen Kompetenzen
offen legen und transparent gestalten. Kooperationen müssen
regelmäßig und nachhaltig initiiert werden um eine gezielte
Bedarfsermittlung und die Reaktion mit marktgerechten Angeboten
zu ermöglichen.
In der Diskussion zur Umstrukturierung der berufsbildenden Schulen
reicht die Argumentation vom Erhalt der bisherigen Berufsschule
über eine Mischform zwischen staatlicher Organisation und hoher
Selbständigkeit bis hin zu einer vollständigen Privatisierung
der beruflichen Schulen. Die Rolle des Staates und das Ausmaß
seiner Steuerungsaktivitäten wird ambivalent diskutiert: gefordert
wird auf der einen Seite, dass die Schulen ein hohes Maß an
Autonomie erhalten sollen und ein Paradigmenwechsel von der zentral
gesteuerten staatlichen zur dezentralen Einrichtung vollzogen wird.
Dies gilt in personeller, materieller, curricularer und budgetärer
Hinsicht. Andererseits wird vertreten, dass der Grad der Privatisierung
nicht so weit gehen darf, dass der Staat gänzlich seines Einflusses
enthoben werde. Der Staat solle zwar die bisher existierende Regelungsdichte
zurücknehmen, jedoch ohne dass der staatliche Bildungsauftrag
gefährdet sei das berufliche Schulwesen sich selbst zu überlassen
werde (SPÖTTL 2003, 123). Hier deutet sich ein Spannungsfeld
zwischen Deregulierung und Regulierung an, in dem sich die Gestaltung
beruflicher Bildung zukünftig vollziehen muss, ohne dabei die
Interessen und Bedürfnisse der Lernenden außer Acht zu
lassen.
Als ein Beispiel für Privatisierungstendenzen im Bildungsbereich,
von denen insbesondere das berufliche Schulwesen betroffen ist,
kann die Hansestadt Hamburg gelten: hier wird schon seit 1994 ein
"Neues Steuerungsmodell" praktiziert, das eine neue organisatorische
Struktur des Lernens zur Folge hat. In diesem Rahmen wurden Managementkonzepte
auf den Staat übertragen, es wurden Maßnahmen der Organisationsentwicklung
und des Personalmanagements an Schulen eingeführt. Dazu gehört
auch die Budgetierung der Schulen, wobei insbesondere an Berufsschulen
bereits seit 1997 eine "erweiterte Selbstbewirtschaftung"
vollzogen wird (vgl. BETHGE 2002). Zur Zeit liegen in Hamburg Pläne
für eine umfassende Neuordnung der schulischen Berufsbildung
vor. Im Rahmen eines Modells "Stiftung Berufliche Schulen Hamburg"
sollen die 48 Hamburger Berufsschulen in branchenspezifische Bildungszentren
mit bis zu 4.000 Schülern und 150 Lehrern zusammengefasst werden.
Folgende Ziele sollen mit dieser Maßnahme verfolgt werden:
· die Schaffung von neuen Ausbildungsplätzen,
· die Optimierung der Qualifizierung der Auszubildenden
für den Arbeitsmarkt zur Sicherung einer dauerhaften Beschäftigung,
· die Sicherstellung einer verbesserten Kundenorientierung
der schulischen Berufsbildung,
· die Optimierung der Bildungsgänge der schulischen
Berufsbildung,
· die Erhöhung der Verantwortung der Wirtschaft durch
Mitspracherechte bei der schulischen Berufsbildung,
· eine Konzentration des Staates auf ministerielle, staatliche
und strategische Aufgaben,
· die Förderung der Bereitschaft zu Lebenslangem Lernen,
· die Förderung überfachlicher Handlungskompetenzen
junger Menschen,
· die Optimierung der Organisationsformen in der schulischen
Berufsbildung,
· der wirtschaftliche Einsatz der schulischen Ressourcen
(vgl. BEHÖRDE FÜR BILDUNG UND SPORT 2003).
Ob diese Ziele mit den angestrebten Maßnahmen tatsächlich
erreicht werden können, kann allerdings bezweifelt werden.
Vor dem Hintergrund dieser Pläne hat sich in Hamburg ein "Bündnis
zur Berufsbildung" gegründet mit der Absicht, eine Volksinitiative
in den Hamburger Senat einzubringen, um die Einführung des
o.g. Modells zu verhindern. Dabei werden folgende Kritikpunkte formuliert:
Der Senat habe die Entscheidung zur Privatisierung gegen den Willen
der betroffenen Akteure getroffen und die Pläne für das
Modell seien hauptsächlich an Vorgaben der Kammern und damit
der Arbeitgeberinteressen orientiert. Daraus leitet das Bündnis
für Berufsbildung ab, dass nur noch "einseitige und marktgerechte"
Inhalte vermittelt würden und "Bildung zur Ware"
degradiert werde, wobei die Kosten weiterhin durch den Steuerzahler
getragen würden. Es stehe darüber hinaus zu befürchten,
dass die Einführung des Modells in Hamburg ein Präzedenzfall
für die vollständige Privatisierung des Bildungssystems
sein könne (vgl. www.bildung-ist-keine-ware.de ).
Bezogen auf die Veränderungen im berufliche Schulwesen kann
festgestellt werden, dass die Beantwortung der Frage, ob sich der
Staat mit der Zusammenfassung und Privatisierung von Berufsschulen
seiner Verantwortung entzieht, letztlich von dem jeweiligen Grad
der angestrebten Privatisierung abhängt. Insgesamt sind deutliche
Tendenzen zu verzeichnen, die den Staat sukzessive aus seiner politischen
und finanziellen Verantwortung entlassen. Begründet werden
die entsprechenden Deregulierungsmaßnahmen damit, dass die
staatlichen Steuerungsmechanismen eine Anpassung an aktuelle wirtschaftliche
und gesellschaftliche Entwicklungen durch die geringe Flexibilität
einer langsamen Bürokratie nicht zulassen.
Zusammenfassend kann für alle drei Entwicklungen, die hier
skizziert wurden, festgestellt werden, dass es im Zuge der tendenziellen
Rücknahme staatlicher Steuerung zunehmend zu einer marktförmigen
Ausrichtung in der Berufsbildung kommt. Die Art der Steuerungsrücknahme
ist dabei, wie gezeigt wurde, durch unterschiedliche Facetten geprägt,
und bezieht sich jeweils mehr oder weniger auf Aspekte der formalen
und inhaltlichen Organisation sowie auf die Finanzierung. Während
der Staat bisher für den Bereich der Berufsausbildung und dort
insbesondere für den schulischen Bereich die direkte Verantwortung
übernommen hat, was auch mit direkter Finanzierung von Bund
und Ländern einherging, kommt es nun immer häufiger zu
indirekter politischer Steuerung. KIRCHHÖFER weist allerdings
darauf hin, dass der Rückzug des Staates einschließlich
der Kommunen aus der finanziellen Bildungsverantwortung nicht notwendigerweise
zu einer Privatisierung und damit auch zu einer einseitigen Interessendominanz
führen muss: "Ein sich selbstorganisierender Wettbewerb,
eine selbstbestimmte Outputorientierung oder selbstgesteuerte Effektivitätsprüfungen
sind auch für staatlich verantwortete Bildungseinrichtungen
denkbar, und Stiftungen als öffentlich kontrollierte Träger
von Bildung können ein hohes Maß an Partizipation sichern."
(KIRCHHÖFER 2002, 80). Allerdings merkt er konsequenterweise
an, dass eine derartige Entlastung des Staates wiederum der Regelung
von Rahmenbedingungen staatlicherseits bedürfe, um Vergleichbarkeit
und Zugangssicherung zu gewährleisten. Vorstellbar sind für
ihn "Mischformen" staatlicher, öffentlicher und privater
Verantwortung. Aus berufspädagogischer Perspektive ist diesbezüglich
jedoch festzuhalten, dass diese in der sozialen Realität gerade
entstehenden Mischformen von den sozialen Akteuren, d.h. dem Staat
und den jeweiligen Interessengruppen, den Betroffenen selbst und
einer anwendungsorientierten Begleitforschung so gestaltet werden
müssen, dass die Rahmenbedingungen trotz Wettbewerb die Chancengleichheit
der Individuen sichern und Bildungszugänge und Durchlässigkeit
des Systems regeln.
4 Strukturveränderungen und sozialer Gestaltungsbedarf
Auffällig ist, dass im Zuge der aktuellen Entwicklungen Prozesse
gleichzeitig ablaufen, die eigentlich gegenläufige Entwicklungen
kennzeichnen und insofern in einem dialektischen Verhältnis
zueinander stehen: so erfordert z.B. gerade der Trend zur Globalisierung
eine Entwicklung zur Regionalisierung. Jede Entgrenzung und Dezentralisierung
hat gleichzeitig eine Zentralisierung und damit auch wieder Begrenzung
zur Folge, Deinstitutionalisierungen führen zu neuer Institutionalisierung.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass jede Strukturveränderung
im Sinne einer Deregulierung notwendigerweise einen erneuten Strukturaufbau
im Sinne einer Regulierung erfordert.
Diese zunächst widersprüchlich anmutenden Phänomene
lassen sich auf abstrakter Ebene in systemtheoretischen Kategorien
mit dem Verhältnis von "Strukturen" und "Prozessen"
erklären. Nach Luhmann setzen sich diese beiden Kategorien
wechselseitig voraus, denn "Strukturierung ist unter anspruchsvolleren
(nicht rein zufallsbestimmten) Bedingungen ein Prozess und Prozesse
haben Strukturen." (LUHMANN 1996, 73) Wenn sich in Entwicklungsprozessen
Strukturveränderungen ergeben, dann bedeutet dies neben dem
Abbau der alten Strukturen immer zugleich auch den Aufbau neuer
Strukturen. Jede Strukturänderung setzt damit gleichzeitig
Stabilität und Selbsterhaltung sowie auch Destabilisierung
der Strukturen voraus. Paradoxerweise brauchen soziale Systeme,
um flexibel reagieren zu können, ein hohes Maß an struktureller
Instabilität und müssen diese Instabilität als Voraussetzung
für Flexibilität laufend selbst reproduzieren. Ein wesentliches
Problem besteht in diesem Zusammenhang allerdings darin, dass Strukturänderungsprozesse
auf Zufälle angewiesen sind, da sie sich nicht vorgreifend
an Resultaten orientieren können.
Für den Bereich der Berufsbildung sind diese Entwicklungen
und Phänomene konkret zu beobachten. Regionale Berufsbildungszentren
können als ein Beispiel dafür gelten, dass sich im Zuge
des Abbaus der Regulation durch den Staat neue Regulierungsformen
herausbilden. Während auf der einen Seite normative Steuerungsmechanismen
zunehmend abgebaut werden, kommt es auf der anderen Seite zu neuen
Regulationsformen, deren Regeln durch die sozialen Akteure in der
Kooperation konstruiert werden (vgl. BÜCHTER/GRAMLINGER 2002).
In diesem Zuge entstehen auch neue Lernkulturen, veränderte
Formen der Kooperation und auch neue Formen der Interessenregulation:
"Es bilden sich offensichtlich funktional ausdifferenzierte
Lernkulturen mit polyzentrischen Institutionen heraus, wobei unter
bestimmten arbeitsmarktpolitischen Perspektiven diese Institutionen
ein ähnliches Beharrungs- und Behauptungsstreben entwickeln
wie traditionelle Bildungsinstitutionen." (KIRCHHÖFER
2002, 79).
Diese neuen Institutionen, die aus den indirekten Formen der politischen
Steuerung hervorgehen, erfordern also ihrerseits neue Konzepte der
Strukturbildung und der Steuerung. Dies gilt zum einen in regionaler
Perspektive für die Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen
und Organisationen. Zum anderen müssen die Strukturbildungsprozesse
im Sinne einer Organisationsentwicklung aber auch nach innen gerichtet
werden. Als ein neues Konzept der Organisation von Berufsbildung
im regionalen Kontext, das beide Aspekte berücksichtigt, gelten
seit einiger Zeit Netzwerke. BADER (2002) verweist darauf, dass
"in Erwartung weiter steigender Innovationsdynamik in einer
Wissensgesellschaft' ... davon auszugehen [ist], dass berufliche
Aus- und Weiterbildung nur in Berufsbildungsnetzwerken' ihre
Leistungsfähigkeit erhalten bzw. diese ausbauen kann."
(3, Hervorhebungen im Original) Vernetzte Lernstrukturen sind zur
Zeit offensichtlich politisch gewünscht, denn die Bildung von
Netzwerken wird von staatlicher Seite durch das Konzept der Regionalisierung
auch in der Berufsbildung unterstützt und durch Maßnahmen
des BMBF sowie der Europäischen Union intensiv gefördert
(Vgl. hierzu den Überblick bei DIETTRICH/JÄGER
(2002)).
5 Regionalisierung durch Netzwerkbildung
Nach FAULSTICH (2002) kann Regionalisierung als ein staatliches
Modernisierungskonzept gelten, das darauf zielt, die Region als
Referenzrahmen für Politikgestaltung zu begreifen. Statt einer
hierarchischen staatlichen Steuerung wird hier der flexiblen Kooperation
zwischen staatlichen, kommunalen und gesellschaftlichen Akteuren
Vorrang eingeräumt. Für Erfahrungen mit der Regionalisierung
in der beruflichen Aus- und Weiterbildung stehen beispielhaft auch
die Entwicklungen in Ostdeutschland. Sie können als Vorbild
dafür gelten, wie in gesellschaftlichen Umbruchsituationen
mittels direkter und indirekter staatlicher Steuerung eine neuartige
Mischung von Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik hervorgebracht
wurde, die inzwischen auch als Ressource der Regionalgestaltung
wirkt (KIRCHHÖFER weist darauf hin,
dass somit "neben vielen destruktiven und demotivierenden Momenten
... die Umgestaltung der ostdeutschen Bildungslandschaft möglicherweise
auch Elemente zukünftiger Gesellschaftspolitik" enthält
(KIRCHHÖFER 2002, S. 70). Als ein gelungenes Beispiel dafür
können u.a. die Aktivitäten des Qualifizierungswerk Chemie
(QFC) in Halle gelten, vgl. dazu eine Expertise im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung,
DIETTRICH/HEIMANN/MEYER 2003. ). Ausbildung und Weiterbildung
sind in diesem Prozess nicht mehr zu trennen, die Grenzen verfließen.
Institutionell findet diese Entgrenzung auch in den regionalen Berufsbildungszentren
ihren Ausdruck, insbesondere wenn diese als Weiterbildungsanbieter
auftreten. Im Folgenden werden diese neuen Kooperationsformen unter
dem Aspekt der zunehmenden Marktausrichtung und Ökonomisierung
der beteiligten Bildungsinstitutionen thematisiert.
Regionale Berufsbildungsnetzwerke können nach PÄTZOLD
als eine Erweiterung von traditionellen Formen der Lernortkooperation
gelten. Dabei handelt es sich um das "technisch - organisatorische
und pädagogische Zusammenwirken des Lehr- und Ausbildungspersonals
der an der Berufsausbildung beteiligten Lernorte" (vgl. 2003,
72). Wie auch in der Lernortkooperation sind unterschiedliche Formen
der Zusammenarbeit möglich, die in der Intensität von
gegenseitigem Erfahrungs- und Informationsaustausch über die
Abstimmung des pädagogischen Handelns bis zur Planung und Verfolgung
gemeinsamer Vorhaben reichen (vgl. PÄTZOLD/WALDEN 1999). Insofern
können regionale Berufsbildungszentren auch als eine institutionalisierte
Form von Lernortkooperation gelten. Die Integration bezieht sich
hier jedoch nicht nur auf die Verschränkung der Lernorte, sondern
auch auf die Integration von Theorie und Praxis, von Prozessen der
Aus- und Weiterbildung, auf die Möglichkeit der Integration
unterschiedlicher Berufsfelder, auf die Option zu generationenübergreifendem
Lernen u.ä. Problematisch kann in diesem Zusammenhang der hohe
Steuerungsaufwand sein, denn aus der Lernortforschung ist bekannt,
dass Kooperationen nur mit einem erheblichen persönlichen Engagement
der handelnden Akteure gelingen kann. Grundsätzlich ist darauf
hinzuweisen, dass die Vernetzung von Lernorten strukturell, personell
und didaktisch-methodisch zu organisieren ist. Lernorganisatorisch
geht es z.B. darum, die Abfolge und zeitliche Belegung der beteiligten
Lernorte zu planen. In personaler Hinsicht sind die Qualifikationen
des Aus- und Weiterbildungspersonals aufeinander abzustimmen. Eine
intensive Kooperation des Bildungspersonals zentraler Lernorte mit
ausbildenden Fachkräften an dezentralen Lernorten und mit dem
Personal der jeweiligen Abteilungen ist in diesem Rahmen unerlässlich
(vgl. DEHNBOSTEL 2003).
Im Rahmen des Diskurses zu Kompetenzzentren und Regionale Berufsbildungszentren
fällt auf, dass diese häufig mit Netzwerken gleichgesetzt
werden. Zutreffend ist, dass der Aspekt der Regionalisierung beide
Organisationsformen vereinen kann. Allerdings erfüllen Regionale
Berufsbildungszentren, wie das oben angeführte Beispiel von
Hamburg auch zeigt, zentrale Merkmale von Netzwerken in der beruflichen
Bildung gerade nicht: ein wesentliches Merkmal für das Zustandekommen
der Netzwerke, nämlich das Prinzip der Freiwilligkeit, wird
hier nicht eingelöst und kann somit zu "Netzwerkversagen"
führen: "Denn die so entstehenden Arrangements beruhen
nicht mehr alleine auf selbstgeleitetem Austausch. Sie werden zum
Teil durch institutionelle Regelungen konstituiert, die für
die Akteure entweder ökonomisch vorteilhaft oder formell vorgegeben
und somit verbindlich sind ..." (vgl. FAULSTICH 2001, 229)
Insofern ist die Bildung der Netzwerke hier selbst als ein politischer
Akt zu verstehen, wenn auch ein von außen gesteuerter. Dies
widerspricht allerdings dem Netzwerkgedanken, denn "echte"
Netzwerke sind hierarchiefrei und agieren auf der Basis wechselseitigen
Vertrauens.
Es ist insofern davon auszugehen, dass Regionale Berufsbildungszentren,
unter anderen als den gegebenen politischen Voraussetzungen, möglicherweise
als Qualifizierungsnetzwerke in einer Region fungieren und somit
auch einen nachhaltigen Beitrag zu regionaler Strukturpolitik leisten
könnten. Bei einem solchen Qualifizierungsnetzwerk handelt
es sich nach DOBISCHAT (1999) um einen Zusammenschluss von regionalen
Einrichtungen (z.B. Betrieben, Bildungsträgern, Kammern u.ä.),
die gemeinsam das Ziel der besseren Ausschöpfung der regionalen
Aus- und Weiterbildungsressourcen verfolgen und deren Weiterentwicklung
betreiben. Das Netzwerk kann in diesem Rahmen mehr oder weniger
formalisiert sein, wobei die Struktur sich entlang der spezifischen
Interessenlagen im Verlauf des Kooperationsprozesses ergibt. In
diesem Rahmen kann eine Koordination der Aus- und Weiterbildungsaktivitäten
auf verschiedenen Handlungs- und Gestaltungsfeldern ermöglicht
werden: z.B. Bedarfsermittlung, Angebotsplanung und Herstellung
von Markttransparenz, Curriculumentwicklung, Lern- und Bildungsberatung,
Qualitätssicherung, Professionalisierung des Personals und
Lernortkooperationen. Durch diese Form der Zusammenarbeit könnten
auch die Transaktionskosten auf der Nachfragerseite erheblich gesenkt
werden (ebd., 106). Flankierende Maßnahme zum Aufbau eines
solchen Netzwerkes könnte ein reines Kontaktnetzwerk von Bildungsverantwortlichen
und Personalentwicklern sein. Dabei handelt es sich um regionale
Erfahrungsaustauschgruppen mit speziellen Seminar- und Vortragsangeboten,
Newsletter, Hotline-Beratung, die Installierung einer Kontaktplattform
oder gemeinsame Firmenbesuche sein (vgl. KAILER 1994).
In der Literatur werden strategische von regionalen Netzwerken unterschieden,
wobei die regionalen in der Regel nur kleine und mittlere Unternehmen
umfassen und durch ein hohes Maß an Selbstorganisation gekennzeichnet
sind (vgl. zusammenfassend ELSHOLZ 2003). Darüber hinaus werden
als eine weitere Form "soziale Netzwerke" identifiziert,
wobei allerdings zu fragen ist, ob nicht alle Formen, in denen Akteure
miteinander kooperieren, als "sozial" bezeichnet werden
können und damit der Definition sozialer Netzwerke unterliegen,
die durch "lockeres Verknüpfen eigenständiger und
differierender Einheiten zu einer für alle Beteiligten vorteilhaften
Beziehungsstruktur auf der Basis einer hierdurch aktivierten Gemeinsamkeit"
(vgl. SCHÄFFTER 2002, 11) entstehen.
Auf die Netzwerke, die sich im Zuge der Diskussion um die Bildung
regionaler Berufsbildungszentren aktuell etablieren sollen, treffen
die Kriterien fast aller Netzwerktypen zu, die in der Netzwerkforschung
identifiziert wurden. Sie sind regionale Netzwerke, weil sie regional
begrenzt sind und zur Strukturentwicklung der Region beitragen sollen.
Sie sind als Netzwerke soziale Konstrukte und damit auf Vertrauen
und gegenseitige Rücksichtnahme angewiesen. Und sie sind strategische
Netzwerke, weil sie aufgrund der neuen indirekten politischen Steuerung
auch auf die Durchsetzung von Marktinteressen zielen. Als problematischer
Aspekt könnte sich in diesem Zusammenhang erweisen, dass die
Marktausrichtung, die damit notwendigerweise einhergehende Konkurrenz
und der Zwang zur Ökonomisierung, wie im Folgenden gezeigt
wird, dem ursprünglichen Netzwerkgedanken widersprechen.
6 Marktausrichtung in der Berufsbildung
Wie Weiterbildungsträger erfahren auch Regionale Berufsbildungszentren
als Qualifizierungsnetzwerke gegenüber der traditionellen Berufsschule
eine institutionelle und organisatorische Neuausrichtung und müssen
sich einerseits am Markt gegen die Konkurrenz von anderen Bildungsträgern
etablieren und durchsetzen und sie müssen andererseits gleichzeitig
mit ihnen kooperieren. Dies schließt auch die strategische
Entwicklung einer Geschäftspolitik durch Marketingstrategien
von der Angebotsorientierung zu einer Dienstleistungsorientierung
mit Bezug zu anderen Betrieben in der Region ein. Dazu gehört
auch ein erweitertes und auf die nachfragenden Betriebe und Personen
zugeschnittenes Beratungs- und Weiterbildungsangebot, das sich an
modernen Managementtechniken sowie an arbeitsprozessorientierten
Qualifizierungsformen orientieren soll (vgl. DOBISCHAT 1999, 102).
Regionale Kompetenzzentren müssen sich insofern dem Markt stellen.
Dazu gehört, dass sie sich an den spezifischen Bedürfnissen
ihrer Kunden orientieren und ihr Leistungsangebot individualisieren
müssen. In diesem Prozess entsteht auch die neue Funktion eines
Bildungsberaters oder Bildungsmanagers, der arbeitsorganisatorisch
und -rechtlich bei einem Bildungsträger bzw. an ein Kompetenzzentrum
angebunden sein kann, der aber auch als "Freier" vermittelnd
auf dem Markt tätig werden kann und die Aktivitäten zwischen
Bildungsanbieter und Unternehmen bzw. Beschäftigten und Institutionen
koordiniert.
Als beispiel- und möglicherweise auch vorbildhaft für
die Marktausrichtung von Bildungsinstitutionen kann die Entwicklung
der Volkshochschulen in Deutschland angeführt werden, die den
Prozess der Privatisierung und damit auch der Ökonomisierung
in den letzten Jahre schon durchlaufen haben (vgl. BASTIAN 2002).
Bis Anfang der 1980er Jahre hatten die VHS das Weiterbildungsmonopol
für allgemeine, berufliche, kulturelle und politische Bildung.
Es gab eine reine Angebotsorientierung, Maßnahmen zur Teilnehmergewinnung
spielten nur eine untergeordnete Rolle. Dann führten unterschiedliche
Entwicklungen zu Entgrenzungen auf dem Weiterbildungsmarkt: es entstand
Konkurrenz durch andere Träger, es erfolgte eine Entbindung
der Vermittlungsprozesse an institutionelle Orte, selbstgesteuertes
und selbstorganisiertes Lernen nahm zu, die Ansprüche der Abnehmer
veränderten sich und es erfolgte eine Abkehr von der staatlichen
Institutionenförderung. So kam es in regional unterschiedlichen
Ausprägungen zu einer Ökonomisierung des Volkshochschulwesens,
wobei in diesem Prozess Weiterbildung als Dienstleistung verstanden
wurde und die Adressaten zu Kunden wurden. Im Zuge dieser Entwicklungen
wurden auch Organisationsentwicklungsprozesse angestoßen,
die von der Einführung von Personalentwicklung bis zu Strategien
der Corporate Identity (im Sinne von Programmplanung und Leitbildentwicklung)
reichten. BASTIAN weist darauf hin, dass mit diesem Prozess auch
eine Überprüfung der erwachsenenpädagogische Professionalität
einherging, da sich insbesondere die Arbeitsbedingungen des Personals
im Zuge der beschriebenen Regorganisationsprozesse deutlich verändert
haben. Dies ist angesichts aktueller Entwicklungen - wie oben schon
angedeutet - für den Bereich der Beruflichen Bildung auch zu
erwarten.
Mit Rekurs auf eine Diskussion, die aktuell im Bereich der Industriesoziologie
geführt wird, sollen im Folgenden kurz einige Konsequenzen
der angestrebten Marktausrichtung in der Berufsbildung unter den
aktuellen ökonomischen Bedingungen reflektiert werden. Eine
interdisziplinäre Perspektive bietet sich hier insofern an,
als dass die Marktsteuerung, die dem ökonomische Sektor unter
kapitalistischen Wirtschaftsbedingungen immanent ist, inzwischen
selbst für den industriellen Produktionssektor zunehmend problematisiert
wird, obwohl die Marktorientierung als konstitutives Element moderner
Arbeitsorganisation gelten kann. Für den Bildungssektor ist
zu erwarten, dass dieselben Probleme hier in verschärfter Form
auftreten werden.
Die empirische Beobachtungen im industriellen Sektor verzeichnen
nach den Modernisierungen der letzten Jahre ebenfalls gleichzeitig
ablaufende Entwicklungen die zunächst widersprüchlich
anmuten: zum einen ist eine deutliche Retaylorisierung der Arbeitsorganisation,
aber zum anderen auch eine sich konstituierende Tendenz zur Erneuerung
zu beobachten. DÖRRE (2003) konstatiert einen permanenten Restrukturierungswettbewerb
der Unternehmen, der durch den Sachzwang der Marktorientierung hervorgerufen
wird, und der von den Beschäftigten ständig neue Optimierungsleistungen
erfordert: "Diese Rationalisierung in Eigenregie' entpuppt
sich als unendlicher Prozess." (ebd. 9) Während diese
Art des reflexiven Managements, das den Zwang zur Selbstrationalisierung
einschließt, früher nur die obersten Führungsebenen
betraf, gilt es heute im Kontext modernisierter Arbeitsbeziehungen
für alle Arbeitnehmer. Diese Situation hat zunehmend auch Auswirkungen
auf die interessenpolitischen Konstellationen. Während z.B.
die Arbeit in den neuen Sektoren (wie IT und Medien) lange Zeit
als mitbestimmungsfrei galt, scheint sich auch hier ein Wandel zu
vollziehen, da viele Angestellte offensichtlich nicht mehr in der
Lage sind, ihr Arbeitsvolumen in der Regelarbeitszeit zu bewältigen.
Darüber hinaus kommt es auch zu neuen Kontrollformen: "Zur
Funktionsweise des marktzentrierten Kontrollmodus gehört die
Versachlichung von Zwang und Anonymisierung von Herrschaft"
(ebd. 20), wobei nicht mehr die persönliche Verantwortung von
Eigentümern und Führungskräften zählt, sondern
diese auf den einzelnen Arbeitnehmer verlagert ist. Es gibt gute
Gründe, zu vermuten, dass sich derartige Entwicklungen auch
im Bereich der Berufsbildung fortsetzen werden, wenn zunehmend unter
dem Einfluss von Marktzwängen gearbeitet wird, zumal das pädagogische
Personal durch die Marktorientierung mit neuen Anforderungen konfrontiert
wird, die eher betriebswirtschaftliche Qualifikationen erfordern.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verstetigung
von Konkurrenz wiederum marktkompatible Konkurrenz erzeugt und somit
ein nicht endender Wettbewerb herrscht.
Marktausrichtung heißt also auch für die Institutionen
der Berufsbildung, sich an den Prozessen, die im Markt ablaufen,
zu orientieren und sowohl die interne Organisationsentwicklung wie
auch die externen Strategien daran auszurichten. Allerdings begibt
sich die Institution und erst recht das Netzwerk in einen dialektischen
Widerspruch, wenn es in dieser Form am Markt (re-)agieren will.
Denn die Ausrichtung am Markt, die damit verbundene Prozessorientierung,
die auch ein hohes Maß an Flexibilität beinhaltet, steht
im Gegensatz zu langfristiger strategischer Planung und Zielorientierung.
Bei der strategischen Planung werden Ziele gesetzt und meist werden
die Wege zur Zielerreichung vorbestimmt. Die kurzfristige Orientierung
an den Prozessen des Marktes hingegen erfordert notwendigerweise
Flexibilität, Kontingenz und die Option zur Korrektur, wobei
auch die Offenheit für nicht vorhersehbare Auswirkungen und
Nebeneffekte mitgedacht werden muss (vgl. BECKER/LANGOSCH 1995,
48).
7 Berufsbildungsnetzwerke und Marktzwang
Bezogen auf die normative Prämisse der Kooperation von Bildungseinrichtungen
in Netzwerken, die sich geradezu zwingend aus den geschilderten
Maßnahmen der Deregulierung und der Regionalisierung in der
beruflichen Bildung ergibt, lässt sich vor dem Hintergrund
des zunehmenden Marktzwanges ein Widerspruch feststellen. Dieser
Widerspruch deutet sich darin an, dass Netzwerken in der Literatur
aus pädagogischer Sicht auf der einen Seite zugesprochen wird,
eine Alternative zum freien Markt zu bilden, gerade weil sie grundsätzlich
anderen Regulierungsformen unterliegen, dass sich die Netzwerke
aber andererseits aber ihrerseits unter Marktbedingungen behaupten
müssen und seinen Steuerungsmechanismen unterliegen.
In bildungsökonomischer Perspektive verweist Faulstich darauf,
dass es sich erwiesen habe, dass für den Weiterbildungssektor
"weder der Markt, als Form individueller Unternehmens- und
Käuferentscheidungen, noch ein hierarchisch steuernder Staat
erfolgreich sein können" (FAULSTICH 2002, 193). Insofern
geht er davon aus, dass Netzwerke "konzeptionell die alte (ideologisch
begründetet und daher polarisierte) Diskussion über Markt'
oder Staat" als Regelungseckpfeiler der beruflichen Weiterbildung
aus ihren festgefahrenen Gleisen bringt" (ebd. 230). Auch BENZENBERG
beschreibt, dass "Qualifizierungsnetzwerke als Alternative
zu den extremen Koordinationsformen freier Markt und staatlicher
Hierarchie akzentuiert und als eine Mischform marktlicher und hierarchischer
Koordination charakterisiert [werden], um darauf aufbauend auch
einen qualitativ anderen Typus von Sozialstruktur zu repräsentieren,
welcher auf der einen Seite das für Märkte typische Vorhandensein
einer Vielzahl von autonom Handelnden und auf der anderen Seite
die für Hierarchien typische Fähigkeit, gewählte
Ziele durch koordinierte Handlungen zu verfolgen, darstellt"
(BENZENBERG 1999, 250). Wenn man die Funktionsmechanismen, die den
jeweiligen Kategorien Markt und Netzwerk zugesprochen werden, näher
betrachtet, dann ist festzustellen, dass es offensichtlich unterschiedliche
Qualitäten sind, die als grundlegend für die jeweilige
Organisationsform gelten können. Die folgende Tabelle verdeutlicht
diese Unterschiede:
Tabelle 1: Funktionsmechanismen in Märkten und Netzwerken
(nach Weyer 2000, 7)
Wenn man allerdings, wie hier für den Bereich der Berufsbildung
gezeigt wurde, in Betracht zieht, dass z.B. Weiterbildungsträger
oder Regionale Kompetenzzentren, die als Netzwerkpromotor fungieren
oder in solche eingebunden sind, sich zunehmend am Markt behaupten
sollen und müssen, dann deutet sich für den Bereich der
Berufsbildung ein Widerspruch zu der These an, dass Netzwerke den
Markt als Koordinationstyp ablösen. Zu vermuten ist in diesem
Fall eher, dass sie ihn befördern, was zum Teil - wie gezeigt
wurde - sogar intendiert ist. Die Netzwerke, die sich in der beruflichen
Bildung etablieren sollen, lassen sich den Kategorien der Netzwerkforschung
nicht eindeutig zuordnen: sie sind strategische Netzwerke, weil
sie deutlich auf die Durchsetzung von Marktinteressen zielen, sie
sind regionale Netzwerke, weil sie regional begrenzt sind und sie
sind soziale Konstruktionen und damit auf Vertrauen und gegenseitige
Rücksichtnahme angewiesen.
DÖRRE (2003) verweist darauf, dass es sich auch bei Märkten
um soziale Konstruktionen handelt, wobei die Machtrelation und Spielregeln
im Wesentlichen von den marktbeherrschenden Unternehmen geprägt
sind. Markt und Netzwerk scheinen insofern kompatibel. Durch habitualisierte
Praktiken erfolgt eine Bündelung sozialer Interessen, wobei
die Akteure in verschiedenen Teilfeldern auf der Grundlage ihrer
eigenen Interessen relativ autonom handeln und so eine Vielzahl
von Praxisformen hervorbringen (14). Hinzu kommt jedoch, dass sich
im ökonomischen Feld die Handlungsstrategien der Akteure nicht
allein auf Mehrung und Verteilung ökonomischen Profits richten,
sondern dass es "stets ... es auch um die Akkumulation von
sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital" gehe und insofern
auch um sozialen Status, um die Besetzung von Positionen, um persönliche
Anerkennung, Macht und Einfluss (ebd. 15). Veränderungsstrategien
treffen insofern immer auf eine Vielzahl von Interessen und Habitusformen,
Denkmuster und Deutungsschemata, die ihrerseits eine große
Beharrungskraft haben.
Während HOWALDT (2002, 410) davon ausgeht, dass Netzwerke gerade
aufgrund der auf Vertrauen gegründeten Arbeitsbeziehungen ohne
Markt und Hierarchie auskommen müssen, bezeichnet BENZENBERG
diese als "Organisationsform der Transition ..., die typischerweise
in labilen Suchprozessen auftreten". Und er folgert: "Dass
sich dieser Suchprozess im Bereich der betrieblichen/beruflichen
Weiterbildung unter marktförmigen Bedingungen (Weiterbildung
als freier Markt?) ausprägt, ist mittelfristig unwahrscheinlich
..." (246). Vor diesem Hintergrund erscheint es zumindest fragwürdig,
wenn nicht sogar kontraproduktiv, wenn der Staat auf der eine Seite
durch die Rücknahme der staatlichen Steuerung den Bereich der
Aus- und Weiterbildung zunehmend einer Marktsteuerung überlässt
und auf der anderen Seite Netzwerke finanziell in umfassenden Förderprogrammen
unterstützt.
Es wird sich zeigen, wie die Herausforderungen, die sich aus der
Gleichzeitigkeit von Deregulierung, Regionalisierung und marktförmiger
Organisation in der in der Praxis der beruflichen Bildung ergeben,
erfolgreich umgesetzt werden können. Anzustreben ist jedoch
aus berufs- und wirtschaftspädagogischer Perspektive, dass
Netzwerke in der beruflichen Bildung nicht allein der Marktsteuerung
überlassen werden. Welche Konsequenzen sich zukünftig
auch für die sozialen Akteure, insbesondere das pädagogische
Personal und die Bildungsabnehmer ergeben, sollte im Rahmen einer
kritischen Berufsbildungswissenschaft thematisiert werden.
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