Titel:
Übergänge in der Beruflichen Rehabilitation - Probleme und Chancen
Dieser Beitrag zeigt die Problemstellung der Fachtagung 05 der Hochschultage 2011 in Osnabrück auf. Anschließend thematisiert er das Verhältnis der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zur Inklusion in der Berufsausbildung, insbesondere in der Berufsausbildung Behinderter. Er nähert sich dem Begriff der Inklusion.
Die Inhalte der Beiträge der Fachtagung, soweit sie hier referiert werden, sind in vier Inhaltsbereiche gegliedert und kurz aufgerissen.
Parallel zu den Bemühungen um eine Weiterentwicklung der Konzepte und Angebote Beruflicher Rehabilitation wurde immer wieder und wird auch gegenwärtig das Thema Übergänge fokussiert. Dazu gab und gibt es vielfältige Modellversuche, Projekte und Umsetzungsformen. Gerade in den letzten Jahren ist die Frage der Übergänge besonders in den Fokus der Diskussion geraten. Ausgehend von der traditionellen Unterscheidung zweier Schwellen (Schule – Ausbildung, Ausbildung – Beruf) scheint es mittlerweile sinnvoller, im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen, aber auch auf Benachteiligte von einer Diversifizierung und auch Sequenzierung von Übergängen auszugehen.
Für die Begleitung und Unterstützung von Übergängen bedarf es besonderer Ressourcen: personaler, sozialer und institutionalisierter. Entsprechend dem Rahmenkonzept der 16. Hochschule Berufliche Bildung richten sich die Beiträge zum Thema „Übergänge“ auf eine oder mehrere der folgenden Ebenen aus:
Insbesondere für die Fachtagung „Berufliche Rehabilitation“ gilt, dass sie in die starke Dynamik der aktuellen Diskussion um Inklusion im Zuge der deutschen Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention eingebettet ist. Vieles wird in diesem Rahmen neu durchdacht. Es scheint, dass es sich lohnen müsste, das bestehende, über Jahrzehnte entstandene System der Beruflichen Rehabilitation sehr sorgsam und mit Bedacht unter die Lupe zu nehmen. So könnte auch die Dynamik der Inklusionsdiskussion konstruktiv und zum Nutzen von Menschen mit Behinderungen genutzt werden, um Bewährtes weiterzuentwickeln und nicht zu zerschlagen. In diesem Sinne befindet sich aber sicherlich auch das System der Beruflichen Rehabilitation – national wie international – im „Übergang“, hin zu neuen Strukturen, die hoffentlich Verbesserungen erbringen werden. Auch diese Diskussion wurde im Rahmen der Fachtagung geführt.
Inklusion ist eines der Themen, die im Rahmen dieser Fachtagung angesprochen wurden. Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik hat dieses Thema inzwischen auch entdeckt. So greift der 11. (und letzte) Band der von BONZ und SCHANZ herausgegebenen Reihe „Berufsbildung konkret“, der von BIERMANN und BONZ herausgegeben wurde und im März 2011 erschienen ist, die Thematik unter dem Titel „Inklusive Berufsbildung“ auf. Und die Ausgabe April dieses Jahres der Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), der vom Bundesinstitut für Berufsbildung herausgegebenen Fachzeitschrift, hat diesen thematischen Schwerpunkt.
Die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft hat 2009 ein „Memorandum zu Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus berufsbildungswissenschaftlicher Sicht“ beschlossen. Nach einem Problemaufriss, in dem u. a. auf das Übergangssystem eingegangen wird, kommt das Memorandum zu insgesamt 17 Empfehlungen. So fordert das Memorandum die umfassende „Erforschung der Integrationsmechanismen in modernen Industriezivilisationen durch berufspädagogische Makro- und Mikrostudien“ (SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK 2010, 21), „eine grundlegende Erforschung des ‚Übergangssystems‘ u. a. durch Biografie- und Verlaufsforschungen“ (a.a.O.). Es wird beklagt, dass die Heterogenität der Klientel im ‚Übergangssystem‘ vielfach belegt, bisher aber systematisch wenig erforscht sei (a.a.O.) Daraus wird die Notwendigkeit der Entwicklung „theoretisch fundierte(r) und empirisch gesicherte(r) Typologien“ (a.a.O.) abgeleitet. Es wird auch „die Frage nach dem notwendigen Maß an Fach-, Sozial- und Selbstkompetenz“ (a.a.O.) gestellt, deren Beantwortung „durch komplexe berufsbildungswissenschaftliche Studien“ (a.a.O.) geleistet werden soll.
Die fünfte Empfehlung setzt sich mit der „Professionalisierung und Qualifizierung des pädagogischen Personals“ (a.a.O.) auseinander.
Das Übergangssystem wird folglich letztendlich nicht in Frage gestellt. Es kann kritisch eingewandt werden, das Übergangssystem beziehe sich auf die berufliche Bildung und Integration von Benachteiligten. Das ist wohl richtig, aber die Situation im Bereich der beruflichen Bildung Behinderter unterscheidet sich in diesem Kontext nicht davon; im Wesentlichen ist ein ähnliches System von Institutionen neben dem Berufsbildungssystem entstanden.
Inklusion und Exklusion stehen sich keineswegs selbstverständlich diametral oder polar gegenüber. Dies macht eine Tabelle von STICHWEH (vgl. 2009) deutlich:
Tabelle 1: Inklusion und Exklusion
(aus STICHWEH 2009, 40)
Hier werden „Inkludierende Exklusion“ und „Exkludierende Inklusion“ einander gegenübergestellt. Man findet Behinderung oder Disability auf der linken Seite in der Mitte. Dass hier auch die Psychiatrie oder das Hospital, das Gefängnis, das Kloster und die Institutionen der Pflege genannt werden, erfolgt in der gedanklichen Tradition von GOFFMANs „Asyle“ (1972) – er setzt sich darin mit totalen Institutionen auseinander – eben jenen die auch STICHWEH hier nennt … nicht überraschend.
Die beiden Bezeichnungen inkludierende Exklusion und exkludierende Inklusion deuten darauf hin, dass auch diejenigen in einer Gesellschaft, die exkludiert sind, dennoch dazu gehören. Dies arbeitet LUHMANN (vgl. 1997) in seinem Hauptwerk „Die Gesellschaft der Gesellschaft“ heraus, in dem er sich im zweiten Teilband im Kapitel 4 über Differenzierung auch mit Inklusion und Exklusion befasst. Er kommt zu der Konsequenz, dass in der heutigen Weltgesellschaft eine Exklusion nicht mehr möglich sei. Man betrachte z. B. die Situation eines illegalen Immigranten, der abgeschoben wird oder werden soll: Er kommt in Abschiebehaft – und ist damit wieder in einer Institution, die einerseits Teil der Gesellschaft ist, und in der er Teil eines Subsystems ist (vgl. STICHWEH 2009, 37 f.). „Unter modernen Bedingungen ist Exklusion nur „zulässig“, soweit sie in die Form einer Inklusion gebracht wird“ a.a.O.). Das Verhältnis Inklusion – Exklusion ist nicht so einfach, wie es scheint. Es ist schon gar kein Schwarz-Weiß-Bild, wie uns einige weismachen wollen.
Insgesamt waren dreizehn Beiträge zur Fachtagung angemeldet, von denen zwei sehr kurzfristig dazu gekommen waren. Allerdings wurden zwei auch sehr kurzfristig wieder abgesagt. Von den gehaltenen Vorträgen sind hier acht dokumentiert. Inhaltlich sind vier Themenbereiche angesprochen worden. Drei Beiträge setzen sich mit Einzelmaßnahmen entsprechend dem mikrosystemischen Blick auseinander. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich implizit mit der Frage der Durchlässigkeit und dem Problem der Gestaltung von Übergängen. Ein weiterer Beitrag berichtet über eine Kosten-Nutzen-Analyse der Beruflichen Rehabilitation. Die beiden abschließenden Beiträge setzen sich mit der Möglichkeit der inklusiven (Berufs-)Bildung auseinander.
PIASECKI beschreibt das Projekt des Dortmunder Kommunikationstrainings. Ziel des Projektes ist die Entwicklung und Umsetzung eines Förderansatzes für funktionale Analphabeten während vorberuflicher oder beruflicher Ausbildung. Das Projekt wird unter wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt. Ein modularisiertes Curriculum wurde entwickelt. Dies ist auch deswegen bemerkenswert, weil eine modularisierte Ausbildung in der Berufs- und Wirtschaftpädagogik eher als eine Art „Teufelswerk“ angesehen wurde.
In dem Beitrag von NIEHAUS, KAUL und MENZEL soll der Übergang Schule-Beruf aus der Perspektive der Betriebe und der Jugendlichen analysiert werden. Es wurde untersucht, welchen Barrieren Jugendliche mit Behinderung begegnen und welche Erfahrungen und Einstellungen die Betriebe an der Beschäftigung hindern. Konzepte für einen barrierefreien Übergang wurden entwickelt.
SEYD beschreibt in seinem Beitrag das neue Reha-Modell, dessen Leistungen sich auf die Teilhabe am Arbeitsleben richten, und bei dem die behinderten Erwachsenen an der Auswahl und Ausgestaltung maßgeblich beteiligt werden. Zwei Interviews machen den Ablauf deutlich. Abschließend werden sechs Thesen zur Gestaltung postuliert.
„Behinderte Menschen haben einen (Rechts-)anspruch auf Teilhabe an beruflicher Bildung“ – formuliert VOLLMER einleitend in ihrem Beitrag mit dem programmatischen Titel „Hinterm Horizont geht`s weiter“. Sie verweist auf die Vielzahl in der Vergangenheit geschaffener Regelungen von Ausbildungsordnungen durch die zuständigen Stellen (Kammern) und auf die Notwendigkeit, sie in der Zukunft auf die Musterregelungen hin und an ihnen zu orientieren.
Der Beitrag von BIERMANN und WEISER greift die Thematik des problematischen Übergangs vor allem aus der Sicht der Qualifizierung des rehabilitationspädagogischen Personals auf. Sie zeigen die Vielfältigkeit der zu bearbeitenden Themen von einer fehlenden gemeinsamen Fachsprache bis hin zu Qualifikationen wie Kooperation und Reflexivität. Sie setzen sich von dem in der Sonderpädagogik vertretenen Konzept der Ganzheitlichkeit ab.
Lohnt sich Berufliche Rehabilitation auch unter betriebs- und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten? Das Institut der deutschen Wirtschaft hat im Auftrag der Berufsbildungswerke eine Untersuchung zu dieser Thematik durchgeführt. BREITSAMETER berichtet über deren Ergebnisse. Außerdem greift er die Frage nach der Gestaltung des zweiten Übergangs, des Übergangs von der Ausbildung in den Beruf auf.
Der Beitrag von KAHLE fokussiert die Frage nach den Gelingensbedingungen für inklusive Bildung für das Land Baden-Württemberg, insbesondere auch nach dem Regierungswechsel in diesem Jahr. Sie spricht die Problematik von Veränderungsprozessen des Bildungssystems an und bezieht sich in der normativen Grundlegung auf das Neue Sankt Galler Managementmodell.
GALILÄER problematisiert die Situation der Jugendlichen mit Behinderungen an den Übergangsstellen Schule zur Ausbildung und Ausbildung zu Beruf bzw. Beschäftigung. Er verweist darauf, dass bisher Inklusion in diesen Phasen eher nicht stattgefunden hat und macht die mangelnde Beteiligung der Betriebe insbesondere an der Ausbildung verantwortlich. Im Entwicklungsprojekt „TrialNet“ soll über eine betriebsnahe und modulare Ausbildung der Inklusion näher gekommen werden.
Die Beiträge der Fachtagung (auch die hier nicht referierten) zeigen das Problembewusstsein und die Vielfältigkeit der Fantasie der beteiligten Menschen im System der Beruflichen Rehabilitation auf. Dennoch sind die beschriebenen Projekte und Modelle bisher eher Leuchtturmprojekte. Deshalb bedarf es noch umfassender Energie, um auf dem Weg hin zu einer Inklusion, die den formulierten Ansprüchen auch gerecht wird, voran zu kommen. Dies muss zugleich kritisch geschehen, bei Berücksichtigung aller Fakten und relevanten Aspekte.
BIERMANN, H./ BONZ, B. (Hrsg.) (2011): Inklusive Berufsbildung. Hochgehren.
LUHMANN, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Band 2, Frankfurt a. M.
SEKTION BERUFS- UND WIRTSCHAFTSPÄDAGOGIK (2009): Memorandum zur Professionalisierung des pädagogischen Personals in der Integrationsförderung aus berufsbildungswissenschaftlicher Sicht. In: DGfE: Erziehungswissenschaft 21, H. 41, 11-26.
STEIN, R./ ORTHMANN BLESS, D. (Hrsg.) (2009): Integration in Arbeit und Beruf bei Behinderungen und Benachteiligungen. Hochgehren.
STICHWEH, R. (2009): Leitgesichtspunkte einer Soziologie der Inklusion und Exklusion. In: STICHWEH, R./ WINDOLF, P. (Hrsg.): Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit. Wiesbaden, 29-42.