Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT08 - Elektrotechnik-Informatik & Metalltechnik
Herausgeber: Ulrich Schwenger, Falk Howe, Thomas Vollmer, Martin Hartmann & Wilko Reichwein

Titel:
Kompetenzen und Karrierewege in elektrotechnischen und metalltechnischen Berufen


Verpasste Chancen ? - Gedanken zur Weiterbildung an Fachschulen im deutschen Bildungssystem

Beitrag von Wolfgang HILL (Technikakademie Weilburg)

Abstract

Hintergrund des vom Bundesministerium für Wissenschaft und Bildung (BMBF) angestoßenen Projektes AKOM ist der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 28.06.2002, „außerhalb des Hochschulwesens erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten … im Rahmen einer gegebenenfalls auch pauschalierten Einstufung auf ein Hochschulstudium (anzurechnen), wenn sie … nach Inhalt und Niveau dem Teil des Studiums gleichwertig sind, der ersetzt werden soll“. Die KMK fasste am 25.02.2009 den Beschluss, „um den Übergang beruflich qualifizierter Bewerber in den Hochschulbereich zu erleichtern ...sich u. a. für weiter reichende Anrechnungsmöglichkeiten für die außerhalb von Hochschulen erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten“ einzusetzen. Die Ziele der Anrechnung beruflicher Kompetenzen waren, flexiblere Übergänge zwischen außerhochschulischer Bildung und Hochschule ermöglichen, Dopplungen an der Schnittstelle von beruflicher Bildung und Hochschulbildung vermeiden, Anreize für Lebenslanges Lernen schaffen, Bildungswege zu flexibilisieren und den Weg zum Hochschulabschluss zu verkürzen.

1 Vorbemerkung

Betrachtet man aktuell die Weiterbildung in Deutschland, so ergibt sich folgendes Bild: Bestimmungen und die Praxis für den Zugang zu Hochschulen und Universitäten wirken sich im europäischen Kontext teilweise wie „Inländerdiskriminierung“ aus. Am Beispiel der Fachschulabsolventen wird dies besonders deutlich (vgl. MÜSKENS/ TUTSCHNER 2011). Eine indirekte Wirkung dieser Hürde ist die bislang fehlende international angemessene Anerkennung der Fachschulabschlüsse.

Die berufliche Weiterbildung als Aufstiegsfortbildung ist u. a. Sache von Fachschulen als Teil des berufsbildenden Schulwesens. Die Fachschulen entstanden zwischen 1830 bis 1918 aus kaufmännischen und gewerblichen Sonntagsschulen. Heute gibt es Angebote in verschiedenen Fachbereichen wie Technik, Wirtschaft, Gestaltung, Agrarwirtschaft und Sozialwesen. Ihnen gemeinsam ist, dass sie in Voll- oder Teilzeitform zu qualifizierten Abschlüssen führen und Fachkräfte für den mittleren Führungsbereich in Unternehmen, Verwaltungen und anderen Einrichtungen weiterbilden. Diese Form der beruflichen Weiterbildung baut auf der dualen Erstausbildung auf und hat in dieser Form weltweit ein Alleinstellungsmerkmal. Ihre Stärke liegt in der Verzahnung von Theorie und Praxis und erfüllt damit passgenau die Anforderungen in den Unternehmen.

In dieser Stärke der Fachschulen liegt aber auch gleichzeitig die Ursache eines Bildungsdilemmas. Ursache dieses Dilemmas ist die über viele Jahrzehnte praktizierte Trennung beruflicher und allgemeiner Bildung ohne horizontale Durchlässigkeit und ohne die Möglichkeit einer angemessenen Anschlussweiterbildung, obwohl die Zugangsbedingungen zum Fachschulstudium und die hierfür vorausgesetzte Berufstätigkeit der Studierenden eine hohe berufliche Expertise erfordern. Studierende von Fachschulen verfügen über ein breites und integriertes berufliches Wissen und die Kenntnisse aktueller fachlicher bzw. technologischer Entwicklungen. Ein sehr breites Spektrum an Methoden zur Bearbeitung komplexer Probleme in einem beruflichen Handlungsfeld ist für sie selbstverständlich. Sie können Gruppen oder Organisationen verantwortlich leiten. Im europäischen Vergleich ist die Fachschule schon lange dem tertiären Bildungsgängen zuzuordnen und im Hinblick auf berufliche Handlungsfähigkeit vergleichbaren Studiengängen teilweise überlegen (vgl. LAUTERBACH 1994, 238).

2 Deutsche Fachschulabschlüsse – lange ein blinder Fleck in den DQR-Gremien

Erst der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) fordert erstmals den systematischen Vergleich der in Europa erlangten Qualifikationen und Abschlüsse. Über den Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) sollen das deutsche Qualifikationssystem transparenter gestaltet, sowie Verlässlichkeit, Durchlässigkeit und Qualitätssicherung unterstützt werden. Während der „Meister“ als Aufstiegsweiterbildung über die Kammern einen breiten Raum in der Diskussion um Hochschulzugänge findet, sind Fachschulabsolventinnen und -absolventen überhaupt erstmals im Expertenvotum zur Eingruppierung im DQR erwähnt worden, nachdem sie lange Zeit keinerlei Aufmerksamkeit insbesondere innerhalb der Diskussion um Hochschulzulassungen des tertiären Sektors erfuhren (vgl. BMBF/KMK 2010, 118) Gerade weil sie über eine breite Qualifizierung und berufliche Expertise verfügen, hätten sie eine zentrale Stellung in ihrer Qualifikationsstufe verdient und die Durchlässigkeit zur Hochschule positiv umgesetzt werden können (vgl. EPPING 2006).

Dabei ist die mangelnde Anerkennung deutscher Fachschulabschlüsse kein internationales, sondern ein deutsches Problem. Für die UNESCO sind Fachschulen und Fachakademien - trotz mancher „blinder Flecken“ - Teil des tertiären Bildungsbereichs (ISCED 5B), für deutsche Bildungsbürokratie aber lediglich Bestandteil der berufsbildenden Schulen in der Sekundarstufe II. So wird ein anachronistisches Bildungssystem ohne Gleichwertigkeit allgemeiner und beruflicher Bildung zementiert und die Durchlässigkeit auf den verschiedenen Qualifikations- und Kompetenzstufen blockiert.

Die Missachtung höhere und höchster Qualifikationen, die im Beruf erworben werden, behindern nicht nur die Karrierewege der Betroffenen, sondern verzerren den Blick auf das Bildungssystem eines ganzen Landes. So ist nur formal nachvollziehbar, wenn die OECD einen Akademikerwandel in Deutschland beklagt. Würden die Abschlüsse tertiärer Bildungswege in die Akademikerbilanz mit aufgenommen, entstünde ein völlig anderes Bild (vgl. MÜLLER, N. 2009)

Selbst die ANKOM-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat bisher wenig gebracht. Das Projekt zur „Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge“ (ANKOM) zeigt im Konkreten auf, wo zwischen der allgemeinen und beruflichen tertiären Bildung Anschlussmöglichkeiten bestehen und wie Kompetenzen detailliert erfasst und anerkannt werden könnten. Die Ergebnisse des EU-Projekts „CREDIVOC“, an dem u. a. die Universitäten Bremen und Oldenburg, die Staatliche Technikakademie Weilburg und die Fachhochschule RheinMain in Wiesbaden beteiligt waren, zeigen konkrete Wege zu einer möglichen Akkreditierung auf. Vordringliches Ziel war hierbei die Identifizierung, Erprobung und der Transfer von Instrumenten, die eine Anerkennung und Anrechnung von beruflichen Aus- und Weiterbildungsleistungen nach Prinzipien des DQR für weiterführende Ausbildungsgänge (GEW-Berufsschul-Insider 4/2009) ermöglichen. Die Erfassung und Anrechnung beruflicher Kompetenzen hat zum Ziel, flexiblere Übergänge zwischen beruflichen Bildungsbiographien und Hochschule zu öffnen, Redundanzen an der Schnittstelle von beruflicher und akademischer Bildung zu vermeiden und bereits vorhandene Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen gerechter als bisher anzuerkennen. Obwohl Fachschulabschlüsse zunächst eigenständige, direkt in den Beruf führende Abschlüsse sind, könnte mit einem solchen Verfahren der Weg zu einem möglichen Hochschulabschluss verkürzt werden. Gleichzeitig erhielten Fachschulabschlüsse endlich die verdiente gesellschaftliche Anerkennung. (vgl. TUTSCHNER/ WITTIG/ RAMI 2009)

3 Fazit

Duale Bildungsgänge an Hochschulen sind deutliche Belege für den hohen Stellenwert der Beruflichkeit und der damit verbundenen berufspraktischen Erfahrungen auch für akademische Ausbildungsgänge. Gleichzeitig legen Sie aber das Diskriminierungspotenzial offen, dass im Ausschluss der in der Praxis gewonnen Expertise vom Hochschulzugang liegt: Akademische Weiterbildung allein über allgemeinbildende oder additive allgemeinbildende Abschlüsse zu ermöglichen, wäre ein fundamentaler Fehler, der die große Masse der hochqualifizierten Menschen ohne höhere allgemeinbildende Abschlüsse ausgrenzt oder benachteiligt. Die Reputation der deutschen beruflichen Bildung und Weiterbildung wird hierdurch im Kern gefährdet. Deutlich wurde mittlerweile aufgezeigt, wie die Anerkennung in der Beruflichkeit erworbener Qualifikationen gelingen könnte. Das Expertenvotum der DQR-Arbeitskreise spricht hier eine klare Sprache (vgl. BMBF/ KMK 2101). Für die Fachschulen ergeben sich hieraus auch neue Positionen und Perspektiven, die in folgenden Punkten zusammengefasst werden können:

  • Fachschulausbildung ist ein tertiärer Bildungsbereich (Neupositionierung).
  • „Fachschulen“ werden zu „Fachakademien“ (neue Namensgebung).
  • „Staatlich geprüft“ wird in Zeiten des Bologna-Prozesses zum „Bachelor professional“ (neue Abschlussbezeichnung).
  • Aus Schülerinnen und Schülern werden bundesweit Studierende (einheitliche Bezeichnung).

Literatur

ACCREDITATION OF VOCATIONAL LEARNING OUTCOMES: Perspectives for a European Transfer (2009): ITB-Forschungsbericht 43/2009: Hrsg.: TUTSCHNER, R./ WITTIG, W/ RAMI, J. Online: http://lspace6.via-on-line.de/Oldenburg/cv.nsf/Alles/B631A3A8BAC081E0C1257602003F4D50/$file/00010612.pdf  (23-09-2011).

ANKOM: Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge – eine Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Online: http://ankom.his.de/initiative/index.php  (30-09-2010).

CREDIVOC: Transparency and Mobility through Accreditation of Vocational Learning Outcomes. Online: http://www.credivoc.eu  (30-09-2011).

EPPING, V. (2006): Rechtsgutachten über die Möglichkeiten der Einführung von Bachelor (Professionals) und Master (Professionals) als zusätzliche Berufsbezeichnung für Absolventen der geregelten beruflichen (nicht akademischen) Weiterbildung auf hohem Niveau (Meister, Techniker, Betriebswirte, Fachwirte) in der Bundesrepublik Deutschland. Juristische Fakultät der Leibniz Universität Hannover.

BMBF/KMK - BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG/ KULTUSMINISTERKONFERENZ (Hrsg.) (2010): Expertenvotum zur zweiten Erarbeitungsphase des Deutschen Qualifikationsrahmens, Votum Metall/Elektro. August 2010. Online: http://www.deutscherqualifikationsrahmen.de/de/expertenvoten/expertenvotum-zur-zweiten-erarbeitungsphase-des-dq_gmelt2ej.html  (30-09-2011).

LAUTERBACH, U.: (1994): Schulische und betriebliche Berufsbildung im internationalen Vergleich. In: Bildung und Erziehung 47 (1994) 3, 237-247.

MÜLLER, N. (2009): Akademikerausbildung in Deutschland: Blinde Flecken beim internationalen OECD-Vergleich. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis 38 (2009) 2, 42-46. Online: http://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/bwp/show/id/1713  (30-09-2011).

MÜSKENS, W./ TUTSCHNER, R. (2011): Äquivalenzvergleiche zur Überprüfung der Anrechenbarkeit beruflicher Lernergebnisse auf Hochschulstudiengänge – ein Beispiel aus dem Bereich Konstruktion/Maschinenbau. In: BARABASCH, A./ HARTMANN, E. A. (Hrsg.): bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Workshop 28 - Hochschulzugang. 1-16. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ws28/mueskens_tutschner_ws28-ht2011.pdf  (26-09-2011).


Zitieren dieses Beitrages

HILL, W. (2011): Verpasste Chancen ? - Gedanken zur Weiterbildung an Fachschulen im deutschen Bildungssystem. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 08.1/2, hrsg. v. SCHWENGER, U./ HOWE, F./ VOLLMER, T./ HARTMANN, M./ REICHWEIN, W., 1-5. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft08/hill_ft08-ht2011.pdf (19-11-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/