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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT14 - Pflege
Herausgeberinnen: Ingrid Darmann-Finck & Gerlinde Glissmann

Titel:
Neue Chancen in der Pflege durch flexiblere Bildungswege


Transparenz – Mobilität – Durchlässigkeit!? Chancen und Grenzen von Qualifikationsrahmen für die Pflegeberufe

Beitrag von Karin REIBER (Hochschule Esslingen)

Abstract

Qualifikationsrahmen sind Instrumente, die Bildungsabschlüsse in Form von Kompetenzbeschreibungen transparent, vergleichbar und damit auch anschlussfähig machen. Damit verbunden sind übergeordnete Ziele wie die Durchlässigkeit im Bildungssystem auf nationaler Ebene sowie die Mobilität im europäischen Bildungs- und Beschäftigungsraum. Als übergeordneter Systematisierungsrahmen ist der Europäische Qualifikationsrahmen eine Art Transmissionsriemen bei der Einstufung und Bewertung einer Qualifikation des einen Landes in einem anderen. Im Bereich der pflegeberuflichen Bildung gibt es inzwischen mehrere Beispiele, in denen Qualifikationsrahmen genutzt werden, um aus fachdidaktischer, bildungssystemischer oder forschungs- und entwicklungsorientierter Perspektive unterschiedliche Qualifikationsstufen innerhalb der Pflegeberufe auszudifferenzieren. Alle drei Perspektiven sind verbunden mit einer konsequenten Kompetenzorientierung und dem Anspruch auf hohe Durchlässigkeit. Dabei wird das Instrument Qualifikationsrahmen also genutzt, um eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Pflegeberufe und ihrer Bildungsstrukturen systematisch an einen übergreifenden Ordnungsrahmen rückzubinden. Eine Herausforderung dabei sind die Abgrenzungskriterien der einzelnen Qualifikationsniveaus voneinander. Neben dem Potenzial, das Qualifikationsrahmen für die Weiterentwicklung der Pflege aufweisen, werden an ihrer Rezeption einmal mehr Besonderheiten und Sonderstellung der pflegeberuflichen Bildung deutlich!

1 Was sind und wozu dienen Qualifikationsrahmen?

Qualifikationsrahmen zählen zu den neuen Steuerungsmodellen im Bildungssystem, die dazu dienen, Bildungsgänge transparent, vergleichbar und messbar zu machen sowie die horizontale und vertikale Durchlässigkeit zu erleichtern. Zu diesen neuen Steuerungsmodellen im Bildungssystem zählen noch weitere Instrumente wie z. B. Bildungsstandards; sie kommen inzwischen in allen Bildungssektoren zur Anwendung. Neue Steuerungsmodelle sind Ausdruck eines New Public Management – einer Tendenz, den öffentlichen Sektor nach privatwirtschaftlichen Prinzipien zu managen (vgl. HANF 2010). Mit diesen neuen Steuerungsmodellen verbindet sich eine ganz spezifische Bildungs-„Philosophie“: Im Dienste des Lebenslangen Lernens werden Abschlüsse zu Anschlüssen, aus einer stark verwertungsorientierten Perspektive geht es nunmehr um berufliche Handlungskompetenz (vs. träges Wissen) sowie um den Outcome (vs. Input). Diese Präliminarien deuten bereits darauf hin, dass die neuen Steuerungsmodelle im Allgemeinen und die Qualifikationsrahmen im Besonderen mit ganz handfesten Interessen verknüpft sind, die über reine Bildungsaspirationen weit hinausgehen: Sie weisen eine „pointiert arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Perspektive“ (LOHMANN 2011, 47) auf. Deshalb bildet ein kritisch-konstruktiver Zugang den Rahmen für die folgenden Ausführungen.

Die Europäische Kommission intendiert mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR), die europaweite Mobilität im Berufsbildungs- und Beschäftigungssektor zu fördern. Der EQR ist außerdem ein wichtiges Umsetzungsinstrument für die Leitmaxime des Lebenslangen Lernens. Der EQR hat die Funktion, den europäischen Bildungsraum formal zu strukturieren und zu vereinheitlichen. Er dient als Übersetzungsmedium zwischen nationalen Qualifikationssystemen und Abschlüssen und soll durch eine größere Transparenz den einzelnen Beschäftigten gleichermaßen nutzen wie Institutionen und Unternehmen (vgl. Europäische Kommission 2008). Um als Übersetzungsinstrument dienen zu können, bedarf es auf nationaler Ebene eines Qualifikationsrahmens, der die Qualifikationsstufen jedes der beteiligten Länder abbildet. So kann ein Bildungsabschluss im Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) eingeordnet werden, um ihn im EQR der entsprechenden Qualifikationsstufe zuweisen zu können, woraus wiederum für jeden anderen EU-Mitgliedsstaat das nationale Bildungsniveau des Abschlusses abgeleitet werden kann (vgl. Rahtjen 2006).

Der EQR differenziert einerseits unterschiedliche Wissens- und Erkenntnisdimensionen (Horizontale), anderseits verschiedene Niveaus (Vertikale):

Tabelle 1: EQR-Matrix

 

Kenntnisse

Fertigkeiten

Kompetenz

Niveau

 

 

 

Quelle: Europäische Kommission 2008, 12-13


Kenntnisse werden hier definiert als verarbeitete Informationen, Fertigkeiten als die Fähigkeit, diese Kenntnisse zu nutzen, und Kompetenz als ausgewiesene Fähigkeit, Kenntnisse und Fertigkeiten kombiniert mit personalen, sozialen und methodischen Befähigungen in unterschiedlichen Lebenskontexten einzusetzen. Die Niveaus sind achtstufig ausdifferenziert und werden durch Deskriptoren definiert, die die Lernergebnisse der jeweiligen Stufe beschreiben. In der Dimension „Kenntnisse“ sind die Referenzniveaus folgendermaßen angeordnet:

  1. grundlegend-allgemein
  2. grundlegend-verstehend und bereichsbezogen
  3. fachspezifisch, eng umgrenzt
  4. fachspezifisch, mit breiterem Spektrum
  5. breit angelegte theoretische und praktische Kenntnisse
  6. detaillierte theoretische und praktische Fachkenntnisse
  7. hochspezialisiertes theoretisches und praktisches Wissen
  8. Anwendung des Fachwissens zur Analyse komplexer Fragestellungen


Die acht Referenzniveaus lassen sich gleichsam als progressive Entwicklungslinie lesen, auf der die Komplexität der Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen zunimmt und die damit einhergehende Verantwortung sowie das Maß an Autonomie in beruflichen Handlungskontexten steigen.

Korrespondierend mit dem EQR soll der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) als nationaler Qualifikationsrahmen die Anwendung und Umsetzung im deutschen Bildungssystem sicherstellen. Der DQR hat dabei die spezifischen Funktionen, die Besonderheiten des nationalen Bildungssystems angemessen zu berücksichtigen und für die Vergleichbarkeit sowie eine angemessene Bewertung deutscher Qualifikationen einzustehen. Der DQR übernimmt die acht Referenzniveaus des EQR, unterscheidet jedoch auf der Vertikalen vier unterschiedliche Dimensionen:

Tabelle 2:  DQR-Matrix

Niveauindikator

Anforderungsstruktur

Fachkompetenz

Personale Kompetenz

Wissen

Fertigkeiten

Sozialkompetenz

Selbstkompetenz

Tiefe und Breite

Instrumentelle und systemische Fertigkeiten, Beurteilungsfähig-keit

Team-/ Führungsfähigkeit, Mitgestaltung und Kommunikation

Selbstständigkeit/Verantwortung, Reflexivität und Lernkompetenz

Quelle: DQR 2010, 7


Der DQR umfasst Qualifikationen aus dem Allgemeinbildungs-, Berufsbildungs- und Hochschulsektor mit „Schwerpunkt (…) auf arbeitsmarktrelevanten Qualifikationen“ (DQR 2010, 10). Zu einem späteren Zeitpunkt sollen non-formal und informell erworbene Kompetenzen hinzukommen (vgl. DQR 2010). Derzeit findet eine Erprobung der Systematik in vier Berufsfeldern statt: Gesundheit, Handel, Informationstechnologie und Metall/Elektro (vgl. dazu Hülsken-Giesler in diesem Band). Diese bildungsbereichsübergreifende Systematik mit späterer Einbeziehung non-formaler und informell erworbener Kompetenzen steht für einen konsequent outputorientierten Ansatz, bei dem in erster Linie die Lernergebnisse zählen und nicht Ort und Art ihres Erwerbs.

2 Adaptionsbeispiele aus der pflegeberuflichen Bildung

An drei Beispielen wird im nächsten Schritt dargestellt, welche Anknüpfungspunkte Qualifikationsrahmen für die pflegeberufliche Bildung bieten. Es handelt sich dabei um drei ganz unterschiedliche didaktische Handlungsebenen: Das Bildungskonzept „Pflegebildung offensiv“ ist ein Idealentwurf für ein Gesamtsystem ineinander greifender und aufeinander aufbauender Bildungsgänge im Sekundar- und Tertiärbereich. Im Modellprojekt „Wechselseitige Anrechnung vorgängig erworbenen Wissens in der Pflege“ (WAWiP) wurden Möglichkeiten der Verzahnung von beruflicher und hochschulischer Bildung durch Anrechnungsverfahren erprobt. Das dritte Beispiel ist ein fachdidaktisches kompetenzorientiertes Modell, das die formalen Qualifikationsstufen des Qualifikationsrahmens inhaltlich näher bestimmt. Diese Beispiele werden zunächst vorgestellt, wobei von Interesse ist, wie die Qualifikationsstufen inhaltlich von der Pflegetätigkeit her gegeneinander abgegrenzt werden.

2.1 Bildungskonzept für die Pflege

Das Bildungskonzept des Deutschen Bildungsrats für Pflegeberufe (DBR), ein Forum verschiedener Berufsorganisationen der Pflege für Bildungsfragen, beschreibt unterschiedliche Stufen pflegeberuflicher Qualifizierung und adaptiert dabei die „europäischen und nationalen Vorgaben des allgemeinen Bildungssystems“ (DBR 2007, 2), um damit die von Sonderwegen gekennzeichneten Bildungswege in der Pflege zu normalisieren. Die verschiedenen Qualifikationsniveaus sollen unterschiedliche Zugangswege in den Pflegeberuf eröffnen. Zugleich ist die Diversifikation von Bildungs- und Kompetenzstufen eine Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen der Pflegeberufe und damit ein Beitrag zu deren Zukunftsfähigkeit. Das Konzept „Pflegebildung offensiv“ umfasst mehrere Ausbildungsniveaus von der Sekundarstufe I bis hin zur Promotion mit hoher vertikaler und horizontaler Durchlässigkeit. Eine Zuordnung der pflegeberuflichen Qualifikationsniveaus erfolgt für die EQR-Stufen 3 bis 8. Die Abgrenzung der den Kompetenzniveaus entsprechenden Tätigkeitsbereiche erfolgt über den Komplexitätsgrad der Pflegesituation (vgl. DBR 2007).

Anhand von zwei Qualifikationsstufen wird nun dargestellt, wie die Zuordnung zum EQR anhand inhaltlicher Kriterien der jeweiligen Pflegetätigkeit erfolgt. Der erste berufsqualifizierende Abschluss des Konzepts ist der/die Assistent/in Pflege; diese Qualifikation entspricht der EQR-Stufe 3. Die damit korrespondierende Pflegetätigkeit wird beschrieben als „allgemeine[ ] Unterstützung der Selbstpflege von orientierten Klientinnen und Klienten in stabilen Pflegesituationen“ (DBR 2007, 42). Die Stufe „professionell Pflegende“ ist sowohl mit einer Berufsausbildung als auch mit einem Hochschulstudium erreichbar, wobei keine „schematische Abgrenzung für potenzielle Aufgaben für die Absolventen beider Bildungsniveaus“ (DBR 2007, 44) vorgenommen wird. Die dreijährige Berufsausbildung korrespondiert mit der EQR-Stufe 5, ein Bachelor-Abschluss „Nursing“ korrespondiert mit der EQR-Stufe 6. Für professionell Pflegende liegen die Tätigkeitsbereiche in der Steuerung des Pflegeprozesses. Für akademisch ausgebildete professionell Pflegende mit Bachelor-Abschluss kommt zu diesem Tätigkeitsbereich die wissenschaftlich fundierte Weiterentwicklung des jeweiligen Praxisfeldes hinzu.

2.2 Wechselseitige Anrechnung von Kompetenzen

In einem kooperativen Projekt der Hochschule Fulda mit der Universität Kassel im Rahmen des BLK-Programms zur Weiterentwicklung dualer Studiengänge wurden Formen und Möglichkeiten der „wechselseitigen Anerkennung vorgängig erworbenen Wissens in der Pflege“ (WAWiP) erprobt. Im Rahmen dieser Anerkennung wurden sowohl beruflich erworbene Qualifikationen und Kompetenzen als auch informell erworbene Kompetenzen berücksichtigt, um damit „der Realität der eher atypischen Bildungskarrieren im Berufsfeld Pflege im Sinne einer ‘weiblichen Biografie’“ (PIOTROWSKI et al. 2007, 5) Rechnung zu tragen. Um die den Modulbeschreibungen eines Bachelorstudiengangs Pflege sowie eines Masterprogramms „Pädagogik der Gesundheits- und Pflegeberufe“ immanenten Kompetenzen sichtbar zu machen, wurden deren Ziele und Inhalte zu Standards aufbereitet. Für die Formulierung dieser Kompetenzstandards bildete der EQR den Referenzrahmen.

Die Niveauabstufung der Kompetenzstandards erfolgt hier gemäß der Komplexität der Pflegesituation, die sich aus „Umfang und Verschiedenartigkeit der Personen und Gegenstände, mit denen die berufliche Handlung in Zusammenhang steht“ (PIOTROWSKI/ GERLACH 2008, 20), ableiten lässt. Weitere Einordnungskriterien sind „die Variabilität und Veränderlichkeit der Situation“ (ebd.) sowie der Spezialisierungsgrad der Handlung. Darüber hinaus geht es um die Selbstständigkeit in der Ausführung einer beruflichen Handlung, die hierfür erforderliche kritische Reflexionsfähigkeit und das Ausmaß der Verantwortung, die dabei zu übernehmen ist.

2.3 Fachdidaktik Pflege

Das dritte Beispiel, das zur Veranschaulichung der Abstufung von Qualifikationsniveaus in der Pflege anhand inhaltlicher Kriterien dient, stammt aus der Fachdidaktik Pflege. Das kompetenztheoretische Modell der Pflegedidaktik von Christa Olbrich gründet in einer wissenschaftlichen Studie, für die empirisch berufliche Kompetenzen in der Pflege erfasst wurden (OLBRICH 1999). Die dabei erfassten Kompetenzen lassen sich gestuft und hierarchisch gemäß eines Entwicklungsverlaufs anordnen:

  1. regelgeleitetes Handeln: Anwendung von Wissen und Kenntnissen nach allgemeingültigen Vorgaben im Rahmen vorgegebener Normen; Routinetätigkeiten;

  2. situativ-beurteilendes Handeln: Pflegehandeln auf der Basis einer eigenen Einschätzung und Beurteilung der Situation, wobei die Ergebnisse der Handlung antizipiert und die Besonderheiten der spezifischen Situation und des jeweiligen Patienten berücksichtigt werden;

  3. reflektierendes Handeln: Pflegehandeln als intersubjektive Interaktion, die den Bezug der Pflegeperson zur jeweiligen Situation reflektiert, z. B. das persönliche Menschenbild und berufliches Rollenverständnis;

  4. ethisch-aktives Handeln: Pflegehandeln, das die ethischen Implikationen der Situation reflektiert, wobei die Pflegeperson stellvertretend für den Patienten für dessen Würde und Rechte einsteht.


OLBRICH (1999) ordnet diesen vier Kompetenzstufen vier verschiedene Arten des Lernens zu, wobei das Qualitätsniveau der Lernoperation mit Wert und Rang der Pflegekompetenzstufe korrespondiert:

1a. deklaratives Lernen: Lernen von Fakten und Prinzipien;

1b. prozedurales Lernen: Lernen von Vorgängen und Verfahrensweisen;

2. konditionales Lernen: Lernen, welches Wissen und Können in welchen Situationen anwendbar ist;

3. reflektives (OLBRICH 1999, 141/2010, 178) bzw. reflektierendes (OLBRICH 2009) Lernen: Selbstreflexion lernen, um Einsicht zu haben in die eigenen Antriebskräfte und Werte;

4. identitätsförderndes Lernen: Lernen, mit unterschiedlichen Ansprüchen und Erwartungen umzugehen und auf diese unter Wahrung der eigenen Identität zu antworten.


In ihren späteren Arbeiten stellt OLBRICH (2009, 2010) einen Zusammenhang her zwischen den Kompetenz- und Lernstufen und dem EQR; nachfolgend wird als Leitdifferenz für die Abgrenzung der Niveaus ein Kriterium ausgewählt: Selbständigkeit und Verantwortung. Das regelgeleitete Handeln wird dem Ausbildungsgrad „Pflegeassistenz“ und den EQR-Stufen 1-3 zugeordnet. Es geht auf dieser Stufe um die Ausführung delegierter Aufgaben und „die Durchführung[ ] von Pflegemaßnahmen in einfachen und stabilen Situationen“ (OLBRICH 2009, 74). Das situativ-beurteilende Handeln korrespondiert mit der 3-jährigen Pflegeausbildung und den EQR-Stufen 4 und 5. Mit Blick auf Selbständigkeit und Verantwortung üben Pflegefachpersonen professionelle Pflege in den eigenständigen Tätigkeitsbereichen (gemäß KrPflAPrV 2003) aus; außerdem übernehmen sie „Anleitung, Beaufsichtigung und Delegation von anderen Personen“ (OLBRICH 2009, 75). Dem reflektierenden Handeln ist sowohl die Berufsausbildung als auch ein erster akademischer Grad und die EQR-Stufe 5 zugeordnet; das Pflegehandeln lässt sich kennzeichnen als „Handlungsketten von Wahrnehmen, Beurteilen, Entscheiden, Handeln und Begründen“ (OLBRICH 2009, 77) und wird gerahmt von kontinuierlicher Reflexion. Ebenso ist das aktiv-ethische Handeln sowohl durch eine Berufsausbildung als auch durch ein Hochschulstudium erreichbar und entspricht der EQR-Stufe 5. Zusätzlich zu den vorab genannten Kompetenzen umfasst dieses Handeln die „gelebte[ ] und nach außen gezeigte[ ] Performanz einer Berufsethik“ (OLBRICH 2009, 78).

2.4 Durchlässigkeit und Kompetenzorientierung

Alle drei skizzierten Beispiele machen deutlich, dass durch die hohen quantitativen und qualitativen Anforderungen in der Pflege ein Zukunftsentwurf der Pflegeberufe mit einer stärkeren Binnendifferenzierung von Tätigkeitsfeldern und Kompetenzbereichen einhergeht. In allen drei Beispielen reichen die Qualifikationsstufen von einer Assistenzebene bis hin zu Hochschulabschlüssen, wobei die fachschulische Ausbildung und ein Studium in keinem Fall als sich gegenseitig ausschließende konkurrierende Wege betrachtet werden, sondern als sich wechselseitig ergänzende Bildungsvarianten. Die Ausdifferenzierung der Pflegeberufe wird dabei immer in einem Gesamtsystem konzeptualisiert, das sowohl vertikale als auch horizontale Durchlässigkeit aufweist. Weiterhin sind alle drei Beispiele konsequent kompetenzorientiert ausgerichtet, indem sie sich auf die erworbenen Kompetenzen (Projekt WAWiP) bzw. die für eine bestimmte Qualifikationsstufe erforderlichen Kompetenzen (Pflegebildung offensiv, kompetenztheoretisches Fachdidaktikmodell Pflege) beziehen. Die einzelnen Qualifikationsstufen werden dadurch voneinander abgegrenzt, dass ihnen Pflegesituationen unterschiedlicher Komplexität zugeordnet werden, die jeweils mit einem bestimmten Maß an Verantwortungsumfang und Selbstständigkeit korrespondieren.

Mit Blick auf die drei Adaptionsbeispiele lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die Prinzipien der Qualifikationsrahmen auf die Pflegeberufe übertragbar sind – dass sie geradezu für deren Weiterentwicklung im Sinne einer stärkeren Ausdifferenzierung von Tätigkeitsbereichen und Ausbildungswegen genutzt werden können. Zugleich werden bei der Anwendung von Qualifikationsrahmen auf die Pflegeberufe Grenzen deutlich, die mit der bisherigen Sonderstellung der Pflegeberufe, insbesondere ihrer Ausbildungswege, zusammenhängen. Deshalb werden nun abschließend Chancen und Grenzen von Qualifikationsrahmen für die Pflegeberufe diskutiert.

3 Chancen und Grenzen von Qualifikationsrahmen für die Pflege – Fazit und Ausblick

Die mit den Qualifikationsrahmen intendierte dreifache Zauberformel von mehr Transparenz, mehr Mobilität und mehr Durchlässigkeit ist auf den ersten Blick vielversprechend – auch und gerade für die Pflegeberufe. Auf den zweiten Blick aber verbinden sich mit der Anwendung der Qualifikationsrahmen auf die Pflegeberufe Friktionen und Hindernisse.

Eine unbestreitbare Chance mit Blick auf die Mobilität liegt darin, dass sich Pflegekräften über den EQR und die entsprechenden Nationalen Qualifikationsrahmen Europa als Beschäftigungsraum eröffnet, unabhängig davon, wo die Qualifikationswege im jeweiligen Land innerhalb des Bildungssystems verortet sind. Das ist für die Pflegeberufe deshalb von Interesse, weil die Berufsausbildungen im europäischen Vergleich differieren (vgl. REIBER 2007). Hier ist eine kompetenzorientierte Perspektive (welche Kompetenzen hat er/sie erworben?) weiterführender als eine statusgebundene (wo hat er/sie die Kompetenz erworben?). Auch hinsichtlich der Transparenz ist diese kompetenzorientierte Sichtweise eine Erweiterung, weil sich vor dem Hintergrund der Lernergebnisse die pflegeberuflichen Bildungswege der einzelnen Länder zuverlässiger beurteilen und vergleichen lassen als bei der ausschließlichen Betrachtung der formalen Einordnung von Ausbildungen (z. B. Berufsausbildung oder Studium). Die Durchlässigkeit innerhalb der Pflegeberufe eröffnet den Berufsangehörigen größere Entwicklungsspannen und -perspektiven. Dies macht die Pflegeberufe attraktiver und ist eine wichtige Voraussetzung für Lebenslanges Lernen.

Als Grenze kann für die Mobilität konstatiert werden, dass nicht nur die Ausbildungswege differieren, sondern auch die Tätigkeitsfelder für Pflegekräfte unterschiedlich zugeschnitten sind. Die Zuordnung von Kompetenzen zu Tätigkeitsfeldern und damit korrespondierenden Zuständigkeits- und Verantwortungsbereichen bedarf noch der Vorbereitung durch entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Begrenzend wirkt sich im Hinblick auf die Transparenz aus, dass gerade die Pflege konstitutive Tätigkeitsanteile hat, die schwer messbar sind und sich damit der Gesamtlogik von EQR/DQR ein Stück weit entziehen, wie z. B. kommunikatives Handeln und Interaktion. Und schließlich wirkt sich bei der Durchlässigkeit limitierend aus, dass die Hauptausbildungswege nicht im öffentlichen Bildungssystem verankert, sondern bei freien Trägern angesiedelt sind. Diese Tatsache wirkt sich immer wieder erschwerend bei Übergängen zwischen öffentlichen und frei-gemeinnützigen Bildungsgängen aus.

In einer kritisch-konstruktiven Zusammenschau lässt sich abschließend festhalten, dass outputorientierte Steuerungsmodelle wie EQR/DQR durchaus neue Perspektiven eröffnen. Ihre Adaption ist jedoch durch einen Bildungsdiskurs zu kontextuieren, um eine bloße Reduktion auf beruflich verwertbare Qualifikationen zu verhindern. Berufliche Bildung ist einem Bildungsverständnis verpflichtet, das immer auch der Persönlichkeitsentwicklung Raum gibt! Zur näheren und validen Bestimmung der genuin pflegerischen Kompetenzen bedarf es noch großer Forschungsanstrengungen, um normative Aussagen hierzu empirisch absichern zu können. Weiterhin ist zur konzeptionellen Absicherung einer Umsetzung des EQR/DQR für die Pflegeberufe ein Kerncurriculum Pflegewissenschaft (vgl. dazu HÜLSKEN-GIESLER in diesem Band) erforderlich, um die Kompetenzen und ihre Abstufungen von der Disziplin her zu legitimieren.

Literatur

EUROPÄISCHE KOMMISSION (2008): Der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR). Luxemburg. Online: http://ec.europa.eu/education/pub/pdf/general/eqf/broch_de.pdf (02-05-2011).

DEUTSCHER BILDUNGSRAT FÜR PFLEGEBERUFE (Hrsg.) (2007): Pflegebildung offensiv. Das Bildungskonzept des Deutschen Bildungsrates für Pflegeberufe 2006. München/Jena.

DEUTSCHER QUALIFIKATIONSRAHMEN FÜR LEBENSLANGES LERNEN (DQR) (2010): Expertenvotum zur zweiten Erarbeitungsphase des Deutschen Qualifikationsrahmens. Einführung. Berlin.

HANF, G. (2010): Vom Europäischen zum Deutschen Qualifikationsrahmen. In: Bildung und Erziehung, 63, H. 2, 175-192.

LOHMANN, I. (2011): Zur Vorgeschichte des Europäischen Qualifikationsrahmens und zum Stand der Diskussion über seine nationale Umsetzung – Eine skeptische Zwischenbilanz. In: Erziehungswissenschaft. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), 22, H. 42, 41-54.

OLBRICH, C. (1999): Pflegekompetenz. Bern u.a..

OLBRICH, C. (2009): Kompetenztheoretisches Modell der Pflegedidaktik. In: OLBRICH, C. (Hrsg.): Modelle der Pflegedidaktik. München, 63-85.

OLBRICH, C. (2010): Pflegekompetenz. 2. <st1:personname w:st="on">voll</st1:personname>st. überarb. u. erw. Aufl. Bern u.a..

PIOTROWSKI, A./ HECKENHAHN, M./ GERLACH, A. (2007): Anrechnung pflegeberuflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulstudiengänge. In: bwp@, 11, 1-19. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe11/piotrowski_etal_bwpat11.pdf (07-05-2011).

PIOTROWSKI, A./ GERLACH, A. (2008): Abschlussbericht „Entwicklung eines Modells wechselseitiger Anrechnung vorgängig erworbenen Wissens für die Berufsqualifikation in der Gesundheits- und Krankenpflege sowie die Wahrnehmung von Lehraufgaben an Krankenpflegeschulen gem. § 4 KrPflG“. Projekt WAWiP: Wechselseitige Anerkennung vorgängig erworbenen Wissens in der Pflege. Modellprojekt der Hochschule Fulda und der Universität Kassel des Landes Hessen. Kassel. Online: http://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2008060321833/1/AbschlussberichtProjektWAWiP.pdf  (07-05-2011).

RATHJEN, J. (2006): Der europäische Qualifikationsrahmen – Ziele und aktuelle Entwicklungen. In: KOCH, M./ WESTERMANN, G. (Hrsg.): Von Kompetenz zu Credits – Anrechnung beruflicher Kompetenzen auf ein Hochschulstudium. Wiesbaden, 125-135.

REIBER, K. (2007): Pflegebildungssystem im europäischen Vergleich. In: KAUNE, P./ RÜTZEL, J./ SPÖTTL, G.(Hrsg.): Berufliche Bildung, Innovation und Soziale Integration — Dokumentation der 14. Hochschultage Berufliche Bildung. Bielefeld, CD.ROM.


Zitieren dieses Beitrages

REIBER, K. (2011): Transparenz – Mobilität – Durchlässigkeit!? Chancen und Grenzen von Qualifikationsrahmen für die Pflegeberufe. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 14, hrsg. v. DARMANN-FINCK, I./ GLISSMANN, G., 1-9. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft14/reiber_ft14-ht2011.pdf (26-09-2011).



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