Im Januar 2007 bat die Stadt Hennef das örtliche Berufskolleg um aktive Unterstützung bei der Planung und Errichtung einer Garage durch die Auszubildenden in Berufen des Bauhaupt- und Baunebengewerbes. Die Garage sollte gleichzeitig als Unterbringung und Werkstatt für die Mofa-AG und die Garten-AG der Gemeinschaftshauptschule (GHS) in Hennef dienen.
Das Berufskolleg Hennef war bereits mit mehreren Gewerke übergreifenden Bauprojekten an die Öffentlichkeit getreten, bei denen eine Verzahnung zwischen Theorie- und Praxisunterricht stattgefunden hatte (vgl. RICHTER 2007). Die durchgeführten Projekte waren dokumentiert worden (vgl. GÖTTSCHE/ JOSTEN 2005; GÖTTSCHE 2007) und dienten darüber hinaus als Ausgangsbasis für die Weiterentwicklung des Gewerke übergreifenden Unterrichts (vgl. GÖTTSCHE 2007).
Das Projekt „Garage für die GHS Hennef“ unterscheidet sich von den vorangegangenen Gewerke übergreifenden Projekten vor allem durch den Umfang und die Komplexität. Die Errichtung eines vollständigen Gebäudes bedeutet, mit einem Lehrerteam aus neun Gewerken ein gemeinsames handlungsorientiertes Unterrichtsprojekt zu planen und dieses dann auf einer realen Baustelle von der Bodenplatte bis zur Schlussbeschichtung mit insgesamt 140 Schülerinnen und Schülern umzusetzen.
Hier wird nicht nur der Baualltag Realität für alle Beteiligten. Vor allem an die Planung und Durchführung des Theorieunterrichts und dessen Verzahnung mit der Praxis werden neue Anforderungen gestellt. Für das reibungslose Gelingen eines solch komplexen Unterrichtsprojekts braucht ein Gewerke übergreifendes Team deshalb klare Zielvereinbarungen, Qualitätsstandards und eine umfassende Evaluation.
Am Berufskolleg Hennef wurde im Jahr 2005 im Rahmen der Schulentwicklung die Arbeitsgruppe „Gewerke übergreifende Baudidaktik“ gegründet, die zuständig ist für die Planung und Durchführung von Bauprojekten. Da das Berufskolleg eine Bündelschule im ländlichen Gebiet ist, sind fast alle Gewerke, die für die Durchführung eines solchen Projektes erforderlich sind, vor Ort verfügbar. Für Schwerpunktschulen, die Gewerke übergreifende Projekte durchführen wollen, empfiehlt es sich, diese nach ihren Voraussetzungen zu planen oder Kooperationen mit anderen Berufsschulen einzugehen.
Über die organisatorischen Strukturen hinaus braucht ein Gewerke übergreifendes Team einen Projektfahrplan (SCHEURER 2002, 106 ff.) in dem die Zielvereinbarungen, Qualitätsstandards und Evaluationskriterien festgelegt sind. Um diesen zu entwickeln, wurden mehrere Arbeitstreffen angesetzt, in denen die Arbeitsgruppe Gewerke übergreifende Baudidaktik folgendes Schema zugrunde legte:
Die Zielsetzung des Projekts umfasste drei Dimensionen:
Bauablauf: die Erstellung eines Bauablaufplans in Anlehnung an die betriebliche Realität, wobei die Rahmenbedingungen des Unterrichts berücksichtigt werden müssen (so sind z.B. Block- und Prüfungszeiten, Klassenstärken oder Vertretungsunterrichte für Lehrkräfte, die sich auf der Baustelle befinden, in die Planung einzubeziehen),
Fachlichkeit: die fachliche Abstimmung zwischen den einzelnen Gewerken sowie
Unterricht: die Einbindung der bautechnischen und gestalterischen Inhalte in Gewerke spezifische Lernsituationen, in denen auch die Gewerke übergreifenden Anforderungen einbezogen werden sollten.
So konnten ausgewählte Anforderungen, die durch die Arbeit eines vorangegangenen Gewerkes entstanden waren, in der Lernsituation eines Folgegewerkes aufgegriffen werden und als Grundlage für die Entwicklung von Problemlösungen dienen. So informierten sich z.B. die Maler über den Untergrund (verzinkter oder unverzinkter Stahl) der von den Metallbauern gefertigten Fenstergitter und planten einen fachlich korrekten Beschichtungsaufbau unter Berücksichtigung der technologischen und gestalterischen Situation.
Um die drei Dimensionen zu erfüllen, wurden die Zuständigkeiten in der Arbeitsgruppe Gewerke übergreifende Baudidaktik aufgeteilt. Die Bauleitung war verantwortlich für die Koordination des Bauablaufs und für Rücksprachen mit dem Auftraggeber. Für die fachliche Abstimmung waren je ein bis zwei Vertreter/innen der beteiligten Gewerke zuständig. Die didaktische Leitung stimmte mit den Beteiligten die Termine zur Präsentation der Unterrichtsentwicklung ab.
Für die Unterrichtsplanung wurden folgende Qualitätsstandards festgelegt:
die übersichtliche Darstellung der Unterrichtsinhalte aller beteiligten Bildungsgänge in Form eines Advance Organizers (vgl. WAHL 2006, 156)
( Advance Organizer = einfaches Organigramm als Entwicklungsstruktur ( in advance ) und Ausgangsbasis für eigene Problemlösungen. Gute Beispiele für Advance Organizer, die Denk- und Entwicklungsprozesse in der Übersicht verdeutlichen, finden sich in: LINDEMANN/ HAAS 2007)
die Entwicklung von handlungsorientierten Leittexten (GÖTTSCHE/ JOSTEN 2005; GÖTTSCHE 2006)
die detaillierte Planung von Unterrichtsmethoden und -material sowie der Unterrichtsdokumentation für jede Lernsituation.
In der anschließenden Evaluation sollte das Erreichen der Ziele sowie die Erfüllung der Qualitätsstandards ausgewertet werden.
Die Strukturen betrieblicher Projektplanungsprozesse (s. Abb. 3) sind auf die Planung von Unterrichtsprozessen nur bedingt übertragbar. Für die Einhaltung der Projektphasen nach SCHEURER in einem Gewerke übergreifenden Unterrichtsprojekt muss berücksichtigt werden, dass hierbei eigentlich zwei Projekte zu koordinieren sind: die Planung und Durchführung des Unterrichts in der Theoriephase als didaktisches Projekt sowie die Errichtung des Gebäudes in der Unterrichtspraxis als Bauprojekt, das wiederum eine Überprüfung der Praxistauglichkeit der durch die Schüler erarbeiteten Lösungen beinhaltet. Diese strukturell voneinander zu trennen, inhaltlich aber miteinander zu verzahnen und vor allem die Unterrichtsentwicklung und damit den angestrebten Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund der Gesamt-Projektplanung zu stellen, sind Anforderungen, die große Sicherheit und Flexibilität in der Bauplanung voraussetzen.
Konkret bedeutet dies, dass die Lernenden nach dem Prinzip der Handlungsorientierung im Unterricht die Möglichkeit haben müssen, „echte“ Entscheidungen, z.B. bei der Konstruktion, Gestaltung oder Materialauswahl, zu treffen, die dann (sofern sie fachlich und wirtschaftlich begründet und realisierbar sind) auch am Objekt umgesetzt werden können. Konsequent durchgeführt hätte dies aber zur Folge, dass das Bauwerk eigentlich erst während des Unterrichts durch die Schülerinnen und Schüler wirklich geplant werden kann. Ein solches Vorgehen entspricht aber nur selten der Baurealität, da hier die Handwerker in der Regel klare Rahmenbedingungen bekommen, die sie umsetzen müssen. Vor allem der Kunde muss „mitspielen“, denn er soll am Ende alles bezahlen. Die Voraussetzungen für den Zeit- und Finanzierungsrahmen sollten deshalb schon in den Vorverhandlungen mit dem Auftraggeber geklärt werden.
Für die Planung des Unterrichts muss daher immer abgewogen werden, welche konkreten Vorgaben gemacht werden müssen und an welchen Punkten die Lernenden ihre Kompetenzen freier entwickeln sollen. So können beispielsweise die Schüler/innen des BGJ Holztechnik Vorschläge zur Konstruktion der Giebelverbretterung (z.B. Stülpschalung, Feder-Nut-Verbretterung) entwickeln, nachdem sie die verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten im Unterricht erarbeitet haben. Hingegen gibt es keine Alternative zur generellen Notwendigkeit der Hinterlüftung für die Giebelverbretterung. Hier können die Lernenden in der Lernsituation fachwissenschaftliche Erfordernisse lediglich nachvollziehen. Sie können jedoch wiederum entscheiden, ob sie die Hinterlüftung durch Bohrung, Schlitzung oder Ausklinkung erreichen wollen. Alle drei Varianten lassen sich ohne wesentlich erhöhten Kosten- oder Zeitaufwand durchführen. Die am Bau umgesetzten Lösungen werden vor der Bauleitung und später mit dem Auftraggeber abgestimmt. Darüber hinaus muss die farbliche Gestaltung der Giebelverbretterung (lasierend, deckend, Holz- oder Buntton) mit den anderen Gewerken (z.B. Zimmerer, Maler) abgestimmt werden. Auf diese Weise können die Lernenden am Planungsprozess beteiligt werden.
Für die verzahnte Planung von Unterricht und Baustelle müssen daher die möglichen Problemansätze vorausschauend gedacht, aber nur im notwendigen Maß gelöst werden, um anschließend zu entscheiden, welche Konsequenzen dies für die Unterrichtsgestaltung hat. Eine so verzahnte Zusammenarbeit erfordert ein hohes Maß an Teamfähigkeit und den Willen, Unterricht wirklich handlungsorientiert und Gewerke übergreifend so zu gestalten, dass die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt stehen.
Der Erfolg des Gewerke übergreifenden Projekts Garage hing vor allem von der Einhaltung einer übersichtlich strukturierten Planung ab. Die Verbindlichkeit wurde durch Terminabsprachen in der Arbeitsgruppe geschaffen. Dabei wurden nicht nur die Bauphasen der einzelnen Gewerke, sondern auch Präsentationstermine für die Unterrichtsplanung sowie feste Termine für alle Teilnehmer (sog. „Meilensteine“, vgl. SCHEURER 2002, 266) festgelegt. Letztere dienten dazu, den Projektablauf für alle Beteiligten (am Projekt beteiligte Schüler und Lehrkräfte, die Schulleitungen des Berufskollegs und der Gemeinschaftshauptschule sowie Vertreter der Stadt) transparent zu machen und wurden jedes Mal im feierlichen Rahmen begangen. Dies waren:
der Projektstart („Kick off“),
das Richtfest und
die Einweihung und Übergabe an den Kunden.
Für die Unterrichtsplanung wurde ein eigener Fahrplan entwickelt, der auf dem Kenntnisstand der Arbeitsgruppenmitglieder aufbaute, welche zuvor an schulinternen Lehrerfortbildungen mit methodisch-didaktischem Schwerpunkt teilgenommen hatten.
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Die Planungshilfe diente den Bildungsgängen als Grundlage für die Konzeption des Teilprojekts. Jeder Schritt wurde dann durch die jeweiligen Vertreter der Arbeitsgruppe Gewerke übergreifende Baudidaktik in den Sitzungen präsentiert. Meist waren die Präsentationen wichtige Stationen, um einerseits eine Rückmeldung für die eigene Planung zu erhalten und andererseits im laufenden Prozess eine Gewerke übergreifende Abstimmung durchzuführen.
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Besondere Abstimmungsprobleme gab es in der Planung der Praxisphase, denn hier müssen sowohl Lehrer- als auch Klassenstundenpläne koordiniert werden. Darüber hinaus sollten im Voraus Pufferzeiten in der Bauphase einkalkuliert werden, damit eventuelle Fehler, die auf der Baustelle passieren, korrigiert werden können. Immerhin handelt es sich bei den Ausführenden um Schüler/innen der Berufsgrundschuljahre und Auszubildende, deren Lernprozess im Vordergrund stehen soll. Auf der anderen Seite darf die Bauphase nicht zu lang werden, damit der Zusammenhang für die Beteiligten nicht verloren geht und alle die Fertigstellung des Baus erleben.
Vor allem in der Praxisphase zeigt sich, wie im wirklichen Leben, dass selbst für ein „überschaubares“ Projekt wie die Garage längst nicht alles planbar ist und immer noch Probleme auftreten, die vorher nicht bedacht werden können. Hier sind Flexibilität und Improvisationstalent gefragt. Das sollte aber nicht so weit gehen, dass unter dem entstehenden Zeitdruck fachliche Fehler in Kauf genommen werden oder generell vom Konzept, das im Theorieunterricht erarbeitet wurde, abgewichen wird. In der Regel bedeuten unabgesprochene Spontanentscheidungen nämlich zusätzliche Arbeit und einen erhöhten Zeitaufwand für die Folgegewerke und sprengen schnell den Rahmen des Projekts. Besonders bedauerlich ist es, wenn die durch die Schüler geplanten Arbeiten aufgrund des Zeitmangels im Wesentlichen durch die Werkstattlehrer ausgeführt werden oder im Extremfall die Praxisphase für die Schüler vollständig „abgeblasen“ und statt dessen eine Fremdfirma engagiert wird um im Zeitplan zu bleiben.
Man kann deshalb durchaus behaupten, dass sich in der Durchführung der Baupraxis besonders deutlich zeigt, ob die Qualitätsstandards, die vor dem Beginn des Projekts festgelegt wurden, für die einzelnen Bildungsgänge auch eingehalten worden sind. Insofern ist die Produktevaluation ein wichtiges Instrument für die Bewertung der Unterrichtsplanung, deren Ziel es ja sein soll, die Lernenden zum Handeln zu qualifizieren.
Die Darstellung der Qualitätsentwicklung anhand des Projekts Garage hat Entwicklungschancen und mögliche Fehlerquellen der Unterrichtsplanung im Gewerke übergreifenden Zusammenhang verdeutlicht. So zeigt sich, dass die eigene Planungsarbeit durch die Zusammenarbeit mit den Kollegen anderer Gewerke besonders interessant werden kann. Besonders gewinnbringend ist dabei die Fertigstellung eines gemeinsamen Produkts. Für viele Kollegen ist aber die Überprüfbarkeit ihrer Unterrichtsergebnisse ungewohnt und häufig auch unangenehm. Daher ist es von besonderer Wichtigkeit, dass in einer Arbeitsgruppe wie der Gewerke übergreifenden Baudidaktik ein Arbeitsklima herrscht, in dem konstruktive Kritik geleistet wird, die wiederum zur Unterrichtsentwicklung jedes Einzelnen beitragen kann. Hier wird deutlich, dass für die nachhaltige Implementierung derartiger Projektstrukturen nicht nur das Unterrichtsmanagement, sondern auch die Kommunikationsfähigkeit des Kollegiums professionalisiert werden muss, um eine angstfreie Qualitätsentwicklung zu ermöglichen. „Immerhin“, sagte eine Schülerin bei der Auswertung des Projekts, „fand ich es echt interessant zu sehen, dass auch Lehrer ganz schön viele Fehler machen und mal richtig was dazu lernen müssen.“
GÖTTSCHE, F./ JOSTEN, A. (2005): Erstellung von Lernsituationen für den Lernfeldunterricht nach der Leittextmethode. Schulinternes Skript des BK Hennef. Bezug über: schulleitung@bk-hennef.de.
GÖTTSCHE, F. (2006): Praktischer Leitfaden zur Erstellung von Lernsituationen nach der Leittextmethode für den Lernfeldunterricht. SchiLF-Material des BK Hennef. Bezug über: schulleitung@bk-hennef.de.
GÖTTSCHE, F. (2007): Die Dokumentation von Unterrichtsprojekten als Instrument der Schulentwicklung. In: Mitteilungsblatt der Bundesarbeitsgemeinschaft Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung 01/2007, 6-9.
LINDEMANN, H.-J./ HAAS, U. (Hrsg.) (2007): SOL in der Lernfeld- und Themenfeldarbeit. Berlin.
RICHTER, K. (2007): Eine Didaktik zur Umsetzung von Gewerke übergreifenden Lernsituationen. 1. Aufl. Bielefeld, 244 ff.
SCHEURER, B. (2002): Intelligentes Projektmanagement. Planen, wagen, gewinnen. 1. Aufl. Stuttgart und München.