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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 02 Chemie und Umwelttechnik

Entwicklung eines Leistungspunktesystems in den Assistentenberufen des Berufsfeldes Chemie, Physik und Biologie

 

Abstract

Die Lise-Meitner-Schule Berlin ist ein naturwissenschaftlich orientiertes Oberstufenzentrum mit verschiedenen Schulformen unter einem Dach: Berufsschule, Berufsfachschule für Technische Assistenten, Berufliches Gymnasium und Fachoberschule. Im Rahmen von Leonardo-Mobilitätsprojekten absolvieren 55-60 Schülerinnen und Schüler ein Praktikum in Bildungseinrichtungen (Hochschulen/ Universitäten), Forschungseinrichtungen oder Industriebetrieben in 24 EU-Ländern. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mobilitätsmaßnahmen erwarten von der Schule, dass ihnen das EU-Praktikum mit einem aussagekräftigen Zertifikat bescheinigt wird, so dass die Personalleitung eines Chemie- oder Pharmaunternehmens die im Praktikum erworbenen beruflichen Handlungskompetenzen sofort erkennen kann. Im Beitrag wird ein Konzept vorgestellt, wie diese Kompetenzen dokumentiert und zertifizierbar gemacht werden. Außerdem wird ein noch laufender Arbeitsprozess vorgestellt, um die vollschulische Ausbildung (Berufsfachschule für Technische Assistenten) transparent zu machen.

1.  Bildungsgänge an der Lise-Meitner-Schule

Die Lise-Meitner-Schule ist ein Oberstufenzentrum des Berufsfeldes Chemie, Physik und Biologie, an dem unter einem Dach verschiedene Bildungsgänge existieren: Berufsschule, Fachoberschule (12.Klasse), Berufsfachschule für Technische Assistenten mit den Ausbildungrichtungen Chemie ( C hemisch- T echnischer- A ssistent, CTA), Physik ( P hysikalisch- T echnischer- A ssistent, PTA) und Biologie ( B iologisch- T echnischer- A ssistent, BTA) und Berufliches Gymnasium. Außerdem bestehen Angebote zur Berufsvorbereitung (Einjährige Berufsfachschule). Ab September 2008 wird die Berufsoberschule eingerichtet, die je nach Fremdsprachenwahl zur fachgebundenen bzw. allgemeinen Hochschulreife führt. Im Rahmen der dualen Ausbildung werden an 1-2 Tagen pro Woche Auszubildende der folgenden Ausbildungsberufe an der Lise-Meitner-Schule unterrichtet: Chemielaborant/-in, Biologielaborant/-in, Physiklaborant/-in, Wekstoffprüfer/-in, Chemikant/-in, Pharmakant/-in, Mikrotechnologe/-in. Im Bereich der Berufsschule kooperiert die Lise-Meitner-Schule mit 90 Betrieben und Institutionen, u.a. mit Bayer-Schering-Pharma, Berlin-Chemie, Charite, Max-Delbrück-Centrum, Nycomed Oranienburg, Siemens.

2.  EU-Mobilitätsmaßnahmen und Zertifikate

Seit 1997 nimmt die Schule verstärkt an verschiedenen EU-Programmen teil, z.B. an Comenius-Fremdsprachenprojekten, Sokrates-Comenius-Schulprojekten, Leonardo-da-Vinci-Pilotprojekten, Arion Study Visits, European Teacher Training Courses, Europäischen Schultheatertreffen und Leonardo-da-Vinci-Mobilitätsmaßnahmen. Durch Kontinuität und persönliche Kontakte entstand in den vergangenen 10 Jahren ein enges Netzwerk zu Bildungseinrichtungen in 25 europäischen Ländern. Zu den Netzwerkpartner gehören Universitäten, Forschungseinrichtungen und Industriebetriebe. Durch intensive Kontaktpflege zu den Netzwerkpartnern ist es möglich, dass pro Jahr 55-60 Absolventen am Ende ihrer Ausbildung an einer Leonardo-da-Vinci-Mobilitätsmaßnahmen teilnehmen und für 2-3 Monate ein Praktikum in einem EU-Land absolvieren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwerben während dieser Zeit weitere berufsbezogene Kompetenzen, aber auch sprachliche und interkulturelle Kompetenzen. Sie müssen sich in eine bestehende, oft international gemischte Arbeitsgruppe schnell integrieren, in der Laborsprache (Englisch) kommunizieren, und nach einer kurzen Einarbeitungszeit eigene Aufgaben planen, durchführen und auswerten. Es ist verständlich, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mobilitätsmaßnahmen von der entsendenden Einrichtung (der Lise-Meitner-Schule) ein aussagekräftiges Zertifikat fordern, in dem die erworbenen Kompetenzen dokumentiert werden. Auf Grund der Tatsache, dass der Diskussionsprozess zur Vergabe von Leistungspunkten im Bereich der Beruflichen Bildung vor 2 Jahren noch nicht abgeschlossen war und die Schule unter Handlungsdruck stand, haben wir uns für das workloadbasierte ECTS-System (Kreditpunktesystem der Hochschulen und Universitäten) entschieden und auf dieser Grundlage nach intensiver Rücksprache mit den Betreuern in den Bildungseinrichtungen der EU-Länder Zertifikate für den Praktikumseinsatz erstellt. Die Abbildung 1 zeigt einen Auszug aus diesem Zertifikat. Das Zertifikat enthält folgende Angaben:

•  Programm-Nummer des Leonardo-da-Vinci-Mobilitätsprogramms

•  Name der EU-Bildungseinrichtung, Abteilung und Mentor

•  Dauer des Praktikums

•  Fachmethoden und Kompetenzen, die neu erworben wurden

•  Fachmethoden und Kompetenzen, die vertieft wurden

•  Hinweis, ob die Arbeitsergebnisse in Englisch präsentiert wurden

Abb.1:  Auszug aus einem Zertifikat, das nach Abschluss eines EU-Praktikums ausgestellt wurde

Der noch immer nicht abgeschlossene Diskussionsprozess zur Entwicklung eines Leistungspunktesystems (ECVET) im Bereich der Beruflichen Bildung zeigt, dass eine Kompetenzermittlung und Zuordnung zu den Stufen des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) nicht unproblematisch ist. Auf Grund unserer Erfahrungen plädieren wir für ein pragmatisches, leicht handhabbares System, um die beteiligten Netzwerkpartner weder zeitlich noch inhaltlich zu überfordern. Folgende Thesen haben wir während des Diskussionsprozesses zur Entwicklung des Leistungspunktesystems formuliert:

•  EU-Mobilitätsprojekte, auch im Sinne einer internationalen Verbundausbildung, sollten zum Ende der Ausbildung stattfinden und eine Aufenthaltsdauer von zwei Monaten nicht unterschreiten. Betriebe und Institutionen in den EU-Mitgliedsstaaten sind in vielen Fällen an kurzfristigen Mobilitätsmaßnahmen wenig interessiert, weil dann die Auszubildenden in komplexen Arbeitsabläufen nicht einsetzbar sind.

 

•  Der Aufbau eines Netzwerkes zu Bildungseinrichtungen und Unternehmen in der EU erfolgt in der Regel nur über persönliche Kontakte und ist äußerst langwierig. Das Netzwerk ist über einen längeren Zeitraum nur stabil, wenn die Auszubildenden zum Zeitpunkt der Mobilitätsmaßnahme über ein hohes Maß an Handlungskompetenz verfügen.

•  Mobilitätsmaßnahmen sollten mit Einzelpersonen oder Kleingruppen (2-3 Personen) durchgeführt werden.

- Notwendigkeit der Integration in bestehende Arbeitsgruppen

- Notwendigkeit, in Englisch zu kommunizieren

•  Das Formulieren von Kompetenzen zur Erstellung von Praktikumszertifikaten mit Kreditpunkten und die Evaluierung der von den Auszubildenden erstellten Berichte erfordert einen hohen Arbeitsaufwand. Für die Betreuer der Praktikanten vor Ort ist ein handhabbares, wenig zeitaufwändiges Verfahren notwendig, um keine weiteren Hürden bei der Suche nach Netzwerkpartnern aufzustellen.

•  Erfolgreiche Mobilitätsprojekte führen zu besseren Vermittlungschancen auf dem europäischen Arbeitsmarkt.

•  Die Ausbildungszeit sollte optional für die Durchführung von Mobilitätsprojekten auf die Zeit nach der letzten mündlichen Prüfung verlängert werden.

•  Betriebe, die im Hightech-Bereich international arbeiten sind stärker an Mobilitätsmaßnahmen ihrer Auszubildenden interessiert als Betriebe mit geringem Innovationsdruck

 

3.  Transparenz als Voraussetzung für die Anerkennung von Ausbildungsleistungen

Neben der Zertifizierung von EU-Mobilitätsmaßnahmen arbeitet die Lise-Meitner-Schule an einem weiteren Projekt, das bis zum Ende des Jahres 2008 abgeschlossen sein soll. Im Bereich der Berufsfachschule für Technische Assistenten, einer vollschulischen Ausbildung, werden zur Zeit auf der Grundlage der gültigen Stundentafel alle Themengebiete und Themenfelder aufgelistet. In einem zweiten Schritt haben die Lehrerteams die Kompetenzen formuliert, die innerhalb der Themengebiete und Themenfelder vermittelt werden. Die Kompetenz gilt als erworben, wenn die Schülerinnen und Schüler mit mindestens ausreichenden Leistungen eine Klausur absolviert haben, die am Ende eines Themenfeldes als Prüfinstrument für die Zielerreichung angesetzt wird. Eine zusätzliche Aussage, wie erfolgreich das Themenfeld abgeschlossen wurde, liefert die Klausurnote. Die Ausweisung von Themenfeldern, Kompetenzen und Zeitrichtwerten bildet die Grundlage zur Schaffung von Transparenz unserer Ausbildung und ermöglicht in einem späteren Schritt eine Zertifizierung von Ausbildungsleistungen. Die Abbildung 2 zeigt für das 2. Jahr der Ausbildung zum Biologisch-Technischen-Assistenten die Stundentafel für das erste und zweite Halbjahr. Hinter jedem Fach sind die Abkürzungen K (Kompetenzen), T (Themenfelder) und A (Arbeitspläne) zu erkennen. Ein Link führt von diesen drei Buchstaben zur entsprechenden Datei, so dass sich Interessenten relativ schnell und umfangreich einen Überblick über die Ausbildung verschaffen können. Der skizzierte Arbeitsprozess wurde nach einigen Anfangsschwierigkeiten von den meisten Kolleginnen und Kollegen aktiv mitgestaltet, denn durch das Ergebnis erwarten wir folgende Möglichkeiten:

•  Als Anlage zum Abschlusszeugnis erhalten die Absolventen einen Nachweis über die Themenfelder und Kompetenzen, die sie im Laufe ihrer Ausbildung erworben haben. Die Anlage ist für potenzielle Arbeitgeber aussagekräftiger als das Abschlusszeugnis.

•  Die Netzwerkpartner der EU-Mobilitätsprojekte können den Praktikumseinsatz besser planen, wenn sie die bereits vorhandenen Kompetenzen und Methodenkenntnisse der Schülerinnen und Schüler vorab kennen.

•  Am Ende des zweiten Ausbildungsjahres absolvieren die Schülerinnen und Schüler ein sechswöchiges Betriebspraktikum in einem Institut oder einem Betrieb in Berlin. Die Praktikumsverantwortlichen in den Betrieben und Instituten können besser einschätzen, welche Labormethoden die Schülerinnen und Schüler zu diesem Zeitpunkt bereits erlernt haben. Somit werden Enttäuschungen und Frustrationen auf beiden Seiten reduziert.

•  Das Ergebnis des Arbeitsprozesses ist Voraussetzung für eine spätere Vergabe von Leistungspunkten nach dem ECVET-System. Bei einem Übergang der Absolventen an eine Fachhochschule oder Hochschule können Ausbildungsleistungen angerechnet werden, wenn die erworbenen Kompetenzen der Erstausbildung transparent und nachvollziehbar ausgewiesen wurden.

Abbildung 3 zeigt ein Beispiel für Kompetenzformulierungen im Themenfeld „Histologie von tierischem Gewebe“. Zusätzlich sind Inhalte notiert, da der Kompetenzerwerb nur an konkreten Inhalten erfolgen kann. Außerdem besitzen Angaben zu den Inhalten bei Fachkollegen oft noch mehr Aussagekraft als die Kompetenzformulierungen.

4.  Fazit

Die wesentlichen Ziele des Europäischen Qualifikationsrahmens und des Leistungspunktesystems bestehen darin, Transparenz in die unterschiedlichen europäischen Berufsbildungssysteme zu bringen und Voraussetzungen zu schaffen, dass Ausbildungsleistungen gegenseitig angerechnet werden. Mit den im Artikel beschriebenen Arbeitsprozessen verfolgt die Lise-Meitner-Schule genau diese Ziele, wobei für unsere Absolventen die Anrechnung von Ausbildungsleistungen beim Übergang aus der Beruflichen Bildung (ECVET-System) in die Fachhochschulen und Hochschulen (ECTS-System) von besonderem Interesse ist. Eine Kompatibilität beider Systeme ist aus unserer Sicht dringend notwendig, um Ausbildungsleistungen anzurechnen, die im Rahmen der Beruflichen Bildung erworben wurden.

Anmerkung

Der Beitrag entstand auf der Grundlage eines Vortrages, den der Autor im Rahmen der Hochschultage 2008 gehalten hat. Die vollständige Präsentation kann unter folgender Internetadresse eingesehen werden:

http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/erzw/erzwibf/ct/links/Raehmer_LP.pdf

 

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