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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 03 Elektrotechnik- Informatik, Metalltechnik

online seit: 19. November 2008

Eine „LAN – Party“ für das Verstehen technischer Dokumente

 

Abstract

Personen, die sich das Funktionieren von technischen Systemen gedanklich gut vorstellen können, verfügen über so genannte mentale Modelle. Mentale Modelle sind Gedächtnisstrukturen, in denen bildliche Vorstellungen und sprachliches Wissen eng miteinander verbunden sind. Sie ermöglichen mentale Simulationen z. B. zum Fehlerfinden, zum Optimieren oder sogar zum Erfinden.

Die Herausbildung von mentalen Modellen kann durch zahlreiche Lern- und Denkprozesse unterstützt werden. Zentral ist der „Envisioning-Prozess“, der im selbstständigen Erschließen des Zusammenwirkens der Systemkomponenten besteht. Damit sich der Envisioning-Prozess im Kopf des Lernenden vollziehen kann, müssen die einzelnen Komponenten und Relationen schnell und mühelos im Arbeitsgedächtnis repräsentiert werden.

Vor dem Hintergrund der Theorie der mentalen Modelle hat meine Arbeitsgruppe multimediale Lern- und Trainingsprogramme entwickelt, mit denen eine motivierende LAN – Party gestaltet werden kann.

Bezüglich der Programme unterscheiden wir zwischen spielerischen Übungsprogrammen und Wettbewerbsspielen. Bisher existieren die spielerischen Übungsprogramme GLIEVIS (Gliedern und Visualisieren) und LEO (Lesen Einprägen Ordnen) und das damit verbundene Multiplayer Lernspielsystem STUDY BUDDY.

GLIEVIS und LEO dienen dem Vertrautmachen mit den der Komponenten und Begriffe zum Zwecke der mühelosen und schnellen Vorstellung. Das STUDY BUDDY–System dient der Ausbildung der mentalen Modelle und der Nachhaltigkeit der Lernprozesse. Im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit werden neurowissenschaftliche Erkenntnisse und das SIE-VA-WIE (siebenfache variiernde Wiederholung) erläutert.

1.  Einleitung

Das Verstehen technischer Dokumente kann aus gedächtnistheoretischer Sicht als Ausbildung von mentalen Modellen verstanden werden. Die didaktische Herausbildung solcher Modelle ist schwierig, kann aber mit Hilfe digitaler Medien erheblich erleichtert werden. Im Folgenden wird beschrieben, wie ein mentales Modell auf gedächtnistheoretischer Basis im Rahmen einer Lern-LAN-Party ausgebildet werden kann. Das Konzept der Lern-LAN-Party wurde entwickelt, um Schüler zu motivieren und in der aktuellen Spielsituation stark zu aktivieren. Die starke Aktivierung des Gehirns hat sich aus neurowissenschaftlicher Sicht als förderlich für das nachhaltige Lernen erwiesen, was durch die weltweit erfolgreichen Multiplayer-Online-Action-Games belegt werden kann. (GEE/ SQUIRE/ STEINKUEHLER 2005)

2.  Die gedächtnistheoretische Basis

Das Verstehen technischer Dokumente kann man auf unterschiedlichen Ebenen anstreben. Die höchste Ebene ist die Ausbildung von mentalen Modellen (RÜPPELL/ VOHLE 2004). Mentale Modelle sind aktive Gedächtnisstrukturen, die es ermöglichen, sich komplexe Sachverhalte ganzheitlich vorzustellen. Beispielsweise kann sich fast jeder Schüler ein Fahrrad vorstellen, damit in Gedanken fahren, es in Gedanken auseinander nehmen und wieder zusammenbauen. Er kann sich das Kausalgefüge, das Ineinandergreifen der Teile (etwa das Funktionieren der Bremse) mühelos vorstellen. Er kann anhand des mentalen Modells ohne Skizzen darüber nachdenken, was zu tun wäre, wenn etwas nicht richtig funktionieren würde.

Mentale Modelle sind demnach Gedächtnisstrukturen, die es ermöglichen, das Funktionieren komplexer Wirkungsgefüge mental durchzuspielen und die Konsequenzen von vorgestellten Veränderungen gedanklich zu antizipieren. Letzteres wird als qualitative Simulation bezeichnet.

Das menschliche Gedächtnis bildet solche Modelle nicht nur für technische Sachverhalte, sondern auch für soziale Situationen oder logisch-mathematische Strukturen. Die Herausbildung der mentalen Modelle ist umso schwieriger, je abstrakter die daran beteiligten Inhalte sind. Beim Aufbau des mentalen Modells „Fahrrad“ sind die Lernbedingungen optimal, weil die sensomotorischen Schemata, das Erfahrungswissen, die bildlichen Vorstellungen und das begriffliche Wissen durch den Gebrauch des Fahrrads ideal miteinander verknüpft werden. Das grundlegende Wissen ist das Erfahrungswissen, das in den Schemata gespeichert ist. Diese Schemata reichen von den relativ einfachen sensomotorischen Schemata, die das Handlungswissen repräsentieren, über die kognitiven Schemata zum Erfassen von Situationen und Sachverhalten bis hin zu den logischen Schemata, die das logische Schließen erleichtern. Die sensomotorischen Schemata repräsentieren die Struktur von Handlungen, z. B. die Strukturen des Drehens, Schraubens, Abwickelns oder Festklemmens. Diese Handlungsschemata ermöglichen die dynamischen bildlichen Vorstellungen beim bildlichen Denken. Die komplexeren, kognitiven Schemata sind netzartige Strukturen. Sie bestehen aus den Beziehungsgefügen der verallgemeinerten Bestimmungsstücke von Objekten, Situationen oder Sachverhalten. Ein einfaches Beziehungsgefüge ist etwa das Schema eines Stuhls. Die verallgemeinerten Bestimmungsstücke sind Lehne, Sitzfläche und Beine. Die wichtigsten Relationen zwischen diesen Bestimmungsstücken sind „senkrecht“, „waagerecht“ und „parallel“. Das Beziehungsgefüge dieser verallgemeinerten Bestimmungsstücke ermöglicht es, alle Varianten von Stühlen – von Strichskizze bis zum ausgefallenen Designer-Stuhl – sofort zu identifizieren, und zwar ohne bedeutsamen Denkaufwand, weil das Schema die Koordination der Bestimmungstücke übernimmt. Das Schema „zieht“ die spezifischen Merkmale des jeweiligen Sachverhalts in die verallgemeinerten Bestimmungsstücke und überträgt auf diese Weise automatisch deren Struktur auf die konkret beobachteten Merkmale, die dadurch bedeutungsvoll werden, um dann ihrerseits dem Sachverhalt eine Gesamtbedeutung zu verleihen. Ohne ein ausgebildetes Schema wären die spezifischen Aspekte eines Sachverhalts isoliert und müssten mit erheblichem kognitiven Aufwand im Arbeitsgedächtnis koordiniert werden. Die Bedeutung der Schemata für die mentalen Modelle ergibt sich aus der Tatsache, dass sie als Drehbücher für die Konstruktion der mentalen Modelle fungieren. Der mühelos erzeugten Vorstellung des rollenden Fahrrads liegt beispielsweise ein gut ausgebildetes Schema zugrunde. Ein zweites wichtiges Wissensformat ist das implizite Handlungswissen, das auch als prozedurales Wissen bezeichnet wird. Es ist das Wissen darüber, wie etwas gemacht wird. Dieses Wissen ist durch Prozeduren gekennzeichnet, die wie Flussdiagramme von „Wenn-dann“-Beziehungen durchdrungen sind. Implizit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Wissen nicht notwendig sprachlich verfügbar ist, etwa das Wissen über die Art und Weise, wie man Fahrrad fährt, Schach spielt oder im Kopf rechnet. Das schematische und das prozedurale Wissen sind in mentalen Modellen synergetisch verknüpft, d. h., die Schemata stützen die Prozeduren, und diese Prozeduren lassen wiederum die Schemata stärker hervortreten. Durch sprachliche Begriffe und Bezeichnungen können die Schemata und Prozeduren differenziert werden. Der dafür notwendige Prozess ist die Elaboration, die bedeutet, dass man ähnliche Sachverhalte durch unterschiedliche Begriffe beschreibt und präzisiert. Sprachliches Wissen elaboriert und stabilisiert die Gesamtstruktur (RÜPPELL 1998).

Durch das wiederholte Durchdenken von komplexen Kausalzusammenhängen auf der Basis von mentalen Modellen wird deren Aufbau nach und nach automatisiert, so dass man immer mehr Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zur Verfügung hat, um kreativ weiterzudenken. Dabei ist zu beachten, dass die zugrunde liegenden Schemata aufgrund ihrer netzartigen Struktur schwer aufzubauen sind. Vom Experten bzw. Lehrer wird die Bedeutung der zugrunde liegenden Schemata unterschätzt. Er tappt beim Erklären in die Expertenfalle, die dadurch zustande kommt, dass ihm seine gut ausgebildeten Schemata ein müheloses Erfassen des jeweiligen Sachverhalts und damit ein produktives Weiterdenken ermöglichen. Der Anfänger dagegen muss die Elemente dieser Sachverhalte mühsam koordinieren, wodurch die Kapazität seines Arbeitsgedächtnisses stark beansprucht wird.

Die Bedeutung der mentalen Modelle wird durch die Tatsache vergrößert, dass diese Modelle transferfähig sind. Sie sind die Basis für Analogiebildungen und stellen Kristallisationskerne für den Anbau weiterer Modelle dar. Experten verfügen nach jahrelanger, problemlösender Beschäftigung mit komplexen Sachverhalten über ein vernetztes System transferfähiger mentaler Modelle, in das sie neue Information einbauen können. Die neue Information kann ohne bedeutsame Umstrukturierungen relativ mühelos assimiliert werden. Anfänger dagegen müssen permanent umstrukturieren, wodurch sie einen großen Teil der eng begrenzten Kapazität ihres Arbeitsgedächtnisses verbrauchen. Angesichts der lerntheoretischen Bedeutung der mentalen Modelle erhebt sich die Frage, wie diese im unterrichtlichen Kontext mit vertretbarem Zeitaufwand effizient aufgebaut werden können. Diese Frage soll hier am Beispiel der Schraube behandelt werden. Wie kann ein mentales Modell entwickelt werden, das dem Lerner das Wirkungsgefüge „Kräfte beim Anziehen einer Schraube“ deutlich macht? Der Lehr/Lernprozess ist hierbei in eine multimedialen Lernumgebung eingebettet, die sich erheblich von konventionellen Arrangements unterscheidet.

3.  Multiplayer Online Games

Multiplayer Online Games sind die Erweiterung der ursprünglichen Computerspiele, die vorwiegend allein oder zu zweit gespielt wurden. In den Multiplayer Online Games können nahezu unbegrenzt viele Spieler miteinander spielen und in den Wettbewerb treten. Multiplayer Online Games sind ursprünglich als Actiongames konzipiert worden, um Nervenkitzel zu erzeugen und besondere Fähigkeiten auszubilden. Es hat sich gezeigt, dass Spiele wie „Counterstrike“, „Everquest“ oder „Warcraft“ diese Ziele erreichen. Die dominierenden Aktionen in diesen Spielen sind: Planen, Organisieren, schnelle Entscheidungen, Angreifen, Kämpfen, etc. Die motivierende Kraft dieser Spiele ist der Wettbewerb zwischen den Spielern. Die Spieler sind in virtuellen Communities über die ganze Welt verteilt. Die stimulierende Kraft ist das unmittelbare Feedback, das praktisch ohne Zeitverzögerung für alle Spieler gleichzeitig sichtbar wird und neue Aktionen ermöglicht. Dieses unmittelbare Feedback vermittelt die Erfahrung, kompetenter oder weniger kompetent zu sein als andere Spieler. Das unmittelbare Feedback motiviert zu besonderer Anstrengung. Das empirisch bestätigte Ergebnis, dass Multiplayer-Gamer komplexe Planungs- und Koordinationsfertigkeiten erwerben, hat dazu geführt, den motivierenden Kontext der Multiplayer Online Games auf schulische Lernsituationen zu übertragen.

An der Universität Köln haben wir in diesem Kontext das Lernspielsystem STUDYBUDDY (RÜPPELL 2005) entwickelt.

3.1  STUDYBUDDY

Das Herzstück der hier vorgestellten Lern-LAN-Party sind die Multiplayer Online Games aus dem STUDYBUDDY-Spielesystem. Dieses System besteht aus unterschiedlichen Spieletypen und Wettbewerbsvarianten. Jeder Spieletyp kann mit jeder Wettbewerbsvariante kombiniert werden, wodurch zahlreiche Spielmöglichkeiten entstehen. Bisher wurden fünf Spieletypen und drei Wettbewerbsvarianten entwickelt.

Spieletypen:

•  Begriffsmatching:

achbegriffe und alltagssprachliche Begriffe werden für einen kurzen Zeitraum listenartig einander gegenüber gestellt. Das Programm würfelt die Listen durcheinander. Der Spieler soll die ursprünglichen Zuordnungen rekonstruieren.

•  Picture-Games:

s wird ein Bild mit einem kurzen Text und einer Frage präsentiert. Der Lerner soll nach dem Multiple-Choice Prinzip Entscheidungen treffen.

•  Wordpattern:

ompakte Textabschnitte werden kurz präsentiert. Der Lerner soll sie unmittelbar danach durch das Erinnern einzelner Begriffe rekonstruieren.

•  Kreuzworträtsel

•  Lückentext

Wettbewerbstypen:

•  „Hot Competition“ (unmittelbarer Wettbewerb):

Die Spieler bekommen eine gemeinsame Aufgabe. Der schnellste Spieler erhält die Spielpunkte. Die Aufgabe ist dann für alle anderen Spieler beendet. Wenn der schnellste Spieler die Aufgabe gelöst hat, erscheint eine neue Aufgabe.

•  „Take Your Turn“ (abgeschwächter Wettbewerb):

Die Spieler lösen ihre Aufgabe nacheinander. Es ist immer nur ein Spieler dran. Die anderen Spieler schauen zu. Wenn ein Spieler seine Aufgabe gelöst hat, wird dem folgenden Spieler eine neue Aufgabe gestellt.

•  „Finish First“ (indirekter Wettbewerb):

Jeder Spieler kann unabhängig von den anderen eine Aufgabenserie bearbeiten. Die Bearbeitungszeit ist aber für alle Spieler beendet, wenn der erste Spieler fertig ist.

Für die Herausbildung von mentalen Modellen steht das PICTURE GAME mit den Varianten „Finish First“ und „Hot Competition“ im Vordergrund, weil im PICTURE GAME Bildserien zusammen mit kurzen Texten dargeboten werden können. Diese Verknüpfungen von Bild und Textinformation sind förderlich für das Entstehen mentaler Modellen.

4.  Didaktischer Aufbau eines mentalen Modells

Der didaktische Aufbau eines mentalen Modells vollzieht sich dem vorliegenden Ansatz zufolge in drei Phasen. In einer vorbereitenden Phase wird ein begriffliches Rahmengerüst vermittelt, das dem Lerner später zur Einordnung des spezifischen Fachwissens dient. Zum intensiven Erlernen des Rahmengerüsts wurden die beiden Lernmodule LEO und GLIEVIS entwickelt. Die zweite Phase ist die Hauptphase beim Aufbau von mentalen Modellen, in der das bildliche Wissen vermittelt und mit dem begrifflich-sprachlichen Wissen verknüpft wird. Als didaktisches Instrument wird hierzu das PICTURE GAME aus STUDYBUDDY verwendet. Bilder und Texte werden hier so präsentiert, dass sie sich wechselseitig unterstützen und ergänzen. Die dritte Phase ist die Wiederholungs- bzw. Verfestigungsphase, in der die Begriffe verfügbar gemacht und Teile des Vorstellungsprozesses automatisiert werden.

4.1  Die Vorbereitungsphase: Advance Organizer

Der erste Schritt zum Aufbau eines mentalen Modells ist die Vermittlung eines begrifflichen Rahmengerüsts durch den so genannten Advance Organizer. Dieses Rahmengerüst dient dem Lerner zu Beginn des Lernprozesses als Orientierungsgrundlage für die Einordnung neuer Begriffe und Schemata. Im mittleren Teil des Lernprozesses stützt das Rahmengerüst die Interpretation der präsentierten Bildsequenzen. In der abschließenden Lernphase geht der Advance Organizer als Teil der sprachlichen Kodierung mehr oder weniger modifiziert in das entstehende mentale Modell ein.

Der Advance Organizer ist eine kompakte Beschreibung der Struktur des jeweiligen Sachverhaltes. Der Instruktionsdesigner extrahiert diese Beschreibung aus bewährten Fachbüchern, indem er die dort verwendeten Kernaussagen, insbesondere diejenigen, die vertraute Begriffe, Handlungsschemata und Prozessbeschreibungen enthalten, selektiert. Die so selektierten Aussagen werden durch verwandte Schemata angereichert und in eine kompakte, sprachliche Form gebracht. Optimalerweise sollte dieses in enger Abstimmung mit einem Experten des jeweiligen Faches geschehen. Für das mentale Modell „Kräftewirkung beim Anziehen von Schrauben“ hat der Autor mithilfe der 39. Auflage des Fachbuchs Grund- und Fachstufe für das Kraftfahrzeuggewerbe (KRATZ/ KRENN/ SPANGENBERG 1989) den folgenden Advance Organizer entwickelt:

Advance Organizer: Kräftewirkung beim Anziehen einer Schraube
Während des Schraubvorgangs gleiten die Flanken des Gewindeganges aufeinander.
Bei zunehmender Drehkraft werden die Gewindeflanken aufeinander gepresst. Der Gewindegang wirkt dabei wie eine schiefe Ebene. Die schiefe Ebene erleichtert das Heben von Lasten. Wird die Last senkrecht in die Höhe gehoben, so ist dazu eine Arbeit notwendig. Diese ergibt sich aus dem Produkt von Gewichtskraft und Höhe. Bewegt man die Last auf der schiefen Ebene aufwärts, so ist zwar die Arbeit die gleiche wie beim Hochheben, aber die aufzubringende Kraft ist geringer. Dafür ist der Kraftweg länger. Das ist eine Grundregel der Mechanik: Kraft x Kraftweg (Länge) = Last x Lastweg (Höhe). Beim Anziehen von Schrauben wird die Schraube elastisch gedehnt, so dass eine Zugkraft entsteht, die wie eine starke Zugfeder wirkt. Beim Anziehen selbst wird die Schraube zusätzlich auf Verdrehung beansprucht.

Die verdrehende Kraft wirkt an einem Hebelarm. Diese Kraft bewirkt eine Verdrehung um die Längsachse. Die dabei auftretende innere Spannung bezeichnet man als Verdreh- oder Torsionsspannung.

Dieser Advance Organizer wird im nachfolgenden Lernprozess nur dann voll wirksam, wenn er währenddessen im „Hinterkopf“ präsent ist. Zu diesem Zweck muss er intensiv bearbeitet und gelernt werden. Zur intensiven Bearbeitung wurden die Computerlernprogramme LEO und GLIEVIS entwickelt.

4.1.1  LEO und GLIEVIS

Zur intensiven Bearbeitung des Advance Organizers haben wir die multimedialen Lernmodule LEO (Lesen, Einprägen, Ordnen) und GLIEVIS (Gliedern und Visualisieren) entwickelt. Beide Programme basieren auf der neurowissenschaftlichen Erkenntnis, dass nachhaltiges Lernen, also Lernen, das zu neurophysiologischen Veränderungen führt, eine mindestens siebenmalige Verarbeitung eines Inhalts in variierender Form voraussetzt. Die siebenfache variierende Wiederholung (SIE-VA-WIE) wird durch LEO und durch die darauf folgenden Spiele aus STUDYBUDDY realisiert. LEO ist empirisch überprüft worden, um kompakte Textzusammenfassungen zu erlernen. Allein schon durch LEO kann der Advance Organizer auf sechs verschiedene Arten bearbeitet werden.

Lernaktivitäten des LEO- Programms:

•  Lückentext : Der Advance Organizer wird mit Lücken vorgegeben, wobei sich die einzusetzenden Begriffe unter dem Text befinden. Diese Begriffe müssen in der richtigen Reihenfolge angeklickt werden.

•  Satzrekonstruktion : Ein Satz wird zum Einprägen vorgegeben, verschwindet dann und soll durch die Angabe einzelner Anfangs- und Endbuchstaben in Gedanken rekonstruiert werden.

•  Satzhälften zuordnen : Die Sätze werden in der Mitte auseinander gebrochen, wobei das letzte Wort der ersten Hälfte und das erste Wort der zweiten Hälfte gelöscht werden. Der Lerner soll die passenden Satzhälften einander zuordnen. Hierbei kommt es noch nicht auf die Reihenfolge an.

•  Satzteile einordnen : Diese Lernaktivität ist ein erweiterter Lückentext, nur dass die Lücken aus mehreren zusammenhängende Lücken bestehen. Auch hier sind die einzusetzenden Satzteile unter dem Text sichtbar.

•  Reihenfolge der Sätze : Diese Übung entspricht der Übung „Satzhälften zuordnen“. Die Satzhälften müssen jetzt aber in der richtigen Reihenfolge rekonstruiert werden.

•  Wortteppich : Der Lerner soll versuchen, den gesamten Text zu rekonstruieren, indem er nach und nach Worte oder Satzteile eintippt. Die korrekt eingetippten Worte und Satzteile erscheinen an der richtigen Textstelle, so dass sie dem Lerner als weitere Abrufhilfen zur Verfügung stehen.

Die lerntheoretische Basis des LEO-Programms ist die „Levels-of-Processing“-Theorie (ANDERSON 2001). Diese Theorie besagt, dass Inhalte umso sicherer gespeichert werden, je aktiver sie verarbeitet werden. Aufgrund der Tatsache, dass die Inhalte bei den folgenden Multiplayer Online Games nochmals in variierender Form wiederholt werden, müssen gute Lerner nicht alle Übungen der beiden Programme durchführen. Die neurodidaktische Forderung nach mindestens siebenfacher variierender Wiederholung wird im Rahmen der konzipierten Lern-LAN-Party in jedem Fall erfüllt.

Intensive Verarbeitung der Fachbegriffe: GLIEVIS

GLIEVIS bezieht sich im Gegensatz zu LEO auf zentrale Fachbegriffe. Diese werden einer intensiven Verarbeitung unterzogen, so dass der Lernende sie später leicht abrufen und repräsentieren kann. Der leichte Abruf ist wichtig, da die mentale Modellbildung auf dem ganzheitlichen Erfassen der Sachverhaltszusammenhänge beruht. Je präsenter die Begriffe sind, desto leichter bildet sich das mentale Modell. Zu den zentralen Begriffen aus dem Bereich der „Kräftewirkung beim Schrauben“ gehören „Axialkraft“ oder „Gewindegang“. GLIEVIS sichert neben der Verfügbarkeit der Begriffe auch deren sichere Schreibweise, was eine zusätzliche Stütze des Lernprozesses darstellt. GLIEVIS bietet die folgenden Lernaktivitäten an:

  1. Erschließen : Den Fachbegriffen soll ihre umgangssprachliche Bedeutung zugeordnet werden.
  2. Gliedern : Die Worte sind in Silben zu gliedern.
  3. Codieren : Die zerlegten Silben sind zahlenmäßig zu kodieren (Anzahl der Buchstaben) und dann gegliedert zu visualisieren, um in einem nachfolgenden Test schnell reagieren zu können.
  4. Auffrischen : Auffrischen besteht aus einer Wiederholung des Kodierungsprozesses und einem Test, in dem die Strichmuster der gegliederten Worte vorgegeben werden. Einzelne Buchstaben sind zu identifizieren.
  5. Testen : Die gegliederten Strichmuster der Worte werden zusammen mit der umgangssprachlichen Bedeutung vorgegeben. Einzelne Buchstaben sind zu identifizieren.
  6. Silbentest : Die Silben der Worte erscheinen durcheinander. Der Lerner muss möglichst schnell erkennen, um welche Begriffe es sich handelt.

Genau wie LEO basiert auch GLIEVIS auf der „Levels-of-Processing“-Theorie und dem neurowissenschaftlichen Prinzip der variierenden Wiederholung.

4.2  Die Hauptphase: Picture Games

In der Hauptphase erfolgt die Ausbildung des eigentlichen mentalen Modells. In dieser Phase wird das bildliche Wissen mit dem sprachlichen Wissen verknüpft. Das mentale Modell „Kräftewirkung beim Anziehen von Schrauben“ ist ausgebildet, wenn man

•  sich das Aufeiendergleiten der Gewindegänge von Mutter und Schraube vorstellen kann.

•  die Gewindegänge in Gedanken abwickeln und als schiefe Ebene repräsentieren kann.

•  dabei die Steigung der schiefen Ebene und die Grundgesetzmäßigkeiten der Mechanik vor Augen hat.

•  eine Last auf der schiefen Ebene hinauf und hinunter gleiten lassen kann und dabei das Parallelogramm der Kräfteaufteilung entfalten kann, um grob abschätzen zu können, wie sich die aufzuwendenden Kräfte verringern.

•  sich dann noch die Drehbewegung des Schraubenschlüssels vorstellen kann, wie sich durch die Drehbewegung des erheblich vergrößerten Radius der Kraftweg nochmals erheblich verlängert.

•  dabei staunend erkennt, dass sich die Kraft der Hand durch die simple „Schrauben-Schraubenschlüsselmaschine“ um weit mehr als das 100-fache vergrößert.

•  die kombinierte Wirkung von schiefer Ebene und Hebel qualitativ simulieren kann, also in Gedanken mit unterschiedlichen Werten grob durchspielen kann.

•  die erstaunliche Tatsache erkennt, dass man mit einem simplen Schraubenschlüssel eine harte Stahlschraube elastisch dehnen kann, so dass sie sich wie eine gespannte Feder mit enormer Kraft zurückzieht.

Diese didaktischen Zielvorstellungen orientieren sich ebenfalls an der oben genannten Kraftfahrzeugewerbe Fachkunde (KRATZ/ KRENN/ SPANGENBERG 1989). Durch die Mitarbeit eines Fach-Experten könnten solche Zielvorstellungen noch optimiert werden. Ausformulierte Zielvorstellungen sind die inhaltliche Grundlage für die Gestaltung der PICTURE GAMES. Der Anfang eines PICTURE GAMES ist nachfolgend durch ausgewählte Bild-Text Kombinationen skizziert.

Allgemein können Bild-Text-Verknüpfungen durch unterschiedliche Prozesse zustande kommen. Im einfachsten Falle sind es Ablese-, Schätz- oder Zählprozesse (s. Abb. 1), im komplexeren Fall ermöglicht das Bild logische Schlussfolgerungen, die notwendig sind, um die Textinformationen zu verstehen oder die anschließende Frage zu beantworten (s. Abb. 3). Im komplexesten Fall wird durch die Bild-Textkombination das analoge Schlussfolgern angeregt, das besonders produktiv für die Ausbildung der mentalen Modelle ist (s. Abb. 2).

In diesem Zusammenhang ist nochmals zu betonen, dass die Entstehung der mentalen Modelle das selbständige Schlussfolgern erfordert.

Allgemein kann sich die Gestaltung der Bilder für die PICTURE-GAMES an der kognitionspsychologischen Konzeption Bild-unterstützter Präsentationssequenzen (KEMPER 2005) orientieren. Dieser Konzeption zufolge sind bei der Bildgestaltung durch vertraute Schemata, gute Gestalten und anderes möglichst viele automatische Prozesse anzuregen, damit das Arbeitsgedächtnis nicht schon durch die Bildinterpretation so stark belastet wird, dass kaum noch Verarbeitungskapazität für eigenständige Gedankengänge übrig bleibt. Diese didaktische Forderung wird durch zwei grundlegende Gedächtnistheorien begründet, die LOAD-Theorie und die oben erwähnte LOP-Theorie (KEMPER 2005). Die LOAD-Theorie geht von der empirisch gut belegten Annahme aus, dass das Arbeitsgedächtnis des menschlichen Gehirns eng begrenzt ist. Das Arbeitsgedächtnis kann maximal sieben Informationseinheiten präsent halten und noch weniger davon miteinander in Beziehung setzen. Diese Tatsache ist dafür verantwortlich, dass das Arbeitsgedächtnis des Lerners in vielen Unterrichtssituationen systematisch überfordert wird. Die LOP-Theorie besagt, dass Information umso besser behalten wird, je aktiver und tiefer sie verarbeitet wird. Bei Schätz-, Abzähl- oder einfachen Ableseprozessen wird die Information auf einem relativ niedrigen Aktivierungsniveau verarbeitet, beim Schlussfolgern dagegen auf einer tiefen Stufe. Dies ist eine weitere Begründung für die Beobachtung, dass die Formung mentaler Modelle durch aktives Schlussfolgern beschleunigt wird.

Bei der Gestaltung der Bilder für die PICTURE-GAMES gilt das Prinzip der langsamen Komplexitätssteigerung. Die letzten Bilder in diesen Bild-Text-Serien sind so genannte visuelle Organizer, in denen die Begriffe und Aussagen piktogrammartig verkürzt und kollagenartig zusammengefasst werden.

5.  Praktische Durchführung der Lern-LAN-Party

Die praktische Durchführung besteht aus (1) dem Kennenlernen und der Gruppenbildung, (2) der Trainingsphase mit den Lernprogrammen LEO und GLIEVIS, (3) der Wettbewerbsphase mit STUDYBUDDY und (4) der abschließenden, eventartigen Urkunden- bzw. Preisverleihung. Die Gesamtzeit für die LAN- Party sollte drei Stunden nicht überschreiten.

(1) Kennenlernen und Gruppenbildung

Die LAN-Party beginnt mit der Zusammenstellung der Spielgruppen. Hierzu treffen sich die Schüler von zwei bis vier Klassen einer Jahrgangsstufe im Plenum, stellen sich wechselseitig vor und diskutieren, wie die Gruppen gebildet werden sollen. Der Spielleiter erklärt die Spielregeln, instruiert und motiviert usw. Er nennt abschließend die Preise, die es gegebenenfalls zu gewinnen gibt.

(2) Übungs- und Trainingsphase

Jeweils zwei Schüler aus einem Team arbeiten an einem Computer in kooperativer Weise mit den Programmen LEO und GLIEVIS. Die Lernaktivitäten dieser Programme lassen wechselseitige Unterstützung zu.

(3) Die STUDYBUDDY-Wettbewerbsphase

Diese Phase ist durch die Organisationsstruktur von STUDYBUDDY vorgegeben. Die Schüler erhalten Leistungsbeurteilungen in den einzelnen Spielen, so dass sie sich untereinander vergleichen können. Abschließende Gesamtleistungsbeurteilungen ermöglichen Ranglisten, die die Grundlage für die Urkundenverleihung sind.

(4) Die Urkunden- bzw. Preisverleihung

Dieser Abschluss sollte in lockerer Atmosphäre stattfinden. Die Ausgestaltung ist dem Organisationstalent des jeweiligen Spielleiters überlassen.

6.  Zusammenfassung

Es wurde ein Konzept vorgestellt, um das Verstehen technischer Dokumente in Rahmen einer Lern- LAN–Party zu ermöglichen. Es wurde gezeigt, dass dieses Verstehen durch die planmäßige Ausbildung mentaler Modelle erreicht werden kann. Ein gutes mentales Modell ermöglicht es dem Lerner, die Funktionsweise eines technischen Gerätes gedanklich durchzuspielen. Zur Ausbildung der mentalen Modelle wurde das Multiplayer Onlinelernspielsystem STUDYBUDDY vorgesehen. STUDY BUDDY basiert auf der neurowissenschaftliche belegten Tatsache, dass nachhaltiges Lernen eine hohe Aktivierung der beteiligten Gehirnbereiche voraussetzt. Diese hohe Aktivierung wird durch drei verschiedene Formen des spielerischen Wettbewerbs erreicht: unmittelbarer Wettbewerb, abgeschwächter direkter Wettbewerb und indirekter Wettbewerb. Zur Vorbreitung dieser spielerischen Wettbewerbe werden multimediale Lernprogramme eingesetzt. Mit diesen Programmen können die allgemeine Begriffstruktur (Advance Organizer) und die verschiedenen Fachbegriffe intensiv erlernt werden. Diese Trainingsprogramme erfüllen auch die neurowissenschaftliche Forderung der vielfachen variierenden Wiederholung von Lernvorgängen.

Die STUDYBUDDY Lernspiele und die multimedialen Lernprogramme sind eingebettet in ein soziales Rahmenprogramm, in dessen Zentrum eine Preisverleihung in aufgelockerter Atmosphäre steht.

Literatur

ANDERSON, J. A. (2001): Kognitive Psychologie. Heidelberg .

GEE, P./ SQUIRE, K./ STEINKUEHLER, C. (2005): How Games are reshaping business. Online: http://www.media-landscape.com/demos/index.html (05-11-2008).

KEMPER, G. (2005): Entwicklung kognitionspsychologisch konzipierter Bild-unterstützter Präsentationssequenzen (KoKo-BuPS). Anwendung kognitionspsychologischer Prinzipien auf Präsentationen zur Wissenskommunikation. Online: http://kug2.ub.uni-koeln.de/portal/recherche?sessionID=892defbbc163d44333
c69208406fa4ec;queryid=385368;database=inst403;searchsingletit=131
(05-11-2008).

KRATZ, P./ KRENN, F./ SPANGENBERG, G. (1989): Kraftfahrzeuggewerbe Fachkunde Grund- und Fachstufe. Wien.

RÜPPELL, H. (1998): Multimedia-Vorlesung Pädagogische Psychologie. Online: http://www.paedpsych.uni-koeln.de/alice/ (05-11-2008).

RÜPPELL, H. (2005). Learning by competition: Compete and optimise your strategy. In: CARNEIRO, R. / STEFFENS, K. / UNDERWOOD, J. (Hrsg): Self-regulated Learning in Technology Enhanced Learning Environments. Aachen, 72-78.

RÜPPEL, H./ VOHLE, F. (2004): DANTE – Diagnose und Training erfinderischen Denkens. In: REINMANN, G. / MANDL, H. (Hrsg.): Psychologie des Wissensmanagement. Göttingen, 267–276.

 

 

 

 

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