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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 06 Hauswirtschaft

‚Liebe auf den zweiten Blick’?! - Berufswahl und Berufsorientierung im Berufsfeld Hauswirtschaft an der Schwelle zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung

 

Abstract

Ausgangspunkt des Beitrags sind zwei Interviews mit weiblichen Auszubildenden der Hauswirtschaft. Die Interviews folgen der Fragerichtung, wie die jungen Frauen zur Hauswirtschaft gelangt sind. Ausgewählte Aussagen aus den Interviews werden interpretiert und vor dem Hintergrund von Berufswahltheorien und empirischen Ergebnissen zu Berufswahlmotiven und -verhalten von Jugendlichen analysiert und diskutiert. Anhand dieser Untersuchungen zeigt der Beitrag mögliche Besonderheiten eines Berufsweges in die Hauswirtschaft auf. In beiden dokumentierten Fällen liegt z.B. ein gemeinsamer Aspekt darin, dass „Elvira“ und „Gerti“ erst über Umwege zur Hauswirtschaft gelangt sind. Beide waren nach Abschluss der allgemeinbildenden Schule zunächst an einer anderen Ausbildung interessiert, bezeichnen ihren künftigen Beruf nun aber als „Traumberuf“ bzw. „Wunschberuf“. In dem Beitrag geht es darum, Perspektiven für die schulische Berufsorientierung im Berufsfeld Hauswirtschaft zu generieren und weiterführende Forschungsfragen anzuregen.

1.  Einführung

Wie kommen Jugendliche und junge Menschen dazu, eine hauswirtschaftliche Ausbildung zu ergreifen? Die Ausgangsfrage des vorliegenden Beitrags stellt sich angesichts des aktuellen Rekrutierungsproblems des hauswirtschaftlichen Berufsfeldes mit Blick auf Realschüler/innen oder leistungsstarke Hauptschüler/innen (KETTSCHAU 2007, 32). Nach dem Berufsbildungsbericht 2007 verfügt etwa ein Viertel aller Auszubildenden mit neu abgeschlossenem Ausbildungsvertrag in der Hauswirtschaft im Jahr 2005 nicht über einen Hauptschulabschluss (BMBF 2007, 104). Immerhin zeigt dieselbe Statistik aber auch einen Anstieg der Neu-Auszubildenden mit Realschulabschluss von 1,6% im Jahr 2004 auf 8,1% im Jahr 2005 (ebd.).

Der Beitrag geht von zwei Leitfragen-Interviews mit weiblichen Auszubildenden des Ausbildungsberufes Hauswirtschaft aus (SCHÄFER 2007; KONRAD 2005, 48ff). (Die Interviews wurden geführt von der Studierenden Jasmin Schäfer, die sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Hausarbeit mit dem Thema Berufsorientierung befasst hat. ) Die jungen Frauen gelten als ‚best practice Beispiele': Sie bezeichnen ihren künftigen Beruf als „Traum-“ bzw. „Wunschberuf“ und haben somit einen Berufswahlprozess durchlaufen, der sie zu ihrem erhofften Ziel führte. Eine der beiden absolvierte erfolgreich die Realschule; die andere besitzt einen guten Hauptschul- sowie einen Berufsfachschulabschluss. Die Interviews richten sich auf den Berufswahlprozess; sie fragen u.a. nach den Motiven sowie der Rolle der schulischen Berufsvorbereitung. Ausgewählte Aussagen der jungen Frauen werden anschließend miteinander verglichen sowie mit einschlägigen quantitativ-statistischen Ergebnissen in Verbindung gebracht. Um ihre Berufsfindung zu verstehen und zu interpretieren, erfolgen darüber hinaus Korrelationen mit verbreiteten Theorien zur Berufswahl, insbesondere mit dem Konzept der beruflichen Selbstsozialisation (HEINZ 2000; 2002, 224ff) und dem Ansatz von SEIFERT et al., der Berufswahl als Entwicklungsaufgabe (SEIFERT 1992; SEIFERT/ BERGMANN/ EDER 1987). Ziel ist, mögliche Folgerungen für die Berufsorientierung an allgemeinbildenden Schulen mit Blick auf hauswirtschaftliche Berufe zu entwickeln.

Der Artikel geht in mehreren Schritten vor: In Kapitel 2 wird der schulische und berufliche Werdegang der beiden Auszubildenden ‚Elvira' und ‚Gerti' (Die Vornamen der Auszubildenden wurden verändert.) skizziert. Das dritte Kapitel fokussiert den Berufwahlprozess der beiden, während das vierte die Schwierigkeiten untersucht, die der Ausbildungsberuf Hauswirtschafter/in vermutlich mit sich bringt. Das letzte Kapitel schließlich fragt nach Perspektiven für die Berufsorientierung an Haupt- bzw. Realschulen und wirft weiterführende Forschungsfragen auf. Da die Interviews mit Elvira und Gerti weder statistisch repräsentativ noch als exemplarische Beispiele eines Theoretical Sampling im Sinne qualitativer Forschung gelten können, will der Beitrag in erster Linie zu Modifikationen in der schulischen Berufsorientierung und entsprechenden Forschungen motivieren.

2.  ‚Elvira‘ und ‚Gerti‘ - zum Übergangshandeln von Jugendlichen

Beide Frauen arbeiten im selben Ausbildungsbetrieb. Anders als eine große Zahl angehender Hauswirtschafter/innen, die außerbetrieblich oder in Vollzeitschulen ausgebildet werden, befinden sie sich folglich im dualen System (vgl. KETTSCHAU 2007, 34).

Elvira ist 21 Jahre alt. Sie hat nach dem Realschulabschluss eine Ausbildung zur Arzthelferin absolviert. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit entschließt sie sich, eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin zu beginnen. Zum Zeitpunkt des Interviews befindet sie sich im zweiten Lehrjahr. Gerti, die zweite Interviewpartnerin, ist 19 Jahre alt und im dritten Ausbildungsjahr. Nach der Hauptschule hat sie keinen Ausbildungsplatz gefunden. Sie geht zuerst auf die zweijährige Berufsfachschule für Ernährung und Hauswirtschaft und fängt danach ihre Ausbildung zur Hauswirtschafterin an. Beide bezeichnen die Hauswirtschaft als den Beruf, den sie gerne ergreifen wollen. Wie eine wachsende Anzahl von Jugendlichen brauchen sie mehrere Jahre, bis sie in die gewünschte Lehre einsteigen (vgl. BEICHT/ FRIEDRICH/ ULRICH 2007). Immer mehr junge Erwachsene wechseln nach ihrem Schulabschluss auf Berufsbildungsangebote des so genannten Übergangssystems, wie etwa die Berufsfachschule. Laut Berufsbildungsbericht stiegen die Schülerzahlen der Berufsfachschulen in den letzten zehn Jahren um 83% (BMBF 2007, 162).

Nach HEINZ (2000) praktizieren die meisten Jugendlichen somit ein Berufswahl-Handeln, das als „Schritt-für-Schritt Übergangshandeln“ zu bezeichnen ist: „(H)ier ist die Berufswahl relativ diffus, charakterisiert durch eine längere Suche nach einer interessanten Berufstätigkeit…“ (ders. 2000, 180). Auch Elvira und Gerti können als Vertreterinnen dieses Typus' angesehen werden. Die anderen Typen, die HEINZ benennt, wie das „Mal seh'n-, was-kommt'-Übergangshandeln“, das „durch abwartendes Verhalten…, zufrieden, wenn sich die bisherige Situation nicht verschlechtert…“ gekennzeichnet ist oder das planvolle „strategische Übergangshandeln“ sowie das „risikobereite Übergangshandeln“ praktizieren Handlungs- bzw. Verhaltensformen während der Berufswahl, die sich zu diesem Zeitpunkt von Elviras und Gertis Aktionen unterscheiden.

Elvira und Gerti gehören also zu der erheblichen Anzahl von Schulabgängern, die nach ihrem Schulabschluss entweder unschlüssig sind, welche Ausbildung sie beginnen wollen oder durchaus bestimmte Präferenzen zeigen, aber durch erschwerende Gegebenheiten, insbesondere die Situation am Arbeitsmarkt oder biographische Vorbedingungen, keine Möglichkeit finden, diese zu verwirklichen (HOFMANN-LUN et al. 2005, 18).

Der Prozess der Berufsorientierung dauert bei Elvira und Gerti die folgenden Jahre an und gewinnt zunehmend an Ausrichtung.

3.  Berufswahlprozesse

3.1 „Das ist mein Traumberuf“ – Elvira

„Also das ist mein Traumberuf…“. „Wie gesagt, bin ich sehr praktisch veranlagt, ja ich hab' viele Bücher gelesen, da hab' ich den Geschmack dafür *bekommen*. Und ich hab' 'ne große Familie zuhause und da müssen wir eh anpacken und dann üb' ich des täglich ((lacht))“. „…bei mir ist es die Prägung“ (Elvira 2:58ff; 12:02ff; 17:06ff; vgl. dies. 12:20ff). (Die Angaben geben den Zeitpunkt der Aussage im Verlauf des Interviews an. Transkriptionsregeln, siehe Anhang.)

Elvira teilt die Menschen in „praktisch“ und ‚theoretisch Veranlagte' ein. Sich selbst bezeichnet sie als praktischen Typ. Ihre familiäre Sozialisation erfolgt in Richtung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten. Obwohl sie diese nahezu genetische und biographische berufliche Orientierung zum Zeitpunkt des Interviews bei sich feststellt, absolviert sie nach der Realschule zunächst eine Ausbildung als Arzthelferin. Im Rückblick führt sie dies u.a. auf ihr junges Alter und ihre jugendliche Unschlüssigkeit zurück: „Ich wusst' net wirklich, was ich will. Also es war, es war ein Angebot und dann dachte ich okay, dann machst du das“ (Elvira 6:27ff; vgl. dies. 3:36ff).

Wenngleich Elvira nach zwei Praktika während ihrer Schulzeit - einem in einer kieferorthopädischen Praxis und einem bei einem Bäcker - eigentlich erkannt hat, dass die Tätigkeit beim Kieferorthopäden nicht ihren Neigungen entspricht, beginnt sie die Ausbildung zur Arzthelferin (dies. 4:28ff). „Beziehungen“ , familiäre oder andere Unterstützung legen ihr diese Entscheidung nahe (dies. 6:13ff). In ihren beruflichen Präferenzen unentschlossen, lässt sie sich von den äußeren Gegebenheiten steuern und widersetzt sich dem leicht erreichbaren Ausbildungsplatzangebot nicht.

Als Arzthelferin ist sie zunächst arbeitslos. Jetzt entscheidet sie sich, noch eine zweite Ausbildung zu beginnen und betont, dass diese Wahl ihr eigener autonomer Entschluss gewesen sei: „Des kam von mir selbst, ich wollte das“ (dies. 6:52ff). Elvira informiert sich mit Hilfe von Büchern (siehe oben) und bewirbt sich bei der Einrichtung, in der sie zum Zeitpunkt des Interviews arbeitet: „... ich wollte es machen und ich wusste, ich werde es @irgendwi::ie schaffen@“ (dies. 5:48ff). Sie hat nun ein klares Interesse entwickelt und besitzt auch genug Selbstbewusstsein und Mut, es durchzusetzen. Sie ändert ihr Übergangshandeln und praktiziert jetzt ein „risikobereites Übergangshandeln“, das sich an ihren eigenen Neigungen orientiert.

Einschlägige Untersuchungen betätigen, dass Eltern oder Bekannte wie im Falle von Elvira bei vielen Jugendlichen auf die Berufswahl einwirken (ARBEITSKREIS EINSTIEG 2006, 9f.; HOFMANN-LUN et al. 2005, 18; WENSIERSKI/ SCHÜTZLER/ SCHÜTT 2003, 80). Elviras späteres Handeln jedoch erweist sich als eigenständig. Mit Blick auf den hauswirtschaftlichen Beruf scheint sie ganz auf sich allein gestellt. Sie berichtet über keinerlei Unterstützung bei dieser Berufswahl durch Eltern, Freunde, Lehrkräfte oder Berufsinformationszentrum. Die nötigen Informationen hat sie sich selbst besorgt. Wenn Elvira von sich sagt, dies sei ihr „Traumberuf“ , erscheint die Bezeichnung vor ihrem biographischen Werdegang und der vollzogenen berufsbiographischen Wende einleuchtend. Elvira kann als ‚hauswirtschaftliche Überzeugungstäterin' charakterisiert werden.

3.2  „Da hab‘ ich gedacht, des machste“ - Gerti

(Gerti 13: 39ff )Wie Elvira gibt Gerti an, am Ende der Hauptschulzeit nicht gewusst zu haben, welche Ausbildung sie wählen soll: „Ja was soll ich denn machen? Ich weiß es nicht“ (Gerti 9:52ff; vgl. dies. 1:12ff). Sie absolviert mehrere unterschiedliche Praktika, interessiert sich für die Berufe Kosmetikerin und Friseurin, bewirbt sich schließlich um einen Ausbildungsplatz als Friseurin und macht enttäuschende Erfahrungen: „In der Hauptschule wollte ich ja damals noch Friseurin werden, da habe ich auch… zwanzig dreißig Bewerbungen geschrieben und wurde kein Mal eingeladen. Das ist natürlich frustrierend … Und dann kam ja des mit der Schule. Es war ja keine Möglichkeit mehr da...“ (dies. 12:48ff; vgl. dies. 3:58ff).

Gerti hat im Anschluss an die Hauptschule ein Schritt-für-Schritt-Übergangshandeln praktiziert, das einem geschlechtsbezogenen Muster folgt (vgl. BMBF 2007, 122). Nach Erhalt zahlreicher Ablehnungen bleibt in Gertis Augen nur die Berufsfachschule als Möglichkeit zur Überbrückung offen; die Schule dient ihr zudem zur Weiterqualifizierung. Während Elvira mehr oder weniger darauf abhebt, schon immer für die Hauswirtschaft prädestiniert zu sein und dies lediglich aufgrund der eigenen Jugend nicht gewusst zu haben, schildert Gerti die Entwicklung ihrer Berufswahlmotive als wechselhaft bis kontrastreich. In der Hauptschule bzw. unmittelbar nach dem Hauptschulabschluss sei die Hauswirtschaft „gar nicht“ ihr „Ding“ gewesen; sie habe „eigentlich genau des Gegenteil“ wollen (dies. 1:24ff; dies. 3:58ff). Im Rückblick kann Gerti sich nicht an schulische Informationen zum Berufsfeld Hauswirtschaft erinnern. Die Entscheidung für diesen Ausbildungsweg fällt in der Berufsfachschule für Ernährung und Hauswirtschaft – u.a. im Anschluss an ein entsprechendes Praktikum (dies. 3:46ff; vgl. dies. 6:54ff). Wie Elvira spricht Gerti davon, sich für den Beruf „entschlossen“ zu haben (ebd.). Sie agiert jetzt zielgerichtet: „…und da hab' ich mir vom Arbeitsamt … da hab' ich gesagt, ich will Hauswirtschafterin lernen. Wie sieht's aus, was können Sie mir da für Adressen geben? …darauf hin, ich hab' nur drei Bewerbungen geschrieben, zwei oder drei Bewerbungen …“ (Gerti 3:52ff; vgl. dies. 15:52ff). Mit Unterstützung einer Lehrerin an der Berufsfachschule erhält sie den Ausbildungsplatz (dies. 14:32ff). Auch bei Gerti ist festzustellen, dass sie ihr Schritt-für-Schritt-Handeln ablegt. Sie weiß nun, was sie will und handelt risikobereiter und rationaler.

Auf die Frage, ob die Hauswirtschaft ihr Wunschberuf sei, reagiert Gerti nachdenklich zustimmend (dies. 29:50ff). Zur Veranschaulichung nennt sie viele Tätigkeiten, die ihr während der Ausbildung „Spaß“ machen und die sie „klasse“ findet. Sie spricht aber ebenso von Arbeitsbereichen, die sie nicht so gut beherrscht und in denen sie ihre Fähigkeiten ausdrücklich noch weiterentwickeln möchte (dies. 29:07ff). Ehrgeizig denkt sie an eine spätere „Weiterbildung“ – zumal sie mit dem Verdienst als Hauswirtschafterin unzufrieden ist. „Hey 'mal gucken, was ich dann noch später hinkrieg'…“ (dies. 39:26ff; vgl. dies. 34:22ff). Während Elvira sich als ‚Überzeugungstäterin' darstellt, präsentiert sich Gerti somit eher als ‚Weiterstrebende'.

Weder Gerti noch Elvira fassen, trotz ihrer wechselvollen Berufswahlgeschichten, die Ausbildung zur Hauswirtschafterin als unliebsame Notlösung auf, die sie mit möglichst geringem Aufwand hinter sich bringen möchten (Elvira 20:49ff). Bei beiden zeigt sich die Berufswahl als schwieriger, aber konstruktiv verlaufender Prozess, der sie vor die Herausforderung stellt, eine „Entwicklungsaufgabe“ zu bearbeiten (HAVIGHURST (1948/1974, 62ff; SEIFERT 1992, 194ff; EBERHARD 2006, 23f.). Im Begriff der Entwicklungsaufgabe konvergieren objektive und subjektive Erwartungen: Sie formuliert einerseits gesellschaftliche Ansprüche an Individuen in ähnlichen biographischen Situationen und beinhaltet andererseits die subjektive Deutung und Realisierung jener Ansprüche (HERICKS/ SPÖRLEIN 2001 , 34). Die Berufswahl stellt sich dabei nicht als einmalige Entscheidung dar, sondern als mehrjähriger Vorgang. Gertis Biographie veranschaulicht, wie frustrationsreich sich dieser Weg gegebenenfalls im Einzelfall gestaltet. Sie weist aber auch darauf hin, dass die insbesondere nach der ULME-II-Studie aus Leistungsgesichtspunkten in die Kritik geratene teilqualifizierende Berufsfachschule eine unterstützende Rolle im Berufsfindungsprozess ausüben kann (vgl. LEHMANN 2006).

Weder Gerti noch Elvira erinnern sich, an der allgemeinbildenden Schule Informationen oder Orientierungen zum hauswirtschaftlichen Berufsfeld erhalten zu haben. Gerade über die Hauswirtschaft scheinen Heranwachsende, wie im nächsten Kapitel beschrieben, jedoch wenig Bescheid zu wissen, so dass der schulischen Berufsorientierung eine bedeutsame Aufgabe zukommen würde.

4.  „Es ist manchmal schwer, es zu erklären“ - zur Wirkung von Berufsbezeichnungen

4.1  Wirkungen der Berufsbezeichnung „Hauswirtschafterin“ in den Interviews

Wenn Gerti und Elvira einer Person ihres sozialen Umfelds erklären wollen, dass sie Hauswirtschafterin werden, machen beide häufig die Erfahrung, dass ihr jeweiliges Gegenüber über keinerlei Vorkenntnisse zu diesem Beruf verfügt (Gerti 38:01ff; Elvira 16:27ff; 15:04ff). Zugleich haben beide erlebt, dass die Gesprächspartner anschließend mehr über die unbekannte Hauswirtschaft wissen möchten (Gerti 38:47ff; Elvira 16:27ff). In diesen Fällen beschreiben Gerti und Elvira ihren Ausbildungsberuf mit einer Aufzählung von Tätigkeiten: „Ja okay, kochen, backen, Computer… Raum- Raumgestaltung, Partyservice,… man kann Dienstleistungen in privaten Haushalten unternehmen… Du hast mit vielen Menschen zu tun, der Beruf ist sehr vielseitig und… ja das ist *das Interessante daran*“ (Elvira 15:16ff, vgl. Gerti 35:8ff). Gerti gesteht ein, dass die Vielseitigkeit ihres Berufs sie dabei in Erklärungsnöte bringen kann. „Es ist manchmal schwer, es zu erklären, muss ich ganz ehrlich sagen. Weil es ist groß, es ist viel“ (Gerti 35:21ff).

Aus professionstheoretischer Sicht kämpft Gerti hier mit der Heterogenität haushalts- und familienbezogener Arbeit (KETTSCHAU 2006, 26f.; dies. 1981, 42f.). Sie spricht zudem einen Aspekt an, den die Professionalisierungstheorie als „Hausarbeitsnähe“ bezeichnet, d.h. die Nähe eines Erwerbsberufes zur privaten Haushaltsarbeit (KLEWITZ/ SCHILDMANN/ WOBBE 1989). Obwohl es in dem genannten theoretischen Kontext um „Professionen“ geht und nicht um Berufe im Allgemeinen, spiegeln Gertis Erfahrungen wider, dass eine überwiegend bürgerlich-männlich geprägte Auffassung neben der Qualifizierung vor allem die Spezialisierung als Voraussetzung von „Professionen“ ansieht. Dies steht der Heterogenität bzw. Ganzheitlichkeit haushaltsbezogener Erwerbsarbeit unweigerlich entgegen (RABE-KLEBERG 1999). Nach jenem Professionsverständnis wäre die Chance zur Professionalisierung umso größer, je stärker sich reproduktionsbezogene Dienstleistungen von der privaten Haushaltsarbeit unterscheiden.

Vor diesem Hintergrund wird leicht nachvollziehbar, dass die beiden angehenden Hauswirtschafterinnen auch negative Erfahrungen schildern: „Und was mich am meisten ärgert: Oh du bist Hausfrau ((verstellte Stimme)). (1) Ich bin keine Hausfrau…, es hat nichts mit Hausfrau zu tun… also du wirst gleich abgestempelt. Und das hat jeder jeder von meiner Klasse - also des hat jeder erlebt. Du wirst sofort abgestempelt …“ (Gerti 35:30ff; Elvira 15:4ff). Gerti empfindet es als Entwertung, dass ihr Ausbildungsberuf mit der ungelernten und unbezahlten privaten Haushaltsarbeit gleichgesetzt wird und reagiert aggressiv und verletzt In ihrem sozialen Umfeld begegnen ihr Rechtsanwälte und Bankangestellte (dies. 38:1ff), so dass es ihr nicht immer leicht fällt, den eigenen Ausbildungsberuf bekannt zu geben: Also ich muss zu meinem Ding stehen, ich bin immer noch dabei, des zu lernen (dies. 38:19). Gerti fasst die Identifikation mit der Hauswirtschaft und die Darstellung nach außen als Herausforderung auf, die sie bewältigen will und kann. Zugleich aber identifiziert sie sich ein Stück weit mit der Herabsetzung des hauswirtschaftlichen Berufsfeldes: Sie möchte sich weiterqualifizieren, um zu beweisen, dass sie, als ehemalige Hauptschülerin, mehr erreichen kann (dies. 48:26ff; siehe Kap. 3.2).

Auch Elvira begegnet Entprofessionalisierungen ihres Berufes; sie kontert diese jedoch selbstsicher mit einer Entwertung des Gegenübers, indem sie sich über diese Person lustig macht und Autonomie für sich selbst postuliert: „Ich denk dann einfach, die haben keine Ahnung ((lacht)). „Mir macht (die Arbeit) Spaß und mir ist es eigentlich teilweise, mir ist es egal, was die Leute sagen. Das ist mein Beruf“ (Elvira 15:08ff; dies. 16:05ff). Möglicherweise kann Elvira als ehemalige Realschülerin mit einer bereits abgeschlossenen Ausbildung selbstbewusster auftreten. Für sie scheint die Entwicklungsaufgabe der Berufsfindung zum Zeitpunkt des Interviews leichter zu bewältigen als für Gerti.

4.2  Wirkungen von Berufsbezeichnungen in repräsentativen empirischen Erhebungen

Obwohl Jugendliche auf die Frage nach ihren Berufswahlmotiven nur selten angeben, dass es ihnen auf das Ansehen des Berufes ankomme, spielt dieses bei der Berufswahl nachweislich eine Rolle. „Je höher der Anteil der Ausbildungsplatze ist, der nicht besetzt werden konnte, desto niedriger ist wahrscheinlich das Image dieser Berufe bei den Jugendlichen“ (SCHULTE/ ULRICH 2004, 73). Der Berufsbezeichnung kommen dabei vor allem drei Funktionen zu: Sie hat eine Signalfunktion, indem sie erste Vorstellungen und Assoziationen zu dem Beruf auslöst; sie übt eine Selektionsfunktion aus, indem sie dazu führt, dass Jugendliche sich nur über bestimmte Berufsbilder informieren; schließlich verspricht sie eine Selbstdarstellungsfunktion, indem sie den Berufsträger mit einem mutmaßlichen Image versorgt (ULRICH/ KREWERTH 2004, 9).

Bei der Erforschung semantischer Differenziale von Berufsbezeichnungen wurden elf Benennungen, darunter Koch/Köchin, Fachverkäufer/Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk sowie Fachmann/Fachfrau für Systemgastronomie, untersucht. Die Studie erfasste somit Berufe, die der Hauswirtschafterin/dem Hauswirtschafter inhaltlich nahe sind (KREWERTH/ ULRICH 2004, 90ff). Hierbei zeigte sich, dass das Gesamtimage der Fachverkäuferin/der Fachverkäufer im Nahrungsmittelhandwerk neben der/dem Gärtnerin/dem Gärtner bei den Jugendlichen am niedrigsten ist.

Die folgende Tabelle gibt anhand zweier ausgewählter Merkmale wieder, wie das Image der Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk, der Köchin und der Fachkraft für Systemgastronomie bewertet wurde. Da sich die semantischen Differenziale von männlicher und weiblicher Berufsbezeichnung unterscheiden, beziehen sich die Angaben zur Vereinfachung nur auf die weiblichen Berufsbezeichnungen. Die Ergebnisse zu ‚Koch' fallen günstiger aus als die Aussagen zu ‚Köchin'; weibliche Berufsbezeichnungen sind jedoch nicht generell schlechter konnotiert als männliche (ebd., 101). Um anzugeben, welche Eigenschaften andere Menschen einer Berufsträgerin vermutlich zuschreiben, sollten die Jugendlichen auf einer Skala zwischen minus 100 und plus 100 ankreuzen.

Die Mehrzahl von Jugendlichen glaubt, dass andere Menschen der Fachfrau für Systemgastronomie Bildung und Ansehen zuschreiben. Zum größten Teil liegt dies aber daran, dass knapp zwei Drittel der Jugendlichen dieses neue Berufsbild (seit 1999) überhaupt nicht kennen. Diejenigen Jugendlichen, die von sich behaupten, sie würden über den Beruf Bescheid wissen, geben schlechtere Bewertungen ab. Zur Begründung fallen dann jedoch ganz und gar unangemessene Antworten wie „Da steht man doch den ganzen Tag am Grill“ (KREWERTH/ ULRICH 2004, 108).

Generell schätzen Jugendliche das Ansehen derjenigen Berufe als günstiger ein, die ihnen selbst von ihrem Schulabschluss her vermutlich offen stehen. Selbstwertdienliche Prozesse spielen hier wahrscheinlich eine erhebliche Rolle (vgl. TOMASIK/ HECKHAUSEN 2006). Der Fachverkäufer/die Fachverkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk erhält jedoch von allen Absolventen negative Bewertungen: „Dass in diesem Fall der ‚eigene' Beruf, in dem die Zugangschancen durchaus hoch sind, von den Hauptschülern nicht freundlicher gekennzeichnet wird, mag letztlich auf das recht negative Image dieses Berufs selbst bei schwächeren Schulabgängern zurückzuführen sein“ (KREWERTH/ ULRICH 2004, 111).

Selbstverständlich sind solche Ergebnisse nur mit Vorsicht auf den Ausbildungsberuf des Hauswirtschafters/der Hauswirtschafterin zu übertragen. Immerhin finden sich im Jahr 2006 in den alten Bundesländern im Bereich ‚Körperpflege, Gastwirtschaft, Hauswirtschaft und Reinigungsberufe' wie in den ‚Ernährungsberufen' noch 0,8 unbesetzte Ausbildungsstellen pro nicht vermitteltem Bewerber - aber diese Relation fällt bei allen anderen Berufsfeldern geringer aus (BMBF 2007, 3007). Folgt man der oben zitierten Aussage, dass die Anzahl nicht besetzter Stellen auf das Image eines Berufes schließen lasse, gehört die Hauswirtschaft zu den Berufen mit einem eher geringen Image. Die widersprüchlichen Befragungsergebnisse zur Fachfrau für Systemgastronomie weisen außerdem darauf hin, dass es nicht weiterhelfen würde, die Berufsbezeichnung Hauswirtschafter/in einfach zu ändern.

4.3  Berufswahl im Bereich Hauswirtschaft als anspruchsvolle Entwicklungsaufgabe

Der Berufswahlprozess verlangt von allen Jugendlichen, eine mehr oder weniger schwierige Entwicklungsaufgabe zu meistern. Hierzu müssen sie nicht nur eigene Interessen und Prioritäten generieren und mit biographischen Gegebenheiten sowie strukturellen Bedingungen abgleichen, sondern zusätzlich flexibel auf wechselvolle Außenbedingungen reagieren. So sind gerade viele Hauptschüler/innen gezwungen, am Ende ihrer Schulzeit nochmals nach einem neuen Beruf Ausschau zu halten, weil sie keinen Ausbildungsplatz finden (HOFMANN-LUN et al. 2005, 18). Die Interviews mit Gerti und Elvira und verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass es Jugendlichen - bevor sie überhaupt mit der Ausbildungsplatzsuche beginnen können – nicht immer leicht fällt, eigene Interessen zu erkennen (BASTIAN et al. 2007, 53ff; HEINZ 2000; SEIFERT/ BERGMANN/ EDER 1987). Die Berufsfindung erfordert, eine Vorstellung von der eigenen beruflichen Identität („berufliches Selbstkonzept“) zu entwickeln und dieses mit dem Bild eines Ausbildungsberufes („Berufskonzept“) möglichst weitgehend in Einklang zu bringen (SEIFERT 1992, 195). Eine hohe Selbstkonzept-Berufskonzept-Kongruenz wird als Indikator für eine angemessene Berufswahlreife angenommen (ebd.; EBERHARD 2006, 23f.).

Das berufliche Selbstkonzept bleibt im Verlauf der individuellen Biographie selbstverständlich nicht statisch, sondern wird in Wechselwirkung mit situativen oder strukturellen äußeren Bedingungen beständig korrigiert bzw. modifiziert (HEINZ 2000, 175). Je nach beruflichem Selbstkonzept legen Jugendliche dann mehr oder weniger viel Wert auf die Selbstdarstellungsfunktion einer Berufsbezeichnung. Das Berufskonzept kann nur aufgebaut werden, wenn Jugendliche über genügend Informationen und/oder Erfahrungen zu einem bestimmten Beruf verfügen.

Bei Elvira und Gerti sind weder das berufliche Selbstkonzept noch das Berufskonzept Hauswirtschafter/in am Ende der allgemeinbildenden Schule differenziert entwickelt. Elvira kann ihre Unschlüssigkeit erst nach Abschluss der ersten Ausbildung überwinden, sich dann auf ein bestimmtes berufliches Selbstkonzept fokussieren und mit Hilfe von Büchern ein passendes Berufskonzept erarbeiten. Bei Gerti unterliegt das berufliche Selbstkonzept sowohl in der Schulzeit als auch in der Gegenwart starken Schwankungen. In der Berufsfachschule baut sie ein Berufskonzept zur Hauswirtschafter/in auf. Zu einem früheren Zeitpunkt wären Elvira und Gerti folglich nicht in der Lage gewesen, das erforderliche Maß an Kongruenz zwischen beruflichem Selbstkonzept und Berufskonzept Hauswirtschafterin herzustellen.

Die oben skizzierten Studien und die Aussagen der Interviewten lassen erwarten, dass die Berufsbezeichnung Hauswirtschafter/in für Jugendliche eher negative Funktionen, vor allem problematische Selbstdarstellungsfunktionen, mit sich bringt. Heranwachsende, die sich für diesen Berufsweg entscheiden, wären dann in der Entwicklungsaufgabe Berufswahlreife in besonderer Weise gefordert: Sie benötigten genügend Selbstbewusstsein, um ihr berufliches Selbstkonzept relativ unabhängig von dem vermuteten Fremdbild zu konstruieren.

Nimmt man an, dass die Entscheidung für eine Ausbildung im Bereich Hauswirtschaft ein vergleichsweise hohes Maß an Berufswahlreife voraussetzt, erscheint eine qualifizierte schulische Berufsorientierung umso wichtiger.

5.  Perspektiven für die schulische Berufsorientierung

Wie schon mehrfach erwähnt, erinnern sich weder Gerti noch Elvira an berufsorientierende Inhalte im haushaltsbezogenen Unterricht an der Haupt- oder Realschule.

Vor allem in den Lehrplänen der Hauptschulen spielt die Berufsorientierung im Fach Haushalts- oder Arbeitslehre bzw. in den entsprechenden Fächerverbünden in Deutschland jedoch eine erhebliche Rolle (z.B. MKJS 2004, 128). Auf welche Weise diese Berufsorientierung an den Schulen tatsächlich praktiziert wird, wurde für das Fach/den Lernbereich Arbeitslehre das letzte Mal Anfang der neunziger Jahre systematisch erforscht (ZIEFUß 1995). Aus genderbezogener Sicht kritisierten Fachdidaktikerinnen und Schulpädagoginnen vor einigen Jahren, dass sich schulische Berufsorientierung tendenziell an einer männlichen Erwerbsbiographie orientiere (BIGGA 2001; LEMMERMÖHLE 2001; vgl. dies. 1993, 125). Nach umfangreichen bildungspolitischen Reformen und vielfältigen Initiativen, wie etwa dem Berufswahlpass, lassen sich diese Erkenntnisse jedoch nicht mehr auf die Gegenwart übertragen; es ist zu erwarten, dass schulische Berufsorientierung derzeit auf einem höheren Niveau stattfindet (z.B. LUMPE 2002; BERUFSWAHLPASS ).

Elvira und vor allem Gerti heben hervor, dass sie Praktika als wichtige Hilfen bei der Berufsorientierung einschätzen (Gerti 9:28ff; et passim; Elvira 4:47ff). Unter anderem durch ein hauswirtschaftliches Praktikum im Rahmen der Berufsfachschule lernt Gerti ihren jetzigen Ausbildungsberuf näher kennen (dies. 3:46ff; dies. 6:54ff). Mit dieser positiven Einstellung zu Praktika stehen die beiden Frauen für zahlreiche Jugendliche, welche die direkten Erfahrungen in dem Beruf und die Gespräche mit Personen, die ihn ausüben, als wichtige Einflussgrößen für ihre Berufswahl bezeichnen (PRAGER/ WIELAND 2005, 9; vgl. DJI 2004, 13; HOFMANN-LUN et al. 2005, 18; ARBEITSKREIS EINSTIEG 2006, 8f. 12. 29) . Eltern, Unterricht und Praktikum gelten als zentrale Unterstützungsinstanzen ( ARBEITSKREIS EINSTIEG 2006, 9).

Aus schulpädagogischer und fachdidaktischer Perspektive sind Praktika sorgfältig anzubahnen und zu begleiten, um oberflächliche oder einseitige reflexive Verarbeitungen auf Seiten der Jugendlichen zu verhindern; gelegentlich wird jedoch auch vor erhöhten Bedeutungszuschreibungen gewarnt (BEINKE 2006; SCHUDY 2002, 192ff; LEMMERMÖHLE 1993, 123f.). Wie bei Gerti genügt ein einziges Praktikum häufig nicht, um berufliche Präferenzen zu entwickeln. Im Kontext des Hamburger Projekts „Arbeiten und Lernen in Schule und Betrieb“ stellen BASTIAN et al. fest, „…dass erst im dritten oder vierten Anlauf Praktikumsstellen gewählt werden, die den eigenen Fähigkeiten angepasst sind“ (BASTIAN et al. 2007, 165f.). Da sich die Jugendlichen ihre Praktikumsplätze zumeist selber wählen, spielen sachfremde Überlegungen, wie situative Zufälligkeiten und Bequemlichkeiten oder Selbstüberschätzungen eine Rolle. So entscheiden sich Schüler/innen teilweise für Praktika, die aus Sicht der Lehrkräfte ungeeignet für sie sind (AHRENDS 2007, 195).

Mit Blick auf das hauswirtschaftliche Berufsfeld und die oben beschriebene Problematik wäre eine orientierende Unterstützung durch Lehrkräfte bei der Wahl eines Praktikumsplatzes in besonderem Maße gefragt: Wenn Jugendliche keinerlei Vorkenntnisse oder sogar ungünstige Voreinstellungen zu diesem Berufsfeld mitbringen, werden sie sich kaum für einen entsprechenden Platz entscheiden und können folglich kein angemessenes Berufskonzept konstruieren. Praktika in Betrieben mit hauswirtschaftlichen Dienstleistungen scheinen an Schulen indes bislang die Ausnahme. So ergab eine Befragung von Rektoren/innen an baden-württembergischen Hauptschulen zwar, dass die meisten schulischen Kooperationen mit außerschulischen Partnern das Ziel verfolgen, die Berufsorientierung der Jugendlichen zu fördern, wie etwa die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, der Berufsberatung, Handwerks- und Industriebetrieben etc. - sucht man aber nach Betrieben, die in Richtung Hauswirtschaft orientieren könnten, lassen sich keine Hinweise finden (COMBE/ ZENKE 2006, 51f.). Auch in der Publikation zu dem oben erwähnten Hamburger Schulversuch sind haushaltsbezogene Praktikumsplätze nicht erwähnt (BASTIAN et al. 2007, 165). Um mehr Jugendlichen zu ermöglichen, Praktika im hauswirtschaftlichen Berufsfeld zu absolvieren und sachgerechte Berufskonzepte zu generieren, wäre erforderlich, dass hauswirtschaftliche Betriebe und allgemeinbildende Schulen ihre Kooperationen intensivierten.

Selbstverständlich sind einzelne Aussagen wie die der beiden interviewten Auszubildenden nicht repräsentativ, aber die Frage, ob schulische Berufsorientierung im Bereich Hauswirtschaft sachgerecht stattfindet, kann gegenwärtig aus empirischer Sicht nicht zuverlässig bejaht werden. Initiativen wie die „Perspektive Hauswirtschaft“ der Landesarbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz versuchen bereits, einem möglichen Informationsdefizit entgegen zu arbeiten (LAG 2008). Forschungsbedarf ergibt sich zudem aus der Überlegung, ob sich das hauswirtschaftliche Berufsfeld auch bei anderen Auszubildenden als „Liebe auf den zweiten Blick“ herausstellt und welche Wege diese Personen aus welchen Gründen zu ihrem Beruf gegangen sind. Die begonnene Typenbildung mit der ‚Überzeugungstäterin' und der ‚Weiterstrebenden' ließe sich möglicherweise verifizieren und fortsetzen.

Angesichts der Vermutung, dass eine Mehrzahl von Eltern und Lehrkräften junge Erwachsene, die Interesse für die Hauswirtschaft zeigen, wenig unterstützen und das sonstige soziale Umfeld kaum Bescheid weiß oder sogar Vorurteile hegt, müssen Heranwachsende eine ausgeprägte Berufswahlreife entwickelt haben, um sich für diesen Ausbildungsberuf zu entscheiden. Auf der Basis zuverlässiger quantitativer und qualitativer empirischer Befunde könnten Maßnahmen der Berufsorientierung entwickelt werden, um Jugendliche hierbei angemessen zu fördern.

Literatur

AHRENDS, D. (2007): Anspruch und Wirklichkeit von Betriebspraktika als Instrument schulischer Berufsorientierung. In: KAHLERT, H./ MANSEL, J. (Hrsg.): Bildung und Berufsorientierung. Der Einfluss von Schule und informellen Kontexten auf die berufliche Identitätsentwicklung. Weinheim; München, 185-203.

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