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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 12 Berufliche Rehabilitation

Berufliche Rehabilitation im Wandel. Qualität in der Beruflichen Rehabilitation – Forschungsergebnisse und gute Praxis

 

1.  Ein kurzer Abriss der Beiträge zur Beruflichen Rehabilitation an den Hochschultagen Berufliche Bildung

Die in der Fachtagung Berufliche Rehabilitation vorgetragenen Beiträge setzten sich in erster Linie mit Beispielen zur Praxis im Sinne von guter Praxis als Modell für andere auseinander. Einleitend gab Meinhard Stach einen Überblick über die Themen und Ergebnisse aus den Workshops und Fachtagungen zur Beruflichen Rehabilitation in den Hochschultagen Berufliche Bildung. Dieser Beitrag bietet einen Überblick sowohl zu den Trends, von denen die Praxis der Beruflichen Rehabilitation in diesem Zeitraum beeinflusst wurde, als auch zur Entwicklung der Debatte in der Berufsbildung. Ungekürzt wird dieser Teil dokumentiert in der zentralen Dokumentation der Hochschultage Berufliche Bildung 2008. An dieser Stelle werden die wesentlichen Verhandlungen der Fachtagung aufgezeigt.

Stach gab zunächst einen kurzen Aufriss der Geschichte des Umgangs mit behinderten Menschen und zeigte im Anschluss die Entwicklung der Beruflichen Rehabilitation mit dem Schwerpunkt der Entwicklung nach dem zweiten Weltkrieg auf.

Seit 1980 hatten sich die Hochschultage Berufliche Bildung zu einem Forum des Austausch und der Diskussion entwickelt. Seit 1988 gehört der Workshop „Berufliche Rehabilitation“ (2000, 2002 und in diesem Jahr Fachtagung) zum festen Bestandteil der Hochschultage. Die Workshops und Fachtagungen wurden von Beginn an, also seit 1988, durch Tagungsbände, seit 2006 elektronisch auf CD, dokumentiert. Dies erfolgte zunächst in einem kleinen engagierten Verlag, dem Leuchtturmverlag Alsbach. Da dort jedoch nicht alle Dokumentationen zu allen Fachtagungen und Workshops erschienen, wurde im Kontext der Hochschultage 1994 in München durchgesetzt, dass alle Dokumentationen im Kieser-Verlag Neusäß erscheinen mussten. Der Verlag verlor jedoch das Interesse an der Reihe; seit 2000 engagiert sich nunmehr der W. Bertelsmann-Verlag Bielefeld.

Die Themen spiegeln einen Entwicklungsverlauf der Beruflichen Rehabilitation, einen Krisenverlauf des Berufsbildungssystems und zu einem erheblichen Teil auch den der Gesellschaft wider. Doch zunächst stand die Konsolidierung und Verbesserung des Erreichten im Vordergrund. 1988 wurden didaktische Innovationen als Folge neuer Technologien in den Mittelpunkt gerückt. Damit wird zugleich deutlich, dass Themen immer wieder bearbeitet werden müssen, dabei auch immer neue Gesichtspunkte in das Blickfeld treten: Der Workshop 2004 fokussierte die Beiträge auf Netzwerke und neue Medien.

Der Workshop 1990 setzte sich mit Schlüsselqualifikationen in der beruflichen Rehabilitation auseinander. Dies erfolgte sowohl auf der theoretischen Ebene, hier insbesondere in den Beiträgen von Langsdorf-Kauer und Zeller sowie Seyd, als auch auf der Umsetzungsebene, einer Problemebene, die das Thema immer noch aktuell sein lässt. Was jugendliche Rehabilitanden können oder lernen können, vermittelten Langsdorf-Kauer und Zeller eindrucksvoll mit den Ergebnissen ihres Stuhlprojektes.

Im Zentrum der Workshops der Hochschultage 1992 in Frankfurt und 1994 in München stand der Blick über die Grenzen auf die Entwicklung der Systeme der Beruflichen Rehabilitation, 1992 mit dem Schwerpunkt der Entwicklungen bei östlichen Nachbarn, 1994 vor allem mit der Blickrichtung nach Westeuropa. Die Titel der Workshops 1996 in Hannover „Rehabilitationsberufe der Zukunft – Situation und Perspektiven“ und 1998 in Dresden „Berufliche Rehabilitation im Umbruch – Konsequenzen für Berufsbilder, Ausbildung und Unterricht“ verwiesen darauf, dass auch in der Beruflichen Rehabilitation ein Krisenszenario angekommen war. Angesichts der allgemein gestiegenen Arbeitslosigkeit hatten sich auch die Vermittlungsquoten der Rehabilitanden nach der Berufsausbildung oder Umschulung verschlechtert, in einigen Berufen dramatisch. So ist die Reflexion über das Recht auf Müßiggang, wenn der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, vielleicht legitim, wird aber in einer Gesellschaft, die sich nach wie vor über Arbeit und den Status in der Arbeitshierarchie definiert, unangemessen.

Über verschiedene Wege aus der Krise wurde nachgedacht. Natürlich zählt dazu auch der Versuch der Verbesserung der Ausbildung, aber auch über die Öffnung der Institutionen der beruflichen Rehabilitation für Nichtbehinderte, natürlich gegen Bezahlung, wurde diskutiert. Zeller setzte sich mit Entwicklungen von Berufen als Angebot für morgen auseinander.

Der Workshop 1998 strahlte mit seine Themen wieder mehr Optimismus aus; es wurden neue Unterrichts- und Unterweisungskonzepte diskutiert, Teamorientierung sollte die Isoliertheit der Mitarbeiter überwinden und so zu einer eher ganzheitlichen Rehabilitation führen. Qualifizierungsverbünde wurden gegründet, die länderübergreifend arbeiten.

Sowohl 1996 (NAMOS – das Neckargemündener Ausbildungsmodulsystem) als auch 1998 (die Bigger Ausbildungskonzeption BAUKON) wurden Bausteinkonzepte vorgestellt. Angesichts der Entwicklung von Qualifizierungsbausteinen für die Berufsbildung Benachteiligter, die sich gerade jetzt vollzieht (vgl. Bojanowski/ Eckert/ Stach 2004, 9), waren die Akteure in der Beruflichen Rehabilitation geradezu revolutionär.

Ein weiterer Problembereich wurde bereits während dieser Workshops in den Fokus gerückt: die Benachteiligung von Frauen in der Beruflichen Rehabilitation. Keune legte eine umfassende Bestandsaufnahme vor. Kurth-Laatsch und Niehaus stellten Konzepte und erste Praxiserfahrungen vor. Dieses Projekt wurde über die beiden nächsten (nicht mehr Workshops sondern) Fachtagungen verfolgt.

1.1 Eine Krise der Institutionen der Beruflichen Rehabilitation

War im Hinblick auf die Benachteiligung der Frauen in der Beruflichen Rehabilitation bereits die „Wohnortnahe Rehabilitation“ entwickelt worden, griff jetzt das Konzept auch für Blinde und für Schwerstbehinderte. Anlässlich der Hochschultage 2000 in Hamburg, „Innovative Berufliche Rehabilitation“, stellte Denninghaus das Modell Mobilis für Blinde und Sehbehinderte vor. Wiederum wurde über flexible Bausteinsysteme nachgedacht, selbstbestimmtes Lernen rückte in den Focus und regionale Netzwerke wurden vorgestellt.

Brand und Naust-Lühr reflektierten über die Messung des Erfolgs der Rehabilitation – ein Beitrag, der eine weitere Verbreitung verdient hätte. Außerdem würde er unter dem thematischen Fokus der diesjährigen Hochschultage einen kritischen Akzent setzen.

Während der Hochschultage 2002 in Köln, „Regionale Berufliche Rehabilitation – Situation und Perspektiven wohnortnaher Projekte und regionaler Netzwerke zur Beruflichen Rehabilitation“ wurden die Gedanken und Entwicklungen zur wohnortnahen Rehabilitation erweitert um die Dimension des Tele-Lernens, wie z. B. beim Projekt des „Tele-Tutoring“s des Berufsförderungswerkes Michaelshoven oder des virtuellen Berufsbildungswerkes, vorgestellt als Projekt „Netzwerk für ambulante und stationäre Ausbildung (NASA)“. – Werden die Institutionen überflüssig?

1.2  Perspektiven

Mit den Hochschultagen 2004 in Darmstadt sollte ein Prozess der Umstrukturierung der Hochschultage beginnen. An die Stelle der „fächerbezogenen Fachtagungen“ sollten in Zukunft problembezogene Fachtagungen treten. Als Beispiel kann hier die Fachtagung Benachteiligte gesehen werden. Die berufliche Bildung Benachteiligter betrifft alle Fächer, stellt aber ein gegenwärtig so gravierendes Problem dar, dass sie höchste Aufmerksamkeit verdient. Haben die Organisatoren erkannt, dass gleiches für die Berufsbildung behinderter Menschen gilt? Die Beiträge des Workshops 2004 „Berufliche Rehabilitation in Netzwerken und mit Hilfe neuer Medien“ zeigen, dass die Institutionen die Veränderungen aufgegriffen und positiv gewendet haben. Sie selbst sind Motor der Netzwerke, sie entwickeln die virtuellen Berufsbildungswerke. Projekte wie Tele-Tutoring sind kleinzellige virtuelle Berufsbildungswerke. Auch der Workshop 2006 bot Ansätze der Innovation sowohl beim Einsatz neuer Technologien als auch bei der sozialen Integration – und nicht zuletzt im Bereich der Didaktik und Methodik.

Nach der Praxis bewegt sich offensichtlich auch die Wissenschaft. Exemplarisch ist die Publikation von Horst Biermann, „Pädagogik der beruflichen Rehabilitation“, bei Kohlhammer zu nennen.

Abschließend soll die Problematik aus einer gänzlich anderen Sichtweise beleuchtet werden. Anstoß gibt Erich Fromm. Bekannt ist sein Werk „Die Kunst des Liebens“. Es geht um „Haben oder Sein“. Ziel der beruflichen Rehabilitation ist es, Menschen mit Handicaps fit zu machen für den Arbeitsmarkt. Erich Fromm beschreibt in seiner Schrift „Haben oder Sein“ den Marketing-Charakter. Nach seiner Aussage hat er diese Bezeichnung gewählt,

„weil der einzelne sich selbst als Ware und den eigenen Wert nicht als ‚Gebrauchswert', sondern als ‚Tauschwert' erlebt. Der Mensch wird zur Ware auf dem ‚Persönlichkeitsmarkt'. Das Bewertungsprinzip ist dasselbe wie auf dem Warenmarkt, mit dem einzigen Unterschied, dass hier ‚Persönlichkeit' und dort Waren feilgeboten werden. Entscheidend ist in beiden Fällen der Tauschwert, für den der ‚Gebrauchswert' eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung ist.

Obwohl das Verhältnis von beruflichen und menschlichen Qualitäten einerseits und der Persönlichkeit andererseits als Voraussetzung des Erfolges schwankt, spielt der Faktor ‚Persönlichkeit' immer eine maßgebliche Rolle. Der Erfolg hängt weitgehend davon ab, wie gut ich ein Mensch auf dem Markt verkauft, ob er ‚gewinnt' (im Wettbewerb …), Wie anziehend seine ‚Verpackung' ist, ob er ‚heiter', ‚solide', ‚aggressiv', ‚zuverlässig' und ‚ehrgeizig' ist, aus welchem Milieu er stammt, welchem Klub er angehört und ob er die ‚richtigen' Leute kennt“ (2007, 180; Erstauflage 1976).

2.  Qualität in der Beruflichen Rehabilitation

Im Rahmen der Fachtagung 2008 in Nürnberg wurden im Rahmen der Beiträge des ersten Vormittags Projekte vorgestellt, in denen versucht wird, rechtlich gesetzte Rahmenbedingungen in die Praxis umzusetzen.

2.1  Gute Praxis

Peter Piasecki hat die Umsetzung des neuen Förderkonzeptes der Bundesagentur für Arbeit in einem Berufskolleg evaluiert und berichtete über die Ergebnisse sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. Die Angebote erfolgen zwar zielgruppenübergreifend, sind dennoch geeignet für individualisierte Vermittlung und für Binnendifferenzierung mit berufsübergreifender Kompetenzvermittlung. Die straffe Zeit- und Zielökonomie bewirkt jedoch, dass gerade jungen Menschen mit Behinderungen nicht immer die ihnen zustehenden und zuträglichen Bedingungen geboten werden können. Während behinderte Menschen in einem starren Zeitraster ausgebildet werden, haben Studierende einen relativen Einfluss auf die Länge des Studiums.

Karl-Heinz Eser analysierte zunächst die besonderen Merkmale von Lernbehinderten und deren spezifischen Förderbedarf. Daraus leitete er Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifizierung junger Menschen ab. Seine Vorschläge zielen auf die Veränderung der straffen Organisations- und Zeitvorgaben und Veränderungen bei den (Werker-)berufen nach § 64 Berufsbildungsgesetz bzw. nach § 42 der Handwerksordnung.

Auf die medizinischen und psychischen Aspekte während der Ausbildung von Jugendlichen mit psychischen und Mehrfachstörungen fokussierte Walter Krug seinen Beitrag. Er arbeitete heraus, dass in diesem Bereich das Personal erweiterten Anforderungen genügen muss. Dabei werden oft die Grenzen zu anderen Berufen überschritten, da z. B. Ärzte und Psychiater nicht vor Ort sind.

2.2 Ätiologische Aspekte in der Beruflichen Rehabilitation

Die Beiträge des Nachmittags griffen zwei Aspekte auf: zum einen spezifische Erkrankungen und damit verbundene Handicaps sowie Reaktionsmöglichkeiten darauf in der beruflichen Ausbildung, zum anderen, auf der Grundlage einer empirischen Untersuchung, Selbsteinschätzungsprobleme Jugendlicher mit Lernbeeinträchtigungen.

Der Beitrag von Gabriele Schneider und Stefan Thelemann nahm die Situation von autistischen Kindern in den Blick. Sie arbeiteten spezifische Eigenschaften und Bedürfnisse dieser Jugendlichen heraus und leiteten Anforderungen an das Coaching ab: In der beruflichen Rehabilitation bedeutet Coaching von Menschen mit einer Asperger-Störung Begleitung, Training, Unterstützung in allen Bereichen des täglichen Lebens und beruflichen Alltags.

Die Fähigkeit der Jugendlichen aus Förderschulen, ihre Fähigkeiten selbst einschätzen zu können, und mögliche Konsequenzen für die Ausbildung untersuchte Matthias Grünke. Von besonderer Bedeutung scheint angesichts der Befunde, dass die Jugendlichen insgesamt ihre arbeitsrelevanten Skills günstiger einschätzen als dies ihre Betreuer tun; es traten aber auch Überschätzungstendenzen für soziale Kompetenzen zutage. Aus der Untersuchung ergibt sich die Diskussion möglicher Konsequenzen, um Überschätzungen vorzubeugen oder auf diese zu reagieren.

2.3  Übergangsmanagement, Integration, Arbeitsqualität

Der Beitrag von Ute Kahle führte zu einer Diskussion über Ausbildungserfolg zurück, wie sie oben bereits im Kontext der Tagung aus dem Jahr 2000 mit dem Beitrag von Brand und Naust-Lühr angesprochen worden war. Sie stellte den Erfolg der Beruflichen Rehabilitation gemessen an der Vermittlungsquote in den Arbeitsmarkt dar und beschrieb die Instrumente, die in dem Berufsbildungswerk Mosbach eingesetzt werden, um diesen Erfolg erzielen zu können. Es sind die Einzelberatung, ein wohnortnahes Praktikum, Kontakte zu Zeitarbeitsfirmen und eine Nachbetreuung. Natürlich gehört auch der Kontakt zu den Agenturen für Arbeit dazu. Da der Eingliederungserfolg bei den Jugendlichen ohne Behinderung ähnlich ist – fast die Hälfte der Absolventen des dualen Systems befinden sich auf Übergangsmärkten –, schlug sie vor, auch für diese Gruppe ein Übergangs- und Integrationsmanagement zur Überwindung der zweiten Schwelle des Arbeitsmarktes einzurichten.

Andrea Merseburger stellte die Arbeit des Berufsbildungswerks für Hör- und Sprachgeschädigte Leipzig vor. Im Vordergrund stand dabei das Konzept der Begleitung betrieblicher Ausbildungsverhältnisse durch die Rehabilitationseinrichtung. Damit sollen zum einen ausbildungsbezogene Integration und wohnortnahe Rehabilitation, zum anderen aber auch die Erweiterung der Palette von Ausbildungsberufen über die direkt im BBW vorgehaltenen hinaus angestrebt werden. Möglichkeiten, aber auch besondere Problemstellungen und Herausforderungen dieses innovativen Konzepts wurden diskutiert, beispielsweise die Möglichkeit professioneller Begleitung über weite räumliche Distanz oder auch in Berufsfeldern jenseits der BBW-Palette.

Der Beitrag von Britta Marfels rückte eine ganz andere Gruppe in das Blickfeld. Sie referierte eine empirische Untersuchung zum Management gesundheitlicher Beeinträchtigungen von Lehrern. Ausgehend von der hohen Zahl von Frühpensionierungen in dieser Gruppe von Beschäftigten stellte sie das Modell des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), wie es in Nordrhein-Westfalen eingeführt ist, vor. Dieses Modell wurde durch Befragungen der Schwerbehindertenvertretungen und der Schulen evaluiert. Zur Verbesserung der BEM wurden bessere Information, feste Ansprechpartner verbesserter Datenschutz, verbessertes Vertrauensklima bessere Gesundheitskultur und qualifizierte bzw. professionelle Vorbereitung und Durchführung gefordert. Die Situation könne auch verbessert werden, wenn Prävention besser verankert würde. Eine selbständige Schule mit Gestaltungsfreiräumen sei ebenso förderlich.

An dieser Stelle werden die Beiträge von Eser, Krug, Marfels/Niehaus und Thelemann/ Schneider dokumentiert.

3.  Trends in der Beruflichen Rehabilitation – Fazit und Ausblick

Es zeigte sich, dass die Beiträge der Fachtagung „Berufliche Rehabilitation“ im Rahmen der Hochschultage Berufliche Bildung in Nürnberg 2008 viele Trends repräsentierten, die sich derzeit im Rahmen der Beruflichen Rehabilitation insgesamt finden lassen:

•  Fortgesetzt finden Bemühungen um Qualität bei Reduzierung der Kosten statt – ein nicht einfacher Spagat angesichts anhaltenden Drucks zur Reduzierung des finanziellen Aufwands in der Beruflichen Rehabilitation, aber auch in der Benachteiligtenförderung, bei gleichzeitigem Engagement für die insbesondere seit den siebziger Jahren entwickelte Professionalität, beispielsweise in den Berufsbildungswerken.

•  Es ergeben sich teilweise neue Aufgaben, insbesondere im Hinblick auf veränderte Zielgruppen. Beispielhaft, aber auch an vorderster Front sind hier die Bemühungen um spezifische Förderkonzepte für Menschen mit seelischen Behinderungen sowie Autismus oder autistischen Zügen zu nennen.

•  Der Aufbau eines neuen Systems der Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (BvB) wird vorangetrieben. Hier zeigen sich vielfältige Probleme, die wiederum mit dem Finanzierungsproblem besonderer Förderung verbunden sind. Aber auch Fragen der Individualisierung in der Förderung sowie der Umsetzung von konzeptionell vorgesehener Bildungsbegleitung sind bisher keineswegs befriedigend geklärt.

•  In fortgesetzter Aufmerksamkeit steht des Weiteren die Frage der erfolgreichen Unterstützung an (institutionellen, biographischen) „Schwellen“. In Frage steht für viele junge Menschen mit Behinderungen und Benachteiligungen das „klassische“ Modell der beiden Schwellen zugunsten eines neuen Modells „multipler“ Schwellen, wenn es immer wieder zu biographischen Brüchen und dem Erfordernis der Neuorientierung kommt (vgl. etwa Baur/ Mack/ Schroeder 2004). In den Blickpunkt geraten dabei auch die Fragen der Verankerung auf dem Arbeitsmarkt ohne und mit Ausbildung (vgl. Ellinger/ Stein/ Breitenbach 2006) sowie die teilweise erheblichen Veränderungen des ersten Arbeitsmarktes („Prekarisierung“ von Arbeitsverhältnissen; vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 2006).

•  Auch im Hinblick auf die Diversifizierung der Lernorte finden Entwicklungen und Veränderungen statt. Hieran beteiligen sich mittlerweile auch die Berufsbildungswerke, etwa in Form der Verlagerung von Ausbildungsphasen oder der kompletten Ausbildung in reguläre Betriebe, wie es im Beitrag von Merseburger zur Fachtagung thematisiert wurde.

•  Verändertes Lernen (auch: e-learning, blended learning) wird weiter diskutiert, auch auf dem Hintergrund technologischer Innovationen. Hierzu gab es 2004 und 2006 Schwerpunktbeiträge. Die Erarbeitung von Möglichkeiten muss durch eine kritische Betrachtung von Grenzen und Schwierigkeiten ergänzt werden.

•  Auch die Diskussion im Rahmen der Beruflichen Rehabilitation widmet sich der Frage lebenslangen Lernens. Insbesondere, wenn auch keineswegs nur im Hinblick auf junge Menschen mit Lernbeeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten stellt sich die kritische Frage, ob eine Zentrierung der Bildungs- und Lernangebote auf eine bestimmte Phase bis Mitte Zwanzig ausreichend ist. Dies bringt neue Anforderungen an Bildungsinstitutionen mit sich (vgl. Ellinger/ Stein/ Breitenbach 2007).

•  Besondere Brennpunkte der fachlichen Diskussion sind Fragen wie die Motivation der Lernenden, ihre Selbstwahrnehmung ­– aber auch Rolle, Aufgaben und Kompetenzen der Professionellen in einem sich verändernden Bildungsfeld.

•  Die im allgemeinen Kontext der Beruflichen Bildung intensiv diskutierten Fragen der Modularisierung und der Entwicklung von Qualifizierungsbausteine gehen selbstverständlich auch an der Beruflichen Rehabiltation nicht vorbei. In einigen Bereichen war und ist sie hier sogar Vorreiter, in anderen Bereichen müssen diese Fragen spezifisch weiter erörtert werden, immer wieder im Hinblick auf die besondere Bedarfslage von Menschen mit Behinderungen auch kritisch.

•  Schließlich wird auch die intensivere „Vernetzung“ der Institutionen und der Professionellen weiter vorangetrieben, eine in der Beruflichen Rehabilitation traditionell zentrale Herausforderung, die aber in einer sehr dynamischen Situation flexible Weiterentwicklungen erfordert.

Die Workshops und Fachtagungen „Berufliche Rehabilitation “ erweisen sich in zweierlei Richtung als bedeutsam: erstens als Forum der professionellen Fachdiskussion der Rehabilitationswissenschaften und der Berufspädagogik im gemeinsamen Diskurs der involvierten wissenschaftlichen Disziplinen einerseits und der Praxis mit ihrem großen Reigen von Institutionen und Fachleuten andererseits – zweitens aber auch als unverzichtbares Feld der Diskussion im breiten Kontext der Beruflichen Bildung. Damit sollen und können sie einen Beitrag zur Weiterentwicklung von arbeits- und berufsbezogenen Fördermöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen leisten.

 

Literatur

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