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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
FT 17 Sprachen

Editorial zu Fachtagung 17
Die Übergänge: Das zentrale Problem unseres Bildungssystems

 

Geht man von den wichtigsten Erkenntnissen und Ergebnissen des jüngst veröffentlichten nationalen Bildungsberichts ‚Bildung in Deutschland 2008' aus (nach dem entsprechenden Bildungsbericht 2006 übrigens der zweite seiner Art), dann sind die Übergänge von einem Bildungsgang zum anderen das eigentliche Problem unseres gesamten Bildungswesens, was vor allem für zwei dieser Übergänge gilt. Das ist zum einen der Übergang von der allgemein bildenden Schule in die qualifizierte berufliche Erstausbildung und zum anderen der Übergang von der beruflichen Ausbildung in die unbefristete Beschäftigungsfähigkeit bzw. Erwerbstätigkeit. Die Problematik dieser beiden Übergänge überragt an Bedeutung alle anderen strukturellen und inhaltlichen Probleme unseres Bildungs- und Ausbildungssystems bei weitem, wie in dem erwähnten Bericht eindrucksvoll herausgearbeitet und mit Daten und Fakten belegt wird, z.B. die ebenfalls untersuchte Problematik der Ausbildung des Personals an unseren Bildungseinrichtungen, die nach Auffassung der Autorengruppe dieses Bildungsberichts erheblich verbessert werden müsste, um den neuen Herausforderungen angemessen entsprechen zu können wie vor allem die Herausforderung durch jene (Haupt-) Schüler, die auf Grund ihrer Lernschwäche als nicht ausbildungsfähig gelten.

Das Fazit des Berichts ‚Bildung in Deutschland 2008': Die Übergangsprobleme sind in erster Linie Passungsprobleme, und dies in zweifacher Hinsicht. So passt es zum einen immer weniger zwischen dem schulischen und dem beruflichen Bildungssystem, d.h. seit Jahren lässt sich feststellen, dass immer mehr Übergangsverläufe nicht in das Beschäftigungssystem einmünden, sondern in Überbrückungsmaßnahmen im Sinne einer Warteschleife. Und zum anderen passt es immer weniger zwischen den Ausbildungsangeboten und der Nachfrage nach beruflichen Qualifikationen. Das heißt auf Grund zu geringer Ausbildungsadäquanz nimmt die Einmündungsquote ausgebildeter Jugendlicher in bestimmten Berufsfeldern immer mehr ab. Die Konsequenz: Immer mehr Jugendliche verharren oft zu lange im beruflichen Ausbildungssystem und die Jugendarbeitslosigkeit liegt seit einigen Jahren über der Arbeitslosigkeit der älteren Arbeitnehmer, eine Entwicklung, die ganz im Gegensatz steht zu der in unseren Nachbarländern.

Von dieser Entwicklung sind vor allem – männliche – Jugendliche betroffen, die über keinen Hauptschulabschluss verfügen bzw. nur über einen schlechten und innerhalb dieser Gruppe wiederum die – männlichen – Jugendlichen mit Migrationshintergrund häufiger als deutsche Jugendliche. Das sind übrigens Jahr für Jahr etwa 80.000, eine Zahl, die als dramatisch anzusehen ist. Dies ist für die Autoren des Bildungsberichts 2008 aus zwei Gründen ein besonders fataler Trend. So belegt er einerseits, dass die Selektivität des allgemein bildenden Schulsystems beim Übergang in das berufliche Ausbildungssystem nicht abgebaut wird, sondern umgekehrt: Sie wird fortgeführt bzw. schlimmer noch: Sie wird zementiert. Andererseits sehen die Autoren des Bildungsberichts in dieser Entwicklung ein deutliches Anzeichen dafür, dass das berufliche Ausbildungssystem dabei ist, eine seiner größten Stärken einzubüßen, nämlich die Integration der Lernschwachen in die Arbeitswelt und damit auch in die Gesellschaft, eben weil bekanntlich die gesellschaftliche Integration die Integration in die Arbeitswelt voraussetzt, ein Zusammenhang, der in jüngster Zeit immer nachdrücklicher ins Bewusstsein gerückt wird.

Daraus folgt für die Autoren des Bildungsberichts 2008: Abbau von Umwegen beim Übergang aus der Schule in die berufliche Ausbildung und vor allem die Weiterentwicklung der Strukturen der beruflichen Ausbildung (Schulberufssystem) mit dem Ziel, insbesondere jenen Absolventen der allgemein bildenden Schulen zu einer qualifizierten beruflichen Ausbildung zu verhelfen, die auf Grund ihrer allgemeinen Lernschwäche auf dem Ausbildungsmarkt keine Chance haben, gelte doch mehr denn je die Formel: Ohne qualifizierten Abschluss keinen Anschluss.

Keine Frage, dass die im Bildungsbericht 2008 in das Zentrum gerückten Probleme genau jene sind, die auch in der öffentlichen Debatte und insbesondere in den fachdidaktischen und berufspädagogischen Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle spielen. Das gilt insbesondere für die Beantwortung der Frage, wie die in bildungsfernen Familien aufwachsenden Jugendlichen bzw. für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den berufsbildenden Schulen durch entsprechenden Unterricht so gefördert werden können, dass sie ‚berufsreif' bzw. ausbildungsfähig werden und damit in die Arbeitswelt integriert werden können. Und das sind sie dann, wenn sie über ausreichende Lese- und Schreibkompetenz verfügen bzw. über ausreichende Sprachfähigkeit.

Von daher verwundert es denn auch nicht, dass dieses Problem in den Referaten auf den Hochschultagen Berufliche Bildung 2008 in der Fachtagung Sprachen ausgiebig diskutiert wurde, wie auch die einzelnen Beiträge dieses Bandes belegen. Dies um so mehr, da noch ein weiteres Passungsproblem hinzukommt, das allerdings im Nationalen Bildungsbericht 2008 nicht untersucht worden ist, was eigentlich überrascht, steht es doch an Brisanz den dort abgehandelten Passungsproblemen um nichts nach und hängt es zudem aufs engste mit der Lernschwäche zusammen, die als die wichtigste Ursache für fehlende Ausbildungsfähigkeit gilt. Damit ist der Sachverhalt gemeint, dass der Anteil der Auszubildenden, die eben auf Grund zu gering ausgebildeter mündlicher und schriftlicher Sprachfähigkeit entweder ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen oder in der Abschlussprüfung scheitern, seit Jahren kontinuierlich steigt und inzwischen bei etwa insgesamt 40% liegt. Nicht zuletzt geht es in den hier versammelten Aufsätzen um den Beitrag des berufsschulischen Unterrichts und hier in Sonderheit des Deutschunterrichts zur Förderung jener kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die für eine qualifizierte berufliche Ausbildung Voraussetzung sind, d.h. ohne die der Erwerb einer qualifizierten Berufsrolle von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.

Hamburg, im Juli 2008

 

 

 

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