wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 



Schrift vergrößern Schrift zurücksetzen Schrift verkleinern download pdf-file pdf file | www.bwpat.de












 

 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 09 Selbstgesteuertes Lernen

Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung

 

Abstract

Mit Modellversuchen soll eine qualitative Weiterentwicklung gegenüber einem aktuellen Zustand erreicht werden. Insofern gehört Innovation zu einem ihrer wesentlichen Kriterien. Das Modellversuchsprogramm „Selbst gesteuertes und kooperatives Lernen in der beruflichen Erstausbildung“ (SKOLA) hat sich zum Ziel gesetzt, den bildungsplanerischen Handlungsbedarf des KMK-Beschlusses zum selbst gesteuerten Lernen aufzunehmen und für die berufliche Erstausbildung konzeptionell und praktisch umzusetzen. (vgl. EULER/ PÄTZOLD 2004) Um dies zu unterstützen, sind neben den Modellversuchen kleinere Forschungsaufträge vergeben worden, deren Aufgabe darin bestand, programmbezogene Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen zu fördern und gleichzeitig zu hinterfragen, welche Gründe für begrenzte Innovationen und Transfers von Modellversuchen verantwortlich sein können. Im folgenden Beitrag wird ein Einblick in das Forschungsprojekt „Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung“ gegeben. Die Darstellung basiert in erster Linie auf einer Auswertung von SKOLA-Zwischenberichten und – soweit vorliegend – Endberichten sowie einer schriftlichen Befragung der wissenschaftlichen Begleitungen.

1.  Einleitung: Das Forschungsprojekt

Der Auftrag des „ SKOLA – Forschungsprojekt 3: Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung“ besteht darin , herauszufinden, ob und inwieweit wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen so angelegt sind, dass sie in der Lage sind, innovative Berufsbildungsprogrammen zu fördern. Anhand einer Literaturstudie sollte eruiert werden, ob wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen auf Evaluationskonzepte zurückgreifen, diese weiterentwickeln oder auch solche konstruieren, die explizit mit dem Anspruch verknüpft sind, die geplanten Innovationen umzusetzen und zu transferieren. Hierzu wurde in einem ersten Schritt anhand von Auswertungen von Handbüchern, Sammelbänden, Zeitschriften und Forschungsberichten, in denen das Thema wissenschaftliche Begleitung und Evaluation in der Berufsbildung thematisiert wird, rekonstruiert, welche theoretischen, methodologischen und methodischen Überlegungen zur Evaluation in der Berufsbildung vorliegen, auf die wissenschaftliche Begleitungen zurückgreifen können. In einem zweiten Schritt wurde anhand einer schriftlichen Befragung der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche nach der theoretischen und methodologischen Rahmung der wissenschaftlichen Begleitung einerseits und nach Bedingungen, Funktionen, Aufgaben sowie mögliche Wirkungen ihrer Arbeit andererseits gefragt. Parallel dazu wurden/werden die vorliegenden Berichte der SKOLA-Modellversuche ausgewertet, um herauszufinden, inwieweit hierbei ein Rekurs auf die Evaluationsforschung stattgefunden hat und dieser als Argumentations- und Konzeptionsbasis für Innovationen im Projekt dient. Ferner werden Selbstverständnisse und Probleme der wissenschaftlichen Begleitungen angedeutet. Auf dieser Basis wird der Begriff der Innovation beleuchtet, mit dem Ziel, ein erweitertes Aufgaben- und Funktionsspektrum von wissenschaftlichen Begleitungen zu belegen und implizite Evaluationskonzepte zu würdigen.

Eine erste Auswertung der Zwischenberichte liegt als „Kurzbericht des SKOLA-Forschungsprojektes 3“ vor. (vgl. BÜCHTER/ GÖDERZ 2007) Methodisches Vorgehen des Projektes sowie abschließende Befunde werden im Endbericht präsentiert. Die schriftliche Befragung der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche fand Anfang 2008 statt. Der Rücklauf lag bei 15 ausgefüllten Fragebögen.

2.  Wissenschaftliche Begleitung und Evaluationsforschung

Wissenschaftliche Begleitung sind geplante und organisierte, zeitlich begrenzte und ressourcenabhängige Beobachtungen und Bewertungen in einem definierten Untersuchungsfeld. Es geht darum, Funktionsweisen und Zusammenhänge alltäglicher und nicht-alltäglicher Prozesse zu rekonstruieren, Wirkungen von Veränderungen zu hinterfragen, zu fördern und in diesem Sinne Konzepte und Interventionsprogramme zu implementieren, zu steuern oder zu modifizieren. Das Spektrum der Funktionen wissenschaftlicher Begleitungen erstreckt sich von einer rein distanzierten, datenerhebenden und –aufbereitenden bis hin zu einer partizipativen, in das Untersuchungfeld aktiv intervenierenden Funktion. (vgl. SLOANE 1992; RAUNER 2002) Wissenschaftliche Begleitungen werden von Forschern durchgeführt, die zu Beginn der Untersuchung vom Untersuchungsfeld unabhängig sind.

Insbesondere (bildungs-)politisch initiierte Modellversuche werden wissenschaftlich begleitet, mit der Erwartung, angestrebte Reformen wissenschaftlich absichern und transferfähige Ergebnisse fixieren zu können. Die Modellversuche sollen von den wissenschaftlichen Begleitungen im Hinblick auf die Realisierung der Ziele bewertet und gegebenenfalls so gesteuert werden, dass Innovationen möglich werden. Erfahrungen in Modellversuchen sollen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse reflektiert werden, gleichzeitig sollen diese Erfahrungen in den wissenschaftlichen Diskurs einfließen und ihn bereichern. Wissenschaftliche Begleitungen gehören zum Gebiet der Evaluation und greifen, wenn sie den wissenschaftlichen Anspruch einlösen wollen, auf Methoden der Evaluationsforschung zurück. Für diese wiederum ist charakteristisch, dass sie sozialwissenschaftliche Forschungsverfahren als Mittel der Erkenntnisgewinnung einsetzt und sich an Standards der empirischen Sozialforschung orientiert. Durch den Rekurs wissenschaftlicher Begleitungen auf elaborierte Evaluationskonzepte soll ein rein intuitives Vorgehen vermieden werden. Auf der Basis wissenschaftlich anerkannter Methoden soll das Vorgehen im Modellversuch reflektiert und begründet und die Einhaltung wissenschaftlicher Standards garantiert werden. Dies ermöglicht eine systematische Vergewisserung der wissenschaftlichen Begleitungen, den Gebrauch einer gemeinsamen Sprache im Diskurs der Scientific-Community und erhöht dadurch die Legitimität und Akzeptanz der so zu Tage gebrachten Erkenntnisse. (vgl. Diekmann 2006; Flick 2006; Friederich 1980)

Außer reinen Daten und Produkten zu bestimmten Fragen und Problemen liefert der Rückgriff auf Konzepte (qualitativer) Evaluationsforschung den Akteuren der wissenschaftlichen Begleitung im Idealfall:

•  theoretisch gehaltvolle und valide Deutungen von Handlungsmustern und Interaktionsprozessen auf der Basis einer Beschreibung situativer Kontexte;

•  die Möglichkeit, Wirkungen unterschiedlicher Kontexte durch systematische Vergleiche zu identifizieren sowie

•  Anhaltspunkte für die (Selbst-)Reflexion, für Lernprozesse und für die Dynamik von Projektentwicklungen. (vgl. KARDORFF 2006, S. 85)

Die Auseinandersetzung mit dem Rekurs von wissenschaftlichen Begleitungen in der Berufsbildung auf Konzepte der Evaluationsforschung führt auch zu der Frage, ob die Berufsbildungsdiskussion und –forschung selber Erfahrungen, Überlegungen und Konzepte zur Evaluationsforschung zur Verfügung stellt.

Die Beschäftigung der Berufsbildungsforschung und akademischen Berufs- und Wirtschaftspädagogik mit Fragen zur Evaluationsforschung stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Entwicklung der Modellversuchsforschung in der beruflichen Bildung einerseits und der Entwicklung der Evaluationsforschung in der empirischen Sozialforschung andererseits. Die über 30-jährige Modellversuchspraxis in der Berufsbildung (vgl. BLK 2005; Rauner 2002) war von Beginn an von Fragen nach ihrem tatsächlichen Gewinn und ihren praktischen Konsequenzen auf der berufsbildungs-, institutionenpolitischen, curricularen, didaktischen und professionellen Ebene begleitet. Gleichzeitig stand die wissenschaftliche Reputation der Modellversuche und ihrer wissenschaftlichen Begleitungen recht früh zur Disposition. Bestand in der Anfangszeit der Modellversuchsgeschichte die Aufgabe der wissenschaftlichen Begleitungen zunächst darin, die „Objektivität der experimentellen Untersuchung sicherzustellen“ sowie Ergebnisse des „Experiments“ schriftlich zu fixieren und zu verbreiten (vgl. Rauner 2002, 18), war der zunehmende politische Legitimationsdruck auf die Modellversuche bzw. die Skepsis an der Effizienz des Mitteleinsatzes in der Modellversuchsförderung mit dem Anspruch verknüpft, wissenschaftliche Begleitungen anwendungsorientierter auszurichten. Die Akteure der wissenschaftlichen Begleitungen sollten aktiv am Modellversuch partizipieren und der Programmatik entsprechend in das Modellversuchsgeschehen eingreifen. Dabei sollten von Beginn an Möglichkeiten und Bedingungen einer verlässlichen Innovationsfähigkeit und Transfertauglichkeit von Modellversuchen stärker ins Blickfeld gerückt werden.

Diese Ansprüche an wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen in der beruflichen Bildung korrespondierten mit der Diskussion innerhalb der empirischen Sozialforschung über Geschichte und Aktualität der Evaluationsforschung. Auf eine Phase der genauen Beschreibung sozialer Phänomene (1920er bis 1940er Jahre), folgte eine Phase der reinen Beurteilung (1950er bis 1970er Jahre), die seit den 1980er Jahren durch die Phase der „Responsivität“, des Dialogs und der Anwendungsorientierung abgelöst wird. (vgl. FLICK 2006, 12)

3.  Wissenschaftliche Begleitungen und akademische Berufs- und Wirtschaftspädagogik

Der zunehmende Innovationsdruck auf die Modellversuche in der beruflichen Bildung entfachte innerhalb der akademischen Berufs- und Wirtschaftspädagogik auf einer Metaebene eine Diskussion über wissenschaftlichen Anspruch und Standards, nicht nur in der Modellversuchsforschung, sondern in diesem Zusammenhang auch im Bereich wissenschaftlicher Begleitungen. Nicht zu unterschätzen ist dabei auch die Tatsache, dass in der damals relativ forschungsarmen Disziplin Modellversuche eine nicht zu unterschätzende quantitative Bedeutung hatten (vgl. u.a. Sloane/ Twardy 1990; Sloane 1992; Euler/ Dehnbostel 1998; Zimmer 1998; Holz 2000; Nickolaus/ Schnurpel 2001; PÄTZOLD 2002; BECK 2003; TRAMM/ REINISCH 2003; EULER 2003; Holz 2004; Rauner 2004; Euler 2005).

Im Kontext dieser Diskussion rekonstruierten jene Vertreter der Disziplin, die aktiv in der Modellversuchsforschung tätig waren und sind, das Dilemma von wissenschaftlichen Begleitungen. Das zentrale Problem dieses Forschungstyps wurde darauf zurückgeführt, dass sich Modellversuche und ihre wissenschaftlichen Begleitungen im Spannungsfeld zwischen Politik, Praxis und Wissenschaft befänden. Aus der Sicht der Modellversuche durchführenden Praxis würden wissenschaftliche Begleitungen im Hinblick auf politisch erforderliche Ergebnissicherung und -verbreitung zunächst als sinnvoll und nützlich erachtet. Gleichzeitig existierte in der Praxis aber auch das Image, je stärker der theoretische und methodologische Anspruch wissenschaftlicher Begleitungen, umso größer die Distanz zur Praxis und unzureichender ihre Ausrichtung auf praktische Probleme.

Aus der Sicht der Wissenschaft, genauer: aus der Sicht derjenigen, die „richtige“, d.h. DFG-Forschung, betreiben, gelten wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen – wie Auftragsforschung überhaupt – nach wie vor eher als Quick-and-dirty-Forschung, stark an der Praxis ausgerichtet und weniger wissenschaftlichen Standards verpflichtet. (vgl. BECK 2003; KUCKARTZ 2006, 268) Dieser Eindruck verstärkte sich zu der Zeit, als Mitte/Ende der 1990er Jahre der Druck auf die Modellversuche in der beruflichen Bildung größer wurde, ihre Innovations- und Transferfähigkeit noch mehr unter Beweis zu stellen. Wissenschaftliche Begleitungen sahen sich zunehmend in die Situation versetzt, dafür zu sorgen, zeitnah und effizient das zu liefern, was mit dem jeweiligen Projektantrag versprochen worden war, und nach außen hin die Relevanz des Modellversuchs zu legitimieren. Dies ließ sich nur schwer mit dem Anspruch verknüpfen, elaborierte Forschungsdesigns zu entwickeln und zu realisieren. Je stärker der Innovationsdruck empfunden wurde, umso größer drohte die Distanz zur Wissenschaftlichkeit, und die Frage, auf welche Evaluationskonzepte der empirischen Sozialforschung oder speziell der Berufsbildungsforschung zurückgegriffen werden könnte, blieb im Hintergrund.

Die Berufsbildungsforschung und die akademische Berufs- und Wirtschaftspädagogik sahen sich in dieser Zeit veranlasst, den wissenschaftlichen Anspruch an die Modellversuchsforschung und die wissenschaftlichen Begleitungen nicht aufzugeben, sondern diesen um ihrer eigenen Reputation Willen zu retten.

Ausgehend von der doppelten Zielsetzung wissenschaftlicher Begleitungen, innovative Berufsbildungspraxis zu unterstützen und zu fördern und gleichzeitig wissenschaftsorientiert zu sein, wurden von nun an Forderungen nach eines stärkeren Praxis-Wissenschaft-Verschränkung und nach einer verbesserten Kommunikation zwischen Akteuren der Praxis und der Wissenschaft lauter. (vgl. Euler/ Dehnbostel 1998) In der Praxis sollten theoretisch begründete und methodisch durchdachte Konzepte implementiert und erprobt werden. Die Rolle der Wissenschaft sollte darin bestehen, Erfahrungen aus der Modellversuchspraxis und Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitungen theoretisch zu reflektieren, zu rahmen und zu objektivieren. Dabei war der Fokus der Metadiskussion über Modellversuchsforschung nun vor allem auf den Programmpunkt Innovation gerichtet und auf Fragen danach, welchen Beitrag Modellversuche und wissenschaftliche Begleitungen zur Innovation der Berufsbildungspraxis leisten können, welche Anregungen hierbei aus der Berufsbildungsforschung und Berufs- und Wirtschaftspädagogik in theoretischer, methodologischer und methodischer Hinsicht genommen werden können, und welche Beiträge von den in Modellversuchen und wissenschaftlichen Begleitungen erzielten Ergebnissen und Befunden für die Theorie- und Methodenbildung zu erwarten sind? (vgl. Tramm/ Reinisch 2003)

Beim Rückblick auf die Entwicklung der BLK-Modellversuchsprogramme und die Ausdifferenzierung der disziplinären Schwerpunkte innerhalb der Berufs- und Wirtschaftspädagogik kann durchaus von einer zeitlichen Parallelität bzw. von einem wechselseitigen inhaltlichen Anstoß gesprochen werden. Ohne dies an dieser Stelle im Einzelnen zu belegen (vgl. hierzu BLK 2005), kann festgehalten werden, dass die Schwerpunkte innerhalb der berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskussion stark von den jeweiligen Modellversuchsprogrammen beeinflusst wurden, oder Letztere durch Vertreter der Disziplin mit angestoßen wurden. So korrespondierten im Laufe der letzten zehn Jahre die thematischen Ausrichtungen von Promotionen, Habilitationen, Sammelbänden, Zeitschriften sowie von Sektionstagungen auffällig mit denen der BLK- Modellversuchsprogramme in der beruflichen Bildung: 1999-2003: Neue Lernkonzepte in der dualen Berufsausbildung, 2000-2004: Kooperation der Lernorte in der Berufsausbildung („Kolibri“), 2001-2006: Innovative Fortbildung der Lehrer an beruflichen Schulen („innovelle-bs“), 2005-2008: Selbstgesteuertes und kooperatives Lernen in der Berufsausbildung („SKOLA“). Auf der Ebene gegenstandsbezogener Theoriebildung (z.B. systematische Ansätze zu Lernfeldern, Lernortkooperationen, Professionalität in der Lehrerbildung oder auch zum selbstgesteuerten/kooperativen Lernen) kann in mehr oder minder großem Ausmaß von einer wechselseitigen Inspiration zwischen Modellversuchen und akademischem Diskurs ausgegangen werden, vor allem auch dadurch bedingt, dass berufs- und wirtschaftspädagogische Professuren verantwortlich und aktiv an den Modellversuchsprogrammen beteiligt waren und sind.

Jenseits der unmittelbar auf den Untersuchungsgegenstand bezogenen Entwicklungen von theoretischen und methodischen Ansätzen hat es auf der Metaebene der Modellversuchsforschung eine für Evaluationen konstruktive Entwicklung von Konzepten gegeben. Insbesondere die Arbeiten der Programmträger haben in den letzten Jahren viele Erkenntnisse zu Tage gebracht. Dies belegt eine größere Zahl an veröffentlichten Untersuchungen. (vgl. im Überblick TRAMM/ REINISCH 2003) Parallel zum Diskussionsstand in der empirischen Sozialforschung besteht auch hier weitgehend Einigkeit darin, dass eine formative, potentialorientierte, intervenierende, responsive Evaluation am ehesten in der Lage sei, innovative Bildungsprogramme zu unterstützen. Auch fehlt es „keineswegs an theoretischen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen bezüglich der unterstützenden und hemmenden Faktoren für den Transfer und die Dissemination von Innovationsergebnissen.“ (BLK 2005, 18)

4.  Evaluationskonzepte in SKOLA-Projekten

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund allerdings, dass in den Berichten der SKOLA-Projekte eine Rezeption, Operationalisierung und Weiterentwicklung der durch die Disziplin vorgelegten Evaluationsansätze allenfalls dort sichtbar ist, wo die Akteure der wissenschaftlichen Begleitungen selber die Urheber dieser Evaluationskonzepte sind . In den anderen Fällen fehlt oft die Verbindung zwischen der berufs- und wirtschaftspädagogischen Metadiskussion um Modellversuchsforschung und den Vorgehensweisen der wissenschaftlichen Begleitungen.

Nicht nur die inzwischen vorliegenden Berichte der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche, sondern auch die Ergebnisse der schriftlichen Befragungen der wissenschaftlichen Begleitungen bestätigen diesen Eindruck von fehlenden Bezügen zur Evaluationsforschung. Insgesamt gibt die Mehrzahl der Befragten (N=15) an, bei der Auswahl der Projektmitarbeiter/-innen nicht auf Erfahrungen mit Evaluationen Wert gelegt zu haben (14), die wenigsten haben sich ausführlich mit Evaluationskonzepten auseinandergesetzt (3), niemand gibt an, ein eigenes Konzept entwickelt zu haben, ungefähr die Hälfte der Befragten hätte sich eine systematische Vorbereitung auf Evaluation durch die Programmträger gewünscht (7). Deutlich wird, dass die meisten ein pragmatisches, auf den Gegenstand bezogenes Evaluationsverständnis haben (Materialerstellung, Veränderung von Strukturen). M ethodologische und theoretische Überlegungen zu Evaluationskonzepten, die den Anspruch erheben, innovativ zu sein, werden selten deutlich.

Nachdem im Laufe des Projektes deutlich wurde, dass in den wenigstens wissenschaftlichen Begleitungen explizit auf Konzepte der Evaluationsforschung zurückgegriffen oder solche entwickelt wurden, haben wir danach gefragt, welche impliziten Konzepte der wissenschaftlichen Begleitungen sichtbar werden. Deutlich wird, dass alle wissenschaftlichen Begleitungen dialogorientiert, prozessbegleitend und intervenierend tätig waren. In drei Berichten wird explizit auf den responsiven Evaluationsansatz rekurriert.

Die Berichte orientieren sich in der Regel an den „Vorschlägen zur Weiterentwicklung des Berichtwesens in BLK-Programmen und Modellversuchen“, in denen Kriterien der Berichterstattung der Programmträger enthalten sind (Angaben zum Modellversuch, Aufgaben, Planung, Ablauf und Ergebnisse des Modellversuchs, Beitrag des Modellversuchs zu den Zielen des Programms, Transfer und Verstetigung). Hierdurch wird festgelegt, dass der Beitrag der wissenschaftlichen Begleitung gesondert auszuweisen ist, wobei „die verwendeten Methoden zu beschreiben und in ihrer Angemessenheit kurz zu begründen [sind]“. Damit wird zu einer expliziten Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise der wissenschaftlichen Begleitung aufgefordert. Entsprechend werden auch in allen Berichten Fragestellungen, Vorgehensweisen und Ergebnisdarstellung beschrieben und reflektiert. Deutlich wird auch, dass die meisten wissenschaftlichen Begleitungen auf eine eigene Methoden-Mixtur zurückgreifen und über das einfache Beobachten und Reflektieren hinausgehen. Beratung, Entwicklung, Qualifizierung, Auswertung, Präsentation, Überprüfung und Transfer gehören in unterschiedlichem Umfang und mit unterschiedlicher Qualität zu den typischen Aufgabenbereichen von wissenschaftlichen Begleitungen im Kontext der SKOLA-Modellversuche. So gaben in der schriftlichen Befragung mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie auch „beratend und konfliktlösend im Hinblick auf die Zusammenarbeit im Modellversuch“ tätig waren. Hinweise auf den Evaluationsprozess übergreifende Aufgaben ergaben auch die Frage danach, ob und inwieweit die wissenschaftlichen Begleitung am Aufbau der kulturellen Rahmenbedingungen beteiligt waren. Mit kulturellen Rahmenbedingungen sind Beziehungsstrukturen, Wahrnehmungen, Verständnisse, Handlungsentwürfe der Beteiligten gemeint. Die meisten der Befragten (12) gaben an, in irgendeiner Weise daran beteiligt gewesen zu sein, kulturelle Rahmenbedingungen für den Modellversuch aufzubauen.

Die Gründe für die Trennung zwischen der Metadiskussion um Modellversuchsforschung bzw. der Evaluationsforschung einerseits und der meisten wissenschaftlichen Begleitungen in Modellversuchen andererseits können insgesamt auf mehrere Gründe zurückgeführt werden:

•  Eine explizite Verständigung im Rahmen von Modellversuchsprogrammen über handhabbare methodologische Standards fehlt noch weitgehend.

•  Der Innovationsdruck in den Modellversuchen führt dazu, dass von praxisfernen Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Forschungsstandards abgesehen wird.

•  Die Modellversuchs- und Evaluationsforschung bietet auch Konzepte, die aufgrund ihrer Abstrakt- und Allgemeinheit für spezielle Untersuchungsvorhaben wiederum derart konkretisiert werden müssen, dass bereits hierdurch die Verbindung zwischen wissenschaftlichem Konzept und Praxis wieder verloren geht.

Vor diesem Hintergrund stellt sich erneut die Frage danach, wie nach dem innovativen Beitrag von Evaluationskonzepten in Modellversuchen der Berufbildung gefragt werden kann.

Ausgangspunkt unseres Forschungsprojektes ist die Annahme, dass der Rückgriff auf und die Anwendung von explizite(n) und elaborierte(n) Evaluationskonzepte(n) die innovatorische Funktion von wissenschaftlichen Begleitungen in Modellersuchen systematisch fördern können. Wissenschaftliche Begleitungen, die keinen Rückgriff auf elaborierte Evaluationskonzepte nachweisen, können aber in ihren Berichterstattungen durchaus Innovationen in den Modellversuchen, die durch sie unterstützt wurden, belegen. Durch das Abstrahieren von Konzepten der Evaluationsforschung bleiben solche Innovationen allerdings fallverhaftet, eine theoretisch und methodisch nachvollziehbare Systematik des Innovationsprozesses könnte den wissenschaftlichen Diskurs um Innovationen unterstützen. Hierauf werden wird im Endbericht näher eingehen.

Nimmt man das gesamte Spektrum an Leistungen der wissenschaftlichen Begleitungen (Beratung, Entwicklung, Qualifizierung, Auswertung, Präsentation, Überprüfung, Transfer) und legt als Maßstab die von KARDORFF (2006) entwickelten und oben zitierten idealtypischen Leistungen (qualitativer) Evaluationsforschung an, kann behauptet werden, dass zumindest im Ansatz einige wissenschaftliche Begleitungen einige dieser Kriterien erfüllen. Dies ergab die schriftliche Befragung der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche, in der unter anderem nach ihren besonderen Funktionen gefragt wurde. Auch auf der Basis der Zwischenberichte und der bislang vorliegenden Endberichte der SKOLA-Modellversuche kann auf ein vielfältiges Funktionsspektrum geschlossen werden, das jedoch nicht immer explizit und systematisch ausgearbeitet bzw. oftmals nur kursorisch dargestellt wird. Hiervon ausgehend ist auch die Erwartung der Programmträger an Innovationen in der Berufsbildung durch Modellversuche zu relativieren bzw. weiter auszudehnen.

5.  Komplexität des Innovationsbegriffs in SKOLA-Projekten

Innovation gehört spätestens seit der Einführung der BLK-Modellversuchsprogramme 1998 zu einer wesentlichen Zielgröße von Modellversuchen in der beruflichen Bildung. Jedoch ist dieser Begriff semantisch und analytisch allenfalls am Rande behandelt worden. Gemeint ist mit Innovationen in der beruflichen Bildung eine Verbesserung des Ist-Zustandes, orientiert an bestimmten berufs- und wirtschaftspädagogischen Leitbildern. Innovationen sind so gesehen Prozesse, in denen herkömmliche Pfade zur Erreichung von Zielen und zur Lösung von Problemen modifiziert oder aufgegeben werden.

Wo genau diese aufzubrechenden Pfade liegen, kann unterschiedlich gedeutet werden. So können wissenschaftliche Begleitungen bereits dann Innovationen fördern, wenn sie im Mikroraum des Modellversuchs zu einer Sensibilisierung für die Komplexität des zu implementierenden Konzeptes und für Bedingungen und Widerstände seiner Implementation beitragen. Innovativ sind sie auch dann, wenn dieser Prozess der Sensibilisierung auf der Basis einer Diskussion über und Reflexion von entsprechende(n) theoretische(n) Überlegungen stattfindet, was sonst im Alltag der am Modellversuch Beteiligten nicht oder nur unzureichend vorkommt. Innovativ sind wissenschaftliche Begleitungen ferner, wenn hieran anknüpfend eine gemeinsame Formulierung von Hypothesen stattfindet, die während der Begleitung überprüft werden und damit die Aufmerksamkeit stärker als im Alltag üblich auf Zusammenhänge und Funktionsweisen innerhalb der Organisation Schule gerichtet wird. Darüber hinaus sind wissenschaftliche Begleitungen innovativ, wenn die Erkenntnisse des Diskurses und der Hypothesenüberprüfung zu gemeinsamen Überlegungen zu Handlungskonzeptionen führen, die in Publikationen und Vorträge einmünden und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. (vgl. BÜCHTER/ GÖDERZ 2007)

Auch ohne Rückgriff auf Evaluationskonzepte bringen wissenschaftliche Begleitungen auf verschiedenen Ebenen vielfältige Leistungen. Gleichzeitig erweist sich der Begriff der Innovation in der Modellversuchsforschung als wenig konkretisiert. Beides führt zu der Überlegung, das Verständnis von Innovation auch an dem zu orientieren, was von den wissenschaftlichen Begleitungen selber als innovativ bezeichnet wird. Aus diesem Blickwinkel erweist sich der Innovationsbegriff als multireferentiell. Das heißt, er kann sich auf verschiedene Bezugspunkte, wie Theoriebildung, Sensibilisierung und Konzeptentwicklung und Ähnliches beziehen.

In der Praxis der wissenschaftlichen Begleitungen wird deutlich, dass unterschiedliche Schwerpunkte unterschiedlich intensiv abgedeckt werden. Zudem zeigt sich auch, dass zunächst nicht-intendierte Innovationen auf den verschiedene Ebenen eintreten können.

Die Auswertung der SKOLA-Zwischenberichte und – soweit sie vorliegen – der Endberichte hat ergeben, dass ausgehend vom Selbstverständnis der wissenschaftlichen Begleitungen im Hinblick auf ihre innovativen Leistungen unterschiedliche Typen identifiziert werden können, für die charakteristisch ist, dass sie nicht ausschließlich, aber schwerpunktmäßig ihre besonderen Leistungen auf den jeweiligen Gebieten ansiedeln. (vgl. BÜCHTER/ GÖDERZ 2007)

Typ 1: Theoretisches/wissenschaftliches Korrektiv

In einigen Fällen übernimmt die wissenschaftliche Begleitung die Aufgabe, zu Beginn des Modellversuchs theoretische Konstrukte zu erarbeiten, die als Ausgangsbasis für die Entwicklung der dem Modell zu Grunde liegenden Konzepte dienen sollen. Der Aspekt des Wissenschaftlichen spielt hier eine besondere Rolle. Das Errichten eines „Theoriegebäudes“, „eine kritische Bestandsaufnahme der in der Literatur auffindbaren Instrumente, insbesondere auch vor dem Hintergrund ihrer schulischen Einsetzbarkeit“, die theorie- und kriteriengeleitete Ausdifferenzierung von Erhebungsinstrumenten und Konzepten wird als Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Begleitung dieses Typs gesehen. Die Erwartung der Kontrolle und Wahrung wissenschaftlicher Standards im Projekt wird teilweise auch von schulischen Mitgliedern an die wissenschaftliche Begleitung herangetragen. In anderen Fällen führt der vermeintlich wissenschaftliche Habitus der wissenschaftlichen Begleitungen zu einer Distanz zwischen diesen und den Projektmitgliedern. Die Projektmitglieder fühlen sich in ihre Studienzeit zurückversetzt und belehrt. Auch in der schriftlichen Befragung gab fast die Hälfte der Befragten an, dass „die wissenschaftliche Begleitung maßgeblich an der Klärung von inhaltlichen Verständnisschwierigkeiten beteiligt war“.

Typ 2: Begleitung und Sensibilisierung

Die Hauptaufgabe der wissenschaftlichen Begleitung dieses Typs wird in erster Linie in der eher (verhaltens-)analysierenden Prozessbegleitung gesehen. Nach vereinbarten Kriterien beobachtet die wissenschaftliche Begleitung die im Modellversuch angewendeten Lernformen und das Verhalten in Lehr-/Lernprozessen. Die wissenschaftliche Begleitung nimmt an Teamsitzungen teil, hospitiert und reflektiert Unterricht und erarbeitet Interventionskonzepte. Durch Interviews und teilnehmende Beobachtungen werden die Daten ermittelt und fließen in Beratungsprozesse ein. Ziel ist eine möglichst genaue Beobachtung, zeitnahe Rückmeldung und die Definition des Fortbildungsbedarfs der Lehrkräfte. Ein Fokus liegt dabei vor allem auf der Lehrerhaltung. Kommunikationstrainings, kollegiale Supervisionen, kollegiales Projektmanagement sollen den Anforderungen an Lehrkräfte und deren Teams im Kontext neuer Lernkulturen gerecht werden. Dies bestätigt auch die schriftliche Befragung, in der als weitere Funktionen der wissenschaftlichen Begleitung „PE/Qualifizierung der Lehrerinnen und Lehrer im Modellversuch“, „Projektmanagement“ und „(Selbst)evaluation“ genannt wurden.

Typ 3: Konzeption und Pragmatismus

Den Zwischenberichten zufolge besteht in der überwiegenden Zahl der Projekte das Selbstverständnis der wissenschaftlichen Begleitung darin, aussagekräftige Daten zur Ist-Situation zu liefern, praktische Unterstützungen bei der Entwicklung und Implementation von Instrumentarien und Konzepten zu bieten, das Projekt zu bewerten, voran zutreiben, nach außen hin zu vertreten, in Problemfällen zu intervenieren und die Kooperation und Kommunikation im Projektteam zu unterstützen (z.B. durch Moderationen oder die Einrichtung von Internetplattformen). In einigen Fällen wird nachdrücklich darauf hingewiesen, Empfehlungen für die Bildungspolitik und Lehrerbildung formulieren zu wollen.

Auch die Innovationswiderstände werden mehrfach begründet. Die Akteure wissenschaftlicher Begleitungen sehen Innovationsbarrieren in den Modellversuchen auf unterschiedlichen Ebenen. Diese werden im Folgenden thesenartig dargestellt:

Die Ansprüche des Modellversuchsprogramms-/Modellprojektes sind teilweise (zu) hoch.

Insbesondere in der ersten Phase der Modellprojekte hätten die Lehrkräfte die Befürchtung geäußert, den Ansprüchen nicht zu genügen. Zur Realisierung der Aufgaben wären Zeit und ein hoher Fortbildungsaufwand nötig. Gründe für diese anfängliche Überforderung sehen einige Projektträger in der Vorbildung der Lehrkräfte, ihren Alltagsroutinen und den knapp bemessenen Zeitfenstern für die Arbeit am SKOLA-Projekt. Eine Lösung dieser Probleme wird in erster Linie in der Präzisierung einer schrittweise aufbauenden Aufgabenverteilung und einem realitätsnahen Zeitmanagement gesehen. Als problematisch werden auch die Anforderungen der Projektträger an die Projektfeldanalysen eingeschätzt.

Herkömmliche Lernkulturen bieten wenig Anknüpfungspunkte für selbst gesteuertes und kooperatives Lernen.

Ein zentrales Problem in der Startphase einiger Projekte war, dass die Schulen und Lehrkräfte auf herkömmliche Lernkulturen und Lehrerhaltungen fixiert waren. Inwieweit und mit welcher Nachhaltigkeit die SKOLA-Projekte dazu beitragen können, diese „verstetigten Routinen“ aufzubrechen, wäre eine zentrale Frage von Wirkungsanalysen.

Strukturelle und kommunikative Widerstände behindern einen reibungslosen Projektverlauf.

Als weitere Belastungsmomente im Projekt wurden Klassengröße, Kosten für die Referenten, Entlastungsstunden als Ausgleich für die Referenten, zeitliche Belastung der Multiplikatoren angeführt. Auch die Raumsituationen führten in der Anfangsphase des Projektes zu Schwierigkeiten. Einige Projekte haben mit Akzeptanzproblemen im Projektfeld umzugehen. Die Frage nach dem Sinn und Nutzen kosten- und zeitintensiver Modellprojekte - beispielsweise auf Seiten der Schulleitung - fördert im Projekt ein distanziertes und wenig kooperatives Verhalten. Vor diesem Hintergrund wird als pragmatischer Lösungsvorschlag, die frühzeitige Einbeziehung des beruflichen Umfeldes (im Sine der Akzeptanzsicherung und Kooperationsförderung) und die Reduktion von Mehrfachbelastungen der Projektmitglieder formuliert.

Lehrkräfte haben nur geringe Gestaltungsvorstellungen zum selbst gesteuerten Lernen.

Entsprechend der Kritik an den herkömmlichen Lernkulturen in Schulen und dem traditionellem Lehrerhandeln werden die geringen Gestaltungsvorstellungen der Lehrkräfte zum selbst gesteuerten Lernen als Widerstand gegenüber dem Projekt gedeutet.

Die Heterogenität unter den Schülern erfordert eine noch stärkere Differenzierung von Unterrichtskonzepten.

Die Heterogenität der Schülerschaft im Hinblick auf Arbeits- und Lernverhalten in den Projektklassen erfordert in einigen Projekten einen zunehmenden Differenzierungsaufwand, der vorher nicht antizipiert wurde. Dies gilt insbesondere dort, wo mediale Lerneinheiten erprobt werden. Zur Lösung dieses Problems wurden die entsprechenden Lerneinheiten überarbeitet und ergänzt. (vgl. BÜCHTER/ GÖDERZ 2007)

Die unterschiedlichen Schwerpunkte im Selbstverständnis der wissenschaftlichen Begleitungen und die von ihnen genannten Innovationsbarrieren verdeutlichen die Komplexität von Innovationen in Modellversuchen.

6.  Innovation als Mikropolitik und Aushandlungsgegenstand in wissenschaftlichen Begleitungen

Dass die Aufgaben der wissenschaftlichen Begleitungen über eine Evaluation der unmittelbaren Prozesse von Beobachten, Reflektieren, Auswerten, Präsentieren hinausgehen, und sich auch auf Beratung, Konfliktlösung und die Schaffung kultureller Rahmenbedingungen des Modellversuchs beziehen, wurde weiter oben bereits gesagt. In SKOLA-Berichten wird zudem auf diskontinuierliche Kommunikationen zwischen den Akteuren, auf einen asymmetrischen Informationsa ustausch, auf Konkurrenz und Machtspiele zwischen den in unterschiedlicher Weise am Modellversuch beteiligten Akteuren hingewiesen, genauso wie auf im Laufe der Zeit gewachsene produktive Koalitionen. In der schriftlichen Befragung gaben viele (10) an, dass Aufgaben und Funktionen der wissenschaftlichen Begleitungen im Laufe des Projektes revidiert und konkretisiert werden mussten. Deutlich wurde an solchen Auskünften nicht nur, dass wissenschaftliche Begleitungen ein vielschichtiges Aufgabenspektrum zu erfüllen haben, das über unmittelbare Evaluationserfordernisse hinaus geht, sondern auch, dass sie eingebunden sind in einem Netzwerk von Akteuren, die sich mehr oder weniger stark für den Modellversuch engagieren. Sie haben unterschiedliche Wahrnehmungen, verfolgen unterschiedliche Interessen und beteiligen sich in unterschiedlichem Ausmaß an Entscheidungsprozessen. Der anfänglich vorgenommen und im Antrag fixierte Ablaufplan der wissenschaftlichen Begleitungen verläuft in der Regel nicht gradlinig. Prozesse wurden gestückelt, zeitweilig unterbrochen, angeschoben, umgelenkt oder gestoppt. Insofern sich die Anforderungen an wissenschaftliche Begleitungen als komplex und mehrdeutig erweisen, einzelne Mitglieder im Modellversuch mit unterschiedlichen Lösungen für unterschiedlich wahrgenommene Probleme aufwarten, die nicht immer harmonieren, besteht ständig die Gefahr der Destruktion ebenso wie die Chance der Neukonstruktion bzw. Erweiterung von Ansprüchen und Zielen der wissenschaftlichen Begleitungen.

Auch vor diesem Hintergrund erweitert sich das Verständnis von Innovationen. Es ist nicht nur multireferentiell, sondern auch mikropolitisch (vgl. KÜPPER/ ORTMANN 1992) verhandelbar. In der Literatur zu Innovationen und Innovationsmanagement (vgl. CORSTEN/ GÖSSINGER/ SCHNEIDER 2006) gelten Innovationen als Nicht-Routineprozesse, die häufig anhand technokratischer Modelle und Deduktionsketten, in denen Schritte oder Phasen im Innovationsprozess voneinander differenziert sind (z.B. Konzept, Durchführung, Auswertung, Verstetigung), beschrieben werden. Vorausgesetzt wird hierbei in der Regel, dass unter denjenigen, die die Innovation vollziehen und mittragen, Konsens besteht im Hinblick auf die Relevanz, den Gegenstand, die Ziele und Prozesse. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass Innovationen mit guten Programmatiken, genügend Ressourcen und Instrumenten steuerbar sind bzw. einem prognostizierbaren Entwicklungsverlauf folgen können. Überschätzt werden in solchen Ansätzen Rationalität in und Logik von Innovationsprozessen, unterschätzt die Politikhaltigkeit von Innovationen, die aus Mehrdeutigkeit, Multiperspektivität und begrenzten Rationalitäten der am Innovationsprozess Beteiligten resultiert. Demnach sind Innovationen begrenzt planbar, Ziele und Anforderungen können nicht eindeutig definiert werden, die Akteure von Innovationen können nicht alle Handlungsoptionen und möglichen Folgen überblicken und handeln weniger danach, wie die Dinge sind, als danach wie sie wahrgenommen werden. (vgl. STAUDT 1983) Werden Innovationen von außen gesetzt oder will eine kleine Anzahl von Individuen einen Innovationsprozess in Gang setzen, müssen andere von Bedarf, Sinn und Nutzen der Innovation überzeugt werden. Vor allem dann muss das Innovationsvorhaben im jeweiligen Kontext kommuniziert und verhandelt werden, seine Bedeutung von den Beteiligten sozial konstituiert und getragen wird. Dieser Prozess ist gekennzeichnet durch Deutungsdifferenzen im Hinblick auf das zu lösende Problem und das Innovationsvorhaben, durch heterogene Präferenzen und Relevanzen. Häufig besteht hinter einer Fassade von anfänglicher Innovationseuphorie nur bedingt Einigkeit darüber, dass man innovieren sollte, und die Innovationsfähigkeit der Modellversuche und wissenschaftlichen Begleitungen wird nicht selten unterschätzt. Zu Beginn von Innovationsprozessen ist oft noch offen, „was das wirklich Neue, also Innovative sein könnte, und somit erst gar kein Innovationsprozess gestartet wird, da die unausgesprochen kollektive Annahme […] ist, dass erst klar sein muss, was konkret ‚auf die Welt gebracht' werden soll, bevor ein diesbezügliches Projekt gestartet wird.“ (MANDL 2005, 4)

Bei der Auswertung der in den Zwischenberichten beschriebenen Schwierigkeiten während der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche konnten unterschiedliche Dilemmata identifiziert werden, die Innovationsprozesse blockieren können:

Konkretisierungsdilemma: Die Festlegung und Verteilung von Aufgaben und Prozessen im Modellversuch, einschließlich der wissenschaftlichen Begleitungen, sind interpretationsoffen und konfliktanfällig. Hinter stereotypen und zunächst konsensfähigen Modernismen, wie „Förderung selbstgesteuerten Lernens“, besteht ein hoher fallbezogener Klärungsbedarf.

Normativitätsdilemma: Die Orientierung an Programmzielen und eine starke Defizitorientierung im Untersuchungsfeld, d.h. die Haltung, „alles ist schlecht und muss verbessert werden“, ignoriert eigene Potenziale und bewährte Strukturen. In Innovationsvorhaben führt dies dazu, dass neue Konzepte wenig anschlussfähig sind.

Relevanzierungsdilemma: Unter den mittelbar und unmittelbar am Modellversuch beteiligten Akteuren (vgl. hierzu ausführlich BLK 2005) divergieren politische und strategische Interessen, subjektive Relevanzen und Rationalitäten. Um Innovationen durchsetzen zu können, muss die Bedeutung des Projektes sozial konstituiert werden. Hierzu gehört auch eine konsensfähige Konkretisierung der Ziele, Gegenstände, Schritte und Produkte.

Inseldilemma: Bedingungen zur Verstetigung dessen, was als innovativ bezeichnet wird, werden insbesondere für die Phase des Projektes und für das Untersuchungsfeld sicher gestellt. Eine Antizipation von Anforderungen zur Verstetigung des Modellversuchs nach Ablauf der Projektphase und entsprechende Maßnahmen im Sinne von Nachhaltigkeit werden vage formuliert. Ihre Verbindlichkeit ist gleichzeitig eher lose.

Produktdilemma: Die Erstellung und Verbreitung von Produkten, die Präsentationen der Ergebnisse werden als wesentliche Momente des Transfers der Modellversuchsergebnisse gedeutet. Bedingungen für die Verstetigung des Modellversuchs müssen bereits prozessbegleitend konstituiert, kommuniziert und verhandelt werden.

Modellversuche und ihre wissenschaftlichen Begleitungen sind umso erfolgreicher, je näher sie an bisherige Alltagspraxen anknüpfen, mikropolitische Konstellationen, Arrangements, Strategien und strukturelle Veränderungen mit Blick auf spätere Transfers thematisieren.

7.  Fazit

Auch wenn die wenigsten wissenschaftlichen Begleitungen auf elaborierte Evaluationskonzepte zurückgreifen, geschweige denn, diese selber entwickeln, liegt allen Untersuchungen ein zumindest implizites Evaluationskonzept zugrunde, durch das Aufgaben, Vorgehen, Ergebnisse und deren Reflektionen transparent und legitimiert werden. Nicht auszuschließen ist, dass der Rückgriff auf elaborierte, normative Evaluationskonzepte zwar eine wissenschaftlich-systematische Fundierung, jedoch nicht zwangsläufig eine verbesserte Innovationsfähigkeit von Modellversuchen und wissenschaftlichen Begleitungen garantiert. Die meisten SKOLA-Modellversuche und wissenschaftlichen Begleitungen sind in irgendeiner Weise und auf den verschiedensten Ebenen innovativ. Es kann nicht nicht innoviert werden, zumal davon auszugehen ist, dass das Innovationsverständnis multireferentiell und mikropolitisch verhandelbar ist.

Die Evaluationsforschung in der Berufsbildungsforschung und in der Berufs- und Wirtschaftspädagogik sollte die impliziten Evaluationskonzepte der wissenschaftlichen Begleitungen explizieren, systematisieren und in die theoretische und methodologische Diskussion einbinden. In diesem Kontext ist nicht nur über empirische, sondern übergreifend auch über pädagogische Professionalität der Modellversuchsakteure zu diskutieren (vgl. ECKERT/ HUISINGA 2003).

 

Literatur

BECK, K. (2003): Erkenntnis und Erfahrung im Verhältnis zu Steuerung und Gestaltung – Berufsbildungsforschung im Rahmen der DFG-Forschungsförderung und der BLK-Modellversuchsprogramme. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, H. 2, 232-250.

BUECHTER, K./ GÖDERZ, S. (2007): Kurzbericht über das „SKOLA – Forschungsprojekt 3: Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung“. Kassel/Dortmund (Ms.).

CORSTEN, H./ GÖSSINGER, R./ SCHNEIDER, H . (2006): Grundlagen des Innovationsmanagements. München.

KÜPPER, W./ ORTMANN, G. (Hrsg.) (1992): Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. 2. Aufl. Opladen.

BUND-LÄNDER-KOMMISSION für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) (2005): Innovationsförderung in der Berufsbildung. Bericht über Innovationsförderung in der Berufsbildung durch BLK-Modellversuche. Materialien zur Bildungsplanung und Forschungsförderung. Bonn.

DIEKMANN, A. (2006): Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. Reinbek bei Hamburg.

ECKERT, M./HUISINGA, R. (2003): Zum Verhältnis von Wissen und Bildung im Medium des Berufs, in: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, H. 2, 175-186.

EULER, D. (2001): Dossier. Transferförderung in Modellversuchen. St. Gallen. Online: www.blk-kolibri.de . (10-11-2006).

EULER, D. (2003): Potentiale von Modellversuchsprogrammen für die Berufsbildungsforschung. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, H. 2, 201-212.

EULER, D. (2005): Transfer von Modellversuchsergebnissen in die Modellversuchspraxis – Ansprüche, Probleme, Lösungsansätze. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 101, H. 1, 43–57.

EULER, D./ DEHNBOSTEL; P. (1998): Berufliches Lernen als Forschungsgegenstand. In: Euler, D. (Hrsg.): Berufliches Lernen im Wandel – Konsequenzen für die Lernorte. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. BeitrAB 124. Nürnberg, 489–499.

EULER, D./ PÄTZOLD, G. (2004): Selbst gesteuertes und kooperatives Lernen in der beruflichen Erstausbildung (SKOLA). Informationen für Antragsteller. Broschüre. St. Gallen/Dortmund.

FLICK, U. (Hrsg.) (2006): Qualitative Evaluationsforschung. Konzepte, Methoden, Umsetzungen. Reinbek bei Hamburg.

FRIEDRICH, J. (1980): Methoden empirischer Sozialforschung. 14. Auflage. Opladen.

HOLZ, H. (2000): 30 Jahre BIBB – 30 Jahre Modellversuche als Mittler zwischen Innovation und Routine der Berufsbildung. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 29, H. 3, 18–22.

HOLZ, H. (2004): Modellversuche initiieren und unterstützen Erfolgsgeschichten der deutschen Berufsbildung. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis, 34, H. 2, 3–4.

KARDORFF, E.v. (2006): Zur gesellschaftlichen Bedeutung und Entwicklung (qualitativer) Evaluationsforschung, in: FLICK, U. (Hrsg.): Qualitative Evaluationsforschung. Konzepte, Methoden, Umsetzungen. Reinbek bei Hamburg, 63-91.

KUCKARTZ, U. (2006): Quick an dirty? – Qualitative Methoden der drittmittelfinanzierten Evaluation in der Umweltforschung. In: FLICK, U. (Hrsg.): Qualitative Evaluationsforschung. Konzepte, Methoden, Umsetzungen, Reinbek bei Hamburg, 267-283.

MANDL, C. (2005): Radikale Innovation als Kernkompetenz. Online: http://www.metalogikon.com/index.html?content=produkte/ innopact_radikale_innovation.html (20-04-2008).

NICKOLAUS, R./ SCHNURPEL, U. (2001): Innovations- und Transfereffekte von Modellversuchen. Bonn

PÄTZOLD, G. (2002): Verstetigung und Transfer von Modellversuchsergebnissen. In: REINISCH, H./ Beck, K./ Eckert, M./ Tramm, T. (Hrsg.): Didaktik beruflichen Lehrens und Lernens – Reflexe, Diskurse und Entwicklungen. Opladen, 151-166.

RAUNER, F. (2002): Modellversuche in der beruflichen Bildung: Zum Transfer ihrer Ergebnisse. Institut Technik und Bildung (ITB). Forschungsberichte 03/2002. Universität Bremen.

RAUNER, F. (2004): Modellversuche in der beruflichen Bildung: Zum Transfer ihrer Ergebnisse (I). In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 100, H. 2, 195–214.

SLOANE, P (1992): Modellversuchsforschung. Überlegungen zu einem wirtschaftspädagogischen Forschungsansatz. Köln

SLOANE, P./ TWARDY, M. (1990): Zur Gestaltung von Berufsbildungswirklichkeit durch Modellversuchsforschung. In: Festschrift: 20 Jahre Bundesinstitut für Berufsbildung. Berlin, Bonn, 209–225.

STAUDT, E. (1983): Mißverständnisse über das Innovieren, in: Die Betriebswirtschaft, 43, H. 3, 341-356.

TRAMM, T./ REINISCH, H. (2003): Innovationen in der beruflichen Bildung durch Modellversuchsforschung? Überlegungen zu Intentionen, Verlauf und Ergebnissen eines Symposiums der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik auf dem 18. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaften München. In: Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik, 99, H. 2, 61-174.

ZIMMER, G. (1998): Durch Modellversuche zu Erkenntnisgewinn. In: Euler, D. (Hrsg.): Berufliches Lernen im Wandel – Konsequenzen für die Lernorte. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. BeitrAB 124. Nürnberg, 595–607.

 

------------------------
bwp@ 2001 - 2008
Hrsg. von Karin Büchter, Franz Gramlinger, Martin Kipp, H.-Hugo Kremer und Tade Tramm
Postalische Adresse:
bwp@
Universität Hamburg, Sedanstraße 19, 20146 Hamburg
Im Internet: http://www.bwpat.de
bwp@ erscheint 2xjährlich ausschließlich online
Development: HoHo OG, DK-AT
(C) 2008 bwpat.de