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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 09 Selbstgesteuertes Lernen

Selbstgesteuertes Lernen als schulisches Innovationsvorhaben

 

Abstract

Seit einiger Zeit ist eine intensive Forschung zu unterschiedlichen Konzepten des selbstgesteuerten Lernens, dessen Einführung auch bundesweit durch Modellversuchsprojekte angegangen wird, auszumachen. Als mögliche Begründungen für die verstärkte Auseinandersetzung mit diesem Thema werden zum einen gesellschaftliche und arbeitsorganisatorische Veränderungen, zum anderen auch lerntheoretische Aspekte herangezogen. Im Workshop wurden Ergebnisse aus dem BLK-Modellversuchsprogramm „Selbstgesteuertes und kooperatives Lernen in der beruflichen Erstausbildung (SKOLA)“ ( www.blk-skola.de ) einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und ausgiebig diskutiert. In diesem Programm entwickeln, erproben und evaluieren 21 Modellversuche aus 12 Bundesländern unterschiedliche Wege zur Förderung selbstgesteuerten Lernens sowie deren flankierende Maßnahmen in berufsbildenden Schulen. Zusätzlich zu den Modellversuchen wurden Forschungsprojekte in Auftrag gegeben, um Querschnittsthemen zu bearbeiten. In den ersten drei Referaten im Workshop wurde über Ergebnisse dieser Forschungsprojekte berichtet, während die nachfolgenden drei Beiträge Erkenntnisse aus ausgewählten SKOLA-Modellversuchen thematisierten.

1.  Ausgangslage

Die Thematik des selbstgesteuerten Lernens erfreut sich seit geraumer Zeit großer Beachtung in der beruflichen Bildung (vgl. EULER/ LANG/ PÄTZOLD 2006). Zum einen führen arbeitsorganisatorische Veränderungen, die mit den Schlagworten Globalisierung, flache Hierarchien, stärkere Kundenorientierung und Employability umschrieben werden, zur Forderung nach einer höheren Flexibilität, stärkeren Eigeninitiative und zur Fähigkeit der Selbstorganisation und -reflexion. Zum anderen gründet die Zielvorstellung der Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen auf einem konstruktivistischen Lernverständnis, „welches Lernen als aktiven, konstruktiven, kumulativen, selbstgesteuerten und zielorientierten Prozess betrachtet, in dem der Lernende sein Wissen mittels verschiedener Denkoperationen und -strategien und möglichst auch praktischem Handeln zielorientiert, reflektiert und eigenverantwortlich konstruiert, indem er es mit seinem Vorwissen verknüpft, erweitert und differenziert“ (LANG/ PÄTZOLD 2006, 10). Für die theoretische Modellierung des selbstgesteuerten Lernens biete sich ein Rahmenmodell an, dass die Gleichwertigkeit kognitiver, metakognitiver und motivationaler Komponenten berücksichtigt. Ein derartiges Modell findet sich beispielsweise bei BOEKAERTS (1997, 1999).

Besteht also weit gehend Konsens darüber, dass der Erwerb von Selbstlernkompetenz eines der wesentlichen Ziele zukünftiger Bildungspolitik und -praxis ist, liegen bislang jedoch erst wenige gesicherte empirische Erkenntnisse zur Entwicklung und Implementation von Konzepten zur Förderung selbstgesteuerten Lernens in berufsbildenden Schulen vor. Aus diesem Grund hat die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) für den Zeitraum vom 01.01.2005 – 31.12.2008 das Modellversuchsprogramm „Selbstgesteuertes und kooperatives Lernen in der beruflichen Erstausbildung (SKOLA)“ aufgelegt, in dem 21 Modellversuche aus 12 Bundesländern unterschiedliche Wege zur Förderung selbstgesteuerten Lernens sowie deren flankierende Maßnahmen in berufsbildenden Schulen entwickeln, erproben und evaluieren. Dabei zielt das Modellversuchsprogramm in seinen sechs Maßnahmenbereichen (selbstgesteuertes Lernen, kooperatives Lernen, Lernen mit neuen Medien, Personalentwicklung, Organisationsentwicklung, Transfer) auf eine systemische Schulentwicklung, die die pädagogisch-didaktischen Innovationen auf der Unterrichtsebene zusammen mit der Personal- und Organisationsentwicklung integrativ bearbeitet.

Der Professionalisierung von Lehrkräften kommt bei der Entwicklung und Implementation von Lernumgebungen, die geeignet sind, selbstgesteuertes und kooperatives Lernen zu fördern, besondere Bedeutung zu. Dabei wird davon ausgegangen, dass Lehrkräfte dann am besten lernen, wie sie Schüler erfolgreich lernen lassen, wenn sie dies selbst durch eigenes Lernhandeln erfahren können. Insofern sind korrespondierend zur Unterrichtsentwicklung für die unterschiedlichen Phasen der Lehrerbildung Konzepte zu entwickeln und zu erproben, die an den Prinzipien des selbstgesteuerten und kooperativen Lernens orientiert sind.

Die Konzeption des Modellversuchsprogramms SKOLA ermöglicht zudem eine „symbiotische Implementationsstrategie“, bei der „Akteure mit unterschiedlicher Expertise gemeinsam an der Umsetzung pädagogischer Innovationen arbeiten. Im Idealfall kooperieren Lehrkräfte, Wissenschaftler/-innnen, Personen aus der Bildungsadministration und aus Forschungsinstituten, um eine pädagogische Innovation zu realisieren und dabei möglichst viele Sichtweisen zu integrieren“ (GRÄSEL u.a. 2006).

Erste Ergebnisse aus den Modellversuchen sowie Erkenntnisse aus parallel in Auftrag gegebenen Forschungsprojekten des Modellversuchsprogramms wurden im Rahmen des Workshops 9 „Selbstgesteuertes Lernen“ der 15. Hochschultage Berufliche Bildung in Nürnberg einer interessierten Öffentlichkeit präsentiert.

2.  Ergebnisse der Forschungsprojekte

Uwe FAßHAUER stellte in seinem Beitrag „Ansatzpunkte zur Unterstützung und Absicherung der didaktischen Innovationen im Rahmen von Schulentwicklung“ erste Ergebnisse einer bundesweiten Schulleitungsbefragung zum Zusammenhang zwischen der Unterstützung didaktischer Innovationen und dem Vorhandensein eines Qualitätsmanagementsystems vor.

Dazu führte er aus, dass es bundesweit in den letzten Jahren einen starken Entwicklungsschub in der Einführung von Qualitätsmanagement-Systemen (QMS) an beruflichen Schulen gab. Dabei handeln die Bundesländer sehr unterschiedlich und es variieren die weit verbreiteten Modelle Q2E, EFQM und ISO im Stellenwert, den sie didaktischen Innovationen einräumen (können).

Unabhängig vom zu Grunde liegenden Modell ist die Einführung von Qualitätsmanagement-Systemen (QMS) selbst ein Innovationsprojekt. Sie zielt systematisch auf Kontinuität, Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der Maßnahmen und eingeführten Änderungen, z.B. in der verstärkten Förderung und Etablierung von selbstgesteuerten und kooperativen Lernformen. Die Implementierung von QMS bedeutet, eine standardisierte Schulentwicklung anzustreben, mit der die – unabhängig vom gewählten oder landespolitisch verordneten QM-System – sowohl Prozesse auf der Mikroebene (Unterricht) als auch auf der Mesoebene (Schule als Gesamtorganisation) analysiert, beschrieben, im Hinblick auf gesetzte Ziele evaluiert und gegebenenfalls verändert werden können.

Innovation bezeichnet nicht allein neue Maßnahmen, Produkte oder Ergebnisse, sondern sie wird immer auch als ganzheitlicher (systemischer) Prozess verstanden. Wichtig ist die normative Einschränkung, dass nicht jede Neuerung, nicht jeder Wandel schon als Innovation zu werten ist. Diese müssen erkennbar auf die Verbesserung der Schul- und Unterrichtsqualität ausgerichtet sein.

Für das methodische Vorgehen der Untersuchung wurde ein Online-Fragebogen erstellt und über ein anonymisiertes Verfahren zugänglich gemacht. Per Email wurden alle Schulleitungen beruflicher Schulen in Deutschland angeschrieben und gebeten, sich an der Befragung zu beteiligen. Die Beteiligung lag mit n=286 bei 14% (bezogen auf die Anzahl versendeter Email) noch im zufrieden stellenden Bereich.

Betrachtet man Schulgröße (nach Lehrerstellen), die Verteilung auf bestimmte Berufsfelder sowie den Einsatz von Lehrerstunden im Dualen System, ergibt sich eine aussagekräftige Beteiligung an der Befragung, die – bis auf einen vermutlich leicht überproportionalen Anteil gewerblich-technischer Schulen – den Verteilungen in der Grundgesamtheit aller beruflichen Schulen in Deutschland entsprechen dürfte (dazu liegen keine bundesweit einheitlich erhobenen Daten vor).

Für etwas mehr als ein Drittel der Schulen wird die Frage, ob es ein QMS gibt, verneint; jeweils ca. ein Viertel der Befragten führt zurzeit ein QMS ein oder hat bereits ein QMS, allerdings (noch) ohne Zertifizierung. Immerhin jede siebte Schule verfügt über ein bereits zertifiziertes QMS.

Für die Beantwortung der Leitfrage, ob es einen Zusammenhang zwischen QMS und der Unterstützung didaktischer Innovationen gibt, kann allerdings auf eine aussagekräftige Anzahl von Schulen mit und ohne QMS zurückgegriffen werden.

Um den Grad der Unterstützung didaktischer Innovationen durch das Schulleitungshandeln erfassen zu können, wurden Items zur Nutzung räumlicher, zeitlicher und personaler Ressourcen formuliert. Weiterhin wurde der Stellenwert didaktischer Innovationen im Rahmen der Bedarfserhebung von Lehrerfortbildung und in Sitzungen von Leitungsgremien der Schule erfragt. In der Formulierung der Items wurde kein Bezug zu QMS genommen. Die Befragten konnten ihre Einschätzungen auf einer fünfstufigen Skala geben (1 = stimme voll zu; 5 = stimme gar nicht zu). Die interne Konsistenz der eingesetzten Items ist als gut zu bewerten (Cronbachs alpha = ,768). In den hier dargestellten Ergebnissen werden die Einschätzungen aus Schulen mit QMS zusammengefasst, unabhängig davon, welches QMS eingeführt ist bzw. zurzeit eingeführt wird und ob eine Zertifizierung vorliegt.

Dabei fällt zunächst das insgesamt niedrige Zustimmungsniveau in den Einschätzungen der Befragten auf. Bei allen Items zu potenziellen Unterstützungsfaktoren ergibt sich eine Zustimmung nur knapp um den mittleren, neutralen Wert 2,5. Vor allem in Sitzungen der Schulleitungen sind didaktische Innovationen und Maßnahmen zu deren Unterstützung kaum ein Thema. Offensichtlich werden diese Faktoren aber in Schulen mit einem QMS durchgängig positiver eingeschätzt. Der Zusammenhang ist – mit Ausnahme des flexiblen Einsatzes räumlicher Ressourcen – signifikant (T-Test für Mittelwertgleichheit zwischen ,001 und ,058).

Bei genauerer Betrachtung der Einschätzung zum flexiblen Einsatz von Ressourcen fällt auf, dass offensichtlich vor allem die zeitlichen Strukturen eine Schwierigkeit in der Unterstützung darstellen. Zugleich wird in der starken Streuung der Einschätzungen deutlich, dass es durch schulspezifische Maßnahmen gelingen kann, auch diese Rahmenbedingungen förderlich zu gestalten. Der flexible Einsatz räumlicher Ressourcen wird von den Befragten relativ einheitlich als (noch) gut eingeschätzt. Immerhin 60% der Befragten geben darüber hinaus an, dass an ihrer Schule Lern-/Arbeitsräume zur Verfügung stehen, die an Schultagen für Schüler/innen frei zugänglich und mit PC/Internet ausgestattet sind. Weitere 10% haben solche räumlichen Ressourcen ohne IT-Infrastruktur.

In einem zweiten Teil der Befragung wurde die besondere Rolle der Schulleitung für die Einführung und Umsetzung didaktischer Innovationen an berufsbildenden Schulen untersucht. Hierzu wurden mit Hilfe einer deutschsprachigen Version eines auf dem „Concerns Based Adoption Modell (CBAM)“ von Hall und Hord basierenden Fragebogens Typisierungen des Führungsstils im Hinblick auf die Implementation von Innovationen ermittelt. Die Ergebnisse zeigen, dass es für die Schulleitungen (noch) kein sehr wichtiges Anliegen ist, Innovationen im Hinblick auf selbstgesteuertes und kooperatives Lernen effizient umzusetzen, positive Effekte für die Lernenden zu ermöglichen und Kooperation innerhalb des Kollegiums zu verbessern.

Unter dem Titel „Innovationsbereitschaft unter Praxisdruck“ stellten Ulrike GREB , Petra GRELL, Kirsten BARRE und Wolfgang HOOPS Ergebnisse einer Studie vor, die ergänzend zum Hamburger Modellversuch SELEA (Selbstständiges Lernen in der Altenpflege) – eines Teilprojekts des Modellversuchsprogramms SKOLA – durchgeführt wurde. Leitende Fragen dieser Untersuchung waren: (1) Unter welchen Bedingungen sind innovative Projekte im schulischen Alltag für Lehrende interessant? (2) Welches Interesse bekunden Lehrende an innovativen Projekten im schulischen Alltag? (3) Was bereitet Lehrende auf berufliche Innovationserfordernisse besser vor?

Das differenzierte Studiendesign lässt zwei zeitlich aufeinander folgende Forschungsteile erkennen. Zum einen wurde eine Forschende Lernwerkstatt durchgeführt (GRELL), in der die betroffenen Lehrerinnen und Lehrer eigenständig mithilfe verschiedener Analyse- und Reflexionsverfahren die aktuelle Modellprojektsituation kritisch analysierten. Zum anderen wurden vom Hamburger Team (GREB) Leitfaden gestützte Interviews durchgeführt – sowohl an öffentlichen Berufsschulen (Hamburg, NRW) als auch an privaten Fachschulen für Pflegeberufe (Hamburg, Niedersachsen, NRW). Die Auswertung aller Daten erfolgte hermeneutisch, die Interviews wurden im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet.

Grundsätzlich zeigte sich, dass zu viele Innovationen in einem relativ kurzen Zeitfenster umgesetzt werden sollten, was sich angesichts der schulischen Ausgangsbedingungen als schwierig gestaltete. Neben der Einführung einer neuen Hamburger Lehrerarbeitszeitverordnung herrschte weitgehende Planungsunsicherheit durch unverbindliche Lernfeld- und veraltete Prüfungsvorgaben. Zudem fehlte es an erkennbarer Unterstützung durch das Schulmanagement. Schulleitung und Kollegium begegneten den spezifischen Modellversuchsanliegen zum selbstständigen Lernen vielfach mit Skepsis, denn der notwendige Transfer der Ergebnisse früherer Modellversuche hatte nicht stattgefunden. Die Schwerpunktverschiebung in der beruflichen Didaktik, die an die Umsetzung des Lernfeldansatzes gebunden ist, war an den Schulen weder inhaltlich noch organisatorisch etabliert, wodurch es dem Modellversuch an einer entscheidenden Innovationsbasis fehlte. Vor diesem Hintergrund entstehen notwendigerweise Konflikte.

Um die Gehalte der Interviewaussagen zu den Ursachen für die eigene Innovationsbereitschaft der Lehrpersonen freizulegen, wurden vier Bereiche unterschieden:

•  Bildungspolitische Bedingungen: Als innovationshemmend erfuhren die Lehrpersonen auf der Makroebene die Lehrpläne oder Bildungsplanvorgaben, auf der Mesoebene empfanden sie schulorganisatorische Schwierigkeiten wie Zeitkontingente oder eine der Innovation angemessene Stundenplanflexibilisierung als problematisch und auf der Mikroebene die Personalvoraussetzung, d.h. die fachwissenschaftlichen bzw. fachdidaktischen Kenntnisse oder auch die Erfahrungen im Handlungsfeld.

•  Berufskultur: Teamprozesse verlangen eine effektive Struktur, Kollegialität und entsprechende Fortbildungsbedarfe. Oftmals wird der Wunsch nach dem Aufbau von kooperativen Teamprozessen sowie dem Aufbau einer Teamkultur laut.

•  Psychisch-emotionale Dimension: Ein stimmiges Kohärenzerleben gegenüber der Innovation ist beispielsweise gekoppelt an eine durch Kompetenz erfahrene Sicherheit, an Entlastungserleben, an subjektive Erfolgserlebnisse der Zufriedenheit oder Wertschätzung bzw. Anerkennung für die eigene Leistung. Negativ wirken sich Unsicherheit, Ängste oder Überforderung auf die Innovationsbereitschaft aus.

•  Kognitiv-rationale Dimension: Negativ auf die Innovationsbereitschaft wirken sich solcherlei Einstellungen aus, die in den Innovationen keinen didaktischen Anschluss an einen erreichten Stand erkennen, gegenüber der öffentlichen Präsentation der Innovation Vorbehalte hegen oder in der Innovation keine „lohnende Investition“ sehen. Positiv dagegen wirkt es sich auf die Innovationsbereitschaft aus, wenn die Innovation das Gestaltungsinteresse trifft, zur Schülerförderung beiträgt oder dem eignen Lerninteresse dient.

Ergänzend dazu verdeutlichten die Ergebnisse der Forschenden Lernwerkstatt, dass sich die an dem innovativen Modellversuch partizipierenden Lehrkräfte grundsätzlich zufrieden mit der Möglichkeit des Mitwirkens an einer als sinnvoll erachteten Schulentwicklungsaufgabe zeigten. Die Chance, neue Methoden ausprobieren und die gemachten Erfahrungen untereinander austauschen und reflektieren zu können, wurde als Bereicherung erlebt. Allerdings offenbarte die Analyse der Forschenden Lernwerkstatt auch, dass die Lehrenden in verschiedenen Dilemma-Situationen gefangen sein können. So stehen sich hohe Ansprüche einerseits und die Realität kleiner Projektschritte andererseits oftmals diametral gegenüber. Der eigene Bildungsprozess im Projekt droht im tagtäglich drängenden Umsetzungsinteresse vernachlässigt zu werden.

Karin BÜCHTER und Silvia GÖDERZ stellten in ihrem Beitrag Ergebnisse des Projektes „Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung“ vor. Der Auftrag des „ SKOLA – Forschungsprojekt 3: Evaluationskonzepte in innovativen Programmen der beruflichen Bildung“ besteht darin , herauszufinden, ob und inwieweit wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen so angelegt sind, dass sie in der Lage sind, innovative Berufsbildungsprogrammen zu fördern. Anhand einer Literaturstudie sollte eruiert werden, ob wissenschaftliche Begleitungen von Modellversuchen auf Evaluationskonzepte zurückgreifen, diese weiterentwickeln oder auch solche konstruieren, die explizit mit dem Anspruch verknüpft sind, die geplanten Innovationen umzusetzen und zu transferieren.

Hierzu wurde in einem ersten Schritt anhand von Auswertungen von Handbüchern, Sammelbänden, Zeitschriften und Forschungsberichten, in denen das Thema wissenschaftliche Begleitung und Evaluation in der Berufsbildung thematisiert wird, rekonstruiert, welche theoretischen, methodologischen und methodischen Überlegungen zur Evaluation in der Berufsbildung vorliegen, auf die wissenschaftliche Begleitungen zurückgreifen können. In einem zweiten Schritt wurde anhand einer schriftlichen Befragung der wissenschaftlichen Begleitungen der SKOLA-Modellversuche nach der theoretischen und methodologischen Rahmung der wissenschaftlichen Begleitung einerseits und nach Bedingungen, Funktionen, Aufgaben sowie mögliche Wirkungen ihrer Arbeit andererseits gefragt. Parallel dazu wurden/werden die vorliegenden Zwischen- und – soweit vorliegend - Endberichte der SKOLA-Modellversuche ausgewertet, um herauszufinden, inwieweit hierbei ein Rekurs auf die Evaluationsforschung stattgefunden hat und dieser als Argumentations- und Konzeptionsbasis für Innovationen im dient. Ferner werden Selbstverständnisse und Probleme der wissenschaftlichen Begleitungen angedeutet. Auf dieser Basis wird der Begriff der Innovation beleuchtet, mit dem Ziel, ein erweitertes Aufgaben- und Funktionsspektrum von wissenschaftlichen Begleitungen zu belegen und implizite Evaluationskonzepte zu würdigen.

Jenseits der unmittelbar auf den Untersuchungsgegenstand bezogenen Entwicklungen von theoretischen und methodischen Ansätzen hat es auf der Metaebene der Modellversuchsforschung eine für Evaluationen von Modellversuchen konstruktive Entwicklung von Konzepten gegeben. I nsbesondere die Arbeiten der Programmträger haben in den letzten Jahren viele Erkenntnisse zu Tage gebracht.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund allerdings, dass in den Berichten der SKOLA-Projekte eine Rezeption, Operationalisierung und Weiterentwicklung der durch die Disziplin vorgelegten Evaluationsansätze allenfalls dort sichtbar ist, wo die Akteure der wissenschaftlichen Begleitungen selber die Urheber dieser Evaluationskonzepte sind . In den anderen Fällen fehlt oft die Verbindung zwischen der berufs- und wirtschaftspädagogischen Metadiskussion um Modellversuchsforschung und den Vorgehensweisen der wissenschaftlichen Begleitungen.

Die Gründe für die Trennung zwischen der Metadiskussion um Modellversuchsforschung bzw. der Evaluationsforschung einerseits und der meisten wissenschaftlichen Begleitungen in Modellversuchen andererseits können insgesamt auf mehrere Gründe zurückgeführt werden: (1) Eine explizite Verständigung im Rahmen von Modellversuchsprogrammen über handhabbare methodologischen Standards fehlt noch weitgehend. (2) Der Innovationsdruck in den Modellversuchen führt dazu, dass von praxisfernen Auseinandersetzungen mit wissenschaftlichen Forschungsstandards abgesehen wird. (3) Die Modellversuchs- und Evaluationsforschung bietet auch Konzepte, die aufgrund ihrer Abstrakt- und Allgemeinheit für spezielle Untersuchungsvorhaben wiederum derart konkretisiert werden müssen, dass bereits hierdurch die Verbindung zwischen wissenschaftlichem Konzept und Praxis wieder verloren geht.

Auch wenn die wenigsten wissenschaftlichen Begleitungen auf elaborierte Evaluationskonzepte zurückgreifen, geschweige denn, diese selber entwickeln, liegt allen Untersuchungen ein zumindest implizites Evaluationskonzept zugrunde, durch das Aufgaben, Vorgehen, Ergebnisse und deren Reflektionen transparent und legitimiert werden. Nicht auszuschließen ist, dass der Rückgriff auf elaborierte, normative Evaluationskonzepte zwar eine wissenschaftlich-systematische Fundierung, jedoch nicht zwangsläufig eine verbesserte Innovationsfähigkeit von Modellversuchen und wissenschaftlichen Begleitungen garantiert. Die meisten SKOLA-Modellversuche und wissenschaftlichen Begleitungen sind in irgendeiner Weise und auf den verschiedensten Ebenen innovativ. Es kann nicht nicht innoviert werden, zumal davon auszugehen ist, dass das Innovationsverständnis multireferentiell und mikropolitisch verhandelbar ist. Die Aufgabe der Berufsbildungsforschung und der Berufs- und Wirtschaftspädagogik besteht darin, die impliziten Evaluationskonzepte der wissenschaftlichen Begleitungen zu explizieren, zu systematisieren und in die theoretische und methodologische Diskussion einzubinden.

3.  Ergebnisse aus den Modellversuchen

Gerhard GERDSMEIER und Christian MARTIN präsentierten in ihrem Beitrag „Selbstgesteuertes Lernen und Schulentwicklung“ Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des hessischen Teils des BLK-Verbundmodellversuchs LunA (Lernen und nachhaltige berufliche Ausbildung), der in Hamburg und Hessen daran arbeitet, unterrichtliche Praxen zur Förderung selbstgesteuerten und kooperativen Lernens zu entwickeln und in den Schulen zu etablieren. Außerdem werden in den beteiligten Studienseminaren die Ausbildungskonzepte so weiterentwickelt, dass Junglehrer mit diesem didaktischen Ansatz und seinem Lehrerbild vertraut sind ( http://www.blk-luna.de ).

Darüber hinaus wurden Ergebnisse der 1. Zwischenevaluation des hessischen Modellprojekts Selbstverantwortung Plus (CLEMENT/ MARTIN 2008) vorgestellt, in dem 17 berufliche Schulen in einem Bottom-Up-Verfahren neue Wege der Qualitätsentwicklung erproben, die wichtige Impulse für die Entwicklung aller Schulen und Regionen in Hessen geben sollen. Dieses Modellprojekt verfolgt als globales Ziel, neue Modelle für Unterricht und Schule zu entwickeln. Der ganzheitliche Reformprozess erfolgt im Rahmen schulischer Projekte, die sogenannten Handlungsfeldern (HF) zugeordnet werden. Diese helfen, den Gesamtprozess zu operationalisieren. Die Projektschulen sind verpflichtet, alle sechs Handlungsfelder durch Auflage und Durchführung von schulischen Projekten zu bearbeiten. Die Handlungsfelder sind: Qualitätssicherung (HF1), Qualitätsentwicklung (HF2), Organisationsstruktur (HF3), Personalgewinnung & Personalentwicklung (HF4), Finanzen (HF5), Regionales Bildungsangebot & Bildungsnetzwerk (HF6). Im HF1 ‚Qualitätsentwicklung' spielen Modelle und Konzepte zur Einführung von selbstgesteuertem Lernen und individueller Förderung eine zentrale Rolle.

Beide Projekte werden von Wissenschaftlern der Universität Kassel begleitet. Die räumliche Nähe aber auch Übereinstimmungen in der schulischen Projektarbeit haben auf der Projektebene zu Austausch, Kooperation und gegenseitiger Unterstützung geführt, die Implikationen auf die gemeinsame wissenschaftliche Diskussion über die Gelingensbedingungen für die nachhaltige Implementierung einer neuen Lehr-Lernkultur an den Projektschulen haben.

Obwohl sich beide Projekte in den Herangehensweisen, Arbeitsaufträgen und thematischen Schwerpunktsetzungen unterscheiden, kamen die Referenten übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die erfolgreiche Etablierung selbstgesteuerten Lernens nur mit einer veränderten Rollenauffassung der Lehrkräfte, einer veränderten Organisation von Schule, veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen und einem veränderten Zugriff auf Inhalte möglich ist.

•  Veränderung der Rollenauffassung der Lehrkräfte

Obwohl selbstgesteuertes Lernen substanziell viele Abstufungen zulässt und didaktisch insofern keine Entweder-Oder-Konstellation besteht, fordert jede anspruchsvolle Hinwendung zum selbstgesteuerten Lernen die Lehrkraft in ihrem Selbstkonzept sehr grundlegend heraus. Zudem sind Lernangebote andersartig zu konzipieren und zu kommunizieren, Aushandlungsprozesse verändern sich thematisch und gewinnen an Bedeutung, Verantwortungen verteilen sich neu, Handlungspläne sind darauf abzustellen usw.

Wenn Lehrkräfte einzeln oder in Gruppen diesen grundlegenden Wandel wollen und einleiten, bedarf das einer weitsichtigen organisatorischen Unterstützung und planerischen Fortschreibung, wenn diese Initiativen nicht marginal, temporär und an Einzelne gebunden bleiben sollen.

•  Veränderung der Schulorganisation

Schulen benötigen nach Ansicht der Referenten mehr zeitliche, materielle und personelle Ressourcen. Zeitliche Ressourcen sind unter anderem wegen des zeitlichen Aufwands für die Einführungsphase von selbstgesteuerten Lernformen, Doppelbesetzung im Unterricht, Teambesprechungen und Förderunterricht zu begründen. Weitere personelle Ressourcen in Form von Lehrkräften und sozialpädagogischen Kräften können den zunehmenden zeitlichen Aufwand abdecken helfen. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Modellversuche ein Fortbildungsbedarf insbesondere in den Bereichen Medien- und Methodenkompetenz sowie Didaktik festgestellt.

Als materielle Voraussetzungen für den Ausbau von selbstgesteuerten Lernformen ist die Anschaffung von neuen Lernmaterialien, der Umbau von Klassenräumen sowie die Einrichtung von Einzel- und Computerarbeitsplätzen, Internetzugängen und Bibliotheken zu nennen.

Die bestehende Stundenplanung im 45- bzw. 90-Minutenrhythmus behindert offene Unterrichtskonzepte. Eine veränderte Stundenplangestaltung und Organisation von Unterricht wird notwendig. Hierzu gehören insbesondere Zeitfenster für Teamarbeit in der Stundenplanung, damit Teamarbeit kontinuierlich stattfinden kann. Die Teams sollten langfristig zusammenarbeiten und ihre Ressourcen selbstverantwortlich verwalten. Ein Klassenraumprinzip kann helfen, den Wechsel von Klassen oder von Lehrkräften zu vermeiden und damit die permanente Bereitstellung von Materialien ermöglichen.

Neben der Bereitstellung der genannten Ressourcen ist die Innovationsbereitschaft der Schulleitung ebenfalls ein wichtiger Aspekt für die Einführung von didaktischen Neuerungen. Dort, wo Schulleitungen die Innovationen eng mit Konzepten dazu passender Organisationsentwicklung verknüpfen, sich zum Vordenker der Prozesse machen, verlaufen die Prozesse tatsächlich deutlich positiver.

•  Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen

Die permanente Aufsichtspflicht während des Unterrichts über alle Schülerinnen und Schüler behindert eine Individualisierung des Unterrichts und das Aufteilen von Lerngruppen auf mehrere Lernorte (Räume) und sollte angepasst werden. Um Lernorte variieren zu können, ist daher die Prüfung und gegebenenfalls Änderung der gesetzlichen Regelungen bzgl. der Haftung von Lehrkräften für ihre Schüler notwendig.

Die Anwesenheitspflicht für Lehrkräfte an der Schule könnte über das Unterrichtsdeputat hinaus erhöht werden, Arbeitszeitkonten gäben die Möglichkeit, Belastungsspitzen auszugleichen. Lehrpläne müssten ‚abgespeckt' werden, um den Vermittlungsdruck von Wissen zugunsten der Förderung von Kompetenzerwerb abzubauen.

•  Veränderter Zugriff auf Inhalte

Besonders auffällig bei vielen Versuchen, selbstgesteuertes Lernen zu etablieren, ist eine auffällige Gleichsetzung von selbstgesteuertem Lernen mit der Verwendung ganz bestimmter methodischer Vorgaben für Schüler und Lehrende, während die Chance kaum genutzt wird, in stärker aufgabenbasierten Unterrichten Gegenstände anders und problemhaltiger zu thematisieren und tiefere Verständnisse zu ermöglichen, um alltagstaugliche Kompetenzen auszubilden. Bislang dominiert Methodenfixiertheit.

Die vier angesprochenen Bereiche stehen in einem engen Wechselverhältnis. Eine veränderte Lernkultur ist in einer Schule ohne organisatorische Unterstützung und Entwicklungsplanung nicht realisierbar, ebenso wie Organisationsentwicklungen ohne kompatible Parallelentwicklungen bei Lehrkräften und Unterrichten leer bleiben. Diese Bemühungen bedürfen sinnvollerweise einiger Änderungen im rechtlichen Rahmen und einer stärkeren Beachtung der inhaltlichen Seite von Unterricht, wenn die Reformen nicht im Methodischen stecken bleiben sollen.

Wolfgang ETTMÜLLER und Susanne BOGUMIL stellten in ihrem Beitrag ein Unterrichtsmodell zur Förderung der Kompetenz des selbstgesteuerten Lernens aus dem rheinland-pfälzischen Modellversuch KoLA („Förderung des selbstgesteuerten Lernens und Entwicklung eines Fortbildungskonzeptes zur Umsetzung kompetenzorientierter Curricula auf der Basis von Jahresarbeitsplänen“) vor.

Für den Erwerb der erforderlichen Lernstrategien wählt der Modellversuch KoLA eine kombinatorische Vorgehensweise aus direkter und indirekter Förderung. Die Lernstrategien werden zum einen direkt gefördert , indem sie selbst zum Unterrichtsgegenstand werden. Im vorgestellten Unterrichtsbeispiel ist die Stützstrategie „sich motivieren“ Lerngegenstand im Lernfeld 1 des Ausbildungsberufs Industriekaufmann/Industriekauffrau. Zum anderen werden sie in motivational anregende Lernsituationen eingebettet und dort mit Fachinhalten verknüpft (indirekter Förderansatz) . Diese Lernsituationen werden nach gemäßigt konstruktivistischen Prinzipien arrangiert.

Das Lehr-Lernarrangement des Unterrichtsmodells orientiert sich an einem konkreten Entscheidungsproblem aus dem beruflichen Ausbildungsalltag vieler Jugendlicher und fragt bezogen auf eine Auszubildende der fiktiven Rheinland-Pfalz GmbH in exemplarischer Form: „Soll die angehende Industriekauffrau ihre Ausbildung abbrechen?“ Die Problemfrage resultiert wiederum aus dem Fallbeispiel, das die Lernsituation trägt: Sonja, eine Auszubildende zur Industriekauffrau , überlegt, ihren Vertrag im zweiten Jahr vorzeitig zu lösen und stattdessen Wirtschaftspädagogik zu studieren. Sie fühlt sich in der Ausbildung unterfordert und gelangweilt, weil sie in der Fachabteilung immer die gleiche monotone Routinearbeit abwickeln müsse. Dies tut sie kund in einem Internetforum. Zugleich folgt sie dem Rat ihres Klassenlehrers und wendet sich an Frau Koch, ihre Personal- und Ausbildungsleiterin. Diese bittet Sonja, keine vorschnelle Entscheidung zu treffen, und vereinbart mit ihr einen zweiten Gesprächstermin für übernächste Woche. In der Zwischenzeit will sich Frau Koch mittels externer Experten zum Thema „Ausbildung und Ausbildungsabbruch“ kundig machen.

Die fachlichen Einzelaspekte des Unterrichtsmodells werden über dieses Fallbeispiel miteinander verwoben. Das Problem des Ausbildungsabbruchs wird dabei aus lern- und motivationspsychologischer, arbeitsrechtlicher und betriebsspezifischer, aber auch persönlicher Betroffenheitsperspektive betrachtet. Dies alles geschieht, indem die Lernenden gruppenweise in die Rollen verschiedener Experten schlüpfen, die für die betriebsinterne Schulung der Rheinland-Pfalz GmbH Kurzvorträge zum Thema „Ausbildung und Ausbildungsabbruch“ vorbereiten und halten. Insgesamt treten fünf Redner auf: Ein Personalreferent, der den Lernmotivationsstand Sonjas analysiert, ein Betriebspsychologe und Motivationsexperte, der Wege aufzeigt, sich selbst zu motivieren, obwohl die äußeren Lernbedingungen am Ausbildungsplatz eher negativ eingeschätzt werden, ein Ausbildungsberater der IHK Pfalz, der Rechte und Pflichten von Ausbildenden und Auszubildenden thematisiert und eine Referentin des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn, die Entwicklungen und Ursachen sowie Chancen und Risiken von Ausbildungsabbrüchen erläutert. Zu Beginn wird zudem mit Hilfe eines Fragebogens das betriebliche Motivationsgeschehen unter den Auszubildenden der Rheinland-Pfalz GmbH evaluiert, um einschätzen zu können, ob es sich im geschilderten Fall um eine Einzelerscheinung handelt.

Die Lernsituation fördert das selbstgesteuerte Lernen auf der einen Seite direkt . Direkt erworbenes Wissen über adäquate Lernstrategien führt aber nicht automatisch dazu, dass diese auch angewandt werden. Damit eine solche Lernaktivität in Gang kommt, ist Lernmotivation notwendig. Diese vermag der Lehrende nicht „herzustellen“, denn er kann im Lerner nicht unmittelbar motivationale Zustände herbeiführen. Deshalb erscheint es auf der anderen Seite bedeutsam, Lernsituationen so zu gestalten, dass intrinsische Lernmotivation und Interesse an strategischen Fragen des selbstgesteuerten Lernens angeregt und relativ dauerhaft aufrechterhalten werden können (indirekter Förderansatz) .

Als zentrale Voraussetzung dafür, dass intrinsische Motivation und lernstrategisches Interesse entstehen und fortdauern, führen verschiedene Autoren an, dass die Lernsituation die grundlegenden Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Einbindung befriedigen sollte (DECI/ RYAN 1993).

Wie kann nun Kompetenzerleben , das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, als eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Schüler intrinsisch motiviert und interessiert lernen, unterrichtlich gefördert werden? An erster Stelle kommt dabei auf den Lehrenden die Aufgabe zu, eine angemessene Problemstellung verständlich und herausfordernd zu konstruieren, damit sie den Lernprozess einleitet (instruktionaler Kontext). Bei dem Fallbeispiel handelt es sich im positiven Sinne (!) um ein nicht wohldefiniertes offenes Problem, das die Lerner vor eine hohe Herausforderung stellt.

Auf den Lernprozess bezogen, bedeutet das Bedürfnis nach Autonomie , dass die lernende Person in der Regel danach strebt, sich in eigener Art und Weise auf Lerninhalte einzulassen. Der Lehrende hat dementsprechend auf der didaktischen Gestaltungsebene prinzipiell die Aufgabe, den Sinn der Problemstellung und der damit verknüpften Lernziele zu vermitteln, um den Schüler hierdurch stärker zu motivieren. Ein Problem gewinnt dann für den Lernenden in besonderem Maße Sinn, wenn der Lerngegenstand an Bekanntem anknüpft und persönlich bedeutungsvolle sowie praktisch relevante Zusammenhänge mit anderen Lern- und Lebensbereichen herstellt (multiple Kontexte und Perspektiven). Das Fallbeispiel in der dargestellten Lernsituation ist in mehrfacher Hinsicht sinnstiftend: Es beruht auf einem Eintrag in ein Internetforum und holt von daher die Wirklichkeit eines möglichen Ausbildungsabbruchs in den Unterricht herein (authentischer Kontext). Dabei handelt es sich keineswegs um ein singuläres Beispiel, sondern, wie die Abbruchzahlen verdeutlichen, um einen exemplarischen Problemfall. Zu der Exemplarität trägt entscheidend bei, dass die Initiative zu diesem Abbruchschritt wie in der Mehrzahl der Fälle auch hier von der Auszubildenden selbst ausgeht. Zudem macht sie betriebliche Gründe für diese mögliche Handlungsweise verantwortlich. Eine Einschätzung, die sie mit über zwei Drittel der Abbrecher teilt. Indem die Schüler mit Hilfe eines Fragebogens ihre Motivationserfahrungen im fiktiven Lernort der Rheinland-Pfalz GmbH, tatsächlich aber im eigenen realen Ausbildungsbetrieb evaluieren, sie über die Erhebungsergebnisse Unterrichtsgespräche führen, dabei auch mögliche motivationshemmende Ausbildungssituationen thematisieren, wird ihnen deutlich, dass es sich hierbei um keine individuelle Problematik handelt, sondern eher um ein kollektives Ausbildungsproblem. Hinzu kommt, dass Motivationshemmnisse am Arbeitsplatz keineswegs ausbildungsspezifisch sind, sondern nach Umfrageergebnissen von Gallup für die Mehrheit der deutschen Angestellten im Beruf lebenslang fortdauern. Da 40% der Ausbildungsabbrecher zudem akute Gefahr laufen, als Ungelernte auf dem Arbeitsmarkt zu scheitern, verbindet sich die Lernsituation auch mit einem Schlüsselproblem der Zeit, das mit „Berufsarbeit und Arbeitslosigkeit“ überschrieben ist. Aber gerade wenn Ausbildungs- und Arbeitsplätze nicht ideal sind, sie also häufig von den Auszubildenden und Berufstätigen als wenig lern- und motivationsfördernd erlebt werden, dann ist es auch unter dem Aspekt der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung besonders wichtig, bereits in einer der ersten Lernsituationen eines Bildungsganges die Lernstrategie „sich motivieren“ direkt einzuführen.

Erst wenn dem Lernenden der Sinn der Problemstellung deutlich ist, kann er selbstgesteuert handeln. Auf der Prozessebene des Lernens konzentriert sich die Autonomieförderung im Anschluss folgerichtig darauf, den Schülern Handlungsspielräume zu gewähren. In der Lernsituation kommen zu der intentionalen (Mit-)Entscheidung über Lernziele die thematische (Mit-)Entscheidung über Lerninhalte und die methodische (Mit-)Entscheidung über die Lernorganisation, die Lernmedien und die Verwendung von Lernstrategien hinzu.

Die soziale Einbindung bezieht sich auf das Lehr-Lernklima, auf das Gefühl „dazuzugehören“, auf Partnerschaftlichkeit oder Kooperation (sozialer Kontext). Deshalb betont die Lernsituation zum einen die Teamarbeit in Kleingruppen. Zum anderen kommt das partnerschaftliche Lehrer-Schüler-Verhältnis, das es anzustreben gilt, in besonderer Weise darin zum Ausdruck, dass Lehrer zeigen, wie sehr sie an den Lernfortschritten ihrer Schüler tatsächlich interessiert sind. Dazu gehört auf der didaktischen Gestaltungsebene, dass in dieser Lernsituation das Lernen selbst zum Thema des Unterrichts wird, um die Kompetenz des selbstgesteuerten Lernens direkt zu fördern (Artikulation und Reflexion).

Ebenfalls aus dem Modellversuch KoLA stellte Rüdiger TAUSCHEK in seinem Beitrag „Selbstwirksamkeitserwartungen von Auszubildenden zum beruflichen Lernen“ erste Evaluationsergebnisse vor. Im Rahmen einer empirischen Längsschnittuntersuchung mit drei Messzeitpunkten wurden Auszubildende des Modellversuchs mit standardisierten Fragebogen zu ihren Selbstwirksamkeitserwartungen und zu ihrer Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen befragt. Anschließend wurden diese Ergebnisse mit den Befunden der PISA-Studie verglichen. Als Ergebnis konnte festgestellt werden, dass die Ergebnisse im Modellversuch einen signifikanten Unterschied zu den Ergebnissen der PISA-Studie lieferten. Die Schülerinnen und Schüler der am Modellversuch beteiligten berufsbildenden Schulen verfügen über eine höhere Selbstwirksamkeit als alle in der PISA-Studie untersuchten Schülerinnen und Schüler anderer Schulformen. Auch bezogen auf die Selbstlernkompetenz lagen die Werte der Auszubildenden in fast allen Items signifikant besser. Lediglich beim Interesse am Lesen waren die PISA-Ergebnisse signifikant besser, während beim Einsatz von Wiederholungsstrategien kein signifikanter Unterschied konstatiert werden konnte.

Darüber hinaus konnten auch signifikante Unterschiede bei der Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen von gewerblich-technischen und kaufmännisch-verwaltenden Auszubildenden ermittelt werden. Hier zeigte sich, dass die gewerblich-technischen Auszubildenden im Bereich der Mathematik und der Wettbewerbsorientierung besser abschneiden, während die kaufmännisch-verwaltenden Auszubildenden für die Skalen Elaborationsstrategien, Kontrollstrategien, instrumentelle Motivation, Interesse am Lesen, Anstrengung und Ausdauer, verbales Selbstkonzept und akademisches Selbstkonzept signifikant höhere Werte erreichen.

Die Ergebnisse der Forschungsprojekte und der Modellversuche des Modellversuchsprogramms SKOLA verdeutlichen, dass die Trennung der unterschiedlichen Regulationssysteme des Rahmenmodells von BOEKAERTS (1997, 1999) lediglich analytischer Natur und in der Praxis nicht aufrecht zu halten ist, vielmehr ist jede der drei Schichten in diesem Modell interdependent zu den anderen zu sehen.

 

Literatur

BOEKAERTS, M. (1997): Self-regulated learning: a new concept embraced by researchers, policy makers, educators, teachers and students. In: Learning and instruction 7, 2, 161-186.

BOEKAERTS, M. (1999): Self-regulated learning: where we are today. In: International journal of Educational Research 31, 445-457.

BRIKEN, K. (2006): Gesellschaftliche (Be-)Deutung von Innovation. In: BLÄTTEL-MINK, B. (Hrsg.): Kompendium der Innovationsforschung. Wiesbaden, 17-28.

CLEMENT, U./ MARTIN, C. (2008): Wege in die Selbstverantwortung – formative Begleitung des Modellprojekts „Selbstverantwortung plus“ - 1. Zwischenevaluation 2007. Koordinierungsstelle des Modellprojekts „Selbstverantwortung plus“ (KOBE), Hessisches Kultusministerium (Hrsg.).

DECI, E. L./ RYAN, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. In: Zeitschrift für Pädagogik, 39, Heft 2, 223-238.

EULER, D./ LANG, M./ PÄTZOLD, G. (Hrsg.) (2006): Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung. Beiheft 20 der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Stuttgart.

LANG, M./ PÄTZOLD, G. (2006): Selbstgesteuertes Lernen – theoretische Perspektiven und didaktische Zugänge. In: EULER, D./LANG, M./PÄTZOLD, G. (Hrsg.): Selbstgesteuertes Lernen in der beruflichen Bildung. Beiheft 20 der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Stuttgart, 9-35.

 

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