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 bwp@ Spezial 4 | September 2008
Hochschultage Berufliche Bildung 2008
WS 26 Flexibilisierungsansätze

Flexibilisierung von Lernprozessen und „Outcome-Orientierung“ – Aspekte eines Modellprojekts im europäischen Kontext

 

Abstract

Kompetenzerwerb findet zunehmend in Prozessen des lebenslangen Lernens statt; diese sind flexibel und gestaltungsoffen und können sowohl formales, non-formales als auch informelles Lernen umfassen. Vor diesem Hintergrund stellen sich neue Anforderungen an die Aussagekraft von Zertifikaten beruflicher Weiterbildung: Sie müssen sich an Lernergebnissen orientieren und das gesamte Kompetenzspektrum eines Individuums abbilden, nicht nur die formal erworbenen Qualifikationen.

Orientierung an Lernergebnissen, „Outcome-Orientierung“, gewinnt zunehmend Bedeutung. Sie ist auch wesentliches Strukturmerkmal der im Zuge des Kopenhagen-Prozess entwickelten europäischen Transparenzinstrumente (EQR und ECVET) und wird die Bildungslandschaft der nächsten Jahre entscheidend prägen. In einigen europäischen Ländern haben Verfahren der Validierung und Anerkennung von Learning Outcomes weitreichende Tradition. Am Beispiel des NVQ-Systems Englands zeigt der Artikel auf, wie durch Betonung der Outcome-Seite ein Zugewinn an Transparenz erzielt werden kann. Gleichzeitig verweist die v.a. von den Sozialpartnern geforderte Besinnung auf den Lernprozess darauf, dass ein ausgewogenes Verhältnis formativer und summativer Elemente nötig ist, um beides sicher zu stellen: die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die „Employability“ der Arbeitnehmer.

Angesichts der Herausforderungen, denen sich die europäischen Systeme beruflicher Bildung gegenwärtig stellen müssen, sind nicht nur Antworten der europäischen und nationalen Berufsbildungs politik gefordert. Es braucht den Praxistest . Am Beispiel eines Modellprojekts wird – quasi auf der Mikroebene – durchgespielt, wie ein an „Learning Outcomes“ orientiertes Valuierungsverfahren aussehen könnte, das den Transfer der Ergebnisse beruflicher Weiterbildung an den Arbeitsplatz sichtbar macht und fördert, bei dem also summative und formative Elemente ineinander greifen.

1.  Lernen in den Wissensgesellschaften Europas: Lebenslang und informell

Längst gilt in unseren Wissensgesellschaften: Einmal erworbenes Wissen reicht nicht mehr für ein ganzes Leben. Das gilt in allen Bereichen, besonders aber im Arbeitsleben. Beschleunigter technischer Wandel, immer schnellere Innovations- und Produktzyklen lassen die sprichwörtliche „Halbwertszeit des Wissens“ weiter sinken. Wo berufliches Wissen, berufliche Fähigkeiten und Kompetenzen kontinuierlich erneuert werden müssen, ist „Vorratslernen“ – etwa in der Phase der beruflichen Erstausbildung - obsolet. Lernen muss lebensbegleitend stattfinden. Dies ist unerlässlich für den Einzelnen und den Erhalt seiner „Employability“ – die Verwertbarkeit seiner Fertigkeiten und Kenntnisse auf dem Arbeitsmarkt. Und es ist unerlässlich für die Unternehmen: Die Fähigkeit von Mitarbeitern, wechselnde Anforderungen flexibel und kompetent zu bewältigen, wird zunehmend zum Wettbewerbsfaktor.

Die Anpassung der im formalen Bildungssystem erworbenen Qualifikationen an den jeweiligen Bedarf kann auf vielfältige Weise geschehen: Zunehmend gewinnen Lernformen an Bedeutung, die sich außerhalb der traditionellen Institutionen vollziehen. „Informelles Lernen“ geschieht unbeabsichtigt, quasi „en passant“, im praktischen Handeln und da natürlich vor allem im beruflichen Handeln am Arbeitsplatz. Man schätzt, dass ein Großteil des Wissens, der Fertigkeiten und Kompetenzen Erwachsener auf informellen Lernprozessen beruhen. Besonders die immer wichtiger werdenden „Soft Skills“, wie Teamfähigkeit, Kommunikations- und Organisationsfähigkeit, bilden sich im Arbeitshandeln heraus und werden in der beruflichen Praxis ständig aktualisiert. Darüber hinaus findet Anpassung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen auch in Form von organisierter und intendierter Weiterbildung, in Seminaren oder im Selbststudium statt.

 

Formales Lernen: Lernen, das in einem organisierten und strukturierten Kontext (Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung, am Arbeitsplatz) stattfindet, explizit als Lernen bezeichnet wird und (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet und führt im Allgemeinen zur Zertifizierung.

Nicht-formales Lernen : Bezeichnet Lernen, das in planvolle Tätigkeiten eingebettet ist, die nicht explizit als Lernen bezeichnet werden (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung), jedoch ein ausgeprägtes „Lernelement“ beinhalten. Nicht-formales Lernen ist intentional aus Sicht der Lernenden und führt nicht zur Zertifizierung.
Anmerkung: Nicht formales Lernen wird auch als halb strukturiertes Lernen bezeichnet.

Informelles Lernen: Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht organisiert oder strukturiert. Informelles Lernen ist in den meisten Fällen nicht intentional und führt normaler Weise nicht zur Zertifizierung.
Anmerkung: Informelles Lernen wird auch als Erfahrungslernen bezeichnet.

(TISSOT, Cedefop 2004 )

Für alle Formen beruflichen Lernens gilt: der Erfolg misst sich daran, dass die stetige Anpassung und Aktualisierung beruflichen Wissens und beruflicher Fertigkeiten unter dem Innovationsdruck, der von neuen Technologien, neuen Kundenanforderungen und veränderten Marktlagen ausgeht, gelingt. Ob und in welchem Umfang dies der Fall ist, zeigt sich erst im Arbeitshandeln. Daraus ergeben sich Anforderungen für den Lernprozess und für Verfahren des Sichtbarmachens von Lernergebnissen: Wo eine Trennung von Lern- und Anwendungssituation nicht mehr besteht, müssen Übergänge zwischen Lernformen und Lernorten möglich sein. Dann aber greifen Formen der Validierung, die ihren Ursprung in Prozessen schulischen oder lehrgangsförmigen Lernens haben, nicht mehr. Dann ist eine „Bilanz“ aller, besonders auch der im Arbeitshandeln entwickelten Kompetenzen gefordert.

2.  Fokus auf „Learning Outcomes“ - Blick nach Europa

Die Orientierung an „Learning Outcomes“ und damit die Transparenz von Lernergebnissen , unabhängig davon, wie, wo und wann sie entstanden sind, bestimmt die bildungspolitische Diskussion in Europa spätestens seit die europäische Kommission im Jahr 2001 in ihrer programmatischen Schrift „Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ „ein umfassendes neues europäisches Konzept der Lernbewertung, dem das Recht auf Freizügigkeit in der EU zugrunde liegt...“ (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2001) ins Leben gerufen hat.

Was sind „Learning Outcomes“?

„Lernergebnisse“: Aussagen darüber was ein Lernender weiß, versteht und in der Lage ist zu tun, nachdem er einen Lernprozess abgeschlossen hat. Sie werden als Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen definiert; …“

(EUROPÄISCHE KOMMISSION, 2008, 21)

Outcome-Orientierung ist auch wesentliches Strukturelement der beiden im Zuge des Kopenhagen Prozesses entwickelten Initiativen, dem „Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen“ (EQR) und dem „Europäischen Credit-Transfer-System für die berufliche Bildung“ (ECVET). Bereits heute zeichnet sich ab, dass beide Instrumente die Ausrichtung der Berufsbildung der nächsten Jahre auf europäischer Ebene wesentlich prägen werden und bereits jetzt gehen von ihnen Reformimpulse auf die Berufsbildungssysteme einiger Mitgliedstaaten aus.

2.1  Outcome-orientierte Validierungsformen in europäischen Ländern

Die Tradition outcome-orientierter Validierungsformen reicht in einigen Ländern Europas weit zurück: In Frankreich wurde der „bilan de compétence“ bereits 1991 gesetzlich eingeführt. Erwerbspersonen haben dort Anspruch auf Bildungsurlaub um Kompetenzbilanzen durchzuführen. Diese dienen dem individuellen Kompetenznachweis und geben Aufschluss über das gesamte Spektrum an beruflichen und persönlichen Kompetenzen, die in einem Portfolio, das in der Regel Eigentum des Individuums ist, dokumentiert werden.

Anerkennungsverfahren, die die Durchlässigkeit zwischen unterschiedlichen Segmenten eines Bildungssystems regeln, umfassen ebenfalls das gesamte Spektrum an Kompetenzen und beziehen non-formale und informelle Lernprozesse ein. In Finnland wurde bereits Mitte der 90er Jahre ein an Kompetenzen ausgerichtetes System der beruflichen Erstausbildung und Weiterbildung eingerichtet: Anerkennung von lebenslangem Lernen, gleichgültig wann und wo die Kompetenzen erworben wurden ist dort rechtlich verankert. – Mit „Validation des Acquis de l'expérience“ (VAE) wird in Frankreich seit 2002 nicht nur der Zugang zu Hochschulen, sondern auch zu einigen formalen Bildungsgängen unter Einbeziehung des im Zuge des lebenslangen Lernens erworbenen beruflichem und außerberuflichem Erfahrungswissens ermöglicht. (Mit VAP, der Validation des Acquis Professionnels, war dort bereits seit 1993 die Anerkennung beruflichen Erfahrungswissens für die Zulassung zu den Hochschulen möglich.)

Weitere Beispiele für outcome-orientierte Ansätze wären auch in der Schweiz und zunehmend auch in den seit 2002 der EU beigetretenen Ländern zu finden. Gemessen an dem Anspruch, bei der Bewertung der „Learning Outcomes“ die Reflexion auf den Lernprozess nicht zu vernachlässigen, besteht noch Entwicklungsbedarf. Bei zahlreichen Verfahren der Anerkennung von Lernergebnissen „dominieren eher summative (bilanzierende) vor formativen (gestaltenden) Zwecen. (LE MOUILLOUR/ DUNKEL/ SROKA 2004, 392)

Als ein Beispiel für umfassende und strikte Outcome-Orientierung gilt in der Fachdiskussion das NVQ (National Vocational Qualifications)-System der angelsächsischen Länder. Daher soll an dieser Stelle am Beispiel Englands , ausführlicher darauf eingegangen werden: Mit dem NVQ-System verfügt England bereits seit 1986 über ein Verfahren, das Aussagen über die im Prozess der Arbeit erworbenen Kompetenzen ermöglicht. Es basiert auf einem standardisierten nationalen Bezugsrahmen für Qualifikationen: Beginnend mit einfacher Routinetätigkeit bis zu Aufgaben des mittleren Managements werden Tätigkeitsfelder in fünf Niveaustufen (Levels) unterteilt. Jede dieser Niveaustufen wiederum ist in kleinere „Units“ untergliedert. Ob und in welchem Maß ein Lerner über die erforderlichen Kompetenzen verfügt, wird in Prüfungen – idealer Weise am Arbeitsplatz, meist jedoch in simulierten Arbeitssituationen – festgestellt. Beurteilende Instanz sind Vorgesetzte, Kollegen oder externe Prüfer. Die erworbenen Kompetenzelemente werden in Portfolios gesammelt und führen nach und nach zum Erwerb der so genannten NVQ auf der jeweiligen Ebene. Wie viel Zeit der Einzelne zum Erwerb eines NVQ benötigt, ist dabei irrelevant. Die Arbeitgeber sind in den Entwicklungsprozess der NVQ sehr stark einbezogen: sowohl bei der Festlegung der Standards, den Inhaltsbereichen, die ein NVQ umfasst, als auch der Qualifikationsanforderungen (Levels). Von Seiten der Wirtschaft wird die Stärke des NVQ-Systems darin gesehen, dass es sich rein auf die Feststellung der im Arbeitsprozess zur Geltung kommenden Kompetenzen bezieht.

2.2  Bedarf nach Steuerung des Lernprozesses

Die strikte Outcome-Orientierung des englischen NVQ-Systems verweist zugleich auf eine Schwachstelle: Das NVQ System zielt darauf, arbeitsrelevante Kompetenzen zu bewerten – tatsächlich verbietet das NVQ-System gerade den Bezug auf irgendeinen Lernprozess. NVQs geben hervorragend Auskunft, ob und in welchem Umfang jemand kompetent ist, wo im betrieblichen Kompetenzprofil Lücken bestehen. Wie diese Lücken geschlossen werden, steht außerhalb der Betrachtung. Der Lernprozess selbst scheint bisweilen in Vergessenheit geraten zu sein. (WOLF 1998, 429). Auch das im Vereinigten Königreich weit verbreitete „On-the-Job-Training“ bedarf nach Ansicht vieler Experten der Steuerung. Ob das Matching der individuellen Kompetenzen mit dem Kompetenzbedarf von Unternehmen gelingt, soll nicht dem einzelnen Mitarbeiter und der Beliebigkeit des „By doing“, allenfalls durch zufällige Anleitung erfahrener Kollegen gelernten Inhalts (oder dem „Learning by sitting next to Nellie“ , wie man in England sagt) überlassen bleiben.

Um dem Kompetenzbedarf der Unternehmen besser Rechnung zu tragen, richten Sozialpartner und Regierung in England in letzter Zeit Anstrengungen darauf, die strikte Outcome-Orientierung durch formative Elemente zu ergänzen. Im Zuge dieser Bestrebungen wurden auch auf der Mikro-Ebene in den Unternehmen Initiativen angestoßen, die auf mehr Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Lernformen und Verbindung zwischen Lernprozessen und Validierungsprozessen abzielen.

3.  Lernprozess und Outcome-Orientierung: Beispiel eines Modellprojekts

Wie Übergänge vom Lernen in organisierten Weiterbildungsseminaren in die betriebliche Praxis transparent gemacht werden können, war Gegenstand eines Modellprojekts „Transparenz beruflicher Qualifikationen für den Personaleinsatz in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)“ (Das Modellprojekt „Transparenz Beruflicher Qualifikationen für den Personaleinsatz in KMU (TBQ)“ wurde vom Bundesinstitut für Berufsbildung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert (Modellversuchsprogramm „Flexibilitätsspielräume für die Aus- und Weiterbildug“) und vom f-bb in den Jahren 2003 bis 2006 durchgeführt. Die entwickelten Instrumente finden sich als Download unter tbq.f-bb.de. Weitere Informationen unter www.f-bb.de. ). In diesem Modellprojekt wurde – auf der Mikroebene – durchgespielt, wie ein Verfahren aussehen könnte, das den Transfer der Lernergebnisse beruflicher Weiterbildung an den Arbeitsplatz – also auch das informelle Lernen im Anschluss an berufliche Weiterbildung – sichtbar macht und fördert.

3.1  Transparenz informellen Lernen am Arbeitsplatz

Wollen Anbieter beruflicher Weiterbildung die Aussagekraft der angebotenen Zertifikate erhöhen, stehen sie vor der Herausforderung, mehr als die bloße Seminarteilnahme, aber auch mehr als die Qualifikationen zu bescheinigen, die Teilnehmer im Hinblick auf vorgegebene Standards erworben haben. Der Transfer des im Seminar Gelernten an den Arbeitsplatz ist in die Bewertung mit einzubeziehen.

„Unsere Kunden fordern, dass Weiterbildungsangebote einen starken Praxisbezug und eine klare Lösungsorientierung haben. Für unsere Kunden zählt daher das, was ein Teilnehmer im Anschluss an eine Weiterbildung tatsächlich an Fähigkeiten und Kompetenzen in das Arbeitsumfeld einbringt. Das wollen unsere Kunden dem Zertifikat entnehmen und daran wird letztlich der Erfolg eines Seminars gemessen. Zertifikate müssen zeigen, ob und welche Inhalte unserer Seminare in der beruflichen Praxis eingesetzt wurden und mit welchem Erfolg.“
(Geschäftsführer eines Bildungsanbieters)

Dieser geforderte Transfer vollzieht sich in der Regel über informelles Lernen in Arbeitszusammenhängen, in erster Linie in der Auseinandersetzung mit der Arbeitssituation selbst und den Anforderungen, die sich im Arbeitsprozess ergeben. Formalisierte Lernangebote wie Seminare stehen mit diesem informellen Lernen in vielfältigen Beziehungen. Sie können es vorbereiten, unterstützen und absichern. Seminarteilnehmer lernen auch und gerade nach einem Seminar weiter, indem sie Gelerntes am Arbeitsplatz praktisch anwenden. Dieser Praxistransfer wird jedoch bislang kaum beachtet und nur selten überprüft oder gar zertifiziert.

Um sicherzustellen, dass der Inhalt des Weiterbildungsseminars in die berufliche Praxis überführt wird, ist es erfordert, die einzelnen Schritte für den Arbeitnehmer bewusst und planbar zu machen. So wird der Transfer des im Seminar Gelerntem in die betriebliche Praxis vorbereitet, begleitet, dokumentiert/evaluiert und ggf. zertifiziert.

Das heißt aber auch, dass die Form der Lernprozesse, die sich im Anschluss an ein Seminar am Arbeitsplatz in der Regel auf informellem Weg – in der Sprache der CEDEFOP Definition – „in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht organisiert oder strukturiert...nicht intentional…“ (TISSOT 2004) vollziehen, sich ändert: Informelle Lernprozesse werden planbar und bewusst gemacht und damit ein Stück weit formalisiert.

3.2  Unterstützungsinstrumente für den Transferprozess

Wie der Lerner in dieser Lernphase am Arbeitsplatz unterstützt werden kann, und durch wen ­ durch die Dozenten /Trainer organisierter Weiterbildung, durch Kollegen oder betriebliche Vorgesetzte ­ zeigt die Übersicht über die wesentlichen Schritten des im Modellprojekt entwickelten Transferprozesses.

Bereits vor Beginn des Weiterbildungsseminars steht die gemeinsam mit dem betrieblichen Vorgesetzten erarbeitete Zielvereinbarung , in der festgelegt wird, welche Schwerpunkte die Weiterbildung in Bezug auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes abdecken soll. Gemäß dieser Zielvereinbarung erstellen die Mitarbeiter auf der Grundlage von Unterlagen zu den Seminarinhalten, die der Bildungsträger oder der Trainer zur Verfügung stellt , individuelle Transferlisten zur Umsetzung des Gelernten im eigenen Arbeitshandeln. Ziel ist es, die am Arbeitsplatz stattfindenden informellen Lernprozesse bewusst und sichtbar zu machen und auf diese Weise die Transparenz der vorhandenen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erhöhen. In einer Transferphase am Arbeitsplatz beobachten, dokumentieren und bewerten Mitarbeiter und betriebliche Vorgesetzte diesen Umsetzungsprozess. Transferprotokolle bilden die Grundlage für die Zertifikate , die der Bildungsträger am Ende der Transferphase in Zusammenarbeit mit dem betrieblichen Vorgesetzten ausstellt. (FIETZ, G., JUNGE, A. , KOCH, C., KRINGS, U.(2007), 19

3.3  Verbindung summativer und formativer Ansätze

Die Zielsetzung des beschriebenen Verfahrens richtet sich einerseits auf das summative Erfassen der für den Arbeitsplatz relevanten Kompetenzen eines Mitarbeiters. Die Zertifikate sollten Auskunft geben, was der Mitarbeiter im Anschluss an ein Weiterbildungsseminar im Arbeitsprozess tatsächlich kann. Der Prozess weist aber auch formative Elemente auf, da das Evaluationsverfahren so angelegt ist, dass kontinuierlich Zuwachs und Vertiefung der Fertigkeiten und Kompetenzen erreicht wird.

Damit ist auch die Verbindung zwischen Lern programm der Weiterbildung und den Lern ergebnissen , die sich im Arbeitsprozess zeigen, hergestellt: Der Prozess geht aus von den Inhalten des Seminars, leistet dann aber sehr schnell die Vermittlung zu den zu erzielenden Lernergebnissen: Der Mitarbeiter setzt sich bereits vor dem und im Seminar Ziele für die Lernphase am Arbeitsplatz. Mit der individuellen Transferliste schafft er sich ein Instrument, das die Inhalte des Seminars in Bezug auf die Anforderungen des Arbeitsplatzes selektiert und übersetzt. Mit dem Transferprotokoll hält der Lerner die von ihm beherrschten Seminarinhalte in Form von für den individuellen Arbeitsplatz relevanten Lernergebnissen fest.

Das im Modellprojekt entwickelte Verfahren wurde auch in Unternehmen in England erprobt und ist dort wegen dieser komplementären Ausrichtung summativer und formativer Elemente auf besonderes Interesse der betrieblichen Bildungsexperten gestoßen: Indem es auf Outcome Orientierung ausgerichtet ist und ausschließlich beruflich Relevantes zertifiziert, weist es Gemeinsamkeit mit dem NVQ-System auf. – Gleichzeitig wird der Lerner nicht allein gelassen: Der Lern prozess wird begleitet und kontinuierlich evaluiert.

4.  Fazit

Gegenwärtig stehen die Systeme der beruflichen Bildung in den Ländern Europas vor großen Herausforderungen: Bildung und besonders der beruflichen Bildung wird seit der viel zitierten Erklärung des Rats von Lissabon (2000) eine herausragende Rolle zur Erreichung der Ziele „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt in Europa“ zugesprochen. Im Verlaufe des Kopenhagen-Prozesses wurde die Zielsetzung konkretisiert: mehr Transparenz und Vergleichbarkeit, mehr Mobilität, mehr Durchlässigkeit in den und zwischen den Bildungssystemen und in verschiedenen Arbeitspaketen umgesetzt. Die Ziele und Initiativen europäischer Bildungspolitik benötigen die Unterstützung aller Akteure der beruflichen Bildung. Sie bedürfen der Erprobung im Praxistest, und sie bedürfen an vielen Stellen sicher auch noch der Konkretisierung. Dazu können einerseits die Erfahrungen auf der systemischen Eben in den Mitgliedsstaaten beitragen. Dazu können aber auch all die in der betrieblichen Praxis erprobten Bausteine, wie sie auf der Mikro-Ebene in Modell- und Innovationsprojekten – zugegeben: oft in unübersichtlicher Vielfalt – zu finden sind, beitragen. Systematisierung, Zuordnung zu aktuellen Fragestellungen und Weiterentwicklung lohnt.

 

Literatur

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Oline: www.ecotec.com/europeaninventory/ (13.07.2008)

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FIETZ, G./ JUNGE, A./ KOCH, C.,/ KRINGS, U. (2007): Transparenz beruflicher Qualifikationen – Entwicklung tätigkeitsorientierter Zertifikate. In: LOEBE, H./ SEVERING, E. (Hrsg.): Leitfaden für die Bildungspraxis, Band 15, Bielefeld.

KÄPPLINGER, B. (2002): Anerkennung von Kompetenzen. Definitionen, Konzepte und Praxiserfahrungen in Europa. DIE.

LE MOUILLOUR, I./ DUNKEL, T./ SROKA, W. (2004): Tätigkeits- und kompetenzorientierte Innovationen im formalen Weiterbildungssystem. In: Kompetenzentwicklung 2004, Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. (Hrsg.). Münster, 371-413.

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