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Prüfungen für die Büroberufe ein Dutzend
Jahre nach der Neuordnung
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1. Zur Geschichte des Verordnungstextes
Als der Verordnungsgeber Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts
die Ausbildung für die Büroberufe auf neue Beine stellte,
waren Viele mit dem neuen Werk durchaus zufrieden. Selbst die Aussagen
auf den sonst heftig widerstreitenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbänken
in den paritätisch besetzten Gremien priesen die neuen Verordnungen
als beispielhaft für alles das, was man sich noch vorgenommen
hatte.
Nun sollten auch andere kaufmännische Berufsausbildungen modernisiert
werden. Der formale Verordnungsweg stellte dem Vorhaben aber vielfältige
Hürden entgegen. Das wurde u. A. an der damals schon in die
Jahre gekommenen Verordnung für die Industriekaufleute deutlich,
die noch mehr als 10 Jahre für die Berufsausbildung herhalten
sollte. Andererseits haben die Versicherungskaufleute in derselben
Zeit schon die 2. Neuordnungsrunde erlebt.
Wenden wir uns wieder den Büroberufen zu. Was war eigentlich
das so gepriesene Neue der Ausbildungsverordnungen?
Zum einen wurde durch eine inhaltlich und methodisch anspruchsvolle
Ausbildungsverordnung das Berufsbild gegenüber anderen kaufmännischen
Berufen aufgewertet. Das traf insbesondere auf die neue Ausbildung
"Kaufmann/-frau für Bürokommunikation" zu, die
? in der Folge nur langsam und bis heute nicht mit endgültigem
Erfolg - den Ruf loswurde, die Nachfolge der "Bürogehilfin"
angetreten zu haben.
Bedeutender ist wohl, dass hier nicht die Spartenkaufleute zuerst
in das Rampenlicht der berufspädagogischen Diskussion gestellt
wurden, sondern die kaufmännischen Generalisten, und, bis heute
nachwirkend, es wurde der Begriff der kaufmännischen Sockelqualifikationen
geprägt, die den beiden Büroberufen (Bürokaufmann
/ Bürokauffrau und Kaufmann / Kauffrau für Bürokommunikation)
gemeinsam seien. Heute kann man hinzufügen, dass es eine Vielzahl
kaufmännischer, aber auch überfachlicher Bereiche gibt,
die zum Ausbildungsinhalt aller Kaufleute gehören.
Damit könnten sich die Ausbildungsgänge inhaltlich immer
weiter annähern. Es ist aber auch eine Tendenz zur Differenzierung
der Ausbildungsabschlüsse festzustellen, die leider häufig
mit der Diskussion um kürzere Ausbildungszeiten und eine hierarchische
Abstufung neuer Ausbildungsberufe verbunden ist.
2. Neue Anforderungen an kaufmännische Arbeitsplätze
In der Diskussion um die neuen Ausbildungsberufe wurde man in den
90er Jahren nicht müde, die Veränderungen an den Arbeitsplätzen
ins Feld zu führen. Damit waren immer die damals noch jungen
elektronischen Datenverarbeitungs- und Kommunikationsmittel gemeint,
und zwar im Zusammenhang mit den damit verbundenen Veränderungen
in der Arbeitsorganisation. Der Taylorismus, der einst den Wohlstand
durch die industrielle Massenproduktion begründet hatte, kam
ins Gerede - Zusammenlegung taylorisierter Arbeitsvollzüge
wurde zur Forderung der Unternehmensberater, und endlich konnten
die Berufspädagogen und Arbeitspsychologen über Erfolge
ihrer langjährigen Initiativen zur Verringerung der Entfremdung
in den Arbeitsprozessen berichten. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter
zogen in der Formulierung der neuen Berufsanforderungen nun auch
an demselben Strick und zitierten in seltener Einmütigkeit
die Schlüsselqualifikationen eines Herrn MERTENS, der bereits
20 Jahre zuvor das Überfachliche der unterschiedlichen Professionen
hervorgehoben hatte (vgl. MERTENS 1974).
Neben den Schlüsselqualifikationen hat die Diskussion zwei
zentrale Begriffe hervorgebracht, die bis heute Bestand haben. So
wird nicht nur im Zusammenhang mit den Büroberufen vom Leitbild
PC-gestützter Sachbearbeitung gesprochen. Die Rechner haben
inzwischen wohl in allen Arbeitsbereichen erhebliche Veränderungen
der Arbeitsorganisation, aber auch komplexer Arbeitsinhalte hervorgebracht,
und zwar in einer Größenordnung, die dazu geführt
hat, dass nur wenige Berufstätigkeiten noch in der Form ausgeübt
werden können, die vor 20 Jahren üblich war. Das ist das
eigentlich Neue, denn in den Jahrzehnten, man ist versucht Jahrhunderte
zu sagen, zuvor waren die Veränderungen in vergleichbaren Zeiteinheiten
sehr gering. Wer einmal seinen Beruf erlernt hatte, konnte ihn ohne
große Veränderungssprünge bis an das Ende seiner
Erwerbsfähigkeit ausführen.
Der zweite Begriff ist der der beruflichen Handlungsfähigkeit.
Diese soll der/die Auszubildende in der Abschlussprüfung nachweisen.
So steht es in allen Ausbildungsverordnungen, spätestens seit
der Neuordnung der Büroberufe (Im Verordnungswesen waren allerdings
in diesem Sinn die Metall- und Elektroberufe von 1987 Vorreiter.).
Ein kurzer Satz und ein unverdächtiges Wort führen seitdem
zu heftigen Diskussionen insbesondere im Prüfungswesen.
"Die in der Rechtsverordnung genannten Fähigkeiten
und Kenntnisse sollen so vermittelt werden, dass der Auszubildende
zur Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit
im Sinne des § 1 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes befähigt
wird, die insbesondere selbständiges Planen, Durchführen
und Kontrollieren einschließt. Diese Befähigung ist
auch in den Prüfungen nachzuweisen" (§ 4 Abs. 2
Ausbildungsverordnung).
Von Fachleuten, und das sind insbesondere die Personalverantwortlichen
in den Unternehmen, wird immer wieder betont, dass man jetzt auf
dem richtigen Weg sei. Nicht mehr die Fachsystematik der Wissenschaft
und der Fächerkanon der Berufsschulen sollen die Ausbildung
bestimmen, sondern typische berufliche Handlungen. So kann besser
als bisher Kompetenz für die selbständige berufliche
Handlungsfähigkeit in der Ausbildung erreicht werden.
Die Kompetenz setzt sich zusammen aus individuellen Erfahrungen,
Fähigkeiten, Fertigkeiten, Qualifikationen und sonstigen Dispositionen.
Nur, um den Begriff handhabbarer zu machen werden häufig die
drei Bereiche der Fach-, Sozial- und Personalkompetenz differenziert
betrachtet. Das ist sicherlich dann sinnvoll, wenn man sich curricularen
Fragestellungen nähern will, die eine Antwort darauf sucht,
wie Berufsschulunterricht in Zukunft organisiert und gestaltet werden
soll.
3. Die zentrale Kategorie "berufliche Handlungskompetenz"
Der Ausbildungsordnung für Bürokaufleute liegt das Leitbild
der computergestützten Sachbearbeitung zugrunde (vgl. STILLER
1995, 70).
Diese Sachbearbeitung, so die Berufsbildungsforscher, erfordert
umfassende Handlungskompetenzen, die Vieles aus der Tätigkeit
eines selbständigen Kaufmanns enthält. Schon 1993 ermittelte
W. Brand im BiBB-Modellversuch "Neue Büroberufe"
der Deutschen Angestellten-Akademie: "Die aufgeführten
Fähigkeiten lassen erkennen, dass von den Büroangestellten
erwartet wird, selbständig zu arbeiten, ihren Arbeitsbereich
zu organisieren und kompetent mit anderen zu kommunizieren."
(BRAND 1995, 42) Einen Überblick über das Modell von Handlungskompetenz
bietet die folgende Grafik aus dem Praxishandbuch des BiBB "Handlungsorientierte
Abschlussprüfung für Versicherungskaufleute". Aufgrund
seiner allgemeinen Form hat es für alle kaufmännischen
Berufe Bedeutung.
Seit das Leitziel der beruflichen Handlungsfähigkeit unstrittig
ist, bildet die Arbeit an einer Didaktik, die diese optimal fördern
oder gar erst hervorbringen kann, einen Schwerpunkt in der Forschung
der Berufpädagogen. Und es scheint vernünftig zu sein,
dass man sich an frühere Arbeitsergebnisse z. B. von Arbeits-
und Berufswissenschaftlern anlehnt, die ein Handlungsmodell entworfen
haben. So hat HACKER bereits 1973 (Hacker stellt der Planung die
"selbständige Zielstellung" voran, andere Autoren
differenzieren die Phasen der vollständigen Handlung entsprechend
ihrem Erkenntnisinteresse.) eine vollständige Handlung beschrieben,
die in den o. g. Zusammenhängen üblicherweise mit der
Trias "Planen, Durchführen und Kontrollieren" zitiert
wird.
In der konkreten Ausbildungssituation wird nun Vieles zum Verhängnis,
was man sich in den vorausgegangenen Jahrzehnten insbesondere mit
der Lehrerausbildung (über "programmiertes Lernen"
oder die Professionalisierung der Belehrung mittels Zerstückelung
der komplexen Wirklichkeit in Fein- und Feinstlernziele), aber auch
mit der Einrichtung von Lehrwerkstätten und Lernbüros
eingebrockt hatte. Von der Lernhaltigkeit betrieblicher Aufgaben,
von arbeitplatznaher Qualifizierung ist inzwischen in den ausbildenden
Betrieben die Rede. Sogar die "Beistelllehre" der Handwerker
darf wieder als Qualitätsmerkmal der Ausbildungsorganisation
genannt werden. Insgesamt geht es darum, dass berufliche Handlungsfähigkeit
nur am Arbeitsplatz entstehen kann und nicht in einem "Schonraum",
der eingerichtet wurde, damit der Lehrling nichts kaputt macht und
den Betriebsablauf nicht stört.
Wer in Zukunft für unbekannte und ungeplante Problemstellungen
kreativ eigene sinnvolle Lösungen entwerfen können soll,
muss dieses in seiner Ausbildung auch üben können. Für
kaufmännische Auszubildende gilt jetzt deshalb, dass sie nicht
mehr nur noch die Routine perfektionierter Sachbearbeitung kennen
lernen, die implizierte, dass z. B. Kunden, die andere Sachbereiche
des Unternehmens ansprachen, an den zuständigen Sachbearbeiter
weitergeleitet wurden. Heute werden Fallbearbeiter oder Kundenbetreuer
gebraucht, die den komplexen Angebotsbereich ihres Arbeitgebers
vertreten und bei dieser Aufgabe auch den Beschaffungsbereich und
letztlich die Rentabilität des Unternehmens beachten.
Wenn sich nun die betriebliche Ausbildung auf die neue Situation
einstellen musste, dann galt dieses ebenso für die Berufsschulen,
die in der dualen Partnerschaft der Berufsausbildung den Bereich
beisteuern, der die Hauptvorbereitung auf die Ausbildungsabschlussprüfung
leistet. Während traditionell die Fächer mit ihren jeweiligen
Landes-Lehrplänen das Unterrichtsgeschehen strukturierten,
das entsprechend der Lehrerausbildung an der wissenschaftlichen
Fachsystematik ausgerichtet war, sollte auch die Schule in Zukunft
unter dem Leitziel "berufliche Handlungsfähigkeit"
ihren Beitrag zu dem komplexen Kompetenzgefüge so beisteuern,
dass die Ausgebildeten an den neuen Arbeitsplätzen funktionsübergreifend,
selbstbewusst, kreativ und kundenorientiert handeln können.
Das aber bedeutete einen Paradigmenwechsel für die Lehrer,
und damit einhergehend für die Lehrerausbildung.
4. Der Verordnungstext und die Ausbildungsanforderungen
Die Verordnung gibt konsequenterweise der beruflichen Handlungskompetenz
(§ 4 Abs. 2. Ausbildungsordnung) eine zentrale Bedeutung und
führt weiter aus, damit sei gemeint, dass zur Ausübung
einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit befähigt werden
soll, die selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren
einschließt.
Um dies zu erreichen, müssen von den Auszubildenden notwendigerweise
Praxisaufgaben oder zumindest praxisorientierte Aufgaben, wie sie
der Verordnungsgeber fordert, bearbeitet und gelöst werden.
Dabei sollen die Auszubildenden flexibel verwendbares Handlungs-
und Erfahrungswissen, aber auch Handlungsschemata erwerben (vgl.
KLARMANN/ LEWANDOWSKI 2000, 63). Darüber hinaus wird gefordert,
dass schon in der Ausbildung die Grundlage für selbständiges
Lernen und Arbeiten und "... die Basis für ein lebenslanges
eigenverantwortliches Lernen gelegt (werden soll)" (ebd.).
Wolfgang SEYD entwickelte dazu die folgende Argumentationskette:
- "Bürokaufleute ... müssen über berufliche
Handlungskompetenz verfügen, die ihnen selbständige
Planung, Durchführung und Kontrolle ermöglicht.
- Die Fähigkeit zur selbständigen Planung, Durchführung
und Kontrolle erwirbt man nicht in fremdgesteuerten Lernprozessen.
Berufliche Handlungskompetenz bedarf selbstgeplanter, selbstinitiierter,
selbstgesteuerter, selbstkontrollierter und selbstevaluierter
Lernprozesse.
- In dieser Weise selbstorganisierte Lernprozesse sind nur möglich,
wenn Gestaltungsräume offeriert werden. (Hierzu gehören:)
- Aktivitätsspielraum
- Dispositionsspielraum
- Interaktionsspielraum
- Entscheidungsspielraum.
- Zudem müssen die Lerngegenstände Authentizität
und Realitätsgehalt aufweisen." (SEYD 1995, 43)
Diese hier beschrieben Ausbildungsanforderungen werden in aktuelleren
Anforderungsbeschreibungen für die Ausbildung von Michael REINHOLD
noch verstärkt, indem er verdeutlicht, die Arbeitsaufgabe soll
- einen herausfordernden Charakter beinhalten
- unterschiedliche Alternativen ermöglichen
- keine "richtigen" oder "falschen" Lösungen
(im Sinne einer Lernzielkontrolle) zulassen
- bei verschiedenen Aufgabenstellungen durch Zeichnungen, (Belege,
die Verfasser) und Fotos weitere Anforderungen ermöglichen
(vgl. REINHOLD 2002, 48).
Ziel der Ausbildung ist somit der Aufbau von Handlungsdispositionen
zur Bewältigung unterschiedlicher, auch bisher nicht bekannter
und komplexer Arbeitsaufgaben in Betrieben unterschiedlicher Branchen
(Anmerkung der Verfasser: Da der Ausbildungsberuf "Bürokaufmann/Bürokauffrau"
als Querschnittsberuf konzipiert ist, müssen Kompetenzen erworben
werden, die es ermöglichen, in Betrieben unterschiedlicher
Brachen tätig zu werden.).
5. Die Abschlussprüfung vor dem Hintergrund des Verordnungstextes
Diese Anforderungen an eine zeitgemäße, arbeitsplatzorientierte
Ausbildung wurden durch eine angepasste, fortschrittliche Prüfungsorganisation
ergänzt. Neu und erstmalig für die Prüfung in einem
kaufmännischen Beruf war die gleichgewichtige Aufteilung in
einen schriftlichen und einen praktischen Prüfungsteil.
Geprüft werden sollen die Fachkompetenz, die Sozial- und Methodenkompetenz
sowie die Planungs- oder Problemlösungskompetenz einschließlich
der Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung
und der Befähigung zur Kontrolle von Sachverhalten (Eine umfassende
Darstellung von Schlüsselqualifikationen findet sich in: HOFMEISTER/
REETZ/ WICHER 2002, 163ff.).
Die schriftliche Prüfung orientiert sich allerdings noch an
dem herkömmlichen Fächerprinzip (Wissenschaftssystematik)
und nicht an beruflichen Handlungsfeldern oder den daraus abgeleiteten
Lernfeldern. Damit können interdependente Beziehungen, wie
sie in Unternehmen üblicherweise vorkommen, beispielsweise
die Auswirkungen eines Einkaufs auf das betriebliche Rechnungswesen,
in der schriftlichen Prüfung kaum abgebildet werden. Fast schon
skurril mutet an, dass der Bereich Lagerwirtschaft in "Bürowirtschaft"
und der Ein- und Verkauf in "Wirtschafts- und Sozialkunde"
getrennt geprüft werden müssen, obgleich diese Bereiche
in der betrieblichen Wirklichkeit untrennbar miteinander verwoben
sind.
Dennoch ist schon für die Zwischenprüfung der Bürokaufleute
(§ 7 Verordnungstext) der Einsatz praxisorientierter Fälle
und Aufgaben vorgeschrieben. Für die Abschlussprüfung
wird diese Anforderung in § 8 des Verordnungstextes nochmals
deutlich für jedes Prüfungsfach wiederholt.
Kaum noch bestreitbar ist, dass, " wenn zum selbständigen
Planen, Durchführen und Kontrollieren befähigt werden
soll, (.) es nahe liegt, dies auch an "echten" komplexeren
Aufgabenstellungen zu entwickeln." (BIBB 1996, 81)
Aus den berufsbildenden Schulen und den Universitäten sind
dazu Anforderungen an eine zeitgerechte Ausbildung formuliert worden,
die sich auf die Gestaltung geeigneter Prüfungsaufgaben auswirken
müssen.
Michael Reinhold weist deshalb mit Nachdruck darauf hin, dass keine
Aufgabenstellungen zugelassen sind, die bloße Richtig- oder
Falschlösungen enthalten. Dies sei nur dann erfüllt, "wenn
die Aufgabenstellung nicht im Sinne einer Lernzielkontrolle formuliert
wird und keine Elemente enthält, die auf eine "Wissensabfrage"
hinauslaufen." (REINHOLD 2002, 48)
Da der Verordnungsgeber diese umfassende Handlungskompetenz in der
Ausbildungsordnung ausdrücklich vorgesehen hat (vgl. STILLER
1995, 69), ist es geboten, dass gerade diese in der Abschlussprüfung
auch zum Tragen kommt. Im Kern geht es also darum, dass ein in der
Ausbildung erworbenes Handlungswissen und, wenn möglich, auch
das erworbene Erfahrungswissen geprüft werden.
Eine Entscheidung dafür, dass dies nur Hauptanliegen der praktischen
Prüfung sein soll, sieht die Verordnung nicht vor. Die Vorgabe
gilt also für beide Prüfungsteile.
"Der kompetente Mitarbeiter zeichnet sich jedoch insbesondere
dadurch aus, dass er auch neuartige Situationen bewältigen
kann. Zu beidem benötigt er fundiertes Sachwissen. Damit kommen
alle drei Ebenen des Schaubildes (siehe Abschnitt 3., die Verfasser)
in der Abschlussprüfung zum Tragen. Sie sollten jedoch nicht
voneinander losgelöst geprüft werden - das wäre ein
bloßes Abfragen von Wissen -, sondern durch komplexe Aufgaben,
(...). Es handelt sich dabei entweder um Standardsituationen oder
um unvertraute Situationen, die zwar typischerweise vorkommen, jedoch
ein tieferes Nachdenken über die Bearbeitung des Vorgangs erfordern."
(BIBB 1997, 1)
Da erst die Verknüpfung von Einzelkompetenzen die berufliche
Handlungsfähigkeit ermöglicht, ist es erforderlich, komplexere
(Anmerkung der Verfasser: Komplex ist nicht mit schwierig zu verwechseln.
Komplexe Aufgaben können schwierig oder einfach sein. Ideen
für solche Aufgabenstellungen in: BISCHOFF 1998, 9ff.), offene
Aufgabenstellungen zu formulieren, damit die berufliche Handlungsfähigkeit
auch wirklich zum Prüfungsgegenstand wird. Dann wird es auch
möglich, die Informationsverarbeitungskompetenz und die Sprachkompetenz
zu überprüfen (vgl. BIBB 1997, 1ff.).
6. Eine positive Entwicklung im norddeutschen Leitkammersystem
Die Neuordnung der Büroberufe hatte nicht gleich den durchschlagenden
Erfolg. Nach einer kurzen Phase der Verunsicherung bei den Ausbildungs-
und Prüfungsbeteiligten konsolidierten sich die Prüfungsausschüsse
mit zumeist den schon bekannten "alten" Prüferinnen
und Prüfern und selbst die Fachbücher für die Berufsschulen
enthielten unter dem Etikett "handlungsorientiert" dieselben
Erklärungen und Aufgaben, manchmal mit einer vorangestellten
Situationsbeschreibung angereichert. Selbst die z. T. gut organisierten
Seminare zur Prüferschulung erreichten nur einen Teil der in
Prüfungsausschüssen Tätigen und konnten sich auch
nur auf den Teil "Prüfungsgespräch" der praktischen
Prüfung beziehen, denn die Aufgaben der schriftlichen Prüfung
und des praktischen Prüfungsteils "Informationsverarbeitung"
obliegen in der Regel zentralen Aufgabenerstellungsausschüssen
(wie der zu Recht viel gescholtenen AkA) oder zumindest immer demselben
Ausschuss der jeweiligen IHK (in Hamburg dem so genannten 01er Ausschuss).
Das Prüfungsgespräch macht bei den Bürokaufleuten
zudem gerade einmal ein Drittel der Gesamtnote aus bei den Kaufleuten
für Bürokommunikation lediglich ein Sechstel.
Wenn aber Wesentliches geändert werden sollte, musste man die
schriftlichen Prüfungsfächer (und die Informationsverarbeitung),
die oftmals von den Lehrerinnen und Lehrern der Berufsschulen dominiert
wurden (Sie formulierten die Aufgaben und bearbeiteten die Lösungen
zumeist als Erstkorrektoren) auf neue Beine stellen. Es gilt also
in erster Linie die Aufgabenersteller für die Intentionen der
neuen Verordnungen zu sensibilisieren und für die Umsetzung
derselben zu qualifizieren. Das wurde von den zuständigen IHKn
sehr unterschiedlich geregelt. Auch in den Gewerkschaften bewegt
sich dieser Bereich noch zu oft in den Anfängen.
Überhaupt entwickelte sich auch in den norddeutschen IHK-Bezirken
zunächst eine unterschiedliche Aufgabenerstellungspraxis. Regional
für ihren Kammerbezirk bzw. ein Bundesland erstellten die Kammerbezirke
Berlin, Bremen, Flensburg, Hamburg und Kiel ihre eigenen Aufgaben,
während im Bezirk Lübeck Aufgaben der AkA eingesetzt wurden.
Unter der Zielsetzung, die Aufgabenqualität zu verbessern,
und dabei die Kostenseite zu beachten, schlossen sich die Industrie-
und Handelskammern dieser Bezirke 1995/96 zum "Leitkammersystem"
zusammen. Man wollte Möglichkeiten erproben, die es erlaubten,
im norddeutschen Raum nach einheitlichen Aufgaben zu prüfen
und dennoch die regionalen Besonderheiten berücksichtigen zu
können.
Die Organisation obliegt einen Koordinierungskreis aus Vertretern/-innen
der IHKn, des DGB (in der Gründungsphase auch der DAG) und
der Schulen.
Für sechs kaufmännische Berufsbilder wurden überregionale
Fachausschüsse errichtet. Diese haben die Aufgabe, die schriftlichen
Prüfungen vorzubereiten und zu beschließen, die dann
im gesamten Verbund eingesetzt werden.
Jedes beteiligte Bundesland entsendet je drei Vertreter der Arbeitgeber-,
Arbeitnehmer- und Lehrerbank in den Fachausschuss, der damit paritätisch
besetzt ist. Um die Prüfungsorganisation auf mehrere Schultern
zu verteilen, wurden die jeweiligen Berufsbilder "Leitkammern"
zugeordnet. Für den Ausbildungsberuf "Bürokaufmann/Bürokauffrau"
ist die IHK zu Berlin zuständig, für die Kaufleute für
Bürokommunikation die IHK-Flensburg.
In Hamburg hatte sich sehr bald nach der Neuordnung der Büroberufe
ein Konzept mit so genannten Musterbetrieben durchgesetzt, über
die Identifikation, Authentizität und Realitätsgehalt
hergestellt werden. Die Aufgabenstellungen werden dabei in das Konstrukt
der virtuellen Unternehmungen "Franz Meyer" (Großhandlung)
und "Heinrich KG" (industrieller Produktionsbetrieb) eingebunden,
die die Prüfungskandidaten/?innen im Rahmen des Berufsschulunterrichts
kennen lernen.
Die Aufgaben orientierten sich exemplarisch an der betrieblichen
Praxis, an den Musterbetrieben, berücksichtigten die Anforderungen
an einen Querschnittsberuf und sind u. a. durch Belege aus der Praxis
realitätsnah gestaltet (vgl. dazu WICHER 1994). Sehr frühzeitig
wurden Vertreter/-innen aus Hamburger Ausbildungsbetrieben intensiv
an der Erstellung der Prüfungsaufgaben beteiligt, damit ein
hoher Praxisbezug gewährleistet werden konnte.
Der damals in der Handelskammer Hamburg für Berufsbildung zuständige
Geschäftsführer Reinhard Wolf konnte deshalb 1994 mit
Berechtigung verkünden: " Die Durchführung von Prüfungen,
die dem Anspruch der Neuordnungen genügen, d. h. auch die Handlungskompetenz
zu erfassen, ist möglich und in Hamburg in den beiden ersten
Prüfungsterminen auch weitgehend gelungen." (WOLF 1995,
99)
In modifizierter Form hat der Fachausschuss "Bürokaufmann/Bürokauffrau"
später dieses in Hamburg entwickelte System in das "Leitkammersystem"
übernommen.
Da die Aufgabenausschüsse der beteiligten Kammerbezirke sehr
unterschiedliche Entwicklungen in den Leitkammerausschuss mitgebracht
hatten und zunächst auch an ihren Ansätzen festhielten,
kam dieser Kompromiss allerdings erst nach langen, zum Teil zähen
Verhandlungen zustande. Dieses Problem sei hier erwähnt, weil
es zeigt, dass zentralisierte Prüfungen entgegen einer weit
verbreiteten Meinung nicht automatisch besser sind als die regional
erstellten. Die Einigungen erfolgten oftmals auf dem kleinsten noch
zu findenden Nenner, also keineswegs immer im Interesse einer verbesserten
Aufgaben- und Prüfungspraxis. Im Rahmen der Vereinbarungen
zur Erstellung der Prüfungsaufgaben für Bürokaufleute
wurde der Kern der neuen, verbesserten Prüfung erhalten.
Anders als zuvor im Zuständigkeitsbereich der Handelskammer
Hamburg wurde dem Fachausschuss jetzt vom Koordinierungskreis vorgegeben,
dass in jedem Prüfungsfach bis zu einem Drittel gebundene Aufgaben
vorgesehen sein sollten. Diese Vorgabe folgte rein ökonomischen
Erwägungen (das formale Argument betraf allerdings schwerpunktmäßig
die Intention, die Korrekturarbeiten erleichtern zu wollen).
Auf der Grundlage der gefundenen Kompromisse arbeitet der Fachausschuss
mittlerweile ohne große Reibungsverluste. Innovationsinitiativen
haben es allerdings immer noch wegen auseinander liegender Interessenlagen
relativ schwer, und es dauert teilweise lange, bis Teile der vorgeschlagenen
Verbesserungen umgesetzt werden können.
Als Handlungsgrundlage hat der Fachausschuss aus Ausbildungsrahmenplan
und Rahmenlehrplan für jedes Prüfungsfach eine Synopse
erarbeitet. Diese Unterlagen sind in den Kammerbezirken verteilt
worden und sorgen für Transparenz in der Arbeit des Fachausschusses.
Jeder Prüfungsdurchgang wird durch die "Kammern"
und die "Leitkammer" evaluiert. Der Fachausschuss berät
deren Ergebnisse.
7. Prüfungen sind die normative Kraft der faktischen Ausbildung
Der fachliche Diskurs ist grundsätzlich unverzichtbar, insbesondere
bei der Einführung von Neuerungen. Im Vorwege der Umsetzung
der 1991 formulierten neuen Ausbildungsanforderungen war es deshalb
unabdingbar, dass sich sowohl die Ausbilderinnen/Ausbilder in den
Unternehmen als auch Lehrerinnen/Lehrer und selbstverständlich
auch die Prüferinnen und Prüfer mit den Zielsetzungen
des Verordnungsgebers auseinandersetzten.
Dazu fanden Kongresse, Tagungen und Schulungsseminare in größerer
Zahl statt, und es war nicht leicht, die Beteiligten für die
veränderte Didaktik zu begeistern. Insbesondere die Prüferinnen
und Prüfer schienen vielerorts mit der Trias "Planen,
Durchführen und Kontrollieren" in einer praxis- und problembezogenen
Handlungssituation an Grenzen zu gelangen. Die Mehrzahl von ihnen
war allerdings "nur" für den Teil zuständig,
der "Prüfungsgespräch" heißt, also einen
Teil der praktischen Prüfung.
Viel problematischer war und ist, dass bei der Erstellung geeigneter
Prüfungsaufgaben, mit Ausnahme des Fachausschusses "Bürokaufmann
/ Bürokauffrau" im norddeutschen Leitkammersystem für
die schriftliche Prüfung wenig Neues hinzukam. Das in den Verordnungstexten
angelegten Antwort-Auswahl-Verfahren wurde insbesondere bei der
Erstellung überregionaler Aufgaben gern angewandt. Es begründet
den schlechten Ruf der AkA-Aufgaben und schreibt ihn fort. Für
die Multiple-Choice-Aufgaben wird gern das Argument der Objektivität
angeführt. Tatsache ist aber, dass sie weder im Sinne der Ausbildungsverordnung
noch in testtheoretischen Sinn valide sind, denn mit ihnen lässt
sich berufliche Handlungsfähigkeit nicht ermitteln. Dennoch
nimmt ihr Anteil wieder zu, einzig und allein aus Kostenerwägungen
und damit die Ergebnisse schnell zur Verfügung stehen.
Damit haben es Auszubildende wie schon immer schwer, sich parallel
auf zwei zum Teil gegensätzliche Ziele vorzubereiten, nämlich
auf die anschließende Berufstätigkeit und auf eine am
Ausbildungsende abzuleistende Prüfung, deren fachsystematische
Inhalte (Berechnen Sie die Gewinnverteilung in der OHG! Wie nennt
man einen fälligen Wechsel?) für die Berufstätigkeit
größtenteils keinerlei Relevanz haben.
Das Problem ist: Die faktische Prüfung bestimmt große
Teile der Ausbildung, insbesondere des Unterrichts in der Berufsschule.
Es werden also viele Ressourcen schlichtweg vergeudet. Sehr bedauerlich
ist es deshalb, dass selbst die kleinen Erfolgsberichte aus dem
"Nordkammerverbund" in Zukunft bedeutungslos werden, weil
die Entscheidung, die Aufgabenerstellung für alle Abschlussprüfungen
zu zentralisieren und einer einzigen Aufgabenerstellungsinstitution
zu übertragen, kaum noch zu verhindern ist. Damit schreitet
die Entwertung der Verordnungstexte, die anfänglich nur bei
den Büroberufen zu beobachten war, voran. Lange sind schon
andere Ausbildungsgänge von der Erosion handlungsorientierter
Abschlussprüfungen betroffen, wie z. B. IT-Berufe, Speditions-
und Industriekaufleute. Allein die Versicherungswirtschaft scheint
sich über die Prüfungsanforderungen weiterhin sämtliche
Ressourcen für die Ausbildung sichern zu wollen. Hier ist der
Ausgangspunkt der von den Unternehmen in Auftrag gegebene Modellversuch.
Aber die Hoffnung, zu angemessenen Prüfungsformen zu kommen,
muss nicht aufgegeben werden. Immerhin sind die Defizite des aktuellen
Verfahrens bekannt, und die Ergebnisse einer an den gegenwärtigen
schlechten Prüfungen orientierten Ausbildung sprechen für
sich. Vielleicht gelingt es sogar, die Diskussion um die duale Ausbildung
dafür zu nutzen, diese bewährte Ausbildungsorganisation,
um die uns einst andere Länder beneideten, über ein anspruchsvolles
Prüfungsverfahren weiter zu stützen.
Literatur:
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(Erläuterungen zur Verordnung). Karlsruhe.
BIBB (Hrsg.) (1997): Handlungsorientierte Abschlussprüfung
für Versicherungskaufleute - Ein Praxishandbuch für Unternehmen,
Berufsschulen und Prüfer von Industrie- und Handelskammern.
Karlsruhe.
BISCHOFF, J. (1998): Schlüsselqualifikationen in den neuen
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in: DEUTSCHE ANGESTELLTEN-GEWERKSCHAFT (Hrsg.): Umweltkompetenz
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- alte Ausbildung? Hamburg, 37ff.
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In:
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WICHER, K. (1994): Unternehmensplanspiel "Mobile". In:
BEILER, J./ LUMPE, A./ REETZ, L. (Hrsg.): Schlüsselqualifikation,
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WOLF, R. (1995): Erfahrungen in den Abschlussprüfungen nach
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