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3. Politikhaltigkeit von berufsschulischen Organisationen
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Im Folgenden werden bezogen auf die Frage nach Kooperationen
in Berufsschulen die wesentlichen Grundannahmen und Zentralkategorien
des Mikropolitikansatzes vorgestellt: "Quasi-Ordnung",
"begrenzte Rationalität", "Macht, Ressourcen
und Spiele".
Eine der zentralen Grundannahmen ist die der Dialektik von
Struktur und Handlung, von Ordnung und Unberechenbarkeit.
Danach folgt die Konstitution von Organisationen und die Implementation
von Innovationen in beruflichen Schulen einerseits bestimmten
vorab formulierten Vorgaben oder Leitlinien (wie im Kontext
der Umstrukturierung von Berufsschulen zu Kompetenzzentren
oder der Implementation von Lernfeldern), andererseits können
diese Leitlinien durch Prozesse der Kooperation und Kommunikation,
die im Zuge von Veränderungsprozessen in Organisationen
stattfinden, modifiziert bzw. reformuliert werden.
Das heißt, der mikropolitische Ansatz negiert Strukturen
in Organisationen bzw. Vorschriften und Regeln zunächst
nicht und löst nicht das ganze organisationale Geschehen
als permanent zu Verhandelndes oder Verhandeltes auf. Dass
Organisationen Bestand haben, gegen Veränderungen geradezu
resistent sein können, aber auch, dass in Organisationen
trotz enger Vorgaben von außen, quasi an diesen vorbei,
Neuerungen eingeführt werden, deutet aus mikropolitischer
Sicht darauf hin, dass Strukturen, im Sinne von Ordnungen
und Regelungen, nicht gleichbedeutend sind mit Zwang, sondern
dass diese auch Handeln ermöglichen können. Dieses
wurde in der Mikropolitiktheorie insbesondere unter Rekurs
auf das GIDDENS'sche Theorem der "Dualität der Struktur"
(GIDDENS 1988) postuliert.
Zum einen gibt es strukturbildende Fakten wie Schulgesetze,
Rahmenlehrpläne, Stundenpläne, Dienstvorschriften,
hausinterne Regelungen und eine Reihe weiterer selbst etablierter
organisationsinterner Vorgaben, die an die Organisationsmitglieder
Anforderungen stellen. Zwar lassen auch deren Auslegungen
genügend Handlungsspielräume offen, aber nicht in
dem Ausmaß, dass Beliebigkeit möglich wäre
- diese wird nicht zuletzt durch unterschiedliche Sanktionen,
die durch die Ignoranz von Ordnungen hervorgerufen werden,
begrenzt. Dennoch lassen die formalen Bestimmungen so viel
Raum, dass die Handelnden in schulischen Organisationen für
bestimmte Handlungskonstellationen und Problemstellungen einen
eigenen Ordnungsrahmen etablieren, der "Formen der sachlichen
und sozialen Beherrschung in einem ziemlich genau abgegrenzten
Geltungsbereich [...] [reflektiert] und [...] aus einem Ensemble
von Prämissen, Regeln und Normativen [besteht]"
(BRACZYK 1997, 552f.). Sätze von Schulleitern oder Lehrern
wie, "bei uns ist das so", "diese Schule versteht
sich als...", "wir haben ein Team, und in diesem
gilt", "wir haben festgestellt, das geht am besten,
wenn wir uns öfters treffen...", weisen auf schulspezifische
Ordnungsrahmen hin. Solche Ordnungsrahmen ermöglichen
bei Neuerungen eine Verständigung über Aufgaben
und Ziele, tragen auch dazu bei, dass Wissen über Sachverhalte
vorausgesetzt werden kann, zeigen Entscheidenden und Handelnden
bestimmte Richtungen auf, können es auf der anderen Seite
aber auch erschweren, auf andere Möglichkeiten von Handeln
und Handlungskonstellationen auszuweichen. Ordnungsrahmen
bergen also auch das Risiko, sich darin niederzulassen, das
hieße dann unter Umständen etwa, dass nur so viel
wie nötig und so wenig wie möglich kommuniziert
und kooperiert wird. Hierdurch könnte die für Reformen
notwendige Dynamik eingedämmt werden. Ordnungsrahmen
können dann noch insofern einen legitimatorischen Wert
haben, als mit ihnen Unterlassungen begründet werden:
So können sachlogisch formulierte Sätze, wie: "wir
verstehen uns hier nicht als..." oder "wir haben
das schon ein paar Mal versucht, das kommt hier nicht an...",
"das lassen wir, das gibt nur Ärger...", "so
etwas geht hier nicht...", Verweigerungen der Arbeit
entschuldigen.
Aber auch in solchen Fällen gibt es unterschiedliche
Optionen, in Organisationen mit Ordnungen und Regeln umzugehen.
Sie sind keine "objektiven Faktizitäten", keine
dem Handelnden völlig fremd gegenüber stehenden
Gerüste, sondern indem sie ihren Wert nur und erst durch
das Erfahrungswissen und das Handeln der Akteure erhalten,
sind sie eng mit dem Handeln verwoben. Insofern Strukturen,
Ordnungen und Handeln quasi dialektisch miteinander verbunden
sind, haben erstere keinen reinen Zwangscharakter.
Dass Ordnungen und Vorgaben in das Handeln der Organisationsmitglieder
und der kooperierenden Akteure eingeschrieben sind, wie eine
Laufzeile sich durch den Vorgang des Entscheidens bzw. der
Wahl von Handlungen in Kooperationen zieht, dass diese aber
vorläufig keine reale, materielle Existenz haben, sondern
nur - wie GIDDENS meint - virtuelle und sich erst in "Erinnerungsspuren"
(wie etwas gemacht werden muss) und sozialen Praktiken konkretisieren,
öffnet den Blick dafür, Strukturen und Vorgaben
nicht als verdinglicht zu betrachten. "Struktur ist den
Individuen nicht äußerlich': in Form von
Erinnerungsspuren und als in sozialen Praktiken verwirklicht,
ist sie in gewissem Sinn ihren Aktivitäten eher innwendig'
als ein [...] außerhalb dieser Aktivitäten existierendes
Phänomen" (GIDDENS 1988, 77).
Die Kritik an der GIDDENS'schen Theorie richtet sich in erster
Linie gegen die vermeintliche Überhöhung von Handlungsmöglichkeiten
in Organisationen (vgl. NEUBERGER 1995, 300), andererseits
öffnen die Überlegungen den Blick dafür, dass
formale Vorgaben und explizite Vorschriften nicht die einzigen
Handlungsregulative in Organisationen sind.
Die begrenzte Rationalität in Organisationen - eine
Zentralkategorie der Mikropolitik, bei der an SIMONS Konzept
der "bounded rationality" (SIMON 1945) gedacht ist
- führt unweigerlich dazu, dass Situationen und Anforderungen
komplex und mehrdeutig sind. Sie resultiert daraus, dass Ziele
und Anforderungen nicht eindeutig definiert werden (können),
die Organisationsmitglieder nicht alle Handlungsoptionen und
möglichen Folgen überblicken und weniger danach
handeln, wie die Dinge "sind", als danach wie sie
wahrgenommen werden. Die Mitglieder in Organisationen bzw.
die Akteure von Reformvorhaben nehmen stets "unterschiedliche
Perspektiven auf das Geschehen ein [...] und [haben] sehr
unterschiedliche Weltausschnitte' der Organisationswelt
vor Augen" und nehmen die Dinge so wahr, "wie sie
sie wahrnehmen wollen" (ORTMANN 1989, 3f.). Insofern
das Ganze nicht eindeutig ist, einzelne Organisationsmitglieder
mit unterschiedlichen Lösungen für unterschiedlich
wahrgenommene Probleme aufwarten, eine Vielzahl an unterschiedlichen
Rationalitäten aufeinander treffen können, die nicht
immer harmonieren, besteht ständig ein zumindest latentes
Konfliktrisiko und die Gefahr der Destruiertheit ebenso wie
die Chance der Neukonstruktion bzw. Erweiterung von Anforderungen
und Zielen in Innovationsprozessen. Die gefundenen Lösungen
sind stets prekär und häufig temporär.
In verschiedenen sequenziellen, parallelen, offensichtlichen
oder für andere nicht sichtbaren "bargainings"
werden Ziele und Aufgaben neu gefunden oder bestätigt.
Einen entscheidenden Impuls für die Theorie der Mikropolitik
stellte das so genannte "Mülleimer-Modell"
(COHEN/MARCH/OLSEN 1972) oder der organisationstheoretische
Ansatz der "organisierten Anarchie" dar. Grundannahme
ist, dass Handeln in Organisationen nicht auf präzisierte
Ziele gerichtet ist, dass weder Einigkeit im Hinblick auf
das Problem noch auf die anzuvisierende Lösung und einzusetzenden
Mittel besteht. "Um die Prozesse in Organisationen zu
verstehen, kann man eine Entscheidungsgelegenheit als einen
Mülleimer sehen, in den die Teilnehmer verschiedene Arten
von Problemen und Lösungen [...] kippen. Das Mülleimergemisch
in einem einzelnen Eimer hängt ab von der Mischung verfügbarer
Eimer, von der Art des gegenwärtig produzierten Mülls
und von der Geschwindigkeit, mit der Müll gesammelt und
vom Ort des Geschehens entfernt wird" (ebd., 2). DUBS
ist der Auffassung, dass "dieses Modell die schulische
Realität treffend [beschreibt]" (1994, 149). Zu
fragen ist jedoch mit HASENBANK (2001), ob mit diesem Modell
die (bürokratischen) Strukturen und schulintern geschaffenen
Ordnungen nicht verharmlost werden und Handeln in Schulen
mit "Unvernunft" zusammenfällt.
Der mikropolitische Ansatz hingegen geht nicht von einer demontierten
Rationalität aus, sondern begreift sie immer nur als
begrenzt. Das bedeutet, dass nicht alles chaotisch und unvernünftig
verläuft, der Akzent liegt vielmehr auf Mehrdeutigkeit,
die zu Aushandlungen auffordert. In der Organisationstheorie,
auch jenseits mikropolitischer Ansätze, kursieren unterschiedliche
Formulierungen für Mehrdeutigkeiten und Widersprüchlichkeiten
in Organisationen. Amatai ETZIONI spricht von dem "organisationale[n]
Dilemma" (zit. n. SCOTT 1986, 186) und meint damit "[...]
die zwar reduzierbaren, aber nicht eliminierbaren unvermeidlichen
Spannungen zwischen organisationalen Erfordernissen und persönlichen
Bedürfnissen, zwischen Rationalität und Nicht-Rationalität,
zwischen Disziplin und Autonomie, zwischen formellen und informellen
Beziehungen". ZÜNDORF/GRUNT (1982) brachten den
Begriff von "pluralistischen" Organisationen ins
Spiel. "Das pluralistische Modell betrachtet Organisationen
als komplexe und heterogene Gebilde, deren relevante Differenzierungsachse
nicht nur organisatorisch, sondern darüber hinaus auch
gesellschaftlich, kulturell und politisch bedingt sind und
sich daher der völligen internen Kontrolle und (Um-)Gestaltung
durch Führungsgremien entziehen" (ebd., 22), von
einem "Netzwerk unterschiedlicher Koalitionen",
einer zweiten "locker gewebte[n] Realitätsschicht
über der "dicht gewebten Schicht formaler Organisationsstruktur"
(ebd.).
Grenzen der Rationalität und pluralistische Organisationen
schränken auch die Wirksamkeit von Konzepten des "Wissensmanagements",
die bei der Unterstützung von Innovationsprozessen wirksam
sein sollen, ein. Denn auch hierbei verfügen die Mitglieder,
die Wissen "managen", bewahren und verteilen sollen,
über unterschiedliche Ausschnitte dieses Wissens. Es
treffen unterschiedliche Wahrnehmungen und subjektive Relevanzen
aufeinander. Was beispielsweise nach oben, nach unten, nach
außen weiter gegeben wird, lässt sich nur begrenzt
steuern und ist in erster Linie Ergebnis von dem, was die
einzelnen "mitbekommen" haben sowie von interessengeleiteten
Deutungs- und Selektionsprozessen, die für andere nicht
immer transparent sind und auch nicht vollständig transparent
gemacht werden können. Wissen wird selten unverzerrt
weitergegeben, die Wissenszirkulation verläuft nicht
ohne Gerinnsel in den Leitungen, ohne unnötige Umwege,
ohne dass zwischendurch etwas verloren geht oder Neues, manchmal
nicht Gewünschtes hinzu kommt: "Jede Wissensweitergabe
bringt Streuverluste; zudem müssen die Informationen
rechtzeitig im Entscheidungszentrum anlangen, aufbereitet
sein (komplexitätsreduziert, vereinfacht, verfälscht?),
damit sie weiterverarbeitet werden können. Solange eine
Person einen Sendekanal belegt, kann eine andere ihre Informationen
nicht weitergeben - und oft werden Kanäle mit Redundanz
überlastet" (NEUBERGER 1995, 174). Bedeutsam für
den Prozess von Wissenszirkulation ist nicht nur die potenzielle
Gefahr von Wissensverlust und -streuung, sondern auch die
Tatsache, dass die Akteure "affektiv vernetzt oder gar
verstrickt [sind]. Die Qualität der konkreten sozialen
Beziehungen spielt eine erhebliche Rolle bei der Frage, ob
und welche Informationen wie weitergeleitet und interpretiert
werden" (ebd.).
Der prinzipiell prekäre Zustand von Strukturen bzw.
Ordnungen und die begrenzte Rationalität des Handelns
in Organisationen führt aus mikropolitischer Sicht zu
der Annahme, dass Handeln nicht einfach der Einsicht in die
Notwendigkeit und der Anerkennung von Sachzwängen folgt.
M.a.W. nicht einfache Sachaspekte sind Anstöße
für Innovationen, sondern Machtinteressen der Organisationsmitglieder
beeinflussen und steuern Kommunikations- und Kooperationsprozesse
maßgeblich mit. Dabei wird Macht nicht als etwas grundlegend
Negatives, als etwas Auszuschaltendes begriffen, sondern als
ein alltägliches Element in menschlichen Beziehungen
und sozialen Systemen. Macht, nach GIDDENS, ist "Ermöglichung"
und "Restriktion" zugleich: "Macht als solche
ist kein Hindernis für Freiheit und Emanzipation, sondern
deren Medium - freilicht wäre es töricht, den ihr
eigenen Zwangscharakter zu ignorieren" (GIDDENS 1988,
230).
Besonders die Auseinandersetzung von CROZIER/FRIEDBERG (1979)
mit "Macht in Organisationen" galt der mikropolitischen
Theoriebildung als Referenzliteratur. Für sie ist Macht
ein alltäglicher Bestandteil in sozialen Prozessen, eine
"vitale, nicht aus der Welt zu schaffende Tatsache, von
der unser Denken ausgehen muss" (CROZIER/ FRIEDBERG 1979,
276). Macht bedeutet für sie eine Voraussetzung für
Handeln, Interessendurchsetzung und Wahrung von Subjektivität
in Organisationen: "Macht zum Verschwinden bringen heißt
im Grunde nichts anderes, als die Autonomie der Akteure aus
der Welt zu schaffen" (ebd., 18). Insofern muss "jede
ernstzunehmende Analyse kollektiven Handelns [...] Macht in
das Zentrum ihrer Überlegungen stellen, denn kollektives
Handeln ist im Grunde nichts anderes als alltägliche
Politik. Macht ist ihr Rohstoff'" (ebd., 14).
Eine Organisation sei "letzten Endes nichts anderes als
ein Gebilde von Konflikten und ihre Funktionsweisen das Ergebnis
der Auseinandersetzung zwischen kontingenten, vielfältigen
und divergierenden Rationalitäten relativ freier Akteure,
die die zu ihrer Verfügung stehenden Machtquellen nutzen"
(ebd., 56f.). Der Prozess der Implementation von Reformkonzepten
in der Organisation Berufsschule wäre demzufolge zumindest
latent konflikthaft, von mehr oder minder vagen Zielbestimmungen,
zu verhandelnden Aufgaben, temporären Lösungen,
deren Akteure daran interessiert sind, ihre Machtquellen zu
vergrößern, Machtressourcen zu sichern und anzuhäufen,
bestimmt.
CROZIER/FRIEDBERG (1979, 50) haben vier große Machtquellen
unterschieden (siehe auch Abbildung 1):
a) die Beherrschung eines spezifischen Sachwissens,
b) Beziehungen zwischen der Organisation und ihrer Umwelt,
c) Kontrolle von Informationen und Kommunikationskanälen und
d) Kenntnisse der vorhandenen organisatorischen Regeln.
Das Verfügen über Machtquellen in kooperativen Beziehungen und Prozessen kann als wesentliche Voraussetzung dafür gelten, eine (neue) Zielrichtung von Organisationen und Leitbildern einzuschlagen oder zu blockieren.
Abb. 1: Die vier wesentlichen Machtquellen nach CROZIER/FRIEDBERG (1979)
Die zur Nutzung von Machtquellen relevanten autoritativen
und materiellen Ressourcen (vgl. GIDDENS 1988, 316) sind innerhalb
einer Organisation und je nach Konstellation auch in Reformprozessen
unterschiedlich verteilt. Über autoritative bzw. formale
Ressourcen verfügen in schulischen Organisationen Inhaber
diensthöherer Positionen (Schul- und Abteilungsleiter),
die in Entscheidungsprozessen von hoher Bedeutung sind. "Formelle
Positionen in der Organisation haben Vorteile bei der Situationskontrolle,
weil ihnen gleichzeitig mit der Position auch meist ein Spielraum
bei der Gestaltung von Verfahren zugestanden wird. Beispielsweise
obliegt Direktoren üblicherweise die Sitzungsleitung
von Lehrerkonferenzen. Allein durch die Wortwahl der Formulierung
von Anträgen, durch die Wahl des Zeitpunktes von Abstimmungen
oder durch die Delegierung von Aufgaben und Arbeitsgruppen,
durch Besetzungsvorschläge für Positionen und Arbeitsgruppen
bieten sich wichtige Einflussmöglichkeiten" (ALTRICHTER/SALZGEBER
1996, 105).
Aber auch jene, die über wichtige Kontakte nach außen
oder über bestimmte, für die Innovationsfähigkeit
der Organisation unentbehrliche Kenntnisse verfügen,
die kaum ein anderes Organisationsmitglied besitzt, haben
entscheidende Machtressourcen. Diese können ihre Ressourcen
dann sogar dazu nutzen, zu definieren, was als legitimes Problem
gilt. "In manchen Fällen kann die Definitionsmacht
über die Themen der öffentlichen Diskussion bis
zu einer Art kultureller Hegemonie einer Teilgruppe über
die Denkformen und -inhalte der Organisation führen"
(TÜRK 1989, 140). Mikropolitik in Organisationen wird
dann zu einem strategischen Spiel.
In der mikropolitiktheoretischen Auseinandersetzung hat die
Spielmetapher eine entscheidende Bedeutung. NEUBERGER (1995)
setzt sogar Spiel und Mikropolitik synonym (vgl. 82), betont
aber explizit, dass er damit den Ernst des organisationalen
Geschehens nicht überspielen will (ebd., 81). Mit der
Spielmetapher ist gesagt, dass es Spielräume des Handelns,
erfundene und verhandelte Regeln gibt. Das Spielen in Organisationen
bedeutet nicht das rücksichtslose Gegeneinander von Egoisten.
Die individualisierende Sichtweise würde eine Organisation
in Anarchie und Fragmentierung zerfallen lassen. Das Spielen
in Organisationen setzt soziale Arrangements - "mikropolitische
Kooperationen" - voraus, damit werden Handelnde in ihren
Kontexten gesehen. Für CROZIER/FRIEDBERG (1979) ist das
Spiel der Integrationsmodus, der Kitt in Organisationen. Spiele
können fair, ungerecht, asymmetrisch etc. sein. Mauscheleien,
Flirt, sich durch Ressourcen unentbehrlich machen, mit Dingen
nicht herausrücken, Ergebnisse "frisieren",
Verleumdung, Tratsch, Informationsfluss kontrollieren und
beeinflussen, Bluffen, Bummeln, etc. können Taktiken
in den verschiedenen Spielen sein. So kann das bewusst inszenierte
Zu-Spät-Kommen zu wichtigen Treffen der Kooperationsmitglieder
ein Versuch sein, die mangelnde Relevanz der Sitzung zu demonstrieren;
der Gruppe den Rücken zukehren und Sätze wie "ich
sag jetzt gar nichts mehr" sollen andere zum Hofieren
auffordern und dazu, ihre Solidarität kund zu tun.
ORTMANN differenziert zwischen Routine- und Innovationsspielen
(vgl. ORTMANN 1989, 6). Routinespiele wie das erwähnte
ständige Zu-Spät-Kommen einer einzelnen Person oder
das unentwegte Tuscheln zweier Kollegen auf einer Sitzung,
das chronische Verweigern einer Sekretärin, beim Tippen
die Formatvorlage zu nutzen, mögen an den Organisationsstrukturen
substantiell zunächst nicht viel ändern; dies geschieht
dann, wenn Innovationsspiele gespielt werden: "Der mikropolitische
Witz der Innovationsspiele liegt nun darin, dass ihr Inhalt
gerade darin besteht, die Routinespiele zu verändern
und zu reorganisieren, mit dem prekären Effekt, dass
dieses zarte Gewebe der Routinespiele zerstört oder doch
zumindest gefährdet wird" (ebd., 7). Innovationsspiele
können aus inszenierten oder informellen Beziehungen
resultieren, neue erfordern, andere fallen lassen. Wie erfolgreich
Innovationsspiele sind, hängt von den sie tragenden Handlungskonstellationen
ab. In denen es - wenn das Spiel offensichtlich ist - nicht
unwesentlich um die Frage geht, ob die Innovation die eigenen
Machtressourcen gefährdet oder erweitert.
ALTRICHTER/SALZGEBER (1996) sehen als Anlässe für
schulische Innovationsspiele "alle Veränderungen
der Definition der Organisation, ihrer Regeln und Ressourcen,
die die Handlungsmöglichkeiten der Organisationsmitglieder
verändern. Die Abwehr oder Durchsetzung von Innovationen,
die von den grand social dramas (wie z.B. die Zusammenlegung
von zwei Schulen) bis hin zu geringfügigen alltäglichen
Episoden (wie z.B. die Zuteilung eines Platzes im Konferenzzimmer
an eine junge Lehrerin) reichen können, können eine
Bedrohung der einmal etablierten sozialen Ordnung sein, zu
verstärkten Abstimmungs- (d.h. sowohl Abwehr- als auch
Chancennutzungs-)Aktivitäten führen und so Strukturen
und Macht in Organisationen sichtbar machen" (114f.).
Der mikropolitischen Ansatz zur Analyse von intraorganisationalen
Prozessen hat sich erst dann bewährt, wenn die zentralen
Kategorien bezogen auf zu untersuchende praktische Fälle
konkret ausdifferenziert werden, wenn ein mit dem Ansatz kompatibles
empirisch-methodisches Instrumentarium entwickelt und angewandt
worden ist. Das führt aber zunächst zu der Frage,
wie sich dieser Ansatz methodisch umsetzen lässt, welche
Fragen, Voraussetzungen und Forschungsprozesse reflektiert
werden müssen. Die Übersetzung dieser Theorie in
eine empirische Prozessanalyse erweist sich als hochkomplex,
insbesondere wenn man es mit NEUBERGER hält: "Ich
verwende Mikropolitik im Sinne einer Betrachtungsweise, die
die unterschwellige Feinstruktur in den politischen (Inter-)Aktionen
der Akteure aufzudecken versucht" (NEUBEGER 1995, 15).
Mikropolitische Prozessanalysen in Organisationen, die alles
überziehende (perforierte) Decke der Struktur, die Identifizierung
und Rekonstruktion der Akteure, ihrer Interessen, ihrer Ressourcen,
ihrer Strategien und Taktiken und nicht zuletzt die nicht-intendierten
Nebenwirkungen und praktischen Folgen lassen sich nur qualitativ
(z.B. anhand von qualitativer Fallanalysen und Prozessbegleitungen,
von teilnehmender Beobachtung, Interviews und Gruppendiskussionen)
erforschen - und zwar ohne Defizitorientierung und normative
Ansprüche.
In Anlehnung an BOGUMIL/KIßLER (2003) lassen sich folgende
Fragen auflisten, die für empirische mikropolitische
Organisationsanalysen - unabhängig von konkret zu untersuchenden
spezifischen Prozessen - forschungsleitend sind:
1. Wer gehört zu den Akteuren im Veränderungsprozess?
Wer ist Agierender oder Betroffener, wer sind Spieler, Ersatzspieler
und Zuschauer?
2. Welche Strategien verfolgen die Akteure und die Betroffenen?
Welche Interessen haben sie jeweils, über welche Machtressourcen
verfügen sie?
3. In welchen Phasen des Veränderungsprozesses (Regelsetzung,
Regelinterpretation, Regelumsetzung) agieren die verschiedenen
Akteure und was bedeutet dies für ihre Durchsetzungsfähigkeit
und damit für den Spielstand?
Schließlich geht es dann auch um die Ergebnisse, d.h.
um die Frage, in welcher Weise mikropolitische Prozesse den
Reformanspruch umgesetzt, redefiniert und modifiziert haben
und wo Brüche, Weichenstellungen, Barrikaden oder auch
Antriebe in Prozessen berufsschulischer Veränderungen
sind.
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