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Neuorientierung der beruflichen Rehabilitation Erwachsener
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Lieber Willi,
die Fachtagung "Englisch in der beruflichen Bildung"
am 11./12.09.02 im Berufsförderungswerk Nürnberg war eigentlich
Dein Werk, nicht unseres. Du hattest das Gespür dafür,
dass die stiefmütterliche Behandlung des Fremdsprachenunterrichts
an Berufsförderungswerken ein Ende haben müsse. Du wolltest
Aktivitäten bündeln, damit die zahlreichen Englischlehrerinnen
und wenigen Englischlehrer Selbstbewusstsein tanken, Informationen
austauschen und Mut und Strategien zur Aufbesserung ihres Stellenwertes
in die eigenen Einrichtungen mitnehmen konnten. Dabei habe ich Dich
ein wenig unterstützt, zum Beispiel mit einem Einleitungsvortrag,
aber auch mit ein bisschen handgemachter Musik (wir singen doch
so gern in Seminaren!). Den damaligen Vortrag habe ich überarbeitet;
er ist jetzt mehr als doppelt so lang und dreimal so aktuell wie
damals. Schade, dass Du ihn - aus dominanten Gründen der Geheimhaltung
- nicht redigieren kannst! Ich hoffe sehr, dass die Leser/Aufrufer
die Qualitätseinbuße nicht spüren.
Es wird heute geradezu inflationär von Paradigmenwechseln
und Neuorientierungen gesprochen. Das ist meist weder originell
noch treffend. Oft wird nicht einmal begründet, weshalb überhaupt
eine Neuorientierung nötig ist. Für meinen Fall gibt es
eine Reihe von Ausgangspunkten:
· Die mangelhafte Aufnahmefähigkeit des Arbeits-
und des Ausbildungsmarktes und der damit wachsende Druck auf die
Reha-Träger und -Einrichtungen, mit weniger finanziellen
Mitteln quantitativ und qualitativ mehr zu leisten.
· Die Prominenz der Zielvokabel "Beschäftigungsfähigkeit"
(Employability (vgl. dazu den Aufsatz des Verfassers: SEYD 2002b)).
· Die Auswirkungen des EU-Rechts hinsichtlich Konkurrenz
und Ausschreibungen auch im Sozial- und Bildungsbereich.
· Der Zeitpunkt 1.1.2004, an dem die Berufsförderungswerke
- wie die Berufsbildungswerke bereits seit 1999 - in die wirtschaftliche
Eigenständigkeit entlassen werden.
· Die dramatische Entwicklung des Überschuldungsgrades
der öffentlichen Haushalte einschließlich der Sozialversicherungsträger.
· Die Hilf- und Perspektivlosigkeit sozialpolitischer Rettungsversuche
einschließlich der mangelhaften Umsetzung der Vorschläge
der HARTZ-Kommission.
· Die Erkenntnisse berufspädagogischer Forschung zur
Optimierung von Lernprozessen in der beruflichen Bildung, verknüpft
mit den Grundsätzen der Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit
und Teamsteuerung.
Fazit: Sowohl die förderlichen als auch die
zwingenden Faktoren erheischen eine generelle Umorientierung. Auf
eines muss dabei hingewiesen werden: "Neuorientierung"
darf nicht in dem Sinne verstanden werden, dass die Rehabilitationseinrichtungen
sich in aller Ruhe mit Situationsveränderungen beschäftigen
und in eben solcher Ruhe Reaktionsmöglichkeiten ausdenken könnten;
dazu ist der Erwartungsdruck der Rehabilitationsträger vor
dem Hintergrund ihrer finanziellen Probleme zu hoch, dazu sind auch
die Rehabilitationsträger allzu sehr geneigt, die Rehabilitationseinrichtungen
mit Forderungen zu überziehen, seien sie sinnvoll oder nicht,
seien sie als Bestandteil eines mehr oder weniger vernünftigen
Konzeptes offen ausgelegt oder nur in Sitzungen von Mund zu Mund
verkündet oder berichtet; dies wird uns in Kapitel 4 in aller
Aktualität interessieren. Zuvor sollen in Kapitel 3 allgemeine
Neuorientierungsaspekte ausgebreitet und kommentiert werden; dies
vor dem Hintergrund in Kapitel 2 angesprochener "Kernfragen";
all das bedarf eines Aufrisses der Situation beruflicher Rehabilitation,
und der wird im folgenden Kapitel 1 geboten.
1. Die Situation in der beruflichen Rehabilitation behinderter
Menschen
Die Zahl behinderter Menschen, die auf Leistungen zur beruflichen
Rehabilitation angewiesen sind - Jugendliche wie Erwachsene - steigt
weiterhin: Nahmen im Jahr 2001 rund 120.000 Leistungsberechtigte
derartige Leistungen in Anspruch, so waren es ein Jahr später
rund 140.000. Trotz der gestiegenen Zahl gibt es keine Abstriche
bei deren Ansprüchen: Sie streben einen Berufsabschluss auf
möglichst hohem Niveau mit anschließender gut bezahlter
Berufstätigkeit in einem dauerhaften, sicheren Beschäftigungsverhältnis
an.
Der Anstieg ist nicht allein demografisch begründet; in ihm
schlägt sich auch die hoch problematische Arbeits- und Ausbildungsmarktsituation
nieder:
· Noch immer sind rund 160.000 Jugendliche nicht mit einem
Ausbildungsplatz versorgt (Stand August 2003),
· ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland zwischen
Mai 2003 und Mai 2002 um 630.000 zurückgegangen und
· musste die Bundesanstalt für Arbeit in den ersten
5 Monaten des Jahres rund 25 % mehr Arbeitslosengeld zahlen als
in ihrem Haushalt für 2003 eingeplant.
Das lässt Böses für die Kostensatzverhandlungen zwischen
den Reha-Einrichtungen und ihrem Hauptfinancier, der Bundesanstalt
für Arbeit, erahnen!
Die Lage der Berufsförderungswerke ist von Überauslastung
vorhandener Kapazitäten gekennzeichnet, auch bei Berufsbildungswerken,
Beruflichen Trainingszentren und Werkstätten für behinderte
Menschen übersteigt die Nachfrage insgesamt gesehen das vorhandene
reguläre Platzangebot. Die hervorragende Belegung kann - neben
der ohnehin gestiegenen Zahl anspruchsberechtigter Personen - als
Vertrauensbeweis der Rehabilitationsträger für die hervorragende
Arbeit der Einrichtungen angesehen werden, hängt aber auch
mit einem Anschwellen bestimmter Personenkreise zusammen: So beträgt
die Zahl der psychisch kranken Menschen bei den Berufsbildungswerken
inzwischen rund 1.400 von 13.000, bei den Berufsförderungswerken
etwa 3.000 von 15.000.
Demnächst werden auch die Anteile hörbehinderter Teilnehmer
sprunghaft steigen; jetzt schon spürbar ist der Anstieg Mehrfachbehinderter,
die sowohl eine körperliche als auch eine mentale Beeinträchtigung
mitbringen.
Die Situation der Rehabilitationsträger (Arbeitslosenversicherung
(Bundesanstalt für Arbeit), Rentenversicherung (Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte - BfA -, Landesversicherungsanstalten - für
gewerbliche Arbeitnehmer), Berufsgenossenschaften/Unfallversicherungen;
seit 1.7.01 auch Krankenkassen und Träger der überörtlichen
Sozialhilfe)ist unterschiedlich: Berufsgenossenschaften verfügen
über mehr als ausreichende Mittel, stellen aber nur etwas mehr
als 10 % der Teilnehmer. Die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger
ist bekannt, bedrohlich wirkt vor allem die düstere Perspektive
angesichts zunehmender Überalterung der Gesellschaft (Straubhaar
2003). Positiv wirkt sich aus, dass ab 2006 mit einer Knappheit
an qualifizierten Arbeitskräften gerechnet wird.
Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) sieht in diesem Jahr (2003)
einem Defizit von über 8 Mrd. Euro entgegen: Sie sucht händeringend
nach Möglichkeiten, die Ausgabenseite durch Kostenverlagerungen
und -senkungen zu entlasten.
2. Kernfragen zur Einschätzung der Situation
Nacheinander sind Arbeitslosenversicherung, Kranken-, Renten- und
Pflegeversicherung wegen mangelnder finanzieller Ausstattung in
die öffentliche Diskussion geraten. Das Gesundheitssystem steht
nach Auffassung mancher Experten vor dem Kollaps (EDERER 1992);
der Bundesbeauftragte für behinderte Menschen, Karl-Hermann
HAACK, erwartet gar, dass das Sozialsystem "in absehbarer Zeit
implodieren wird"(in einer Veranstaltung am 16.5.03 in Berlin.).
Bei der Bundesanstalt für Arbeit, die etwa 45 % der Leistungen
zur beruflichen Rehabilitation Erwachsener und fast 100 % der Leistungen
zur beruflichen Rehabilitation behinderter Jugendlicher finanziert,
ist die Sorge groß, dass die für die kommenden Jahre
zur Verfügung stehenden Mittel nicht reichen werden, um die
Ansprüche aller Leistungsberechtigter hinreichend befriedigen
zu können. Ihre Vertreter denken über drastische Einschränkungen
bei den bisher gewährten Leistungen nach: (Rück-)Verlagerung
der Ausbildung behinderter Menschen in private Betriebe, Segmentierung
für bestimmte Personengruppen, Modularisierung, Teilqualifizierung,
Erfolgsbindung (Verbleibsquote als entscheidender Maßstab
für die Zuerkennung einer Leistung) und öffentliche Ausschreibung
bislang geschützter Leistungen sind Strategien, die gegenwärtig
in der Führungsetage erwogen werden.
Diskussionen um die Qualität beruflicher Rehabilitation machen
oft einen Bogen um die Prozessqualität; sie widmen sich - trägergewollt
- zentral der Ergebnisqualität und - leistungserbringergewollt
- primär der Strukturqualität. Seit HAVIGHURST (1966)
unterscheidet man Ergebnis-, Prozess- und Strukturqualität.
Doch merke: Die Güte der Ergebnisse ist abhängig von der
Güte der Prozesse, die wiederum von der Güte der Strukturqualität
mitbestimmt wird! Man kann Ergebnisqualität quantitativ (anhand
von Messgrößen wie Anmeldezahlen, Abbruchquoten, Prüfungserfolgsquoten,
Eingliederungsquoten) oder qualitativ (Verlässlichkeit, Teamfähigkeit,
Selbstständigkeit etc. /ausgeführt in SEYD 2002a )) messen
und bewerten. Prozessqualität lässt sich an Verfahren
und Instrumenten festmachen, Strukturqualität an sachlichen
und personellen Voraussetzungen. Eine Verengung des Qualitätsbegriffs
auf die Ergebnisqualität mag aus der Sicht der Financiers verständlich
erscheinen; sie verkennen aber, dass die Ergebnisse auch von Faktoren
wie Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes und Motivation der
Absolventen abhängig ist und dass die Maßnahmen zur Verbesserung
der Prozessqualität zu spät gefällt werden, wenn
sie erst durch schlechte Ergebnisse indiziert sind (Deshalb hat
die japanische Automobilindustrie schon in den 30er Jahren die Prozessqualität
vor der Ergebnisqualität gemessen, so dass in die Produktion
selbst so eingegriffen werden konnte, dass die Ergebnisse sich deutlich
verbessern ließen (SEYD 1995).).
Gleichwohl ist die wichtigste Kennziffer für Reha-Träger
wie für die Leistungserbringer die Eingliederungsquote. Sie
wird seit Jahren festgestellt (1976 zuerst) und liegt bei den Berufsförderungswerken
seitdem stets oberhalb 70 % (BEIDERWIEDEN 1994), bei den Berufsbildungswerken
seit Jahren oberhalb 60 %. Sie ist allerdings definiert als Quotient
in Beschäftigung befindlicher Absolventen zu erfolgreich durch
die Prüfung gekommenen Teilnehmern. Die Abbrecher werden nicht
berücksichtigt.
Qualitative Daten über die Ergebnisqualität, etwa zu den
für eine Einstellung entscheidenden Faktoren Verträglichkeit,
Verlässlichkeit und Selbstständigkeit liegen nicht vor
(SEYD 2002a). Die Prozessqualität kann sich auf Verfahren beziehen,
beispielsweise
· Unterweisung
· Beratung
· Unterstützung
· Training
· Projektarbeit,
sie kann sich auch auf Instrumente beziehen und meint dann in der
Regel die in Anlage 1 zum Rahmenvertrag zwischen der Arbeitsgemeinschaft
Deutscher Berufsförderungswerke und den Reha-Trägern aus
dem Jahre 1999 festgeschriebenen:
· individueller Förder- und Integrationsplan,
· Leistungshandbuch,
· Abschlussberichte,
· Teilnehmerbefragungen,
· Ergebnisdokumentationen und
· Nachbefragungen.
Hierzu liegen keine flächendeckenden, alle 27 und demnächst
28 (+ BFW Mainz) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke
angehörenden Einrichtungen umfassende Bestandsaufnahmen vor.
Angesichts der gestiegenen Fallzahlen an Leistungsberechtigten einerseits
und der problematischen Eingliederungssituation auf dem Arbeitsmarkt
andererseits wird Diagnostik immer größer geschrieben.
Die Berufsförderungswerke haben Assessment-Programme aufgelegt,
die präziser sind und validere Ergebnisse zeitigen sollen als
Berufsfindungen. Assessment ist mehr als nur Diagnose (PECHTOLD
et al. 2003): Eine Kombination aus Tests, Arbeitsproben, Gesprächen,
Rollenspielen ist prognostisch valider als eine Berufsfindungsmaßnahme
(SEYD et al. 1988), stellt aber kein "Allheilmittel" zur
Optimierung der prognostischen Validität und damit der Zuweisung
von Leistungsberechtigten zu für sie geeigneten Maßnahmen
dar. Bei den Arbeitsämtern nimmt augenscheinlich angesichts
der Fülle und Geschwindigkeit der Testungen die prognostische
Validität ab, zudem können Entwicklungschancen, die in
der Persönlichkeit des Rehabilitanden liegen, meist nur unzureichend
berücksichtigt werden.
3. Neuorientierungsaspekte
1. Selbstbestimmung wird gegenwärtig groß geschrieben;
das gilt auch und besonders für behinderte Menschen. Das SGB
IX verlangt Teilnehmerbeteiligung bereits in den Reha-Einrichtungen.
Das ist eine große Aufgabe, die nur mit vielen großen
und kleinen Schritten bewältigt werden kann. In der deutschen
Bildungsgeschichte gibt es, vor allem in den 20er Jahren, eine Reihe
von interessanten Ansätzen, gerade auch in der Berufsbildung,
die zum Ausgangspunkt für entsprechende Modellversuche genommen
werden könnten (BLANKERTZ 1982; GREINERT 1993).
Teilnehmer können auf drei Ebenen beteiligt werden:
· individuell: Der individuelle Förderplan und das Fördergespräch
sind die maßgeblichen Instrumente,
· in der Lerngruppe: Jour fixe und Wochenbesprechung sind
geeignet, um die Teilnehmer an der Reflexion und Planung der Lerngruppenarbeit
wirksam zu beteiligen,
· in den Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation soll
es eine engagierte Teilnehmervertretung geben.
Mittlerweile sind die individuellen Förderpläne - wie
sie bereits 1999 im Rahmenvertrag zwischen den Reha-Trägern
und den Berufsförderungswerken sowie zwischen der Bundesanstalt
für Arbeit und den Berufsbildungswerken verbindlich festgelegt
worden sind - Standard in den Einrichtungen, wenngleich in sehr
unterschiedlichen Formen und Verfahren (siehe dazu auch den Beitrag
Aretz in dieser Ausgabe.). Jour fixe sind allerdings noch keineswegs
gang und gäbe; auch ist die Art und Weise, wie der Jour fixe
durchgeführt wird, stark abhängig vom Interesse der Lehrenden
an gezielten
Rückmeldungen durch die Teilnehmer, an der Bearbeitung sozial
relevanter Gruppenthemen und an der Beteiligung an der Planung, Gestaltung
und Reflexion der Lernsituationen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke hat in ihrer
Sitzung im Mai 2003 ein Eckpunktepapier zu den Teilnehmervertretungen
verabschiedet. Es definiert die Errichtung derartiger Mitwirkungsorgane
als notwendig und benennt Standards der Wahl von Vertretern und der
Beteiligung an Entscheidungsprozessen in den Einrichtungen.
In der aktuellen Diskussion befindet sich derzeit das "persönliche
Budget", wie es in § 17 SGB IX als eine Leistungsmöglichkeit
bestimmt ist. Zwei Ziele sollen mit ihm verfolgt werden:
· Der Leistungsberechtigte soll in seinen Gestaltungsrechten
gestärkt werden,
· er soll Bündnispartner bei der Verbesserung der Leistungsqualität
sein, die von Reha-Einrichtungen geboten wird, und bei der Senkung
von Kosten, insbesondere durch Bevorzugung ambulanter gegenüber
(idR teureren) stationären Maßnahmen (WILMERSTADT 2003,
7 ff.).
Das Interesse der Leistungsberechtigten scheint in Deutschland allerdings
nicht sehr groß zu sein; schließlich bereitet es große
Schwierigkeiten, Teilnehmer für einen Modellversuch in Baden-Württemberg
zu gewinnen (SCHILLINGER 2003, 30). Das wird auf die mit einem derartigen
Budget verbundene Nachweispflicht (VIEWEG 2003b, 54) und auf die Furcht,
geringerwertige Leistungen als bei der Bewilligung von Sachleistungen
zu erhalten oder sich an Preisverhandlungen beteiligen zu müssen
(RITTER 2003, 49 f.). Jedenfalls grenzen die Rentenversicherungsträger
den Umfang der mit dem persönlichen Budget "einkaufbaren"
Leistungen von vornherein ein (SCHILLINGER 2003, 47); sie bemessen
auch den Umfang des Budgets durch die Kosten der Sachleistungen (ebenda,
29), so dass sich dem Leistungsberechtigten letztlich auch gar keine
Vorteile erschließen, zumal er auch noch mit einem "Missbrauchsverdacht"
(VIEWEG 2003b, 53) konfrontiert wird. Hier sind noch erhebliche Vorbehalte
auszuräumen, um den Rückstand gegenüber europäischen
Ländern (Niederlande, Großbritannien, Schweden), in denen
das persönliche Budget schon seit über 20 Jahren erfolgreich
praktiziert wird (WILMERSTADT 2003, 13), aufzuholen.
2. Handlungsorientierte Rehabilitation ist eine didaktische Kategorie,
keine auf formalem Wege organisierbare Eigenschaft eines Berufsförderungswerks
. Sie droht zu einer Leerformel zu verkommen, wenn ihre Verfechter
sie nicht exemplarisch und systematisch mit Leben füllen (
eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Begriff findet
sich in SEYD 1997.).
Die Kriterien ganzheitlichen, handlungsorientierten Lernens sind
im gbRE-Projekt deutlich herausgearbeitet worden (SEYD et al. 2000;
SEYD/BRAND 2002):
· die 3 Prinzipien der Ganzheitlichkeit, Handlungsorientierung
und Teamsteuerung,
· die 20 Gestaltungsmerkmale und
· die 6 im Rahmenvertrag vereinbarten Instrumente.
Damit verfügen die Berufsförderungswerke über ein
geschlossenes System, mit dem sie ganzheitliche, handlungsorientierte,
teamgesteuerte berufliche Rehabilitation sicherstellen können.
Handlungsorientierung macht Ernst mit der Forderung nach erwachsenengerechtem
Lernen. Zentrales Leitmotiv ist die "berufliche Handlungskompetenz".
In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, auf die Ausarbeitung von
Heinrich ROTH über die drei Dimensionen der Sach-, Sozial-
und Selbstkompetenz (ROTH 1971) zurückzugreifen und sie mit
dem Prinzip der "vollständigen Handlung" zu kreuzen
(HACKER 1973). Demnach ist eine Handlung dann als "vollständige"
zu bewerten, wenn nacheinander die 6 Phasen des Recherchierens,
Informierens, Planens, Entscheidens, Ausführens und Kontrollierens
durchlaufen werden. Dementsprechend sind "handlungsorientierte
Lernsituationen" zu schaffen (z.B. DIEPOLD 1991).
"Ganzheitlichkeit" stellt einen an sich positiv besetzten
Begriff dar, der leicht zu einer unkritisch verwendeten Floskel
verkommen kann (SCHMIDT 1998). Er wird in der beruflichen Rehabilitation
in drei Ausprägungen verwendet, die allesamt ihre Berechtigung
hinsichtlich einer adressatenorientierten Didaktik besitzen:
· Die Gesamtpersönlichkeit des Teilnehmers ist in den
Blick zu nehmen, nicht der bloß kognitive Lernbereich.
· Die in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Fachkräften
unterschiedlicher Profession liegen Möglichkeiten sind auszuschöpfen.
· Die Eingangsvoraussetzungen der Teilnehmer sind bei der
Planung und Gestaltung von Lernsituationen ebenso zu beachten wie
die persönliche Situation während der und im Anschluss
an die Rehabilitationsmaßnahme (zu den Klagen über mangelhafte
Kulturtechniken bei den heutigen Schulabsolventen vgl. Kutscha 2001.).
Damit ist - um einem verbreiteten Vorurteil entgegen zu treten -
nicht der Vernachlässigung der Fachkompetenz das Wort geredet;
ihre Bedeutung ergibt sich schon daraus, dass sie von künftigen
Arbeitgebern als selbstverständlich vorausgesetzt wird und
in Abschlussprüfungen immer noch eine dominante Rolle spielt
(SCHMIDT 2000).
Erste Versuche mit selbstgesteuerten Teams, beispielsweise bei Volvo
in Schweden Ende der 60er Jahre, waren aufschlussreich, boten aber
wenig Anlass zu der Hoffnung, dass Teamarbeit einmal besonderen
Einfluss auf die Qualität der Arbeit in Industriebetrieben
und auf die Qualität der dort erstellten Produkte haben würde
(KERN/SCHUMANN 1970). Inzwischen haben Industriesoziologen gar die
Frage aufwerfen können, ob "das Ende der Arbeitsteilung"
(KERN/SCHUMANN 1986) gekommen sei. Mitarbeiter müssen systemisch
denken und sich als wirksamen Teil eines Gesamtsystems Betrieb begreifen
können (BAETHGE/OBERBECK 1986); das gilt für die gewerbliche
Wirtschaft ebenso wie für den Handel (BAETHGE/OBERBECK 1992),
in Berufsbildungseinrichtungen nicht minder.
Teamsteuerung lässt sich nicht verordnen; sie muss - auch
in sozialen Bildungsunternehmen - wachsen. Sonst löst der Einführungsprozess
Gegenreaktionen aus, die zur Diffamierung eines wichtigen Steuerungs-
und Gestaltungselementes der Rehabilitationsarbeit (Ein boshaftes
englisches Bonmot sagt: "A camel is a horse, designed by a
team.") und damit zu seiner Abschaffung führen können.
3. Organisationsentwicklung wird als Gestaltungsaufgabe auch in
Bildungseinrichtungen immer bedeutsamer (DALIN 1986; DÜRR 1989;
ARNOLD 1991; BAUMANN 1993). Eine solide Auseinandersetzung mit ihren
Möglichkeiten und (menschlich-institutionell bedingten) Grenzen
ist nicht überall erkennbar. Stimmige Einbettung in gesellschaftliche
Entwicklungen und sorgfältiger Abgleich mit den Anforderungen
von "außen" (Rehabilitationsträger, politische
Instanzen) sind unerlässlich.
OE ist an Maximen orientiert, die in der Literatur ziemlich unstrittig
sind: größtmögliche Beteiligung der Mitarbeiter,
Orientierung an Zielvereinbarungen, Offenlegung der Ziele und Verfahren
im Unternehmen usw. (BAUMGARTNER et al. 1996; ENGELHARDT et al.
1996)
Es ist nicht erkennbar, dass in der Mehrzahl an Rehabilitationseinrichtungen
eine systematische, Personalentwicklung/Fortbildung einbeziehende
und auf eine mittelfristige Finanzplanung gestützte OE wirklich
stattfindet. Es überwiegen isolierte Aktivitäten. Es scheint
auch nicht Gemeingut zu sein, dass die Qualität der von Belegschaften
erbrachten Leistungen in starkem Maße von ihrer Beteiligung
an der Gestaltung von OE-Prozessen abhängt; und dass diese
Beteiligung nicht nur die Motivation der Mitarbeiter steigert, sondern
selbst Voraussetzung für ein Gelingen von OE-Prozessen darstellt
(BENTELER 1997).
4. Nicht alle, die von Qualitätsmanagement, -sicherung etc.
reden, haben ein klares Bild von den mit diesem Begriff gefassten
Phänomenen. Die Erwartungen, die mit QMS verknüpft werden,
werden nur von einer systematischen, versiert vorgenommenen QMS
erfüllt
Es besteht kein Zweifel daran, dass Nachweis- und Offenlegungspflichten
der Leistungserbringer härter werden. Zudem wird ein höheres
Maß an Planung und Steuerung verlangt. Das betrifft insbesondere
den individuellen Förder- und Integrationsplan, den man durchaus
als innerbetriebliche Leistungsvereinbarung zwischen Leistungserbringer
und Leistungsberechtigtem ansehen kann.
Auch die Regelungen des § 20 (1) SGB IX hinsichtlich Qualitätssicherung
durch die Reha-Träger und Qualitätsmanagement durch die
Leistungserbringer zielen in diese Richtung (Die Auswirkungen des
SGB IX sind in Tabellenform aufbereitet in den Anhang zum Abschlussbericht
des Transferprojektes aufgenommen worden: SEYD/BRAND et al. 2002
). Inzwischen ist die "Gemeinsame Empfehlung der Rehabilitationsträger
zur Qualitätssicherung" unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft
für Rehabilitation erarbeitet und mit Wirkung 1.7.03 vom Bundesminister
für Gesundheit und soziale Sicherung in Kraft gesetzt worden.
Sie setzt ihren Schwerpunkt auf die Ergebnisqualität, enthält
aber auch Vorgaben für Prozess- und Strukturqualität.
Die Leistungsberechtigten werden ebenso wie die Leistungserbringer
nur unzureichend an der Qualitätssicherung beteiligt. Die Rehabilitationsträger
sind letztlich bestimmend, ungeachtet der Aufwertung, die den Leistungsberechtigten
durch das SGB IX zuteil wurde und ungeachtet der Standards, die
in der privaten Wirtschaft bei externen Qualitätsprüfungen
- bei denen die Geprüften die Gelegenheit bekommen, vor der
Prüfung selbst an der Formulierung der Qualitätskriterien
mitzuwirken - gezogen werden (zur Kritik vgl. SEYD 2003).
5. Wirtschaftlichkeit als Unternehmensziel der Berufsförderungswerke
wird nicht nur groß geschrieben, sondern übergroß
gedeutet, nimmt man den eigentlichen Betriebszweck eines sozialen
Bildungsträgers zum Maßstab.
Ein Teil der Führungskräfte freut sich über die zusätzlichen
Gestaltungsspielräume, die sie ab 2004 mit der wirtschaftlichen
Selbstständigkeit erhalten, die anderen fürchten den Wettbewerb
mit Anbietern, die ihre Leistungen günstiger kalkulieren können,
weil sie einen geringeren Personalstatus oder günstigere Tarifverträge
besitzen. Es ist absehbar, dass die Leistungsvielfalt zunehmen wird,
aber auch die Suche nach Einkünften, die zur Stabilisierung
der mit den Reha-Trägern vereinbarten Preise beitragen können.
Die Bundesanstalt für Arbeit hat den Rehabilitationseinrichtungen
jüngst zugestanden, ihren Unternehmenszweck über die eigentliche
Unternehmensaufgabe (z.B. Erwachsenen, die wegen einer Behinderung
ihren zuletzt ausgeübten Beruf nicht weiter ausüben können,
durch Umschulung zu einer neuen Berufsperspektive zu verhelfen,
wie das die Berufsförderungswerke tun) hinaus auf andere Geschäftsfelder
(z.B. Führung von Integrationsabteilungen, Beteiligung am Benachteiligtenprogramm,
Erstellung von Leistungen für den allgemeinen Markt) auszudehnen.
Mit dieser "Aufweichung" der jahrelang hochgehaltenen
"Zweckbindung" ist allerdings auch vermacht, dass die
Bundesanstalt für Arbeit die institutionelle Förderung
bei Bau- und größeren Investitionsvorhaben einstellt.
Die Einrichtungen sollen dies über ihre Kostensätze finanzieren.
Sie sollen künftig auch selbstständig wirtschaften können,
also Gewinne erzielen oder Verluste in Kauf nehmen.
Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation sind allerdings ihrem
Sinn und Zweck nach soziale Bildungseinrichtungen, die einem besonders
zu fördernden Personenkreis gewidmet sind und die wegen der
mit dieser Förderung verbundenen besonderen Bedingungen einen
Schutz vor wettbewerbsindizierter Qualitätseinbuße genießen
müssen. Es ist ein krasses Vorurteil, wenn soziale Dienstleistungsunternehmen
a priori als unwirtschaftlich eingestuft werden. Der renommierte
amerikanische Wirtschaftswissenschaftler KRUGMAN wendet sich entschieden
gegen diese Fehlmeinung (2002). Nicht, dass die Rehabilitationseinrichtungen
nicht kostenbewusst wirtschaften und mit den ihnen zur Verfügung
stehenden Mitteln nicht sparsam umgehen müssten! Aber sie können
in einem Wettbewerb, der nach wirtschaftlichen Kategorien ausgetragen
wird, nicht bestehen, solange sie sich den Personenkreis, den Gestaltungsauftrag,
die tarifliche Bindung ihrer Entgeltzahlung und ihre Erfolgsbedingungen
(desolater Arbeitsmarkt!) nicht aussuchen können.
6. Mit dem Hinweis auf die HARTZ-Kommission kann man viele Diskussionen
bereichern; es findet sich aber in dem Konzept nur wenig, das Fingerzeige
und Grundlagen für die Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation
bietet.
Der generelle Perspektivenwechsel geht von der Orientierung der
BA-Mitarbeiter an dem "Ratsuchenden" hin zur betrieblichen
Personalanforderung und von der Qualifizierung für einen Lebensberuf
hin zu einer betriebsbezogenen Qualifizierung. Die Persönlichkeitsentwicklung
als Rehabilitationsgegenstand könnte Schaden nehmen. Zudem
sind kürzere Maßnahmen von den Reha-Trägern gefordert
worden; diese verursachen aber stark erhöhte Kosten und lassen
oft die Entwicklung von Sozial- und Selbstkompetenz illusorisch
werden.
Wohnortnähe ist eine weitere Forderung der Reha-Träger.
Dieses Prinzip ist allerdings den tragenden Prinzipien der Individualität
und Normalität nachgeordnet (WITTWER 2001; SEYD 2001). Trotzdem
darf man es nicht aus den Augen verlieren. Das regionale Netz der
Berufsförderungswerke dürfte noch engmaschiger werden.
Vergleichbare Ausbaupläne sind von den anderen Rehabilitationseinrichtungen
nicht bekannt. Berufsbildungswerke, Berufliche Trainingszentren,
Werkstätten für behinderte Menschen und Medizinisch-berufliche
Einrichtungen sind bis auf wenige Ausnahmen jeweils auf einen Standort
beschränkt.
4. Aktuelle Auseinandersetzungen
1. Die Rehabilitationsträger, allen voran die Bundesanstalt
für Arbeit (BA), drängen die Leistungserbringer, ihre
Kosten weiter in erheblichem Umfang zu reduzieren. Ihre Vertreter
gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren erheblich weniger
Mittel für die berufliche Rehabilitation zur Verfügung
stehen, und das bei einem weiter wachsenden Personenkreis. Dabei
ist der tatsächliche finanzielle Hintergrund gar nicht klar.
Schon der Haushalt der BA für 2004 ist nicht bekannt. Ob angesichts
der Lehrstellenproblematik (über 160.000 unversorgte Bewerber,
lediglich rund 50.000 offene Lehrstellen lt. Ministerin BUHLMAN
am 5.9.03) von der Bundesregierung wieder ein Sonderprogramm aufgelegt
wird, dessen finanzielle Bindungen dann bis in 2004 hineinragen
und für das kommende Wirtschaftsjahr insbesondere für
Neuaufnahmen in der beruflichen Rehabilitation notwendige Mittel
absorbieren, ist nicht abzuschätzen.
2. Die Bedarfssituation ist ebenfalls nicht klar, weder bei den
Berufsförderungs- noch bei den Berufsbildungswerken. Bei letzteren
hängt sie von den Absolventenzahlen sowohl bei den allgemeinbildenden
Schulen, insbesondere den Sonder- bzw. Förderschulen, ebenso
ab wie von den Absolventenzahlen bei den "zwischengelagerten"
Förder- und Vorbereitungsmaßnahmen sowohl im Kultus-
als auch im Arbeits-/Sozialbereich. Zudem ist die nach wie vor sinkende
Bereitschaft der Betriebe zu beachten, behinderten Jugendlichen
einen Ausbildungsplatz zu gewähren.
3. Die an verschiedenen Stellen entwickelten und bei verschiedenen
Anlässen kolportierten inhaltlichen und strategischen Vorstellungen
der Bundesanstalt für Arbeit sind nicht in einem Konzept zusammen
geführt. Jedenfalls liegt ein derartiges Konzept nicht schriftlich
vor. Die Arbeitsgemeinschaften als Interessenvertreter der Rehabilitationseinrichtungen
sind trotz gegenteiliger Absichtserklärungen nicht von den
Rehabilitationsträgern an der Entwicklung von Konzepten beteiligt
worden.
4. Offensichtlich konzentrieren sich die konzeptionellen Vorstellungen
der BA, die hier stellvertretend für die Reha-Träger benannt
wird, auf 7 Aspekte, von denen - ungeachtet mancher Überschneidungen
- 2 zu den strategischen (Orientierung auf Durchschnittswerte bei
den Ausbildungs- und Internatskosten; zentral gesteuerte öffentliche
Ausschreibung) und 5 zu den inhaltlichen gerechnet werden können:
Verbleibsquote, Vorrang betrieblicher Maßnahmen, Entkopplung
Vorbereitungs- und Ausbildungsangebote, Teilqualifizierung und Modularisierung.
4.1 Die BA will die Ergebnisqualität, reduziert auf die sogenannte
Verbleibsquote, zum Maßstab für Zuweisungen nehmen.
Die Verbleibsquote ist derzeit in erster Linie von der Arbeitsmarktlage
abhängig, in zweiter Linie von den erworbenen Qualifikationen
der Absolventen - unabhängig davon, ob sie eine erfolgreiche
Prüfung bestanden, nicht bestanden oder während der
Maßnahme aufgegeben haben bzw. ausgeschlossen worden sind
-, von den Vermittlungsanstrengungen und - selbstverständlich
- von den Leistungen der BBWs (heute oft und gern als "Prozessqualität"
bezeichnet). Die BBWs dürfen nicht für etwas verantwortlich
gemacht werden, was sie am allerwenigsten beeinflussen können!
Andererseits zeigen die - trotz alledem - guten Eingliederungsquoten,
dass für die BBW-Absolventen Nischen selbst in solchen Branchen
und Bereichen vorhanden sind - die Beispiele Bau und kaufmännische
Verwaltung mögen für viele stehen -, die vom Gesamtarbeitsmarkt
her eher als schwierig angesehen werden. Viele Leistungsberechtigte
können nur bestimmte - als weniger marktgängig eingeschätzte
- Ausbildungen aufnehmen. Auch sie müssen ihre Chance behalten.
4.2 Die BA will betrieblichen und "betriebsnahen" Maßnahmen
absoluten Vorrang vor außerbetrieblichen einräumen.
Das ist vom Ansatz her sowohl didaktisch als auch arbeitsmarktstrategisch
sinnvoll, verkennt aber die unzureichende Aufnahme- und Kooperationsfähigkeit
und -bereitschaft von Betrieben (siehe die eingangs zitierte Ministerin
mit ihrer Betriebsschelte). Außerbetriebliche Maßnahmen
sind unerlässlich. Betriebe haben sich weitgehend aus der
Ausbildung zurückgezogen. Das gilt für nichtbehinderte
wie für behinderte und - siehe den "Bericht der Bundesregierung
nach § 160 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) über
die Beschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen"
vom 1.7.03 - ganz besonders für schwerbehinderte Jugendliche
. Die Forderung, Rehabilitationsmaßnahmen betrieblich auszurichten,
verkennt die tatsächliche Bereitschaft der Unternehmen. Das
heißt nicht, dass sich nicht regionale und branchenbezogene
Initiativen lohnen; aber Betriebe zur Mitwirkung an der Ausbildung
behinderter Jugendlicher ("Die allgemein gesunkene Bereitschaft
von Unternehmen, Jugendliche auszubilden, geht besonders zu Lasten
behinderter Jugendlicher. Die zur Beschäftigung schwerbehinderter
Menschen verpflichteten Arbeitgeber verfügten im Jahre 2000
zwar über rund 1,1 Millionen betriebliche Ausbildungsplätze,
jedoch wurden nur rund 5.300 dieser Ausbildungsplätze von
schwerbehinderten Menschen besetzt." (Bericht 2003, S. 65).
Mithin liegt die Ausbildungsplatzquote bei schwerbehinderten Jugendlichen
unter 5 Promille!) und Zusammenarbeit mit Berufsbildungswerken
zu gewinnen, ist eine außerordentlich schwierige und aufwendige
Aufgabe.
4.3 Die BA will Berufsfindungs-, Arbeitserprobungs-, Assessment-
und Fördermaßnahmen nicht mehr bei solchen Einrichtungen
platzieren, die auch Ausbildungen durchführen. Hier schwebt
der "Selbstbedienungsvorwurf" im Raum, oft angebracht,
nie nachgewiesen. Denn zunächst einmal sind diese Vorfeld-
und Vorbereitungsmaßnahmen deshalb bei BBWen angesiedelt,
weil diese die besten Voraussetzungen für eine valide, reliable,
aussagefähige, standardisierte und wirtschaftliche Berufsfindung,
Arbeitserprobung und Förderung bieten. Dass ein großer
Teil von deren Absolventen dann die Möglichkeit einer Aufnahme
oder Weiterführung eines Ausbildungsangebotes bei diesem
Träger wahrnimmt, ist deshalb nicht verwunderlich.
4.4 Die BA will die Dauer der Leistungen reduzieren. Förderlehrgänge
sollen unterjährig durchgeführt, Ausbildungen auf Teilqualifikationen
reduziert werden. Grundsätzlich gilt, dass beide Formen nicht
bloß fachliche Qualifizierungen leisten, sondern die Persönlichkeit
der Teilnehmer formen sollen. Das ist nicht in einer "Schnelldurchlauf-Maßnahme"
zu schaffen. Jahrzehntelang hat die BA auf die hohe Bedeutung
der Qualifikation für das Erreichen und den Erhalt eines
(sicheren) Arbeitsplatzes hingewiesen; im Zuge knapper Haushaltsmittel
die Argumentation umzudrehen und für Kurzzeitqualifikationen
einzutreten, heißt den Zusammenhang zwischen Qualifikation
und Arbeitsplatzerwerb zu missachten.
4.5 Die BA redet der Modularisierung das Wort. Gegen die Bausteinidee
ist im Grundsatz nur dann etwas einzuwenden, wenn mit ihr Berufsausbildungen
zergliedert und zerfasert werden. Richtig angewendet sind Module
beispielsweise in der Form von Lernfeldern in sich abgeschlossene
komplexe Lerneinheiten, die für sich genommen einen sichtbaren
Qualifikationsabschnitt ausmachen und damit die Beschäftigungsfähigkeit
ihrer Besitzer erhöhen. Module in dem Sinne, dass Teilqualifikationen
an die Stelle von Berufsqualifikationen treten, sind - wie unter
Punkt 4.6 bereits ausgeführt - gegen das Arbeitsmarktinteresse
(nicht nur) behinderter Menschen gerichtet.
5. Konzeptionelle Reformen bedürfen nicht nur der Präzisierung.
Sollen sie umgesetzt werden, muss das Verständnis der Menschen,
die sie umsetzen sollen, gewonnen werden. Das braucht eine stringente
Umsetzungsstrategie, und das braucht seine Zeit. Das Beispiel PSA
zeigt, wie eine gutgemeinte Absicht in verwässerter Form und
ohne hinreichendes Bedenken geeigneter Umsetzungsmodalitäten
zu katastrophalen Ergebnissen führt. Nicht anders sieht es
mit dem "Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter"
vom 29. September 2000 aus, das unendlich viel Geld verschlang und
alles andere als nachhaltige Beschäftigungserfolge zeitigte
. Möge man aus Fehlern lernen!
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