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2. Das SGB IX als Fundament der Rehabilitationsleistungen
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Berufsförderungswerke waren nach dem Aktionsprogramm
Rehabilitation aus dem Jahre 1970 Einrichtungen der beruflichen
Rehabilitation, in denen erwachsene Menschen, die wegen der
Folgen einer Erkrankung oder einer Behinderung ihren bisherigen
Beruf oder die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben
können, qualifiziert werden, damit sie wieder einer regelmäßigen,
vergüteten Beschäftigung nachgehen und ihren Lebensunterhalt
durch eigene Berufstätigkeit sichern können. Eine
behinderungsgerechte, differenzierte und arbeitsmarktorientierte
Ausbildungspalette sollte angeboten und den behinderten Menschen
ein erfolgreicher Abschluss ermöglicht werden (SEYD 1979;
THRUN/WITTWER 1990).
Das Angebot war stabil und weitgehend an den Erfahrungen der
Einrichtungen und den Entwicklungen des Arbeitsmarktes orientiert.
Wünsche der Teilnehmer, Mitwirkungsmöglichkeiten
wurden begrenzt realisiert. Die Kundenorientierung stand nicht
im Mittelpunkt der Arbeit, sondern die Auswahl und Bewilligung
vorhandener "Maßnahmen" für Antragsteller.
Auch war es nicht Aufgabe der Berufsförderungswerke Absolventen
zu vermitteln, da das Vermittlungsmonopol bei der Bundesanstalt
für Arbeit lag.
Von Anfang an waren Berufsförderungswerke als Lernort
nur vorgesehen, wenn deren besondere medizinische, psychologische
und soziale Hilfen erforderlich waren und eine Qualifizierung
in einem Betrieb oder einer sonstigen außerbetrieblichen
Einrichtung nicht erfolgversprechend war (MELMS/PODESZFA 1983;
BEILER 1985; SEYD 1992; SEYD 1993).
In der Konzeption der Berufsförderungswerke wurde als
besondere Aufgabe hervorgehoben, trotz verkürzter Ausbildung
(2 statt 3 bzw. 3 ½ Jahre) einen anerkannten Abschluss
vor einer zuständigen Stelle ohne behinderungsbedingte
Einschränkungen zu erreichen.
Von Anfang an waren die Berufsförderungswerke bestrebt,
ihre Konzeption den Entwicklungen des Arbeitsmarktes anzupassen
und sich den sich verändernden Rahmenbedingungen und
den technologischen Herausforderungen zu stellen. Aus Überzeugung
und sozialpolitischer Verantwortung haben sich die Berufsförderungswerke
auch immer mehr behinderten Menschen mit schweren Behinderungsauswirkungen
zugewandt und schließlich auch psychisch behinderten
Menschen Angebote unterbreitet. Sie veränderten ihre
Berufspalette und nahmen neue Ausbildungsinhalte der Berufe
und neue Berufsbilder zügig auf (DINGS 1988; KEMPER 1992).
Schließlich entwickelten sie sich immer mehr von eher
statischen und starren Einrichtungen, die feste Angebote unterbreiteten,
zu flexiblen und innovativen, an den Bedürfnissen der
Kunden orientierten Dienstleistungsunternehmen, die ihren
sozialen Auftrag mit Effizienz und Wirtschaftlichkeit sowie
hohen Qualitätsansprüchen erfüllen (WOLF 1996;
RISCHE 1999; SEYD 1999b).
Die ausschließliche Zielsetzung, am Ende den Teilnehmern
einen Abschluss zu vermitteln, rückte in den Hintergrund.
Im Mittelpunkt stand das Ziel, die behinderten Menschen auf
dem Arbeitsmarkt einzugliedern bzw. bestehende Arbeitsverhältnisse
zu sichern (EGGERER 1992; SEYD 1996; EICKHOFF 1998).
Die Veränderung der Zielsetzung setzte auch voraus, dass
sich die internen Strukturen der Einrichtungen änderten
und handlungs-, projekt- und teamorientierte Qualifizierungseinheiten
den herkömmlichen Unterricht nach und nach ablösten
(FUCHS 1999; SEYD 1999a).
Die Konzeption der Berufsförderungswerke geht von einem
hohen Stellenwert der beruflichen Rehabilitation aus - angesichts
einer Gesamtzahl von ca. 8 Mio. behinderter Menschen in der
Bundesrepublik Deutschland eine naheliegende These. Sie berücksichtigt,
dass sich gesellschaftlicher Stellenwert, persönlicher
Erfolg und Selbstbestätigung sowie Behinderungsverarbeitung
in Deutschland nach wie vor primär über Arbeit definieren.
Aus dieser Grundhaltung leitet die Konzeption auch die Bedeutung
der Berufsförderungswerke ab.
Seinen vorläufigen Abschluss hat der Entwicklungsprozess
im Berliner Programm gefunden, das am 16.09.2002 verabschiedet
und im Rahmen einer Fachtagung am 17.09.2002 vom damaligen
Sozialminister Walter Riester der Öffentlichkeit vorgestellt
wurde.
Die im Berliner Programm verankerte Konzeption ist das Ergebnis
von Befragungen der Sozialpartner, Reha-Träger, behinderten
Menschen und ihren Verbänden sowie der Politik und der
Ministerien.
Die Berufsförderungswerke bekennen sich zu ihrem gesellschaftspolitischen
öffentlichen Auftrag und rücken den behinderten
oder von Behinderung bedrohten Menschen mit seiner Selbstverantwortung
in den Mittelpunkt. Die Unternehmenskultur der Berufsförderungswerke
wird von einem ganzheitlichen Menschenbild bestimmt, sie fördern
und fordern die Eigenverantwortung und Leistungsfähigkeit
der behinderten Menschen.
Die Berufsförderungswerke orientieren sich an den Kundenbedürfnissen.
Sie verstehen vor allem die behinderten Menschen, die Reha-Träger
und die Unternehmen als Kunden.
Berufsförderungswerke bieten den Kunden vielfältige
Leistungen und Möglichkeiten und konzentrieren sich auf
die Kernkompetenzen Prävention, Reha-Assessment, Vorbereitung,
Qualifizierung, berufliche Integration und Nachsorge (WITTWER
1999a, 1999b). Nach Bedarf halten die Berufsförderungswerke
auch individuelle modularisierte Angebote mit unterschiedlicher
Dauer und unterschiedlichen inhaltlichen Qualifizierungs-
und Förderschwerpunkten bereit.
Die Leistungen werden an den zentralen Standorten der Berufsförderungswerke,
in Außenstellen sowie wohnortnah in unterschiedlichsten
Formen, also auch ambulant angeboten (WITTWER 2001). Bei der
Durchführung der Angebote stützen sich die Berufsförderungswerke
auf ganzheitliche und handlungsorientierte Konzepte, die von
interdisziplinären Reha-Teams umgesetzt werden, in denen
sich fachspezifische, pädagogische, medizinische, soziale
und psychologische Kompetenzen bündeln (SEYD et al. 2000;
SEYD/BRAND et al. 2002).
Alle Elemente der mit dem Berliner Programm verabschiedeten
Konzeption der Berufsförderungswerke zielen darauf ab,
die behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig
zu machen. Dabei werden die individuellen Lebens-, Kompetenz-
und Bedarfssituationen gerade auch der weiblichen Teilnehmer
berücksichtigt.
Die Konzeption ist getragen von dem Grundverständnis,
dass eine permanente Anpassung an Veränderungen und Entwicklungen
gewährleistet bleiben muss.
Im Folgenden werden die Anforderungen des SGB IX auf die
Konzeption der Berufsförderungswerke gerichtet und daran
deren Leistungsfähigkeit kritisch betrachtet.
Die Stärkung der Selbstverantwortung und des Selbstbewusstseins
behinderter Menschen ist eines der wichtigsten Anliegen des
SGB IX. Der behinderte Mensch wird vom Objekt zum handelnden
Subjekt. Insoweit hat das SGB IX einen Paradigmenwechsel eingeleitet.
Deutlich wird dieser Wandel an vielen Stellen des Gesetzes.
So wird den Leistungsberechtigten ein Wunsch- und Wahlrecht
bei der Gewährung von Leistungen eingeräumt (§
9 SGB IX). Die Leistungen können als persönliches
Budget gewährt werden (§17 SGB IX). Die Leistungen
sollen die persönliche Entwicklung des Leistungsberechtigten
ganzheitlich fördern (§ 4 Abs. 1 Ziffer 4 SGB IX).
Darüber hinaus soll den Leistungsberechtigten auch in
den Einrichtungen möglichst viel Raum zur eigenverantwortlichen
Gestaltung ihrer Lebensumstände gelassen und ihre Selbstbestimmung
gefördert werden (§9 Abs. 4 SGB IX). Die Teilnehmenden
sollen in den Einrichtungen auch angemessene Mitwirkungsmöglichkeiten
an der Ausführung der Leistung erhalten (§35 Ziffer
3 SGB IX).
Diesen Forderungen tragen die Berufsförderungswerke in
ihrer Konzeption und bei der Durchführung der Leistungen
Rechnung. Bereits im Rahmen des Reha-Assessments werden die
Wünsche der Antragsteller berücksichtigt. Die Berufsförderungswerke
bieten darüber hinaus auf die individuellen Bedürfnisse
des Einzelnen zugeschnittene Maßnahmen an, fördern
die Eigenverantwortung z. B. indem sie die RehabilitandInnen
durch Wochenrückblicke und gemeinsame Planungen von Projekten
(z.B. im Jour fixe) in die Gestaltung der Maßnahme einbeziehen.
Teilnehmervertretungen werden darüber hinaus an der Gestaltung
aller Leistungen des Berufsförderungswerks beteiligt.
Auch dem Anliegen nach Individualisierung und ganzheitlicher
Betrachtung des Menschen tragen die Berufsförderungswerke
in ihrer Konzeption Rechnung. Von Anfang an wird die Gesamtproblematik
des Menschen betrachtet. Das schlägt sich bei Empfehlungen
zur beruflichen Neuorientierung ebenso nieder, wie bei der
Durchführung der Maßnahme.
Die Vorschläge werden mit den behinderten Menschen erarbeitet
und beinhalten eine Diversifizierung nach Lernorten und unterschiedlichen
Leistungen. Weder darf beispielsweise immer eine Qualifizierung
mit anerkanntem Abschluss vorgeschlagen werden noch darf eine
solche Maßnahme die Ausnahme sein. Immerhin suchen Unternehmen
(wenn überhaupt) in der Regel Fachkräfte und keine
eingegrenzt qualifizierte ArbeitnehmerInnen. Jedem Antragsteller
muss die Maßnahme bewilligt werden, die ihm speziell
am besten eine dauerhafte Eingliederung in das Arbeitsleben
sichert.
Sofern Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung
des Erfolges besondere Hilfen erforderlich machen, werden
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausdrücklich
in Berufsförderungswerken, Berufsbildungswerken oder
vergleichbaren Einrichtungen durchgeführt (§ 35
SGB IX). Das SGB IX regelt ziemlich detailliert, welche Voraussetzungen
diese Einrichtungen erfüllen müssen. So müssen
u. a. Dauer, Inhalt und Gestaltung der Leistungen, Unterrichtsmethode,
Ausbildung und Berufserfahrung der Leitung und der Lehrkräfte
sowie die Ausgestaltung der Fachdienste eine erfolgreiche
Ausführung der Leistung erwarten lassen.
Auch diesen Regelungen des SGB IX trägt die Konzeption
der Berufsförderungswerke in vollem Umfang Rechnung.
Durch die handlungs-, projekt- und teamorientierte Qualifizierung
der TeilnehmerInnen, die ausreichende Zahl qualifizierter
MitarbeiterInnen, die Orientierung der Inhalte und der Maschinen
und Geräte an der Praxis sowie durch die ausreichende
Zahl und Qualität der Fachdienstmitarbeiter (Mediziner,
Psychologen, Sozialpädagogen) gewährleisten die
Berufsförderungswerke den besonderen Anspruch, den der
Gesetzgeber an die Reha-Einrichtungen stellt.
Sie werden aber auch zu Recht von den Reha-Trägern nur
für die Qualifizierung eines Personenkreises, der besonders
schwierige Behinderungsauswirkungen zu tragen hat, in Anspruch
genommen. So hat in den letzten Jahren der Anteil der behinderten
Menschen mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates
ständig abgenommen, während die Anteile psychisch
behinderter Menschen und von Erkrankten des Herz-Kreislauf-Systems
kontinuierlich steigen. Diese Entwicklung ist bei der Beurteilung
der Arbeitsergebnisse der Berufsförderungswerke besonders
zu berücksichtigen.
An verschiedenen Stellen unterstreicht das SGB IX die Bedeutung
der Qualität. Es schreibt den Reha-Trägern den Abschluss
von gemeinsamen Empfehlungen zur Sicherung und Weiterentwicklung
der Qualität der Leistungen vor (SEYD 2003), fordert
ein effektives Qualitätsmanagement der Leistungserbringer
(§ 20 SGB IX) und verpflichtet die Reha-Träger schließlich
dazu, darauf hinzuwirken, dass Reha-Einrichtungen in ausreichender
Zahl und Qualität zur Verfügung stehen (§ 19
Abs. 1 SGB IX).
Diese Forderungen des SGB IX entsprechen in vollem Umfang
den Zielsetzungen der Berufsförderungswerke wie sie im
Berliner Programm ihren Niederschlag gefunden haben. Danach
gewährleisten Berufsförderungswerke sogar über
die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Qualitätsansprüche.
Dies schlägt sich bei der Ausgestaltung der Leistungen,
der Schaffung praxisgerechter Rahmenbedingungen und nicht
zuletzt bei den Organisationsstrukturen und der Bildungsdidaktik
nieder. Über Qualitätsmanagementsysteme sichern
die Berufsförderungswerke die eingegangenen Qualitätsversprechen.
Individuelle Förderpläne, Integrationspläne,
Zufriedenheitsbefragungen, Kundenbarometer, Nachbefragungen
über den Verbleib der Absolventen sind bereits seit langem
angewandte Instrumente einer Qualitätssicherung.
Das SGB IX hebt erstmals die Bedeutung von Prävention
im Bereich der Rehabilitation hervor, ohne den Begriff oder
die daraus resultierenden Aufgaben und Maßnahmen näher
zu definieren. Die Reha-Träger werden lediglich aufgefordert
darauf hinzuwirken, dass der Eintritt einer Behinderung einschließlich
einer chronischen Krankheit vermieden wird.
Bei der Umsetzung des Anliegens des Gesetzgebers ist zunächst
festzustellen, dass Präventionsmaßnahmen finanzielle
Mittel binden, ohne dass unmittelbar Einsparungen sichtbar
werden und ohne dass solche Einsparungen auch für die
Zukunft immer genau beziffert werden könnten. Die Begeisterung
zur Finanzierung von Präventionsmaßnahmen kann
sich auch dadurch sehr in Grenzen halten, dass spätere
Einsparungen bei einem ganz anderen Träger wirksam werden.
Es muss daher darauf gedrungen werden, dass auch im Rahmen
des gegliederten Systems ein Träger den volkswirtschaftlichen
Nutzen und nicht Einsparungen in seinem Bereich zum Leitbild
seines Handelns macht.
Schließlich muss bei der Umsetzung dieser Gesetzesforderung
und bei der Bewertung der Auswirkungen bedacht werden, dass
zwischen primärer, sekundärer und tertiärer
Prävention zu unterscheiden ist.
Primäre Prävention hat die Verhütung von Behinderungen
und Krankheiten zum Ziel, sekundäre Prävention betrifft
Früherkennung und Vorsorge, während durch tertiäre
Prävention bei einer bereits eingetretenen Behinderung
oder Erkrankung eine Ausgliederung aus dem Arbeitsprozess
verhindert werden soll. Es geht hier also um die Erhaltung
eines Arbeitsplatzes oder um die Beschaffung eines anderen
Arbeitsplatzes im Betrieb.
Berufsförderungswerke haben in den Aufgabenfeldern der
primären und sekundären Prävention keine Kernkompetenzen.
Sie kennen aber die Anforderungen der Arbeit an den Menschen
und die Inhalte der Arbeitsplätze. Sie werden daher im
Bereich der tertiären Prävention ihre Erfahrungen
und Kenntnisse einbringen. Sie können erkennen, ob der
Arbeitsplatz verändert werden muss, technische Hilfen
erforderlich oder Qualifizierungsmaßnahmen zu leisten
sind bzw. mit den vor Ort Beteiligten im Betrieb ein anderer
passender Arbeitsplatz gesucht werden muss.
Wie ein mit der Barmer Ersatzkasse entwickeltes Modell zeigt,
können Berufsförderungswerke auch sehr gut ihre
Kompetenzen zur Feststellung einsetzen, ob eine längere
Erkrankung ihre Ursache in den Belastungen des Arbeitsplatzes
hat. Sie können auch im Rahmen der Verpflichtungen des
Arbeitgebers nach § 84 SGB IX tätig werden.
Neben der Forderung nach herausragender Qualität erwartet
das SGB IX, dass die Einrichtungen die Leistungen nach den
Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und
zu "angemessenen Vergütungssätzen" ausführen
(§ 35 Ziffer 4 SGB IX). Die Reha-Träger haben darüber
hinaus zu gewährleisten, dass eine wirtschaftliche Ausführung
der Leistungen erfolgt (§ 10 Abs. 1 SGB IX) (STAIBER
1998; THIEL 1998).
Auch diesen Erwartungen des Gesetzgebers werden die Berufsförderungswerke
gerecht, denn sie verpflichten sich im Berliner Programm zu
einem wirtschaftlichen Verhalten und bieten die Leistungen
zu angemessenen Preisen an. In der Praxis wird das dadurch
deutlich, dass die Berufsförderungswerke in den letzten
Jahren die Kostensätze gesenkt haben, wodurch die fallbezogenen
Kosten niedriger geworden sind. Gestiegene Aufwendungen bei
den Reha-Trägern sind ausschließlich den gestiegenen
Fallzahlen geschuldet.
Das SGB IX geht davon aus, dass die Leistungen unter Berücksichtigung
der persönlichen Umstände in ambulanter, teilstationärer
oder betrieblicher Form erbracht werden, wenn die Ziele nach
Prüfung des Einzelfalles mit vergleichbarer Wirksamkeit
erreicht werden.
Vordergründig könnte aus dieser Vorschrift ein Problem
für die Berufsförderungswerke und ihre Aufgabenkonzeptionen
entstehen. Bei näherer Betrachtung ist dies aber eher
unwahrscheinlich.
Zunächst muss bedacht werden, dass nach dem Gesetz nicht
etwa pauschal ambulante Leistungen Vorrang erhalten, sondern
nach Prüfung des Einzelfalles und auch nur dann, wenn
die Wirksamkeit vergleichbar ist. Die Angebote an den zentralen
Standorten der Berufsförderungswerke sind für Pendler
(in einigen Berufsförderungswerken bis 50 %) ebenfalls
wohnortnah. Zudem verlangt die Arbeitsmarktsituation - ebenso
wie Arbeitsmarktpolitiker das rundheraus als Forderung erheben
- heute von Erwerbspersonen, dass sie mobil sind und ggf.
einen Umzug in eine ferne Stadt nicht scheuen, um auf dem
Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Insofern kollidiert die
Forderung nach Wohnortnähe mit der Forderung nach arbeitsmarktorientierter
Mobilität. Gleichwohl haben die Berufsförderungswerke
dem Wunsch nach Regionalität durch Gründung zahlreicher
Außenstellen Rechnung getragen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Berufsförderungswerke
sich der Herausforderung gestellt haben, ihre Konzeption ständig
weiter zu entwickeln und mit dem Berliner Programm Kundenorientierung,
Individualisierung und Eingliederung in das Arbeitsleben in
den Mittelpunkt der Aufgaben der Berufsförderungswerke
zu rücken. Sie haben damit Flexibilität und Anpassungsbereitschaft
bewiesen und können nicht nur den Vorgaben des SGB IX
gerecht werden, sondern auch den Herausforderungen der Zukunft
erfolgreich begegnen.
Die Berufsförderungswerke müssen aber ihren Bekanntheitsgrad
gegenüber potentiellen RehabilitandInnen doch erheblich
steigern. Künftig wird es nicht mehr reichen, dem Reha-Träger
bekannt zu sein, da sich die behinderten Menschen nicht mehr
ohne weiteres zuweisen lassen. Es ist daher legitim, dass
sich die Berufsförderungswerke gegenüber potentiellen
Antragstellern bekannt machen. Nur dann kann der Betroffene
eine wirklich fundierte Entscheidung treffen. Kostenlose Informationstage
sind sicher eine Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad zu
steigern. Informationen von Betriebsräten, Schwerbehindertenvertrauensleuten,
Behindertenorganisationen oder die Beteiligung an öffentlichen
Veranstaltungen (Messen, Fachtagungen, Kongressen usw.) erweitern
aber den Kreis der Informierten erheblich.
Im Berliner Programm verpflichten sich die Berufsförderungswerke
darüber hinaus als lernende Unternehmen künftig
noch kurzfristiger und intensiver den allgemeinen Veränderungsprozess
aufzunehmen. Sie werden noch mehr nachfrageorientierte Angebote
entwickeln und bei Bedarf auch neue arbeitsmarktpolitische
Instrumente für behinderte Menschen umsetzen. Die Vermittlungsquote
pendelte in den letzten Jahren stetig um die 70 %. Das deutet
sehr darauf hin, dass der Arbeitsmarkt für Absolventen
der Berufsförderungswerke, die ja mit eine Doppelqualifikation
aufwarten können (vgl. dazu auch die Lebensberichte von
Rehabilitanden in SEYD 1993), eine Beschäftigungsnische
vorhält. Diese zu bewahren und die Absolventen bei der
Suche nach einer geeigneten Beschäftigung zu unterstützen,
ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben der Berufsförderungswerke.
Dabei werden sie im Bedarfsfall auch Kooperationen mit Betrieben
und anderen Bildungsträgern eingehen.
Unbedingte Voraussetzung für die Weiterentwicklung der
Berufsförderungswerke im Interesse der Leistungsberechtigten
ist aber, dass die Belegung verlässlich und nicht ständigen
Schwankungen unterworfen ist, und dass die angemessenen Kosten
auch weiterhin von den Reha-Trägern ohne tiefgreifende
Abstriche getragen werden. Die Einrichtungen sollten aus sozialpolitischen
Kalkülen herausgehalten werden, können sie doch
den Nachweis volkswirtschaftlicher Effizienz erbringen.
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