wbv   Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.

 

 

 

Beitrag von ULRICH WITTWER (Berufsförderungswerk Hamburg)

Stellenwert und Perspektiven der Berufsförderungswerke

Referat auf dem Trägerübergreifenden Fachseminar "Zusammenarbeit der Berufsförderungswerke mit Sozialmedizinern und Rehabilitationsklinikern" vom 08.09. - 10.09.2003 in Leipzig

1. Allgemeine Vorbemerkungen

Wer heute nach den Leistungen der Berufsförderungswerke fragt, muss den Blick auf das SGB IX (Sozialgesetzbuch) richten, in dem die Ansprüche Leistungsberechtigter an Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation seit dem 1.7.01 verbindlich festgelegt sind. Zu Beginn dieses Beitrags ist deshalb zu beleuchten, welche Ziele das SGB IX verfolgt und welche Bedeutung es für die Arbeit mit behinderten Menschen hat, sodann die Arbeit der Berufsförderungswerke zu skizzieren und schließlich herauszuarbeiten, mit welcher Konzeption Berufsförderungswerke den Vorgaben des SGB IX zu entsprechen suchen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Berufsförderungswerke von heute mit den Berufsförderungswerken des Jahres 1970 nur noch Grundelemente verbinden. Sie haben seitdem eine gewaltige Entwicklung durchlebt. Dieser Veränderungsprozess wird im Folgenden berücksichtigt. Die Komplexität des SGB IX verbietet es, hier im Detail sämtliche für behinderte Menschen relevante Regelungen zu besprechen; behandelt werden die aus der Sicht des Verfassers relevanten Vorgaben.

2. Das SGB IX als Fundament der Rehabilitationsleistungen
2.1 Die Ziele des SGB IX

In erster Linie ist es das Ziel des SGB IX, die Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und in der Gesellschaft zu sichern. Aber auch die Förderung der Selbstbestimmung und die Berücksichtigung der Bedürfnisse behinderter Menschen sowie das Wahlrecht und die Mitbestimmung dieses Personenkreises sind zentrale Ziele des SGB IX. Es leitet einen Paradigmenwechsel vom Objekt zum handelnden Subjekt, von fremdbestimmter Fürsorge hin zu selbstbestimmter Teilhabe ein. Dabei erhalten Prävention, Verfahrensbeschleunigung, Individualisierung und Qualitätssicherung einen hohen Stellenwert. Der umfassende Anspruchskatalog für Leistungen der medizinischen Rehabilitation und für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht die Förderung einer Vielfalt von Angeboten.
Mit der Einbeziehung des Schwerbehindertenrechts werden auch Arbeitgeber angehalten, sich der Sorge um die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu stellen und ihnen Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Insoweit ist das SGB IX ein in sich abgerundetes Gesetzeswerk, das Institutionen, Reha-Träger und Verbände gleichermaßen in die Pflicht nimmt.

2.2 Die Bedeutung des SGB IX

Das SGB IX ist ein Meilenstein der Behindertenpolitik, ein Meilenstein zur Gewährleistung von Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und an der Gesellschaft. Die Tragweite des Gesetzes ist erst nach und nach in vollem Umfang erkennbar. Ohne das SGB IX wären die Gefahren genereller Kürzungen und Einschränkungen für behinderte Menschen im Hinblick auf die vorhandenen finanziellen Engpässe riesengroß. Auch wenn es neue Rechtsansprüche und zusätzliche Leistungen nicht begründet, sichert das SGB IX vorhandene Rechtsansprüche ab und unterstreicht die Bedeutung von Leistungen zur Teilhabe, denen eindeutig Vorrang vor anderen Sozialleistungen eingeräumt wird.
Ein besonderer Verdienst ist die Integrierung des Schwerbehindertenrechts in das Sozialgesetzbuch. Die Bedeutung des SGB IX wird zusätzlich erhöht, indem zwar zur Leistungsgewährung auf die einzelnen Leistungsgesetze verwiesen wird, das SGB IX aber dann, wenn dort keine besonderen Regelungen bestehen, unmittelbar geltendes Recht ist (§ 4 Abs. 2 SGB IX).
Darüber hinaus wird der Stellenwert des SGB IX auch dadurch unterstrichen, dass es einstimmig von allen politischen Parteien des Deutschen Bundestages (bei Stimmenthaltung der PDS) verabschiedet worden ist und damit von allen gesellschaftlichen Strömungen getragen wird.

3. Die Konzeption der Berufsförderungswerke
3.1 Ursprüngliche Zielsetzung

Berufsförderungswerke waren nach dem Aktionsprogramm Rehabilitation aus dem Jahre 1970 Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation, in denen erwachsene Menschen, die wegen der Folgen einer Erkrankung oder einer Behinderung ihren bisherigen Beruf oder die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben können, qualifiziert werden, damit sie wieder einer regelmäßigen, vergüteten Beschäftigung nachgehen und ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufstätigkeit sichern können. Eine behinderungsgerechte, differenzierte und arbeitsmarktorientierte Ausbildungspalette sollte angeboten und den behinderten Menschen ein erfolgreicher Abschluss ermöglicht werden (SEYD 1979; THRUN/WITTWER 1990).
Das Angebot war stabil und weitgehend an den Erfahrungen der Einrichtungen und den Entwicklungen des Arbeitsmarktes orientiert. Wünsche der Teilnehmer, Mitwirkungsmöglichkeiten wurden begrenzt realisiert. Die Kundenorientierung stand nicht im Mittelpunkt der Arbeit, sondern die Auswahl und Bewilligung vorhandener "Maßnahmen" für Antragsteller. Auch war es nicht Aufgabe der Berufsförderungswerke Absolventen zu vermitteln, da das Vermittlungsmonopol bei der Bundesanstalt für Arbeit lag.
Von Anfang an waren Berufsförderungswerke als Lernort nur vorgesehen, wenn deren besondere medizinische, psychologische und soziale Hilfen erforderlich waren und eine Qualifizierung in einem Betrieb oder einer sonstigen außerbetrieblichen Einrichtung nicht erfolgversprechend war (MELMS/PODESZFA 1983; BEILER 1985; SEYD 1992; SEYD 1993).
In der Konzeption der Berufsförderungswerke wurde als besondere Aufgabe hervorgehoben, trotz verkürzter Ausbildung (2 statt 3 bzw. 3 ½ Jahre) einen anerkannten Abschluss vor einer zuständigen Stelle ohne behinderungsbedingte Einschränkungen zu erreichen.

3.2 Die Weiterentwicklung

Von Anfang an waren die Berufsförderungswerke bestrebt, ihre Konzeption den Entwicklungen des Arbeitsmarktes anzupassen und sich den sich verändernden Rahmenbedingungen und den technologischen Herausforderungen zu stellen. Aus Überzeugung und sozialpolitischer Verantwortung haben sich die Berufsförderungswerke auch immer mehr behinderten Menschen mit schweren Behinderungsauswirkungen zugewandt und schließlich auch psychisch behinderten Menschen Angebote unterbreitet. Sie veränderten ihre Berufspalette und nahmen neue Ausbildungsinhalte der Berufe und neue Berufsbilder zügig auf (DINGS 1988; KEMPER 1992).
Schließlich entwickelten sie sich immer mehr von eher statischen und starren Einrichtungen, die feste Angebote unterbreiteten, zu flexiblen und innovativen, an den Bedürfnissen der Kunden orientierten Dienstleistungsunternehmen, die ihren sozialen Auftrag mit Effizienz und Wirtschaftlichkeit sowie hohen Qualitätsansprüchen erfüllen (WOLF 1996; RISCHE 1999; SEYD 1999b).
Die ausschließliche Zielsetzung, am Ende den Teilnehmern einen Abschluss zu vermitteln, rückte in den Hintergrund. Im Mittelpunkt stand das Ziel, die behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt einzugliedern bzw. bestehende Arbeitsverhältnisse zu sichern (EGGERER 1992; SEYD 1996; EICKHOFF 1998).
Die Veränderung der Zielsetzung setzte auch voraus, dass sich die internen Strukturen der Einrichtungen änderten und handlungs-, projekt- und teamorientierte Qualifizierungseinheiten den herkömmlichen Unterricht nach und nach ablösten (FUCHS 1999; SEYD 1999a).

3.3 Das Berliner Programm als Ausdruck der Leistungsfähigkeit

Die Konzeption der Berufsförderungswerke geht von einem hohen Stellenwert der beruflichen Rehabilitation aus - angesichts einer Gesamtzahl von ca. 8 Mio. behinderter Menschen in der Bundesrepublik Deutschland eine naheliegende These. Sie berücksichtigt, dass sich gesellschaftlicher Stellenwert, persönlicher Erfolg und Selbstbestätigung sowie Behinderungsverarbeitung in Deutschland nach wie vor primär über Arbeit definieren. Aus dieser Grundhaltung leitet die Konzeption auch die Bedeutung der Berufsförderungswerke ab.
Seinen vorläufigen Abschluss hat der Entwicklungsprozess im Berliner Programm gefunden, das am 16.09.2002 verabschiedet und im Rahmen einer Fachtagung am 17.09.2002 vom damaligen Sozialminister Walter Riester der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Die im Berliner Programm verankerte Konzeption ist das Ergebnis von Befragungen der Sozialpartner, Reha-Träger, behinderten Menschen und ihren Verbänden sowie der Politik und der Ministerien.
Die Berufsförderungswerke bekennen sich zu ihrem gesellschaftspolitischen öffentlichen Auftrag und rücken den behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen mit seiner Selbstverantwortung in den Mittelpunkt. Die Unternehmenskultur der Berufsförderungswerke wird von einem ganzheitlichen Menschenbild bestimmt, sie fördern und fordern die Eigenverantwortung und Leistungsfähigkeit der behinderten Menschen.
Die Berufsförderungswerke orientieren sich an den Kundenbedürfnissen. Sie verstehen vor allem die behinderten Menschen, die Reha-Träger und die Unternehmen als Kunden.
Berufsförderungswerke bieten den Kunden vielfältige Leistungen und Möglichkeiten und konzentrieren sich auf die Kernkompetenzen Prävention, Reha-Assessment, Vorbereitung, Qualifizierung, berufliche Integration und Nachsorge (WITTWER 1999a, 1999b). Nach Bedarf halten die Berufsförderungswerke auch individuelle modularisierte Angebote mit unterschiedlicher Dauer und unterschiedlichen inhaltlichen Qualifizierungs- und Förderschwerpunkten bereit.
Die Leistungen werden an den zentralen Standorten der Berufsförderungswerke, in Außenstellen sowie wohnortnah in unterschiedlichsten Formen, also auch ambulant angeboten (WITTWER 2001). Bei der Durchführung der Angebote stützen sich die Berufsförderungswerke auf ganzheitliche und handlungsorientierte Konzepte, die von interdisziplinären Reha-Teams umgesetzt werden, in denen sich fachspezifische, pädagogische, medizinische, soziale und psychologische Kompetenzen bündeln (SEYD et al. 2000; SEYD/BRAND et al. 2002).
Alle Elemente der mit dem Berliner Programm verabschiedeten Konzeption der Berufsförderungswerke zielen darauf ab, die behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu machen. Dabei werden die individuellen Lebens-, Kompetenz- und Bedarfssituationen gerade auch der weiblichen Teilnehmer berücksichtigt.
Die Konzeption ist getragen von dem Grundverständnis, dass eine permanente Anpassung an Veränderungen und Entwicklungen gewährleistet bleiben muss.

4. Die Leistungsbereiche der Berufsförderungswerke auf der Grundlage des SGB IX

Im Folgenden werden die Anforderungen des SGB IX auf die Konzeption der Berufsförderungswerke gerichtet und daran deren Leistungsfähigkeit kritisch betrachtet.

4.1 Stärkung der Selbstverantwortung und des Selbstbewusstseins

Die Stärkung der Selbstverantwortung und des Selbstbewusstseins behinderter Menschen ist eines der wichtigsten Anliegen des SGB IX. Der behinderte Mensch wird vom Objekt zum handelnden Subjekt. Insoweit hat das SGB IX einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Deutlich wird dieser Wandel an vielen Stellen des Gesetzes. So wird den Leistungsberechtigten ein Wunsch- und Wahlrecht bei der Gewährung von Leistungen eingeräumt (§ 9 SGB IX). Die Leistungen können als persönliches Budget gewährt werden (§17 SGB IX). Die Leistungen sollen die persönliche Entwicklung des Leistungsberechtigten ganzheitlich fördern (§ 4 Abs. 1 Ziffer 4 SGB IX). Darüber hinaus soll den Leistungsberechtigten auch in den Einrichtungen möglichst viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensumstände gelassen und ihre Selbstbestimmung gefördert werden (§9 Abs. 4 SGB IX). Die Teilnehmenden sollen in den Einrichtungen auch angemessene Mitwirkungsmöglichkeiten an der Ausführung der Leistung erhalten (§35 Ziffer 3 SGB IX).
Diesen Forderungen tragen die Berufsförderungswerke in ihrer Konzeption und bei der Durchführung der Leistungen Rechnung. Bereits im Rahmen des Reha-Assessments werden die Wünsche der Antragsteller berücksichtigt. Die Berufsförderungswerke bieten darüber hinaus auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnittene Maßnahmen an, fördern die Eigenverantwortung z. B. indem sie die RehabilitandInnen durch Wochenrückblicke und gemeinsame Planungen von Projekten (z.B. im Jour fixe) in die Gestaltung der Maßnahme einbeziehen. Teilnehmervertretungen werden darüber hinaus an der Gestaltung aller Leistungen des Berufsförderungswerks beteiligt.
Auch dem Anliegen nach Individualisierung und ganzheitlicher Betrachtung des Menschen tragen die Berufsförderungswerke in ihrer Konzeption Rechnung. Von Anfang an wird die Gesamtproblematik des Menschen betrachtet. Das schlägt sich bei Empfehlungen zur beruflichen Neuorientierung ebenso nieder, wie bei der Durchführung der Maßnahme.
Die Vorschläge werden mit den behinderten Menschen erarbeitet und beinhalten eine Diversifizierung nach Lernorten und unterschiedlichen Leistungen. Weder darf beispielsweise immer eine Qualifizierung mit anerkanntem Abschluss vorgeschlagen werden noch darf eine solche Maßnahme die Ausnahme sein. Immerhin suchen Unternehmen (wenn überhaupt) in der Regel Fachkräfte und keine eingegrenzt qualifizierte ArbeitnehmerInnen. Jedem Antragsteller muss die Maßnahme bewilligt werden, die ihm speziell am besten eine dauerhafte Eingliederung in das Arbeitsleben sichert.

4.2 Das Rehabilitationskonzept

Sofern Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung des Erfolges besondere Hilfen erforderlich machen, werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausdrücklich in Berufsförderungswerken, Berufsbildungswerken oder vergleichbaren Einrichtungen durchgeführt (§ 35 SGB IX). Das SGB IX regelt ziemlich detailliert, welche Voraussetzungen diese Einrichtungen erfüllen müssen. So müssen u. a. Dauer, Inhalt und Gestaltung der Leistungen, Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrung der Leitung und der Lehrkräfte sowie die Ausgestaltung der Fachdienste eine erfolgreiche Ausführung der Leistung erwarten lassen.
Auch diesen Regelungen des SGB IX trägt die Konzeption der Berufsförderungswerke in vollem Umfang Rechnung. Durch die handlungs-, projekt- und teamorientierte Qualifizierung der TeilnehmerInnen, die ausreichende Zahl qualifizierter MitarbeiterInnen, die Orientierung der Inhalte und der Maschinen und Geräte an der Praxis sowie durch die ausreichende Zahl und Qualität der Fachdienstmitarbeiter (Mediziner, Psychologen, Sozialpädagogen) gewährleisten die Berufsförderungswerke den besonderen Anspruch, den der Gesetzgeber an die Reha-Einrichtungen stellt.
Sie werden aber auch zu Recht von den Reha-Trägern nur für die Qualifizierung eines Personenkreises, der besonders schwierige Behinderungsauswirkungen zu tragen hat, in Anspruch genommen. So hat in den letzten Jahren der Anteil der behinderten Menschen mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates ständig abgenommen, während die Anteile psychisch behinderter Menschen und von Erkrankten des Herz-Kreislauf-Systems kontinuierlich steigen. Diese Entwicklung ist bei der Beurteilung der Arbeitsergebnisse der Berufsförderungswerke besonders zu berücksichtigen.

4.3 Bedeutung der Qualität

An verschiedenen Stellen unterstreicht das SGB IX die Bedeutung der Qualität. Es schreibt den Reha-Trägern den Abschluss von gemeinsamen Empfehlungen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungen vor (SEYD 2003), fordert ein effektives Qualitätsmanagement der Leistungserbringer (§ 20 SGB IX) und verpflichtet die Reha-Träger schließlich dazu, darauf hinzuwirken, dass Reha-Einrichtungen in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stehen (§ 19 Abs. 1 SGB IX).
Diese Forderungen des SGB IX entsprechen in vollem Umfang den Zielsetzungen der Berufsförderungswerke wie sie im Berliner Programm ihren Niederschlag gefunden haben. Danach gewährleisten Berufsförderungswerke sogar über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende Qualitätsansprüche.
Dies schlägt sich bei der Ausgestaltung der Leistungen, der Schaffung praxisgerechter Rahmenbedingungen und nicht zuletzt bei den Organisationsstrukturen und der Bildungsdidaktik nieder. Über Qualitätsmanagementsysteme sichern die Berufsförderungswerke die eingegangenen Qualitätsversprechen. Individuelle Förderpläne, Integrationspläne, Zufriedenheitsbefragungen, Kundenbarometer, Nachbefragungen über den Verbleib der Absolventen sind bereits seit langem angewandte Instrumente einer Qualitätssicherung.

4.4 Prävention

Das SGB IX hebt erstmals die Bedeutung von Prävention im Bereich der Rehabilitation hervor, ohne den Begriff oder die daraus resultierenden Aufgaben und Maßnahmen näher zu definieren. Die Reha-Träger werden lediglich aufgefordert darauf hinzuwirken, dass der Eintritt einer Behinderung einschließlich einer chronischen Krankheit vermieden wird.
Bei der Umsetzung des Anliegens des Gesetzgebers ist zunächst festzustellen, dass Präventionsmaßnahmen finanzielle Mittel binden, ohne dass unmittelbar Einsparungen sichtbar werden und ohne dass solche Einsparungen auch für die Zukunft immer genau beziffert werden könnten. Die Begeisterung zur Finanzierung von Präventionsmaßnahmen kann sich auch dadurch sehr in Grenzen halten, dass spätere Einsparungen bei einem ganz anderen Träger wirksam werden. Es muss daher darauf gedrungen werden, dass auch im Rahmen des gegliederten Systems ein Träger den volkswirtschaftlichen Nutzen und nicht Einsparungen in seinem Bereich zum Leitbild seines Handelns macht.
Schließlich muss bei der Umsetzung dieser Gesetzesforderung und bei der Bewertung der Auswirkungen bedacht werden, dass zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention zu unterscheiden ist.
Primäre Prävention hat die Verhütung von Behinderungen und Krankheiten zum Ziel, sekundäre Prävention betrifft Früherkennung und Vorsorge, während durch tertiäre Prävention bei einer bereits eingetretenen Behinderung oder Erkrankung eine Ausgliederung aus dem Arbeitsprozess verhindert werden soll. Es geht hier also um die Erhaltung eines Arbeitsplatzes oder um die Beschaffung eines anderen Arbeitsplatzes im Betrieb.
Berufsförderungswerke haben in den Aufgabenfeldern der primären und sekundären Prävention keine Kernkompetenzen. Sie kennen aber die Anforderungen der Arbeit an den Menschen und die Inhalte der Arbeitsplätze. Sie werden daher im Bereich der tertiären Prävention ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen. Sie können erkennen, ob der Arbeitsplatz verändert werden muss, technische Hilfen erforderlich oder Qualifizierungsmaßnahmen zu leisten sind bzw. mit den vor Ort Beteiligten im Betrieb ein anderer passender Arbeitsplatz gesucht werden muss.
Wie ein mit der Barmer Ersatzkasse entwickeltes Modell zeigt, können Berufsförderungswerke auch sehr gut ihre Kompetenzen zur Feststellung einsetzen, ob eine längere Erkrankung ihre Ursache in den Belastungen des Arbeitsplatzes hat. Sie können auch im Rahmen der Verpflichtungen des Arbeitgebers nach § 84 SGB IX tätig werden.

4.5 Erfolgsorientierung: Teilhabe am Arbeitsleben und niedrige Monatskosten

Neben der Forderung nach herausragender Qualität erwartet das SGB IX, dass die Einrichtungen die Leistungen nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und zu "angemessenen Vergütungssätzen" ausführen (§ 35 Ziffer 4 SGB IX). Die Reha-Träger haben darüber hinaus zu gewährleisten, dass eine wirtschaftliche Ausführung der Leistungen erfolgt (§ 10 Abs. 1 SGB IX) (STAIBER 1998; THIEL 1998).
Auch diesen Erwartungen des Gesetzgebers werden die Berufsförderungswerke gerecht, denn sie verpflichten sich im Berliner Programm zu einem wirtschaftlichen Verhalten und bieten die Leistungen zu angemessenen Preisen an. In der Praxis wird das dadurch deutlich, dass die Berufsförderungswerke in den letzten Jahren die Kostensätze gesenkt haben, wodurch die fallbezogenen Kosten niedriger geworden sind. Gestiegene Aufwendungen bei den Reha-Trägern sind ausschließlich den gestiegenen Fallzahlen geschuldet.

4.6 Ambulante Reha-Leistungen

Das SGB IX geht davon aus, dass die Leistungen unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände in ambulanter, teilstationärer oder betrieblicher Form erbracht werden, wenn die Ziele nach Prüfung des Einzelfalles mit vergleichbarer Wirksamkeit erreicht werden.
Vordergründig könnte aus dieser Vorschrift ein Problem für die Berufsförderungswerke und ihre Aufgabenkonzeptionen entstehen. Bei näherer Betrachtung ist dies aber eher unwahrscheinlich.
Zunächst muss bedacht werden, dass nach dem Gesetz nicht etwa pauschal ambulante Leistungen Vorrang erhalten, sondern nach Prüfung des Einzelfalles und auch nur dann, wenn die Wirksamkeit vergleichbar ist. Die Angebote an den zentralen Standorten der Berufsförderungswerke sind für Pendler (in einigen Berufsförderungswerken bis 50 %) ebenfalls wohnortnah. Zudem verlangt die Arbeitsmarktsituation - ebenso wie Arbeitsmarktpolitiker das rundheraus als Forderung erheben - heute von Erwerbspersonen, dass sie mobil sind und ggf. einen Umzug in eine ferne Stadt nicht scheuen, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Insofern kollidiert die Forderung nach Wohnortnähe mit der Forderung nach arbeitsmarktorientierter Mobilität. Gleichwohl haben die Berufsförderungswerke dem Wunsch nach Regionalität durch Gründung zahlreicher Außenstellen Rechnung getragen.

5. Zukunftsaufgaben und Entwicklungsschwerpunkte

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Berufsförderungswerke sich der Herausforderung gestellt haben, ihre Konzeption ständig weiter zu entwickeln und mit dem Berliner Programm Kundenorientierung, Individualisierung und Eingliederung in das Arbeitsleben in den Mittelpunkt der Aufgaben der Berufsförderungswerke zu rücken. Sie haben damit Flexibilität und Anpassungsbereitschaft bewiesen und können nicht nur den Vorgaben des SGB IX gerecht werden, sondern auch den Herausforderungen der Zukunft erfolgreich begegnen.
Die Berufsförderungswerke müssen aber ihren Bekanntheitsgrad gegenüber potentiellen RehabilitandInnen doch erheblich steigern. Künftig wird es nicht mehr reichen, dem Reha-Träger bekannt zu sein, da sich die behinderten Menschen nicht mehr ohne weiteres zuweisen lassen. Es ist daher legitim, dass sich die Berufsförderungswerke gegenüber potentiellen Antragstellern bekannt machen. Nur dann kann der Betroffene eine wirklich fundierte Entscheidung treffen. Kostenlose Informationstage sind sicher eine Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad zu steigern. Informationen von Betriebsräten, Schwerbehindertenvertrauensleuten, Behindertenorganisationen oder die Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen (Messen, Fachtagungen, Kongressen usw.) erweitern aber den Kreis der Informierten erheblich.
Im Berliner Programm verpflichten sich die Berufsförderungswerke darüber hinaus als lernende Unternehmen künftig noch kurzfristiger und intensiver den allgemeinen Veränderungsprozess aufzunehmen. Sie werden noch mehr nachfrageorientierte Angebote entwickeln und bei Bedarf auch neue arbeitsmarktpolitische Instrumente für behinderte Menschen umsetzen. Die Vermittlungsquote pendelte in den letzten Jahren stetig um die 70 %. Das deutet sehr darauf hin, dass der Arbeitsmarkt für Absolventen der Berufsförderungswerke, die ja mit eine Doppelqualifikation aufwarten können (vgl. dazu auch die Lebensberichte von Rehabilitanden in SEYD 1993), eine Beschäftigungsnische vorhält. Diese zu bewahren und die Absolventen bei der Suche nach einer geeigneten Beschäftigung zu unterstützen, ist eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben der Berufsförderungswerke. Dabei werden sie im Bedarfsfall auch Kooperationen mit Betrieben und anderen Bildungsträgern eingehen.
Unbedingte Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Berufsförderungswerke im Interesse der Leistungsberechtigten ist aber, dass die Belegung verlässlich und nicht ständigen Schwankungen unterworfen ist, und dass die angemessenen Kosten auch weiterhin von den Reha-Trägern ohne tiefgreifende Abstriche getragen werden. Die Einrichtungen sollten aus sozialpolitischen Kalkülen herausgehalten werden, können sie doch den Nachweis volkswirtschaftlicher Effizienz erbringen.

Literatur:

BEILER, J. (1985): Die Situation der beruflichen Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland, in: SEYD, W. (Hrsg.): Berufliche Rehabilitation im Umbruch. Situationsanalyse und Reformvorschläge in der Bundesrepublik Deutschland, Hamburg 1985, 9-32.

DINGS, W. (1988): Berufliche Rehabilitation Erwachsener. Berufsförderungswerke in erziehungswissenschaftlicher Analyse. Hamburg.

EGGERER, R. (1992): 2,7 Mio. Arbeitslose - trotzdem berufliche Rehabilitation Schwerkörperbehinderter? In: Rehabilitation 31 (1992), 170-174.

EICHKHOFF, D. (1998): Neue Grundsätze aus der Sicht des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. In. Berufliche Rehabilitation 12 (1998) 4, 250-253.

FUCHS, H. (1999): Ziele, Gestaltung und Rahmenbedingungen von individualisierten Qualifizierungsverläufen. In: SEYD, W./NENTWIG, A./BLUMENTHAL, W. (Hrsg.): Zukunft der beruflichen Rehabilitation und Integration in das Arbeitsleben. Arbeitstagung der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter, Bd. 8, Ulm, 89-99.

KEMPER, E. (1992): Berufliche Rehabilitation in Berufsförderungswerken, in: MÜHLUM, A./OPPL, Hubert (Hrsg.): Handbuch der Rehabilitation. Rehabilitation im Lebenslauf und wissenschaftliche Grundlagen der Rehabilitation. Neuwied, Kriftel, Berlin 1992, 205-225.

MELMS, B./PODESZFA, H. (1983): Berufliche Rehabilitation Erwachsener in außerbetrieblichen Einrichtungen, in: Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): Berufliche Rehabilitation (Materialien und statistische Analysen zur beruflichen Bildung, H. 35), Berlin 1983, 53-70.

RISCHE, H. (1999): Berufliche Rehabilitation als Aufgabe der Rentenversicherung. In: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.): Rehabilitation 1999 - Fachtagung zur beruflichen Rehabilitation der BfA. Berlin 1. und 2. Juni 1999, Berlin 1999, 20-29.

SEYD, W. (1979): Berufsförderungswerke als Einrichtungen zur beruflichen Rehabilitation erwachsener Behinderter. In: RUNDE, P./HEINZE, R.G. (Hrsg.): Chancengleichheit für Behinderte. Neuwied/Darmstadt 1979, 169-193

SEYD, W. (1992): Didaktische Grundlagen beruflicher Rehabilitation. In: MÜHLUM, A./OPPL, H. (Hrsg.): Handbuch der Rehabilitation. Rehabilitation im Lebenslauf und wissenschaftliche Grundalgen der Rehabilitation. Neuwied 1992, 539 ff.

SEYD, W. (1993): Gesicherte Rückkehr. Berufliche Rehabilitation in Lebensberichten. Hamburg.

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SEYD, W. (1999a): Das System beruflicher Rehabilitation - Kritik und Anstöße. In: BLUMENTHAL, W./SEYD, W. (Hrsg.): Zukunft der beruflichen Rehabilitation und Integration in das Arbeitsleben. Arbeitstagung der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter, Bd. 8, Ulm.

SEYD, W. (1999b): Die berufliche Rehabilitation - Erfolge und Perspektiven. Vortrag anlässlich der BfA-Fachtagung am 1./2. Juni 1999 zum Thema "Mit der beruflichen Rehabilitation in das 21. Jahrhundert", Hamburg.

SEYD, W. (2003): BAR verabschiedet Rahmenempfehlung zur Qualitätssicherung. In: Die Rehabilitation 3/2003 (im Druck).

SEYD, W./BRAND, W./ARETZ, H./LÖNNE, F./MEINASS-TAUSENDPFUND, S./MENTZ, M./NAUST-LÜHR, A. (2000): Ganzheitlich rehabilitieren, Lernsituationen handlungsorientiert gestalten. Der Abschlussbericht über das Forschungs- und Entwicklungsprojekt "ganzheitliche berufliche Rehabilitation Erwachsener - handlungsorientierte Gestaltung von Lernsituationen in Berufsförderungswerken (gbRE)", durchgeführt von der Universität Hamburg im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke. Hamburg.

SEYD, W.; BRAND, W. unter Mitarbeit von ARETZ, H.; DIETTRICH, U.; KELLER, A.; LÖNNE, F.; MEINASS-TAUSENDPFUND, S.;

MÜTING, I.; WARNKE, M. und EGGERER, R. (2002): Ganzheitliche Rehabilitation in Berufsförderungswerken. Abschlussbericht über das Transferprojekt. Hamburg.

STAIBER, H. (1998): Eckpunkte der Eigenständigkeit freier Träger von Berufsbildungswerken durch die alten Kostengrundstäze (KGS) und unverzichtbaren Bestandteile in Neuregelungen, in: Berufliche Rehabilitation 12 (1998) 4, 222-242.

THIEL, J. (1998): Neue Grundsätze aus der Sicht der Bundesanstalt für Arbeit. In. Berufliche Rehabilitation 12 (1998) 4, 254-261.

THRUN, M./WITTWER, U. (1990): Berufliche Rehabilitation gestern, heute und morgen am Beispiel der Berufsförderungswerke. In: Rehabilitation 29 (1990), 67-75.

WITTWER, U. (1997): Zukunft der beruflichen Rehabilitation - Berufliche Rehabilitation für die Zukunft. Eine Auseinandersetzung mit den Sparmaßnahmen der Bundesregierung. In: Rehabilitation 36 (1997), 22-25.

WITTWER, U. (1999a): Erfahrungen und Perspektiven der Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation. In: BLUMENTHAL, W./SEYD, W. (Hrsg.): Zukunft der beruflichen Rehabilitation und Integration in das Arbeitsleben. Arbeitstagung der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter, Bd. 8, Ulm, 56-60.

WITTWER, U. (1999b): Entwicklung der Leistungsangebote in den Berufsförderungswerken. In: Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Hrsg.): Rehabilitation 1999 - Fachtagung zur beruflichen Rehabilitation der BfA. Berlin 1. und 2. Juni 1999, Berlin, 87-94.

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WOLF, B. (1996): Startklar für das Jahr 2000. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Berufsförderungswerke hat ihre Konzeption grundlegend überarbeitet. In: ibv Nr. 19 vom 8.5.96, 1083-1092.