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 bwp@ Profil 2 | 14. Januar 2009
Akzentsetzungen in der Berufs- und
Wirtschaftspädagogik

Holger Reinisch wird 60 und Wegbegleiter schreiben zu seinen Themen

Herausgeber: Andreas DIETTRICH, Dietmar FROMMBERGER & Jens KLUSMEYER

Lernen im Prozess der Arbeit

 

1.  Ein Verfahrensvorschlag zur lernförderlichen Gestaltung von Arbeitsplätzen

Lernen am Arbeitsplatz ist diejenige Organisationsform betrieblichen Lernens, die einerseits die Anwendung des Gelernten am Arbeitsplatz direkt sichern hilft und die andererseits die Fähigkeiten zur Selbstorganisation und Selbststeuerung des Lernens nachhaltig befördern kann. Dies setzt lernförderliche Arbeitsplätze und Tätigkeiten voraus, die sich insbesondere durch folgende Merkmale auszeichnen (vgl. DEHNBOSTEL 2008, 6; RICHTER/ WARDANJAU 2000, 180):

•  Vollständigkeit von Arbeitsaufgaben,

•  Gelegenheiten zum Entwickeln von Selbstständigkeit,

•  Kooperations- und Kommunikationsmöglichkeiten in der Arbeit,

•  Transparenz und Beeinflussbarkeit der Arbeitsinhalte,

•  Anforderungsvielfalt der Arbeitsaufträge,

•  Grad der Nutzung der erworbenen Kompetenzen sowie

•  Partizipation der Lernenden bei der Gestaltung und der Evaluation der Lernumgebung.

Mit Blick auf betriebliche Organisationen und Abläufe wird deutlich, dass eine lernförderliche Gestaltung von Arbeitsplätzen nach diesen Merkmalen eine komplexe und anspruchsvolle Aufgabe für das betriebliche Aus- und Weiterbildungspersonal ist. Dies zeigt sich in ebenso komplexen Verfahrensvorschlägen und Konzepten, mit denen die kompetenzförderliche Re-Organisation von Arbeitsstrukturen, Arbeitsorganisation und Arbeitsprozessen in Unternehmen angestrebt wird (vgl. z. B. BAUER et al. 2007; DEHNBOSTEL 1998). Gefordert sind nämlich Ansätze zur konkreten Gestaltung von Lernsituationen, bei denen theoretische Grundlagen des betrieblichen Lernens mit der Praxis des Lernens im Prozess der Arbeit verbunden werden. In diesem Beitrag wird ein solcher Ansatz aus konstruktivistischer Perspektive in Form eines Verfahrens vorgestellt, das in Hochschulseminaren zur Ausbildung von angehenden Lehrer(inne)n an berufsbildenden Schulen sowie im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen für betriebliches Ausbildungspersonal bereits angewandt, weiterentwickelt und evaluiert wurde (vgl. REBMANN/ TENFELDE 2008, 168 ff.; SCHLÖMER 2008).

Die praktische Ausrichtung von Arbeitsplätzen auf Lernförderlichkeit lässt sich in vier Verfahrensschritten skizzieren, in denen reale Geschäfts- und Arbeitsprozesse von Unternehmen identifiziert, beschrieben, analysiert und unter berufs- und betriebspädagogischen Gesichtspunkten gestaltet werden. Im ersten Schritt werden zunächst die zu modellierenden Arbeits- und Geschäftsprozesse (Herstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung) identifiziert, verbal beschrieben und in der übergeordneten betrieblichen und evtl. auch überbetrieblichen Wertschöpfungskette verortet. Dabei sind insbesondere Schnittstellen zu anderen Geschäftsprozessen zu bestimmen. Im zweiten Schritt erfolgt dann die softwaregestützte Beschreibung bzw. Modellierung des Geschäftsprozesses mit Schnittstellen zu anderen Geschäftsprozessen als so genannte ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK). Im dritten Schritt werden die Arbeits- und Geschäftsprozesse dann auf der Folie lernförderlicher Prinzipien re-modelliert. Im vierten Schritt werden schließlich die Lernerträge (z. B. erworbene Fachkompetenz) dokumentiert und der Lernerfolg analysiert.

Diese vier Schritte sollen in diesem Beitrag ausführlicher am Beispiel eines an der Universität Oldenburg durchgeführten Seminars im Studiengang Master of Education (Wirtschaftspädagogik) dargelegt werden. Das vierschrittige Verfahren diente in diesem Seminar dazu, lernförderliche Arbeitsumgebungen für kaufmännische Auszubildende in vier Unternehmensmodellen aus den Sektoren Industrie, Dienstleistung und Handel, Banken und Versicherungen sowie Informationstechnologien zu entwerfen.

2.  Identifizierung lernrelevanter Arbeits- und Geschäftsprozesse

Die Arbeits- und Geschäftsprozesse in Ausbildungsbetrieben stellen den Referenzrahmen zur Modellierung von Lehr-Lernprozessen für die betriebliche Bildung dar. Die Orientierung an Prozessen ist dabei nicht nur ein betriebswirtschaftlich begründbares Prinzip. Es lässt sich auch durchaus kognitionswissenschaftlich begründen, wenn dadurch die von Arbeitshandlungen ausgelösten kognitiven Prozesse in den Blick genommen werden (vgl. REBMANN/ TENFELDE 2008, 170). Allgemein betrachtet bezeichnet „Prozess“ einen Vorgang, eine Entwicklung oder eine Folge von aufeinander aufbauenden Aktivitäten und Ereignissen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht lassen sich deshalb Prozesse generell als Tätigkeits-, Aktivitäts-, Handlungs- oder Aufgabenfolgen beschreiben, die in einem entwicklungslogischen Zusammenhang stehen (vgl. CORSTEN 1997, 16). Sie haben einen Anfang und sind mit einem festgelegten Prozessende von anderen Prozessen abgrenzbar. Ein Prozess wird ausgelöst durch einen Input. In betriebswirtschaftlicher Perspektive betrachtet erzeugt ein Prozess eine Wertschöpfung und einen messbaren Output. Ein Prozess kann deshalb zusammenfassend definiert werden als eine inhaltlich abgeschlossene, zeitliche und sachlogische Folge von Aktivitäten, die zur Bearbeitung betriebswirtschaftlicher Objekte erforderlich ist (vgl. BECKER/ VOSSEN 1996, 19).

Prozesse besonderer Art sind Arbeits- und Geschäftsprozesse. Auch sie stellen Folgen von Tätigkeiten, Aktivitäten, Vorgänge oder Aufgaben dar, die in einem Unternehmen auf die zu erreichenden Unternehmensziele ausgerichtet sind (vgl. LIETZ 2008, 9). Arbeitsprozesse beschreiben dabei die Abläufe, die bei der Arbeit – z. B. im Kontext der Bearbeitung einzelner Aufgaben – auftreten. Aus einer betriebswirtschaftlichen Sicht betrachtet sind Arbeitsprozesse systematisch geplante Vorgänge im Arbeitssystem der Unternehmung, um betriebswirtschaftliche Ziele zu erreichen und darauf bezogene Aufgaben zu bearbeiten. Gemeinhin wird von Arbeitsprozessen vor allem in der gewerblich-technischen und handwerklichen Ausbildung im Kontext der Herstellung eines Produktes oder der Bereitstellung einer Dienstleistung gesprochen. Aus einer wirtschaftspädagogischen Perspektive sind Arbeitsprozesse eingebettet in einen umfassenderen Geschäftsprozess als Teil der betriebswirtschaftlichen Wertschöpfung (vgl. TRAMM 2004, 137). Da sich der Erfolg betriebswirtschaftlichen Handelns an der Wertschöpfung bemisst, scheint es sinnvoller zu sein, sich an Geschäftsprozessen zu orientieren, aus denen dann die betriebswirtschaftlich zweckmäßigen Arbeitsprozesse abgeleitet werden. Ein Geschäftsprozess wird verstanden als Folge von Unternehmensaktivitäten, die zur Erfüllung einer betriebswirtschaftlichen Aufgabe notwendig sind (vgl. STAUD 2006, 5). Diese Unternehmensaktivitäten werden in den Betrieben von deren organisatorischen Einheiten und den darin beschäftigten Aufgabenträgern unter Verwendung weiterer Produktionsfaktoren geleistet. Merkmale von Geschäftsprozessen sind (vgl. RUMP 1999, 19):

•  Sie haben ein oder mehrere Ziele, die mit dem Unternehmensziel korrespondieren.

•  Sie können in Teilaufgaben zerlegt werden.

•  Die Aufgaben werden von Aufgabenträger(inne)n bzw. Stelleninhaber(inne)n ausgeführt, die sich ihrerseits Organisationseinheiten des Unternehmens zuordnen lassen.

•  Geschäftsprozesse durchlaufen regelhaft mehrere Abteilungen. Sie liegen damit „quer“ zur klassischen, nach funktionalen Gesichtspunkten entwickelten Aufbauorganisation.

•  Zur Aufgabenbearbeitung werden Ressourcen und Informationen benötigt.

•  Geschäftsprozesse stellen Nutzen für externe und interne Kunden dar.

Dieses letzte Merkmal der Nutzenempfänger erlaubt eine differenzierende Beschreibung von Geschäftsprozessen nach Kern- und Unterstützungsprozessen:

„Alle Aktivitäten, mit deren Durchführung eine angestrebte Leistung bzw. Soll-Leistung durch Aufgabenträger erstellt wird, die an externe Kunden (Hauptprozesse) oder interne Kunden (Serviceprozesse) übergeben wird und für diese einen Wert darstellt.“ (KELLER/ TEUFEL 1997, 153).

Diese differenzierende Beschreibung ist besonders für die betriebliche Aus- und Weiterbildung relevant, stellen doch deren Leistungen Wertschöpfungsprozesse dar, die betriebsintern den so genannten „internen Kunden“ zufließen und von ihnen „abgenommen“ werden und damit betriebswirtschaftliche Kernprozesse unterstützen helfen.

Bezogen auf die in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskussion stehenden Begriffe Arbeitsprozess und Geschäftsprozess lässt sich nunmehr unterscheiden (vgl. LIETZ 2008, 11): Beide Begriffe stehen für Folgen von zusammenhängenden Tätigkeiten zur Erreichung von Unternehmenszielen. Während Arbeitsprozesse zur Herstellung eines konkreten Produkts benötigt werden, also warenbezogen zu denken sind, sind Geschäftsprozesse wertschöpfungsbezogen zu denken. Durch Arbeitsprozesse zu erzeugende Produkte und Dienstleistungen erhalten demnach erst dann ihren Wert, wenn sie für das Unternehmen einen Wert darstellen. Geschäftsprozesse bewerten damit auch Arbeitsprozesse und selektieren sie danach, ob und inwieweit sie Nutzen stiften im Sinne der zu erreichenden betriebswirtschaftlichen Ziele. Sie bündeln aber auch Arbeitsprozesse und integrieren sie zu einem betriebswirtschaftlichen Gesamtprozess.

Zu Beginn des Seminars an der Universität Oldenburg stellten die Studierenden diesen Zusammenhang zwischen Wertschöpfungsketten, Geschäftsprozessen und Arbeitsprozessen her, indem sie sich im ersten Verfahrensschritt Arbeitsplätze als Lernorte erschlossen. Da dies aber in einem Hochschulseminar zu leisten war, mussten „Ersatzhandlungen“ entwickelt werden. Diese bestanden zunächst in einer Befragung der Studierenden nach Arbeitsaufgaben und Arbeits- und Geschäftsprozessen, die sie während ihrer Ausbildung erfahren haben und die sie als besonders lern- oder ausbildungsrelevant erlebt haben. Diese Arbeits- und Geschäftsprozesse wurden gesammelt, nach Unternehmensmodellen geclustert und zur Diskussion gestellt. So wurde beispielsweise die Ausbildungsrelevanz dahingehend überprüft, ob und inwieweit diese ausgewählten Arbeits- und Geschäftsprozesse mit den der beruflichen Erstausbildung zugrunde liegenden Handlungs- und Lernfeldern korrespondieren. In der Diskussion zeigte sich ferner, dass Unterstützungsprozesse erheblich höhere Freiheitsgrade für kaufmännisch-verwaltende Auszubildende bieten als Kernprozesse (vgl. auch BAUER et al. 2007, 102 f.). Kernprozesse sind nämlich stark auf Prozesssicherheit, Schnelligkeit und Routine ausgelegt, um letztendlich Kundenansprüchen zu genügen und damit die Wertschöpfung des Betriebes zu gewährleisten. Notwendigerweise ergeben sich in Kernprozessen deshalb tendenziell weniger Möglichkeiten, um betriebswirtschaftliche Zweckmäßigkeiten gegenüber berufspädagogischen Ansprüchen zurückzunehmen. Die Auswahl lernförderlichen Arbeits- und Geschäftprozesse sollte dennoch nicht dazu führen, nur noch solche Aufgaben für eine lernförderliche Gestaltung zu selektieren, die fernab des Unternehmensgeschehens liegen.

Die Studierenden haben sich schließlich für folgende Geschäfts- und Arbeitsprozesse entschieden:

•  Kreditvergabe am Beispiel einer Autofinanzierung (Unternehmensmodell: Genossenschaftsbank),

•  Bearbeitung eines Kundenauftrags (Unternehmensmodell: Softwareentwickler),

•  Rohstoffbeschaffung (Unternehmensmodell: Industriebetrieb) und

•  Kundenumfrage (Unternehmensmodell: Dienstleistungsbetrieb).

Anschließend ging es dann darum, die jeweiligen Geschäfts- und Arbeitsprozesse in ihrer logischen oder empirischen Abfolge verbal zu beschreiben. Hier waren die Studierenden als Expert(inn)en im Sinne des Cognitive-Apprenticeship-Ansatzes für die konstruktivistische Gestaltungen von Lehr-Lern­arrangements gefordert (vgl. ausführlicher dazu REBMANN/ TENFELDE 2008, 165 ff.). Anstelle der darin üblichen Methode des lauten Denkens (kognitive Modellierung) sollten sie ihre Erinnerungen an die Aufgabenbearbeitung während ihrer Berufsausbildung verschriftlichen und auf einer Lernplattform den anderen Studierenden zugänglich machen. Mit der verbalen Beschreibung der Arbeits- und Geschäftsprozesse sind die vorbereitenden Arbeiten für die nachfolgende softwaregestützte Prozessmodellierung abgeschlossen.

3.  Softwaregestützte Modellierung von Arbeits- und Geschäftsprozessen

Ausgangspunkt für die softwaregestützte Modellierung sind also die empirisch vorfindlichen oder aus einer betriebswirtschaftlichen Logik heraus noch zu konstruierenden Wertschöpfungs- und Geschäftsprozesse. Diese beschreiben dann den aktuellen Bezugsrahmen für die Gestaltung lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse. Modellieren heißt hier: ein Modell von Arbeits- und Geschäftsprozesse zu erzeugen und zu prüfen, ob dieses Modell auch tatsächlich umgesetzt werden kann.

Unter einem Modell wird gemeinhin eine auf bestimmte Zwecke ausgerichtete und vereinfachende Beschreibung eines vergleichsweise komplexeren Wirklichkeitsausschnittes verstanden. Dabei wird beabsichtigt, das komplexe Original soweit zu vereinfachen, dass es für die Zwecke desjenigen, der das Modell erzeugt, von Nutzen ist und die Komplexität des Originals für ihn handhabbar macht. Dabei ist es wichtig, dass bei der Nachbildung des Systems im Modell neben der Vereinfachung auch die Anschaulichkeit des Modells im Blick behalten wird. Aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive betrachtet sind deshalb Modelle von Geschäftsprozessen immer interessen- und zielgeleitete Nachbildungen von Wirklichkeit, die jedoch aus einer berufs- und wirtschaftspädagogischen Perspektive re-modelliert werden können und wohl auch müssen (siehe 3. Schritt in Kapitel 4).

Im Seminar konstruieren die Studierenden in Kleingruppen Modelle lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse, die wiederum als Teilmodelle eines übergeordneten Unternehmensmodells zu verstehen sind. Die Studierenden entwerfen daher – nachdem sie im ersten Verfahrensschritt bereits einen Geschäfts- und Arbeitsprozess ausgewählt und verbal beschrieben haben – den übergeordneten Rahmen: Sie konstruieren gemeinsam ein Modell von einem Unternehmen, das ihren Geschäfts- und Arbeitsprozess umfassen könnte und beschreiben es anhand folgender Merkmale:

•  Gesellschaftsform,

•  Marktsegmente und das Produkt bzw. Dienstleistungsportfolio,

•  Unternehmensleistung bzw. Unternehmenszweck,

•  Kundengruppen,

•  Markteinordnung,

•  Anzahl der Mitarbeiter/innen,

•  finanzielle Orientierungswerte wie Umsatz, Kapitelrendite etc. und

•  falls relevant: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe.

Mit der Ausgestaltung des Unternehmensmodells verorten die Studierenden den exemplarisch gewählten Geschäfts- und Arbeitsprozess in einer betrieblichen bzw. bei Bedarf auch überbetrieblichen Wertschöpfungskette. Diese prozessorientierte Betrachtung ermöglicht es, Unternehmensaktivitäten schnittstellenübergreifend und branchenspezifisch darzustellen (vgl. Abb. 1)

Durch eine durchgängige Orientierung an Wertschöpfungsketten können Unternehmensmodelle folglich praxisnah und mit ihren domänenspezifischen Arbeitsstrukturen beschrieben werden. Schließlich erlaubt die prozessorientierte Sichtweise auf Unternehmen, Schnittstellen und damit Fehlerquellen, Liegezeiten etc. offenzulegen, Prozessziele wie Zeit, Kosten, Qualität zu definieren und darauf abgestimmt Unternehmensabläufe zielgerichtet zu gestalten (vgl. GAITANIDES/ ACKERMANN 2004, 11). Sie schafft einen besseren Überblick über den Verbrauch von Ressourcen und den Beitrag zur Wertschöpfung. Besonders die Offenlegung der Wertschöpfung lässt gezielte Analysen des in kooperierenden Geschäftsprozessen erzielten Prozessnutzens für interne und externe Kunden zu. Mit Geschäftsprozessen können deshalb genaue Zielvorgaben und darauf abgestimmte Prozesskostenrechnungen entwickelt werden.

Geschäftsprozessorientierung verlangt deshalb auch von den Mitarbeiter(inne)n, in Wertschöpfungsketten und Geschäftsprozessen zu denken und zu handeln. Indem der eigene Beitrag zur Wertschöpfung des Unternehmens in den Blick gerät und die eigene Stellung des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin im Arbeitsprozess transparent wird, können die Bereitschaft zur Identifikation der Mitarbeiter/innen mit dem Unternehmen und das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter/innen für den Geschäftsprozess gesteigert werden. Auf der anderen Seite werden dementsprechend Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten auf die Mitarbeiter/innen verlagert und die relative Autonomie der Mitarbeiter/innen in der Gestaltung ihrer Arbeitsprozesse erhöht. Voraussetzung für eine gelingende Verbesserung der Prozessqualität im genannten Sinne ist deshalb eine klare, überschaubare Beschreibung von Geschäftsprozessen mit den von den Mitarbeiter(inne)n auszuführenden Tätigkeiten und den Schnittstellen zu den Tätigkeiten anderer Mitarbeiter/innen. Dies ist Aufgabe einer Prozessmodellierung. Dabei geht es darum, Geschäftsprozesse zu modellieren, um sie zu verstehen und auf sie einwirken zu können (vgl. BECKER/ VOSSEN 1996, 19).

Für die Geschäftsprozessmodellierung haben sich grafische Darstellungsformen, wie vor allem die Methode der ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK), durchgesetzt (vgl. SCHEER/ THOMAS 2005, 1069). Grundlage für die Prozessmodellierung ist zunächst eine komprimierte Darstellung aller Unternehmensprozesse, z. B. in Form der Wertschöpfungskette. Aus dieser sind schließlich Ausschnitte zu wählen, die später mit einem höheren Detaillierungsgrad mittels ereignisgesteuerter Prozessketten dargestellt werden sollen. Diese Ausschnitte stellen eine wichtige Verbindung zwischen der komprimierten und abstrakten Prozessdarstellung auf Ebene der Wertschöpfungskette und der detaillierten und konkreten Prozessdarstellung auf Ebene einzelner Arbeits- und Geschäftsprozesse dar. Um beispielsweise die Planung des periodischen Bedarfs an Rohstoffen in einem Industrieunternehmen als Geschäfts- und Arbeitsprozess zu modellieren, ist der Abschnitt „Beschaffung“ in der industriellen Wertschöpfungskette herauszulösen und zunächst in Prozessgruppen zu gliedern. Dieses Vorgehen ist insbesondere bei der Einrichtung einer Prozesskostenrechnung üblich, bei der Hauptprozesse (dies können Kern- oder Unterstützungsprozesse sein) zunächst in Prozessgruppen bzw. Teilprozesse differenziert werden. Abb. 2 verdeutlicht diesen ersten Schritt am Beispiel der Einrichtung einer Prozesskostenrechnung in einem Unternehmen.

Die Zerlegung eines Geschäftsprozesses in Prozessgruppen zeigt deren funktionalen Bestandteile an. Im weiteren Verlauf lassen sich dann zeitliche und logische Reihenfolge mit Hilfe der Methode der ereignisgesteuerten Prozesskette grafisch detaillierter visualisieren. Diese Methode baut auf der Annahme auf, dass sich Prozessketten als Folge von Ereignissen und Funktionen darstellen lassen, denen wiederum Ereignisse und Funktionen folgen usw. Zwischen Ereignissen und Funktionen werden so genannte logische Verknüpfungsoperatoren eingesetzt. Verknüpfungsoperatoren zeigen Entscheidungen an, die im Verlaufe des Geschäftsprozesses getroffen werden bzw. getroffen werden müssen. Diese Entscheidungen hängen ihrerseits von Voraussetzungen und Bedingungen ab.

Der intendierten Aussage von ereignisgesteuerten Prozessketten entsprechend können Prozessketten durch weitere Symbole erweitert werden. So können z. B. die Zusammenarbeit mit anderen Organisationseinheiten, Zugriffe auf prozessrelevante Informationsobjekte und Informationsflüsse u. a. angezeigt werden. Abb. 3 zeigt ein Modell einer erweiterten ereignisgesteuerten Prozesskette (eEPK) mit den genannten Grundsymbolen und den erweiterten Symbolen.

Die Erstellung von ereignisgesteuerten Prozessketten basiert auf bestimmten Verfahrensregularien. So sind zum einen allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung und zum anderen konkrete Syntaxregeln zu beachten (vgl. dazu ausführlicher z. B. LIETZ 2008, 27 ff.; SCHEER/ THOMAS 2005, 1071 f.; STAUD 2006, 80).

Abb. 4 zeigt beispielhaft die Modellierung des Geschäfts- bzw. Arbeitprozesses „Verteilung von Gebäudekosten innerhalb der Kostenstellenrechnung“. Darin sind bereits mögliche Schlüsselstellen des Prozesses für eine lernförderliche Anreicherung und Re-Modellierung markiert. Es handelt sich dabei um einen Arbeits- und Geschäftsprozess aus einem Industrieunternehmen.

4.  Kompetenzorientierte Re-Modellierung lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse

Die mit Hilfe der EPK-Methode modellierten vorfindlichen Arbeits- und Geschäftsprozesse beschreiben den aktuellen Bedingungsrahmen für die Gestaltung lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse. Bei diesen Prozessen kann nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass sie auch von lernförderlicher Qualität sind und die Bildung und Persönlichkeitsentwicklung der Auszubildenden bzw. Mitarbeiter/innen fördern. Es gilt deshalb die Geschäftsprozesse im weiteren Verfahrensschritt so zu re-modellieren, dass sie sich auch als lernförderlich erweisen, ohne dadurch an der Qualität eines Beitrags zur betriebswirtschaftlichen Wertschöpfung einzubüßen. Um diese empirischen Arbeits- und Geschäftsprozesse kritisch zu hinterfragen und in lernförderliche zu überführen, können Checklisten dienen (vgl. dazu REBMANN/ TENFELDE 2008, 186 ff.). Abb. 5 zeigt exemplarisch eine Checkliste für den Bereich „Fachkompetenz“.

Diese Checklisten enthalten Rückfragen nach den Möglichkeiten der Beförderung von Kompetenzen und sind aufgebaut nach dem Kompetenzstrukturmodell von REBMANN, TENFELDE und UHE (2005, 119). So ergeben diese Rückfragen beispielsweise beim Arbeitsprozess „Verteilung von Gebäudekosten innerhalb der Kostenstellenrechnung“ Möglichkeiten der Beförderung von Fachkompetenzen. Zu diesen Fachkompetenzen zählen u. a. das Fachwissen zur Erstellung eines Betriebsabrechnungsbogens, Kenntnisse zu einzelnen Leistungserstellungsorten in Betrieben und auch grundlegendes Systemwissen, das sich auf das Zusammenspiel von Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung bezieht. Als Methodenkompetenzen können sich durch die Checklistenfragen spezifische Fertigkeiten ergeben, Kosten möglichst verursachungsrecht in Betrieben zu verteilen. Darüber hinaus können auch Techniken der Selbstorganisation und der Analysefähigkeit befördert werden. Reflexionsbereitschaft, die Fähigkeit aus Fehlern zu lernen sowie die Fähigkeit, Verfahren der Kostenverteilung selbständig zu erschließen und in der Aufgabe anzuwenden, sind anzustrebende Gestaltungskompetenzen, die für die Mitarbeit beim Gestalten einer Kostenstellenrechnung bedeutsam sind.

Kurzum, dort wo die kritischen Rückfragen auf Veränderungen des Arbeits- und Geschäftsprozesses verweisen, können beispielsweise zu den konkretisierten Kompetenzen kognitionswissenschaftlich reflektiert Lernaufgaben in den Arbeits- und Geschäftsprozess eingebaut werden.

Damit vollzieht sich die Modellierung lernförderlicher Geschäftsprozesse in den folgenden Teilschritten.

•  Auf der Basis der erweiterten ereignisgesteuerten Prozessketten werden die im Rahmen des Geschäftsprozesses zu bearbeitenden Aufgaben – sie entsprechen im Regelfall den Funktionen – festgelegt und hierfür Detailmodelle angefertigt. Aufgabenmodelle sind dann der Ausgangspunkt für die Modellierung von Lernaufgaben, die Arbeitsprozesse begleitend unterstützen oder die durch Arbeitsaufgaben unterstützt werden.

•  Danach geht es um die Modellierung von lernförderlichen Arbeitsaufgaben nach dem Konzept des lernbegleitenden Arbeitens. Lernbegleitende Aufgaben sind unmittelbar auf die zu bearbeitende Funktion/Arbeitsaufgabe bezogen. Sie können darauf abzielen, benötigte Informationen zu sichten, zu bewerten und auf die Arbeitsaufgabe anzuwenden. Sie können Wissen und Fertigkeiten befördern, die für eine professionelle Arbeitsausführung erforderlich sind. Sie können die Anforderung geschäftsprozessrelevanter Kooperation mit anderen Organisationseinheiten unterstützen usw.

•  Arbeitsaufgaben bieten häufig günstige Gelegenheiten für vertiefende und erweiternde Lernprozesse, die von der Arbeitsaufgabe zwar nicht angefordert, aber begünstigt werden. Diese Lernmöglichkeiten gilt es im Sinne eines „Überschusslernens“ zu nutzen. Solche Lernaufgaben zielen auf eine Verbreiterung der Erfahrungs- und Wissensbasis, auf tiefer gehende Einsichten in die Zusammenhänge der Arbeitsaufgaben und die zu bearbeitende Problemlage sowie auf eine breitere Beförderung der beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie sind nicht unmittelbar geschäftsprozessrelevant, werden aber praktisch von Geschäftsprozessen ausgelöst und empirisch unterstützt. Hier geht es also darum, das lernförderliche Potenzial von Arbeits- und Geschäftsprozessen mit Hilfe von arbeitsorientierten Lernaufgaben nach dem Konzept des lerngesteuerten Arbeitens zu erschließen.

•  Abschließend gilt es die zuvor genannten Teilschritte zu einem lernförderlichen Geschäftsprozess – vorzugsweise wiederum nach der Methode der erweiterten ereignisgesteuerten Prozessketten – zu re-modellieren.

Abb. 6 zeigt einen Ausschnitt aus der lernförderlichen Re-Modellierung des zuvor beschriebenen Geschäftsprozesses „Verteilung von Gebäudekosten innerhalb der Kostenstellenrechnung“. Hier erhält der Lernende zum Beispiel die Aufgabe, sein erstes Arbeitsergebnis – die Einteilung der Betriebsgebäude nach Kostenstellensegmenten – dem Ausbilder und dem Controller zu präsentieren. In der Diskussion mit dem Ausbilder und dem Ansprechpartner aus dem Controlling können sich dann Notwendigkeiten ergeben, den Erstvorschlag zu überarbeiten. Im Anschluss ergeben sich Lernmöglichkeiten vor allem in der Ortsbegehung, in der Auszubildende mit Kollegen aus verschiedenen Abteilungen analysieren, welche Kostenstelle jeweils welche Gebäudefläche in Anspruch nimmt. Diese Gestaltungsaufgabe lässt sich in Betrieben ergebnisoffen durch das Ausbildungspersonal gestalten, weil hier Eingriffe in Kernprozesse weitestgehend vermieden werden. Dennoch wird der Auszubildende in dieser Teilaufgabe an einem Projekt beteiligt, das einen wichtigen Unterstützungsbeitrag für die Wertschöpfungskette leistet. Es kann somit im Sinne von GERDSMEIER (2004) von einer unfertigen Aufgabe gesprochen werden, die den Lernenden adäquate Freiheitsgrade zur eigenständigen Problemlösung eröffnet.

5.  Wissensdokumentation und Lernerfolgsanalyse

Lernen im Prozess der Arbeit stellt für das Unternehmen einen strukturierten Wissenszuwachs dar. Damit auch zukünftig auf dieses Wissen für die Wiederverwendung bei vergleichbaren Problemstellungen zugegriffen werden kann, können so genannte Wissenslandkarten angelegt werden. Eine besondere Form von Wissenslandkarten sind Wissensstrukturkarten. Wissensstrukturkarten sind grafische Verzeichnisse, die wissensbasierte und vergleichbare Problemlösungen als Zusammenhänge zwischen Sachverhalten aufzeigen in der Form von Beziehungsnetzen (vgl. EPPLER 2001). Wissensstrukturkarten zeigen also Wissensbausteine für eine erfolgreiche Problemlösung an und sind in der Lage, Wissen transparent und strukturiert darzustellen. Mit der Karte werden der Ist-Zustand des im Unternehmen vorhandenen Wissens und seine Verteilung als „Erfahrungswissen der Firma“ abgebildet. Diese Möglichkeit der grafischen Abbildung von problemlösungsrelevantem Wissen bietet sich aber nicht nur dem Unternehmen an, das damit klären kann, welches Wissen welcher Mitarbeiter bzw. welche Mitarbeiterin für welche Problemlösungen erfolgreich verwendet (vgl. PROBST/ RAUH/ ROMHARDT 1999). Es bietet sich auch den Lernenden an, ihre Lernfortschritte wissensbasiert zu dokumentieren, zu analysieren und zu reflektieren. Mit Hilfe von Wissenslandkarten können Auszubildende beispielsweise im Anschluss an eine konkrete Arbeits- und Geschäftsprozessanalyse eine Wissenslandkarte aufstellen, die anzeigt, welches Wissen sie vor der Aufgabenbearbeitung in den Lernprozess bereits einbringen konnten und über welches (vernetzte) Wissen sie im Anschluss an den Lernprozess nunmehr als kollektives Wissen verfügen und in zukünftige Arbeits- und Geschäftsprozesse einbringen können (vgl. OTT 2003; siehe auch Beispiel in Abb. 7).

Wissenslandkarten können also zweierlei abbilden: die in den bisherigen Geschäftsprozessen akkumulierten Wissensstrukturen und das arbeitsprozessbezogene, in Lerngruppen generierte Wissen. Die vorstehenden Erläuterungen einer Wissenslandkarte können einerseits das Wissenspotenzial eines Betriebs visualisieren und anzeigen, welches Wissen von wem wo in der Organisation und in welchem Umfang vorliegt. Sie können aber auch als Wissenslandkarte für projektförmige, an arbeits- und geschäftsprozessorientierte Ausbildungen angelegt werden. In Wissensstrukturkarten können Auszubildende andererseits auch erkennen, welches Wissen sie in welcher Verknüpfung für die erfolgreiche Bearbeitung des Kundenauftrags benötigen. Sie können ihre aktuelle Wissensbasis auf der Wissenslandkarte ermitteln (Was kann ich schon? Was muss ich noch lernen?). Und sie können ihre individuellen Lernschritte im Zuge der Bearbeitung des Kundenauftrags verfolgen, auf Vollständigkeit überprüfen und abschließend erkennen, welches Wissen sie als Lerngruppe insgesamt miteinander teilen und zukünftig in vergleichbare Problemlösungen einbringen können.

6. Schlussbemerkung

Das vorgestellte Verfahren zielt auf die praktische Gestaltung lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse ab und stellt ein Diskussionsangebot dar. Es handelt sich um ein mehrschrittiges Modell bestehend aus: erstens Identifizieren lernrelevanter Arbeits- und Geschäftsprozesse und verbale Beschreibung dieser Arbeits- und Geschäftsprozesse, zweitens softwaregestützte Modellierung, drittens kompetenztheoretisch reflektierte Re-Modellierung lernförderlicher Arbeits- und Geschäftsprozesse und viertens die Dokumentation und Bewertung des Lernertrags. Es handelt sich dabei um ein Diskussionsangebot, das sich sowohl in der kritisch-diskursiven Analyse als auch in der Praxis der betrieblichen Aus- und Weiterbildungsarbeit bewähren muss. In den berufs- und wirtschaftspädagogischen Lehrveranstaltungen des Master of Education (Wirtschaftspädagogik) an der Universität Oldenburg ist es inzwischen fester Bestandteil, wird dort durch Studierende weiterentwickelt und derzeit insbesondere durch Kooperationen mit Unternehmen auf seine Angemessenheit hin überprüft.

Literatur

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zuletzt gespeichert am: 06.10.2008 6:59 PM

 

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