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BrandesRiesebieterTramm

Uwe Brandes/ Bernd Riesebieter/ Tade Tramm

Geschäftsprozessorientierung und Fachsystematik am Beispiel der Modellierung des Lernfeldes 6

1.  Problemstellung

Das Lernfeld 6 „Beschaffungsprozesse planen, steuern und kontrollieren“ gehört zu den Prozesslernfeldern des Rahmenlehrplans für Industriekaufleute, ist dem 2. Ausbildungsjahr zugeordnet und mit einem Zeitrichtwert von 80 Stunden ausgewiesen. Es geht um Beschaffungsprozesse, d. h. um Tätigkeiten, Probleme, Konzepte bei der Versorgung des Systems Unternehmung mit Gütern und Dienstleistungen. Den umfassenden Zielformulierungen im Rahmenlehrplan sind knappe Inhaltsangaben zugeordnet. Die für die Unterrichtsplanung und ­-gestaltung nützlichen „Hinweise zum Unterricht“, wie noch in den niedersächsischen Richtlinien für den berufsspezifischen Unterricht im Ausbildungsberuf Industriekaufmann/ Industriekauffrau von 1997 enthalten, liegen nicht mehr vor. Die für jede Schule notwendige curriculare Arbeit, die Zielvorgaben in konkrete didaktisch-methodische Unterrichtsgestaltung umzusetzen, stellt für die Kollegien eine besondere Herausforderung dar.

Zu den zentralen Fragestellungen (und Herausforderungen) gehören für uns:

•  wie ist das gesamte Lernfeld in Teilsequenzen zu gliedern und wie sollen die Schnittstellen zwischen den Teilsequenzen aussehen,

•  wie sind Lernsituationen so zu gestalten, dass sie den Beschaffungsprozess zum Ausgangs- und Bezugspunkt eines durchgängigen Lernprozesses machen,

•  wie können wir die Verbindung der prozessbezogenen Aspekte mit systematischen Aspekten sichern und

•  in welchem Umfang können wir auf Modellunternehmen zurückgreifen.

 

2. Unser Vorgehen – Verständigung auf Gestaltungskriterien und Eckwerte

Die Notwendigkeit, die Ziel- und Inhaltsangaben von 80 Unterrichtsstunden zu gliedern und in Teilsequenzen zu zerlegen, war offensichtlich. Der erste Versuch, durch sorgfältiges Lesen der Zielformulierung und analytische Strukturierung drei Abschnitte zu bilden, denen dann die bekannten Inhalte zugeordnet wurden, musste scheitern. Das Ergebnis war eher eine aus Lehrbüchern bekannte Fachsystematik als ein durchgängiger Beschaffungsprozess, der zur Erreichung der angestrebten Ziele führen könnte.

Die ernsthafte Auseinandersetzung mit den „Kriterien für die Gestaltung von Lernsituationen“ ( http://www.culik.de/Materialien/22_Gestaltungskriterien.pdf ) führte zur Entscheidung für bestimmte Eckwerte, die wir dann der weiteren curricularen Arbeit zu Grunde gelegt haben.

Grundlage für die Modellierung von Lernsituationen sollen Geschäftsprozesse sein, die zunächst zu analysieren sind. Was sind die relevanten Konzepte und Probleme, was ist das Wissenswerte und das Erkenntnispotenzial, wie sollen Geschäftsprozesse für den Lernprozess aufbereitet werden? Wie sind aktuelle Entwicklungen in Unternehmen und in der Fachwissenschaft zu berücksichtigen? Die Auswertung von Betriebserkundungen und didaktische Überlegungen haben dazu geführt, den Beschaffungsprozess zunächst in einem eher „traditionellen“ Ablauf zu modellieren, mit Geschäftskorrespondenz und Nutzung einzelner Module einer kommerziellen Software. Der Einsatz eines ERP-Programms (Enterprise Resource Planning = integrierte Unternehmenssoftware) und insbesondere mögliche Auswirkungen auf bestehende Geschäftsprozesse werden im Zusammenhang mit Beschaffungslogistik und Beschaffungscontrolling in einer abschließenden Teilsequenz thematisiert.

Für die Simulation von Geschäftsprozessen und für die konkrete Ausübung der notwendigen Tätigkeiten ist ein Modellunternehmen zu hinterlegen, in dem Schüler in ihren Rollen agieren, den Beschaffungsprozess planen, durchführen und auswerten sowie den Beitrag dieses Prozesses zum Erreichen der Unternehmensziele erfahren. Wir haben uns für die Designermöbel GmbH (http://www.culik.de/designermoebel/Modellunternehmen%20DM/index.html ) (vgl. dazu Lübke/Riesebieter1997; 1999) entschieden. Dieses Modellunternehmen weist eine für das Lernfeld 6 hinreichende Modellierung und Validität auf, lässt sich mit der Simulationssoftware SIMBA (Steinborn/Müller 2000; vgl. auch Steinborn 1997; Tramm/Rebmann 1997) nutzen und bietet in der medialen Repräsentation genügend Anschaulichkeit. Aus pragmatischer Sicht sprach alles dafür, auf umfangreiche Erfahrungen und Materialien aus der Arbeit der beiden Kooperationspartner (BBS Haarentor und Studienseminar Oldenburg) mit diesem Modellunternehmen zurückzugreifen.

Die Ausgangssituationen für die Teilsequenzen sind so zu gestalten, dass sie als offene, problemhaltige Situation den Arbeitsprozess der Schüler strukturieren. Sollen diese Handlungssituationen durchgängig bearbeitet werden, kommt es entscheidend darauf an, einen angemessenen Wechsel zwischen dem problem- und handlungsbezogenen Lernen in der Fallsituation mit den notwendigen Phasen der Systematisierung, Begriffsbildung und kritischen Reflexion herzustellen. Unterrichtsplanung und Unterrichtsdurchführung müssen dazu führen, dass situationsgerechtes Handlungswissen und Zusammenhangswissen auch generalisiert und auf ähnliche Situationen transferiert werden kann. Dazu ist

die Kenntnis von Fachbegriffen und auch die Systematik fachwissenschaftlicher Theoriebildung unverzichtbar. Wie und wann kann im Unterricht diese Verknüpfung hergestellt werden, ohne große „Theorie- und Definitionsbeulen“ zu erzeugen und damit den Handlungsstrang zu zerstören? Konkret: Was müssen Schüler z. B. für Anbahnung und Abschluss eines Kaufvertrages unbedingt wissen, um in einer bestimmten Situation begründet Beschaffungsentscheidungen zu treffen, welche Begriffe können (und müssen) in einer anschließenden Systematisierungsphase vertieft werden und welcher Zeitraum darf zwischen diesen Phasen liegen?

Die im Beschaffungsprozess wirksamen Wertströme sind zu dokumentieren und auszuwerten. Das bedeutet durchgängige Arbeit mit Belegen und Integration von Kenntnissen und Tätigkeiten, die bisher eher isoliert im „Rechnungswesen“ unterrichtet worden sind (vgl. dazu auch Preiß/Tramm 1996; Tramm 2003b). Das bedeutet auch, Entscheidungen, die Verbindlichkeiten für das Unternehmen auslösen, am Ort und zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zu erfassen, bevor sie als Beleg im Rechnungswesen bearbeitet werden (Bestellobligo im Einkauf – Offener Posten Kreditor im Rechnungswesen). Die Funktion des Rechnungswesens als Planungs-, Steuerungs- und Kontrollinstruments für das Gesamtunternehmen kann so für Schüler deutlich werden.

3. Die Sequenzierung des Lernfeldes 6

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen heraus ergibt sich die folgende Sequenzierung:

(1)  Teilsequenz 1 „Ungestörter Beschaffungsprozess“

Der Modellierung des ungestörten Beschaffungsprozesses als Basissequenz liegen zwei strukturierende Entscheidungen zugrunde. Zunächst war zu entscheiden, in welcher Weise der grundlegende Beschaffungsprozess als Kernprozess dieses Lernfeldes modelliert werden soll. Dies scheint nur auf den ersten Blick trivial; bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass hiermit einerseits die Frage zu klären ist, wie weit dieser Prozess über die typischen, funktional definierten Abteilungsgrenzen hinaus weisen soll (gehören Bedarfsermittlung, Wareneingangprüfung, Rechnungsbearbeitung dazu?). Andererseits muss entschieden werden, wie vollständig der modellierte Prozess sein soll, oder ob er, etwa im Hinblick auf „den typischen Praxisfall“ nicht eher als Routinebeschaffung zu feststehenden Konditionen bei einem eingeführten Lieferanten abgewickelt werden soll.

Führt man sich vor Augen, dass es bei der Modellierung von Lerngegenständen nicht um die 1:1-Abbildung realtypischer Fälle geht, sondern darum, einen komplexen Lerngegenstand angemessen abzubilden, so wird klar, dass der Bezugspunkt der Modellierung ein idealtypisch vollständiger Beschaffungsvorgang sein muss, der im Sinne des Prozessansatzes auch unabhängig von der herkömmlicher Stellen- und Abteilungsbildung im Unternehmen zu definieren ist. In der Modellierung der Beschaffungssituation fließen somit theoretische und empirische Überlegungen zusammen (vgl. hierzu auch Tramm 1996; Tramm/Rebmann 1997).

Abbildung 1 illustriert dies, indem einerseits der Prozessverlauf von der Bedarfsermittlung bis zum Rechnungsausgleich als relevante Prozesskette vorgestellt wird und andererseits in Form einer kognitiven Landkarte bzw. einer thematischen Kernstruktur die systematischen Dimensionen dieses Beschaffungsprozesses und seine zentralen Konzepte analytisch herausgearbeitet werden. Ausgehend von einer komplexen, für die Schüler durchaus problemhaltigen Ausgangssituation (http://www.culik.de/cft/themen/ws3/brandes_riesebieter_materialien.pdf , S. 10 und 16 ) werden die Phasen des Beschaffungsprozesses sukzessive bearbeitet. Das Ausmaß selbstständigen Entdeckens bzw. Rekonstruierens aufgrund vorhandener Unterlagen bzw. vom Lehrer oder durch Lernmaterialien gelenkter Erarbeitung kann dabei in Abhängigkeit von den Lernvoraussetzungen variieren.

Parallel zu dieser schrittweisen und konkreten Erarbeitung des Beschaffungsprozesses erfolgt einerseits dessen strukturelle Rekonstruktion in Form einer symbolischen Abbildung des Prozessverlaufs, etwa in Form einer Prozessdokumentation unter Nutzung des ARIS-Toolset (http://www.culik.de/Materialien/designerM_aris/index.html ) (Riesebieter/Krupp 2004). Andererseits wird unter der Frage nach Sinn und Funktion der einzelnen Arbeitsschritte der systematische Sinnhorizont des Beschaffungsprozesses thematisiert. Darüber wird deutlich, welche Arbeitsschritte etwa im Hinblick auf den rechtlichen Ablauf in welcher Weise relevant sind, welche Schritte der Lenkung der Güter- bzw. Geldströme dienen, wie die Daten- und Informationsströme organisiert sind u. s. w. Zugleich wird hier aus dem praktischen Gestaltungs- und Handlungszusammenhang heraus in diese systematischen Themenfelder eingeführt.

Transferaufgaben, insbesondere auch solche, die den Bezug zum eigenen Ausbildungsbetrieb herstellen sind nach unserem Verständnis eine wesentliche Phase in der Struktur unserer Sequenz. Diese lassen sich ggf. auch mit Maßnahmen der Erfolgskontrolle verknüpfen, die sich sowohl auf prozessbezogene Fertigkeiten und Fähigkeiten, auf das Verständnis des Prozessablaufs und schließlich auf die Kenntnis und das Verständnis der fachsystematischen Zusammenhänge beziehen.

Abb.1: Modellierung des ungestörten Beschaffungsprozesses

• (2) Teilsequenz 2 „Störungen im Beschaffungsprozess“

Mit der zweiten Teilsequenz soll die Behandlung systematischer Aspekte des Beschaffungsprozesses vertieft werden. Ausgangspunkt hierfür sind im Regelfall Störungen unterschiedlicher Art und Komplexität im Beschaffungsprozess. Es kann sich zunächst um einfache Störungen im operativen Ablauf handeln (Lieferstörung, Terminüberschreitung, Güterengpässe) und dann zunehmend komplexere Störungen und Veränderungen im Umsystem der Unternehmung, in deren Strategie oder Zielausrichtung einbeziehen. Für das Verständnis und die Bearbeitung solcher Störungen oder Probleme bedarf es im Regelfall der Kenntnis und Anwendung von Begriffen, Theorien, Normen und Verfahrensweisen insbesondere aus der Betriebswirtschaftslehre, aber auch der Rechtslehre oder der Informatik. Diese sind so also aus der jeweils relevanten Problemsituation heraus einzuführen und werden somit immer auch in ihrer pragmatischen Bedeutsamkeit erfahrbar. Welche Störungen und Problemsituationen in welcher Abfolge modelliert werden hängt letztlich davon ab, welche systematischen Inhalte in welcher Sequenz thematisiert werden sollen.

 Abb. 2: Aspekte der Teilsequenz 2

 (3) Teilsequenz 3 „Logistikkonzepte und Beschaffungscontrolling“

Die Zuordnung dieser Inhaltsbereiche in eine weitere, gesonderte Teilsequenz halten wir für sinnvoll, weil sie erstens nur schwer in den Beschaffungsprozess integriert erarbeitet werden können ohne dessen Ablauf zu unterbrechen und weil zweitens das gewählte Modellunternehmen auf Grund seiner Branche und Größe nur bedingt dazu geeignet ist, die angestrebten Lernziele zu erreichen. Um trotzdem die Verbindung zur Designermöbel GmbH zu bewahren, wird die Lernsituation für diese Teilsequenz wie folgt modelliert:

Der Juniorchef nimmt wegen zunehmend auftretender Schwierigkeiten bei der Materialversorgung an einem Managementseminar teil.

Abb.3: Aspekte der Teilsequenz 3

Die dort zur Verfügung gestellten Materialien beziehen sich u. a. auf Beschaffungsportfolio und Strategien, Just in Time, E-Procurement, ERP-Programme für KMU, etc.(http://www.culik.de/cft/themen/ws3/brandes_riesebieter_materialien.pdf , S. 23 ) und sind von den Schülerinnen und Schülern unter zentralen Leitfragen aufzubereiten :

•  Wie ist das Vorgehen bei diesen Werkzeugen und welche Ziele werden damit verfolgt?

•  Welche Unternehmensbereiche sind davon betroffen?

•  Sind die Werkzeuge und Konzepte für den Einsatz in der Designermöbel GmbH (Branche, Unternehmensgröße u. ä.) geeignet?

4. Umsetzung der Vorüberlegungen

Mit dem Ziel, eine schnell fassbare, übersichtliche, informative und sowohl in der Prozessgestaltung wie auch in der Ausgestaltung der jeweiligen Phasen nachvollziehbare Darstellung der Teilsequenzmodellierung zu haben, haben wir die tabellarische Form gewählt und so angelegt, dass die horizontale Struktur die didaktisch-methodischen Überlegungen und situative Gestaltung der jeweiligen Phasen wiederspiegelt, und die vertikale Struktur den Aufbau und Ablauf des Arrangements in seiner Chronologie und Sachlogik (Prozess) dokumentiert und nachvollziehbar werden lässt (http://www.culik.de/cft/themen/ws3/brandes_riesebieter_materialien.pdf , S. 3 ff. ).

4.1 Unterrichtsmaterialien für die Teilsequenz 1

(http://www.culik.de/cft/themen/ws3/brandes_riesebieter_materialien.pdf , S. 10 ff. )

Als äußeren Bezugsrahmen für die Unterrichtsmaterialien haben wir eine fortlaufende Story in narrativer Form gewählt, um die Auszubildenden dort abzuholen, wo sie stehen und um eine Rollenidentifikation mit den im Lernfeld agierenden Auszubildenden (Carola und Lars) zu erzielen. Ferner sind die Materialien so angelegt, dass die angestrebten Lernziele den jeweiligen Unterrichtsphasen vorangestellt sind um den Auszubildenden Zielklarheit und Zieltransparenz ihrer Handlungen zu vermitteln.

4.2 Erprobung der Materialien

Die Überprüfung und Erprobung der Modellierung des Lernfeldes 6 hinsichtlich der konzeptionellen Überlegungen und der Anwendbarkeit der Materialien erfolgt zur Zeit in einer Klasse der Fachstufe I für Industriekaufleute an der BBS Haarentor. Parallel hierzu werden die gewonnenen Erfahrungen mit den Vorüberlegungen durch die Kooperationspartner (BBS Haarentor und Studienseminar Oldenburg) permanent abgeglichen, kritisch reflektiert und evaluiert.

4.3 Versuch einer systematischen Einordnung und Ergänzung

Die Arbeit der Oldenburger Kolleginnen und Kollegen steht exemplarisch für die konkrete Lernfeldarbeit im Rahmen von Culik und illustriert damit auch sehr gut die Umsetzung und die Wirksamkeit der curricularen Gestaltungskriterien (siehe dazu den Beitrag von Tramm/Steinemann/Gramlinger in diesem Band).

Systematisch ist der hier vorgestellte Ansatz in zweifacher Weise wichtig und aufschlussreich. Einerseits steht in ihm die Frage nach der Verzahnung von Arbeitsprozess und Fachsystematik bzw. von Arbeitsprozesswissen und Fachtheorie im Fokus und er grenzt sich damit betont ab von allen Versuchen einer Dichotomisierung dieser Wissensbereiche (vgl. z. B. Fischer 2000, S. 119ff.). Es geht in der Tat um ein Verständnis von Geschäftsprozessen unter Nutzung theoretischer Konzepte und, umgekehrt gewendet, um einen Zugang zu diesen Konzepten aus einer vertieften Auseinandersetzung mit betrieblichen Prozessen und Problemen (vgl. dazu auch Tramm 2003a).

Andererseits stellen sich die Kolleginnen und Kollegen der Frage, wie eine solche Verzahnung praktisch aussehen kann, ohne dass das Eine im Anderen verloren geht. Der hier vorgelegte Entwurf folgt im Prinzip einer elaborativen Sequenzierungsstrategie, wie sie im Anschluss an Bruners Idee des Spiralcurriculums insbesondere Reigeluth/Stein (1983) ausgearbeitet haben. Ausgehend von einer ganzheitlich-vollständigen, aber auf ihre strukturgebenden Kernelemente reduzierten Grundstruktur werden sukzessive zusätzliche systematische Dimensionen bzw. Schichten eingeführt (vgl. Achtenhagen/Tramm/Preiss et al. 1992, S. 105ff.; Preiss/Tramm 1996).

Die nachfolgende Abbildung illustriert dieses Sequenzierungsprinzip exemplarisch in einer gegenüber dem Oldenburger Vorschlag etwas abgewandelten Variante und macht zudem deutlich, wie im Fortgang der Sequenzen zunehmend anspruchsvollere betriebswirtschaftliche Fragen thematisiert werden können.

Abb.4: Sequenzierung nach zunehmender Komplexität der betriebswirt­schaftlichen Problemstellungen im Beschaffungsbereich

Grundlegend ist aber auch in diesem Modell die gründliche Erarbeitung des Kernprozesses und der in ihm enthaltenen thematischen Dimensionen und Grundkonzepte. Auch hierbei wären unterschiedliche Einführungsvarianten vorstellbar. So etwa von einer zunächst umrisshaften analytischen Rekonstruktion zum Schrittweisen, konkreten Durcharbeiten der Teilprozesse. In einer anderen Variante wäre es auch möglich, zunächst von „unvollständigen Beschaffungsprozessen“ auszugehen, die etwa nur die Beschaffungsabwicklung thematisieren und von einer Ausgangssituation ausgehen, in der Bedarf, Anbieter und Bestellmodalitäten bereits vorentschieden sind. Erst in den nächsten Schritten würden dann die vorgelagerten Prozesse und Entscheidungen einbezogen werden. Gegenstand der gesamten Basissequenz bliebe unverändert der idealtypisch-vollständige Prozess, nur würde dieser eben in den Lernschritten sukzessive aufgebaut werden.

Bei einer solchen Verteilung der Lern- und Erkenntnisschritte auf sequenziell angeordnete Lernfelder bzw. Sequenzen innerhalb der Lernfelder kommt der Abstimmungsfrage zwischen den Sequenzen und Lernfeldern wachsende Bedeutung zu. Lernziele sind sinnvoll nur über die Lernfelder hinweg in einer diachronen Perspektive zu formulieren und ihrer Formulierung kommt für die Organisation des Lehr-Lern-Prozesses wie auch für dessen Evaluation zentrale Bedeutung zu. Hierbei ist wiederum im Auge zu behalten, dass Lernziele zwei unterscheidbare, wenn auch aufeinander verwiesene Referenzbereiche haben: Einerseits sind sie als prozessbezogene Fähigkeiten und Fertigkeiten für definierte Prozesse zu formulieren und folgen der Frage, was Schüler mit welchem Grad an Perfektion bezogen auf einzelne Prozesse bzw. Teilprozesse zu leisten imstande sein bzw. – schlichter formuliert – was sie können sollen. Insofern wären Ziele dieser Art durchaus auf der Ebene einzelner Lernfelder formulierbar. Zugleich ist immer auch die Frage zu stellen, was Schüler an den einzelnen Prozessen lernen, welche prozessübergreifenden Einsichten, Erkenntnisse, Einstellungen und auch Fähigkeiten sie im situativen Kontext solcher Prozesse erwerben sollen. Entscheidend ist hierbei die Annahme, dass Kompetenzerwerb als lernfeldübergreifender Entwicklungsprozess in den drei
Kompetenzdimensionen (Sach-, Sozial-, Humankompetenz) anzulegen ist.

 

Abb.5. Prozessbezogene und prozessübergreifende Kompetenzen als Zieldimensionen des Lernfeldcurriculums

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sowohl lernfeldspezifische als auch lernfeldübergreifende Kompetenzen wissensbasiert sind und dass es für einen erfolgreichen Unterricht unverzichtbar sein wird, diese Wissensbasis von Kompetenzen aufzudecken. Für die Transferierbarkeit von Wissen ist es von entscheidender Bedeutung, ob es gelingt, dieses im Anschluss an den problemlösenden Aufbau wieder aus situativer Gebundenheit zu lösen (zu dekontextualisieren) und in möglichst vielfältigen systematischen Zusammenhängen zu verankern. Begrifflich Reflexion ist in diesem Sinne nicht nur der entscheidende Schritt zum Verständnis von Prozessen, sondern zugleich der Schlüssel zu Handlungsflexibilität und Transfer

In dieser Sicht stellen sich bei der Umsetzung lernfeldorientierter Lehrpläne drei zentrale Fragen, nämlich:

•  Welche Kompetenzen sollen am Ende des Lernprozesses, also nach drei Jahren erreicht sein, womit sich auch die Frage verbindet, über welches Strukturwissen, welche Kernbegriffe, ggf. auch welche Teilkompetenzen die Lernenden dann aktiv verfügen können sollen.

•  Welcher Entwicklungsprozess wird im Hinblick auf jede dieser Kompetenzen vor dem Hintergrund entwicklungspädagogischer Überlegungen angestrebt. Hier dürfte nachvollziehbar sein, dass einerseits die Entwicklung des Systemverständnisses i. S. der systemorientierten BWL oder zur Fähigkeit der Modellierung der Wertschöpfungsprozesse über die Lernfelder hinweg in noch zu definierenden Kompetenzstufen verläuft und dass andererseits der Entwicklungsverlauf hier ggf. anders zu beschreiben und zu planen ist als im Hinblick auf methodische Kompetenzen, auf die moralische Urteilsfähigkeit oder die Empathie für Kundenbedürfnisse. In jedem Fall müssen unterschiedliche Kompetenzdimensionen beschreibbar sein und hierbei scheint uns ein Bezug auf die fachliche Systematik unverzichtbar.

•  Schließlich wird es auf dieser Grundlage erforderlich sein, den Beitrag eines jeden Lernfeldes in diesem Entwicklungsprozess so präzise zu definieren, dass idealer Weise die Schnittstellen zu den vor- und nachgelagerten Lernfelder allen Beteiligten bekannt sind. Nur so kann hinreichende Zielklarheit und die erforderliche Verlässlichkeit sichergestellt werden.

Für die weitere Arbeit an den einzelnen Lernfeldern wie auch für die Bearbeitung des Rahmenlehrplanes insgesamt wird es nach unserer Auffassung entscheidend darauf ankommen, die systematische Berücksichtigung dieser drei Arbeitsschritte sicherzustellen.

 

Literatur:

gesammelt am Ende dieses Workshop-Abschnitts bei Tramm/Brand/Schwartz


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