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EVA M. HERTLE

Die Implementation des Lernfeldkonzepts - zwischen Individualstrategie und Schulkultur

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1 Fokus des Beitrags

Die Implementation des Lernfeldkonzepts, so hat sich seit der Einführung lernfeldstrukturierter Curricula 1996 gezeigt, stellt sich nicht als Selbstläufer ein. Neben Widerständen in Kollegien (fehlende Kooperations- und Innovationsbereitschaft), mangelnder Unterstützung seitens der Schulleitungen (keine aktive Förderung über Fortbildungsmaßnahmen, fehlende Zugeständnisse bzgl. Handlungsspielräume sowie Ressourcen) sind es häufig auch organisatorische Probleme (bspw. Zeitrahmen, Raumsituation), die den Implementationsprozess an vielen Schulen beeinträchtigen (Die verschiedenen Problembereiche der Implementation sind in einer Vielzahl von Publikationen bereits aufgearbeitet worden. Vgl. hierzu bspw. Kremer/ Sloane 1999, Bader/ Sloane 2000, Kremer/ Sloane 2001, Kremer 2003, Hertle 2000.).

Die leitenden Fragestellungen des Workshops 2 Strategien zur Umsetzung des Lernfeldkonzepts wurden in den vorangehenden Beiträgen bereits vorgestellt. Im folgenden Beitrag sollen gezielt Eindrücke über die Implementationsprozesse aus dem Modellversuch NELE (Der Modellversuch NELE (Neue Unterrichtskonzepte durch berufliches Lernen in Lernfeldern) wurde in den Bundesländern Hessen und Bayern durchgeführt und von Prof. Peter F. E. Sloane wissenschaftlich begleitet. Hinweise zur Organisation, zu den Ergebnissen sowie Publikationen, die im Rahmen des Modellversuchs erstellt wurden, können auf den Internetseiten des ISB unter: http://www.isb.bayern.de/bes/modell/nele/ sowie auf der Lernfeldplattform unter: http://www.isb.bayern.de/bes/brenn/Lernfeldpl/start.htm gefunden werden.) skizziert und die hierbei brisant erscheinenden Aspekte in Form von Thesen pointiert dargestellt werden, um auf diese Weise Anknüpfungspunkte für die weitere Arbeit im Schwerpunktthema Lernfeldkonzept herauszustellen (Der Erfahrungspool, auf den ich mich in den folgenden Ausführungen stützen möchte, setzt sich maßgeblich aus den Ergebnissen einer umfangreichen Fallstudie an einer Modellversuchsschule (vgl. Hertle 2000) sowie den Ergebnissen einer Abschlussbefragung, die an allen am Modellversuch beteiligten Schulen durchgeführt wurde, zusammen (vgl. Beek et. al. 2003).). Dabei soll der Fokus auf organisatorische Gesichtspunkte gelegt werden, wobei bereits vorweggenommen werden muss, dass dies aufgrund der komplexen Zusammenhänge der Implementationsaktivitäten nicht durchgängig gelingt.

2 Strategien zur Umsetzung des Lernfeldkonzepts

Es ist in diesem Beitrag nicht leistbar, die unterschiedlichen Wege, die an den am Modellvesrsuch beteiligten Schulen zur Implementierung verfolgt wurden, nachzuzeichnen (Vgl. hierzu Kremer 2003. An dieser Stelle soll auch nicht die Frage danach gestellt werden, inwiefern überhaupt von Strategien im Sinne einer strategischen Planung an den Schulen gesprochen werden kann.). Es kann jedoch festgestellt werden, dass es nicht das (oder die) richtige(n) Implementationsmodell(e) gibt. Der Implementationsprozess stellt sich an jeder Schule anders dar und es kann vermutet werden, dass es eine fast ebenso hohe Anzahl an Implementationswegen gibt, wie es implementierende Schulen gibt (Wobei sich auch zwischen den Abteilungen/Bildungsgängen einer Schule der Implementationsprozess durchaus andersartig zeigen kann.). Die organisatorischen und personellen Bedingungen sowie die zur Verfügung stehenden finanziellen und materiellen Kapazitäten stellen sich an den Schulen zuweilen sehr unterschiedlich dar. Daher muss ein gangbarer Implementationsweg der einen Schule nicht zugleich auch für andere Schulen zweckmäßig sein. Es kann lediglich die Hoffnung geäußert werden, dass erfolgreiche Implementationswege den ein oder anderen hilfreichen Ansatzpunkt für andere Implementationsteams zur Verfügung stellen oder dass Positivbeispiele motivierend auf diese wirken. Die Implementation des Lernfeldkonzepts stellt somit keinen einfachen Rezeptionsakt dar, sondern muss als ein komplexer Entwicklungsprozess verstanden werden, der die einzelnen didaktischen Betrachtungsebenen in den Blick nimmt. Optimalerweise müsste sich die Implementation als ein Schulentwicklungsprogramm darstellen, durch das bisherige Strukturen so verändert werden, dass sich das Lernfeldkonzept auf curricularer, organisatorischer und mikrodidaktischer Ebene einfügen lässt.

2.1 Statt einer Auflistung hemmender und fördernder Faktoren:

Drei Thesen

2.1.1 These 1: Die Implementation des Lernfeldkonzepts bedarf einer Anbindung an konkrete Maßnahmen!

In den Gesprächen mit den am Modellversuch beteiligten Lehrern erfolgten immer wieder Hinweise darauf, dass sich für den Implementationsprozess eine gezielte Anbindung an Maßnahmen/Neuerungen förderlich darstellen. Solche konkreten Maßnahmen sind bspw.:
· Die Neuordnung von Berufsbildern: es zeigt sich, dass sich die Implementation des Lernfeldkonzepts in Bildungsgängen, deren Berufsbild neugeordnet wurde, deutlich einfacher gestaltete als in Berufsfeldern, die bisher nach Fächern strukturiert waren und in denen es nun lernfeldorientiert zu unterrichten gilt. Es bietet sich daher an, den Schwerpunkt der Implementationsaktivitäten dort zu legen, wo sich berufsbildbezogene Veränderungen ergeben und von dort aus die weiteren Entwicklungen voranzutreiben.
· Verankerung von Transferaktivitäten: Der innerschulische Transfer und damit die Multiplikatorenfunktion der NELE-Teams verläuft in den meisten Schulen eher bescheiden. Es bedarf einer stärkeren Kommunikation über das Lernfeldkonzept sowie einer gezielten Einbindung des Kollegiums in die Lernfeldarbeit.
· Aktionen außerhalb des Schulalltags: Durch Aktionen außerhalb des regulären Schulalltags können kreative Ideen in einem Quasi-Schonraum entwickelt werden. Zudem kann durch solche Maßnahmen der Teambildungsprozess im Kollegium gefördert werden. Im Rahmen der Modellversuchsaktivitäten haben sich folgende Aktivitäten im Implementationsprozess besonders positiv, konstruktiv und motivierend herausgestellt:
- bundesland- und schulübergreifende Aktionen,
- gemeinsame Veranstaltungen mit den Lehrerbildungseinrichtungen der Hochschulen sowie
- mit der Wissenschaftlichen Begleitung (Innerhalb der Modellversuchsaktivitäten wurde von der Wissenschaftlichen Begleitung bspw. ein so genanntes Theorie-Praxis-Seminar mit bayerischen und hessischen Lehrern sowie Studenten des Lehrstuhls für Wirtschaftspädagogik der LMU München durchgeführt. Hierbei wurde an der Konkretisierung von Lernfeldern und der Entwicklung von Lernsituationen gearbeitet. Die Veranstaltung wurde im Rückblick als sehr positiv für die Entwicklungen hervorgehoben (vgl. ISB 2000). ).
Diese Hinweise verweisen auf eine organisatorische Verankerung konzeptioneller Arbeitsphasen zum Lernfeldkonzept, der gezielten Einbindung des bisher nicht beteiligten Kollegiums sowie der Förderung des institutionsübergreifenden Austausches im Implementationsprozess.

2.1.2 These 2: Die Implementation des Lernfeldkonzepts muss als bottom-up Prozess begleitet werden!

Die Erfahrungen aus dem Modellversuch zeigen, dass die Implementation nicht auf Anweisung aus der Schulleitung durchgesetzt werden kann. Lehrende, welche die entscheidenden Akteure in diesem Prozess darstellen, müssen eine eigene Motivation entwickeln, die Implementation voran zu treiben. Wichtig hierfür sind geeignete Rahmenbedingungen, die sich insbesondere in einem vergrößerten Entscheidungsspielraum hinsichtlich Lehrereinsatz-, Raum- und Stundenplanung sowie ggf. finanzieller Mittel zeigen. Erst so wird es den Bildungsgangteams ermöglicht, in einem geeigneten Rahmen lernfeldorientiert zu arbeiten, insbesondere Unterrichtssequenzen zu entwickeln, durchzuführen und auszuwerten. Es bedarf somit einer Verlagerung von Entscheidungskompetenz aus der Schulleitungsebene nach "unten" in das Kollegium, um die Implementation auf Kollegiumsebene zu ermöglichen.
Eine Vergrößerung des Entscheidungsspielraumes erfolgte insbesondere in den hessischen Schulen. Hier konnten die Entwicklungen vergleichsweise zügig vorangetrieben werden, da eine stärkere Verantwortungszuschreibung in bezug auf unterschiedliche organisatorische, personelle sowie finanzielle Entscheidungen an die einzelnen Abteilungen erfolgte und die Implementation des Lernfeldkonzeptes von diesen aus vorangetrieben wird. In den bayerischen Schulen erfolgte keine offensichtliche Kompetenzverlagerung, so dass sich die Arbeit in weitgehend festgelegten engen organisatorischen Strukturen vollziehen muss.

Die erfolgreiche Umsetzung des Lernfeldkonzepts bedarf einer breit angelegten innerschulischen Dissemination. Bezogen auf die Modellversuchsarbeit stellt sich daher die Frage, ob an den Schulen eine Verbreiterung des Lernfeldkonzepts stattgefunden hat (Der Frage, welche konkreten Transfereffekte sich einstellten, kann an dieser Stelle nicht nachgegangen werden.). Es zeigte sich, dass dies an den NELE-Schulen nur begrenzt erfolgte und die NELE-Teams nur selten aus dem Status einer isoliert agierenden Arbeitsgruppe heraus kamen. Sowohl in eher autoritär geprägten Strukturen als auch in eher nicht-autoritären Strukturen ist daher das Engagement im Implementationsprozess durch die Schulleitung unverzichtbar. Während es in vergleichsweise autoritären Strukturen neben den geeigneten Rahmenbedingungen tendenziell einer stärkeren Steuerung der Transferaktivitäten bedarf (An einer Schule zeigte sich, dass durch die Schulleitung zwar relativ gute Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt wurden, der Implementationsprozess jedoch nicht über das Modellversuchsteam hinausging. Dies kann dadurch erklärt werden, dass hierbei keine Steuerung durch die Schulleitung erfolgte, die jedoch in autoritären Strukturen notwendig wäre.), sind es in eher nicht autoritär geprägten Strukturen dagegen vielmehr die geeigneten Rahmenbedingungen in Verbindung mit einer unterstützenden Begleitung, die für einen schulweiten Transfer förderlich sind. Es kann festgehalten werden, dass die Schulleiterrolle eine entscheidende Funktion bei der Implementation sowie beim schulweiten Transfer, sich jedoch je nach Führungsstil differenziert darstellen muss. Weitere Aspekte, welche die Verbreiterung des Lernfeldkonzeptes beeinflussen sind zum einen die Schulgröße, in kleineren Schulen stellt sich in der Tendenz eine Verbreiterung einfacher dar, sowie die Betroffenheit der einzelnen Abteilungen vom Lernfeldkonzept. Abteilungen, deren Bildungsgang noch nicht nach Lernfeldern geordnet wurde, befinden sich meist in einer abwartenden Haltung diesem Konzept gegenüber.

2.1.3 These 3: Eine maßgebliche Determinante des Implementationsprozesses ist die Schulkultur!

Bereits zu Beginn des Beitrags wurde die These vertreten, dass die Implementation des Lernfeldkonzepts keinen Rezeptionsakt darstellen kann, sondern einen "schulindividuellen" Implementationsprozess, den jede Schule für sich gestalten muss. Der Erfolg hängt auch nicht von einzelnen Faktoren ab, sondern von vielen, sich gegenseitig bedingenden, die immer auch Ausdruck der jeweiligen Schulkultur sind. In einem didaktischen Ebenenmodell gedacht, geht es also um das Zusammenspiel curricularer, organisatorischer und personeller Faktoren. Der Schulleiter nimmt dabei eine zentrale steuernde Funktion ein und es liegt sehr stark an seiner Verantwortung, ob sich das Lernfeldkonzept schließlich durchsetzt oder ob dieses lediglich eine weitere Reformoption darstellt, die von den Beteiligten "ausgesessen werden kann".
In Anlehnung an das Organisationskulturmodell von Kolbeck/ Nicolei würde sich die Schulkultur auf drei Ebenen manifestieren: der Sinnebene, der organisatorischen Ebene sowie der sichtbaren Ebene. Die Sinnebene ist der Kernbereich einer Organisationskultur in dem Grundannahmen über die Identität und die angestrebten Ziele verankert sind. Auf der Strukturebene manifestieren sich die durch die Sinnebene determinierten Erwartungen an Rollen, Personen oder auch Programme sowie die vorhandenen Werte und Normen einer Organisation. Die sichtbare Ebene einer Organisation ist die Ebene, auf der für einen Beobachter u. a. Mitteilungen, sprachliche Äußerungen, Sagen, Legenden, Feste direkt zugänglich sind (vgl. Kolbeck/ Nicolai 1996).

Für die erfolgreiche Implementation des Lernfeldkonzepts ist es somit notwendig, dass zum einen der schulkulturelle Rahmen passt, d. h. dass die drei Ebenen in sich konsistent sind und zum anderen, dass dieser eine Implementation des Lernfeldkonzeptes zulässt und diese fördert. Dies ist sehr knapp formuliert dann der Fall, wenn erstens ein innerschulischer Konsens hinsichtlich Leitbilder und Zielvorstellungen existiert (Sinnebene), bezogen auf das Lernfeldkonzept wäre dies bspw. die Förderung einer umfassenden Handlungskompetenz, zweitens die notwendigen organisatorischen Voraussetzungen und Entscheidungsspielräume zur Verfügung gestellt oder entwickelt werden (organisatorische Ebene), für die Arbeit im Lernfeldkonzept sind hierbei insbesondere raum-zeitliche, personelle sowie finanzielle Zugeständnisse von Bedeutung, und drittens, dass das Lernfeldkonzept schließlich auch sichtbar ‚gelebt', d. h. gemäß der leitenden Zielvorstellungen praktiziert wird (sichtbare Ebene).

 

Literatur:

Bader, R./ Sloane, P.F.E. (2000): Lernen in Lernfeldern - Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept. Beiträge aus den Modellversuchsverbünden NELE und SELUBA. Markt Schwaben.
Beek, H./ Binstadt, P./ Hertle, E. M./ Kremer, H.-H./ Sloane, P.F.E. (2003): Abschlussbericht BLK-Modellversuch "Neue Unterrichtsstrukturen und Lernkonzepte durch berufliches Lernen in Lernfeldern". München und Wiesbaden.
Hertle, E. (2000): Analyse von Kommunikations- und Kooperationsstrukturen innovativer Arbeitsgruppen, unveröffentlichte Diplomarbeit. München.
ISB (2000): Modellversuchsinformation NELE Nr. 3: Running into practice - Theorie-Praxis-Seminar zum Lernfeldkonzept, 9/00. Hrsg. vom Institut für Schulpädagogik und Bildungsforschung, Abteilung Berufliche Schulen. München. Online: http://www.isb.bayern.de/bes/download/modell/nele/Nele-Flyer3.pdf (22.07.03).
Kolbeck, C./ Nicolai, A. (1996): Von der Organisation der Kultur zur Kultur der Organisation. Marburg.
Kremer, H.-H./ Sloane, P.F E. (1999): Lernfelder implementieren - erste Umsetzungserfahrungen lernfeldstrukturierter Curricula. Münchener Texte zur Wirtschaftspädagogik, Heft 17. München.
Kremer, H.-H./ Sloane, P.F.E. (2001): Lernfelder implementieren. Zur Entwicklung und Gestaltung fächer- und lernortübergreifender Lehr-/ Lernarrangements im Lernfeldkonzept. Paderborn.
Kremer, H.-H. (2003): Implementation didaktischer Theorie - Innovationen gestalten. Annäherung an eine theoretische Grundlegung im Kontext der Einführung lernfeldstrukturierter Curricula. Paderborn.



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