bwp@ Spezial 2 | April 2005

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Innovationen in schulischen Kontexten: Ansatzpunkte für berufsbegleitende Lernprozesse bei Lehrkräften

Innovationskompetenz von Lehrkräften an beruflichen Schulen

von Hubert Ertl, (Universität Oxford) und H.-Hugo Kremer, (Universität Paderborn)

Abstract

Dieser Beitrag berichtet von einem explorativen Forschungsprojekt zum Thema Innovationstätigkeit von Lehrkräften an berufsbildenden Schulen. In einem ersten Schritt werden ausgehend von den aktuellen Veränderungsprozessen in schulischen Kontexten die Ausgangspunkte der Untersuchung erläutert.

Danach wird in Abschnitt 2 das forschungsmethodische Vorgehen dargestellt, das auf der Verbindung einer strukturierten Literaturanalyse und Expertenbefragungen fußt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in diesem Abschnitt auf der Frage der Auswertung der qualitativen Befragungsdaten. Dabei werden die Wechselwirkungen zwischen Untersuchungsgegenstand und dem Erhebungs- und Auswertungsdesign verdeutlicht.

Im dritten Abschnitt werden die Untersuchungsergebnisse zusammenfassend dargestellt und diskutiert. Leitend sind dabei drei Fragestellungen: Welche Haltung nehmen Lehrende an beruflichen Schulen gegenüber Innovationen ein? Welche Kompetenzen benötigen Lehrende, um Innovationen aktiv gestalten zu können? Unter welchen Bedingungen setzen Lehrende Innovationen in schulischen Kontexten um?

In den Schlussbetrachtungen werden Anknüpfungspunkte zwischen den Ergebnissen der Untersuchung und dem berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskurs hergestellt.

Inhaltsübersicht:

1. Ausgangspunkte
2. Forschungsansatz
3. Zusammenfassung der Auswertungsergebnisse der Expertenbefragung
4. Schlussfolgerungen

1. Ausgangspunkte

Die Tätigkeit von Lehrkräften an beruflichen Schulen ist geprägt vom Umgang mit neuen Herausforderungen und veränderten Rahmenbedingungen. In der einschlägigen Literatur lassen sich zu diesem Tatbestand eine Vielzahl von Beschreibungen aus verschiedenen Perspektiven finden. So listet etwa Dubs eine Reihe von Veränderungen auf, mit denen Pädagogen heute speziell im berufsbildenden Bereich konfrontiert sind. Diese weit reichenden Veränderungen erstrecken sich vom Phänomen des gesellschaftlichen Wertepluralismus über die zunehmende Interkulturalität von schulischen Kontexten, von den Ansprüchen der viel beschworenen Wissensgesellschaft über die damit verbundene Forderung, selbstreguliertes Lernen zu fördern, von Aufgaben der Schulentwicklung aufgrund der Einführung des teilautonomen Schulmodells über die daraus folgenden Themen Curriculumentwicklung und Qualitätssicherung, bis hin zum Umgang mit immer komplexer werdenden fachwissenschaftlichen Inhaltsfeldern, welche die Aufgabe der Stoffauswahl für den Unterricht immer anspruchsvoller machen (vgl. Dubs 1999, S. 302f.).

Allgemeiner betrachtet können „als Innovationsanlässe [...] prinzipiell alle Ist-Soll-Diskrepanzen angesehen werden [...]“ ( Sembill 1992, S. 21). Sembill unterscheidet dabei grundsätzlich bedarfsaspektierte Anlässe und bedürfnisaspektierte Anlässe. Bedarfsaspektierte Anlässe ergeben sich aus Veränderungen in Bereichen wie Ökonomie, Ökologie und neuen Technologien und der wechselseitigen Bezogenheit dieser Systeme. Bedürfnisaspektierte Anlässe resultieren dagegen aus dem individuellen Wunsch, Diskrepanzen und Defizite in der persönlichen Umwelt zu beheben. Aus diesem Aspekt ergibt sich eine Verbindung zu Interventionstheorien, die nach Sembill (1992, S. 23) davon ausgehen, dass das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Veränderungen ab einem gewissen Punkt individuelle Verdrängungsprozesse außer Kraft setzt und stattdessen die Notwendigkeit von konstruktiven Bewältigungsprozessen in den Vordergrund rückt.

Die Mechanismen, die diesen Bewusstseinswandel vorantreiben, sind individuell empfundene Belastungen, die Innovationsbereitschaft befördern. Allerdings darf nicht außer Acht gelassen werden, dass zu große Belastungen innovativen Problemlösungen durchaus im Wege stehen können. Eine zielgerichtete Belastungsreduktion zur Freisetzung von kreativen Potenzialen, die bis dahin zur Bewältigung von Überforderungen gebunden wurden, stellt also gewissermaßen einen notwendigen Schritt zu Beginn von Innovationsprozessen dar. Im Hinblick auf die Innovationstätigkeit von Lehrkräften wäre also zu fragen, inwieweit empfundene Belastungen für die Betroffenen noch handhabbar sind und damit als auslösendes Moment für kreative Problemlösungen zum Tragen kommen können.

Aus der oben angedeuteten Fülle von neuen Anforderungen an Lehrkräfte ergibt sich die Notwendigkeit zum Entscheiden in komplexen Situationen, was durch die Entwicklung und Bereitstellung von „herkömmlichen“ Hilfsinstrumenten wie Handreichungen, Leitfäden und Kompendien nicht mehr ausreichend unterstützt werden kann. Kreative Potenziale von Lehrkräften scheinen immer weniger handlungswirksam zu werden (Auf die potenzielle Diskrepanz zwischen Kreativität, ihrer Umsetzung und letztendlich ihrer Bewertung in lebensweltlichen Kontexten hat Levitt hingewiesen: "Creativity is thinking up new things. Innovation is doing new things. […] Ideas are useless unless used. The proof or their value is only in their implementation. Until then, they are limbo' ( Theodore Levitt , zit. in: Humphrey 1997, S. 137). ). Deutlicher als in der Vergangenheit wird zudem ein Spannungsfeld, das sich zwischen den Eckpunkten der Bedürfnisse der Lernenden, den Anforderungen der fachlichen Domäne, deren Inhaltsbereiche Gegenstand des Unterrichtsprozesses sind, und den Ansprüchen des Lehrenden an sich selbst und seinen Unterricht aufspannt. Vor diesem Hintergrund verdeutlicht Dubs , dass eine bessere theoretische Ausbildung (in fachlicher, methodischer, usw. Hinsicht) von Lehrkräften allenfalls Detailprobleme lösen kann, für eine umfassende Befähigung zum Umgang mit Neuerungen aber nicht ausreicht (vgl. Dubs 1999, S. 303).

Somit ergibt sich mit der Frage nach Innovationsfähigkeit und -bereitschaft von Lehrkräften ein Fokus, der in der einschlägigen Literatur bisher noch nicht ausreichend behandelt wurde. Es ist zu fragen, ob die bereits in den 1970er Jahren getroffene Feststellung, wonach Lehrkräfte als Umsetzer und Gestalter von Innovationsprozessen nicht die notwendigen Rahmenbedingungen vorfinden und zudem mit Veränderungen konfrontiert werden, die sie nicht beeinflussen können, auch auf die heutige Schulsituation zutrifft ("Es ist auffällig, daß bei früheren Innovationsbemühungen im Bereich der Schule häufig die Rolle der Lehrer stark vernachlässigt wurde. Innovationen erfolgten vielfach ‚von oben nach unten', d. h. von der Schulbürokratie her. Von den Lehrern wurde erwartet, dass sie die auf diesem Wege an sie herangetragenen Neuerungen begrüßten oder sich zumindest von deren Notwendigkeit überzeugen ließen. Die Lehrer sind es jedoch, die Reformpläne im einzelnen erst in Schulwirklichkeit umsetzen müssen.“ ( Dann , u. a. 1978, S. 18).).

2. Forschungsansatz

Vor dem Hintergrund der hier nur kurz skizzierten Herausforderungen, die sich aus den weit reichenden Veränderungen des Tätigkeitsumfeldes von Lehrkräften an beruflichen Schulen ergeben, wurde unter dem Stichwort der „Innovationskompetenz“ ein Forschungsprojekt initiiert, dessen Design und Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst werden (Das Projekt „Innovationskompetenz von Lehrkräften in der beruflichen Bildung“ wurde von der Forschungsförderung der Universität Paderborn, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, finanziert.).

Neben den angedeuteten thematischen Bezugspunkten wurden auch bereits etablierte Forschungsarbeiten und -interessen in die Formulierung von vorläufigen Forschungsfragen einbezogen (Zu den für die Fragestellung von „Innovationskompetenz“ relevanten Forschungsarbeiten siehe auch Ertl (2003) und Kremer (2003)). Diese umfassen Fragen der Bedeutung der Tätigkeit „Innovieren“ im Rahmen der alltäglichen Arbeit und des Professionalitätsverständnisses von Lehrkräften. Des Weiteren ging das Forschungsprojekt der Frage der Konzeptionalisierung von „Innovationskompetenz“ (Teilbereiche, persönliche und qualifikatorische Voraussetzungen, Verbindungen zum Konzept der beruflichen Handlungskompetenz, etc.) nach. Schließlich stellte sich die Frage nach den Voraussetzungen bzw. den Veränderungen bezüglich der Rahmenbedingungen im Unterrichts-, Schul- und Ausbildungsumfeld von Lehrkräften, die für die Entwicklung von Innovationskompetenz notwendig sind.

Zur Differenzierung dieser Fragestellungen wurden zwei Arbeitsschwerpunkte entwickelt. Arbeitsschwerpunkt I zielt auf eine Literatur- und Projektanalyse zur Annäherung an das Konstrukt Innovationskompetenz. Der zweite Arbeitsschwerpunkt sollte die vorläufigen Fragestellungen durch eine Expertenbefragung weiter ausdifferenzieren und um Befunde und Eindrücke aus der schulischen Berufsbildungspraxis erweitern. Im Abgleich der Ergebnisse der beiden Arbeitsschwerpunkte wurde das Verständnis der Tätigkeit Innovieren von Lehrkräften erweitert und einer eigenen Positionsbestimmung zugeführt, die wiederum mit Hilfe der in der Literatur vorzufindenden Positionen zu der Beschreibung eines weitergehenden Forschungsinteresses verbunden wurde. In der folgenden Abbildung wird diese Vorgehensweise verdeutlicht.

Schwerpunkt I: Literaturanalyse

Für die Literaturanalyse wurden die letzten zehn Jahrgänge von drei Fachzeitschriften im Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik nach inhaltlichen Anknüpfungspunkten zum Themenbereich „Innovationskompetenz von Lehrkräften“ untersucht (Einbezogen wurde die Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik , die Zeitschrift Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis und die Zeitschrift Wirtschaft und Erziehung . Mit dieser Auswahl sollte zumindest ansatzweise das Spektrum der Wirtschaftspädagogik betrachtet werden. ). Daneben wurden Stich- und Schlagwortsuchen in elektronischen Bibliothekskatalogen sowie Recherchen mit Hilfe von einschlägigen Internet-Suchmaschinen unter Verwendung entsprechender Stichwortkombinationen durchgeführt.

Als vorläufiges Ergebnis dieses Arbeitsschwerpunktes kann festgestellt werden, dass der Themenbereich „Innovationen im schulischen Bereich“ durchaus hohe Relevanz besitzt und in der einschlägigen Forschung mehr oder weniger direkt auch eine Bearbeitung erfährt. Ohne an dieser Stelle auf einzelne Autoren eingehen zu können, werden in der deutschsprachigen Literatur Themenbereiche wie Innovation und neue Medien, Innovationstätigkeit in Betrieben, Innovationspotenzial von Modellversuchen, Innovation als singuläre Neuerungen im Unterricht, Innovation und Schulleitung sowie didaktische Innovation und berufliche Entwicklung in der Primarstufe behandelt (vgl. z. B. Dybowski 1998, Alda 2001 , Zimmer 1997, Döring / Stark 1999, Holz 2000, Schönknecht 1997, Kremer 2000).

In einer kritischen Betrachtung kann festgestellt werden, dass der Begriff „Innovation“ in den letzten Jahren verstärkt in Zeitschriftenbeiträgen auftaucht, dann allerdings meist nur in Zusammenhang mit der Einführung neuer Medien in berufliche Bildungskontexte. Umfassendere Betrachtungen des Umgangs mit Innovationen im schulischen Kontext finden sich dagegen weit seltener. Innovationspotenziale von Modellversuchen in der beruflichen Bildung werden immer wieder diskutiert, weitgehend aber ohne gezielt auf die Auswirkungen und Anforderungen an Lehrkräfte einzugehen. So zeigt das vielfach besprochene Transferproblem in der Modellversuchsforschung, dass bisher kaum ausreichende Antworten auf die Innovationsanforderungen an verschiedene Akteure in Modellversuchen gefunden werden konnten. So werden auch in der einschlägigen Literatur spezielle Anforderungen an Lehrkräfte hinsichtlich des Umgangs und der Gestaltung dieser Veränderung nur sehr punktuell abgeleitet (vgl. hierzu u. a. Sloane 1992 / 1998, Zimmer 1998).

In einer Reihe von relevanten Praxisberichten werden Innovationen als singuläre Neuerungen im unmittelbaren Unterrichtsgeschehen gefasst. Dabei werden dann meist einzelne Veränderungen im Schulkontext dargestellt und deren Auswirkungen auf Unterrichtsarbeit anhand von Beispielen beschrieben. Eine umfassende, über den Einzelfall hinausgehende Reflexion bleibt in diesen Berichten jedoch aus. Die Verbesserung der Bedingungen für die Arbeit von Lehrkräften im Hinblick auf Veränderungen in ihrem Tätigkeitsfeld stellt, meist appellativ formuliert, den Ausgangspunkt für schulinterne Lehrerfortbildungsprogramme dar, ohne die Innovationsaufgabe von Lehrkräften näher zu konzeptionalisieren.

Innovationen i. S. von Verbesserungsprozessen in schulischen Kontexten wurden seit Mitte der Achtzigerjahre besonders in der anglo-amerikanischen Literatur thematisiert. In der Literatur finden sich Forschungsarbeiten in den Bereichen schulische Verbesserungs­pro­zesse und Lehrkräfte, Innovation und Kooperation, innovative Gestaltung von Unterricht und Lehrerausbildung und Faktoren von und Bedingungen für schulische Ver­änderungs­prozesse. Diese Arbeiten sind bisher im deutschsprachigen Diskurs lediglich teil­weise rezipiert worden; viele sehr interessante Forschungsergebnisse zur Verbesserung der Kooperations­­bereitschaft von Lehrkräften und der Steigerung der Motivation zur Ge­staltung innovativer Unterrichtsprozesse sind noch nicht gezielt auf ihre Relevanz und mög­liche Übertragungen auf den deutschsprachigen Raum untersucht worden (vgl. z. B. Capaul 2002).

Somit kann festgestellt werden, dass der Themenbereich Innovationen für den schulischen Bereich durchaus bearbeitet wird. Bisher wurde das Feld jedoch kaum konzeptionell und theoriegeleitet untersucht. Die Rezeption von Untersuchungen aus dem allgemein bildenden und dem englischsprachigen Raum in der deutschen Berufs- und Wirtschaftspädagogik sind häufig nicht zielgerichtet durchgeführt worden. Außerdem scheint die Erhebung und Interpretation der Position der unmittelbar Beteiligten, nämlich der Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen, noch weitgehend auszustehen (vgl. z. B. Schönknecht 1997).

Somit ergeben sich eine Reihe von Forschungsfragen:

• Wie kann Innovationskompetenz von Lehrkräften konzeptionalisiert werden?

• In welchem Verhältnis stehen Innovationskompetenz und Professionalitätsverständnis von Lehrkräften?

• Welche Teilbereiche von Innovationskompetenz lassen sich finden?

• Welche Rahmenbedingungen an Schulen und in der Lehreraus- und -weiterbildung fördern die Schaffung bzw. Umsetzung von Innovationskompetenz?

An diesen Punkten setzt der im Folgenden dargestellte Arbeitsschwerpunkt II an.

Schwerpunkt II: Expertenbefragung

Aufgrund des dargestellten Forschungsinteresses und der in der Literatur vorfindbaren Ergebnisse (einschließlich der zu identifizierenden Untersuchungslücken) wurde eine explorative Befragung von Lehrpersonen i. w. S. durchgeführt. Die (vorläufige) Beantwortung der Forschungsfragen, sowie die Konzeptionalisierung des Untersuchungsfeldes waren dabei die Ziele.

Diese Expertenbefragung war qualitativ angelegt und bediente sich halbstrukturierter Interviews als Erhebungsinstrument. Die Auswahl der Experten zielte besonders darauf ab, Problembezüge aus verschiedenen Handlungsfeldern zu erhalten. Deshalb wurden in die Befragung neben Lehrkräften an berufsbildenden Schulen, Seminarlehrern, und leitenden Vertretern aus pädagogischen Landesinstituten auch Führungskräfte aus einer außerschulischen Bildungsorganisation einbezogen. Es wurden in der Regel jeweils zwei Vertreter der einzelnen Bereiche befragt, um verschiedene Sichtweisen aus den gewählten Bildungskontexten zu erhalten und gleichzeitig eine gewisse Verifikation der gemachten Aussagen noch während der Interviews zu gewährleisten (vgl. u. a. Flick 1995, S. 432; Kremer 2003, S. 241; Witzel 1997; Hopf 1995; König / Volmer 2000; Lamnek 1995).

Durch die Vorstrukturierung der Interviewfragen sollte eine gewisse Vergleichbarkeit der erzielten Daten gewährleistet werden. Entsprechend der Forschungsfrage wurden dabei drei Fragencluster gebildet, die in jeweils eine Reihe von Fragestellungen untergliedert einen Leitfragebogen ergaben: Lehrkräfte und Innovationen, Innovation und Kompetenz, Rahmenbedingungen für Innovationen an Schulen.

Exkurs: Reflexion des Erhebungs- und Auswertungsdesigns

Semi-strukturierte Interviews

Das hier nur sehr knapp dargestellte Untersuchungsdesign führte zu einer Reihe von aufschlussreichen Gesprächen, deren Ergebnisse für die weitere Auseinandersetzung mit dem Themengebiet „Lehrkräfte und Innovationen“ eine Vielzahl interessanter Anstöße gab und Zusammenhänge verdeutlichte. Allerdings traten bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der Expertengespräche auch Probleme auf, die in diesem Exkurs dargestellt werden sollen. Exemplarisch sollen dazu einige beispielhafte Interviewsequenzen näher betrachtet werden:

Interviewer : Innovation scheint in der Bildungslandschaft in aller Munde zu sein. Wie gehen Lehrer Ihrer Erfahrung nach mit den ständigen Neuerungen um?

Interviewee 1: Innovieren ist einfach gesagt, aber in der Praxis ein erhebliches Problem. Wir haben ja nicht immer einen Modellversuch. Und ich will mal vielleicht den Versuch machen, warum das ein Problem sein kann. Wir leben glaube ich in einer relativ hektischen Zeit. Unser Schulministerium treibt also wirklich jedes Jahr mehrere Säue durch's Dorf. Das geht rauf, das geht runter, und ich habe das in meiner Zeit als Lehrer kennen gelernt – eingestiegen in das Referendariat, da gab es BWL und VWL und Rechnungswesen. Dann habe ich im Referendariat umstellen müssen auf WISO und Rechnungswesen, dann habe ich die Trennung von WISO in VWL und BWL wieder miterlebt, um anschließend zu erleben, dass jetzt BWL mit Rechnungswesen zusammen und VWL wieder extra. In einem durchaus überschaubaren Zeitraum meines Lebens habe ich das erlebt, und Kollegen sagen natürlich auch: „Was soll diese ganze Betriebshektik?“ Und mittlerweile, das ist so meine Wahrnehmung, sind Lehrerinnen und Lehrer relativ schnell dabei zu sagen: „Nein. Das haben wir alles schon mal erlebt!" [...] Manchmal ist es gut, Kollegen zu haben, die die alten Sachen noch erlebt haben, denn sie werden ja wieder kommen.

Interviewee 2: Ich habe das Gefühl, dass Innovationen zu oft von außen kommen und wenn innen etwas verändert werden soll, dann müssen sie erst einmal an der Schulleitung vorbei. [...]

Interviewer : Welche Rolle würden Sie der Schulleitung bei Innovationsprozessen zuschreiben?

Interviewee 1: Sicherlich muss der Schulleiter oder die Schulleiterin ein bisschen Mut besitzen, möglicherweise auch solche Innovationsprozesse anzustoßen, die vielleicht nicht ganz im Sinne der Schulaufsicht sind, im Sinne von Ministerialbürokratie sind. Und da gibt es eben starke Schulleiter, die können das, die tun das, weil sie von der Sache überzeugt sind. Und andere, die fragen mehrfach in Detmold oder in Düsseldorf nach, und kriegen dann die Antwort, vielleicht nicht ganz so schwungvoll anzufangen. [...] Wir haben ja heute nicht nur den einen Schulleiter, die Zeit ist vorbei. Wir haben ja heute zum Teil, nennen wir es erweiterte Schulleitung, inwieweit dort Kolleginnen und Kollegen bereit sind, innovativ zu arbeiten und nicht immer fragen: „Chef, darf ich das?“, sondern einfach tun. [...] Dann wird der Kollege auch in seinen Bildungsgang Innovationen mit einbringen. Aber ich denke, das Bild des Schulleiters, der alles ganz alleine regelt, das haben wir heute so nicht mehr. [...]

Interviewee 2: Ich habe zwei Typen von Schulleitern erlebt, einerseits Schulleiter, die sehr streng in die Hierarchie eingebunden waren und Schulleiter, die den Mut haben, Freiräume zu nutzen, bzw. noch viel wichtiger, zuzulassen und Freiräume zu ermöglichen. [...]

Interviewer : Kommen wir zu den Lehrkräften. Welche Kompetenzen erachten Sie für notwendig, damit Lehrkräfte mit Neuerungen im schulischen Kontext umgehen, bzw. diese initiieren können?

Interviewee 2: Ich habe noch einmal nachgedacht über das, was Sie hier formuliert haben und ich finde, es ist eigentlich eine Basiskompetenz, die in allen Bereichen zu finden ist. Also, wenn ich Unterricht durchführe, dann muss ich selber bereit sein, also Neuem aufgeschlossen sein. Ich lese die Zeitung, ich lese Fachzeitschriften, ich integriere Inhalte, die aktuell sind, in meinen Unterricht. Das ist für mich ein Stück Innovation. Eher als wenn ich an meinem vorgegebenen Konzept, das ich seit zehn Jahren habe, immer dranhänge. Das wäre die Unterrichtsfähigkeit. Auch wenn es darum geht, Schüler zu beurteilen, brauche ich eine Innovationsbereitschaft, eine Aufgeschlossenheit. [...] Also ich muss meine Beurteilungskriterien vielleicht ein Stück weit im Zeitablauf auch verändern und hinterfragen. Diese Innovationsbereitschaft finde ich eigentlich in allen Teilbereichen der Lehrertätigkeit, deshalb würde ich sagen, es ist für mich eine Basis. [...]

Interviewer : Und wie kann diese Basis, diese umfassende Kompetenz entwickelt werden?

Interviewee 1 : Sie wird sowohl an Hochschulen als auch in Studienseminaren nicht vernachlässigt, aber auch nicht explizit gefördert. Wenn man sieht, dass sehr viel heute, was auch im Seminar abläuft, im 1. Halbjahr darum geht, „fit zu machen für Unterricht“ und das Handwerkszeug zu geben, dann geht es darum, bestimmte Dinge, die so ein Fachleiter aus seiner Sicht für wichtig hält, durchzuziehen. Ich denke, da ist nicht immer viel Raum für Innovationen. Möglicherweise tun wir ihnen jetzt Unrecht. Vielleicht versuchen sie es in der Tat, diese Fähigkeit zu fördern, aber ich denke es ist eine Frage von Persönlichkeit, ob Lehrer so etwas annehmen, wenn es von Schülern kommt. Bin ich ein eher ängstlicher Typ, bin ich nicht bereit, das Heft aus der Hand zu geben. Wenn ich da nicht zu bereit bin, dann werde ich diese Schülerinnovation mit welchen Mitteln auch immer wegdiskutieren und wenn es mit technischen Möglichkeiten ist, die ich nicht habe. Vielleicht müssen wir stärker an den Einstellungen der Lehrkräfte arbeiten. [...]

Problemfelder bei der Auswertung der Interviews

Obwohl bereits Reduzierungen vorgenommen wurden, wird bei der Betrachtung der obigen Sequenzen der anekdotenhafte Charakter, der sich in Gesprächen mit Lehrkräften über das Geschehen in schulischen Kontexten häufig ergibt, sehr deutlich. Der narrative Charakter längerer Gesprächspassagen stellt aus forschungsmethodischer Sicht sowohl Chance als auch Herausforderung dar. Zum Einen werden in solchen Sequenzen Abläufe im Schulalltag aus der Sicht eines Betroffenen deutlich, durch die auf den Umgang mit Innovationen geschlossen werden kann. Dazu müssen jedoch aus einer Vielzahl von z. T. unverbundenen Informationen themenrelevante Zusammenhänge identifiziert bzw. hergestellt werden. Dies stellt eine erhebliche Herausforderung an das Auswertungs- und Interpretationsverfahren dar (vgl. auch im Folgenden zur Berücksichtigung des Handlungskontextes Wagner 1999, S. 32; Kelle / Kluge 1999, S. 26; Bohnsack 1997, S. 194f.; Bohnsack 1991, Soeffner 1979)

Eng mit dieser Problematik verbunden ist die in den Erzählungen von Lehrkräften häufig zu spürende persönliche Betroffenheit. Die Schwierigkeiten und die Überlastung durch die Umsetzung von vielfältigen Innovationen in schulischen Kontexten werden von interviewten Lehrkräften als täglich zu meisternde Probleme betrachtet, die häufig über den beruflichen Bereich hinaus auch den privaten Lebensbereich betreffen. Für die Forscher resultiert aus dieser persönlichen Betroffenheit die Möglichkeit, aus authentischen Aussagen Befunde abzuleiten, die eine hohe Relevanz für das schulische Umfeld besitzen. Allerdings setzt dies die relativierende Betrachtung einer Vielzahl von sich teilweise widersprechenden subjektiven Aussagen voraus. Dieser Problematik muss in der Auswertung der Interviews Rechnung getragen werden.

Dabei ist zu beachten, dass im Sinne einer auf Verständnis gerichteten Analyse von Daten die Erfahrungshintergründe der Interviewpartner rekonstruiert werden müssen. Dies stellt eine besondere Schwierigkeit dar, wenn man bedenkt, dass die Tätigkeit von Lehrkräften z. T. in Kontexten stattfindet, die dem direkten Zugang von außen verschlossen bleiben. Besonders trifft dies auf die pädagogische Arbeit im Klassenzimmer zu. Gerade in dieser Hinsicht ist der Rekonstruktionsprozess von Forschenden hinsichtlich der Erfahrungshintergründe, welche die Aussagen von Lehrkräften zum Umgang mit Innovationen bestimmen, als schwierig einzuschätzen.

Die hier geschilderten Problembereiche (Umgang mit anekdotenhaften Erzählungen, persönlicher Betroffenheit und subjektiven Erfahrungshintergründen von Lehrkräften) stellen hohe Anforderungen an die Fähigkeit der Forschenden, die Aussagen von Lehrkräften zusammenzuführen, zu gewichten und zu bewerten. Hinzu kommt bei der in diesem Beitrag vorgestellten Untersuchung, dass aufgrund von zeitlichen und monetären Beschränkungen die Anzahl von Interviews relativ gering gehalten werden musste. Somit ergab sich die Notwendigkeit, möglichst zielgerichtet eine kleine Anzahl von Interviewpartnern auszuwählen.

Lösungsansätze und Auswertungsdesign

Ausgehend von diesen Problembereichen und Restriktionen wurde ein Forschungs- und Auswertungsdesign entwickelt, das an den Zielen und Forschungsfragen des Projektes orientiert die Besonderheiten des Forschungsgegenstandes und der als relevant angesehenen „Informantengruppe“ berücksichtigt. In andere Worte gefasst ging es darum, eine Erhebungs- und Analysestruktur zu schaffen, die geeignet ist, die Aussagen und Meinungen eines relevanten Personenkreises möglichst effektiv auf die Forschungsziele des Projektes zu beziehen. Diese Struktur lässt sich folgendermaßen veranschaulichen:

Wie bereits angedeutet, wurde mit der Auswahl von verschiedenen Arten von Betroffenen von Innovationsprozessen versucht, verschiedene Blickwinkel für das noch zu strukturierende Feld zu eröffnen. Berücksichtigt wurde in der Erhebung neben der Perspektive von aktiven Lehrkräften an berufsbildenden Schulen auch die von Seminarlehrern, die einen Teil ihrer Arbeitszeit der Ausbildung von Lehrkräften in der zweiten Phase widmen. Durch den Einbezug dieser Personengruppe sollte vor allem der Frage nach Möglichkeiten zur Entwicklung von Innovationskompetenz gezielt nachgegangen, aber auch eine etwas distanziertere Sichtweise von Schulalltag berücksichtigt werden. Vertreter von pädagogischen Landesinstituten sollten eine verstärkt bildungsadministrative Sichtweise beitragen, die vor allem im Hinblick auf die Rahmenbedingungen von Innovationen in schulischen Kontexten wichtig erscheint. Wie sich in den Interviews herausstellte, hatten gerade die Vertreter der Landesinstitute jedoch auch sehr dezidierte Vorstellungen, welche Teilbereiche Innovationskompetenz von Lehrkräften zu umfassen habe und wie diese Teilbereiche konzeptionalisiert werden könnten. Repräsentanten außerschulischer Bildungsträger wurden hinzugenommen, um die Thematik ein Stück weit aus der rein schulischen Betrachtung herauszulösen und das Aufgabenspektrum von Lehrpersonal an berufsbildenden Einrichtungen mit zu berücksichtigen.

Durch die Entscheidung für semi-strukturierte Interviews wurde versucht, eine Balance zwischen thematischer Offenheit der Gespräche und inhaltlicher Steuerung zu erreichen. Durch die aus der Literaturanalyse (Schwerpunkt I) entwickelten Leitfragen konnte die Gesprächsrichtung im Falle allzu anekdotenhafter Ausführungen der Interviewees immer wieder in den Bereich des Forschungsinteresses zurückgeführt werden. Andererseits erlaubte das Leitfragendesign genügend Flexibilität, um die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe der Gesprächspartner aufzunehmen und die besonderen Interessenlagen der verschiedenen Gruppen von Interviewees in die weitere Bearbeitung des Themas mit aufzunehmen.

Als sehr fruchtbar hat sich in diesem Zusammenhang die Gestaltung der Befragungen als Partnerinterviews erwiesen. So wurden jeweils zwei Lehrkräfte, Seminarlehrer, Vertreter von Landesinstituten und von außerschulischen Bildungseinrichtungen gleichzeitig interviewt. Dies führte in vielen Fällen zu einem ungezwungenen, fachlichen Gespräch, ohne die sonst bei Interviews bestehende Tendenz zu formalen Frage-Antwort-Abläufen. Stattdessen konnten sich die Interviewees gegenseitig ergänzen (s. Interviewsequenz oben), korrigieren und gegebenenfalls selbst befragen. Dies führte nicht selten zu Diskussionen der Interviewees untereinander, die das Gespräch in manchen Punkten tiefer in die Thematik geführt haben, als dies durch die ausschließliche Befragung durch einen relativen Outsider möglich gewesen wäre. Insgesamt konnten durch das Partnerdesign allzu singuläre Erfahrungen und Meinungen durch die Interviewpartner selbst noch während der Befragung korrigiert werden. Durch die Diskussion von verschiedenen Erfahrungen mit Innovationsprozessen an Schulen fiel es z. B. den interviewten Lehrkräften leichter, von den selbst erlebten Beispielen zu abstrahieren.

Die Gesprächsprotokolle wurden einer interpretativ-dokumentarischen Auswertung unterzogen, die vor allem auf die Identifizierung der Begründungs- und Zuschreibungszusammenhänge, in denen die Interviewees die innovative Tätigkeit von Lehrkräften und die dafür notwendigen Kompetenzen sehen, abgezielt (vgl. Lamnek 1995, insbes. S. 107-110) (Die Darstellung von Lamnek diente hier als erste Orientierungsgröße und nicht als vorgegebenes Muster zur Durchführung der Auswertung. Änderungen waren z. B. notwendig, da es sich um eine gemeinsame Auswertung von zwei Personen handelt bzw. Spezifika im Forschungsprozess berücksichtigt werden sollen. Hier konnte auf Ansätze der objektiven Hermeneutik bzw. der dokumentarischen Methode zurückgegriffen werden, vgl. Bohnsack (1991). ). In einer ersten Phase wurde eine Transkription der vier Interviews vorgenommen, und die resultierenden Transkriptionen im Anschluss zur Kontrolle mit den Tonaufzeichnungen verglichen, um Tipp- und Hörfehler auszuschließen. Daran anschließend wurde von beiden Autoren eine Einzelanalyse der Interviews durchgeführt. Das Ergebnis dieser Phase waren jeweils zwei Konzentrate von jedem Interview, die mit kurzen Anmerkungen zu den wichtigsten Aussagen der Interviewpartner versehen wurden. Somit entstanden in voneinander unabhängigen Auswertungsprozessen zwei parallele Einzelanalysen und damit Deutungen der Interviews: einmal vom Interview führenden und zusätzlich von einem am Gespräch nicht beteiligten Forscher. Dieses Vorgehen erwies sich als zielführendes Verfahren vor allem bei der Analyse von Interviewaussagen, die von starker persönlicher Betroffenheit geprägt waren. Die Deutung des nicht selbst am Interview beteiligten Forschers führte in einigen Fällen zu objektivierenden Interpretationen von Aussagen.

Erst in der anschließenden generalisierenden Phase wurden Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zwischen den Interviews von beiden Forschern gemeinsam identifiziert und analytische Befunde abgeleitet. Grundlage für die Analysearbeit in dieser Phase waren jeweils beide kommentierten Konzentrate zu den einzelnen Interviews. Es wurde also bewusst kein gemeinsames Konzentrat erstellt, sondern die unterschiedliche Einschätzung bzw. Bedeutungszuweisung der Interviews wurde erst in der generalisierenden Phase aufgenommen und einer Überprüfung unterzogen. Das Ergebnis ist eine Übersicht zu einzelnen Aussagen zur Innovationskompetenz, die im folgenden Abschnitt ausschnittsweise vorgestellt wird. In einer Kontrollphase wurden die einzelnen Befunde nochmals einer Überprüfung unterzogen. Diese Zusammenhänge wurden in einem nächsten Schritt einem zielgruppenspezifischem Vergleich unterzogen und anhand der Befunde der Literaturanalyse gedeutet.

Das Auswertungskonzept kann wie folgt graphisch dargestellt werden.

3. Zusammenfassung der Auswertungsergebnisse der Expertenbefragung

Die Kernaussagen der Interviews sollen im Folgenden geordnet nach den drei Frage-clustern Lehrkräfte und Innovation, Innovation und Kompetenz und Rahmenbedingungen für Innovationskompetenz beschrieben und in jeweils einer Übersicht dargestellt werden.

Für den Bereich Lehrkräfte und Innovationen wird die kontinuierliche Verbesserung des Unterrichts als Kernaufgabe für Lehrer gesehen, wobei der Aktualisierung der Unterrichtsinhalte, i. S. einer Berücksichtigung von Neuentwicklungen im fachlichen Bereich, eine große Bedeutung zugesprochen wird. In diesem Bereich wird „Innovieren“ als Daueraufgabe aller Lehrkräfte gesehen. Neben explizit als innovativ gekennzeichneten Tätigkeiten, wie z. B. der Arbeit in Modellversuchen, wird gerade auch der Umgang mit Neuerungen im Schulalltag als wichtiger Kontext für innovative Betätigungen von Lehrkräften betrachtet.

Die kontinuierliche Berücksichtigung von und aktive Auseinandersetzung der Lehrkräfte mit Neuerungen in der Unterrichtsarbeit ist mit zeitlichen Belastungen verbunden und bedingt, dass Lehrkräfte in vielen Fällen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen. Da die Lehrverpflichtung in den vergangenen Jahren gestiegen ist und weil der „Innovationsdruck“ als ständig steigend empfunden wird, konzentriert sich die Innovationstätigkeit der Lehrkräfte immer mehr auf Entwicklungen und Maßnahmen, die unmittelbar zu einer Verbesserung der inhaltlichen Dimension des eigenen Unterrichts führen. Weitergehende Beschäftigung mit methodischen oder organisatorischen Neuerungen bleibt häufig auf der Strecke. Anders gewendet ist die Häufigkeit der von Lehrkräften initiierten Innovationen im unterrichtsfachlichen Bereich am Höchsten. Angesichts der hier nur kurz umrissenen Einschränkungen wird die Erfüllung der Innovationsaufgaben von Lehrkräften von den Interviewpartnern insgesamt als nicht befriedigend eingestuft.

Insgesamt kann zu diesem Cluster der Schluss gezogen werden, dass das Thema von allen befragten Gruppen als relevant erachtet wird. Die Mehrheit der Lehrkräfte wird als grundsätzlich „innovationsfreudig“ eingeschätzt; vor allem, wenn es um die fachliche Komponente des eigenen Unterrichts geht. Etwas anders gewendet kann von einer eingeschränkten Innovationsakzeptanz von Lehrkräften ausgegangen werden.

Im Bereich Innovation und Kompetenz werden von allen Interviewpartnern eine generelle Bereitschaft zur Veränderung und Verbesserung des eigenen Handelns als Voraussetzung bzw. Teilbereich von Innovationskompetenz von Lehrkräften gesehen. Darunter fassen die Interviewpartner die Offenheit, gesellschaftliche, fachliche und pädagogische Neuerungen wahrzunehmen, in Bezug auf die Relevanz für die berufliche Tätigkeit zu prüfen und gegebenenfalls in die eigene Arbeit einfließen zu lassen. Dieser Prozess sollte auch im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen erfolgen. Damit ergibt sich Kommunikationsfähigkeit als weitere Voraussetzung für Innovationskompetenz.

Die Bereitschaft und Fähigkeit zum Umgang mit neuen Medien kann ebenfalls in diese Kategorie eingeordnet werden, weil informations- und kommunikationstechnische Neuerungen nicht nur häufig den Inhaltsbereich von Innovationen an berufsbildenden Schulen darstellen, sondern auch geeignet sind, Kooperations- und Austauschprozesse zu steuern bzw. zu erleichtern. Als Teilgebiete von Innovationskompetenz werden das Arbeiten in Projekten genannt, da die Umsetzung von Neuerungen in der schulischen Praxis in projektartiger Form, d. h. als klar definierte, in sich thematisch geschlossene und mit personellen und zeitlichen Vorgaben versehene Arbeitsvorhaben, von den befragten Experten als am Erfolgversprechendsten eingeschätzt werden. Eng damit verbunden ist auch die Teamfähigkeit als Komponente von Innovationskompetenz, weil nur dadurch die effektive Zusammenarbeit in Innovationsprojekten gewährleistet ist.

Zusammenfassend ergibt sich damit ein komplexes Bild von Innovationskompetenz für Lehrkräfte. Einerseits ist eine Hierarchisierung von Kompetenzbereichen von Lehrkräften zu erkennen. So wird der Innovationskompetenz ein grundlegender Charakter zugesprochen, die als generativ für Bereiche wie die unterrichtliche Fachkompetenz gesehen wird. Andererseits gibt es auch für Entwicklung von Innovationskompetenz Voraussetzungen, die zumeist im persönlich-charakterlichen Bereich verortet werden (vgl. zur Differenzierung von Kompetenz Heursen 1995; Clement / Arnold 2002; Bader 2000).

Im Bereich Rahmenbedingungen für Innovationen an Schulen wurden in den Interviews eine Reihe innovationsfördernder und -hemmender Rahmenbedingungen an berufsbildenden Schulen identifiziert. Auf Seiten der förderlichen Bedingungen sind externe Impulse, z. B. durch die Beteiligung der Schule in Modellversuchen und eine aktive Lernortkooperation mit externen Partnern, zu nennen. Auch die Gewährung von Freiräumen für die Erprobung von Neuerungen in der Schulorganisation und Unterrichtsarbeit stellt gerade für junge Lehrkräfte einen wichtigen Faktor dar, der zum Innovieren motiviert. Freie Kommunikationsflüsse und Feedbackstrukturen in Schulen regen ebenfalls zur Entwicklung und Umsetzung von Innovationen an.

Demgegenüber wirken bürokratische und hierarchische Strukturen sowie starre Abteilungsgrenzen an Schulen innovationshemmend. Werden Innovationen von der Schulverwaltung oder auch der Schulleitung verordnet, stoßen sie erfahrungsgemäß im Vergleich zu von Schülern oder Lehrern initiierten Innovationen auf wenig Engagement. Kritisch wird angemerkt, dass immer wieder neue Innovationen auf Schulen in Form von „Innovationslawinen“ zukommen und Schulen diese kaum bewältigen können. Genauer gesagt wird das Problem darin gesehen, dass der einzelne Innovationsansatz kaum noch zufrieden stellend ver- bzw. bearbeitet werden kann.

Besonders die von uns interviewten aktiven Lehrkräfte betonten die zentrale Stellung der Schulleitung für und in Innovationsprozessen. Ihr wird bei der Initiierung, der Umsetzung und der Gestaltung sowie der Verbreitung von Innovationen eine entscheidende Rolle eingeräumt. Wenn auch in Detailfragen durchaus interessante Unterschiede feststellbar sind, wird von den Interviewpartnern im Grundtenor übereinstimmend eine mangelhafte Vorbereitung von Lehrkräften auf innovierende Tätigkeiten an Schulen gesehen; dies betrifft beide Phasen der Lehrerausbildung wie auch die Lehrerweiterbildung (vgl. hierzu auch Hasenbank 2002).

Angesichts dieser Befunde ist ein besonderes Augenmerk auf die zukünftige Entwicklung von innovationsfördernden Organisationsstrukturen an berufsbildenden Schulen sowie auf die Verankerung des Themenbereichs „Innovation“ in Lehreraus- und -weiterbildung zu legen.

4. Schlussfolgerungen

Gerade im letzten besprochenen Untersuchungsfeld zeigen sich deutliche Anknüpfungspunkte der Ergebnisse an die in der einschlägigen Literatur entwickelten Erkenntnisse und Thesen. So haben etwa Tramm und Rebmann bei einer Untersuchung der Veränderung von Rollen- und Anforderungsprofil von Handelslehrern, die mit der stärkeren Akzentuierung von Handlungsorientierung als Leitidee kaufmännischer Ausbildung in den 1990er Jahren einherging, eine Reihe von förderlichen Bedingungen identifiziert. Diese betreffen insbesondere Aspekte der Schulorganisation, Ausstattung, Informations- und Fortbildungsmöglichkeiten, freie Verfügbarkeit von Planspielen, Unterrichten im Team, veränderte Lehrpläne, Akzeptanz von Kollegen, veränderte Prüfungen, Rückgriffsmöglichkeit auf Unterrichtsentwürfe (vgl. Tramm / Rebmann 1999, S. 248).

Als neue Anforderungen für Lehrkräfte ergaben sich aus dem Grundsatz der Handlungsorientierung eine verstärkte Fokussierung von Unterrichtsvorbereitung auf die Lernenden, eine erhöhte Qualitätsorientierung im Lehrerhandeln, die Notwendigkeit zur Modellierung von Realität in Form von komplexen Lehr-Lernarrangements, der Ausbau von Teamarbeit im Kollegium sowie die Notwendigkeit, neue Technologien in den Unterricht einzubauen. Somit wird deutlich, dass der Umgang mit Handlungsorientierung als innovatives Konzept eine deutliche Veränderung des Handlungs- und Gestaltungsspielraums für die Lehrkräfte mit sich gebracht hat (vgl. Tramm / Rebmann 1999, S. 245f.)

Betrachtet man den autonomen Umgang mit Lebenssituationen als ein Merkmal professionellen Verhaltens, kann diese Innovation ähnlich wie etwa die Einführung lernfeldstrukturierter Curricula einerseits der Ausweitung von Autonomie, aber auch als Anforderung an Lehrkräfte, die eigene Professionalität weiter zu entwickeln, gesehen werden. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Verbindung zwischen Innovationen und Lehrerprofessionalität von den Betroffenen hergestellt und in Bezug auf die häufig ungünstigen Rahmenbedingungen als problematisch gesehen wird. In diesem Zusammenhang scheint sich die Einschätzung von Sembill gerade für Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen immer mehr zu bestätigen, wonach eine „[...] erhöhte allgemeine Sensibilität und ein wachsendes Misstrauen gegenüber prinzipieller Machbarkeit durch Technik und dem verantwortungsvollen Umgang damit durch politische Entscheidungsträger [...]“ festzustellen ist ( Sembill 1992, S. 24; Hervorhebung im Original).

Es kann abschließend festgehalten werden, dass Innovationen eine bedeutsame Aufgabe im Arbeitsfeld von Lehrkräften einnehmen, und gleichzeitig hängt der Erfolg von Innovationen zentral von den Anstrengungen der Lehrkräfte ab. Die Befunde zu den Fähigkeiten und Fertigkeiten von Lehrkräften zur Umsetzung von Innovationen können keineswegs als überraschend angesehen werden und finden in dieser allgemeinen Form auch immer wieder eine Bestätigung in der Literatur. Ein Problem kann darin gesehen werden, dass diese Fähigkeiten und Fertigkeiten oftmals sehr abstrakt formuliert werden. Die Diskussion erinnert etwas an die Debatte um Schlüsselqualifikationen und Handlungskompetenzen (vgl. Reetz 1999). Die Studie hat darüber hinaus nochmals gezeigt, dass die jeweiligen situativen Bedingungen eine erhebliche Bedeutung für die Gestaltung didaktischer Innovationen besitzen, und die Arbeit von Sembill findet eine Bestätigung, dass die didaktische Gestaltungsarbeit kaum als technologischer Übertragungsakt interpretiert werden kann. Es kann auch hier nicht behauptet werden, dass die innovationsfördernden und -hemmenden Faktoren sehr überraschend sind. Auch diese finden sich in ähnlicher Form an verschiedenen Stellen der Literatur. Allerdings zeigt sich sehr deutlich, dass mikrodidaktische Prozesse im Zusammen­spiel mit den mesodidaktischen Gestaltungsformen zu betrachten sind. Dieser Zusammenhang sollte gerade auch in zukünftigen Forschungsvorhaben nicht negiert werden, sondern in die Konzeptualisierung dieser mit aufgenommen werden. Die Wechselwirkung zwischen mikro- und mesodidaktischer Ebene sollte hier differenzierter in den Blick genommen werden, ohne auf der Ebene von Allgemeinplätzen zu verbleiben.

In einem weiteren Forschungsprogramm ist damit die Sichtweise der Lehrkräfte ins Zentrum zu stellen, ohne die spezifischen Arbeitsbedingungen zu vernachlässigen. Allerdings erscheint es wenig weiterführend, optimale Bedingungen zu erfassen bzw. ein weiteres Mal Verhaltensweisen von Lehrkräften zu bestimmen. Hingegen ist die Frage weitgehend unbeantwortet, welche Arbeitskonstellationen spezifischer Merkmale von Lehrkräften bedürfen und wie diese Kompetenzen im Zeitablauf entwickelt werden können und so eine Umsetzung von Innovationen unterstützen können.

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