bwp@ Spezial 21 - September 2024

Trilaterales Doktorand:innen-Seminar der Wirtschaftspädagogik Köln, Paderborn und des BIBB - Einblicke in Forschungsarbeiten

Hrsg.: H.-Hugo Kremer & Nicole Naeve-Stoß

Wieso, weshalb, warum - Fachkulturen und -praktiken mit der Unterstützung von studentischen Culture Fellows entdecken

Beitrag von Eileen Brandt & Sabrina Schmöckel
Schlüsselwörter: Fachkultur, Enkulturation, Studieneingangsphase, Peer-Ansatz, Hochschulentwicklung

Studierende begegnen zu Beginn des Studiums u. a. der Anforderung sich allgemeine Studien- sowie spezifische Fachpraktiken anzueignen (i. S. v. Enkulturation) (vgl. Jenert/Scharlau 2022, 163f.). Diese sind aber häufig implizit – sie sind oft von Traditionen geprägt und werden von Angehörigen eines Faches als selbstverständlich angesehen. Studierende wiederum kommen als Noviz*innen in ein Fach und können diese selbstverständlichen, impliziten Praktiken nicht unbedingt erkennen oder verstehen. In solchen Momenten ist Studierenden ggf. nicht bewusst, warum sie irritiert sind oder Schwierigkeiten haben, gleichzeitig ist Lehrenden wiederum nicht bewusst, dass gewisse Dinge anders oder genauer erläutert werden müssten. Culture Fellows agieren hier als Vermittler*innen: sie unterstützen Studierende dabei zu verstehen bzw. zu reflektieren, wo und was genau gerade irritiert und sie melden Lehrenden ebendiese Irritationsmomente zurück. Studierende und Lehrende sollen so für Fachpraktiken und damit zusammenhängende Irritationsmomente sensibilisiert werden. Irritationsmomente und Fachpraktiken unterscheiden sich von Fach(kultur) zu Fach(kultur). Genauso unterscheiden sich auch die Einsatzmöglichkeiten von studentischen Culture Fellows. Ob sie in einem Modul, einer Vorlesung, Übung oder Laborpraktikum eingesetzt werden, hängt von den fachspezifischen Strukturen und Anforderungen ab. Dieser Beitrag gibt einen allgemeinen Überblick über das Ausbildungsprogramm, das Culture Fellows durchlaufen und gibt nähere Einblicke in zwei fachspezifische Einsatzmöglichkeiten.

Exploring the cultures and practices of university disciplines with student Culture Fellows: Why (not)?

English Abstract

At the beginning of their studies, students are required to acquire general study and disciplinary practices (i. e. enculturation) (cf. Jenert and Scharlau 2022, 163f.). However, these are in many cases implicit - they are often characterised by traditions and are, thus, taken for granted by members of a discipline. Students, on the other hand, enter a discipline as novices and are not necessarily able to recognise or understand these implicit practices. In such moments, students may not realise why they are confused or are having difficulties. At the same time, teachers are not aware that certain things may need to be explained differently or in more detail. These are situations in which Culture Fellows act as mediators: they support students in understanding and reflecting on such moments of irritation, and they report these moments of irritation back to lecturers. Students and lecturers can thus be sensitised to disciplinary practices and associated moments of irritation. Moments of irritation and disciplinary practices differ from discipline to discipline. In the same way, the possible applications of student Culture Fellows also differ. Whether they are used in a module, lecture or practical training depends on the disciplinary structures and requirements. This article provides a general overview of the training programme that Culture Fellows undergo and gives more detailed insights into two discipline-specific placement options.

1 Hinführung und Motivation

Die zunehmende Heterogenität der Studienanfänger*innen (vgl. Brahm et al. 2014, 64) führt zu divergierenden Herausforderungen in der Studieneingangsphase (vgl. Mauer 2020, 59). Studierende finden sich zum Studienbeginn nicht nur in den Studienalltag, sondern auch in ihre jeweiligen Fächer ein, in welche sie oftmals unbewusst und beiläufig hineinwachsen (i. S. v. Sozialisation). In diesem Zuge begegnen sie der Anforderung, sich allgemeine Studien- sowie spezifische Fachpraktiken anzueignen (i. S. v. Enkulturation) (vgl. Jenert/Scharlau 2022, 163-164; Langemeyer 2017, 92-93). Aufgrund dieser bestehenden Herausforderungen ist eine Auseinandersetzung mit Fachkulturen und eine Sensibilisierung im Umgang mit spezifischen Fachpraktiken, insbesondere vor dem Hintergrund der Studieneingangsphase, relevant und somit zentraler Bestandteil im Rahmen unseres Ausbildungskonzepts. Culture Fellows begleiten Studierende also eher auf einer strukturellen Ebene – sie setzen sich konkret mit dem wie (gehe ich vor?) auseinander, was sich von der Arbeit studentischer Tutor*innen dahingehend abgrenzt, dass diese sich eher mit dem was (wird hier eigentlich alles besprochen?) beschäftigen. Das Programm zur Ausbildung von studentischen Culture Fellows vereint bestehende Ansätze zur Wahrnehmung von fachspezifischen Praktiken und zu Peer-Beratungs- und Begleitkonzepten (s. hierzu z. B. Karsten et al. 2018; Kremer/Sloane 2020 an der Universität Paderborn).

Die Ausbildungsgruppe setzt sich aus Studierenden (Culture Fellows) unterschiedlicher Fächer zusammen, wodurch ein multidisziplinärer Austausch ermöglicht und gefördert wird. Diese Multidisziplinarität unterstützt die Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Fachkulturen und ihren Praktiken, was zu einem tiefergehenden Bewusstsein für die eigene Fachkultur und ihre jeweiligen Vorgehens- und Herangehensweisen führt. Vor dem Hintergrund einer heterogenen Studierendenschaft soll mithilfe studentischer Culture Fellows die Kommunikation zwischen Lehrenden und Studierenden unterstützt werden und beidseitig über den Einsatz und den Austausch für implizite Fachpraktiken in der Lehre sensibilisiert werden.

Im Rahmen unseres Beitrags gehen wir zunächst kurz auf den theoretischen Hintergrund ein, auf dem das Ausbildungsprogramm zu studentischen Culture Fellows basiert. Anschließend geben wir einen kurzen Überblick über den Aufbau und Ablauf der Ausbildung. Der Fokus dieses Beitrags ist jedoch der Einsatz der Culture Fellows in ihren unterschiedlichen Fachkulturen. Wir geben einen Überblick über alle Fächer/Bereiche, in denen Culture Fellows derzeit an der Universität Paderborn eingesetzt sind und gehen dann spezifischer auf Einsatzmöglichkeiten ein, in dem wir exemplarische Einblicke zum Einsatz der Culture Fellows in der Wirtschaftspädagogik und in der Psychologie an der Universität Paderborn geben. Im letzten Kapitel diskutieren wir auf Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen die Entwicklungsperspektiven des Ausbildungsprogramms sowie die damit verbundenen Möglichkeiten und Grenzen, um Culture Fellows in unterschiedlichen Fächern fachspezifisch einsetzen zu können.

2 Studentische Culture Fellows – Theoretische Grundlagen

Unserem Konzept liegt das Verständnis zugrunde, dass eine Fachkultur Denkmuster, Einstellungen und Praktiken umfasst, die von den Angehörigen eines Faches geteilt und als selbstverständlich angesehen werden (vgl. Scharlau/Huber 2019, 345). Damit sind Fachpraktiken häufig von Traditionen geprägt, die (mit der Zeit) für Lehrende selbstverständlich werden; wieso, weshalb, warum etwas konkret auf eine spezifische Weise gemacht wird, lässt sich also oft gar nicht mehr unbedingt beantworten. Dies führt dazu, dass solche Praktiken häufig implizit bleiben, weil sie eben durch diese Selbstverständlichkeit nicht mehr als ‚erklärungswürdig‘ erscheinen und womöglich gar nicht explizit als Praktiken wahrgenommen werden. Demnach können Lehrende nicht immer erläutern, wie sie vorgehen und was sie genau tun, wenn sie bspw. wissenschaftlich lesen, schreiben, arbeiten, oder reflektieren, weil ihnen eben nicht unbedingt klar ist, dass ihre Vorgehensweisen erklärt werden sollten/müssten (vgl. Kaduk/Lahm 2018, 83). Auch wenn Vorgehens-, Denk- und Arbeitsweisen nicht expliziert werden, wird dennoch von Studierenden erwartet, diese disziplinären Denk- und Arbeitsweisen, die möglicherweise implizit sind und bleiben, umzusetzen, um handlungsfähig hinsichtlich fachspezifischer Besonderheiten zu werden (vgl. ebd.).

Die Culture Fellows eröffnen als geübte Studierende eines Fachs die Möglichkeit einer erweiterten Innenperspektive auf Fachkultur und solche fachspezifischen Besonderheiten (vgl. Frahnert/Karsten 2018, 130). Sie sind zwar erfahrenere Studierende, wachsen aber selbst noch in die Fachkultur hinein und können deshalb die Herausforderungen der Studierenden eher nachvollziehen und sich leichter in ihre Situation hineinversetzen als Lehrende, die schon seit Jahren in einer Fachkultur tätig sind und alle Eigenheiten habitualisiert haben (vgl. Frahnert/Karsten 2018, 137; Fuge 2013, 392).

Der Peer-Ansatz, der mit diesem Programm verfolgt wird, stützt sich auch auf die Erfahrungen des Textograph*innen-Programms und des Peer-Mentoring Programms an der Universität Paderborn. Im Textograph*innen-Programm des Kompetenzzentrums Schreiben arbeiten erfahrenere Studierende (Textograph*innen) mit Lehrenden aus ihrem Fach (in einer Veranstaltung) zusammen und unterstützen Studierende mit Peer-Feedback beim Schreibprozess (vgl. Frahnert/Karsten 2018; Karsten et al. 2018).[1] Im Rahmen des Peer Mentoring Programms an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften werden erfahrene Studierende höherer Fachsemester in wirtschaftspädagogischen Modulen ausgebildet, um Studienanfänger*innen in den ersten zwei Semestern zu begleiten und u. a. bei der Studienplanung zu unterstützen. Das Programm wurde 2012 mit dem Ziel eingeführt, einen sozialen Raum für Studienanfänger*innen zu schaffen, indem akademische, soziale und persönliche Herausforderungen aufgenommen werden und der Zugang ins Studium erleichtert wird (vgl. Kremer/Sloane 2020). Erfahrenere Studierende, oft auch als more capable peers bezeichnet, haben schon häufiger das Vorgehen der Lehrenden im Fach beobachten können (für eine tiefere und detailliertere Auseinandersetzung mit dem Begriff more capable peers siehe Frahnert/Karsten 2018, 130; Vygotskij/Cole 1981, 86). Zusätzlich ist eine Peer-Beziehung häufig Grundlage für einen authentischen und vertrauten Umgang miteinander sowie einen bewertungsfreien Raum ohne Abhängigkeitsverhältnis (vgl. Fuge 2013, 392).

Im Rahmen der Ausbildung werden erfahrenere Studierende, also Studierende mit ersten Studienerfahrungen und ggf. Erfahrungen im jeweiligen Fach (durch die Tätigkeit als studentische/wissenschaftliche Hilfskraft) zu Culture Fellows ausgebildet, um Studierende (insbesondere in der Studieneingangsphase) zu unterstützen und mit Lehrenden über mögliche Irritationen zu sprechen. Die Culture Fellows sollen gleichzeitig die Lehrenden dabei unterstützen solche impliziten Annahmen und Praktiken zu sehen und vielleicht auch selbst zu verstehen, warum sie bestimmte Dinge auf eine bestimmte Weise machen. Anschließend können sie diese Praktiken, aus ihren Erfahrungen heraus, transparenter machen und verstehen, warum eine eventuelle Fehlkommunikation stattgefunden hat. Für diese Aufgaben sind Culture Fellows deshalb so geeignet, weil sie die Perspektive der Studierenden kennen und die Kommunikation und Verständigung von Lehrenden und Studierenden begünstigen können. Sie sind nicht ‚nur‘ erfahrenere Studierende in Kontakt mit anderen (unerfahreneren) Studierenden, sondern haben durch ihre Ausbildung auch die Kompetenzen erlangt, um mit den Lehrenden in Kontakt zu treten und die Probleme und Schwierigkeiten der Studierenden zu kommunizieren. Damit gehen wir davon aus, dass die Culture Fellows als niederschwellige Ansprechpartner*innen für die Studierenden bei fachspezifischen Herausforderungen zugänglicher sind als die Lehrenden. Das Programm dient also vor allem zur Ausbildung der Culture Fellows, die als Vermittler*innen zwischen Lehrenden und Studierenden agieren und vor diesem Hintergrund auch (multi-)disziplinär über implizite fachspezifische Praktiken ins Gespräch kommen und Reflexionsanlässe aufnehmen.

3 Programm zur Ausbildung studentischer Culture Fellows

Innerhalb des fakultäts- und fächerübergreifenden Lehrprojekts DigiSelF wurde in einem Teilprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. H.-Hugo Kremer und Prof. Dr. Ingrid Scharlau ein Ausbildungsprogramm entwickelt, um Studierende zu Culture Fellows auszubilden. Simultan wurde die Begleitung der Culture Fellows in ihren Einsätzen geplant und umgesetzt (Weitere Informationen zum Projekt sind unter https://www.uni-paderborn.de/universitaet/digiself zu finden). Das Programm zur Ausbildung studentischer Culture Fellows beinhaltet generische Ausbildungsbausteine sowie begleitende Austauschformate in der multidisziplinären Gruppe. Auch gehört der Einsatz im jeweiligen Fach dazu (s. Abbildung 1), welcher vom Ausbildungsteam begleitet und evaluiert wird. Übergreifend führen wir folgende Fragen im Rahmen der Programmgestaltung und evaluativen Begleitung mit:

  • Wie kann eine Annäherung an Fachkultur(en) respektive Sensibilisierung für (implizite) Fachpraktiken für die unterschiedlichen Zielgruppen (Studierende, Culture Fellows und Lehrende) gefördert werden?
  • Wie können Culture Fellows mithilfe der Ausbildung und durch gezielte Beobachtungen in Lehr-/Lernsituationen sowie durch Interaktionen mit Studierenden (implizite) Fachpraktiken aufnehmen und zur Diskussion stellen?
  • Inwiefern können implizite Fachpraktiken über Studienunsicherheiten und Irritationen im Studium von Studierenden expliziert werden und wie können sie im Umgang mit diesen Unsicherheiten und Irritationen unterstützt und begleitet werden?

Zentraler Bestandteil des Programms sind die Ausbildungsbausteine mit unterschiedlichen fächerübergreifenden Schwerpunkten, welche sowohl inhaltliche als auch methodische Elemente beinhalten. Abbildung 1 zeigt einen Überblick der Ausbildungsbausteine und der von den Culture Fellows selbst organisierten Terminen während des Ausbildungszyklus. Die inneren Zahnräder symbolisieren dabei nicht nur die einzelnen Bausteine, sondern auch die Ausbildungsgruppe, die aus den unterschiedlichen Fächern zusammenkommt. Die äußeren Kreise stehen für die einzelnen Fächer bzw. Teilprojekte, die am Gesamtprojekt teilnehmen, d. h. sie lassen Studierende als Culture Fellows ausbilden und setzen sie dann in ihrem Fach spezifisch ein.

Die Ausbildungselemente werden ergänzt durch eine begleitende virtuelle Mittagspause, Einsatzgespräche mit Fachvertreter*innen und der Ausbildungsleitung sowie einem informellen Austauschtreffen pro Semester. Für die Ausbildung und die Entdeckung von fachkulturellen Irritationen sind Differenzerfahrungen unabdingbar. Solche Differenzerfahrungen zeigen Mitgliedern eines Fachs auf, dass viele Praktiken und Vorgehensweisen nicht allgemeingültig, sondern speziell für das eigene Fach sind (vgl. Jenert/Scharlau 2022, 162). Zur Dokumentation von Beobachtungen und zur Reflexion der eigenen Rolle als Culture Fellow erstellen sie zu Beginn der Ausbildung ein Positions- und zum Ende ein Reflexionspapier. Gleichzeitig wird während des Einsatzes im Fach und der Teilnahme am Ausbildungsprogramm ein individuelles Logbuch geführt. Das Ausbildungsprogramm wird pro Studiensemester durchgeführt. Es wird je Semester so gestaltet, dass neue Studierende in das Programm aufgenommen und eingeführt werden können. Die bestehenden Culture Fellows durchlaufen das Programm zum Teil erneut, vertiefen hierbei aber ihre Kenntnisse im Rahmen der Bausteine. Die Gruppe wird, je nach Inhalten, für bestimmte Phasen der jeweiligen Bausteine unterteilt, um die verschiedenen Erfahrungsstände der Culture Fellows zu berücksichtigen und produktiv zu nutzen.

Abbildung 1: Übersicht zur Ausbildung der Culture FellowsAbbildung 1: Übersicht zur Ausbildung der Culture Fellows

Die Culture Fellows werden mit dem Konzept der Fachkultur vertraut gemacht, welches dann in den weiteren Ausbildungsbausteinen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet wird. Dazu gibt es zu Beginn den theoretischen Baustein zu Fachkultur, der früh im Ausbildungs- und Einsatzzyklus behandelt wird, um den Culture Fellows einen ersten Eindruck und ein erstes Verständnis von Fachkulturen zu vermitteln. Diesem Baustein liegt die oben genannte Definition sowie auch unterschiedliche Dimensionen von Fachkultur zugrunde, die sich u. a. auf das soziale Klima, die Lehr-Lern-Organisation, die Lehrorientierungen oder die Interaktionsstrukturen beziehen. Die Culture Fellows nutzen auch die Culture Quest, die als eine Art ‚Studienfacherforschungsleitfaden‘ basierend auf dem Decoding the Disciplines Paradigm und mithilfe der Fachkulturdimensionen entwickelt wurde. Decoding wurde ursprünglich für Lehrende entwickelt, um sie bei der Entdeckung von fachspezifischen Arbeits- und Denkweisen zu unterstützen. Durch die Reflexion und Kommunikation dieser Denk- und Arbeitsweisen im eigenen Fach sollen Arbeitsaufträge und Aufgaben entwickelt werden, die die Lernerfahrungen von Studierenden verbessern und damit den Umgang mit Lernschwierigkeiten (sogenannte bottlenecks) unterstützen sollen. Von diesem komplexen Konzept lernen die Culture Fellows insbesondere den ersten Schritt, nämlich das Nachfragen bzw. konkrete Erfragen von Vorgehensweisen. Gemeinsam mit den behandelten Kommunikationsmodellen (z. B. dem Eisbergmodell (nach Ruch/Zimbardo 1974, 366f.) und dem Vier-Ohren Modell (nach Schulz von Thun 2016, 48ff.)) nutzen die Culture Fellows das Decoding, um Schwierigkeiten und Irritationen Studierender sowie auch Arbeitsaufträge und Vorgehensweisen Lehrender so genau und detailliert wie möglich zu erfragen und zu entdecken.[2]

Für die Konzeption des Ausbildungsprogramms der Culture Fellows ist eine Beobachtung und Aufarbeitung dieser Irritationsmomente hilfreich und wir nehmen an, dass diese Aufarbeitung (die u. a. gemeinsam mit Lehrenden und Studierenden stattfinden soll) Rückschlüsse auf implizite Fachpraktiken ermöglicht. Auf diese Weise soll das (lokale) Wissen über Fachkulturen bereichert und Studium und Lehre längerfristig unterstützt werden (vgl. Frahnert/Karsten 2018, 130).

4 Fächer und Einsatzsettings von Culture Fellows

Auf der Grundlage dieser umfassenden Ausbildung begleiten die Culture Fellows vorwiegend Veranstaltungen und Lerngelegenheiten, die im Rahmen der Studieneingangsphase angeboten werden. Die Art der Begleitung unterscheidet sich je nach Lehr- und Lernstrukturen der jeweiligen Fächer.

Die beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die in den Teilprojekten für die Culture Fellows zuständig sind, beraten und begleiten den Einsatz. Zu Beginn jedes Semesters führen wir Einsatzgespräche, in denen der konkrete Einsatz der Culture Fellows besprochen wird. Wichtige Punkte in den Einsatzüberlegungen sind, z. B. inwiefern schon vorhandene Unterstützungsstrukturen genutzt werden können oder welche Lehrveranstaltungen in den letzten Semestern besonders starke Irritationen hervorgerufen haben (und häufig auch hohe Durchfallquoten hatten). Tabelle 1 zeigt einen Überblick über die momentanen Einsatzinformationen, d. h. in welcher Art Veranstaltung die Culture Fellows eingesetzt sind und wie sie mit den Studierenden und ggf. den Lehrenden in Kontakt treten und bleiben.

Tabelle 1: Kurzbeschreibungen zum Einsatz der Culture Fellows in den beteiligten Fächern

Fach

Konkrete Einsatzinformationen

Physik

Fokus auf ausländische Studierende, die mit dem System und den Arbeitsweisen der Universität Paderborn nicht vertraut sind und durch den/die Culture Fellow niedrigschwellig und individuell unterstützt werden können.

Chemie

Culture Fellows sind in den großen Vorlesungen Physikalische und Organische Chemie eingesetzt. Sie besuchen auch die zugehörigen Tutorien und zeigen Präsenz im Lernraum. Irritationen und Schwierigkeiten, die in den letzten Semestern von den Culture Fellows aufgedeckt bzw. an die Culture Fellows kommuniziert wurden, werden aufgegriffen (z. B. Studierende sind irritiert von Mangel an Übungsmöglichkeiten in Tutorien, die Lehrperson wünscht sich mehr Feedback, aber die Studierenden „trauen“ sich nicht).

Elektrotechnik

Fokus des Culture Fellows sind die Grundlagen der Elektrotechnik A und B, weil alle Studierenden des Fachs diese Veranstaltungen belegen müssen. Culture Fellows nehmen an den Veranstaltungen regelmäßig teil. Sie kommen und bleiben dadurch in Kontakt mit Lehrenden und Studierenden. Zudem werden Sprechstunden und gemeinsame Mittagessen angeboten, um informell über Schwierigkeiten und Irritationen sprechen zu können.

Maschinenbau

Unterstützung für Erstsemester in einem Online-Kurs, bei dem Studierende das Lernen und Arbeiten im Fach etwas kennenlernen sollen. Die Ergebnisse aus den Online-Aufgaben werden dann einmal monatlich in Präsenzterminen gemeinsam in der Gruppe diskutiert und reflektiert.

Psychologie

Einsatz in zwei Veranstaltungen (im ersten und zweiten Semester), die alle Psychologiestudierenden belegen müssen. Es handelt sich um Einführungsveranstaltungen, in denen allgemeine und grundlegende Praktiken vermittelt werden. Durch die Unterstützung der Culture Fellows in diesen beiden Veranstaltungen wird eine längerfristige Unterstützung und Begleitung der Studierenden gewährleistet und Irritationen mit fachspezifischen Vorgehensweisen können früh reflektiert und diskutiert werden.

Wirtschaftswissenschaften /Wirtschaftspädagogik

Einsatz in einer fachwissenschaftlichen Veranstaltung des ersten Semesters und einer fachdidaktischen Veranstaltung des zweiten Semesters, an denen Studierende aus den Bachelorstudiengängen Lehramt an Berufskollegs (B. Ed.) und im Erweiterungsfach Wirtschaft (B. Ed.) für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (GyGe) teilnehmen.

Wirtschaftspädagogik

Einsatz der Culture Fellows in einem Mastermodul Einführung in die Grundlagen der Wirtschaftspädagogik; die Studierenden kommen entweder aus einer anderen Uni oder haben etwas anderes in ihrem BA gemacht (z. B. Wiwi), weswegen davon ausgegangen wurde, dass hier einige Irritationen auftreten könnten.

4.1 Exemplarische Einblicke: Wirtschaftswissenschaften/Wirtschaftspädagogik

An der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften werden die Culture Fellows seit dem Wintersemester 2022 in (Einführungs-)Veranstaltungen der Bachelor- und Masterstudiengänge eingesetzt. In den Bachelorstudiengängen Lehramt an Berufskollegs (B. Ed.) und im Erweiterungsfach Wirtschaft (B. Ed.) für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen (GyGe) begleiten die Culture Fellows im Wintersemester das fachwissenschaftliche Modul Einführung in den Wirtschaftsunterricht und im Sommersemester das fachdidaktische Modul Wirtschaftliche Bildung: Ökonomisches Denken und Handeln. Diese Veranstaltungen sind für die Studierenden verpflichtend im ersten und zweiten Semester des regulären Studienplans verankert. Im Rahmen des Studiums wählen Studierende neben der beruflichen Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften ein weiteres Fach oder eine zweite berufliche Fachrichtung und sind vor dem Hintergrund fachspezifischer Praktiken eine besondere Zielgruppe, da sie mit dem Studienbeginn Erfahrungen in zwei Fächern machen, deren Denk- und Handlungsmuster sich voneinander unterscheiden (z. B. Wiwi und Englisch). Im Folgenden wird ein exemplarischer Einblick zum Einsatzkonzept der Culture Fellows an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften gegeben, welches aus unterschiedlichen Bausteinen besteht (s. Abbildung 2).

Abbildung 2: Einsatzkonzept der Culture Fellows an der Fakultät WiwiAbbildung 2: Einsatzkonzept der Culture Fellows an der Fakultät Wiwi

Die Culture Fellows nehmen regulär an Terminen der fachwissenschaftlichen Veranstaltungen teil, um sichtbar für die Studierenden zu sein und inhaltliche, methodische und spezifische Einblicke innerhalb der Veranstaltung zu bekommen. Im ersten Veranstaltungstermin wird der Projektkontext von den Modulverantwortlichen vorgestellt und die Culture Fellows stellen sich der Studierendengruppe vor, berichten von eigenen Erfahrungen im Rahmen des Studiums und von der Bedeutung ihrer Rolle als Culture Fellow. Über die Lernplattform wird den Kursteilnehmende das Informationspapier Culture Was? zur Verfügung gestellt. Durch die semesterbegleitende Peer-Beratung haben Studierende die Möglichkeit, Fragen und Unsicherheiten über die Lernplattform oder per E-Mail an Culture Fellows zu spiegeln und können damit auch außerhalb der Veranstaltungen Wege der Beratung und Begleitung in Anspruch nehmen.

In den regulären Veranstaltungsterminen nehmen die Culture Fellows die Rolle der teilnehmenden Beobachtenden ein, um hier im Rahmen der Lehr-/Lernsituationen erste Irritationsmomente aufzunehmen und gezielt im Rahmen von Gruppenarbeitsphasen mit den Studierenden ins Gespräch zu kommen. Außerdem findet während des Semesters ein regelmäßiger Austausch mit den Lehrenden/Modulverantwortlichen und dem Programmteam statt, um über die bisherigen Wahrnehmungen in den Veranstaltungen zu sprechen. Abbildung 3 zeigt einen exemplarischen Ablauf zum Einsatz von Culture Fellows im Rahmen der Veranstaltungen an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften.

Innerhalb des Modulkonzepts werden, als zentraler Baustein des Einsatzes, zusätzliche Termine festgelegt, um den Austausch zwischen Culture Fellows und Studierenden zu ermöglichen. Hierzu gestalten die Culture Fellows während des Semesters zwei bis drei kleine Workshops, die zu Beginn des Veranstaltungstermins für 30-45 Minuten mit der Studierendengruppe durchgeführt werden, bevor die Lehrenden im Nachgang die fachliche Veranstaltung übernehmen. Die Workshops adressieren gezielt die individuelle Auseinandersetzung mit (fachkulturellen) Irritationen in der Studieneingangsphase und spezifisch auch in der entsprechenden Veranstaltung, um einen Austausch darüber zu ermöglichen.

Abbildung 3: Exemplarischer Ablauf zum Einsatz im Rahmen einer VeranstaltungAbbildung 3: Exemplarischer Ablauf zum Einsatz im Rahmen einer Veranstaltung

Die Mini-Workshops bestehen vorwiegend aus aktivierenden Methoden und integrierten Reflexionsimpulsen. So erstellen Studierende z. B. individuelle Verlaufskurven mit Bezug auf die Studieneingangsphase, indem sie eigene Erfahrungen seit dem Studienbeginn reflektieren und prägende Erfahrungen, Erlebnisse, deren Auslöser sowie damit verbundene Gefühlslagen aufnehmen. Wie ging es mir im ersten Semester? Gab es Höhepunkte oder Rückschläge und woran kann ich das festmachen? Die Methode zur Erstellung der Verlaufskurven wird in der Gruppe diskutiert, worüber ein Austausch zu den studentischen Erfahrungen in der Studieneingangsphase stattfinden kann. Die Culture Fellows versuchen u. a. Wahrnehmungen und bestehende Unsicherheiten im Rahmen der Veranstaltung aufzunehmen, indem sie mit der Studierendengruppe folgende Fragen diskutieren: Wie sieht in meiner Vorstellung ein klassisches Modul aus? Wie lässt sich dieses Modul beschreiben? Auf Grundlage der aktivierenden Methoden und den damit verbundenen Erkenntnissen werden Themenschwerpunkte resp. Irritationsmomente herausgestellt und ein Austausch in der Gruppe ermöglicht. Ziel der Mini-Workshops ist die studentische Auseinandersetzung mit Unsicherheiten, die im Rahmen der Lehrveranstaltungen bei der Interaktion mit Lehrenden (Was genau irritiert mich?) oder bei der Bearbeitung von Aufgaben (Warum wird das GENAU SO gemacht?) aufkommen oder aufgekommen sind.

Die Gestaltung der Workshops wird parallel zur Veranstaltungsbegleitung vorgenommen, damit Rückmeldungen der Studierenden und Lehrenden einfließen können, indem sie konkrete Situationen aus der Lehre schildern. Zentral wurden hierbei immer wieder Unsicherheiten bezüglich der Prüfungsleistung und die Anforderungen, fachliche Inhalte und persönlichen Erfahrungen zu reflektieren, genannt. Außerdem machen Studierende Studienerfahrungen entgegen ihrer Erwartungen, die sie an ein Studium haben. Beispielsweise gaben Studierende der Lehrperson die Rückmeldung, dass die Durchführung der Veranstaltung nicht den Vorstellungen entspräche, wie sie eine Veranstaltung an der Universität erwartet hätten.

Im letzten Veranstaltungstermin werden die Erkenntnisse aus den Interaktionsterminen mit den Culture Fellows zusammengeführt und eine offene Diskussion zwischen Studierenden und Modulverantwortlichen angeregt. Hierbei können angesprochene Themen und Irritationen zusammengeführt und über die unterschiedlichen Wahrnehmungen und bestehenden Unsicherheiten gesprochen werden. Abschließend erhalten die Studierenden die Möglichkeit Feedback zu den Mini-Workshops und dem damit verbundenen Austausch mit den Culture Fellows zu geben.

Im Rahmen der Prüfungsleistung der Veranstaltung werden die Reflexionen der Studierenden aufgenommen. Studierende sollen dabei innerhalb der Einzelleistung auf ca. einer Seite Bezug zu Eindrücken und Erfahrungen im Rahmen des Culture Fellow-Programms und den damit verbundenen Interaktionsterminen nehmen. Folgende Fragen dienen als Grundlage, um ausgewählte Situationen im Rahmen des Moduls oder bisheriger Erfahrungen mit Besonderheiten im eigenen Fach zu beschreiben und damit verbundene Irritationsmomente aufzunehmen und zu reflektieren.

  • Beschreiben Sie einen Irritationsmoment. Was hat Sie im Rahmen des Moduls/der Veranstaltung irritiert? Was war neu/unbekannt/überraschend/herausfordernd/unverständlich/nicht nachvollziehbar?
  • Wie wurden ihre Erfahrungen und mögliche Irritationen in den Gesprächen mit den Culture Fellows bzw. im Rahmen der Interaktionstermine aufgenommen?
  • Inwiefern war der Austausch mit den Culture Fellows hilfreich/nicht hilfreich?

Die Begleitung durch Culture Fellows im Rahmen spezifischer Veranstaltungen kann neben den Interaktionsterminen verschiedene Elemente (Beobachtung, Gespräche mit Lehrenden, Sprechstunde etc.) beinhalten und ergänzend in unterschiedlichen Phasen aufgenommen werden.

4.2 Exemplarische Einblicke: Psychologie

An der Universität Paderborn besteht seit dem Wintersemester 2022/2023 die Möglichkeit, das Unterrichtsfach Psychologie für Lehramt zu studieren (Gymnasium/Gesamtschule und Berufskolleg). Die Culture Fellows in der Psychologie begleiten jeweils die neue Kohorte Studierender des Unterrichtsfachs Psychologie (Beginn ist immer im Wintersemester). In ihren ersten beiden Semestern belegen die Studierenden planmäßig die Veranstaltungen Einführung in die Psychologie (erstes Semester) und die Einführung in die Kognitionspsychologie (zweites Semester).

Um die Studierenden beim Einfinden in das Psychologiestudium und insbesondere beim Arbeiten in den oben genannten Veranstaltungen zu unterstützen, greifen die Workshops der Culture Fellows nicht nur spezifische Fachpraktiken auf, mit denen die Studierenden ggf. Schwierigkeiten haben, sondern sie beziehen auch allgemeine Irritationen, die insbesondere am Anfang des Studiums aufkommen, ein (Tabelle 2). Dieses Vorgehen hat sich aus den Erfahrungen, die in vorherigen Semestern während der Arbeit der Culture Fellows gemacht wurden, ergeben. Ein Grund dafür ist u. a., dass Fachpraktiken, auch wenn sie in Strukturmodellen gemeinsam mit Artefakten häufig als sichtbare Aspekte einer Fachkultur beschrieben werden (vgl. Jenert/Scharlau 2022, 161), dennoch sehr weit gefächert, wenig spezifisch und abstrakt sind – speziell für Noviz*innen im Fach. Dies führt dazu, dass sie für Studierende und teilweise für Culture Fellows, die zwar etwas erfahrener sind, jedoch kaum greifbar sind. Unsere Erfahrungen im Projekt haben gezeigt, dass Studierende zwar irritiert sind oder Schwierigkeiten haben, dies aber häufig nicht dem Fach – und schon gar nicht Fachpraktiken, denn den Begriff kennen sie nicht – zuschreiben, sondern eher auf einzelne Veranstaltungen, Lehrende oder Prüfungsleistungen zurückführen. Bei einigen Irritationen mag dies sicherlich auch der Fall sein, doch diejenigen herauszufiltern, bei denen spezifisch fachpraktische Irritationen auftreten, war, ist und bleibt schwierig und lässt sich nur über Austausche und Diskussionen über das Fachstudium lösen.

Um dies und auch die Beziehungsentwicklung auf Peer-Ebene, die für ein solches Konzept entscheidend ist (vgl. Frahnert/Karsten 2018), zu fördern, setzen wir zu Beginn des ersten Semesters auf allgemeinere Workshops, die die Studierenden erst einmal für die Existenz von fachspezifischen Aspekten sensibilisieren und ihnen so eine Basis für Austausche und Diskussionen geben sollen. Hierzu gehört die Unterstützung beim Kennenlernen und Entdecken der Bibliothek als Arbeitsplatz im Allgemeinen, gleichzeitig aber auch die Sensibilisierung für fachspezifische Aspekte, wie die Literatursuche und die Fachsystematik.

Tabelle 2:     Workshops der Culture Fellows im ersten Semester Einführung in die Psychologie

Semester

Workshop

Inhalte/Fokus

Erstes Semester Einführung in die Psychologie

· Studierenden werden Grundlagen des psychologischen Arbeitens, des kritischen Denkens und ein erstes Methodenbewusstsein vermittelt

1.       Bibliothek als Arbeits- und Recherchemöglichkeit

Einführung in:

· allgemeine universitäre Strukturen und die Bibliothek als solches (Beantragung Bibliotheksausweis, Gruppenarbeitsräume)

· fachspezifische Aspekte, wie konkrete Literaturrecherchen, Zugänge zu Fachliteratur und die Fachsystematik der Bibliothek und explizit der Psychologie.

2.       Schulfach vs. Studienfach

· Wie unterscheiden sich das Schulfach (wenn vorhanden) und das Studienfach Psychologie?

· Die Diskussionsgrundlage bieten die Dimensionen von Fachkultur (Huber, 1991; Scharlau/Huber, 2019) und die Culture Quest

· Studierende diskutieren und reflektieren Aspekte, wie z. B. Interaktionsstrukturen im Fach (Wann spricht man wen an? Wann und an wen stellt man Fragen?) oder Gesichtspunkte der Lehr- und Lernorganisation (Wie, wo und wann lernt man eigentlich in der Psychologie?)

3.       Texte lesen

· Fokus auf Lehrbuchtexte, da sie in der Veranstaltung besonders genutzt werden, um einen allgemeinen Überblick über die Psychologie zu geben

· Beispielfragen, die die Studierenden diskutieren & reflektieren:

Liest du digital oder in Papierform? Machst du dir Notizen/Markierungen? Kopierst du/Markierst du ganze Textteile? Nimmst du weitere Literatur hinzu, um Inhalte besser zu verstehen?

Schau dir deine Notizen zu den obigen Fragen an. Würdest du genauso mit einem Text aus deinem 2. Fach umgehen? Was würdest du vielleicht anders machen?

4.       Erwartungen ans Studium

Interaktiver Austausch:

· Studierende kommunizieren und diskutieren persönliche Vorstellungen von dem und Erwartungen an das Psychologiestudium

· Abgleich der Beiträge, die in ein Padlet eingetragen wurden, mit den bisherigen Erfahrungen aus dem Alltag des Psychologiestudiums

Beispielfragen: Wie habe ich mir Vorlesungen vorgestellt? Womit beschäftige ich mich am meisten? Was habe ich vorher gedacht? Womit habe ich am wenigsten gerechnet?

5.       Klausurvorbereitung

Lernstrategien im Fach kennenlernen und besprechen. – „Wie bereite ich mich vor?“

Es stehen nicht die Inhalte der Veranstaltungen (das Was) im Vordergrund, sondern der Umgang damit (das Wie).

Im weiteren Verlauf des Semesters besprechen und diskutieren die Culture Fellows mit den Studierenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem Schulfach (wenn vorhanden) und dem Studienfach. Es geht konkret auch darum, beide Studienfächer der Studierenden zu betrachten, denn es hat sich während der Ausbildung der Culture Fellows gezeigt, dass die Reflexion und, darauf aufbauend, die Sensibilisierung für solche (intrapersonalen) Differenzerfahrungen wertvoll und gewinnbringend für das Entdecken von Fachkulturen und ihren Praktiken sind. In diesem Workshop nehmen die Culture Fellows die Dimensionen von Fachkultur (vgl. Huber 1991; Scharlau/Huber 2019) als Grundlage und versuchen so das – besonders für Studierende in der Studieneingangsphase – eher abstrakte Konstrukt von Fachkultur zu konkretisieren. Hier kommen dann auch einige Fragen der Culture Quest zum Einsatz, welche in Teilen auch aus den Dimensionen abgeleitet und entwickelt wurden. Nachdem mit der Culture Quest einige Charakteristika entdeckt, diskutiert und reflektiert wurden, wird im dritten Workshop des Semesters konkret die Praktik des Lesens in den Vordergrund gestellt. Die Culture Fellows behandeln allgemeine Lesestrategien, um die Studierenden dafür zu sensibilisieren, dass das Lesen im Studium sich ggf. von bisherigen Leseerfahrungen unterscheidet und dass diese Unterschiede auch je nach Fach variieren können. Auch hier werden wieder, ähnlich wie im vorherigen Workshop, die Differenzerfahrungen nicht nur innerhalb der Gruppe der Teilnehmenden, sondern auch innerhalb der Studierenden selbst hervorgehoben. Lesen und Lesestrategien wurden von den Culture Fellows wiederholt als ein Irritationsmoment, den Studierende empfinden, zurückgemeldet, weswegen wir diese Praktik mehrfach und in unterschiedlichen Ausprägungen in das Workshopangebot aufgenommen haben.

Zum Ende des Semesters werden dann nochmal die Erwartungen der Studierenden an ihr Studium aufgenommen und mit den bisherigen Erfahrungen verglichen und reflektiert. Die Planung und Durchführung dieses Workshops basiert u. a. auf der Auswertung von Irritationsmomenten, die während des Einsatzes der Culture Fellows im Austausch mit Studierenden wahrgenommen wurden („Aber so hab ich mir das nicht vorgestellt. Das ist doch keine Uni-Veranstaltung!“). Weiterhin wurden auch Momente und Situationen, die bei Interviews, an denen die Culture Fellows im Zuge eines Dissertationsvorhabens teilgenommen haben (siehe Ammann et al. 2023, 137ff.), aufgekommen sind, in die Planung einbezogen (z. B. Auswendiglernen im Englischstudium im ersten Semester wurde als irritierend und entgegen der eigenen Erwartungen wahrgenommen). Durch den geleiteten Austausch über Erwartungen und damit zusammenhängenden Irritationsmomenten soll den Studierenden bewusst gemacht werden, dass irritierende Momente und Situationen im (Fach-)Studium nicht zwingend negativ sein müssen, sondern, dass ein offener und konstruktiver Diskurs hier beim Verständnis und im Umgang unterstützen kann (vgl. Jenert/Scharlau 2022, 172ff.).

Im zweiten Semester ist die Veranstaltung, die die Studierenden belegen, fokussierter, d. h. es geht um einen bestimmten Zweig der Psychologie. Dahingehend sind auch die Workshops der Culture Fellows (Tabelle 3) in diesem Semester enger an der Veranstaltung und ihren Arbeitsaufträgen orientiert. Wissenschaftliche Texte recherchieren sowie Lesen als Praktik sind in der Einführung in die Kognitionspsychologie grundlegend, weswegen zwei der drei Workshops darauf Bezug nehmen. Es geht also weniger darum, die Studierenden allgemein zu sensibilisieren oder Unterschiede zwischen Texten in den unterschiedlichen Fächern herauszuarbeiten, sondern darum, sich explizit mit der Struktur von psychologischen Texten auseinanderzusetzen und die einzelnen Teile (z.B. Was umfasst der Theorieteil normalerweise? Was steht in der Methodologie? Wie unterscheiden sich Ergebnisteil und Diskussion?) kennenzulernen und zu verstehen.

Tabelle 3:     Workshops der Culture Fellows im zweiten Semester Einführung in die Kognitionspsychologie

Semester

Workshop

Inhalte/Fokus

Zweites Semester Einführung in die Kognitionspsychologie

· Vertraut machen mit den Grundlagen der Kognitionspsychologie

· In Gruppenarbeiten, die eigenständig organisiert werden, wird sich mit wichtigen Psycholog*innen auseinandergesetzt

1.       Allgemeine Lesestrategien

· Vorstellung von unterschiedlichen Strategien, die an Originaltexten getestet werden

· Reflexion früherer Leseerfahrungen im Vergleich zu Leseerfahrungen im Studium

· Vorstellung in Kleingruppen und Begründung in Bezug darauf, wer welche Strategien warum gewählt und angewendet hat.

· Grundlage für einen offenen Diskurs und eine Sensibilisierung der Studierenden für unterschiedliche Strategien

2.       Lesen wissenschaftlicher Texte

· Fokus auf wissenschaftliche Artikel, die die Studierenden selbst recherchieren

· Grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Struktur von wissenschaftlichen Artikeln in der Psychologie

· Einzelne Bestandteile eines Artikels werden kurz dargestellt, erklärt und dann an einem Beispiel im Kontext eines Originalartikels erläutert und diskutiert

· Ziel ist eine Sensibilisierung für die Struktur wissenschaftlicher Artikel in der Psychologie.

3.       Organisation von Selbstlern- und Gruppenarbeitsprozessen

· Culture Fellows unterstützen die Studierenden, indem sie Selbstlern- und Gruppenarbeitsprozesse konkret ansprechen

· Mögliche Schwierigkeiten werden mit den Studierenden diskutiert

· Erarbeitung und Reflexion von Unterschieden zwischen Gruppenarbeiten in der Schule und der Universität

· Betrachtung von Organisationsgrundlagen (d. h. wie, wo und wann wird kommuniziert, wie werden Rollen und Aufgaben aufgeteilt) sowie auch der Zeitplanung

Grundsätzlich ist das Ziel von allen Workshops, in erster Linie ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Lernen, Lesen und Arbeiten an der Universität anders sind als es ggf. aus der Schule bekannt ist. Zudem sollen Studierende dafür sensibilisiert werden, dass das, was sie in ihrem Fach/in ihren Fächern machen, speziell und nicht unbedingt alltäglich ist.

Zusätzlich zu den Workshops und dem Austausch mit Studierenden wurden die Culture Fellows in den Veranstaltungen von den Lehrenden als ‚Fragebeauftragte‘ eingesetzt. D. h. sie nehmen meist an den Veranstaltungen teil (auch um den Kontakt mit den Studierenden aufzubauen und zu halten) und versuchen der Veranstaltung aus der Rolle eines*einer Studienanfänger*in zu folgen, was bedeutet, dass sie nach der Veranstaltung Fragen und Irritationen an die Lehrperson melden, von denen sie sich vorstellen könnten, dass sie bei den Studierenden aufgetaucht sein könnten. Dies wurde von den Lehrenden als große Unterstützung zurückgemeldet, da sie so eine weitere Perspektive auf ihr Fach und ihr Vorgehen bekommen, die u. a. zur Reflexion der eigenen Erwartungen anregen und neue Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung eröffnen kann. Um die Culture Fellows hierfür vorzubereiten, wird während der Ausbildungsbausteine darauf geachtet, multidisziplinäre Austauschformate immer wieder einzubauen, sodass sie für unterschiedliche Vorgehensweisen und fachliche Praktiken sensibilisiert werden und dadurch auch ihre eigenen eher erkennen können.

5 Einsatz von Culture Fellows – Möglichkeiten und Grenzen

Der Beitrag zeigt, dass die bisher beteiligten Fächer unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten und -bereiche bieten und somit auch vielfältige Erfahrungen durch den Einsatz der Culture Fellows aufgenommen werden können. Im Folgenden möchten wir gezielt anhand unserer bisherigen Erfahrungen die Perspektiven von Lehrenden, Culture Fellows und Studierenden und damit verbundene Möglichkeiten und Grenzen des Programms kurz darstellen und darüber Ansätze zur Weiterentwicklung – vor allem mit Blick auf Transfermöglichkeiten des Programms im Hochschulkontext – aufzeigen.

Ein wesentliches Element der Ausbildung ist die inhaltliche Auseinandersetzung mit Fachkultur. Das Bewusstsein über und die Sensibilisierung für die einzelnen Aspekte und Dimensionen von Fachkultur (nach Ludwig Huber), insbesondere mit Bezug zum eigenen Studium/den eigenen Studienerfahrungen, wurden von den Culture Fellows als hilfreich bezeichnet, u. a., weil sie sich damit ihr Fach/ihre Fächer in ihren Ausmaßen konkreter vorstellen können und die theoretisch erarbeiteten Dimensionen ‚auffüllen‘ konnten. Die Verknüpfung von Theorie und eigenen Irritationsmomenten führt, laut Aussage der Culture Fellows, dazu, dass das Konzept von Fachkultur weniger abstrakt und damit greifbarer wird. Außerdem haben sie angemerkt, dass ihnen die Dimensionen als Reflexionshilfe, auch bei der Bearbeitung der schriftlichen Aufgaben im Zuge der Ausbildung (Positions- und Reflexionspapier; Logbuch) geholfen haben.

Ein ähnliches Vorgehen hat sich auch im Einsatz einiger Culture Fellows als produktiv erwiesen. Studierende gehen in einen angeleiteten Austausch, in dem sie über ihre Erfahrungen und insbesondere Irritationen in bestimmten Situationen sprechen. Die Culture Fellows bringen hier gezielt einige Aspekte von Fachkulturdimensionen, z. B. den Umgang mit und die Vorbereitung auf Prüfungen sowie Interaktionsstrukturen und/oder fachspezifische Charakteristika wie Laborpraktika, Übungen oder Tutorien ins Gespräch. Mit diesem Vorgehen, d. h. einer Konkretisierung von Gesprächsthemen (je nach Zeitrahmen, ggf. sogar einer kurzen Einführung in Fachkultur und ihre Dimensionen), kommen häufiger fachkulturelle Irritationsmomente auf, bei deren Reflexion die Culture Fellows unterstützen können. Auch in solchen Situationen werden zum einen viele inhaltliche Aspekte genannt und zum anderen werden solche Workshops von den Studierenden teils als ‚Tratschrunde‘ genutzt, wie es ein Culture Fellow ausgedrückt hat. Die Culture Fellows stehen hier vor der Aufgabe, Irritationsmomente zu filtern und zu fokussieren, während sie versuchen solches „Tratschen“ reflektiert einzuordnen und mit den Studierenden zu diskutieren, was genau die Schwierigkeit hier sein könnte. Uns ist bewusst, dass die Culture Fellows in diesen Situationen oder auch in Gesprächen mit Lehrenden, einiges leisten, denn sie sind selbst noch Studierende, wenn auch in fortgeschrittenen Semestern. Die Bausteine zum Rollenverständnis spielen hier eine besonders große Rolle. Mehrfach haben Culture Fellows in Reflexionspapieren geschrieben, wie wichtig es war, sich das eigene Rollenverständnis immer wieder vor Augen zu führen und zu reflektieren sowie sich in der Gruppe darüber auszutauschen. Beispielhaft haben wir zwei Sichtweisen zur Relevanz des Austauschs in der Gruppe und zum Rollenverständnis aufgenommen, die von den Culture Fellows in ihren Reflexionspapieren beschrieben wurden:

„Die regelmäßigen Austauschmöglichkeiten mit meinen Betreuerinnen haben es mir ermöglicht, mich über meine zukünftige Rolle auszutauschen, meine Wünsche und Vorstellungen zu äußern und mich noch intensiver mit meiner künftigen Aufgabe auseinanderzusetzen. Auf diese Weise konnte ich meine Rolle fortlaufend reflektieren und meinen Einsatz gemäß meinen eigenen Vorstellungen gestalten.“ (Culture Fellow in den Wirtschaftswissenschaften, Wintersemester 2023/24)

„Durch das wiederholte Besprechen unseres wahrgenommenen Rollenbilds ist mir aufgefallen, dass sich mein Verständnis als Culture Fellow vom (noch vor) Beginn des Einsatzes bis zu diesem Zeitpunkt doch sehr verändert hat. Während ich zu Beginn noch den Fokus auf das Helfen von Studierenden gesetzt hatte und mich selbst eher auf der Seite der Studierenden gesehen habe, ist vor allem durch den aktuellen Einsatz dieser Fokus verrutscht. Ich würde mich nun selber eher auf der Seite der Dozierenden verstehen, von denen ich eingesetzt werde und versuchen soll, Studierenden mehr über die Uni- und Fachkultur näher zu bringen bzw. sie selbst darüber nachdenken zu lassen. Außerdem sehe ich mich als zusätzlicher Vermittler zwischen Studierenden und Dozierenden, aber eher so, dass ich den Studierenden mitteile, welche Probleme mir bei den Studierenden auffallen.“ (Culture Fellow in der Psychologie, Wintersemester 2023/24)

Im Zusammenhang mit dem Rollenverständnis der Culture Fellows wurden in gemeinsamen Interaktionsterminen, in denen Lehrende, wissenschaftliche Mitarbeitende und Culture Fellows zusammenkommen, auch häufig Erwartungshaltungen/-formulierungen angesprochen, die Lehrende an die Culture Fellows bzw. die die Culture Fellows an die Lehrenden sowie auch sich selbst stellen. Mangelnde Transparenz von Erwartungen hat sich als hemmend für einen konstruktiven und produktiven Einsatz von Culture Fellows herausgestellt, denn wenn den Beteiligten nicht bewusst ist, dass etwas erwartet wird, können sie darauf nicht entsprechend reagieren. Diesen Irritationsmoment haben wir in ebendiesen Interaktionsterminen entdeckt und dahingehend zusätzliche Fragen in den Einsatzgesprächen aufgenommen, um Erwartungen direkt zu Beginn der Zusammenarbeit zu kommunizieren.

Während der schon erwähnten Interaktionstermine hat der multidisziplinäre Austausch zwischen den teilnehmenden Fächern, u. a. durch die explizit hervorgerufenen Differenzerfahrungen, zu einer verstärkten Reflexion von Irritationsmomenten in der Lehre und damit Einsatzmöglichkeiten von Culture Fellows geführt. Zudem hat dieser Austausch, nach individuellen Aussagen, zur Reflexion der eigenen Arbeitsweisen, Erwartungen an und Ideen für den Einsatz der Culture Fellows beigetragen. Als Konsequenz, nicht nur der Zusammenarbeit mit Culture Fellows, sondern auch dieser Interaktionstermine, konnten einige fachspezifische Einsatzformate für andere Fächer angepasst werden. Die Lehrenden haben mithilfe des Culture Fellow Programms ihre eigenen Praktiken reflektiert und bisherige Lehrkonzepte überprüft. Es geht dabei nicht zwingend um eine Veränderung der Lehre oder allgemeiner Vorgehensweisen, sondern um ein Bewusstsein dafür, dass die Studierenden eine andere Wahrnehmung und ein anderes Verständnis haben und damit möglicherweise nicht den Erwartungen entsprechend handeln können.

Die Culture Fellows, genau wie die schon erwähnten Lehrenden, haben zurückgemeldet, dass der multidisziplinäre Austausch sowie die Kommunikation allgemein, auch innerhalb eines Fachs, wichtig sind, weil sie so ‚aus der Bubble rausgucken‘ und dies reflektieren können. Hierzu zählt insbesondere die kollegiale Besuchswerkstatt, die wir entwickelt haben, um den Culture Fellows eine Struktur und ein offizielles Umfeld zu geben, über die sie die ihnen fremden Fächer besuchen, beobachten und erfragen können, oder wie eine Culture Fellow es ausgedrückt hat: ‚in eine andere Welt eintauchen‘ können. Die Lehrenden werden hier dann wieder mit einbezogen und natürlich darüber informiert, sodass mit der Besuchswerkstatt eine weitere Interaktions- und Austauschmöglichkeit geschaffen wird, die von allen Parteien als ein spannender und wertvoller Austauschmoment bewertet wurde. Zur Vorbereitung erhalten die Culture Fellows ein strukturiertes Dokument, in dem alle Planungs- und Organisationsschritte vermerkt sowie Leitfragen zur Vorbereitung, Beobachtung und anschließenden Reflexion und Diskussion eingebaut sind.

Wie schon erwähnt, besteht die Schwierigkeit, Studierende zu erreichen, um an Angeboten der Culture Fellows teilnehmen zu können. Diese Problematik wurde in unterschiedlichen Fächern dadurch gelöst, dass die Culture Fellows innerhalb der Veranstaltungen Kontakt aufnehmen, in den Austausch gehen und Mini-Workshops durchführen. Das Feedback der Studierenden zur Zusammenarbeit mit den Culture Fellows hat gezeigt, dass insbesondere die allgemeine Unterstützung zu Beginn des Studiums hilfreich war, um sich ‚zurechtzufinden‘. Weiteres positives Feedback bezog sich auch auf die Kommunikation der Culture Fellows, so z. B.: „Die Culture Fellows kommunizieren auf Augenhöhe über Wunschthemen, verstehen schnell Problemsituationen und gehen auf diese ein“ (Studierendensurvey, Wintersemester 2022/23). Trotz dieser positiven Rückmeldungen einiger Studierender wurden von den Culture Fellows auch Schwierigkeiten in Bezug auf Teilnahmezahlen oder Beteiligung wahrgenommen, z. B.: "Der Austausch erfolgte nur in den Präsenzsitzungen. Ich hatte den Studis meine Mail gegeben als Ansprechpartnerin, jedoch hat sich darauf keiner gemeldet.“ (Culture Fellow in den Wirtschaftswissenschaften, Sommersemester 2023). Studierende haben aus unterschiedlichen Gründen wenig Zeit und/oder Motivation extracurriculare Angebote, d. h. Workshops außerhalb der Veranstaltungszeit, wahrzunehmen (eine Culture Fellow hat in ihrem Reflexionspapier z. B. notiert: „[E]s gibt in diesem Semester keine Prüfungsleistung, weshalb die Motivation sowieso geringer ist und der Austausch mit einem Culture Fellow nicht von so großer Bedeutung“ (Culture Fellow in den Wirtschaftswissenschaften, Sommersemester 2023).

Auch scheint eine Vorstellung des abstrakten Themas, Fachkultur – Wie gehe ich vor? – den Studierenden schwerzufallen. Um hier gezielt zu unterstützen haben sich zwei Vorgehensweisen als produktiv erwiesen. 1) Eine Kombination von Veranstaltung und Culture Fellow Einsatz, denn so können die Studierenden innerhalb der Veranstaltung niedrigschwellig für Fachpraktiken sensibilisiert werden, ohne viel investieren zu müssen. Natürlich lässt sich ein solches Vorgehen nicht überall umsetzen, da die Inhalte, in den meisten Veranstaltungen, z. T. eng getaktet sind und somit wenig Zeit ‚vergeben‘ werden kann. 2) Ein erhöhter Kontakt zwischen Culture Fellows (die aktiv auf die Studierenden zugehen) und Studierenden, insbesondere wenn die Culture Fellows z. B. in der Orientierungswoche schon eingebunden wurden und von Anfang an in engem Kontakt zu den Studierenden stehen. Dies hat in einigen Fällen dazu geführt, dass Studierende sich bei Schwierigkeiten und Irritationen an Culture Fellows gewandt haben und so einige fachkulturelle Irritationsmomente entdeckt und reflektiert werden konnten.

Innerhalb der verschiedenen Einsatzmöglichkeiten in den unterschiedlichen Fächern hat sich gezeigt, dass der Einsatz von Culture Fellows stark von den schon vorhandenen Strukturen im Fach sowie auch von dem Engagement und der Offenheit der Lehrenden und Studierenden abhängig ist. Wenn es, z. B. schon gut integrierte Unterstützungsstrukturen gibt, etwa eine Lehrperson, die als die grundlegende Unterstützungsinstanz angesehen wird und zu der alle Studierenden bei Fragen und Irritationen den Kontakt suchen, dann werden Culture Fellows nicht ausreichend als kompetente Ansprechpersonen wahrgenommen, weil es schon eine, aus Studierendensicht, kompetentere und immer ansprechbare Person gibt. Zudem waren die Arbeit in Kleingruppen und das aktive Auftreten der Culture Fellows zwei der grundlegenden Charakteristika, die zu einem erfolgreichen Einsatz geführt haben (i. S. v. konstruktivem Kontakt zwischen Lehrenden, Culture Fellows und Studierenden und kommunizierten/entdeckten Irritationsmomenten).

Weiterhin haben unsere Erfahrungen gezeigt, dass Studierende Termine, die außerhalb ihrer Veranstaltungszeiten liegen nur selten wahrnehmen, wenn sie nicht verpflichtend sind. Die Schwierigkeit bei Fachpraktiken – d. h. bei allgemeinen Vorgehens- und Arbeitsweisen im Fach – ist, dass sie zwar wahrnehmbar sind (dies haben Gespräche mit den Culture Fellows und ihr Feedback in Interaktionsterminen und Logbucheinträgen gezeigt), aber dass das Bewusstsein und die Sensibilisierung fehlen, diese Irritationen als fachspezifisch einzuordnen. Auch deswegen haben Studierende häufig nicht das Gefühl, dass sie wirklich Schwierigkeiten haben, bei denen sie vielleicht Unterstützung gebrauchen könnten, denn inhaltliche Probleme und Schwierigkeiten lassen sich eher benennen oder überhaupt erkennen als Irritationen, die sich aus Schwierigkeiten mit Praktiken bzw. Arbeits- und Vorgehensweisen ergeben. Culture Fellows sind in solchen Situationen als grundsätzliche Kommunikations- und Entdeckungsunterstützung für Lehrende und Studierende eine große Hilfe. Sie zeigen aus ihrer Perspektive nicht nur mögliche Irritationsmomente auf, sondern können auch ein Bewusstsein für diese schaffen und damit u. a. bei studentischen Enkulturationsprozessen unterstützen. Hier ist ihre Position auf Augenhöhe mit Studierenden sinnvoll, gleichzeitig sind sie aber auch durch ihre Erfahrung im Fach sowie auch durch die Ausbildung eher in der Lage, Irritation ggf. so zu abstrahieren, dass auch Lehrende von der Kommunikation mit Culture Fellows profitieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Konzept der Culture Fellows als Entdeckungs- und Kommunikationsunterstützer*innen im Fachstudium großes Potenzial hat, sofern alle Beteiligten sich ihrer Rolle bewusst und zu regelmäßigem und konstruktivem Austausch bereit sind.

Literatur

Ammann, C./Brandt, E./Schmöckel, S. (2023): Sieh mal, wer da unterstützt: Studentische Culture Fellows blicken auf implizite Fachpraktiken in einem fächerübergreifenden Lehrprojekt. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, 38/1, H. 74, 114-146.

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Karsten, A./Frahnert, V./Schäfer, S. (2018): Am Schreiben teilhaben. Das Textograph*innen-Programm an der Universität Paderborn. In: Stroot, T./Westphal P. (Hrsg.). Peer Learning an Hochschulen. Elemente einer diversitysensiblen, inklusiven Bildung. Bad Heilbrunn, 242-261.

Kremer, H.-H./Sloane, H. (2020): Peer Mentoring an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften – Konzept und Realisierungsformen. In: Fuge, J./Kremer, H.-H. (Hrsg.). Mentoring in Hochschuldidaktik und -praxis. Eine Reflexion wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen. Detmold, 7–24.

Langemeyer, I. (2017): Das forschungsbezogene Studium als Enkulturation in Wissenschaft. In: Mieg, H. A./Lehmann, J. (Hrsg.). Forschendes Lernen. Wie die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann. Frankfurt a. M. u. a., 91-101.

Mauer, E. (2020): Orientierungs- und Reflexionsprozesse in der Studieneingangsphase unterstützen – Erste. In: Fuge, J./Kremer, H.-H. (Hrsg.). Mentoring in Hochschuldidaktik und -praxis. Eine Reflexion wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Erfahrungen. Detmold, 59-80.

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Schulz von Thun, F. (2016): Miteinander reden. Band 1: Störungen und Klärungen - Allgemeine Psychologie der Kommunikation. Hamburg.

Vygotskij, L. S./Cole, M. (Hrsg.) (1981): Mind in society. The development of higher psychological processes. Cambridge, Mass.

 

[1]    Diese und weitere Bezüge/Gedanken zu den theoretischen Grundlagen sind bereits in der Kölner Zeitschrift erschienen. Siehe hierzu: Ammann, C./Brandt, E./Schmöckel, S. (2023): Sieh mal, wer da unterstützt: Studentische Culture Fellows blicken auf implizite Fachpraktiken in einem fächerübergreifenden Lehrprojekt. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, 38/1(74), 114-146.

[2]    Für eine genauere Ausführung der Ausbildungsbausteine siehe auch Ammann, C./Brandt, E./Schmöckel, S. (2023): Sieh mal, wer da unterstützt: Studentische Culture Fellows blicken auf implizite Fachpraktiken in einem fächerübergreifenden Lehrprojekt. In: Kölner Zeitschrift für Wirtschaft und Pädagogik, 38/1(74), 114-146.

Zitieren des Beitrags

Brandt, E. & Schmöckel, S. (2024). Wieso, weshalb, warum – Fachkulturen und -praktiken mit der Unterstützung von studentischen Culture Fellows entdecken. In H.-H. Kremer & N. Naeve-Stoß (Hrsg.), bwp@ Spezial 21: Trilaterales Doktorandenseminar der Wirtschaftspädagogik Köln, Paderborn und des BIBB – Einblicke in Forschungsarbeiten (S. 1–21). https://www.bwpat.de/spezial21/brandt_schmoeckel_spezial21.pdf