TADE TRAMM
(Universität Hamburg)
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Prozess, System und Systematik als Schlüsselkategorien
lernfeldorientierter Curriculumentwicklung |
1.
Problemstellung |
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Mit der Einführung und Durchsetzung lernfeldstrukturierter
Lehrpläne für den schulischen Teil der dualen Ausbildung
seit 1996 ist ein curricularer Impuls gesetzt worden, der weit
über die unmittelbaren Konsequenzen für die Lehrgangs-
und Unterrichtsgestaltung hinaus auch die organisatorischen
Rahmenbedingungen von Schule und vor allem das Tätigkeits-
und Qualifikationsprofil von Lehrkräften verändern
dürfte (vgl. z. B. KREMER/SLOANE 2001; BADER/SLOANE 2002).
Mehr als je zuvor werden Lehrerinnen und Lehrer an beruflichen
Schulen angesichts des Spannungsfeldes von intentionaler Ambitioniertheit,
strukturellem Traditionsbruch und thematischer Offenheit der
Lehrplanvorgaben als Curriculumentwickler gefordert sein.
Richtet sich das Interesse der Lehrerschaft angesichts dieser
Herausforderung verständlicher Weise primär auf den
Prozess der Umsetzung von Lernfeldern in Sequenzen von Lernsituationen,
so scheint die eigentliche Herausforderung des Lernfeldansatzes
eher in den vorgelagerten Phasen der Interpretation und inhaltlichen
Konkretisierung der Lehrplanvorgaben zu liegen. Hierbei geht
es ganz wesentlich darum, Intentionen und Gestaltungsprinzipien
der jeweiligen Lehrplankommissionen nachzuvollziehen und dies
wiederum setzt eine kritische Auseinandersetzung mit jenen normativen
Prinzipien und theoretischen Bezugspunkten voraus, die den Handreichungen
der KMK für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen explizit
oder implizit zugrunde gelegt wurden.
Die Reflexion über bildungspolitische und didaktische Motive
der Lernfeldinnovation, über curriculare Relevanzkriterien
und didaktische Gestaltungsprinzipien dieses Ansatzes ist damit
eine grundlegende Voraussetzung für die konstruktive Arbeit
mit diesen neuen Lehrplänen. Curriculare Reflexionen sind
nicht länger nur Aufgabe einer kleinen Gruppe einschlägig
interessierter Wissenschaftler und engagierter Lehrplanmacher,
sondern mehr als je zuvor eine wesentliche Dimension berufs-
und wirtschaftspädagogischer Professionalität.
Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden versucht werden zunächst
den berufsbildungspolitischen Kontext der Lernfelddiskussion
zu skizzieren um auf dieser Grundlage zu diskutieren, in welcher
Weise der Berufs- und Wissenschaftsbezug beruflicher Curricula
im Lernfeldkonzept und in der konkreten Umsetzungsarbeit nicht
gegeneinander ausgespielt, sondern produktiv zueinander in Beziehung
gesetzt werden können. |
2. Lernfeldkonzept - Hintergründe und Kontexte
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Das Lernfeldkonzept wird allgemein als eine administrativ
verordnete Curriculumreform begriffen. Die beteiligten Beamten
"outen" sich in der Regel freudig als Mitbegründer
dieser Initiative und lassen meist keinen Zweifel daran, dass
sie von pragmatisch-bildungspolitischen Motiven und nicht
etwa von theoriegestützten Erwägungen geleitet worden
sind (z. B. SCHOPF 2001, HÜSTER 1998). In dieser Weise
erscheint das Lernfeldkonzept vielen als eine mehr oder weniger
spontane "Kopfgeburt" der KMK.
Richtig hieran in zweifellos, dass es keine vorgängige
Lernfeldtheorie gegeben hat und dass auch das Inaugurationspapier,
die "Handreichungen für die Erarbeitung von Rahmenlehrplänen
der Kultusministerkonferenz (KMK) für den berufsbezogenen
Unterricht in der Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen
des Bundes für anerkannte Ausbildungsberufe" von
1996, kein theoretisches Konzept- oder Diskussionspapier war,
sondern genau das, was es zu sein auch beansprucht: Eine praktische
Handreichung für Curriculumkonstrukteure. Vor diesem
Hintergrund geht dann auch manche an Kriterien des wissenschaftlichen
Diskurses orientierte Kritik am Lernfeldkonzept ins Leere,
die dessen mangelnde konzeptuelle Stringenz, begriffliche
Klarheit oder theoretische Orientierung bemängelt (z.
B. HUISINGA 1999; REINISCH 1999). Dennoch sind andererseits
natürlich genau diese Unklarheiten und Mängel Ursache
dafür, dass in der praktischen Umsetzungsarbeit wie auch
in der wissenschaftlichen Rezeption erhebliche Interpretations-
und Orientierungsprobleme entstehen. Die Handreichung kann
in ihrer jetzigen Form kaum mehr als eine Weichenstellung
für zukünftige curriculare Entwicklungsarbeiten
sein, und der Erfolg wird sich darüber entscheiden, ob
es gelingt, die Erfahrungen aus diesen Entwicklungsarbeiten
für die konzeptionelle Weiterentwicklung und Präzisierung
des Lernfeldansatzes systematisch zu nutzen.
Wenn wir festgestellt haben, dass es keine vorgängige
Lernfeldtheorie gegeben hat, so muss im gleichen Atemzug betont
werden, dass diese Initiative der KMK natürlich nicht
im luftleeren Raum entstanden ist, sondern theoretische und
normative Entwicklungen aufgreift und wiederspiegelt, die
die berufs- und wirtschaftspädagogische Forschung und
Diskussion seit Anfang der 1980er Jahre geprägt haben.
Ohne Zweifel steht der Lernfeldansatz in der Traditionslinie
der jüngeren berufs- und wirtschaftspädagogischen
Reformbewegung, die hier durch die Stichworte "Handlungsorientierung",
"Schlüsselqualifikationen" bzw. "Kompetenzorientierung",
"situiertes Lernen" bzw. "komplexe Lehr-Lern-Arrangements"
nur umrisshaft angedeutet werden soll. In diesem Sinne ist
das Lernfeldkonzept der KMK als curriculare Grundlage eines
handlungs- und problemorientierten beruflichen Lernens in
komplexen Lehr-Lern-Arrangements zu verstehen. Es definiert
ein solches Lernen in normativer Diktion als Regelfall berufsschulischen
Unterrichts und fordert von den Lehrplanautoren entsprechend
konzipierte Curricula und von den Lehrern einen entsprechend
ausgerichteten Unterricht. Damit werden Legitimationspflichten
in der Praxis umgekehrt, und innovative Kollegien, auch innovative
Lehrpläne, können zum Modell und Maßstab künftiger
Entwicklung werden.
Ich will jetzt auf diesen Aspekt, der im wesentlichen die
Umsetzung von Lernfeldern in Lernsituationen betrifft, zunächst
nicht weiter eingehen, sondern versuchen, den berufsbildungspolitischen
und curriculumstrategischen Kontext der Lernfeldkonzeption
näher auszuleuchten.
In berufsbildungspolitischer Hinsicht wird von allen Vertretern
des Lernfeldkonzepts die Absicht hervorgehoben, mit diesem
Konzept den Stellenwert der Berufsschule im dualen System
zu stärken und dabei zugleich den Bildungsauftrag der
Berufsschule, wie er zuletzt in der KMK-Rahmenvereinbarung
von 1991 formuliert worden ist, offensiv umzusetzen (z. B.
HÜSTER 1999).
Formal findet dies seinen Ausdruck darin, dass Ausführungen
zum Bildungsauftrag der Berufsschule und zu didaktischen Grundsätzen
eines handlungsorientierten Berufsschulunterrichts gleichlautend
in alle neuen Rahmenlehrpläne aufgenommen werden.
Substanziell werden damit zwei Akzente gesetzt. Einerseits
wird eine deutliche Abkehr vom kenntnis- bzw. stofforientierten
Berufsschulunterricht propagiert, wie er bis heute, gerade
auch unter dem Einfluss des externen Prüfungswesens,
als dominierendes Unterrichtsmuster angesehen werden kann.
Dagegen stellt die KMK das Leitbild eines auf die Entwicklung
von Handlungskompetenz gerichteten Unterrichts und differenziert
den Kompetenzbegriff unter Rückgriff auf die pädagogische
Anthropologie Heinrich ROTHs (1971) in die Dimensionen der
Fachkompetenz, Personalkompetenz und Sozialkompetenz.
Mit dieser Perspektive wird der Aufbau von Wissensstrukturen
natürlich nicht negiert, er wird allerdings funktional
an die zu erwerbenden Kompetenzen gebunden: Wissenserwerb
ist kein Selbstzweck, sondern steht im Dienste des Kompetenzaufbaus.
Entscheidendes Auswahl- und Strukturierungskriterium bei der
Lehrstoffdefinition ist die Frage nach der Bedeutsamkeit von
Inhalten im Zusammenhang pragmatischer Orientierungs- und
Handlungsleistungen.
Der zweite berufsbildungspolitische Akzent bezieht sich auf
die Definition der Rolle der Berufsschule im Lernortverbund
mit dem Betrieb und reflektiert die Tatsache, dass sich der
Lernort Berufsschule insbesondere im Hinblick auf seinen allgemeinen
Bildungsauftrag und die nicht berufsbezogenen Fächer
in den 90er Jahren starker Kritik seitens der Wirtschaftsverbände
und Kammern ausgesetzt sah. Im Hinblick auf eine verbesserte
Verknüpfung situierten Lernens im Betrieb und systematischen
Lernens in der Berufsschule setzte sich zugleich die Einsicht
durch, dass Lernortkooperation nicht nur in institutionell-organisatorischer,
sondern auch, wenn nicht vor allem in didaktisch-curricularer
Hinsicht verbessert werden muss (vgl. TRAMM 1998).
Der entscheidende Schritt in diese Richtung bestand zweifellos
darin, den berufsschulischen Unterricht nicht länger
an einer vorwiegend wissenschaftsdisziplinär begründeten
Fächerung und Inhaltsstrukturierung auszurichten, sondern
ihn auf die berufliche Handlungslogik zu beziehen. Lernfelder
sind in diesem Sinne als curriculare Einheiten konzipiert,
die an "beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen"
orientiert sind (KMK 1996, 14). Der Bezug auf die beruflichen
Tätigkeitsfelder wird damit zum zentralen Auswahl- und
Strukturierungskriterium; es wird allerdings zugleich die
Notwendigkeit betont, diese im Zuge der Lernfelddefinition
aus einer originär didaktischen Perspektive zu reflektieren
und damit dem Bildungsauftrag der Berufsschule gerecht zu
werden (ebenda).
Von zentraler Bedeutung für die Umsetzung dieses Berufsbezugs
ist schließlich der Gedanke der "Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung".
Ohne dass diese Konstrukte in den Handreichungen näher
definiert würden, ist doch unmittelbar erkennbar, dass
hiermit die Übertragung handlungsstrukturtheoretischer
Modellierungsvorstellungen (z. B. VOLPERT 1992; 1994) auf
das berufliche Tätigkeitsfeld intendiert ist. Welche
weitergehenden Implikationen sich mit diesem Begriffspaar
verbinden und in wie weit Arbeitsprozessorientierung und Geschäftsprozessorientierung
tatsächlich als weitgehend synonym betrachtet werden
dürfen, wird im weiteren Fortgang der Argumentation zu
prüfen sein.
An dieser Stelle soll im Hinblick auf die spezifische Funktion
der Berufsschule nur noch kurz auf das Problem hingewiesen
werden, dass die starke Hinwendung zur beruflichen und damit
auch betrieblichen Handlungslogik zwar einerseits die Kluft
zwischen diesen beiden Lernorten reduziert, aber andererseits
naturgemäß auch die Gefahr mit sich bringt, dass
die Berufsschule sich selbst als abgeleiteten, derivativen
Lernort definiert, dessen eigenständiger Beitrag kaum
noch über das in einer qualifizierten betrieblichen Ausbildung
Geleistete hinausreicht. Unter diesem Aspekt verdient der
folgende Hinweis auf die normative Dimension und den Wissenschaftsbezug
lernfeldorientierten Unterrichts in den Handreichungen besondere
Beachtung:
"Die Vermittlung von Orientierungswissen, systemorientiertes
Denken und Handeln, das Lösen komplexer und exemplarischer
Aufgabenstellungen sowie vernetztes Denken werden mit einem
handlungsorientierten Unterricht in besonderem Maße
gefördert. Deshalb ist es unverzichtbar, die jeweiligen
Arbeits- und Geschäftsprozesse in den Erklärungszusammenhang
zugehöriger Fachwissenschaften zu stellen" (KMK
1996, 14).
Hier scheint das curriculumtheoretisch grundlegende Spannungsfeld
von Situations- und Wissenschaftsorientierung auf, das im
Folgenden noch intensiver zu thematisieren sein wird. Zugleich
wird deutlich, dass der Berufsschulunterricht zwar am Arbeitsprozess
ansetzen, sich aber keinesfalls in dessen begrifflichen Paraphrasierung
erschöpfen soll.
Durchaus überlappend mit dem berufsbildungspolitischen
Motivkomplex ist schließlich auf einen curriculumstrategischen
Kontext der Lernfeldkonzeption hinzuweisen. Vor dem Hintergrund
der Kritik an der Schwerfälligkeit der Neuordnungsverfahren
im Bereich der dualen Ordnungsmittel und angesichts der hohen
Kosten für die Erarbeitung neuer Rahmenlehrpläne
und deren Konkretisierung durch jeweils eigene Gremien auf
Landesebene liegt ein erklärtes Ziel der Handreichungen
darin, lernfeldstrukturierte Curricula auf einer relativ hohen
Abstraktionsebene zu formulieren, so dass die allfällige
Aktualisierung dieser Lehrpläne im Zuge ihrer Interpretation
und Umsetzung vor Ort erfolgen kann (vgl. HÜSTER 1999).
Damit werden zugleich wesentliche Aufgaben der curricularen
Entwicklungsarbeit an die einzelnen Schulen verlagert, zumal
auch vorgesehen ist, dass diese Rahmenlehrpläne direkt
und ohne nochmalige Einsetzung landesspezifischer Lehrplankommissionen
als Lehrpläne der einzelnen Bundesländer eingesetzt
werden. Den Schulen wird hiermit die Chance zur curricularen
Profilierung und Differenzierung geboten, und auch die Möglichkeiten
einer curricularen Abstimmung zwischen den Ausbildungspartnern
vor Ort werden grundsätzlich deutlich verbessert.
Systematisch betrachtet verbindet sich mit diesem Ansatz eine
ausgesprochen interessante Variante zur Lösung des grundlegenden
curriculumstrategischen Dilemmas von Rationalität und
Partizipation. Fragt man nämlich danach, wie curriculare
Vorgaben jenseits rein legalistischer Argumente legitimiert
werden können, so haben sich in der curriculumtheoretischen
Literatur im wesentlichen zwei Modi herauskristallisiert,
die zueinander in einem charakteristischen Spannungsverhältnis
stehen (vgl. dazu RÜLCKER 1976; TRAMM 1997).
Einerseits lässt sich der Geltungsanspruch eines neuen
Curriculums dadurch begründen, dass man auf die ihm innewohnende
Rationalität verweist. Eine solche Argumentation könnte
sich mit ROBINSOHN (1967) darauf beziehen, dass die angestrebten
Qualifikationen im Hinblick auf relevante Lebenssituationen
begründet sind und dass die konkreten curricularen Entscheidungen
über Ziele, Inhalte und Handlungsformen des Unterrichts
wiederum nach rationalen und nachprüfbaren Kriterien
begründet sind. Ein Höchstmaß an Rationalität
wäre in jedem Fall nur durch die Einbeziehung wissenschaftlicher
Expertise zu erreichen, und es wäre sicherzustellen,
dass derartige, von Experten erarbeitete Konzepte an den Schulen
ohne Verzerrungen durch die Lehrenden umgesetzt würden.
Die Idee des "teacher-proof curriculum", des lehrersicheren
Curriculums hat in dieser Denktradition ihren Ursprung.
Natürlich hat sich eine solche Fremdsteuerung des Unterrichts
angesichts der grundsätzlichen Einmaligkeit des didaktischen
Geschehenes niemals umsetzen lassen, dennoch bleibt die regulative
Leitidee der extern gesicherten Rationalität curricularer
Entscheidungen in der konkreten Lehrplanarbeit auch deshalb
wirksam, weil sich hiermit die Überzeugung von der grundsätzlichen
rationalen Begründbarkeit curricularer Entscheidungen
und die Hoffnung auf stringente und plausible curriculare
Entwürfe verbindet. Im Lernfeldkonzept finden sich etliche
Festlegungen, die das rationale Fundament dieser Konzeption
bestimmen und die damit zugleich den curricularen Entscheidungsraum
bzw. die curricularen Entscheidungskriterien definieren.
Auch aus der Kritik an diesem sozialtechnologisch und wissenschaftsoptimistisch
geprägten Konzept heraus ist der alternative Modus curricularer
Legitimation entwickelt worden, das partizipative Konzept
der "Legitimation durch Beteiligung der Betroffenen"
(z. B. FÜGLISTER 1978). Diese Konzeption stellt die konkrete,
prinzipiell nicht vorherbestimmbare unterrichtliche Interaktion
von Lehrern und Schülern in den Mittelpunkt und propagiert
möglichst große curriculare Gestaltungsfreiräume,
die erst durch einen diskursiven Verständigungsprozess
der Betroffenen im unmittelbaren Prozesszusammenhang weiter
auszufüllen sind. Bei aller Vielfalt einschlägiger
Modelle verbindet sie doch alle die Forderung, dass curriculare
Entscheidungen dezentral durch die unmittelbar Beteiligten
zu treffen sind und nicht durch externe Experten vorherbestimmt
sein sollen.
Im Rückblick auf 30 Jahre Curriculumdiskussion ist letztlich
festzuhalten, dass im Grunde beiden Postulaten gefolgt werden
muss, dass beide jedoch erst im Spannungsverhältnis zum
jeweils anderen ihr Potenzial voll entfalten können.
Die Einseitigkeiten und Irrwege "offener Curricula"
bzw. "lehrersicherer Curricula" liegen heute offen
zutage (z. B. REETZ 1984).
Lernfeldorientierte Rahmenlehrpläne sind ganz in diesem
Sinne einerseits dadurch geprägt, dass sie gegenüber
ihren Vorläufern im Hinblick auf die konkreten unterrichtlichen
Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf die Inhaltsangaben
deutlich offener gehalten sind und sehr weitreichende Interpretations-
und Konkretisierungsleistungen der Kollegien vor Ort einfordern.
Andererseits hat es in der Vergangenheit kaum je Lehrpläne
gegeben, in denen derart explizit versucht wurde, die curricularen
Leitvorstellungen und Gestaltungsprinzipien offen zu legen
und zumindest ansatzweise auch argumentativ zu vermitteln.
Beides fügt sich dann zu einer nachvollziehbaren curricularen
Disseminationsstrategie, wenn akzeptiert und umgesetzt werden
kann, dass curriculare Rationalität, also das Begründungsniveau
curricularer Entscheidungen, sich letztlich auf der Ebene
des einzelnen Kollegiums und in der konkreten unterrichtlichen
Situation entfalten und bewähren muss. Von entscheidender
Bedeutung hierfür ist dann jedoch einerseits das Niveau
der wissenschaftlichen Qualifikation der Lehrkräfte und
die Art und Weise, in der die Curriculumentwicklungsarbeit
an den Schulen als kollegialer und damit auch organisationaler
Lernprozess angelegt wird (vgl. dazu CULIK 2002). Andererseits,
und darauf wird im weiteren Verlauf dieses Beitrages einzugehen
sein, setzt die kongeniale Umsetzung curricularer Vorgaben
natürlich auch voraus, dass diese im Hinblick auf ihre
theoretischen Bezüge, vor allem aber auch in ihren konkreten
curricularen Vorgaben, (Gesamtstruktur der Lernfelder und
deren jeweilige intentionale und inhaltliche Spezifizierung)
hinreichend präzise, transparent und konsistent sind.
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3.
Situations- und Wissenschaftsorientierung als curriculare Bezugspunkte |
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Die tiefgreifendste Veränderung, die sich mit dem Lernfeldansatz
verbindet, betrifft die Abkehr von der fachwissenschaftlichen
Systematik als Ausgangs- und Referenzpunkt inhaltlicher Curriculumentscheidungen.
Stattdessen sollen Lernfelder als intentional-thematische
Einheiten konzipiert werden, deren Konstruktion sich an konkreten
beruflichen Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen
orientiert und die fächerübergreifend oder fächerintegrativ
unterrichtet werden sollen. Es verbindet sich hiermit also
einerseits eine Abkehr von der klassischen fachdidaktischen
Perspektive, wonach ausgewählte bezugswissenschaftliche
Aussagen oder Aussagensysteme den Ausgangspunkt für einen
Prozess der didaktischen Reduktion bilden, an dessen Ende
der schülerangemessen vereinfachte Unterrichtsstoff steht.
Andererseits zielt die Lernfeldorientierung darauf, die vielfach
kritisierte Fragmentierung des Gegenstandszuganges durch die
Aufteilung auf relativ willkürlich gesetzte Fächer
und weithin unverbundene Themenfolgen zu überwinden
Zugleich setzt an dieser Stelle die heftigste Kritik am Lernfeldansatz
an (z. B. REINISCH 1999), die sich einerseits, pragmatisch
akzentuiert, auf die Vorzüge oder gar Notwendigkeit eines
gefächerten Unterrichts bezieht und dabei argumentiert
im Hinblick
- auf schulorganisatorische Aspekte,
- auf Qualifikation und Sozialisation der Lehrkräfte
oder schließlich
- auf die ordnungsstiftende und damit komplexitätsreduzierende
Funktion von Unterrichtsfächern generell.
Grundsätzlicherer noch scheinen mir Einwände, die
mit dem Verlust der Fächerung zugleich die Preisgabe
fachlich, d. h. systematisch strukturierten Wissens als Zielkategorie
des Unterrichts verbinden und dies wiederum als Abkehr vom
Leitprinzip der Wissenschaftsorientiertheit des Unterrichts
interpretieren.
Zur Einordnung dieser Kritik scheint mir ein kurzer Rückgriff
auf die von Lothar REETZ herausgearbeiteten Relevanzkriterien
im curricularen Argumentationszusammenhang erforderlich. REETZ
(1984) unterscheidet unter Bezugnahme auf ROBINSOHN (1967)
analytisch drei Argumentationslinien zur Begründung der
curricularen Relevanz potenzieller Lerninhalte:
· das Situationsprinzip, womit auf die Relevanz eines
Bildungsinhaltes für spezifische zukünftige Verwendungssituationen
abgehoben wird,
· das Wissenschaftsprinzip, wobei auf die Bedeutung
eines Gegenstandes im Gefüge der Wissenschaft verwiesen
wird und
· das Persönlichkeitsprinzip, wobei auf den spezifischen
Beitrag eines Gegenstandes im Bildungsprozess des Subjekts
verwiesen wird.
Je nach gewähltem Schwerpunkt stehen Situationsanalysen,
Prozesse der didaktischen Transformation wissenschaftlicher
Aussagensysteme oder bildungstheoretische Analysen im Zentrum
der konkreten Curriculumarbeit.
Wirft man vor diesem Hintergrund einen Blick in die Handreichungen,
so wird sehr schnell deutlich, dass diese sich tatsächlich
in diesem Spannungsfeld zu verorten suchen. So heißt
es dort (KMK 1996) etwa auf Seite 14:
"Lernfelder sind ... thematische Einheiten, die an beruflichen
Aufgabenstellungen und Handlungsabläufen orientiert sind...
In besonderen Fällen können innerhalb von Lernfeldern
thematische Einheiten unter fachwissenschaftlichen Gesichtspunkten
vorgesehen werden. In jedem Fall ist auch für solche
Einheiten der Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess deutlich
zu machen".
Und kurz darunter, noch deutlicher:
"Deshalb ist es unverzichtbar, die jeweiligen Arbeits-
und Geschäftsprozesse in den Erklärungszusammenhang
zugehöriger Fachwissenschaften zu stellen."
Hierfür sei es erforderlich, einen sachlogischen Aufbau
der berufsfachlichen Inhalte innerhalb der einzelnen Lernfelder
sowie über die Gesamtheit aller Lernfelder sicherzustellen.
Wie alle Curricula operieren auch lernfeldorientierte in einem
Spannungsfeld von Situations- und Wissenschaftsorientierung,
setzen darin allerdings deutlich andere Akzente, als die wissenschafts-
oder besser disziplinorientierten traditionellen Lehrpläne.
Dies lässt sich mit Abbildung 1 illustrieren. Diese veranschaulicht
in ihrer Grundstruktur, und um die geht es mir hier, zwei
Modi der Wissensorganisation und der Strukturierung von Lern-
und Erkenntnisprozessen (ausführlicher dazu TRAMM 1992,
184ff.; 1997, 274ff.; ACHTENHAGEN/TRAMM et al. 1992, 93ff.).
Der obere Teil (das Organigramm) steht für abstraktionshierarchisch
organisiertes Wissen, das auf Klassenbildung und der ebenenspezifischen
Zuordnung von Merkmalen basiert. Begriffliche Über- bzw.
Unterordnung ist das Strukturierungskriterium; die zentrale
Relation zwischen den Hierarchieebenen lautet "ist ein".
Ein Beispiel hierfür wäre die Abstraktionshierarchie
"Amsel - Singvogel - Vogel - Tier - Lebewesen".
Alle Merkmale, die dem Begriff "Lebewesen" zukommen,
gelten zugleich für alle Begriffe, die diesem hierarchisch
untergeordnet sind. Wenn ich weiß, dass alle Tiere einen
Stoffwechsel haben, dann kann ich mir zugleich die Information
"Fische haben einen Stoffwechsel" auf dem Wege schlussfolgernden
Denkens erzeugen, ohne dieses spezifische Wissen jemals explizit
gelernt zu haben. Es handelt sich hierbei also um eine für
den Menschen charakteristische, hocheffiziente Art der Verarbeitung
von Erfahrungen (durch Abstraktion), der ökonomischen
Speicherung von Wissen (auf möglichst hoher Abstraktionsebene)
und der Erzeugung von Wissen (durch schlussfolgerndes Denken
im Zuge von Deduktion oder Analogiebildung) (vgl. AEBLI 1981,
83ff.; DÖRNER 1987; KLIX 1988).
In dieser Hierarchie lässt sich unschwer die dominierende
Inhaltsstruktur schulischen und akademischen Lernens wiedererkennen.
Man denke hier nur einmal an die Begriffssystematik zum Zahlungsverkehr
oder zu den Rechtsformen der Unternehmung und die sich daraus
ergebende Struktur der entsprechenden Unterrichtsreihen: Schulisches
Lernen folgt traditionell weitgehend dem Ritual des Abarbeitens
von fachsystematisch geordneten Begriffshierarchien, in dessen
Verlauf Definitionen gelernt und anhand von wechselnden Beispielen
spezifisches Merkmalswissen erworben wird (vgl. z. B. REETZ
1984; SEEMANN/TRAMM 1988).
Ein praktisches Problem hingegen, vor das sich ein Handelnder
gestellt sieht, wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst,
die zunächst fachsystematisch vollkommen unterschiedlichen
Bereichen zugeordnet sein können: Für die Standortwahl
einer Unternehmung etwa spielen neben einer Vielzahl unterschiedlicher
betriebswirtschaftlicher Aspekte verkehrsgeographische Überlegungen
eine Rolle, das Arbeitskräftepotenzial, die lokale und
regionale Marktsituation, die soziale Einbindung der Familien
u. a. m. Der untere Teil der Abbildung soll ein solches Gefüge
von prozessual verknüpften Wirkungen, Nebenwirkungen
und Rückkoppelungen illustrieren, eine komplexe Situationsstruktur.
Während für die Abstraktionshierarchie der analytische
Blick, die begrifflich-logische Über-Unterordnung konstitutiv
sind, gelten in komplexen Situationszusammenhängen andere
Relevanzkriterien (vgl. z. B. die Beiträge in MANDL/SPADA
1988).
Abb. 1: Abstraktionshierarchie und Komplexionszusammenhang
im Vergleich (Quelle: GOMEZ/PROBST 1987)
Meine Tochter hat sich einige Kaulquappen in ein Aquarium
gesetzt. Um das Überleben und Wachstum dieser Tiere zu
sichern, benötigt sie spezifisches Sachwissen der obigen
Art, etwa über die Ernährung und den Stoffwechsel
dieser Tiere. Sie benötigt aber nicht allein zoologisches
Sachwissen, sondern auch Wissen über die Qualität
unseres Wassers, das erforderliche Volumen des Aquariums,
Metawissen darüber, dass es vermutlich Aspekte gibt,
auf die sie als Laie nicht kommen wird und die es ratsam machen,
einen Experten zu konsultieren. Sie benötigt soziales
Wissen darüber, wann die Toleranzschwelle der Eltern
überschritten ist (und was man ggf. dagegen tun kann),
sie braucht ethisches Wissen drüber, was sie den Tieren
mit diesem Experiment zumutet und ggf. auch juristisches Wissen
darüber, ob es überhaupt mit den Natur- und Tierschutzgesetzen
vereinbar ist, Laich aus dem Teich zu fischen und anzuzüchten.
All diese Wissensbereiche haben begriffslogisch gar nichts
miteinander zu tun (der Laich so wenig mit dem Aquarium wie
die Mutter mit dem Stoffwechsel der Kaulquappe), sondern sind
nur über das situative Setting miteinander verknüpft.
Zugleich wird klar, dass der praktische Erfolg genau davon
abhängen wird, ob dieses situative Setting intern angemessen
erfasst wird. Hierbei sind also komplexe Variablengefüge
zu berücksichtigen, Wechselwirkungen und Rückkoppelungen,
Intransparenz und Eigendynamik, normative Aspekte und Ambivalenzen.
Kurz: Hier liegt der Anwendungsfall für vernetztes, systemisches
Denken im Kontext praktischer Problemlösungen.
Ein Weiteres ist wesentlich: Lernen kann im Kontext der Abstraktionshierarchie
immer nur im Wege der logischen Analyse bzw. des schlussfolgernden
Denkens stattfinden. Es tritt nichts Neues zum Wissen hinzu,
sondern es kann nur implizit bereits Enthaltenes aufgedeckt
und bewusst gemacht werden. Die Aufnahme neuer Informationen
und die Überprüfung denkend erarbeiteter Problemlösungen
können nur in der praktischen Anwendungssituation erfolgen.
Menschen benötigen beide Arten des Wissens und sie verfügen
auch über beide Arten der Wissensorganisation. AEBLI,
DÖRNER und KLIX weisen darauf hin, dass unser Wissen
immer zweifach eingebunden ist, sowohl in abstraktionshierarchische
Begriffsstrukturen als auch in komplexionshierarchisch strukturiertes
Handlungs- und Sachwissen. Kennzeichnend für unser Bildungssystem
und unser formalisiertes Lernen auf alle Ebenen ist jedoch
eine Vernachlässigung der Wechselwirkung dieser beiden
Wissensbereiche und eine dualistische Konzeption, in der Erfahrungs-
und Erkenntnisprozesse gegeneinander abgeschottet bleiben
(vgl. TRAMM 1994).
Schulisches Lernen war und ist, gerade auch unter dem Signum
der Wissenschaftsorientierung, an der gefächerten Abarbeitung
von Begriffssystematiken orientiert. Jeder Lehrer und Schüler
wird unschwer eine Vielzahl abstraktionshierarchisch gegliederter
Unterrichtsreihen erinnern, in denen der Situationsbezug darin
bestand, meist isolierte Einzelbeispiele zur Illustration
der jeweils untersten Ebene der Begriffshierarchie einzubringen
(der Fall, nach dem dann die Zahlkarte in der Unterrichtseinheit
Zahlungsverkehr auszufüllen ist).
Mit dem Lernfeldansatz verbindet sich der aus meiner Sicht
richtige Ansatz, berufliches Lernen mikrostrukturell nicht
mehr auf der begrifflich-systematischen Ebene der Definitionen
und des Merkmalswissens ansetzen zu lassen, sondern an der
individuellen Auseinandersetzung mit subjektiv bedeutungsvollen,
konkret-situierten, praktischen Problemstellungen aus dem
jeweiligen beruflichen Handlungsfeld. Die hierin zu gewinnenden
Erfahrungen gilt es dann im systematisch-begrifflichen Raum
zu verankern, einzuordnen, zu erweitern und zu ergänzen.
Es ist dies ein Konzept induktiven, problemlösend-entdeckenden
Lernens in komplexen Lernumwelten, dem das Ziel des Aufbaus
einer systematischen Wissensstruktur als Basis zukünftigen
flexiblen Handelns und Erkennens von Anfang an zu eigen ist.
Es bleibt freilich die curriculare Aufgabe, diese Zielstruktur
zu bestimmen und aus dieser Analyse heraus auch die Lern(handlungs)felder
zu definieren, über welche die erforderlichen Erfahrungs-
und Erkenntnisprozesse ermöglicht werden können
(vgl. dazu TRAMM/REBMANN 1988).
Auf der makrostrukturellen Ebene ergibt sich hieraus die Konsequenz
und das Problem, zukünftige Curricula nicht mehr nach
der wissenschaftsbestimmten Systematik zu strukturieren und
zu sequenzieren, sondern "die Struktur" des Handlungs-
und Erfahrungsfeldes zum Ausgangs- und Bezugspunkt für
die Strukturierung des Curriculums zu wählen. Diese Struktur
freilich ist nicht naturgegeben oder im positivistischen Sinne
empirisch erfassbar, sondern sie stellt eine kognitive Rekonstruktion
eines Realitätsausschnittes dar und ist damit Ergebnis
aktiver, theoriegeleiteter menschlicher Analyse- und Strukturierungstätigkeit.
Hierauf wird im nächsten Kapitel ausführlicher einzugehen
sein.
Zunächst jedoch will ich die curriculumtheoretische Reflexion
über Wissenschafts- und/oder Situationsorientierung mit
der Feststellung abschließen, dass es sich hierbei aus
handlungs- und auch denkpsychologischer Sicht um zwei komplementäre
Prinzipien handelt und dass es auch im curricularen Konstruktionsprozess
darauf ankommen wird, Wege zu finden, beide Perspektiven aufeinander
zu beziehen und miteinander zu verschränken. Hierbei
scheint mit die didaktische Entscheidung, den situativen Kontext
an den Anfang zu stellen und hieraus die intendierten Erfahrungs-
und Erkenntnisprozesse zu organisieren, ausgesprochen sinnvoll.
Bezogen auf die REETZsche Systematik bleibt noch die Frage
nach dem Stellenwert des dritten Prinzips, des Persönlichkeitsprinzips,
zu beantworten. Im Unterschied zu den beiden anderen Relevanzprinzipien
handelt es sich hierbei nicht um einen letztlich empirischen
Begründungszusammenhang, aus dem heraus Bildungsinhalte
in ihrer spezifischen Leistung identifiziert werden könnten,
sondern vielmehr um einen pädagogisch-normativen Rechtfertigungszusammenhang,
über den zu klären ist, in welcher Weise die Educandi
ihre Individualität und Autonomie gegenüber den
gesellschaftlichen Anforderungen und objektiven Zwängen
zur Entfaltung bringen. Abbildung 2 versucht diesen zweidimensionalen
Zusammenhang darzustellen.
Abb. 2: Das Lernfeldkonzept im Gefüge curricularer Relevanzprinzipien
Dieser Argumentation folgend lassen sich sowohl im Bereich
der situationsorientierten als auch der wissenschaftsorientierten
curricularen Konzepte solche identifizieren, die einer objektivistisch-funktionalistischen
Konzeption des Persönlichkeitsprinzips folgen und solche,
die sich einem emanzipatorischen Konzept verpflichtet sehen
(vgl. dazu REETZ/SEYD 1983).
Das Konzept einer handlungs- und problemorientierten Didaktik
beruflichen Lernens, in dessen Traditionslinie ich auch das
Lernfeldkonzept sehe, versucht diese Vereinseitigungen im
Begründungszusammenhang auf der Grundlage eines handlungstheoretisch-interaktionistischen
Persönlichkeitsmodells zu überwinden (vgl. TRAMM
1997)
Zentral hierfür ist das Kompetenzkonzept, welches Lernen
intentional auf die individuelle Lebensgestaltung bezieht
und dabei zugleich die Relevanz einer flexiblen internen Wissensbasis
für eben diese Kompetenzen herausstellt. Die individuelle
Ausbildung dieser wissensbasierten Kompetenz setzt die Auseinandersetzung
mit wissenschaftlichen Erkenntnissystemen voraus, erfordert
aber zugleich, diese immer wieder in Beziehung zu den aktuellen
und prospektiven Handlungsfeldern zu setzen. Zentral ist freilich
auch, dass Handlungskompetenz nicht auf spezifische berufliche
oder gar nur betriebliche Handlungsfelder begrenzt bleibt,
sondern sich in den privaten und gesellschaftlichen Handlungsraum
erweitert und auch Prozesse der erkennenden und deutenden
Orientierung und der wertenden Stellungnahme mit umfasst.
Vor diesem Hintergrund sollte die Zielkategorie der beruflichen
Handlungskompetenz erweitert werden zu einer umfassenden Handlungs-
und Orientierungskompetenz, wie sie etwa in den KMK-Vereinbarungen
zur Funktion der Berufsschule von 1991 zum Ausdruck kommt.
Halten wir also fest: Im wohlverstandenen Sinne kann aus den
KMK-Handreichungen keine Abkehr vom Prinzip der Wissensbasierung
beruflichen Handelns und damit der Wissenschaftsorientierung
im Zielbereich beruflicher Bildung abgeleitet werden. Was
freilich bleibt, ist die Entscheidung, sowohl im Prozess der
Curriculumentwicklung als auch bei der Gestaltung konkreter
Curricula an der Struktur beruflicher Handlungsfelder anzusetzen.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass sich damit durchaus
die Gefahr einer verkürzten Situationsorientierung im
Zuge konkreter Lehrplanarbeit verbindet.
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4.
Arbeits- und Geschäftsprozesse |
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Lernfeldorientierte Curricula nehmen die Struktur des beruflichen
Handlungs- und Erfahrungsfeldes als Ausgangs- und Bezugspunkt
für die Strukturierung des Curriculum. Diese ist allerdings
keinesfalls naturgegeben, sondern selbst Ergebnis menschlicher
Analyse- und Strukturierungstätigkeit. Ich will an diese
Überlegung anknüpfen und im Folgenden diskutieren,
dass die Qualität beruflicher Curricula von der Art dieser
Strukturierungsentscheidung abhängt. Hierbei spielt das
Konstrukt der "Arbeits- und Geschäftsprozessorientierung"
als von der KMK bevorzugtes, grundlegendes Strukturierungsmodell
eine herausragende Rolle.
Grundsätzlich geht es bei dieser Strukturierungsfrage
um das Problem, wie innerhalb eines komplexen, auf das gesamte
berufliche Handlungsfeld bezogenen curricularen Raumes über
Prozesse der Abgrenzung und der Bildung von Einheiten erkennbare
Ordnung gestiftet und Komplexität reduziert werden kann.
Denn auch in der Programmatik komplexer Lehr-Lern-Arrangements
ist es unumstritten, dass gegebene Komplexität zu didaktischen
Zwecken kognitiv reduziert und schritt- bzw. schichtenweise
erschlossen werden muss.
Die traditionelle Vorgehensweise hierbei, wie sie z. B. häufig
im Kontext der Lernbüroarbeit aber auch in der betrieblichen
Ausbildung wirksam wurde, lag darin, der funktionalen Systematik
betrieblichen Geschehens zu folgen, wie sie sich auch in der
funktionslogischen Aufbauorganisation von Unternehmungen wiederspiegelt
(Aufgaben und Fragestellungen aus dem Absatz, der Beschaffung,
dem Rechnungswesen etc.). Ein zusätzlicher Vorzug dieser
Vorgehensweise war, dass sich hierin genau die fachwissenschaftliche
Systematik der Gliederung in funktionsorientierte spezielle
Betriebswirtschaftslehren (Absatzlehre, Beschaffungswirtschaft
etc.) widerspiegelte. Ihr Nachteil war, dass sie zu einer
fragmentierenden Sicht betrieblichen Geschehens führte,
im Extrem zu einer "Schreib- und Ladentischperspektive"
(REETZ/WITT 1974), und damit den Blick für die systemischen
Zusammenhänge der Unternehmung vernachlässigte.
Dieses lerntheoretische bzw. didaktische Problem spiegelt
sich interessanter Weise exakt auch auf der betrieblichen
Organisationsebene und war Anstoß und Bezugspunkt für
Ansätze einer prozessorientierten Reorganisation betrieblicher
Strukturen. GAITANIDES et al. (1994, 11f.) bringen die Kernidee
knapp auf den Begriff:
"Die herkömmliche Strategie der Gestaltung organisationaler
Strukturen ist die funktionale Exzellenz'. Jeder Bereich,
jede Abteilung wird nach spezifisch funktionalen Zielsetzungen
für sich optimiert, bis eine erstklassige Performance'
erreicht ist.... Der Trugschluss dieser Ansätze liegt
in der Annahme, dass die Summe einzeln optimierter Abteilungen
auch zu einem ganzheitlichen Optimum führt. Dass dies
in der Regel nicht eintritt, liegt daran, dass unterschiedliche,
abteilungsbezogene Zielsetzungen zu suboptimalen Lösungen
und mithin zu Abstimmungsverlusten zwischen den Abteilungen
führen. Zielsetzungen müssen, wenn sie auf eine
unternehmensweite Gestaltung ausgerichtet sein sollen, für
die einzelnen Wertschöpfungsketten des Unternehmens formuliert
werden. Reorganisation muss aus diesem Grund crossfunktional
und prozessorientiert erfolgen..."
Aus organisationstheoretischer Sicht wurde mithin deutlich,
dass die Kostenvorteile tayloristischer Arbeitszerlegung durch
erheblich aufwendigere Steuerungs- und Koordinationsprozesse
erkauft werden mussten, die bei zunehmend komplexeren Produktionsabläufen
immer mehr ins Gewicht fielen und die Schnittsstellenprobleme
dennoch immer deutlicher zu Tage treten ließen (vgl.
auch HAMMER/CHAMPY 1993). Die eigentlich wertschöpfenden,
auf Seiten der Kunden Nutzen stiftenden Prozesse traten gegenüber
den Sekundärprozessen in den Hintergrund, Prozesstransparenz
war eine Sache von Experten. Programm der prozessorganisatorischen
Reorganisation war es demgegenüber, die betriebliche
Organisation ausgehend von den wertschöpfenden Prozessen
neu zu organisieren und dabei zugleich Arbeitsprozesse so
zu gestalten, dass repetitive Teilarbeit zu Gunsten "vollständiger
Arbeitsprozesse" "im Sinne der Zielsetzung, Planung,
Durchführung, Bewertung der eigenen Arbeit im Kontext
betrieblicher Abläufe" zurückgedrängt
wird (FISCHER 2000, 121).
Eine solche Reorganisationsprogrammatik ist natürlich
aus berufspädagogischer Sicht schon deshalb hoch attraktiv,
weil sie zugleich die kognitiven Orientierungs- und Regulationsleistungen
der Arbeit aufwertet, weil sie motivational die Arbeit des
Einzelnen auch subjektiv erkennbar in den Gesamtleistungszusammenhang
der Unternehmung stellt und weil sie damit insgesamt schließlich
die Kompetenzbasis betrieblicher Arbeit zu den Arbeitenden
zurückverlagert und die Bedeutung beruflicher Kompetenzen
und damit auch der Berufsausbildung stärkt.
In diesem Sinne war es vor allem die Bremer Forschungsgruppe
um Felix RAUNER, die eine arbeitsprozessbezogene Reorganisation
beruflicher Bildung propagierte, wie sie letztlich auch im
Lernfeldkonzept ihren Ausdruck gefunden hat. Hierbei spielte
das Konstrukt des "Arbeitsprozesswissens" eine wichtige
Rolle, worunter das "Wissen um den Zusammenhang des Produktionsablaufs
..., das erfahrenen Facharbeitern zu eigen ist" verstanden
wird. Dieses Wissen wird "im Arbeitsprozess unmittelbar
benötigt," ... "[es] wird meist im Arbeitsprozess
selbst erworben, schließt aber die Verwendung fachtheoretischer
Kenntnisse nicht aus" (FISCHER 2000, 119ff.). Dieses
Arbeitsprozesswissen bildet damit den Kern beruflicher Kompetenz
und wird deutlich abgegrenzt gegenüber einer "Fachtheorie",
deren Ursprung die Fachwissenschaft ist
Abb. 3: Zum Verhältnis von Fachtheorie und Arbeitsprozesswissen
bei RAUNER (1995, 56)
Vor diesem Hintergrund scheint es mir hilfreich, einen Blick
auf ein konkretes lernfeldstrukturiertes Curriculum zu werfen,
um die Gestaltungswirkung dieser konzeptionellen Überlegungen
zu verdeutlichen. Ich wähle hierfür exemplarisch
den Lehrplan für Zimmerleute aus dem Jahre 1998, der
charakteristisch für eine Reihe paralleler Pläne
für den Bauhauptbereich ist.
Abb. 4: Lernfeldstruktur des Rahmenlehrplans für Zimmerleute
aus dem Jahre 1998
Sehr gut zu erkennen ist hier das Prinzip, abgrenzbare und
doch relativ komplexe Arbeitsaufgaben als Gliederungsprinzip
des Curriculums zu verwenden und in diesen curricularen Einheiten
prozessrelevantes Wissen unterschiedlicher Art und Provenienz
zu bündeln. Darunter kann sich auch "fachtheoretisches"
Wissen finden, im Wesentlichen jedoch handelt es sich um "facharbeiterspezifisches",
funktional gebundenes Handlungs- oder eben "Arbeitsprozesswissen".
Abb. 5: Exemplarisches Lernfeld aus dem Rahmenlehrplan für
Zimmerleute
Wichtig und gut scheint mir hieran, dass so Wissensbereiche
in der Berufsschule Berücksichtigung finden, die in den
korrespondierenden Fachwissenschaften nicht erfasst werden,
die durch disziplinäre Begrenzungen unberücksichtigt
bleiben oder die schließlich als "implizites Wissen"
(vgl. NEUWEG 1999) nicht verbalisierbar sind. Problematisch
finde ich demgegenüber die doch sehr enge Perspektive
auf das relevante Prozesswissen des aktuellen beruflichen
Handlungsfeldes; problematisch scheint mir der eher punktuelle
und fragmentarische Zugriff auf systematisches Wissen und
problematisch scheint mir schließlich die Vernachlässigung
kognitiver Orientierungsbereiche. Letzteres sowohl im Hinblick
auf das systemische Umfeld, in das die einzelnen Tätigkeitskomplexe
eingebettet sind (die Baustelle, die Bauunternehmung, die
Bauwirtschaft, die Baukultur etc.) als auch im Hinblick auf
die Struktur und Dynamik der relevanten technologischen Wissensfelder.
Auf einer grundsätzlicheren Ebene scheint mir die mit
diesem Zugang verbundene Dichotomisierung und Segregierung
von wissenschaftlich fundierter Fachtheorie und erfahrungsbezogenem
Arbeitsprozesswissen fatal, weil damit getrennt wird, was
eigentlich zusammen gehört und weil darin zugleich ein
gesellschaftliches Modell hierarchischer bzw. vertikaler Arbeitsteilung
perpetuiert wird, das doch eigentlich gerade überwunden
werden sollte: Die Wissenschaft den Ingenieuren, das Arbeitsprozesswissen
den Facharbeitern.
Mit dieser Interpretation von Arbeitsprozessorientierung wird
man im kaufmännischen Bereich noch weniger arbeiten können,
als dies im gewerblichen Bereich möglich sein könnte.
Welche Schwierigkeiten die Umsetzung des Prinzips der Prozessorientierung
hier bereitet, verdeutlicht die Struktur des Rahmenlehrplans
für Bankkaufleute von 1997 eindringlich:
Abb. 6: Lernfeldstruktur im Ausbildungsberuf Bankkaufmann/-frau
von 1997
Unschwer sind hier die Residuen (oder die Fluchtburgen) der
konventionellen Fächer Allgemeine Wirtschaftslehre (AWL),
Spezielle Betriebswirtschaftslehre (SBWL) und Rechnungswesen
zu erkennen. Es beginnt (wie gehabt) mit den rechtlichen Grundlagen,
es finden sich, nur mühsam verbal kaschiert, fachsystematische
Einheiten (Lernfeld 6, 12), und es werden Prozesse getrennt
ausgewiesen, deren eigentlicher Nutzen darin liegen müsste,
dass sie auf einer reflexiven Ebene in die Kernprozesse integriert
werden (3, 8, 9). Auf der Ebene der Inhaltsformulierungen
wird noch deutlicher, wie stark diese Lernfelder durch die
konventionellen Themen geprägt sind. Immerhin jedoch
finden sich daneben etliche Lernfelder, die sich offensichtlich
an Arbeitsprozessen im Bankunternehmen orientieren (Lernfelder
2, 4, 5, 7, 10, 11). Auffällig ist hier allerdings wiederum,
dass all diese Lernfelder sich auf die direkte Vermarktung
von Bankdienstleitungen beziehen, das Leitbild ist offenkundig
der "verkaufsorientierte Bankangestellte". Es fehlen
Bereiche wie Personalwirtschaft, Investition und Finanzierung,
betriebliche Informatik, Organisation, also solche Handlungs-
und Entscheidungsfelder, auf denen mittel- und langfristig
die Grundlagen für ein erfolgreiches Agieren am Markt
gelegt werden. Felder zudem, die aus der Arbeitnehmerperspektive
von höchster Relevanz sein dürften, denkt man nur
einmal an die Reorganisations- und Rationalisierungswellen
im Bankensektor.
Mit dieser eher kursorischen Kritik will ich vor allem eines
deutlich machen: Offensichtlich gibt es bei der Umsetzung
der Prozessidee im kaufmännischen Bereich erhebliche
Orientierungs- (und sicher auch Motivations- und Legitimations)probleme.
Diese sind durch eine einfache Analogiebildung im Sinne von
"Arbeitsprozesse = Geschäftsprozesse" nicht
zu lösen, sondern es wird erforderlich sein, die Geschäftsprozessidee
für den Zusammenhang kaufmännischer Curriculumentwicklung
explizit zu reflektieren. Dies soll im Folgenden zumindest
ansatzweise versucht werden.
Für eine Adaptation des Prozessgedankens im kaufmännischen
Bereich gilt es also zunächst einmal, das Denken in Stellen
und Abteilungen durch ein Denken in Vorgangsketten abzulösen,
die die ganze Unternehmung durchlaufen und an deren Anfang
und Ende eine Interaktion mit dem Kunden steht: Geschäftsprozesse
sind in diesem Sinne mit SCHEER "ereignisgesteuerte Vorgangsketten",
bei denen im kaufmännischen Arbeitsbereich im Unterschied
zum Fertigungsbereich keine Materialtransformationen, sondern
Datentransformationen stattfinden (1997, 1999).
Eine solche Sicht, die noch in der Tradition der oben kritisierten
Analogie steht, greift nun in zweifacher Weise zu kurz. Zunächst
verfehlt sie die eigentümliche Mehrdimensionalität
kaufmännischen Handelns im Hinblick auf deren Gegenstand
und Zielhorizont, wie sie mit Abbildung 7 illustriert wird.
Abb. 7: Gegenstandsbezogene Dimensionen kaufmännischen
Handelns
Im Zentrum kaufmännischer Sachbearbeitertätigkeit
steht in der Regel die Bearbeitung von Informationen, also
die Datentransformationen im Sinne SCHEERs. Diese Prozesse
isoliert zu optimieren oder zu thematisieren mag Gegenstand
einer bürokratischen Technologie oder auch der Wirtschaftsinformatik
sein, es verfehlt aber den Charakter kaufmännischer Tätigkeit.
Informationsströme und Daten einer Unternehmung dienen
der Anbahnung, begleitenden Kontrolle und Auswertung von Geld-
und Güterströmen (auf der Sachzielebene) und haben
letztlich zu gewährleisten, dass diese Real- und Nominalgüterströme
die Erreichung der wirtschaftlichen Formalziele ermöglichen,
worunter wiederum der Wertschöpfungsbeitrag bzw. das
Gewinnziel eine herausragende Funktion einnimmt. Anders akzentuiert:
Für eine qualifizierte kaufmännische Prozessbearbeitung
wird die simultane Beachtung aller drei Ebenen grundlegend
sein. Konkreter formuliert: Der kaufmännische Fallbearbeiter
muss in der Lage sein, einen konkreten Vorgang auf allen drei
Ebenen zu erfassen und abzubilden, er muss gedanklich zwischen
diesen Ebenen hin und her wechseln können. Die besondere
Spezifik kaufmännischer gegenüber gewerblicher Tätigkeit
liegt darin, dass die Wertschöpfungsebene diejenige ist,
auf der sich der Erfolg seiner Tätigkeit originär
abbildet, während diese im gewerblichen Bereich allenfalls
die Nebenbedingung für Leistungen im originären
logistischen Bereich definiert.
Curricular gewendet ergibt sich hieraus die Konsequenz, dass
die Abbildung und Auswertung von Prozessen in der Wertschöpfungsdimension
eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, diese aus
einer wirtschaftlichen Sichtweise zu bearbeiten. Entsprechend
dürfen Fragen des Rechnungswesens, präziser: der
Kosten- und Leistungsrechnung, nicht isoliert oder gar in
nachgängigen Lernfeldern behandelt werden, sondern diese
Perspektive auf betriebliche Abläufe muss zu Beginn des
Curriculums entwickelt und dann in allen Lernfeldern integrativ
behandelt werden.
Ich komme damit zum zweiten Kritikpunkt: Eine Prozessbetrachtung
in Analogie zum Arbeitsprozesskonzept verfehlt in ihrer Beschränkung
auf die Ebene der operativen Sachbearbeitung systematisch
den strategischen und normativen Horizont kaufmännischer
Tätigkeit und reproduziert damit ein Modell vertikaler
Arbeitsteilung, das mit der Geschäftsprozessorientierung
im Sinne der betriebswirtschaftlichen Organisationstheorie
eigentlich gerade überwunden werden soll.
Abb. 8: Ausführungs-, Planungs- und Kontrollebenen betrieblichen
Handelns nach ULRICH (1987)
Operatives Handeln in einer Unternehmung ist in ein hierarchisches
System von Handlungsvorgaben und Kontrollprozessen integriert,
über die Zielvorgaben, Etats und Handlungsregeln definiert
und mit benachbarten Bereichen (oder Prozessen) abgestimmt
werden.
Für den Handelnden auf der operativen Ebene, der nicht
mehr nur nach streng formalisierten bürokratischen Regeln
stereotyp agieren, sondern innerhalb definierter Handlungsspielräume
flexibel, aber doch im Rahmen des betrieblichen Ziel- und
Strategiehorizontes am Markt operieren soll, ist das Verständnis
dieser operativen, strategischen und normativen Managemententscheidungen
hochrelevant und darüber hinaus soll er sich mit seinen
Handlungserfahrungen auch in den Prozess der Definition bzw.
Revision dieser Vorgaben mit einbringen.
Das System der Managemententscheidungen definiert somit das
notwendige betriebliche Orientierungsfeld des kompetenten
Fallbearbeiters und zumindest teilweise auch seinen betrieblichen
Mitwirkungsbereich. Entsprechend wird es aus curricularer
Sicht erforderlich sein, einerseits Führungs- und Kontrollprozesse
der Unternehmung mit ihren spezifischen Problemstellungen
und Handlungsstrategien zu thematisieren und darüber
hinaus auch solche betrieblichen Handlungsfelder, die nicht
unmittelbar auf die Erbringung von Marktleistungen gerichtet
sind, zu berücksichtigen.
Dieser Gesichtspunkt kann im direkten Rückgriff auf organisationstheoretische
Konzepte des Geschäftsprozessmanagements konkretisiert
werden. In Anlehnung an das Modell der "aggregierten,
differenzierungsfähigen Leistungsprozesse" von SOMMERLATTE/WEDEKIND
(1990) haben GAITANIDES et al. (1994) ein idealtypisches "kundenorientiertes
Unternehmensmodell" entwickelt, in dem sie systematisch
zwischen den (unmittelbar kundenbezogenen) Kernleistungen
und den Supportleistungen bzw. -prozessen einer Unternehmung
unterscheiden. Letztere dienen dazu, die langfristige Leistungsfähigkeit
der Unternehmung zu gewährleisten und ihr damit zugleich
die entscheidenden Wettbewerbsvorteile am Markt zu sichern.
Abb. 9: Idealtypisches Modell kundenorientierter Leistungsprozesse
einer Unternehmung nach GAITANIDES et al (1994, 17)
Resümierend kann an dieser Stelle festgehalten werden,
dass sich eine Prozessorientierung kaufmännischer Curricula
unter der Leitidee qualifizierter kaufmännischer Fallbearbeitung
und zukunftsoffener Kompetenzen nicht auf die Rekonstruktion
von Arbeitsprozessen auf der operativen Ebene beschränken
kann, sondern die Einbettung dieser Tätigkeiten in den
Gesamtzusammenhang betrieblicher Zielorientierungen, Gestaltungs-
und Strategieentscheidungen mit reflektieren muss. Vor dem
Hintergrund dieser, letztlich normativ begründeten Entscheidung,
löst sich der scheinbare Widerspruch von Wissenschafts-
und Situationsorientierung im Zielbereich weitgehend auf.
Folgt man nämlich dieser Qualifikationsidee und integriert
Aspekte des operativen, strategischen und normativen Managements
in das Curriculum, so ist dies nur durch Einbeziehung von
Fragestellungen und Konzepten der wissenschaftlichen Betriebswirtschafts-
bzw. Managementlehre zu leisten. Würde man hierauf zugunsten
einer am Arbeitsprozesswissen von Sachbearbeitern orientierten
Konzeption verzichten, so würde man nicht nur die Wissenschaftsorientiertheit
des Curriculums preisgeben, man würde vor allem den Anspruch
einer fundierten beruflichen Orientierungs- und Handlungskompetenz
im kaufmännischen Bereich verfehlen.
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5.
Curricularer Entwicklungskontext von Lernfeldern |
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In dem hier entwickelten Argumentationszusammenhang werden
Geschäftsprozesse als Medium betriebswirtschaftlichen
Lernens verstanden. Der Berufsschulunterricht zielt nicht
primär auf die Beherrschung der diesen Geschäftsprozessen
immanenten operativen Arbeitsprozesse ab, sondern vielmehr
darauf, aus dem pragmatischen Handlungs- und Problemzusammenhang
dieser Geschäftsprozesse heraus
- einerseits ein umfassendes und differenziertes ökonomisch-betriebswirtschaftliches
Systemverständnis zu entwickeln. In diesem Sinne erlaubt
die Prozessperspektive die sukzessive Erschließung
des komplexen Lerngegenstandes Betrieb in der unteren Hälfte
unserer Abbildung 1;
- andererseits einen Zugang zu systematischem Wissen und
begrifflicher Erkenntnis zu eröffnen und also aus dem
pragmatischen Kontext heraus einen Weg zu den wirtschaftswissenschaftlichen
Erkenntnissen und Aussagesystemen zu finden.
Der vielleicht entscheidende Unterschied zu einem herkömmlichen
wissenschaftsorientierten Unterricht liegt aus meiner Sicht
darin, dass die angestrebten begrifflich-systematischen Erkenntnisse
im Hinblick auf berufliche Handlungs- und Orientierungskompetenz
sowie ergänzend im Hinblick auf die Befähigung zum
lebensbegleitenden Lernen in dieser Domäne zu begründen
sind. Der didaktisch zu gestaltende, problembezogene Zugang
zu diesem Wissen wirft also jeweils zugleich die Frage auf,
welche pragmatische Relevanz einem spezifischen Inhalt beizumessen
ist. Was nicht in dieser Weise situativ zu verankern ist,
sollte als Curriculumelement zumindest höchst verdächtig
sein.
Unter strategischem Aspekt scheint mir eine Vorgehensweise
sinnvoll, durch die eine situations- bzw. kompetenzorientierte
Sicht mit einer wissenschaftsorientierten Perspektive über
eine Matrixbetrachtung verknüpft wird (vgl. Abbildung
10).
Mit dieser Matrix werden zwei parallel laufende Suchprozesse
aufeinander bezogen. Kompetenzseitig sollte danach gefragt
werden, für welche Geschäftsprozesse der Lernende
qualifiziert werden bzw. in welchen Systemen er sich orientieren
können soll. Hierbei ist noch einmal daran zu erinnern,
dass das Ziel der beruflichen Handlungs- und Orientierungsfähigkeit
durchaus nicht auf den betrieblichen Handlungsrahmen begrenzt
ist, sondern z. B. auch die Orientierung in der Ausbildungssituation
zu Beginn oder in der Situation des Arbeitssuchenden am Ende
der Ausbildung mit einschließt. Die Definition solcher
Prozesse ist natürlich im Übrigen auch ein Prozess,
in dem neben curricular-didaktischen Erwägungen betriebswirtschaftliche
Paradigmen und Perspektiven wirksam werden; auch hier lassen
sich Wissenschaft und Situation nicht als strikt getrennte
Referenzfelder auffassen.
Abb. 10: Matrix zur Verknüpfung situations- und wissenschaftsbezogener
Aspekte bei der curricularen Umsetzung des Lernfeldansatzes
Indem auf der Ebene solcher Prozesse Kompetenzen formuliert
werden, beinhalten diese zugleich implizite Annahmen über
die entsprechende Wissensbasis, die im Zuge der didaktischen
Analyse zu erschließen sind. Dies gilt zunächst
für die operative Ebene, also die Ebene der regelgeleiteten
Durchführung von Tätigkeiten unter Einbeziehung
taktischer Anpassungsleistungen an kurzfristig variierende
Umweltbedingungen. Einen tieferen Zugang zu betriebswirtschaftlichen
Fragestellungen eröffnen Probleme auf einer strategischen
Ebene, die sich etwa durch die dauerhafte Veränderung
von Umweltbedingungen, durch die Variation unternehmerischer
Zielsetzungen und Strategien, Abstimmungsprobleme zwischen
Teilbereichen oder durch spezifische Gestaltungsprobleme ergeben.
Es wäre über curriculare Analysen zu klären,
welche Probleme dieser Art eine besondere praktische Relevanz
und/oder einen hervorgehobenen Stellenwert als Zugang zu grundlegenden
fachwissenschaftlichen Problemsichten, Konstrukten oder Begriffen
besonderer Reichweite haben (vgl. dazu auch BADER/SCHÄFER
1998, BADER 2000).
Diese Suchrichtung, die auf kategoriale Begriffe und Schlüsselprobleme
im Sinne KLAFKIs (1963; 1996) hinausläuft, sollte schließlich
auch noch in einem weiteren, eigenständigen Analyseschritt
unabhängig von konkreten Prozessvorstellungen durchgeführt
werden. Welches sind übergreifende und grundlegende Denkfiguren,
disziplinbestimmende Grundprobleme, Kernbegriffe der Ökonomie,
wie z. B. die Idee der komparativen Kosten, der gerechte Preis,
die Allokationsproblematik, die Grenzwertbetrachtung, die
Idee der Kundenorientierung, die Vorzüge der rechtlichen
Normierung wirtschaftlichen Handelns oder auch das Konzept
der Beruflichkeit. Hinsichtlich solcher curricularer Elemente
wäre zu fragen, ob sie sich im Zusammenhang der geplanten
Prozesse abbilden lassen oder ob es ggf. eigenständige
curriculare Einheiten geben muss, um diese Gegenstände
zu erarbeiten.
In etwas vereinfachter Darstellung lässt sich dieser
curriculare Reflexions- und Gestaltungsraum auch in Form eines
dreiphasigen Modells darstellen, das jedoch nicht linear zu
durchlaufen ist, sondern mehrfach in einem iterativen Erarbeitungs-
und Konkretisierungsprozess.
Abb. 11: Phasen der didaktischen Konkretisierung von Lernfeldern
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6.
Schlussbemerkung |
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Ein zentrales Ergebnis der im Vorangegangenen entwickelten
Argumentation lässt sich vielleicht in der Aussage zusammenfassen,
dass es in der Konkretisierung und Umsetzung des Lernfeldansatzes
zumindest im kaufmännischen Bereich entscheidend darauf
ankommen wird, Prozesssicht und fachliche Systematik über
die Systemperspektive zu bereichern und aufeinander zu beziehen.
Diese Notwendigkeit hierfür begründet sich letztlich
aus bildungstheoretischen Überlegungen, in die auch das
Qualifizierungsziel als eine Dimension mit einzubeziehen ist.
Dieser abschließende Hinweis ist mir auch deshalb wichtig,
weil in der Diskussionslinie dieses Beitrages der individuelle
Entwicklungsprozess der Lernenden und damit das Persönlichkeitsprinzip
als zentrales curriculares Relevanzkriterium eher implizit
mit eingeflossen ist. Eine systematischere Reflexion unter
diesem Aspekt würde nach meiner Einschätzung zu
keinen grundsätzlich anderen Ergebnissen führen,
wohl aber ergänzende Aspekte und besondere Akzentsetzungen
erforderlich machen. Um dies zumindest andeutungsweise zu
konkretisieren: Neben Berufsbezug und fachlich-kategorialem
Zugang im oben beschriebenen Sinne schiene mir ein ausdrücklicher
Bezug auf den beruflichen und betrieblichen Sozialisationsprozess
der Jugendlichen im Curriculum sinnvoll und notwendig. In
vielen Lehrplänen wird dies bereits heute durch einführende
Lernfelder etwa unter der Bezeichnung "Orientierung in
Beruf und Betrieb" (vgl. hierzu TRAMM 2002, S. 31ff.;
siehe z. B. für den Ausbildungsberuf Industriekaufmann
die Umsetzungsvorstellungen für ein solches Lernfeld
unter http://134.100.199.152/bscw/bscw.cgi
- es kann ein Benutzerkennwort angefordert werden). Ein zweites
wichtiges Thema unter dem Aspekt des persönlichen Entwicklungsprozesses
wären Reflexionen darüber, auf welchem kognitiven
Niveau die wiederholte Auseinandersetzung mit einem Lerngegenstand
im Zuge einer spiralcurricularen Organisation im jeweiligen
Lernfeld erfolgen sollte. Hiermit verbindet sich, eher technisch
gesehen, die Frage der präzisen Funktions- und Zielbestimmung
einzelner Lernfelder im Hinblick auf spezifische Lerngegenstände.
Es zeigt sich die Notwendigkeit, zumindest Erkenntnis- und
Verständnisziele nicht nur im (prozessbezogenen) Kontext
einzelner Lernfelder, sondern auch lernfeldübergreifend
bezogen auf den gesamten Bildungsgang zu formulieren. Und
es verbindet sich hiermit die theoretisch-konzeptionell wichtige
Frage, an welchen psychologischen Entwicklungsmodellen sich
ein solches Curriculum orientieren soll. Hier scheint mir
der von den Bremer Kollegen um Felix RAUNER in die Diskussion
gebrachte Bezug auf das Experten-Novizen-Paradigma eine ausgesprochen
interessante Perspektive zu eröffnen (vgl. den Beitrag
von Martin Fischer in diesem Heft: FISCHER 2003).
|
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|
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