Editorial bwp@ 23
Editorial von Karin BÜCHTER (Universität Hamburg), Dietmar FROMMBERGER (Universität Magdeburg) & H.-Hugo KREMER (Universität Paderborn)
http://www.bwpat.de/ausgabe23/editorial_23.pdf
In der (berufs-)bildungspolitischen Diskussion gehört die Akademisierung der Berufsbildung zu einer der zentralen Forderungen. Zu verstehen sind unter dieser Thematik zwei Blickrichtungen. Einerseits wird die Frage aufgeworfen, inwieweit in der beruflichen Bildung und auf der Basis beruflicher Erfahrungen Kompetenzen erworben werden, die einen Zugang zur Hochschulbildung ermöglichen und legitimieren könnten (Stichwort 3. Bildungsweg). Es geht insofern im Kern um die Frage der Vermittlung der Studierfähigkeit in der Berufsbildung und damit um die Relation allgemeiner und beruflicher Bildung. In diesem Kontext gerät auch die Öffnung der Hochschulen für beruflich qualifizierte Personengruppen in den Blick und zunehmend die Frage der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf das Hochschulstudium. Andererseits tangiert das Thema die institutionelle und inhaltliche Ausrichtung der beruflichen Bildung. Im Mittelpunkt steht also die Frage, wie die berufliche Bildung weiterzuentwickeln ist, um den veränderten Anforderungen in den Arbeitsmarktsegmenten und den gestiegenen Ansprüchen der Beschäftigten und Lernenden in der beruflichen Bildung gerecht zu werden. Beide Blickrichtungen berühren auch die Hochschulbildung und damit vermehrt das Verhältnis beruflicher und hochschulischer Bildung. Aus dieser Perspektive gewinnt dann auch die Frage an Relevanz, inwiefern im Rahmen hochschulischer Bildung Herausforderungen der beruflichen Bildung aufgenommen werden und so eine Verberuflichung in Teilen des Hochschulsektors konstatiert werden kann, was wiederum eine Verschiebung der Berufsbildungsangebote zur Folge haben könnte.
Diese Thematik ist in der deutschen (Berufs-)Bildungsgeschichte nicht neu. Bereits seit der institutionell und curricular gefestigten Trennung zwischen allgemeiner und akademischer Bildung einerseits und beruflicher Bildung andererseits sowie der Etablierung eines entsprechenden Berechtigungswesens spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es Vorschläge, die Berufsbildung aus ihrem Sackgassenstatus herauszuholen und sie so zu konzipieren, dass sie neben ihrer berufsqualifizierenden Funktion Sprungbrett in die akademische Bildung und damit auch eine mögliche Voraussetzung für akademische Abschlüsse sein könnte. So bestand bereits während des Ersten Weltkrieges das Ziel der so genannten Immaturenprüfungen darin, qualifiziertes Personal für höhere Laufbahnen in Industrie und Verwaltungen zu gewinnen. In der Weimarer Republik ging es dann vor allem darum, die starre Verteilung sozialer Statusgruppen auf die verschiedenen Bildungssegmente (Berufsbildung für gering gebildete und sozial eher benachteiligte Bevölkerung, akademische Bildung für das besitzende und gebildete Bürgertum) aufzuweichen.
In der Nachkriegszeit waren es zunächst die Besatzungsmächte mit ihrer Kritik am schichtspezifisch ausgerichteten deutschen Bildungssystem und dann vor allem die Protagonisten der Bildungsreform der 1960/70er Jahre, die sich mit dem Hinweis auf Chancengleichheit im Bildungssystem und der Forderung nach einem „umfassenden Bildungssystem“ für eine Aufwertung der beruflichen Bildung durch höherwertige Abschlüsse, wissenschaftspropädeutische Ansätze in der beruflichen Bildung und eine Öffnung der Hochschulen für alternative Bildungsformate einsetzten. Der Aufbau beruflicher Gymnasien, der Fach- und Berufsoberschule, der Ausbau des Hochschulzugangs für Studieninteressierte ohne formale Hochschulzugangsberechtigung, der Kollegschulmodellversuch in Nordrhein-Westfalen, die Einrichtung eines „Zweiten Bildungsweges“, der durch Berufsaufbauschulen, Kollegs, Abendgymnasien sicher gestellt werden sollte, aber auch der Fachhochschulzugang für Techniker oder die Gleichsetzung der Meisterprüfung mit der Fachoberschulreife waren seit den 1970er Jahren Initiativen, die die Anschlussfähigkeit der Berufsbildung und damit Ansätze der Akademisierung unterstützen sollten. In der Nachbetrachtung werden jedoch all diese Versuche im Hinblick auf die Schaffung von Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung als nur bedingt erfolgreich eingeschätzt. Positiv entwickelt haben sich mittlerweile die Übergangszahlen zwischen den schulischen Angeboten der beruflichen und berufsbezogenen Bildung in den Berufsbildenden Schulen in den Fachhochschulsektor. Beinahe die Hälfte der Studierenden an den Fachhochschulen beschreitet diesen Weg von der Berufsbildung in die Hochschulbildung. Nicht gelingen konnte bislang der Aufbau eines verlässlichen Bildungsweges in die Hochschulen aus der berufsqualifizierenden bzw. außerschulischen Berufsbildung auf der Basis des Berufsbildungsgesetzen (Duales System und Aufstiegsfortbildung). Diese Diskussion und Entwicklung um die Erweiterung der (hochschulischen) Zugangsrechte, die auf der Basis der Abschlüsse in der beruflichen Bildung erworben werden sollten, beeinflusste die institutionelle und curriculare Ausgestaltung der beruflichen Bildung, häufig etwas abschätzend auch als „Verschulung“ der Berufsbildung bezeichnet. Seit den 1990er Jahren hat die Diskussion um die Akademisierung der Berufsbildung erneut Aufwind bekommen. Neben der bildungspolitisch bekannten Programmatik, Chancengleichheit durch Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit im Bildungssystem, gehören auch die Erhöhung der Akademikerquote in Deutschland, die Attraktivitätssteigerung der Berufsbildung vor dem Hintergrund eines wachsenden Fachkräftemangels sowie der neuerdings wieder prognostizierte Bedarf an theoretisch-systematischem Wissen in der dualen Berufsausbildung im Verhältnis zum Erfahrungswissen zu aktuellen Argumenten für eine Akademisierung der Berufsbildung. Erreicht werden soll diese insbesondere durch die Erweiterung von Hochschulzugängen für beruflich Qualifizierte, inhaltlich komplexere Berufsausbildungen, Doppelqualifikationen in der Berufsbildung, die Verzahnung berufs-qualifizierender mit akademischen Abschlüssen (Duale Studiengänge), die Integration von Studienorientierung in der Sekundarstufe II und Studieneingangsphasen in der Hochschule, die angemessene Einordnung bzw. Aufwertung beruflicher Abschlüsse im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR), die Anrechnung beruflicher Kompetenzen und berufsbegleitender Weiterbildung auf Studiengänge/ -abschlüsse, durch aufbauende akademische Weiterbildung („Aufqualifizierung“) oder durch die Erweiterung von Studiengängen mittels berufsqualifizierender Anteile.
Wie die meisten in der berufsbildungspolitischen Diskussion behandelten Themen lässt sich auch das der Akademisierung der Berufsbildung aus der Perspektive von Anspruch und Realität betrachten. So gilt die Akademisierung der Berufsbildung als arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Erfordernis, abgeleitet aus den Hinweisen auf die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft und die sich weiterhin vollziehenden Verschiebungen innerhalb der Qualifikationsstruktur. Es wird eine erhöhte Nachfrage nach Fachhochschul- und Universitätsabsolventinnen prognostiziert. Dieser Trend eröffnet zugleich die Möglichkeit, die Durchlässigkeit von der Berufsbildung in den bislang weitgehend von ihr abgeschotteten tertiären Bildungssektor Hochschule zu verbessern und damit mehr Menschen zu akademischen Abschlüssen zu verhelfen. Damit können zugleich die gestiegenen individuellen Ansprüche an die eigene persönliche, schulische und berufliche Entwicklung befriedigt werden.
Insbesondere in der Hochschulpraxis wird jedoch deutlich, dass sich die an die Akademisierung der Berufsbildung geknüpften Ansprüche nicht so ohne weiteres realisieren lassen. Zwar deuten die inzwischen vorliegenden formalen Rahmenbedingungen, Vereinbarungen und Angebote auf vereinfachte Übergänge zwischen beruflicher und akademischer Bildung hin, andererseits findet die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf die akademische Bildung kaum oder nur in bescheidenem Umfang statt und nur wenige beruflich qualifizierte Personen aus der außerschulischen beruflichen Bildung nehmen bislang ein Studium auf. An den Hochschulen selbst liegen die Interessenlagen sehr unterschiedlich, einerseits werden die Absolvent/-innen aus der beruflichen Bildung als eine neue Zielgruppe betrachtet, die im Rahmen von akademischen Weiterbildungsangeboten zudem mit zusätzliche Einnahmen verbunden sein können. Andererseits sind die Vorbehalte gegenüber der beruflichen Bildung in den Universitäten häufig sehr stark ausgeprägt, die unterschiedlichen und gewachsenen Funktionen und Ansprüche beruflicher und akademischer Bildung werden betont und gepflegt.
Die gegenwärtigen Interessen, Einschätzungen und Befunde zu Notwendigkeiten, Entwicklungen und Erfolgen der Akademisierung der Berufsbildung fallen unterschiedlich aus. Einerseits gibt es Hinweise darauf, dass sich die berufliche und akademische Bildung durch entsprechende formale Rahmenbedingungen, Vereinbarungen und Angebote einander angenähert bzw. sich ihre Überschneidungsbereiche vergrößert hätten. Anderseits gibt es auch Anzeichen dafür, dass sich die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf Hochschulzugänge, Studiengänge und -abschlüsse nur auf wenige Ausnahmefälle reduziert, und dass bislang nur relativ wenig beruflich qualifizierte Personen ein Studium aufnehmen. Daneben gibt es eine Reihe weiterer ungeklärter Fragen, wie die nach möglichen Verdrängungseffekten auf dem Arbeitsmarkt zugunsten der akademisierten Berufsbildung bzw. auf Kosten der herkömmlichen mittleren Berufsbildung (Bachelor versus Berufsbildung). Eng damit verbunden ist auch die Frage nach den Auswirkungen einer Akademisierung der Berufsbildung auf die Ordnung, Steuerung und Interessenpolitik bei der Konstruktion und Schneidung von Berufen und der Berufsbildungspolitik. Zu fragen ist überdies, welche institutionellen, curricularen, didaktischen und professionellen Anforderungen sich aus der Akademisierung der Berufsbildung sowohl für die Berufsbildung als auch für die akademische Bildung ergeben. Wie lassen sich die berufsqualifizierenden Funktionen mit den akademischen Anforderungen verbinden? Offene Fragen existieren vor allem auch auf der unmittelbar operativen Ebene der Anrechnung, z.B. wie sich die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenten in der Praxis konkret darstellt. Wie und vom wem werden Inhalte aus der beruflichen Ausbildung auf Studiengänge angerechnet? Inwieweit können in der Berufsbildung die Fähigkeiten tatsächlich erworben werden, die für ein Hochschulstudium erforderlich sind? Wie kann eine angemessene Studienorientierung in beruflichen Schulen gestaltet werden? Wie gestaltet sich der Weg ins Studium ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung exemplarisch? Welche kapazitären und professionellen Konsequenzen bringt die Akademisierung der Berufsbildung für das Personal in der Berufsbildung und in den Hochschule mit, welche neuen Formen der Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren und Institutionen auf dem (Berufs-)Bildungsmarkt werden erforderlich? Warum werden die Wege über die betriebliche-duale Berufsausbildung und Fortbildung in die Hochschulbildung noch so selten beschritten, während die Abschlüsse aus den schulischen beruflichen Bildungswegen mindestens im Fachhochschulsektor eine sehr große Bedeutung besitzen?
Für diese Ausgabe von bwp@ sind Beiträge eingegangen, die sich auf der Basis von theoretischen Überlegungen, empirischen Erhebungen und Erfahrungen mit Anspruch und Realität der Akademisierung der Berufsbildung befassen. Insgesamt konnten wir die Aufsätze drei übergreifenden Themenblöcken zuordnen: Teil A: Gleichwertigkeit und Differenz beruflicher und akademischer Bildung, Teil B: Gestaltung von Wegen zwischen beruflicher und akademischer Bildung und Teil C: Wandel und Anpassung in der beruflichen Bildung: Nationale und internationale Perspektiven.
In den hier versammelten Beiträgen werden Unterschiede zwischen den Bildungsbereichen Berufsbildung und Hochschulbildung thematisiert, die bei den Forderungen und Konzepten zur Gleichwertigkeit mit zu berücksichtigen sind. Die Unterschiede können sich auf den Lernhabitus und auf Lernbiographien der Teilnehmenden in den verschiedenen Bildungsbereichen, auf Lernkulturen in der beruflichen und akademischen Bildung, auf Kompetenzverständnisse und nicht zuletzt auf Governancelogiken beziehen.
Daniela AHRENS geht in ihrem Beitrag von der Paradoxie aus, dass trotz eines verbesserten Hochschulzugangs die Zahlen der beruflich Qualifizierten unter den Studienanfängern hinter den Erwartungen zurück bleiben, und gibt zu bedenken, dass die tradierten institutionellen Schließungsprozesse mit unterschiedlichen Wissenskulturen und Handlungslogiken einhergehen, die den Übergang zwischen diesen verschiedenen Bildungssystemen erschweren. Übergänge zu meistern, bedeute daher immer auch den Umgang mit differenten Lern- und Wissensmilieus und „Bildungsphilosophien“.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Jessica HEIBÜLT und Eva ANSLINGER steht ein Forschungsvorhaben der Akademie für Arbeit und Politik Bremen im Themenfeld dritter Bildungsweg, das von der Annahme ausgeht, dass die individuelle Lernbiographie, verschiedene Lernumwelten und Lernerfahrungen eine zentrale Bedeutung für die Studienentscheidung und die Bewältigung des Übergangs Beruf-Hochschule haben. Der Fokus des Beitrags liegt in empirischen Befunden zur Frage der Studierfähigkeit und dem Abbau von strukturellen Hindernissen.
Unter dem Leitbild von Kompetenzorientierung diskutieren Detlef BUSCHFELD und Bernadette DILGER das Ziel der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung. Dazu werden zunächst aktuelle Referenzmodelle (DQR, DHQR und ein Kompetenzmodell aus der Berufspädagogik) gegenübergestellt und auf der Grundlage der Erkenntnisse aus zwei Forschungsprojekten die Schwierigkeiten bei der Operationalisierung und der Erfassung von Kompetenzen aufgezeigt und Folgerungen für die Diskussion der Gleichwertigkeit gezogen.
Davon ausgehend, dass Veränderungen von Qualifikationsbedarfen auch den bisher angenommenen Gegensatz zwischen akademischen und beruflichen Anforderungen aufweichen, fragt Volker REIN nach dem kompatiblen Potenzial sogenannter kompetenzbezogener Handlungsorientierung in beiden Bereichen, das bereits implizite und explizite Grundlage für die Gestaltung von Bildungsgängen und Abschlüssen und damit wesentliche Voraussetzung der Realisierung von Durchlässigkeit zwischen beruflichen und hochschulischen Bildungswegen darstellt.
Im Mittelpunkt dieses thematischen Blocks stehen konkrete Überlegungen, empirische Befunde zu sowie exemplarische Erfahrungen mit der Akademisierung der Berufsbildung: Anrechnungen von beruflich erworbenen Kompetenzen, Akkreditierungen, Entwicklung von Studierfähigkeit in konkreter Berufsbildung, Gestaltung betrieblicher Bildungsprozesse an der Schnittstelle zur Hochschulbildung, kooperative Bildungsarrangements und wissenschaftlicher Weiterbildung.
Im Beitrag von Mirko SCHÜRMANN geht es um Erfahrungen mit pauschalen und individuellen Anrechnungen beruflich erworbener Kompetenzen von Studierenden in der Lehreinheit Pflege und Gesundheit an der Fachhochschule Bielefeld. Aufbauend auf Ergebnisse der qualitätsgesicherten Anrechnung wurde ein kombiniertes Verfahren implementiert, das sich mittlerweile erfolgreich etabliert habe. Fokussiert werden Einschätzungen zu Ressourcen und Belastungen auf Ebene der Hochschule und ihrer Mitarbeiter/-innen, dem antizipierten Nutzen von Anrechnungsverfahren sowie die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen.
Unter Hinweis auf die relativ hohe soziale Selektivität des tradierten Hochschulzugangs und der Frage danach, wie mehr Absolventen beruflicher Bildungsgänge als bisher von der Möglichkeit des 3. Bildungsweges profitieren und in akademische Berufe aufsteigen könnten, geht Dietrich PUKAS der Aufgabe nach, wie exemplarisch für das Berufsfeld Metalltechnik eine aufgewertete, anspruchsvolle Berufsausbildung Studierfähigkeit ermöglicht und als solche erfolgversprechende Voraussetzungen für einen Hochschulzugang schaffen kann.
Anna ROSENDAHL und Manfred WAHLE diskutieren die Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen beruflichen und akademischen Bildungsangeboten unter dem Aspekt von Kooperation zwischen Hochschule und berufsbildenden Schulen. Auf der Basis einer regionalen Fallstudie in NRW zeigen sie, dass Berufskollegs nicht nur duale Studiengänge, sondern auch Akkreditierungsverfahren von Berufsbildungsgängen in Verknüpfung mit bilateralen Anrechnungsvereinbarungen mit ausgewählten Hochschulen in Betracht ziehen.
Agnes DIETZEN und Tom WÜNSCHE liefern mit ihrem Beitrag Anhaltspunkte für Gestaltungsmöglichkeiten beruflicher Bildungswege und betrieblicher Lernprozesse an der Schnittstelle zwischen beruflicher und akademischer Bildung. Auf der Basis empirischer Befunde kann unter anderem gezeigt werden, dass berufliche und hochschulische Bildungshintergründe von den befragten Personen aus Unternehmen eher als komplementär denn als konkurrierend gesehen werden. Branchenübergreifend würden jene von Betrieben unterstützten Bildungswege für Fachkräfte an Bedeutung gewinnen, die betriebliche Kompetenzentwicklung mit einer akademischen Ausbildung verknüpfen.
Nina Maria WACHENDORF,Marion RATH und Michael LENT beschreiben im vorliegenden Bericht ein durch das BMBF gefördertes Projekt im Rahmen der Programminitiative „Aufstieg durch Bildung: Offene Hochschulen“. Im Mittelpunkt steht die „kooperative Ingenieurausbildung“ der Hochschule Niederrhein sowie der Ausbau bestehender ausbildungsintegrierter Studiengänge, die Entwicklung von neuen Teilzeit- und berufsbegleitenden Studiengängen sowie von zielgruppenspezifischen Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen.
Obwohl sich mit dem Anspruch der Akademisierung der Berufsbildung berufliche und hochschulische Bildung und ihre jeweiligen Bezugssysteme und Wissensinteressen zunehmend vermischen würden, so Simone WANKEN und Alrun SCHLEIFF, müsse von unterschiedlichen Logiken und Widersprüchen bei kooperativen Bildungsarrangements ausgegangen werden, mit denen die beteiligten Akteure, d.h. sowohl die jeweiligen Institutionen als auch die Individuen, konfrontiert seien. Die Autorinnen versuchen, die aktuelle Verfasstheit der akademischen Berufsbildung oder akademischen Professionalisierung systemtheoretisch zu verstehen.
Ernst A. HARTMANN, Ida STAMM-RIEMER und Regina BUHR greifen die Bedeutung der Hochschulbildung unter dem Aspekt des sog. „Wissensdreieck“ zwischen Forschung, Bildung und Innovation auf. Die Realisierung dieses „Wissensdreiecks“ setze der Kooperation zwischen Hochschulen, Wirtschaft und regionalen innovativen Praxisfeldern voraus und ermögliche gleichzeitig die Unterstützung neuerer und durchlässiger Lern- und Bildungsformate bzw. neuer Lernarrangements, zusammenhängender Curricula sowie neuer Anrechnungspraktiken.
Mit dem 3. Bildungsweg, so die These von Rita MEYER, würden Hochschulen auch zu Lernorten beruflicher Bildung. In dem Beitrag geht es daher um die Fragen, ob und inwiefern ein wissenschaftliches Studium als eine Form der gehobenen Berufsausbildung im Sinne einer gesteigerten, professionsorientierten Beruflichkeit gelten kann, und welche Herausforderungen angesichts von Akademisierung der Berufsbildung an Berufsausbildung gestellt werden. Im Anschluss daran werden auf der Basis von abgeschlossenen Projekten Erfahrungen und Herausforderungen diskutiert.
Diesem Teil sind Beiträge zugeordnet, die auch eine internationale Perspektive einnehmen.
Felix RAUNER vertritt die These von einem höchst unübersichtlichen Strukturwandel im Bildungssystem, der insbesondere bei dem widersprüchlichen Trend der Akademisierung der beruflichen Bildung und Verberuflichung der akademischen Bildung deutlich würde. Auf beiden Entwicklungslinien zeigten sich eine Reihe ungelöster Probleme, die bildungstheoretisch bislang nicht aufgeklärt seien.
Martin MAYERL diskutiert in seinem Beitrag die bildungspolitischen Begründungslinien der österreichischen Debatte um Durchlässigkeit zwischen beruflicher und tertiärer Bildung im Kontext des Ausbildungsmodells „Berufsmatura“. Auf der Basis empirischer Daten wird auf die individuellen Perspektiven der Teilnehmenden dieses Ausbildungsmodells in zweifacher Weise eingegangen: unter zielgruppenspezifischem, biographischen Gesichtspunkt und aus der Perspektive von Motiven und Erwartungen der Auszubildenden.
Volker BANK gibt in seinem Beitrag zu bedenken, dass die aktuell dominante Vorstellung, China könne in der beruflichen Bildung von Deutschland lernen, einseitig ist, da es insbesondere, sofern es um die Akademisierung der Berufsbildung gehe, Indizien gäbe, dass Deutschland auch von China lernen könnte. Vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit dem chinesischen Modell werden in diesem Beitrag Vorschläge für die Weiterentwicklung des beruflichen Erziehungswesens in der Bundesrepublik eingebracht.
Alexander SCHNARR stellt Befunde aus einem Forschungsprojekt zu professionellen Orientierungen chinesischer Berufsschullehrer(inne)n vor, die nahelegen, dass Bildungserfahrungen in akademischen Weiterbildungsmaßnahmen unterstützend für das eigene Lehrerhandeln sind. Von grundlegender Bedeutung sei, dass insbesondere über die akademische Weiterbildung die Bezüge zur beruflichen Praxis der Lehrkräfte und damit auch zum Bezugsfeld der beruflichen Bildung aufgegriffen werden.
Für die endgültigen Beiträge für diese Ausgabe möchten wir uns bei den Autorinnen und Autoren recht herzlich bedanken. Ohne sie wäre bwp@ 23 nicht zustande gekommen.
Aber vor allem ohne die Redaktion und den Websupport hätten wir es nicht geschafft, Ausgabe 23 in dieser Zeit und dieser Form online zu veröffentlichen. Ein ganz besonderes Dankeschön geht an Andrea ZOYKE, Nicole NAEVE und Sigrid GRAMLINGER-MOSER für die exzellente redaktionelle Arbeit, die Autorenbetreuung, die Koordinierung unter den Herausgebern und die Umsetzung der Online-Version sowie an Stephanie WILDE für die zeitnahe Übersetzung der Abstracts.
Karin Büchter, Dietmar Frommberger & H.-Hugo Kremer
im Dezember 2012