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REINHARD BADER
Strategien zur Umsetzung des Lernfeld-Konzepts
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Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich
auf die Themenschwerpunkte/ Leitfragen, welche die
Veranstalter dem Workshop 2 "Curriculumentwicklung"
im Rahmen der CULIK-Fachtagung am 12./13.06.2003 an
der Universität Hamburg vorgegeben hatten. Dementsprechend
ist der Text in Bereiche gegliedert. Innerhalb dieser
Bereiche werden zu den Leitfragen Thesen formuliert
und durch Erfahrungen und empirische Befunde aus dem
BLK-Modellversuchsverbund SELUBA inhaltlich untersetzt.
Hieran anschließende Empfehlungen geben Anregungen
für Lösungsansätze oder Weiterentwicklungen.
Weiterführende inhaltliche Konkretisierungen
zu einzelnen Thesen werden in Anhängen angeboten.
Auf Bezüge zu den im Modellversuch CULIK entwickelten
"Kriterien zur Erarbeitung von Lernsituationen"
(CULIK-Kriterien) wird an den entsprechenden Stellen
im Text hingewiesen.
1 Bereich 1: Umsetzung der Lernfelder in komplexe
Lehr-Lern-Arrangements
1.1 Welche Strategien zur Umsetzung des LF-Konzepts
wurden bislang bzw. werden derzeit erprobt?
These: Eine Erfolg versprechende Strategie besteht
darin, in den Schulen Bildungsgangkonferenzen einzurichten,
die didaktische Jahresplanungen (Schulcurricula, keinesfalls
nur "Stoffverteilungspläne") entwickeln.
Im Modellversuch SELUBA sind Konzepte zur Entwicklung
didaktischer Jahresplanungen im Bildungsgang weiter
entwickelt worden. Handreichungen liegen vor. Das
Instrument "didaktische Jahresplanung" wird
dennoch nicht in allen Schulen hinreichend genutzt.
Nach einer im Land Nordrhein-Westfalen durchgeführten
Evaluationsstudie (Deisenroth/Köbbing 2002) gaben
nur etwas mehr als ein Drittel der befragten Lehrerinnen
und Lehrer an, dass didaktische Jahresplanungen für
gemeinschaftliche Unterrichtsentwicklungen genutzt
werden.
Empfehlungen:
· Erweiterung der Lehrerfortbildung auf Schulebene
und überregionaler Ebene im Bereich einer systemischen
Beratung.
· Stärkere Verzahnung von Bildungsgangplanungen
mit den Schulprogrammen sowie im Rahmen der Schulorganisation
insgesamt.
Teamarbeit bei der Umsetzung des Lernfeld-Konzeptes
ist erforderlich und hat sich bewährt. Dennoch
sind Teamorganisation, Teamentwicklung, Teamarbeit
in vielen Schulen nur ansatzweise ausgeprägt.
Nach der oben angeführten Evaluationsstudie hält
fast zwei Drittel der befragten Lehrenden Teamarbeit
für notwendig und konstruktiv und sehen in ihr
auch eine Stützung der fachlichen Qualität
des Unterrichts. Gleichwohl entwickelt weniger als
die Hälfte der Lehrenden Lernsituationen tatsächlich
im Team.
Empfehlungen:
· Stärkung der Bildungsgangkonferenzen
(unter Einbezug der Lehrenden des berufsübergreifenden
Bereiches und des Differenzierungsbereiches)
· Einrichtung von Reflexionsseminaren zur Schulkultur
(Leitbild, kurz- und mittelfristige Programme...)
· Flexibilisierung des Schulmanagements.
1.2 Welche allgemeine Arbeitsstrategie kann für
die Konkretisierung der Lernfelder und die Umsetzung
in
Lernsituationen empfohlen werden?
These: Es kommt darauf an, nicht allein von den in
den Rahmenlehrplänen vorliegenden Lernfeldern
auszugehen, sondern nach Möglichkeit den Entwicklungsprozess
von der Identifizierung der Handlungsfelder bis zur
Beschreibung der Lernfelder zu rekonstruieren. (Handreichungen
hierzu liegen vor, s. Anhang 1.)
Handlungsfelder müssen im Zusammenhang mit Geschäfts-
und Arbeitsprozessen identifiziert und beschrieben
werden.
Empfehlung:
· Orientierung an den Ausbildungsordnungen
ergänzt um eigene Erfahrungen und Recherchen
der Lehrenden
Bezüge zu CULIK-Kriterien :
· 1. Zielgeleitete Modellierung
· 3. Zentrale Geschäftsprozesse identifizieren
und analysieren
· 7. Wissenspool
Handlungsfelder sind in den Vorgaben für die
KMK-Rahmenlehrplanausschüsse vielfach nicht erkennbar.
Handlungsfelder sind in manchen Berufen nur kurz-lebig.
Empfehlung:
· Prüfen einschlägiger Fachsystematiken
als ergänzende Grundlage für Lernfelder
unter den Aspekten: innovativ, grundlegend, exemplarisch
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 10. Komplexe Ausgangssituationen
· 14. Raum für systematisierende Lernphasen
· 18. Volkswirtschaftliche Bezüge herstellen
Lehrende haben Probleme mit der Transformation fachsystematisch
geordneter Sachverhalte auf Handlungsanforderungen
hin.
Empfehlungen:
· Erweitertes Selbstverständnis der Fachdidaktiken
entwickeln.
· Projektseminare, integriert für Studierende,
Referendare, Lehrkräfte.
In Berufsfeldern/Berufen/Fächern existieren unterschiedliche
Einschätzungen zur Bedeutung fachsystematisch
erarbeiteter Grundlagen als Voraussetzung für
das Lernen in Lernfeldern.
Empfehlung:
· Akzeptieren einer "didaktischen Pluralität"
sowie pragmatischer Lösungen.
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 8. Problemlernen
· 14. Raum für systematisierende Lernphasen
· 21. Handlungssituationen durchgängig
bearbeiten
2 Bereich 2: Gesamtcurriculum
2.1 Wie kann sichergestellt werden, dass der Zusammenhang
zwischen den Lernfeldern im Sinne eines ganzheitlichen
Lern- und Entwicklungsprozesses der Schüler gewahrt
wird?
These: Zusammenhang kann hergestellt werden durch
Verortung der Lernfelder in Geschäfts- bzw. Arbeitsprozessen
durch thematische Verknüpfungen, die in den Lernfeldern
selbst angelegt sind, durch Bezüge zu Fachsystematiken
und nicht zuletzt auch durch Lernfelder übergreifende
Projekte.
Bezüge zu CULIK-Kriterien:
· 3. Zentrale Geschäftsprozesse identifizieren
und analysieren
· 13. Wertströme abbilden und buchen
· 17. Projekte vorbereiten und anbahnen
3 Bereich 3: Gestaltungskriterien aus dem CULIK-Kontext
3.1 Welche Eignung sprechen Sie den in CULIK zusammengestellten
Gestaltungskriterien zu, im Hinblick auf die Erarbeitung
von Lernsituationen?
These: Die Kriterien geben sachlich fundierte und
praktikable Anregungen für die Gestaltung handlungsorientierter
Lehr-Lern-Arrangements. Hilfreich wäre eine weitere
Ausdifferenzierung in Bezug einerseits auf Human-
und Sozialkompetenz sowie andererseits auf unterschiedliche
Ausprägungen von Handlungsorientierung.
Eine Förderung der Entwicklung von Human- und
Sozialkompetenz ist besonders durch bestimmte Ausprägungen
von Handlungsorientierung zu erwarten (zur Erläuterung
und Konkretisierung s. Anhang 2). Hinsichtlich der
Orientierung der Lerngegenstände an Geschäftsprozessen
erscheint besonders relevant das Konzept "Zielgeleitete
Modellierung" (Kriterium 1 in Verbindung mit
3, 4, 5, 7, 13, 18). Das Problem der Systematisierung
und des Transfers von Wissen wird durch die Kombination
von "Dekontextualisierung" und "Rekontextualisierung"
perspektivenreich angegangen (Kriterien 6, 8, 9, 14,
15 in Verbindung mit 11 und 16).
4 Zusammenfassende Empfehlungen
· Bei der Entwicklung der KMK-Rahmenlehrpläne
sollte die Konstruktion der Lernfelder grundsätzlich
von beruflichen Handlungsfeldern ausgehen. Als weiteres
Bezugsfeld sollten jedoch systematisch auch die Fachwissenschaften
herangezogen werden, und zwar nicht nur zur inhaltlichen
Ausfüllung der aus Handlungsfeldern gewonnenen
Lernfelder, sondern darüber hinaus auch zur Identifizierung
und Begründung für die Kompetenzentwicklung
relevanter Lerninhalte, speziell unter den Aspekten:
Innovation, Exemplarik, Fundierung.
(Makroebene)
· Ausgehend vom Konzept der didaktischen Jahresplanung,
sollte im Rahmen der Schulentwicklung ein Netzwerk
von Funktionen und Maßnahmen geschaffen bzw.
weiter entwickelt werden, in dem die Professionalisierung
der Lehrenden insbesondere in Bezug auf curriculare
Planungskompetenz unterstützt wird. In Betracht
kommen vor allem: ein flexibles Schulmanagement, der
Aufbau von Teamarbeitsstrukturen, eine schulnahe Lehrerfortbildung.
(Mesoebene)
· Bei der Planung von Lehr-Lern-Arrangements
sollten die Lehrenden von Lernsituationen ausgehen.
Wie hierbei einerseits von den Lernenden selbst organisierte
mit stärker lehrergesteuerten Lernsequenzen integriert
und wie andererseits handlungssystematisch strukturierte
Problemlösungen mit fachsystematisch strukturierten
Inhalten erreicht werden können, dies sollte
in der Verantwortung der professionell Lehrenden liegen.
"Didaktische Pluralität" sollte in
Lehrerteams und Kollegien akzeptiert, aber insbesondere
auch als Anlass und Grundlage gegenseitiger Beratung
genutzt werden.
(Mikroebene)
Die Implementation des Lernfeld-Konzepts zeigt Fortschritte.
Nach der oben erwähnten Evaluationsstudie im
Modellversuch SELUBA-NRW befürworten die befragten
Lehrerinnen und Lehrer mehrheitlich das Konzept, allerdings
erkennt nur etwa ein Viertel eine vollständige
Umsetzung. In einer Typisierungsstudie zu Transformationsprozessen
bei der Arbeit mit dem Lernfeld-Konzept (Bader/ Müller
2002) zeigt sich eine zunehmende Akzeptanz durch die
Lehrenden bei längerer Einarbeitung. Das weitere
Gelingen der Implementation setzt entschiedene, wirksame
Unterstützungen auf allen Ebenen didaktischer
Planung und Entwicklung voraus. Wie wird die weitere
Entwicklung des Lernfeld-Konzepts verlaufen? Dass
es so schnell gar nicht abgelöst werden kann,
weil das hoch komplexe System der Lehrplanentwicklung
durch die KMK für eine solche Entscheidung viel
zu schwerfällig ist, dies ist keine ernst zu
nehmende Perspektive, denn es könnte von der
Praxis leicht unterlaufen werden. Vor allem aber haben
wir keine innovativen Alternativen. Das Lernfeld-Konzept
wird in der Praxis und in den Wissenschaften weiter
entwickelt werden: nicht im Verständnis dogmatischer
Festschreibung, sondern durch Reflexion von Erfahrungen
und durch zukunftweisende Ideen. Hierzu allerdings
bedarf es, wie mehrfach ausgeführt, der Unterstützung
durch förderliche Rahmenbedingungen. Es geht
um Handlungskompetenz und diese meint nicht eine pragmatistische
Haltung: "Probieren geht über Studieren",
auch nicht eine theoriegläubige: "Studieren
geht über Probieren", sondern die Orientierung
ist: "Probiergeleitetes Studieren gut ausbalanciert
mit studiergeleitetem Probieren".
5 Anhang
5.1 Anhang 1: Handreichung zum Konstruieren von Lernfeldern
(Auszug, ungekürzte Fassung s. www.SELUBA.de
oder Bader 2000 sowie in der Präsentation variiert
in Müller/Zöller (Hrsg.) 2001, Kap. 2.2
und Kap. 2.3)
Abb. 1: Zusammenhang zwischen Handlungsfeldern, Lernfeldern
und Lernsituationen (Bader/Schäfer 1998)
5.1.2 Ablaufstruktur zum Konstruieren von Lernfeldern:
acht curriculare Schritte
(Die unter 5.1.2. nachfolgenden curricularen Schritten
1 bis 8 aufgeführten Leitfragen sind nur Beispiele
aus der sehr viel umfangreicheren Liste in der Langfassung.
Sie dienen hier zur Veranschaulichung des Grades an
Konkretisierung.)
Handlungsfelder im Beruf und Ausbildungsbedingungen:
Schritt 1: Erfassen des Zusammenhangs zwischen dem
Beruf und Arbeitsprozessen
Fragen:
· In welcher Phase der Ablaufstruktur eines
sozio-technischen Handlungssystems sind die Tätigkeiten
des Berufs überwiegend angesiedelt (z. B. Fertigung)?
· Auf welcher Ebene der theoretischen Fundierung
sind die Tätigkeiten ein-zuordnen?
Schritt 2: Erfassen der Ausbildungsbedingungen im
Beruf
Fragen:
· Sind für den Beruf regionale Besonderheiten
zu beachten (z. B. Vernetzung mit regionalen Wirtschaftszentren,
quantitative Verdichtung in einzelnen Regionen)?
Schritt 3: Erfassen von Handlungsfeldern
Fragen:
· Welche Handlungsfelder charakterisieren den
Beruf, und in welchen Bezügen stehen sie zu den
in Schritt 1 erfassten Arbeitsprozessen?
· Welche dieser Handlungsfelder gehören
zum Grundbestand des Berufs (kommen regelmäßig
vor), welche sind eher randständig (kommen selten
oder nur in einigen Betrieben vor)?
Schritt 4: Beschreiben einzelner Handlungsfelder
Fragen:
· Welche Funktion erfüllt das Handlungsfeld
im gesamten Arbeitsprozess?
· Welche Kompetenzen bzw. Qualifikationen erfordern
die Tätigkeiten in diesem Handlungsfeld?
Vom Handlungsfeld zum Lernfeld:
Schritt 5: Beurteilen der erfassten Handlungsfelder
hinsichtlich ihrer Eignung als Grundlage für
Lernfelder (Grobeinschätzung) und Auswahl von
Handlungsfeldern
Fragen:
· Welche der erfassten Handlungsfelder sind
nach Maßgabe der Grobkriterien (Differenzierung
dieser Grobkriterien in Schritt 6, Schritt 7 und Schritt
8)
- Gegenwartsbedeutung,
- Zukunftsbedeutung,
- grundlegende und exemplarische Bedeutung
als Grundlage für eine Transformation zu Lernfeldern
- "voll geeignet" (kann nach geringfügiger
didaktischer Transformation zu einem Lernfeld ausgestaltet
werden),
- "teilweise geeignet" (bedarf der Ergänzung
und/oder Kürzung, jedenfalls der Umgestaltung),
- "nicht geeignet" (scheidet als Orientierung
für ein Lernfeld aus)?
· Welche der erfassten Handlungsfelder sind
erforderlich, um die Arbeits-prozessstruktur abzubilden?
Schritt 6: Transformieren der ausgewählten Handlungsfelder
zu einem Arrangement von Lernfeldern
Fragen:
· Um welche Handlungsgebiete oder -aspekte
müssen die Lernfelder insgesamt erweitert werden,
damit sie über die Entwicklung von Fachkompetenz
hinaus auch die Entwicklung von Human- und Sozialkompetenz
fördern?
· Ist die in den Handlungsfeldern anzutreffende
Ebene der theoretischen Fundierung der Berufstätigkeiten
angemessen oder sollte sie unter Berücksichtigung
der Voraussetzungen der Lernenden gesenkt oder auch
angehoben werden? (Theoriebezug)
Schritt 7: Ausgestalten und Formulieren der einzelnen
Lernfelder nach den Vorgaben der KMK-Handreichung
Fragen:
· Welche Kompetenzen (in den Dimensionen von
Fach-, Human- und Sozialkompetenz) sollen in diesem
Lernfeld besonders entwickelt werden?
· Auf welchen größeren Arbeitsprozess
und auf welche Teilprozesse bezieht sich das Lernfeld?
Vom Lernfeld zur Lernsituation:
Schritt 8: Ausgestalten und Formulieren von Lernsituationen
durch Konkretisieren der Lernfelder unter Orientierung
an den Handlungsfeldern
Fragen:
· Durch welche Lernsituationen kann ein bestimmtes
Lernfeld konkretisiert werden?
· Auf welchen größeren Arbeitsprozess
und auf welche Teilprozesse bezieht sich das Arrangement
von Lernsituationen? In welcher Weise sind die Lernsituationen
innerhalb des Lernfeldes aufeinander bezogen?
5.2 Anhang 2: Ausprägungen von Handlungsorientierung
in der Berufsbildung
"Berufliche Handlungskompetenz" ist heute
als Leitziel der Berufsbildung weithin akzeptiert.
In der Didaktik korrespondiert dieses Leitziel mit
der Konzeption handlungsorientierter Ausbildung bzw.
handlungsorientierten Unterrichts. Zugrunde liegt
die Hypothese, dass Handlungskompetenz durch solche
Lehr-Lern-Arrangements besonders gefördert werden
kann, in denen die Lernprozesse sich an Handlungen
orientieren. Worin diese Orientierung an Handlungen
genauer bestehen soll, hierüber gibt es sehr
unterschiedliche Vorstellungen, teilweise auch Begriffsunschärfen,
und beides führt in der praktischen Didaktik
zu vielfältigen Missverständnissen, überzogenen
Erwartungen an den Praxisbezug der Schule, bisweilen
gar zu unreflektierten Aggressionen gegenüber
dem Ziel der Handlungskompetenz überhaupt. Derlei
Unklarheiten und Missverständnisse erschweren
professionelle Diskussionen über angemessene
Formen einer Konkretisierung von Handlungsorientierung
in Lehr-Lern-Prozessen. Sie reichen von der Konstruktion
der Lernfelder in den KMK-Rahmenlehrplanausschüssen
über Verständigungen zwischen Betrieben
und Berufsschulen hinsichtlich der Praxisorientierung
des Unterrichts über das Verständnis von
Berufsorientierung in studienqualifizierenden Bildungsgängen
bis hin zu unbefriedigenden Auseinandersetzungen bei
der Beurteilung von Lehrproben darüber, was an
Handlungsorientierung erwartet und was geboten wurde.
Als ein Ergebnis von Literaturstudien, insbesondere
aber auch zahlreicher Gespräche mit Fachleuten
aus Schule, Betrieb, Bildungsplanung, Curriculumentwicklung
erkenne ich eine ganze Reihe unterschiedlicher Ausprägungen
im Verständnis von Handlungsorientierung und
diese Ausprägungen differenzieren sich in konkreten
didaktischen Planungen mehr oder weniger variantenreich
aus.
Bei den nachfolgend aufgeführten Ausprägungen
handelt es sich um eine Auswahl mit Bezug auf die
in dem vorliegenden Beitrag zum Lernfeld-Konzept getroffenen
Aussagen (zur vollständigen Analyse s. Bader
2002).
1. Handlungsorientierung der betrieblichen Ausbildung
an "vollständigen Handlungen", die
selbständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren
bzw. Bewerten beruflicher Arbeit einschließen.
Hinsichtlich dieser noch recht allgemeinen Orientierung
besteht sowohl in der ausbildenden Wirtschaft als
auch in der Berufsschule weitgehend Konsens, doch
fehlen in der Ausbildungspraxis vielerorts noch Entsprechungen
durch geeignete Formen der Ausbildungs- und Arbeitsorganisation,
die vollständige Handlungen tatsächlich
auch zulassen. In diesem Verständnis dient Handlungsorientierung
der Zielklärung beruflicher Bildung.
2. Handlungsorientierung als psychologisch begründete
Strukturierung aller Lernprozesse - meist auf der
Basis von kognitionspsychologischen Theorien, von
Handlungsregulationstheorien oder von pragmatischen
Verbindungen beider Theoriestränge.
Hiernach erfolgt Lernen grundsätzlich an Handlungen
orientiert, wobei der Begriff Handlung auch gedankliche
Konstruktionen umfasst und Handlungs-orientierung
des Lernens sich auch auf das gedankliche Nachvollziehen
von Handlungen anderer beschränken kann (Beispiel:
Lernen aus einem Lehrbuch, das politische Kontroversen
um die Entstehung eines Gesetzes, Experimente in den
Naturwissenschaften, wirtschaftsgeographische Zusammenhänge,
Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen oder
historische Entwicklungen anschaulich und nachvollziehbar
darstellt). Bei der Planung von Lernprozessen muss
Handlungsorientierung in diesem psychologischen Verständnis
unbedingt berücksichtigt werden, weil Lernen
sonst erschwert, wenn nicht gar verhindert wird. Sie
ist eine Art Artikulationsschema.
3. Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen,
in denen die Lernenden möglichst durch selbständiges
Handeln lernen, mindestens jedoch durch aktives Tun,
jedenfalls nicht allein durch gedankliches Nachvollziehen
von Handlungen anderer.
Handlungsorientierung in diesem Verständnis ist
nicht nur in der Praxis der betrieblichen Ausbildung,
sondern auch im Unterricht der Schule anzustreben
und so weit wie möglich auszudehnen, weil hierdurch
Anschaulichkeit, differenziertere Problemsicht, Motivation,
intensivere Verknüpfung neuer Einsichten mit
vorangegangenen Erfahrungen, länger anhaltendes
Behalten des Gelernten gefördert werden. (Beispiel:
Lernen im Lernbüro, an Fallstudien, in Rollenspielen,
an praktisch durchgeführten Experimenten oder
am Projekt). Diese Handlungsorientierung als eine
Art Unterrichtsprinzip in der Praxis zu realisieren,
dies wird je nach Lerninhalten, Medienausstattung
und organisatorischen Rahmenbedingungen sowie auch
je nach Lehrerkompetenz mehr oder weniger schwierig
sein. In vielen Schulen zeigen sich bereits ermutigende
Ergebnisse. Besonders erfreulich ist die immer wieder
geäußerte persönliche Zufriedenheit
der Lehrerinnen und Lehrer, die diese Unterrichtsgestaltung
praktizieren.
4. Handlungsorientierung als Lernen an konkreten
Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter
Erkenntnisse (zum Beispiel der Naturwissenschaften)
feststeht, sondern offen ist.
Dies trifft für alle Situationen zu, in denen
Menschen mehr oder weniger weite Handlungsspielräume
haben, die sie auf ihre Weise nutzen bzw. ausgestalten
können. Handlungen sind dann Voraussetzungen
für den Zugewinn an Erkenntnissen, die sich sowohl
aus zweckrationalem als auch aus kommunikativem Handeln
bzw. einer Synthese beider Handlungstypen ergeben
können. Auf den jeweiligen Handlungsplan gewendet:
Die Leistungsfähigkeit des Handlungsplans lässt
sich erst durch tatsächliches Ausführen
der geplanten Handlung beurteilen. (Beispiele: Prüfung
der Effizienz eines Bearbeitungsablaufs zur Regulierung
von Versicherungsfällen, Beurteilung der Richtigkeit
eines Schaltplans durch Aufbau und Überprüfung
der Schaltung, Erprobung einer Lösungsstrategie
bei der Fehlersuche durch Aufspüren und Beseitigen
einer Störung, Beurteilung einer Argumentation
durch deren Erprobung in einer Gruppendiskussion).
Im Falle von Aufgabenstellungen bzw. Problemen, die
prinzipiell offene Lösungen zulassen, kann das
Lernpotential nur durch eine Handlungsorientierung
in diesem Verständnis voll ausgeschöpft
werden; bei der Beschränkung auf eine nur gedankliche,
allgemeine Handlungsstrukturierung (im Verständnis
nach Punkt 3), d.h. ohne eigenes konkretes Handeln,
sind allenfalls Teileinsichten zu erwarten. Handlungsorientierung
nach diesem Verständnis ist eine Erkenntnismethode.
5. Handlungsorientierung als Planung und Gestaltung
von Lernprozessen mit dem Ziel der Fähigkeit,
aus gewonnenen Erkenntnissen (im weitesten Sinne)
gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, d.h. der
Einsicht die Tat folgen zu lassen, um vorgefundene
Situationen in Richtung auf als erstrebenswert erkannte
Ziele mit den geplanten Methoden zu verändern.
Dieses Verständnis von Handlungsorientierung
dürfte in manchen Kreisen Argwohn hervorrufen.
Aus einer verengten Sicht von Bildung könnte
die Gefahr einer "Politisierung" der Bildungseinrichtungen
gesehen werden. (Beispiele: Beseitigen von Gefahrenstellen
an Arbeitsplätzen, Verweisen auf Umweltschäden,
Ändern von Ausbildungsplänen oder Schulordnungen,
Hinweis der Öffentlichkeit auf gesellschaftliche
Ungerechtigkeiten durch Schülerzeitungen, Pressemitteilungen,
Flugblätter, Demonstrationen). Der in den Landesverfassungen
begründete Bildungsauftrag der Schulen verpflichtet
diese, den Prozess zur Entwicklung von Mündigkeit,
zur Persönlichkeitsentfaltung in sozialer Verantwortung,
bestmöglich zu fördern. Deshalb ist in der
Didaktik der Schulen auch diese Dimension von Handlungsorientierung
unverzichtbar. Dies bedeutet nicht die Aufforderung
der Schülerinnen und Schüler zu politischem
Aktionismus, wohl aber das stetige Bestreben, zum
Durchschauen und Verstehen von Sachverhalten und Zusammenhängen
anzuleiten, Urteilsbildung und Werteentwicklung zu
fördern sowie das verantwortungsbewusste Nachdenken
über Handlungsalternativen und -möglichkeiten
zu unterstützen.
6. Handlungsorientierung als Merkmal unternehmerischer
Selbständigkeit.
In unternehmerischer Selbständigkeit kommt Handlungsorientierung
mit hoher Komplexität, großem Engagement
und Kreativität sowie insbesondere auch mit individueller
Selbständigkeit und Verantwortung zum Tragen.
"Denken und Handeln aus der Perspektive unternehmerischer
Selbständigkeit" steigert vermutlich auch
die Handlungskompetenz für abhängige Beschäftigung.
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