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MICHAEL
GAITANIDES und INGMAR ACKERMANN
Die Geschäftsprozessperspektive als Schlüssel
zu betriebswirtschaftlichem Denken und Handeln
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1 Einführung
2 Epistemologische Perspektiven der Prozessorganisation
2.1 Prozessorganisation - die praxeologische Perspektive
2.2 Prozessorganisation - die ökonomische Perspektive
2.3 Prozessorganisation - die konstruktivistische
Perspektive
3 Elemente des Prozessmodells
3.1 Ablösung funktionaler Organisationsprinzipien
3.2 Kundenorientierung
3.3 Informationstechnologische Unterstützung
4 Phasen der Prozessgestaltung
4.1 Prozessidentifikation
4.2 Prozessdesign/-modellierung
4.3 Prozessimplementierung
5 Interorganisationale Prozessorganisation
- von der Innensicht zur Außensicht
Literatur
1 Einführung
Seit gut einem Jahrzehnt finden prozessorientierte
Methoden der Reorganisation großes Interesse
sowohl in der Unternehmenspraxis wie auch in der betriebswirtschaftlichen
Fachliteratur. Als gemeinsames Ziel dieser Ansätze
lässt sich das Streben nach kostengünstigeren,
schnelleren und fehlerfreieren unternehmensinternen
Prozessen identifizieren. Kurzum: Die Abläufe
sollen insgesamt effizienter werden. Weitgehend unberücksichtigt
bleibt angesichts des operativen Optimierungsstrebens
jedoch oftmals die Frage nach der Gesamtkonzeption
des Prozessmanagements.
Im Rahmen dieser Arbeit soll Prozessmanagement als
ein mögliches Konzept zur Effizienzsteigerung
und Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit
dargestellt werden. Dabei möchten wir uns nicht
jener Euphorie anschließen, welche unter den
Schlagworten "Prozessmanagement", "Business
(Process) Reengineering" oder einfach "Reengineering"
zu einer "Business Revolution", einem "völligen
Neubeginn" oder einer "Radikalkur für
das Unternehmen" (vgl. Hammer/ Champy 1994) auffordert.
Statt dessen soll veranschaulicht werden, was Prozessmanagement
bedeutet, was es leisten kann und wie es als Managementkonzept
in einem Unternehmen eingeführt werden kann.
In diesem Sinne soll der vorliegende Beitrag Aufklärung
und Anregung zugleich bieten, um der Gefahr der oberflächlichen
Rezeption der Ideen des Prozessmanagements entgegen
zu wirken.
2 Epistemologische Perspektiven
der Prozessorganisation
Was Prozessorganisation ist und was sie leisten soll,
kann aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.
Vereinfachend lässt sich eine praxeologische,
eine ökonomische und eine konstruktivistische
Perspektive unterscheiden.
2.1 Prozessorganisation - die praxeologische Perspektive
Im deutschen Sprachraum werden seit Nordsieck und
Kosiol organisatorische Gestaltungsprobleme in Aufbau-
und Ablauforganisation unterschieden (vgl. Nordsieck
1934; Kosiol 1962)(Im angelsächsischen Raum ist
diese Zweiteilung unüblich. Unter "Organization"
wird in aller Regel nur die Aufbauorganisation verstanden.
Ablauforganisatorische Gestaltungsfragen wurden bis
vor einigen Jahren vereinzelt im Rahmen des "Industrial
Engineering" oder "Production Management"
diskutiert. Seitdem Geschäftprozesse in den Mittelpunkt
der Betrachtung gerückt sind, zeigt sich auch
hier eine größere Berücksichtigung
ablauforganisatorischer Phänome, z.B. im Kontext
eines "Business Process Reengineering" oder
neuerdings im "Supply Chain Management".).
Unter Zugrundelegung einer praxeologischen Perspektive
leitet sich die "prozessorientierte Organisation"
aus dieser klassischen Differenzierung ab (vgl. Gaitanides
1983), die sich zum einen auf den Aufbau der Unternehmung
als Gebilde und Beziehungszusammenhang sowie zum anderen
auf den Ablauf des Geschehens in der Unternehmung
als Arbeitsprozess erstreckt (vgl. Kosiol 1962, S.
32).
Formale aufbauorganisatorische Gestaltungsmaßnahmen
sind also solche, die Einfluss auf die Gliederung
von Organisationen in Teileinheiten, die Anzahl der
Hierarchiestufen, die Stellenbildung sowie die Zuordnung
von Weisungsbefugnissen haben. Zu diesen strukturbildenden
Maßnahmen zählen auch Aspekte der Institutionalisierung
des Prozessmanagements, die sich in der Schaffung
eigenständiger organisatorischer Einheiten und
Funktionen widerspiegeln.
Die Ablauforganisation legt hingegen fest, wie die
operativen Prozesse durch die aufbauorganisatorisch
determinierten Strukturen laufen. Sie beinhaltet die
Gestaltung der Arbeitsprozesse innerhalb einer gegebenen
Stellenaufgabe, die im Zuge der aufbauorganisatorischen
Gestaltungsmaßnahmen entstanden sind. Während
die Aufbauorganisation also etwas mit der Bildung
von organisatorischen Potenzialen zu tun hat, steht
im Rahmen der Ablauforganisation der Prozess ihrer
Nutzung im Vordergrund (vgl. Gaitanides 1992, Sp.
1). Analog spricht Kosiol von der Aufbauorganisation
als "Bestandsphänomen" und von der
Ablauforganisation als "Prozessphänomen"
(Kosiol 1962, S. 186).
Der einer Stelle damit zugewiesene Arbeitsgang ist
in einer Wertschöpfungskette mit Arbeitsgängen
vor- und nachgelagerten Stellen verknüpft. "Prozessoptimierung"
kann aus dieser Sicht verstanden werden als vertikale,
gegebenenfalls auch horizontale Abstimmung von Arbeitsgängen
in mengenmäßiger und zeitlicher Hinsicht
innerhalb einer gegebenen aufbaustrukturellen Logik.
Obwohl schon Kosiol betonte, dass es sich bei der
gedanklichen Abstraktion von Aufbau und Ablauf zwar
um einen methodisch wichtigen Vorgang handelt, der
im Wesentlichen aber doch den gleichen Tatbestand
des Wirtschaftsgeschehens in der Unternehmung umschreibt,
so wurde jedoch faktisch die Ablauforganisation von
der Aufbauorganisation dominiert. Die Ablauforganisation
degenerierte quasi zum Lückenbüßer:
Während die Aufbauorganisation die Prämissen
setzte, wurden die Abläufe zu einer nachgeordneten,
möglichst algorithmisierbaren Angelegenheit (vgl.
Osterloh/Frost 1994, S. 358). Zur Verwirklichung des
Ganzheitlichkeitsanspruches des Prozessmanagements
sollte daher die ablauforganisatorische Dimension
in den Vordergrund gerückt und das Unternehmen
als Verknüpfung von Flüssen und Prozessen
betrachtet werden (vgl. Fantapié-Altobelli/
Gaitanides 1999, S. 596). Prozessorientierte Organisationsgestaltung
folgt diesem Gestaltungsmuster. Das bedeutet, dass
Arbeitsgänge und Arbeitsgangfolgen unabhängig
von dem aufbauorganisatorischen Kontext zu entwerfen
und Stellen erst auf der Basis integrierter Verrichtungskomplexe
zu bilden sind. Anstelle der Logik "Ablauforganisation
folgt Aufbauorganisation" gilt nun: "Aufbauorganisation
folgt Ablauforganisation".
2.2 Prozessorganisation - die ökonomische Perspektive
Die ökonomische Perspektive des Prozesskonzepts
besteht in der Anwendung der Transaktionskostentheorie
auf die interne Organisation (vgl. Williamson 1985;
Theuvsen 1997, S. 972 ff.). Zwischen Funktional- und
Spartenstruktur gibt es hybride Strukturmuster, die
das Verrichtungs- und Objektmodell miteinander verknüpfen.
Die Prozessorganisation verbindet Verrichtungs- mit
Objektzentralisation, wobei produkt-, kunden- oder
projektgruppenspezifische Varianten der Spezialisierung
gewählt werden können. Tabelle 1 verdeutlicht
den Zusammenhang.
Den Segmentierungsalternativen lassen sich idealtypisch
bestimmte Koordinationsinstrumente zuordnen, mit denen
Transaktionen zwischen Organisationseinheiten abgewickelt
werden sollen. Funktionale Spezialisierung korrespondiert
mit hierarchischer Koordination, produkt- oder kundenorientierte
Differenzierung mit internen Marktbeziehungen (Verrechnungspreissystemen).
Zur Koordination der prozessinternen crossfunktionalen
Transaktionen, d.h. der Aktivitäten eines Prozesses,
haben sich teamartige Kooperationsstrukturen als effiziente
Abstimmungsinstrumente herausgebildet. Selbstabstimmung
bezweckt - im Unterschied zur Arbeitsverteilung in
der klassischen Ablauforganisation - immer auch einen
integrierten Prozessvollzug.
Tabelle 1: Segmentierungsmodelle
Der Informations- und Leistungsaustausch zwischen
den Prozessteams bzw. den "process ownern"
werden durch langfristige Vereinbarungen ("service
level agreements") abgestimmt. Die Schnittstellen
zwischen Prozessen werden als Kunden-Lieferanten-Beziehungen
definiert, Verrechnungspreise als Koordinationsinstrumente
indessen eher selten genutzt. Vielmehr bietet sich
"inside contracting" (Williamson 1985, S.
68 ff.) als geeignetes Koordinationsinstrument an.
Williamson unterscheidet institutionelle Kooperationsformen
hinsichtlich einer Reihe von Effizienzkriterien, die
sich auf die Höhe der Transaktionskosten auswirken
(vgl. Williamson 1991, S. 277 f.):
-
die Anreizintensität als das Ausmaß
intrinsischer oder extrinsischer Motivation,
die Anpassungsfähigkeit als Fähigkeit,
autonom oder kooperativ auf Änderung von
-
Umweltparametern reagieren zu können,
das Ausmaß des Vertrauens auf bürokratische
Steuerung und Kontrolle, das opportunistisches
bzw. suboptimales Verhalten der Transaktionspartner
verhindern kann (Governance-Vertrauen),
-
die Kosten der Etablierung und Nutzung des Koordinationssystems.
-
Darüber hinaus müssen bei der Betrachtung
von Koordinationskosten auch Produktionskostenunterschiede
berücksichtigt werden (vgl. Theuvsen 1997,
S. 985), die sich vor allem aus Skaleneffekten
ergeben.
Die Effizienz der alternativen Koordinationsformen
ist in Abbildung 1 zusammengefasst.
Abb. 1: Effizienz alternativer Koordinationsmuster
Die Höhe der Transaktionskosten wird von den
Transaktionsbedingungen Spezifität, Unsicherheit
und Häufigkeit bestimmt. Prozessorientierte Integration
ist besonders effizient bei einem standardisierbaren,
nicht auf eine spezielle Verwendungsmöglichkeit
zugeschnittenen Leistungsaustausch. Ist der für
die Austauschprozesse benötigte Ressourceneinsatz
hoch spezifisch, oder handelt es sich um unspezifische,
auch über externe Märkte beziehbare Standardleistungen,
dann verliert die prozessorientierte Integration ihre
ökonomischen Vorteile (vgl. Göbel 2002,
S. 248). Markteffizienz einerseits und Ressourceneffizienz
andererseits schaffen Bedingungen, welche die Effizienz
des Prozessmodells begrenzen. Besonders sichere bzw.
unsichere Transaktionsbedingungen, hervorgerufen z.B.
durch das Ausmaß an Marktdynamik, sind daher
ebenfalls nicht die Domäne der prozessorientierten
Integration. Nicht anders verhält es sich mit
der Häufigkeit, mit der sich Transaktionen wiederholen.
Auch hier liegt die Vorteilhaftigkeit der Prozessorganisation
bei mittlerer Wiederholungshäufigkeit, wobei
sehr hohe Wiederholungshäufigkeit eine Spezialisierung
des Ressourceneinsatzes, geringe Wiederholungshäufigkeit
indes eine marktliche Dezentralisierung effizient
erscheinen lässt. Die prozessorientierte Integration
entfaltet ihre Vorteile als effizienter Koordinationsmechanismus
immer dann, wenn die Austauschbeziehungen nicht extremen
Ausprägungen von Spezifität, Unsicherheit
und Häufigkeit des organisationsinternen Leistungsaustausches
unterworfen sind.
2.3 Prozessorganisation - die konstruktivistische
Perspektive
Mit dem Anliegen, die funktionale Arbeitsteilung
zu überwinden, die Aufgabenspezialisierung durch
Abteilungsgrenzen überschreitende, schnittstellenfreie
Geschäftsprozesse zu ersetzen und ganzheitliche,
selbstbestimmte Arbeit zu ermöglichen, wird fraglos
ein für Betroffene und Beteiligte attraktives
Modell organisatorischer Koordination entworfen. Es
vermittelt ihnen, warum in der Vergangenheit Wandlungsbedarf
aufgetreten ist, und welche besseren organisatorischen
Lösungen sich in Zukunft bieten.
Begriffliche Konstrukte wie Geschäftsprozess,
Prozessorganisation und Prozessmanagement sind plastisch
und bildhaft. Sie lassen sich leicht verständlich
machen, ihrer Sinnhaftigkeit vergewissern und kommunizieren.
Sie eröffnen Interpretationsspielraum, aus dem
heraus jeder Betroffene seine Alltagserfahrung kommentieren
und mitteilen kann. Interpretationen erlauben den
Adressaten der Botschaft Bedeutungszuweisungen auf
Basis der eigenen Lebenserfahrung, ihren Überbringern
visionäre und pragmatische Kompetenz.
"Prozessorganisation" ist ein Konstrukt,
das erst durch Kommunikation und Interaktion, also
durch Sprache vermittelt, zur Realität wird -
ebenso wie das, was ein Prozess ist und was er leistet.
Erzeugung und Etablierung der Prozessorganisation
erhalten durch Kommunikation ihre faktische Geltung.
In dem über Prozesse und ihre Organisation kommuniziert
wird, werden sie zur Realität. Prozessorganisation
ist in diesem Sinne nicht ein an einer Rezeptur oder
an einem Referenzmodell festzumachendes organisatorisches
Design, sondern eine kollektiv erzeugte und mithin
sozial konstruierte Realität. Aus Interpretationen,
Bedeutungszuweisungen und geistigen Konstrukten entwickelt,
hat sie sich zu Strukturen verfestigt und ist doch
immer wieder Objekt neuer Rekonstruktionen geworden.
Die Reichweite der Konstruktionsmuster erstreckt sich
von der Organisationstechnik bis hin zur Theorie der
Unternehmung.
So eignet sich Prozessorganisation in besonderer Weise
als "Redeinstrument", da sie als Orientierungsmuster
zum Verständnis komplexer Koordinationsprobleme
zur Verfügung steht, was ihren herausragenden
Stellenwert in der Sprache der Organisierenden begründet.
Mittlerweile hat sie den Rang einer gesellschaftlichen
Institution des Organisierens erhalten. Sie ist die
programmatische Metapher für Modernität
in Wirtschaft und Verwaltung, als DIN-Norm formalisiert
und in Lehrplänen verewigt.
3 Elemente des Prozessmodells
Trotz der vielfältigen Beiträge zum Thema
Prozessmanagement/ Prozessorganisation gibt es konzeptionelle
Gemeinsamkeiten, die im Folgenden dargestellt werden.
3.1 Ablösung funktionaler Organisationsprinzipien
Das fraglos wichtigste Fundament stellt das Prozesskonzept
dar. Es beinhaltet die Ablösung von funktionalen
Organisationsprinzipien durch eine konsequente Orientierung
auf bereichsübergreifende Geschäftsprozesse.
Gleichwohl können sich organisatorische Gestaltungsmaßnahmen
grundsätzlich sowohl auf die Ablauforganisation,
und somit auf institutionale Probleme und Bestandsphänomene,
als auch auf die Aufbauorganisation als raumzeitliche
Strukturierung der Arbeits- und Bewegungsvorgänge
beziehen. Ein entsprechendes organisatorisches Design
unterscheidet Kern- und Supportprozesse. Währende
erstere in der Regel auf externe Kunden ausgerichtet
sind und Wettbewerbsvorteile generieren, sollen Letztere
für interne Kunden bzw. andere Geschäftsprozesse
Leistungen erzeugen. Schnittstellen zwischen Bearbeitungsschritten
können so entfallen, mit dem Ziel Abstimmungsaufwand
zu reduzieren.
Eine Funktion ist das Ergebnis einer strukturorganisatorischen
Zusammenfassung einer oder mehrerer Teilaufgaben.
Dies kann stellenbezogen eine einzelne Tätigkeit
oder stellenbereichsbezogen eine Abteilung sein. Somit
sind stellen- oder abteilungsgebundene Arbeitsumfänge
und -inhalte die Schwerpunkte der funktionalen Sichtweise.
Wird nun jeder Bereich bzw. jede Abteilung nach spezifisch
funktionalen Zielsetzungen für sich optimiert,
so entspricht diese Gestaltung organisatorischer Strukturen
der herkömmlichen Strategie der "funktionalen
Exzellenz" (vgl. Gaitanides/Scholz/Vrohlings
1994, S. 11). Für einfache Tätigkeiten,
die nur einen geringen Vernetzungsgrad bei geringer
inhaltlicher Abhängigkeit aufweisen, sind die
hieraus resultierenden stark arbeitsteiligen Strukturen
sinnvoll und vorteilhaft. Mit zunehmender Komplexität
der Produkte und der dazugehörigen Tätigkeiten
stellt sich jedoch die Annahme, die Summe einzeln
optimierter Abteilungen führe auch zu einem ganzheitlichen
Optimum, als Trugschluss heraus. Als Ursache hiefür
wird in der Literatur oftmals ein so genannter Ressort-
bzw. Bereichsegoismus genannt, welcher durch unterschiedliche
abteilungsbezogene Zielsetzungen nur zu suboptimalen
Gesamtlösungen führt. Gleichzeitig verursacht
dieses Bereichsdenken Schnittstellen und erhöht
somit den Koordinationsbedarf zwischen den einzelnen
Wertschöpfungsstufen.
Immer häufiger wird daher der Prozessorganisation
Vorrang gegenüber funktions- und objektbezogenen
Strukturierungsprinzipien eingeräumt. Bei Prozessen
handelt es sich um Objekte, die funktionsübergreifend
angelegt ist. Ein Prozess ist eine zeitlich und räumlich
spezifisch strukturierte Menge von Aktivitäten
mit einem Anfang und einem Ende sowie klar definierten
Inputs und Outputs. Zusammenfassend: "A structure
for action". Hammer/Champy definieren Prozesse
als Gruppen verwandter Aufgaben, die zusammen für
den Kunden ein Ergebnis von Wert ergeben (vgl. Hammer/Champy
1993, S. 52). Kundennutzen entsteht nicht durch die
Einzelaktivitäten einzelner Vorgänge oder
Teilprozesse, sondern durch das Bündeln von Teilleistungen,
die in ihrer Ganzheit einen identifizierbaren Wert
für Kunden enthalten. Prozesse sind danach Tätigkeitsfolgen,
die Kundenwert schaffen.
Obwohl sich diese Sichtweise inzwischen längst
durchgesetzt hat, überwiegt dessen ungeachtet
eine funktionsorientierte Denkweise in der Praxis
(So zeigt bspw. eine empirische Untersuchung von Braßler/Schneider,
dass lediglich 50 v.H. der Vertreter von Automobilherstellern
die Organisation ihrer Unternehmen als prozessorientiert
einstufen, bei den Zulieferern sind es weniger als
20 v.H. Vgl. Braßler/Schneider 2001, S. 149.).
Diese hat zur Folge, dass die Aufbaustruktur die Freiheitsgrade
bei der Prozessgestaltung erheblich einschränkt
und wesentliche Potenziale zur Optimierung der Abläufe
verloren gehen. In einer funktionsorientierten Organisation
gibt es gegenüber dem prozessorientierten Äquivalent
erheblich mehr Schnittstellen, die bei der Auftragsabwicklung
überwunden werden müssen. Da Schnittstellen
immer auch Liegestellen und Irrtumsquellen sind, ist
eine solche Organisationsform als ineffizient zu bezeichnen.
Der grundlegende Unterschied zwischen einer funktionsorientierten
und einer prozessorientierten Organisationsgestaltung
wird in Abbildung 2 verdeutlicht.
Abb. 2: Unterschied zwischen einer funktions- und
prozessorientierten Organisationsgestaltung
Ziel der Prozessorganisation ist es, möglichst
durchgängige, schnittstellenfreie Prozesse zwischen
Beschaffungs- und Absatzmarkt zu gestalten. Die konsequente
Orientierung an Prozessen ermöglicht Transparenz
über diese, über deren Ressourcenverzehr
und deren Beitrag zur Wertschöpfung. Damit kann
sowohl die Flexibilität als auch die Beherrschung
von Unternehmensabläufen gefördert und die
nachhaltige Differenzierung vom Wettbewerb erreicht
werden. Allein die Transparenz der crossfunktionalen
Abläufe innerhalb von Unternehmen deckt Ineffizienzen
durch Schnittstellen, Liegezeiten oder Doppelspurigkeit
auf. In diesem Sinne wird mit der Prozessorientierung
ein Weg zu Rationalisierungsvorteilen beschritten.
Denn prozessorientiertes Denken initiiert eine kontinuierliche,
inkrementale Verbesserung der Organisation, ohne dass
endgültige Zielzustände vorgegeben werden.
Reorganisationsbemühungen müssen aus diesem
Grunde crossfunktional und prozessorientiert ablaufen,
so dass Abstimmungsverluste und Suboptima minimiert
werden (vgl. Gaitanides/Scholz/Vrohlings 1994, S.
12f.).
3.2 Kundenorientierung
Ein zweites wesentliches Element ist die Kundenorientierung.
Intern wie extern orientierte Prozesse werden an ihren
Leistungen für Kunden beurteilt und ihre Wertschöpfung
am Kundennutzen gemessen. Leistungsniveaus, sogenannte
"service level agreements", werden zwischen
den "process ownern" ausgehandelt. Benchmarking
und Outsourcingentscheidungen von Prozessen orientieren
sich an dem Kriterium "Kundennutzen".
Die kundenorientierte oder vorgangsorientierte Rundumbearbeitung
als ein weiteres Element erfolgt durch teamartige
Zusammenarbeit in den "process"- oder "case"-Teams.
Sie sollen Vorgänge ganzheitlich und integrativ
bearbeiten, um die Servicequalität des Prozesses
zu verbessern und Durchlaufzeiten zu verringern. Entsprechend
der Komplexität des Bearbeitungsvorganges einzelner
Objekte bzw. Objektgruppen lassen sich Prozesse nach
Produkt-, Kunden-, Lieferantengruppen segmentieren.
Kundenorientierung und integrierte Rundumbearbeitung
setzen voraus, dass Mitarbeiter ausreichende Handlungsspielräume
besitzen und befähigt werden, nutzenstiftende
Initiativen zu entfalten ("empowerment").
3.3 Informationstechnologische Unterstützung
Bei der Durchführung von Geschäftsprozessen
werden Informationen benötigt, erzeugt, gespeichert,
verarbeitet und zur Verfügung gestellt. Nur wenn
diese Informationen bestimmten Qualitätskriterien
genügen, können Prozesse erfolgreich generiert,
strukturiert und beherrscht werden, so dass der Output
hinsichtlich Zeit, Kosten und Qualität den geforderten
Normen entspricht. Ein typischer inhaltlicher Schwerpunkt
von Beiträgen zur Prozessorganisation ist deshalb
die Betonung der Rolle der Informations- und Kommunikations-(IuK-)technologie
als Katalysator bei der Optimierung von Geschäftsprozessen.
Dabei wird herausgestellt, dass IuK-Technologie neben
der Unterstützung bereits bestehender Prozesse,
auch grundlegend neue organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten
eröffnet. Im Zusammenhang mit einem prozessorientierten
Informationskonzept stehen insbesondere Begriffe wie
Prozessstrukturtransparenz und Prozessleistungstransparenz.
Transparenz ist der Schlüssel dafür, die
komplexen Wirkungszusammenhänge im Unternehmen
beherrschbar machen zu können. Ein modernes Informationssystem
ist daher bei allen organisatorischen Umgestaltungsbemühungen
als elementar anzusehen.
Kundenorientierung und Rundumbearbeitung verlangen
dezentralen Datenzugriff. Informationstechnologie
wird daher als "enabler" begriffen. Die
IT ermöglicht es erst, integrierte Geschäftsprozesse
zu entwickeln und ganzheitliche Vorgangsbearbeitung
zu realisieren. Ihr kommt daher besondere Bedeutung
beim innovativen Entwurf und effizienter technischer
Umsetzung von Geschäftsprozessen ("work
flow") zu.
In der Informations- und Datenverarbeitungs(DV-)literatur
steht die Binnenstrukturierung von Prozessen im Vordergrund.
Die Frage, wie Prozesse strukturiert sind, ist wichtig,
um Zeit und Kosten eines Prozesses messen zu können.
In der DV-orientierten Literatur werden zum besseren
Prozessverständnis Referenzmodelle empfohlen.
Vorgefertigte Prozessmuster sollen es erleichtern,
integrierte Geschäftsprozesse zu definieren und
zu beschreiben. Ein wesentlicher Bestandteil des Prozessverständnisses
besteht darin, dass die Aktivitäten in einer
Reihenfolge zu strukturieren sind, wobei es sich um
den Fluss bzw. die Transformation von Material, Information,
Operationen und Entscheidungen handeln kann.
Zur Unterstützung der Prozessgestaltung existiert
eine Vielzahl von Softwaretools, mit deren Hilfe Geschäftsprozesse
dargestellt, analysiert, simuliert, optimiert, modelliert
und dokumentiert werden können. Meist sind sie
auf spezifische Anwendungen spezialisiert. Tabelle
2 zeigt einige ausgewählte Tools und ordnet sie
ihren Anwendungsmöglichkeiten zu:
Tabelle 2: Softwaretools zum Geschäftsprozessmanagement
4 Phasen der Prozessgestaltung
Die Einführung der Prozessorganisation umfasst
eine Vielzahl aufeinander bezogener Aktivitäten.
So werden Aktivitäten der Identifikation, des
Designs bzw. der Modellierung sowie der Implementierung
unterschieden.
4.1 Prozessidentifikation
Die Diskussion "Funktion" versus "Prozess"
ist nicht zuletzt Folge eines Wissensdefizits bezüglich
der Identifikation und Definition von Prozessen. Wie
Prozesse zu erkennen und zu erheben sind, wird in
der Literatur nur unzureichend thematisiert. Prozesse
werden als gegeben und bekannt unterstellt, Probleme
werden allenfalls im Bereich der Optimierung bestehender
Prozesse und weniger in dem Design und der Implementierung
zukünftiger Prozesse gesehen. Bei der Prozessidentifikation
handelt es sich fraglos um die alle weiteren Aktivitäten
determinierende und damit zugleich erfolgsbestimmende
Phase. Um so unverständlicher ist, dass ihr nur
geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Unter Prozessidentifikation und -selektion werden
folgende Schlüsselaktivitäten verstanden:
-
Enumeration der Hauptprozesse,
-
Festlegung der Prozessgrenzen,
-
Bestimmung der strategischen Relevanz der Prozesse,
-
Analyse der Pathologie bzw. Verbesserungsbedarf
der Prozesse,
-
unternehmenspolitische und -kulturelle Bedeutung
der Prozesse.
In der Literatur lassen sich zumindest Hinweise für
grundsätzliche Vorgehensweisen bei der Prozessidentifikation
finden. Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass
die für die Kernkompetenz eines Unternehmens
wettbewerbskritischen Prozesse zu erheben und zu verbessern
sind (vgl. Gerpott/ Wittkemper 1994, S. 8). Prozesse
als solche werden also als existent angenommen. Ablaufzusammenhänge
sind jedoch oft unscharf, mehrdeutig, uneinheitlich,
variabel, zufällig, neuartig und assoziativ.
Will man also einzelne Prozesse identifizieren, dann
bedarf es einer Konstruktions- bzw. Entwurfsleistung.
Sollen diese Prozesse explizit definiert und beschrieben
werden, so sind Entscheidungen über deren Anfang
und Ende, Inhalt, Art und Umfang zu treffen. Ansätze
hierzu lassen sich in singuläre und allgemeine
Prozessidentifikation bzw. in eine deduktive und induktive
Prozessgenerierung unterscheiden.
Deduktive versus induktive Prozessidentifikation
Ausgehend von allgemeinen Leistungsprozessen, die
in allen Unternehmen in abstrakter Form vorfindbar
sind, handelt es sich bei der Identifikation und Definition
des deduktiven Prozessentwurfs allein um deren Konkretisierung.
Bei diesen Prozessen handelt es sich um grundlegende,
allgemeingültige Prozesse im Sinne von "Rahmenprozessen".
Sie werden deduktiv und auf der Basis idealtypischer
Geschäftsprozesse identifiziert, indem allgemeine
Rahmenprozesse unternehmensspezifisch differenziert
und ihre Strukturen auf Basis wettbewerbskritischer
Erfolgsfaktoren generiert werden. So lässt sich
die Unternehmensstruktur als Netzwerk von Geschäftsprozessen
darstellen. Ein Beispiel dafür geben die so genannten
"allgemein differenzierbaren Leistungsprozesse"
in Abbildung 3.
Abb. 3: Allgemeine idealtypische Geschäftprozeßidentifikation
(Sommerlatte/Wedekind 1990, S. 3)
Probleme entstehen bei dieser Vorgehensweise dann,
wenn das Prozessmodell auf der Makroebene verändert
und an Umweltbedingungen angepasst werden muss. Lediglich
die konkrete Ausformung der "Rahmenprozesse"
ist branchen- oder unternehmensspezifisch vorzunehmen
(vgl. Striening 1988, S. 201). Hierbei geht es jedoch
weniger um die Identifikation als um die Beschreibung
von Prozessen.
Demgegenüber sieht eine eher induktive Prozessidentifikation,
die an konkreten Leistungen zur Generierung von Kundennutzen
ansetzt, den schrittweisen Aufbau von Kernprozessen
bzw. Supportprozessen vor. Sie setzt an singulären
Prozessen an, die in jedem Unternehmen unterschiedlich
sind und entsprechend den Kundenbedürfnissen
und der Wettbewerbssituation, d.h. der individuellen
Problemlage erzeugt werden müssen. Das Vorgehen
setzt bei Kundenbedürfnissen an, wobei die Prozesse
zielgerichtet als spezifische Kunden-Lieferanten-Beziehungen
definiert werden (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Situative kundenorientierte Geschäftsprozessidentifikation
(Gaitanides/Scholz/Vrohlings 1994, S. 17)
Das Prozessmodell des Unternehmens besteht aus den
kundenorientierten Kernprozessen (Kernleistung) und
den sie unterstützenden Supportprozessen (Supportleistung).
Entsprechend den Fähigkeiten und Kompetenzen,
die durch Einsatz und Bündelung von Ressourcen
geschaffen werden, beinhaltet das Prozessergebnis
wettbewerbskritische Leistungen, welche die Stärken
bzw. Schwächen des Unternehmens im Vergleich
zu seinen Konkurrenten reflektieren. Erst die Ausdifferenzierung
dieser Kompetenzen und der damit verbundenen kritischen
Erfolgsfaktoren führt zur Identifikation von
Kernprozessen. Wettbewerbsstrategische Problemformulierung
und Prozessidentifikation sind kreative und innovative
Handlungen, die von erfahrenen Mitarbeitern oder Arbeitsgruppen
erbracht werden müssen. Für die sich anschließende
Prozessbeschreibung bieten sich die meisten Softwaretools
an.
Ob die singuläre oder allgemeine Prozessidentifikation
bzw. die induktive oder deduktive Prozessgenerierung
gewählt wird, ist für Umfang und Intensität
des Wandels von maßgeblicher Bedeutung. Fundamentaler
und radikaler Wandel - wie häufig gefordert -
scheint nur bei induktiver Prozessgenerierung denkbar.
In diesem Fall lassen sich jedoch keine Gestaltungsempfehlungen
für das Vorgehen bei der Prozessidentifikation
geben.
Prozessanalyse versus Prozessverstehen
Während die Prozessanalyse das Prozessergebnis
als eine gegebene, gegebenenfalls verbesserbare Größe
betrachtet, geht das Prozessverstehen von einer Reflexion
des Prozessergebnisses aus. Prozessverstehen bedeutet,
Ziele und Probleme des Prozesskunden zu erkennen.
Es besteht demzufolge nicht darin, die Funktionsweise
eines identifizierten Prozesses, sondern allein darin,
die Funktion dieses Prozesses zu erkennen. Für
das Prozessverstehen reicht es meist aus, die Prozesse
abstrahiert von der Ist-Situation zu beschreiben.
Umfangreiche Erhebungsarbeit, Prozessgliederung in
unterschiedlich detaillierten Ebenen kann entfallen.
Stattdessen geht bei der Prozessbeschreibung um einfache
Prozessmuster, die ca. 80 % der Fälle erfassen.
Bei der Prozessanalyse werden darüber hinaus
deduktiv die Makro-Prozesse in detailliertere Teilprozesse
zerlegt. Dabei wird das Verfahren der Dekomposition
angewandt. Der Detaillierungsgrad kann bis zum Ausweis
der einzelnen Prozessvarianten gehen. Eliminierung
redundanter Tätigkeiten oder Parallelisierung
von Tätigkeiten sind typische Verbesserungsmaßnahmen,
die eine relativ hohe Detaillierung erfordern.
Der Anspruch des Reengineering, Prozesserneuerung
- und nicht bloße Prozessverbesserung - anzustreben,
setzt Prozessverstehen voraus. Offen bleibt allerdings,
ob dem Prozessverstehen die Prozessanalyse folgen
muss und bis zu welchem Detaillierungsgrad sie vorzunehmen
ist.
4.2 Prozessdesign/-modellierung
Das Hauptaugenmerk gilt dem Design von Prozessen.
Konzepte für eine prozessorientierte Gestaltung
von Organisationen sind in den meisten Veröffentlichungen
anzutreffen. "Erfolgsrezepte" werden meist
von Unternehmensberatungen vorgeschlagen, die ihre
Kompetenz auf diesem Gebiet reklamieren. Eine kritische
Auseinandersetzung mit ihrem Angebot fällt indes
eher dürftig aus. Prozessoptimierung findet im
Spannungsfeld von Qualitäts-, Kosten- und Zeitkriterien
statt. Dabei wird implizit eine "neue Zielharmonie"
unterstellt, wobei oftmals darauf verzichtet wird,
der Frage nachzugehen, ob und unter welchen Bedingungen
tiefgreifende Reorganisationsprozesse komplementäre
Lösungen bezüglich dieser Ziele zulassen.
Darüber hinaus werden Gestaltungsziele wie Stärkung
der Innovationsfähigkeit oder Reduzierung der
internen Komplexität vorgeschlagen. Die Prozesse
müssen hinsichtlich dieser Kriterien Verbesserungsprogrammen
unterworfen werden, um einer Benchmarking-Analyse
der Wettbewerber standzuhalten. Es zählt zu den
gesicherten Wissensbeständen, dass das Redesign
von Prozessen sich nicht in einem, sondern in mehreren
Optimierungsschritten - ergänzt um TQM-Maßnahmen
- zu vollziehen habe. Fundamentaler Wandel (Reengineering)
wird von kontinuierlicher Verbesserung (TQM) begleitet.
Wandel und Verbesserung werden mittels Verfahrensempfehlungen
wie "Eliminieren", "Änderung der
Reihenfolge", "Hinzufügen fehlender
Schritte", "Integration", "Automatisieren",
"Beschleunigen" oder "Parallelisieren"
der Teilprozesse vollzogen. Meist werden jedoch nur
Verfahrensempfehlungen darüber gegeben, was zu
reorganisieren ist, nicht aber, wie Prozesse zu reorganisieren
sind.
Kontinuierliche Verbesserung versus Quantensprung
Zwischen den Extremen von evolutionärem und revolutionärem
Wandel gibt es diverse Formen und Intensitätsgrade
des Wandels. Hier werden die Varianten "schrittweise
bzw. kontinuierliche Verbesserung" und "Quantensprung"
gegenübergestellt (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: Tiefe der geschäftsprozessorientierten
Reorganisation (Krickl 1994, S. 28)
Individuelles und organisatorisches Lernen bringt
kontinuierliche Verbesserungen, die in der Literatur
zum Business Reengineering grundsätzlich als
unzureichend angesehen werden: "Reengineering
isn't about making marginal or incremental improvements
but about achieving quantum leaps in performance"
(Hammer/Champy 1993, S. 33).
Dramatische, radikale Sprünge sind jedoch nicht
so einfach zu realisieren, wie es die Verfechter dieses
Anspruchs glauben machen wollen: Eine Situation, in
der betroffene Mitarbeiter in eine veränderte
interne, die Organisation in eine veränderte
externe Umwelt gestellt werden, ist kaum beherrschbar.
Veränderungen machen ein neuartiges, vom bisherigen
Verhalten abweichendes Verhalten notwendig. Um sich
in einer veränderten Umwelt erfolgreich zu bewähren,
bedarf es des "Neulernens" (Reber 1992,
Sp. 1242). Neulernen vollzieht sich in individuellen,
kontinuierlichen Lernschritten, mit denen ein Verlernen
überholter Wissensbestände und Verhaltensweisen
einher geht (Staehle 1994, S. 846). Erfahrungen im
Wege eines Versuch-Irrtum-Verhaltens können jedoch
nicht gesammelt werden, wenn eine neue Umweltsituation
Wege und Ziele des Handelns exogen im Voraus bestimmt.
Reengineering bedeutet für den einzelnen Betroffenen
zweierlei: Einerseits verlieren die Grundprämissen
des Handelns, die "theories in use" (Argyris
1992, S. 216ff.) ihre Gültigkeit, andererseits
müssen Wissensbestände und Verhaltensweisen
neu entwickelt und organisiert werden. Auch für
die Organisation bedeutet es eine Veränderung,
denn die neue Wissensbasis ist nicht mehr allen Teilnehmern
gemein. Es genügt daher nicht, dass eine Experten-
bzw. Machtelite im Besitz des "neuen" Wissens
ist, vielmehr muss unter allen Prozessbeteiligten
die neue Wissensbasis kommuniziert, akzeptiert und
in neue Handlungsmuster ("theories of action")
umgesetzt werden. "Radically new situations require
that theories of action be replaced, but organizations
have difficulties doing this" (Hedberg 1981,
S. 9).
Während Anpassungslernen sich bei konstanter
"theory of action" vollziehen kann, besteht
"turnover"-Lernen oder "turnaround"-Lernen
in der Veränderung des Verhaltensrepertoires
und der "theory of action".
Erfolgreiches Reengineering fordert die Aneignung
einer neuen "theory of action" und Verlernen
angeeigneter Verfahrensweisen seitens der Betroffenen
im Wege eines revolutionären Umbruchs. Daher
bedarf es machtvoller "gatekeeper" und Managementeliten
(vgl. Staehle 1994, S. 846), die diesen Prozess als
Promotoren durchsetzen (vgl. Hauschildt 1993, S. 121).
Allenfalls nachdem alle systemkonformen Verhaltensweisen
und Lösungsverfahren nachhaltig gescheitert sind,
können paradigmatische Veränderungsprozesse
von den Organisationsmitgliedern selbst getragen werden.
In beiden Fällen werden jedoch die notwendigen
Kommunikations- und Sozialisationsprozesse nicht nur
den Engpass in zeitlicher Hinsicht, sondern auch den
Hauptrisikofaktor für das Konzept des "dramatischen",
"radikalen" und "fundamentalen"
Wandels bilden.
Partieller versus totaler Wandel
Der Umfang des Wandels hängt davon ab, ob er
unternehmensweit stattfinden oder nur einzelne ausgewählte
Kernprozesse betreffen soll. Die Beschleunigung oder
Qualitätssteigerung eines Kernprozesses, welcher
unmittelbar der Befriedigung eines Kundenbedürfnisses
dient, wird unter Umständen eine nachhaltigere
Effizienzsteigerung nach sich ziehen als der Neuentwurf
des Prozessmodells des Unternehmens. Berücksichtigt
man Kosten, Friktionen und Zeithorizont des Wandels,
so können die Optionen des partiellen oder totalen
Wandels durchaus miteinander konkurrieren.
Sequenzielle versus netzwerkartige Prozessstrukturierung
Der Begriff "Prozess" impliziert eine Sequenz
logisch aufeinander folgender Aktivitäten. Die
Vorstellung, ein Prozess sei ein sequenzieller Fluss
intermittierender Prozessschritte, wird durch Beispiele
aus der Auftragsabwicklung oder Beschaffung verstärkt.
Gemeinhin wird ein hoher Grad an sequenzieller Interdependenz
unterstellt. Bei sequenziellem Arbeitsfluss sind
einzelne Arbeitsschritte nur indirekt durch weitere
Arbeitsschritte linear miteinander verknüpft.
Demgegenüber werden bei direkter, unmittelbarer
Verknüpfung die Arbeitsschritte gegebenenfalls
parallel angeordnet.
Die sequenzielle Struktur bildet die Voraussetzung
für das Konzept der kontinuierlichen Verbesserung
(Redesign) bzw. für das Konzept der Veränderung
(Reengineering). Verbesserungsmaßnahmen wie
"Eliminieren", "Änderung der Reihenfolge",
"Hinzufügen fehlender Schritte", "Integration
bzw. Zusammenfassung einzelner Schritte", "Beschleunigen"
oder "Parallelisieren" setzen Sequenzialität
im Ausgangsprozess voraus. Weisen Prozesse diese Eigenschaft
nicht auf, dann sind sie offenkundig weder dem Redesign
noch dem Reengineering zugänglich.
Die meisten Prozesse - z.B. Prozesse der Produktentwicklung,
Kundenakquisition, Marktkommunikation, Rentabilitäts-
und Liquiditätssicherung oder Strategieplanung
und -umsetzung - sind jedoch durch andere Formen der
Interdependenz geprägt. Die Gesamtheit der Interdependenzen
hat hier eine eher netzwerkartige Struktur; man spricht
auch von Aktivitäten-Clustern. Würde man
ein komplexes, netzwerkartiges Aktivitätenbündel
in eine lineare Sequenz bringen, entstünden nicht
nur zeitliche, sondern auch inhaltliche Ineffizienzen.
Neben der logischen Struktur des Prozesses ist die
Form der personellen Zusammenarbeit zu berücksichtigen.
Diese lässt sich nach Häufigkeit, Intensität
und Zweiseitigkeit der Kooperation unterscheiden.
Vereinfachend reicht das Kontinuum von teamartiger
bis isolierter Zusammenarbeit. Letztere ist durch
den wechselseitigen Informationsaustausch und gegenseitige
Abstimmung zwischen betrieblichen Funktions- oder
Tätigkeitsbereichen gekennzeichnet. Sequenzialität
der Aufgabenstruktur und Formen der Zusammenarbeit
bedingen sich gegenseitig. Ihre Ausprägungen
sind jedoch nicht beliebig, sondern ergeben sich aus
der Logik der Problemstellung, den informationstechnischen
Möglichkeiten und den Anforderungen der Aufgabenumwelt.
Die Struktur der personellen Zusammenarbeit lässt
sich nach den in Abbildung 6 dargestellten vier Typen
unterscheiden.
Abb. 6: Sequenzielle oder netzwerkartige Prozessstruktur
(Teng et al 1994, S. 15)
Lediglich Typ 1 und 2 sind Prozesstypen im engeren
Sinne. Die Typen 3 und 4 enthalten eher netzwerkartige
Kooperationsmuster, die der Prozessidee nicht zugänglich
sind. Sie beschreiben teamartige Kooperationsmuster,
wie sie in Projektgruppen oder flexiblen Arbeitsgruppen
anzutreffen sind. Business Reengineering reduziert
sich daher auf rein organisatorische Gestaltungsmaßnahmen
und führt damit in folgendes Dilemma:
Prozesse, die nicht sequenziell, sondern netzwerkartig
strukturiert sind, entziehen sich a priori der Reorganisation.
Prozesse, die sequenziell strukturiert sind, können
nicht in netzwerkartige Strukturen überführt
werden, da die Instrumente hierfür fehlen.
Zielsetzung des Redesign bzw. Reengineering kann es
zwar sein, die Strukturtypen 1 bzw. 2 in solche vom
Typ 3 bzw. 4 zu überführen. Dies ist jedoch
allein mit Maßnahmen der Prozessstrukturierung
nicht zu erreichen. Zu denken ist in diesem Kontext
etwa an Konzepte wie Outsourcing oder Simultaneous
Engineering.
Inkrementale versus synoptische Veränderungsstrategie
Der Kern der Änderungsstrategie des Business
Reengineering betrifft die Prozessstruktur. Alle weiteren
Maßnahmen, die einen geplanten Wandel herbeiführen
sollen, sind Elemente bekannter Konzepte. Änderungen
im Bereich der Organisationsstruktur, der Unternehmenskultur
sowie des Managementsystems lassen sich auch unabhängig
von den genannten Strukturierungsvorhaben realisieren.
Im Rahmen des Reengineering wird jedoch auf diese
Maßnahmen explizit Bezug genommen, da sie als
Konsequenz der Prozessstrukturierung eingesetzt werden
müssen. Reengineering bedingt Abflachung der
Organisationsstruktur, Änderung der Arbeitseinstellungen
und der Führungskonzepte. Der Anspruch, ein "fundamentales",
"radikales" und nicht zuletzt "dramatisches"
Änderungskonzept vorzustellen, schließt
Veränderungspotenziale jeder Art ein. Prozessuale
Änderungen sind der Ausgangspunkt für organisatorische
Änderungen, welche ihrerseits auch einen kulturellen
Wandel erfordern.
Diesem deterministischen Ansatz, der einen "Fit"
zwischen diversen Änderungsprozessen verlangt,
lässt sich eine eklektische Änderungsstrategie
gegenüberstellen. Diese stellt die Radikalität
ebenso wie die Kausalität des Änderungsprozesses
in Frage.
Um bestimmte Kosten-, Zeit- und Qualitätsziele
zu erreichen, können einzelne geeignete Maßnahmen
zur Engpassbeseitigung selektiert und zu einem Gesamtkonzept
integriert werden. Das Prozessdesign erhält bei
dieser Veränderungsstrategie gegebenenfalls nur
einen untergeordneten Stellenwert; es kann die Folge
anderer personalwirtschaftlicher oder organisatorischer
Maßnahmen sein.
4.3 Prozessimplementierung
Für die Umsetzung des Redesigns gibt es eine
Vielzahl von institutionellen und prozessualen Implementierungsvorschlägen.
Einführungsmodelle zeichnen sich durch "top-down"
angelegte Zielvorgaben und "bottom-up" generierte
Umsetzungsmaßnahmen aus. Die Coaching-Aufgabe
des Prozessverantwortlichen verlangt insbesondere
kommunikative Fähigkeiten zur Förderung
der Zusammenarbeit, die bei der Übertragung von
Geschäftsprozessen auf Teams gefordert wird.
In aller Regel wird das Implementierungsproblem als
technisch instrumentelle Fragestellung begriffen,
die zu lösen eine Projektmanagementaufgabe darstellt.
Barrieren bei der Umsetzung können den Erfolg
von Reorganisationsmaßnahmen in Frage stellen.
Die Auseinandersetzung mit Widerständen ist mithin
ein zentrales Thema der Initiierung des Wandels. Analyse
sowie Grundsätze und Instrumente des Umganges
mit dem Widerstand und "die Kunst, den Wandel
zu verkaufen" sollen helfen, strukturelle Veränderungen
vorzubereiten. Das Implementierungsproblem muss aber
über die instrumentelle Fragestellung hinausgehend
als grundsätzlicheres Problem des organisatorischen
Wandels begriffen werden. Auch bei Osterloh/Frost
wird Prozessmanagement als das Management von Veränderungsprozessen
behandelt (Osterloh/Frost 1998, S. 232). Dabei wird
die Intensität des Wandels im Vergleich von revolutionärer
und evolutionärer Strategie des Wandels thematisiert.
In diesem Zusammenhang wird auch auf die Lern- und
Wissenskomponente als Voraussetzung für erfolgreiche
organisatorische Veränderungsstrategien eingegangen.
Erst aus der Integration von Prozess- und Wissensmanagement
können strategische Kernkompetenzen erwachsen.
Die Aktivitäten der Prozessbeteiligten sind dazu
in einzigartiger Weise zu Kernprozessen zu verknüpfen,
die es ermöglichen, dass Wissen generiert und
transportiert wird.
Bottom-Up- versus Top-Down-Implementierung
Der Umbau der Organisation von der produktionsorientierten
Spezialisierung zur kundenorientierten Integration
beginnt im Business Reengineering an der Unternehmensspitze.
Erfolgreiche Neustrukturierung ist nur durch ein "top-down"-Vorgehen
erreichbar, andernfalls droht die Gefahr des Scheiterns
(vgl. Hammer/Champy 1993, S. 207). Schon die Radikalität
des Wandels schließt ein anderes Vorgehen aus.
Entscheidendes Merkmal für das "top-down"-Vorgehen
ist die Trennung einerseits von Instanzen, die mit
der Planung und Einführung des Reengineering
befasst sind, und andererseits von Betroffenen, die
"Prozessarbeit" verrichten sollen. Die Implementierung
von Reengineering wird zahlreichen Verantwortlichen
übertragen: "leader", "process
owner", "reengineering team", "steering
committee" und "reengineering czar"
(Hammer/Champy 1993, S. 102 ff.) schaffen gewissermaßen
vollendete Tatsachen, mit denen dann die betroffenen
"case worker" umgehen müssen.
Vollzogen werden Geschäftsprozesse dagegen von
"case teams", "case workern",
"deal structurers" oder "process teams"
sowie von Mitgliedern der beteiligten Funktionsbereiche
(vgl. Hammer/Champy 1993, S. 51ff. und 65ff.). Dem
Grundsatz, Betroffene am Reorganisationsprozess zu
beteiligen, wird offenbar nur unzureichend Rechnung
getragen. Dieses arbeitsteilige Implementierungskonzept
widerspricht vor allem dem Plädoyer der Vertreter
des Reengineering für eine ganzheitliche mehrdimensionale
Arbeit, für Delegation von Entscheidungskompetenzen,
für Weiterbildung und Einstellungsänderungen
der Mitarbeiter. Vorgesetzte, so wird unterstellt,
sind im Besitz "höheren Wissens" und
frei von funktionalen Suboptimierungsinteressen. Der
Quantensprung des Wandels setzt Fremdstrukturierung
und Selbstkoordination voraus.
Für die Nichtbeteiligung der Mitarbeiter des
mittleren und unteren Managements am Reengineering
nennen Osterloh/Frost (1994, S. 356ff.) drei Gründe:
-
Dem mittleren und unteren Management fehlt
es an Kenntnis der Wertschöpfungsketten;
-
es fehlt ihm ferner an Entscheidungskompetenzen,
um Business Reengineering in aller Radikalität
zu entwerfen und umzusetzen;
-
es sei selbst als Objekt in den ReorganisationsProzess
involviert und gerate so in Interessenkollision
mit den Zielen des Reengineering.
Der kompromisslose Ausschluss von Partizipation zugunsten
von Macht- und Zwangsstrategien erinnert an die Strategie
des "erfolgreichen Bombenwurfs" von Kirsch
et al. (1978, S. 249). Auch hierbei wird die Veränderungsresistenz
der Betroffenen durch unvermittelte und unvorbereitete
Konfrontation der Organisation mit einem zunächst
geheimgehaltenen Grobplan für eine tiefgreifende
Änderung gebrochen.
Dieses Vorgehen widerspricht freilich den Prinzipien
der Organisationsentwicklung (vgl. Staehle 1994, S.
867) und der Motivationstheorie. Partizipation der
Organisationsmitglieder an fundamentalen Problemlösungs-
und Entscheidungsprozessen wird schon traditionell
als Effizienzbedingung erkannt (vgl. z.B. Coch/French
1947, S. 512ff.).
Dem Konzept der tiefgreifenden Änderung, wie
es vom Reengineering gefordert wird, lässt sich
ein eher evolutionäres Entwicklungsmodell gegenüberstellen,
wie es dem Redesign zugrundeliegt. Dies rechtfertigt
sich schon daraus, dass das Ergebnis solcher Eingriffe
und Gestaltungsmaßnahmen nicht voraussagbar
sei, denn bei den Interventionen handelt es sich um
solche in vernetzten Systemen (vgl. Probst 1987, S.
118). Das organisierende Management agiert in diesem
Sinn als "Facilitator" (Kieser 1994, S.
209), das Betroffene beim Finden eigener organisatorischer
Lösungen unterstützt. Kieser verweist allerdings
in diesem Zusammenhang darauf, dass Selbstorganisation
"als Gestaltung der Organisationsstruktur durch
die von ihr betroffenen Individuen oder Gruppen (Selbststrukturierung)"
(Kieser 1994, S. 218) nicht ohne Fremdorganisation
auskomme. Aus Komplexitätsgründen müssten
Management und Experten am Reorganisationsprozess
partizipieren, was insbesondere auch für den
so genannten "kontinuierlichen Verbesserungsprozess"
gelte.
5 Interorganisationale Prozessorganisation
- von der Innensicht zur Außensicht
In den letzten Jahren sticht ein Konzept verstärkt
aus der Vielzahl der möglichen Lösungen
zur Begegnung der aktuellen Herausforderungen der
Unternehmensführung heraus: Supply Chain Management.
Angestrebt wird hiermit die Integration der Zielgrößen
Kosten, Qualität und Zeit in einem prozessorientierten,
unternehmensübergreifenden und zugleich kooperationsorientierten
Organisations- und Managementkonzept. Die zugleich
intra- sowie interorganisationale Ausrichtung hat
zur Folge, dass sich die Gestaltungs-, Koordinations-
und Steuerungsaufgaben auf alle an der Wertschöpfung
beteiligten Unternehmen erstreckt - idealerweise vom
Rohstofflieferanten bis zum Endkunden ("from
dirt to dirt") - und nicht nur auf die aus Sicht
des jeweiligen Unternehmens unmittelbar vor- und nachgelagerten
Wertschöpfungsstufen. Mithin muss die Supply
Chain als eine Einheit begriffen werden, die prozessorganisatorischen
Gestaltungsmaßnahmen unterworfen werden kann.
Die skizzierte Fokussierung auf Prozesse darf im Kontext
des Supply Chain Managements nicht an den Grenzen
des Unternehmens Halt machen. Und sie kann es auch
nicht, denn die Ausrichtung formaler Organisationsstrukturen
an Prozessen stellt immer auch die existierenden Unternehmensgrenzen
in Frage (vgl. Ortmann/Sydow 1999, S. 206). Als unproblematisch
erweist sich aber eine solche partielle Grenzauflösung
bzw. -verschiebung nicht, zeigen sich in deren Verlauf
doch einige dysfunktionale Folgen, so zum Beispiel
Koordinations- und Loyalitätsprobleme, Identitätsverlust
und Wissensabfluss, denen es auch im Rahmen eines
Supply Chain Management zu begegnen gilt.
In Analogie zu einer Supply Chain kann ein Unternehmen
aus analytischen Gründen zunächst ohnehin
als eine prozessuale Verknüpfung verschiedener
organisatorischer Einheiten begriffen werden, so dass
sich die oben dargestellten grundlegenden Integrationserfordernisse
auch mit Blick auf unternehmensinterne Verhältnisse
zeigen. Das heißt, dass zunächst die internen
Abläufe und Strukturen prozessorientiert zu gestalten
sind, bevor eine durchgehende Gestaltung der gesamten
Wertschöpfungskette erfolgen kann (vgl. Weber/Dehler
2000, S. 53). Jedoch zeichnen sich Unternehmen durch
einige Besonderheiten im Vergleich zu unternehmensübergreifenden
Wertschöpfungsketten aus, die sich beispielsweise
in Aspekten wie Unternehmenskultur, Führungsstil,
Anreizsystemen und anderem niederschlagen. Die sich
hinsichtlich einer interorganisationalen Integration
aufdrängende Frage der Kompatibilität dieser
Aspekte legt nun die Vermutung nahe, dass entsprechende
Barrieren zwischen Unternehmen ausgeprägter sein
könnten, als dies innerhalb von Unternehmen der
Fall ist. Jedoch weisen einzelne Überlegungen
in eine ganz andere Richtung (vgl. Bowersox/Closs/Cooper
2002, S. 167 ff.). So gehen Bowersox/Cooper/Closs
davon aus, dass "[i]n actual practice, some of
the most challenging integration issues involve cross-functional
trade-offs within a specific company" (Bowersox/Closs/Cooper
2002, S. 167). Sie führen dies auf einen Zustand
zurück, der als "the great divide"
bezeichnet wird und eine Situation nur partieller
intraorganisationaler Integration beschreibt. In der
Praxis zeigt sich dieses Phänomen unternehmensintern
in dem vergleichsweise hohen Integrationsgrad zwischen
den Funktionen Beschaffung und Produktion einerseits
und Distribution und Marketing andererseits bei gleichzeitig
hoher unternehmensexterner Integration dieser Bereiche
mit Lieferanten beziehungsweise Kunden.
Im Ergebnis kann die paradoxe Situation beobachtet
werden, dass Unternehmen an ihren äußeren
Grenzen relativ stark integrierte Prozesse mit anderen
Unternehmen der Supply Chain haben, dies intern aber
nicht zu realisieren vermögen. Als Ursachen hierfür
werden unter anderem klarere Machtverhältnisse
an den Außengrenzen, die einfachere Bewertbarkeit
von transferierten Produkten und Dienstleistungen
sowie die mangelnde Kenntnis interner Integrationserfordernisse
und korrespondierender Messgrößen angeführt.
Bowersox/Cooper/Closs kommen deshalb zu dem Schluss,
dass "... managers seem to achieve more successful
integration with external business partners than they
do with managers and departments within their own
firm" (Bowersox/Closs/Cooper 2002, S. 169). In
jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass interne
Supply-Chain-Integration nicht minder anspruchsvoll
ist als das unternehmensübergreifende Pendant.
Ein als ganzheitlich verstandenes Supply Chain Management
bezieht sich also sowohl auf die Prozesse einer Unternehmung
selbst (unternehmensinterne Supply Chain) als auch
auf ihre Vernetzung mit ihren Wertschöpfungspartnern
(erweiterte Supply Chain).
Die im Supply Chain Management horizontale und vertikale
Integration von Prozessen wie dem "Auftragsabwicklungs-",
"Geschäftsbereitschafts-", "Produktentwicklungs-"
und "Marktwahlprozess" sowie dem "Controlling"-
und "Unternehmensentwicklungsprozess" (Klaus
1998, S. 439) über mehrere Unternehmen hinweg
sind Beispiele für interorganisationales Prozessmanagement.
Dieses setzt voraus, dass unternehmensübergreifende
Geschäftsprozesse nicht durch Märkte entkoppelt,
sondern durch kooperative Arrangements verknüpft
sind.
Die Wertsteigerungen aufgrund der Senkungen von Transaktions-
bzw. Prozesskosten bei den beteiligten Partnern sowie
von Produktions- und Entwicklungskosten durch bessere
Ausnutzung von Netzwerkpotenzialen und Skaleneffekten
sind allerdings nur dann erzielbar, wenn das betreffende
Segment der Wertschöpfungskette als ein unternehmensübergreifender
Geschäftsprozess organisiert ist. Marktliche
oder auf Verrechnungspreisen beruhende Koordination
in der Wertschöpfungskette bilden Schnittstellen
für das integrierte, sich an der Geschäftsprozessorganisation
orientierende Supply Chain Management.
Die Integration von interorganisationalen Prozessen
ist jedoch nicht nur für das Supply Chain Management,
sondern auch für die diversen Formen von Unternehmenskooperationen,
wie strategische Allianzen oder Unternehmensnetzwerke
die operative Basis, ohne die diese nicht funktionsfähig
sind. So sind strategische Netzwerke in erster Linie
immer auch operative Prozessnetzwerke.
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