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bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

FT03 - Bau, Holz, Farbe und Raumgestaltung
Herausgeber: Sabine Baabe-Meijer, Werner Kuhlmeier & Johannes Meyser

Titel:
Übergänge gestalten – Konzepte, Erfahrungen und Perspektiven in den Fachrichtungen Bautechnik, Holztechnik sowie Farbtechnik und Raumgestaltung


Leseanforderungen im Kontext beruflicher Arbeit im Berufsfeld Bautechnik – empirische Befunde und Konsequenzen für die Lesekompetenzförderung

Beitrag von Christina KEIMES & Volker REXING (RWTH Aachen)

Abstract

Verschiedene Studien weisen eine unzureichende Lesekompetenz vieler Berufsschüler/innen nach (zum Beispiel PISA, ULME I-III). Die Ergebnisse entsprechender Förderkonzepte sind bezüglich ihrer Wirksamkeit aber defizitär. Offensichtlich gelingt es nicht, Berufsschüler/innen die Relevanz von Lesekompetenz zu verdeutlichen. Als ein zentrales Ergebnis bisheriger Forschung muss folglich der Bedarf an Förderkonzepten formuliert werden, welche die berufs- bzw. bildungsgangspezifischen Anforderungen sowie die motivationalen und persönlichen Voraussetzungen der Schüler/innen berücksichtigen. Kern des an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen in diesem Kontext durchgeführten empirischen Untersuchungsdesigns ist die auf die Bedeutung der Lesekompetenz fokussierte Analyse von realen beruflichen Anforderungssituationen in bautechnischen Berufen, um daraus eine wirksamere Förderung in den entsprechenden Bildungsgängen abzuleiten. Allerdings kann die berufliche Realität nicht alleinige Referenz sein, sondern muss als Korrektiv bildungstheoretisch reflektiert werden. Hierzu wird eine Analyse der für die Ausbildung relevanten Dokumente, insbesondere berufsschulischer Curricula und Ausbildungsordnungen, mit einbezogen. Im Beitrag wird zunächst auf empirische Befunde einer durch die RWTH Aachen begleiteten Ergänzungsstudie zur Wirksamkeit von „Reciprocal Teaching“ eingegangen, die zwar in einem anderen Berufsfeld (Kraftfahrzeugtechnik) durchgeführt wurde, dennoch wichtige Hinweise für die weitere Forschung im Berufsfeld Bautechnik gibt. Im weiteren Verlauf wird der aktuelle Arbeitsstand des oben genannten Untersuchungsdesigns vorgestellt.

Problemaufriss/-darstellung

Untersuchungen wie die PISA-Studien oder ULME I (Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen zu Beginn der Ausbildung) bestätigen die als defizitär beklagten Eingangsvoraussetzungen von Schüler/innen für eine berufliche Erstausbildung (vgl. LEHMANN/ IVANOV/ HUNGER/ GÄNSFUSS o. J.). Mit Blick auf die Ergebnisse von ULME III (Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen am Ende der Ausbildung) muss konstatiert werden, dass auch die Ausbildung bisher nicht ausreichend zu einer Behebung dieser Defizite beiträgt (vgl. LEHMANN/ SEEBER/ HUNGER 2007, 15 ff.).

Im Fokus stehen insbesondere Basiskompetenzen, d.h. sprachliche und mathematische Kompetenzen, deren Bedeutung auch für die Entwicklung berufsfachlicher Kompetenz empirisch belegt ist (vgl. NICKOLAUS/ GEISSEL/ GSCHWENDTNER 2008). Vor allem die Lesekompetenz, als wesentlicher Teil sprachlicher Kompetenz, ist hier auch in gewerblich-technischen Bildungsgängen von elementarer Bedeutung. Inhalte müssen aus Fachbüchern, Fachberichten und Produktinformationen erschlossen werden, betriebliche Informationssysteme von der Leistungsbeschreibung bis zur Dokumentation fordern die aktive Mitwirkung in Ausbildung und anschließender beruflicher Tätigkeit (vgl. BECKER-MROTZEK/ KUSCH/ WEHNERT 2006, 15).

Dementsprechend wurde die Förderung von Lesekompetenz auch als notwendige Aufgabe der beruflichen Bildung erkannt und in entsprechenden Interventionsbemühungen aufgegriffen (vgl. im Überblick KEIMES/ REXING 2011).

Empirische Befunde im Kontext von Lesekompetenzförderung in der beruflichen Bildung zeigen bisher allerdings eine geringe Wirksamkeit dieser Maßnahmen an. Als bedeutungsvoll für die geringe Effizienz der Förderbemühungen hat sich in besonderem Maße die problematische motivationale Einstellung zum Lesen erwiesen. Befunde der Interventionsstudien zu „Reciprocal Teaching“ zeigen, dass es offensichtlich nicht gelingt, Berufsschüler/innen die berufsspezifische Relevanz von Lesekompetenz zu verdeutlichen (vgl. GSCHWENDTNER/ ZIEGLER 2006a; GSCHWENDTNER/ ZIEGLER  2006b; ZIEGLER/ GSCHWENDTNER 2010). Weitere Untersuchungen in gewerblich-technischen Bildungsgängen im Rahmen einer Ergänzungsstudie stützen diesen Eindruck (vgl. ZIEGLER/ KEIMES 2010).

Insofern kann als ein zentrales Ergebnis bisheriger Forschung der Bedarf an Förderkonzepten mit Bezug zu authentischen beruflichen Anforderungssituationen formuliert werden. In einem ersten Schritt muss dazu die konkrete Relevanz von Lesekompetenz in beruflichen Handlungssituationen berufs-/berufsfeldspezifisch erfasst werden. Zu klären ist hier u.a., ob und in welchen Anforderungssituationen Auszubildende tatsächlich in der betrieblichen Realität lesen müssen, also die Frage, welchen Stellenwert funktionales Lesen im jeweiligen Beruf/Berufsfeld einnimmt (vgl. ZIEGLER/ GSCHWENDTNER 2010). Eine darauf basierende erweiterte Fragestellung stellt die Genese eines entsprechenden berufs-/berufsfeldspezifischen Förderkonzepts dar.

Dieser Beitrag skizziert zunächst das Untersuchungsdesign eines an der RWTH Aachen verorteten Forschungsvorhabens und stellt ausgewählte Befunde des bisherigen Erkenntnisstands vor.

2 Untersuchungsdesign

Das initiierte Projekt basiert im Wesentlichen auf den Befunden der Interventionsstudien zu „Reciprocal Teaching“ bzw. der entsprechenden Ergänzungsstudie. Ausgehend von der spezifischen beruflichen Realität bzw. Ausbildungsrealität sollen in dualen Bildungsgängen des Berufsfelds Bautechnik berufs-/berufsfeldspezifische Interventionen für die integrative Lesestrategieförderung entwickelt werden. Integrativ bedeutet in diesem Zusammenhang die Verortung im berufsfachlichen Unterricht der Berufsschule und insbesondere eine Initiierung von Leseanlässen mit Bezug zu möglichst authentischen beruflichen Anforderungs- und Handlungssituationen.

Ein erster exemplarischer Zugang erfolgt im Ausbildungsberuf Maurer/in bzw. Straßenbauer/in, charakterisiert durch eine Schülerklientel mit eher niedrigen kognitiven Eingangsvoraussetzungen und teilweise erheblichen Defiziten im Bereich der Lesekompetenz (vgl. NORWIG/ PETSCH/ NICKOLAUS 2010).

Die Absicht, ausgehend von der spezifischen beruflichen Realität bzw. Ausbildungsrealität ein berufs-/berufsfeldspezifisches Förderkonzept zu entwickeln, erfordert in einem ersten Schritt eine im Hinblick auf die Bedeutung der Lesekompetenz fokussierte systematische Analyse der Ausbildungsrealität. Entsprechende Informationen können mit Methoden berufswissenschaftlicher Qualifikationsforschung gewonnen werden (vgl. SPÖTTL 2008, 163). Von den angebotenen Methoden werden im hier gegebenen Forschungskontext zunächst Interviews mit auf der betrieblichen Seite der Ausbildung beteiligten Akteuren durchgeführt, insbesondere mit (formal bzw. informell qualifizierten) Ausbildern. Die schulische Seite der dualen Ausbildung wird über Interviews mit Lehrkräften abgebildet. Befragungen der Auszubildenden, fokussiert auf deren Wahrnehmungen beruflicher und schulischer Relevanz von Lesekompetenz, vervollständigen das Bild. Darüber hinaus erfolgt als Korrektiv eine Dokumentenanalyse der entsprechenden Richtlinien/Lehrpläne bzw. Ausbildungsordnungen. Die Anforderungen des Berufs können nicht einzige Referenz für berufliche Bildungsprozesse sein, sondern bedürfen im Sinne der Entwicklung von Handlungskompetenz einer bildungstheoretischen Reflexion (vgl. HEID 1977; 1999).

3 Aktueller Arbeitsstand / erste Ergebnisse

Die auf die Relevanz der Lesekompetenz fokussierte Analyse des für den Lernort Berufsschule leitenden Curriculums im Ausbildungsberuf Maurer/in zeigt ein interessantes Bild (Tabelle 1). In der beruflichen Grundbildung finden sich lediglich drei explizite Nennungen von Leseanlässen, die sich ausschließlich auf Zeichnungen beziehen (zum Beispiel Lesen von Bewehrungsplänen). Allerdings werden darüber hinaus diverse implizite Leseanlässe aufgeführt (beispielsweise Bestimmen der Zusammensetzung des Betons anhand von Tabellen) (vgl. MSW NRW 2008a), also Leseanlässe, die sich erst über eine fachwissenschaftliche Analyse der im Lehrplan aufgeführten beruflichen Tätigkeiten erschließen.

 

Tabelle 1:    Leseanlässe im Rahmenlehrplan für die berufliche Grundbildung des Ausbildungsberufs Maurer/in (Auszug) (Quelle: MSW NRW 2008a)

Lernfeld

explizite Leseanlässe im Lehrplan

implizite Leseanlässe im Lehrplan

Einrichten einer Baustelle

Lesen von Plänen zur Baustelleneinrichtung

Planen eines Baustelleneinrichtungsplans unter Beachtung der Arbeitsschutzvorschriften bzw. Vorschriften des Umweltschutzes

Erschließen und Gründen eines Bauwerkes

 

Planen der Herstellung von Baugruben und Gräben unter Berücksichtigung der Unfallverhütungsvorschriften

Mauern eines einschaligen Baukörpers

 

Durchführen von Mengen- und Materialermittlungen anhand von Tabellen

Herstellen eines Stahlbetonbauteiles

 

Bestimmen der Zusammensetzung des Betons anhand von Tabellen

Herstellen einer Holzkonstruktion

 

Treffen von Entscheidungen zum Holzschutz

Beschichten und Bekleiden eines Bauteiles

 

Auswählen von Beschichtungs-, Bekleidungs- und Belagsmaterialien

 

Die auf die berufliche Grundbildung bezogenen Aussagen über die Quantität von Leseanlässen im Lehrplan des Bildungsgangs Maurer/in können in gleicher Weise für die Fachstufen getroffen werden. Bezogen auf die verbleibenden Ausbildungsjahre finden sich drei explizite Nennungen von Leseanlässen, darüber hinaus aber in allen Lernfeldern zahlreiche weitere implizite Nennungen (vgl. MSW NRW 2008b). Die exemplarische Analyse am Beispiel der Lehrpläne für das Land Nordrhein-Westfalen ist aufgrund der Orientierung am KMK-Rahmenlehrplan auch für andere Bundesländer repräsentativ (vgl. z.B. ISB 2000).

Die Aussagen bezüglich der berufsschulischen Curricula im Hinblick auf die Quantität von Leseanlässen können im Übrigen auf den entsprechenden Ausbildungsrahmenplan (BMWI 1999) ohne relevante Einschränkungen übertragen werden (Tabelle 2).

 

Tabelle 2:   Leseanlässe im Ausbildungsrahmenplan für die berufliche Grundbildung des Ausbildungsberuf Maurer/in (Auszug) (Quelle: BMWI 1999)

Teil des Ausbildungsberufsbildes

explizite Leseanlässe

implizite Leseanlässe

Berufsbildung, Arbeits- und Tarifrecht

 

Entnehmen wesentlicher Informationen aus dem Ausbildungsvertrag

Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit

 

Anwenden berufsbezogener Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften

Umweltschutz

 

Anwenden geltender Regeln des Umweltschutzes

Auftragsübernahme, Leistungserfassung, Arbeitsplan und Ablaufplan

 

Verstehen des Arbeitsauftrages

Einrichten, Sichern und Räumen von Baustellen

 

nach Vorgaben Arbeits- und Schutzgerüste aufbauen, unterhalten und abbauen

Prüfen, Lagern und Auswählen von Bau- und Bauhilfsstoffen

 

nach Vorgabe Bau- und Bauhilfsstoffe […] abrufen

Lesen und Anwenden von Zeichnungen, Anfertigen von Skizzen

Lesen und Anwenden von Zeichnungen und Skizzen

Ermitteln von Mengen anhand von Zeichnungen und Skizzen

Herstellen von Bauteilen aus Beton und Stahlbeton

 

Herstellen von Beton nach Rezept

Herstellen von Baukörpern aus Steinen

 

Herstellen von Mörtel nach vorgegebenen Mischungsverhältnissen

 

Im weiteren Verlauf werden Auszüge aus Interviews mit ausbildenden Akteuren der Baustellenpraxis vorgestellt. Dabei zeigen die entsprechenden Tabellen die Impulse/Leitfragen des Interviewleitfadens und die jeweils übergeordneten inhaltlichen Schwerpunkte (Dimensionen). Der Gesprächsleitfaden strukturiert die Befragung in verschiedene Module, von denen hier vier für die leitende Fragestellung nach Leseanforderungen im Kontext beruflicher Arbeit in besonderem Maße relevante vorgestellt werden:

  • Anforderungen in der betrieblichen Praxis,
  • Anforderungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis,
  • Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildungspraxis,
  • Kommunikationsverhalten in der betrieblichen Ausbildungspraxis.

In den Tabellen zugeordnet sind in Auszügen Ergebnisse, teilweise illustriert durch Zitate. Um die Bedeutung von Lesekompetenz in der betrieblichen Realität zu analysieren, werden insbesondere Fragen nach relevanten Texten bzw. Leseanlässen gestellt. Fokussiert werden die betriebliche Ausbildungspraxis und die Gegebenheiten der Facharbeiterpraxis, wobei hier eine weitere Differenzierung im Hinblick auf Personen mit Führungsverantwortung auf Baustellen erfolgt. 

 

Tabelle 3:     Ergebnisse der Befragungen von ausbildenden Akteuren (Modul: Anforderungen in der betrieblichen Praxis)

Modul: Anforderungen in der betrieblichen Praxis

Impulse/Leitfragen

Dimensionen

Ergebnisse

Welche Fähigkeiten sollte ein Facharbeiter auf jeden Fall haben?

Was sollten darüber hinaus Führungspersonen können?

zentrale Kompetenzen

Sekundärtugenden (z.B. Ordnung, Fleiß)

gute physische Konstitution
Teamfähigkeit berufsfeldspezifische handwerkliche Fertigkeiten

Für Personen mit Führungsverantwortung:

Bereitschaft zur Weiterbildung 
selbstständige Baustellenabwicklung Lesefähigkeit

„Dieses Lesen und Schreiben […] nimmt immer mehr zu, also das ganze Schriftwesen, Berichtswesen auf der Baustelle.“

In welchen konkreten Situationen müssen Facharbeiter lesen?

 

Nennen Sie doch bitte einige Beispiele für mögliche Texte.

Relevanz des Lesens

ggfs. gelesen werden müssen z. B. :

Zeichnungen
Leistungsverzeichnisse
gesetzliche Vorschriften
Produkthinweise

„…aber sowas muss man im Kopf haben.“

 

Tabelle 3 zeigt exemplarische Ausschnitte zum Modul „Anforderungen in der betrieblichen Praxis“. Bezüglich der Facharbeiterpraxis ist ein deutlicher Schwerpunkt auf affektive Verhaltensdispositionen bzw. motorische Fertigkeiten zu erkennen. Mit zunehmender Verantwortung steigen die Erwartungen an kognitive Fähigkeiten. Insofern ist an dieser Stelle die Nennung von Lesefähigkeit als wesentliche Basiskompetenz durchaus stimmig, was die weiter aufgeführten Fähigkeiten (wie zum Beispiel Bereitschaft zur Weiterbildung, selbstständige Baustellenabwicklung) bestätigen, die Lesekompetenz implizieren. Das Zitat unterstreicht die wachsende Relevanz von Lesekompetenz aufgrund sich wandelnder Anforderungen in der Baustellenpraxis, ein Aspekt, der von den meisten befragten Personen betont wurde und sich auch in technisch unterstützten Dokumentations- (beispielsweise Einsatz von Datenbanken) bzw. Kommunikationsmitteln (zum Beispiel E-Mail) widerspiegelt.

Mit Blick auf die meisten (also nicht in Führungsverantwortung befindlichen) Facharbeiter kann allerdings von einer (auf globaler Ebene) eher geringen Relevanz von Lesen für die Bewältigung von Arbeitsaufgaben in üblichen Baustellenabläufen ausgegangen werden. Das bei der Frage nach der Relevanz von Lesen aufgeführte Zitat stützt diese These und kann in Verbindung mit weiteren Aussagen als Hinweis auf eine domänenspezifisch geringe Relevanz von Lesekompetenz in den untersuchten Berufen gewertet werden. Berufliches Handeln erfolgt primär erfahrungsgeleitet. Erst bei auftretenden Problemen (zum Beispiel Baumängel, Differenzen mit Auftraggebern) wird dieses tradierte Wissen hinterfragt. Als Beispiel wird u.a. die große Bedeutung von Definitionen in insbesondere für den Straßenbau relevanten zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV) genannt, deren korrektes Verständnis für eine mängelfreie und vertraglich korrekte Abwicklung von Baumaßnahmen unabdingbar ist.

Während die Dimensionen bei Fragen zur betrieblichen Praxis auf einer eher globalen Ebene verbleiben, erfolgt im Hinblick auf die betriebliche Ausbildungspraxis eine weitere Differenzierung und Fokussierung auf Lesekompetenz respektive Leseanforderungen. Um eine direkte Vergleichbarkeit der Ergebnisse von betrieblicher (Facharbeiter-)Praxis mit der Ausbildungsrealität zu ermöglichen, erfolgt der erste Zugang  bei Fragen nach Anforderungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis (vgl. Tabelle 4) auch hier zunächst offen mit Fragen nach zentralen Kompetenzen und der übergeordneten Relevanz von Lesen.

 

Tabelle 4: Ergebnisse der Befragungen von ausbildenden Akteuren (Modul: Anforderungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis)

Modul: Anforderungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis

Impulse/Leitfragen

Dimensionen

Ergebnisse

Welche Fähigkeiten erachten Sie bei den Auszubildenden als besonders wichtig?

zentrale Kompetenzen

 

handwerkliche Fertigkeiten

Verständnis von Arbeitsabläufen

mathematische Fähigkeiten

technisches Verständnis

in Zusammenhängen denken können

Kritikfähigkeit

Lesefähigkeit

Wie schätzen Sie in diesem Kontext für Ihre Auszubildenden die Bedeutung des Lesens in der betrieblichen Praxis ein?

Relevanz des Lesens

 

„Von den Grundkenntnissen gehört Lesen und Schreiben auf jeden Fall dazu.“

 

Interessant ist bei den erwarteten zentralen Kompetenzen ein wesentlich breiteres Repertoire an Fertigkeiten und Fähigkeiten, wobei die Lesefähigkeit explizit genannt wird. Allerdings muss die kritische Frage gestellt werden, inwieweit diese Nennung eine tatsächliche Haltung der befragten Personen zeigt oder durch den thematischen Gesprächsrahmen induziert wurde. Das Zitat zur Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildung stützt diese Vermutung insofern, als dass es keine Aussage darüber gibt, welche Bedeutung die hier genannten Grundkenntnisse tatsächlich für die Bewältigung von Arbeitsaufgaben in der Baustellenpraxis haben. Ein Blick auf die niedrige Relevanz von Lesen in der betrieblichen Realität von Auszubildenden (vgl. Tabellen 5 und 6) stärkt diesen Eindruck. Ein weiterer Erklärungsversuch könnte die an dieser Stelle in der Wahrnehmung der befragten Akteure ggfs. nicht klare Trennung der Lernorte Betrieb, überbetriebliche Ausbildung und Berufsschule sein. Letztere beiden werden explizit als (die einzigen) Leseanlässe genannt (vgl. Tabelle 5).

 

Tabelle 5:   Ergebnisse der Befragungen von ausbildenden Akteuren (Modul: Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildungspraxis)

Modul: Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildungspraxis

Impulse/Leitfragen

Dimensionen

Ergebnisse

In welchen konkreten Situationen müssen Ihre Auszubildenden lesen?

konkrete Leseanlässe

„Auf Baustellen selbst wird kaum gelesen, weil überwiegend mündlich kommuniziert wird.“

Berufsschule bzw. überbetriebliche Ausbildung

Wie häufig müssen Ihre Auszubildenden lesen?

 

Häufigkeit von Leseanlässen

 

„Lesen ist auf der Baustelle ein Kann, aber kein Muss […] Der Auszubildende kommt auch acht Stunden ohne Lesen aus.“

Welche Texte müssen Ihre Auszubildenden lesen (können)?

Leseanforderungen (Textformen) in der betrieblichen Ausbildungspraxis

Zeichnungen

 

Die Impulse/Leitfragen bezüglich der Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildungspraxis (vgl. Tabelle 5) intendieren eine Identifizierung bzw. Quantifizierung von Leseanlässen und tatsächlich relevantem Textmaterial. Hier fällt sofort die ausschließliche Nennung von Zeichnungen auf, eine deutliche Unterscheidung zu der doch offensichtlichen Vielfalt von Texten, die nach der Ausbildung relevant werden (können). Zitate zur Häufigkeit von Leseanlässen verstärken die Feststellung fehlender Relevanz des Lesens in der betrieblichen Ausbildungsrealität. Lesen wird eher den anderen Lernorten zugeordnet. Entsprechende Lehr-Lernprozesse in den untersuchten Ausbildungsberufen sind folglich wenig textintensiv. Lernen erfolgt eher über Partizipation, Modelllernen bzw. mündlich kommunizierte Anweisungen (siehe auch Tabelle 6). Die Ergebnisse (Zitate) zu Fragen nach konkreten Leseanlässen liefern weitere Indikatoren für die geringe Bedeutung von Lesekompetenz und stützen, in Verbindung mit Einschätzungen der Facharbeiterpraxis, den Eindruck einer domänenspezifischen Charakteristik.

 

Tabelle 6:   Ergebnisse der Befragungen von ausbildenden Akteuren (Modul: Kommunikationsverhalten in der betrieblichen Ausbildungspraxis)

Modul: Kommunikationsverhalten in der betrieblichen Ausbildungspraxis

Impulse/Leitfragen

Dimensionen

Ergebnisse

Welche Bedeutung haben schriftliche/ mündliche Arbeitsanweisungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis?

 

Bedeutung von schriftlichen/ mündlichen Arbeitsaufträgen

überwiegend mündlich verbale Kommunikation/Anweisungen ggfs. ergänzt durch Skizzen

Wie kommt’s, dass Sie die Arbeitsaufträge Ihren Auszubildenden schriftlich/mündlich mitteilen?

Begründung für schriftliche/ mündliche Arbeitsaufträge

leichtere Arbeitsorganisation

„Es handelt sich meistens um mündliche Arbeitsanweisungen, diese sind besser und schneller auf Baustellen mitzuteilen.“

Fazit und Ausblick

Rekurrierend auf die in diesem Aufsatz fokussierte zentrale Fragestellung nach Leseanlässen im Kontext beruflicher Arbeit in ausgewählten Berufen des Berufsfelds Bautechnik können abschließend einige Ergebnisse zusammengefasst bzw. Thesen formuliert werden. Die im Hinblick auf Leseanforderungen in der betrieblichen (Ausbildungs-)Realität untersuchten Ausbildungsberufe Maurer/in bzw. Straßenbauer/in sind charakterisiert durch:

  • eine eher geringe Textgebundenheit betrieblicher Arbeitsprozesse in den untersuchten Ausbildungsberufen. Lesen scheint in der betrieblichen Ausbildung nicht zwingend für die berufliche Leistung notwendig zu sein und Lehr-Lernprozesse in den untersuchten Ausbildungsberufen sind wenig textintensiv. Lernen erfolgt vielmehr über Partizipation.
  • eine mit zunehmender Verantwortung steigende Anzahl von Leseanlässen und damit auch wachsende Bedeutung von Lesekompetenz bei der Bewältigung beruflicher Anforderungen.

Allerdings darf und kann die betriebliche Realität nicht alleinige Referenz für die Steuerung beruflicher Bildungsprozesse (vgl. HEID 1977; ebd. 1999) sein. Gerade die Diskrepanz zwischen der betrieblichen (Ausbildungs-)Realität und dem bildungstheoretisch fundierten Leitziel Handlungskompetenz kann als zentrale didaktische Herausforderung für die Lesekompetenzförderung im berufsbildenden Kontext festgestellt werden.

Im weiteren Verlauf des Forschungsvorhabens ist kurzfristig die Durchführung von Befragungen mit Auszubildenden und Lehrkräften geplant, um die bislang gewonnenen Eindrücke zu erweitern. Im Anschluss werden (als Voraussetzung für die weitere Konzeptentwicklung) berufs-/berufsfeldspezifische Gelingensbedingungen für eine wirksame integrierte Förderung der Lesekompetenz formuliert bzw. bereits vorliegende Hinweise aus der Interventionsforschung bildungsgangspezifisch konkretisiert/angepasst. Hierzu gehören u.a. eine:

  • Auswahl geeigneten (beruflich relevanten) Textmaterials,
  • auf berufsrelevante Textgattungen abgestimmte Strategieauswahl (vgl. LEOPOLD 2009),
  • Gestaltung von Übungskontexten mit beruflicher oder unterrichtsbezogener Relevanz (vgl. HASSELHORN 1992),
  • Einbindung in den Fachunterricht und/oder eine Verzahnung des Faches Deutsch/Kommunikation mit berufsbezogenen Fächern, ggfs. in Kombinationen direkter und indirekter Förderung (vgl. ZIEGLER/ GSCHWENDTNER 2010).

Literatur

BECKER-MROTZEK, M./ KUSCH, E./ WEHNERT, B. (Hrsg.) (2006): Leseförderung in der Berufsbildung. Duisburg. Kölner Beiträge zur Sprachdidaktik, H. 2.

BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND TECHNOLOGIE (BMWI) (1999): Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft. Berlin.

GSCHWENDTNER, T./ ZIEGLER, B. (2006a): Kompetenzförderung durch Reciprocal Teaching. In: GONON, P./ KLAUSER, F./ NICKOLAUS, R. (Hrsg.): Bedingungen beruflichen Lernens und beruflicher Moralentwicklung. Wiesbaden, 101-111.

GSCHWENDTNER, T./ ZIEGLER, B. (2006b): Möglichkeiten und Grenzen der Lesekompetenzentwicklung durch kurzfristige Intervention: Eine Frage des Adressatenkreises? In: GONON, P./ KLAUSER, F./ NICKOLAUS, R. (Hrsg.): Bedingungen beruflichen Lernens und beruflicher Moralentwicklung. Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung im Berufsleben. Opladen, 55-68.

HASSELHORN, M. (1992): Metakognition und Lernen. In: NOLD, G. (Hrsg.): Lernbedingungen und Lernstrategien: Welche Rolle spielen kognitive Verstehensstrukturen? Tübingen, 35-63.

HEID, H. (1977): Können die „Anforderungen der Arbeitswelt“ Ableitungsvoraussetzungen für Maßgaben der Berufserziehung sein? In: ZBW, 73, H. 11, 833-839.

HEID, H. (1999): Über die Vereinbarkeit individueller Bildungsbedürfnisse und betrieblicher Qualifikationsanforderungen. In: Zeitschrift für Pädagogik (ZfP), 45, H. 2, 231-244.

KEIMES, C./ REXING, V. (2011): Förderung der Lesekompetenz von Berufsschüler/innen – Bilanz von Fördermaßnahmen. In: ZBW, 107, H. 1 (im Druck).

LEHMANN, R./ IVANOV, S./ HUNGER, S./ GÄNSFUSS, R. (o. J.): ULME I. Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen zu Beginn der beruflichen Ausbildung. Online: http://www.hamburger-bildungsserver.de/baw/ba/ULME1_Bericht.pdf  (22-03-2011).

LEHMANN, R./ SEEBER, S./ HUNGER, S. (2007): ULME III. Untersuchung der Leistungen, Motivation und Einstellungen der Schülerinnen und Schüler in den Abschlussklassen der Berufsschulen. Online im Internet: http://www.hamburger-bildungsserver.de/baw/ba/ULME3_Bericht.pdf  (22-03-2011).

LEOPOLD, C. (2009): Lernstrategien und Textverstehen. Münster u. a.

MINISTERIUM FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG (MSW) DES LANDES NRW (2008a): Berufsausbildung in der Bauwirtschaft – Berufliche Grundbildung. Fachklassen des dualen Systems der Berufsausbildung. Düsseldorf.

MINISTERIUM FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG (MSW) DES LANDES NRW (2008b): Berufsausbildung in der Bauwirtschaft – 1. und 2. Stufe Hochbau. Fachklassen des dualen Systems der Berufsausbildung. Düsseldorf.

NICKOLAUS, R./ GEISSEL, B./ GSCHWENDTNER, T.  (2008): Entwicklung und Modellierung beruflicher Fachkompetenz in der gewerblich-technischen Grundbildung. ZBW 104, H. 1, 48-73.

NORWIG, K./ PETSCH, C./ NICKOLAUS, R. (2010): Förderung lernschwacher Auszubildender – Effekte des berufsbezogenen Strategietrainings (BEST) auf die Entwicklung der bautechnischen Fachkompetenz. In: ZBW, H. 2., 220-239.

SPÖTTL, G. (2008): Arbeitsprozessbezogene Forschung und deren Methoden. In: FISCHER, M./ SPÖTTL, G.: Forschungsperspektiven in Facharbeit und Berufsbildung. Frankfurt a. M., 157-183.

STAATSINSTITUT FÜR SCHULQUALITÄT UND BILDUNGSFORSCHUNG (ISB) (2000): Lehrplanrichtlinien für die Berufsschule – Fachklassen Bautechnik/Hochbau: Maurer/Maurerin. München.

ZIEGLER, B./ GSCHWENDTNER, T. (2010): Leseverständnis als Basiskompetenz: Entwicklung  und Förderung im Kontext beruflicher Bildung. In: ZBW, H. 4, 534-555.

ZIEGLER, B./ KEIMES, C. (2010): Wozu Lesen? – Relevanz von Leseförderung aus Sicht von Schülern im Berufsfeld Kraftfahrzeugtechnik (in Vorbereitung).


Zitieren dieses Beitrages

KEIMES, C./ REXING, V. (2011): Leseanforderungen im Kontext beruflicher Arbeit im Berufsfeld Bautechnik – empirische Befunde und Konsequenzen für die Lesekompetenzförderung. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Fachtagung 03, hrsg. v. BAABE-MEIJER, S./ KUHLMEIER, W./ MEYSER, J., 1-11. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/ft03/keimes_rexing_ft03-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

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