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In Deutschland beginnt seit Mitte des 17. Jahrhunderts -
vorerst nur in einzelnen Feudalstaaten - die Einführung
der allgemeinen Schulpflicht. COMENIUS nimmt diese Entwicklung
mit der Forderung vorweg: Die gesamte Jugend beiderlei Geschlechts
muss den Schulen anvertraut werden. Aber wie sollen Massen
von Kindern in der Stadt und auf dem Lande unterrichtet werden,
wenn die infrastrukturellen Voraussetzungen des öffentlichen
Schulwesens noch kaum entwickelt sind, es an personellen und
sächlichen Ressourcen mangelt, ja, wenn ein öffentlicher
Basiskonsens bezüglich der Notwendigkeit einer allgemeinen
Schulpflicht noch gar nicht hergestellt ist? Der damals als
revolutionär angesehene Lösungsvorschlag des COMENIUS
ist bekannt: Integrierte Einheitsschule. 3. Systematischer Zugriff: Leitfragen und allgemeine Prinzipien
zum Konzept des integrierten Lernens in Abgrenzung von Gleichwertigkeit
und Doppelqualifikation
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Wenn es keine Durchlässigkeit zwischen den Schulformen
gibt oder wenn es keine Vernetzungen zwischen den fachlich
klassifizierten Inhalten eines Curriculum gibt, wenn zwischen
den im Unterricht behandelten Inhalten und den außerschulischen
Erfahrungen keine Zusammenhänge hergestellt werden -
wenn also die Grenzen eine abschließende Funktion haben
und grenzüberschreitende Prozesse unterbinden, dann soll
hier von "geschlossenen" Beziehungen die Rede sein.
Sind die Grenzen der jeweils differenzierten Systeme fließender,
so tendieren sie zu "offenen" Beziehungen. Integration
und geschlossene Grenzen schließen sich aus. Allerdings
ist die Öffnung von Grenzen nur eine notwendige, keinesfalls
eine hinreichende Bedingung für Integration.
Durchlässigkeit als Öffnung der Grenzen zwischen
den unterschiedlichen Schulformen eines Bildungssystems ermöglicht
Integration, ist aber nicht von selbst schon integriertes
Lernen. Erst in dem Maße, wie Interdependenzen zwischen
grenzüberschreitenden Lernprozessen bestehen, entwickelt
sich integriertes Lernen. Für den Integrationsbegriff
ist Interdependenz konstituierend. Dabei ist Interdependenz
jedoch nicht mit Integration gleichzusetzen (vgl. WILLKE 1978,
236). Interdependenzen erzeugen Integrationsbedarf, wenn und
soweit sie Probleme, Widersprüche, Komplikationen erhalten,
die nur durch integriertes Lernen gelöst werden können.
Integriertes Lernen zu postulieren, wo kein Integrationsbedarf
besteht oder wo ein solcher sich nicht überzeugend darstellen
lässt, dürfte auf Dauer kaum erfolgreich sein.
Um es an einem konkreten Beispiel zu demonstrieren: Umweltschutz
gehört seit einigen Jahren zu den verbindlichen Bestandteilen
der Berufsausbildung im Dualen System. Themen des Umweltschutzes
betreffen jeden, und die Interdependenzen zwischen politischen
und wirtschaftlichen, technischen und sozialen Problembezügen
liegen auf der Hand. Interdependenzen als solche reichen aber
nicht aus, um vom integrierten Lernen sprechen zu können.
Interdependenzen müssen Problemstellungen enthalten und
subjektiv erfahrbar sein, und zwar in dem Sinne, dass der
Lernende von dem Problem persönlich betroffen und an
der Problemlösung beteiligt ist. Ob in Handel oder Handwerk,
Industrie oder in den Berufen der Touristikbranche, in allen
Berufen haben es die Berufstätigen und Auszubildenden
zunehmend mehr mit den Herausforderungen der Umweltverschmutzung
zu tun. Aber nicht alle in derselben Weise. Die Auszubildenden
kommen in die Berufsschule, weil sie sich von ihr erhoffen,
sie möge die Probleme ihres beruflichen Alltags ernst
nehmen. Es bleibt nur eine Möglichkeit, die zum Erfolg
integrierten Lernens führen könnte: Dort anzusetzen,
wo der Auszubildende für seine berufliche Kompetenzentwicklung
theoretische und praktische Hilfe erwartet. Das kann für
die Kauffrau oder den Kaufmann im Einzelhandel die Frage nach
der kundenfreundlichen, im Interesse der betrieblichen Wettbewerbsfähigkeit
aber auch kostengünstigen und nicht zuletzt umweltverträglichen
Entsorgung von Verpackungsmaterial sein; für den Gas-
und Wasserinstallateur die Problematik des umweltschützenden
Betriebs von Heizungs- und Sanitäranlagen etc. So liegt
es nahe, dass für die Verbesserung der Umweltbildung
(zunächst) die konkreten Erfahrungen im Vollzug beruflichen
Handelns den Anknüpfungspunkt für integriertes Lernen
bilden, das dann buchstäblich "grenzüberschreitend"
in die Behandlung der weltweiten Dimension der Umweltproblematik
einmündet.
Fazit: Integriertes Lernen bedeutet Lernen in Bildungssystemen
mit relativ offenen Grenzen zwischen den jeweils differenzierten
und spezialisierten Lernbereichen (zum Beispiel Unterrichtsthemen,
Fächern, Bildungsgängen, schulischen und außerschulischen
Lernorten). Ansatzpunkt für integriertes Lernen sind
Interdependenzen zwischen allgemeinen (objektiven) Problemlagen
und den speziellen Anforderungen, wie sie die Lernenden in
ihrer Umwelt (zum Beispiel am Arbeitsplatz) wahrnehmen und
sich mit ihnen aktiv auseinandersetzen. Ziel integrierten
Lernens ist die Entwicklung der Fähigkeit, bedeutungsvolle
Probleme komplexer Handlungssituationen, an denen die Lernenden
selbst beteiligt sind, verstehen, bewältigen und gestalten
zu können, sowie - daran anknüpfend - die Förderung
grenzüberschreitender Problemlösungsfähigkeiten
in Hinsicht auf interdependente Problemlagen außerhalb
des unmittelbaren Erfahrungsbereichs.
Mit dieser allgemeinen Bestimmung des Begriffs "integriertes
Lernen" ist eine ökologisch-systemische Perspektive
menschlicher Entwicklung verbunden. Menschliche Entwicklung
wird in Anlehnung an BROFENBRENNER (1981) verstanden als ein
Prozess, durch den die sich entwickelnde Person erweiterte,
differenziertere und verlässlichere Vorstellungen über
ihre Umwelt erwirbt. "Der Mensch erweitert im Verlauf
seiner Entwicklung seinen Einfluss auf die entfernteren Teilbereiche
seiner Umwelt, die sein Leben bestimmen" (vgl. BRONFENBRENNER
1981, 266). Integriertes Lernen hat mithin nicht nur eine
synchronische Dimension, auf die das Merkmal der Interdependenz
von Lebensbereichen verweist, sondern auch eine diachronische
Dimension, die den Prozess der Differenzierung und Koordination
oder Vernetzung von Lerninhalten im subjektiven Bildungsgang
der Lernenden betrifft.
Damit ist ein entscheidender Punkt angesprochen: Der Begriff
integrierten Lernens lässt sich sinnvollerweise nur auf
den subjektiven Bildungsgang beziehen, auf die Art und Weise,
wie Menschen sich in ihrem Entwicklungsprozess mit ihrer Umwelt
und mit sich selbst auseinandersetzen, Beziehungen herstellen
und in Zusammenhängen denken und handeln. Natürlich
haben die pädagogisch arrangierten, curricular strukturierten
und rechtlich formalisierten Rahmenstrukturen in Form institutionalisierter
Bildungsgänge darauf einen Einfluss. Bildungsgänge
mit starken Grenzziehungen nach außen und innen und
streng formalisierten Grenzsicherungen seitens externer Kontrollinstanzen
engen den Spielraum für integriertes Lernen ein, offenere
Curricula ermöglichen und stimulieren vergleichsweise
komplexere und flexiblere Formen integrierten Lernens.
Das Bildungssystem in der Bundesrepublik bevorzugt nach wie
vor Bildungsgänge mit relativ stark ausgeprägten
Grenzziehungen. Das gilt für das allgemeine Schulwesen
in ähnlicher Weise wie für den beruflichen Bildungsbereich,
und für doppelqualifizierende Bildungsgänge vielfach
noch verstärkt, weil die eng definierten Rahmenvorgaben
sowohl des allgemeinen als auch des beruflichen Bereichs berücksichtigt
werden müssen. Deshalb empfiehlt es sich, den Begriff
des integrierten Lernens deutlich zu unterscheiden von Integrationskonzepten,
die sich auf die organisatorischen und curricularen Rahmenstrukturen
sowie auf die Zertifizierung der Lernprozesse beziehen. Unterscheiden
bedeutet nicht trennen! Insofern sind beide Seiten aufeinander
zu beziehen: der subjektive und der formale Aspekt von Bildungsgängen.
Primär mit der formalen Seite integrierten Lernens haben
es die Begriffe Doppelqualifikation und Gleichwertigkeit zu
tun.
Der Begriff Doppelqualifikation wird im deutschsprachigen
Bereich in der Regel auf abschlussbezogene Bildungsgänge
angewandt, und zwar vorzugsweise im Zusammenhang mit der Verbindung
von allgemeinen und berufsbezogenen Bildungsabschlüssen.
Mit "Bildungsgang" im institutionellen Sinne ist
in Anlehnung an den Sprachgebrauch des DEUTSCHEN BILDUNGSRATS
(1974, 75) gemeint: "
eine geordnete Folge von Lehrveranstaltungen
in einem Schwerpunkt, die zu einem Fachabschluss führt".
Als doppelqualifizierend bezeichnet man Bildungsgänge
üblicherweise dann, wenn innerhalb ein und desselben
Bildungsgangs ein allgemeiner und ein berufsbezogener Abschluss
erworben werden können. Doppelqualifikationen können
sich auch auf das Nachholen des Hauptschul- oder des Realschulabschlusses
beziehen. Eine umfassende Definition bieten DAUENHAUER und
KELL an: "In einem neuen doppelqualifizierenden Bildungsgang
soll durch Verknüpfung, Verbindung, Verzahnung oder Integration
von Inhalten zweier bisher getrennter Bildungsgänge der
Erwerb von zwei Abschlüssen ermöglicht werden, und
zwar gleichzeitig oder nacheinander" (DAUENHAUER/KELL
1990, 49).
Ziel doppelqualifizierender Bildungsgänge kann, aber
muss nicht das integrierte Lernen im Sinne der Herstellung
grenzüberschreitender Interdependenzen zwischen allgemeinen
und beruflichen Lerninhalten sein. Vielfach steht als pragmatische
Zielperspektive die Zeitersparnis im Vordergrund der Doppelqualifikation
(DAUENHAUER/KELL 1990, 49). Dieser Effekt kann durch integriertes
Lernen positiv beeinflusst werden. Bei der Durchsicht curricularer
Materialien gewinnt man allerdings den Eindruck, dass sich
Doppelqualifizierung vielfach auf die Addition separierter
allgemeiner und beruflicher Lerninhalte beschränkt. Auch
auf diese Weise ist Zeitersparnis möglich. Dann nämlich,
wenn die gemeinsame Schnittmenge von Lerninhalten zweier Bildungsgänge
im doppelqualifizierenden Bildungsgang nur einmal vermittelt
werden muss. Ob und in welcher Weise in doppelqualifizierenden
Bildungsgängen tatsächlich integriertes Lernen stattfindet
(vgl. GRUSCHKA/KUTSCHA 1983), muss in jedem Einzelfall sorgfältig
geprüft werden. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass
integriertes Lernen nicht identisch ist mit Doppelqualifikation.
Doppelqualifikation stellt auf den formalen "Tauschwert"
der bildungsgangbezogenen Abschlüsse ab. Im pädagogisch
erwünschten Fall ist mit Doppel-Berechtigung auch eine
neue Qualität der Lernprozesse verbunden: als allgemeine
Bildung im Medium des Berufs (BLANKERTZ 1972).
In der bildungspolitischen Diskussion werden integriertes
Lernen und Doppelqualifikation mit Gleichwertigkeit in Verbindung
gebracht. Auch dieser Zusammenhang bedarf der genaueren Klärung.
Formal betrachtet bedeutet Gleichwertigkeit, dass äquivalente
Abschlüsse über verschiedene, nicht gleichartige
Bildungsgänge erworben werden können. Bei der Forderung
nach Gleichwertigkeit dominiert die Zielperspektive des Zugangs
zum Hochschulsystem. Gefordert wird die Gleichwertigkeit bestimmter
Berufsabschlüsse mit dem Abitur beziehungsweise der Fachhochschulreife
hinsichtlich der Berechtigung zum Studium an Universitäten
und Fachhochschulen. Das zentrale Problem liegt nun darin,
das tertium comparationis der Gleichwertigkeit ungleichartiger
Bildungsgänge zu bestimmen. Wenn es um die Gleichwertigkeit
gymnasialer und beruflicher Bildungsgänge in Bezug auf
die Studienberechtigung geht, liegt es nahe, auf das Kriterium
der "Studierfähigkeit" zurückzugreifen.
Aber leider besteht derzeit kein bildungspolitischer Konsens
darüber, welche inhaltlichen Leistungsanforderungen und
Methoden wissenschaftlichen Arbeitens, welche studienrelevanten
Verhaltensweisen und Attitüden als zuverlässige
Eigenschaften allgemeiner Studierfähigkeit gelten (sollen).
Traditionell wurde die Hochschulreife (Maturität) zertifiziert
durch das Abitur als Abschlusszeugnis der gymnasialen Oberstufe.
Trotz der früheren Vielfalt an Gymnasialzweigen (altsprachliches,
neusprachliches, mathematisch-naturwissenschaftliches, wirtschaftswissenschaftliches
Gymnasium etc.), und trotz der unterschiedlichen Kurskombinationen,
die heute an der neugestalteten gymnasialen Oberstufe angeboten
werden, wird nach wie vor am Ziel der allgemeinen Hochschulreife
festgehalten. Im Prinzip basiert dieses Konzept auf dem Gedanken
der Gleichwertigkeit im Sinne von Wissenschaftspropädeutik
als Äquivalenzkriterium (vgl. HABEL 1990). Mit dem Abitur
als Zertifikat der an unterschiedlichen Gymnasialzweigen beziehungsweise
in der differenzierten gymnasialen Oberstufe erworbenen Berechtigung
der allgemeinen Hochschulreife - womit in der Bundesrepublik
Deutschland zugleich die Hochschulzugangsberechtigung verbunden
ist - wird ja unterstellt, dass sich die allgemeine Studierfähigkeit
im Medium unterschiedlicher Bildungsgänge vermitteln
lässt. Demselben Prinzip folgt im Grunde auch die Forderung
nach Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung;
sie ist nur radikaler und beschränkt sich nicht auf die
speziellen Inhalte des gymnasialen Fächerkatalogs, der
den curricularen Vermittlungsrahmen und damit die Grenzen
wissenschaftspropädeutischen Lehrens in der gymnasialen
Oberstufe bestimmt.
Wie Doppelqualifikation ist auch Gleichwertigkeit nicht per
se mit integriertem Lernen gleichzusetzen. Gleichwertigkeit
von Abschlüssen im Sinne des Berechtigungswesens basiert
auf bildungspolitischen Vorgaben, schulrechtlichen Normierungen
und administrativen Regulierungen. Durch sie werden Bildungszertifikate
ungleichartiger Bildungsgänge hinsichtlich ihrer Berechtigungen
"gleichgestellt". Gleichwertigkeit heißt in
diesem Zusammenhang: Gleichstellung von Bildungsabschlüssen
durch Verwaltungsakte, unabhängig davon, auf welchen
Gründen diese beruhen. Mit integriertem Lernen und speziell
mit der Integration von wissenschafts- und berufspropädeutischem
Lernen muss das nichts zu tun haben. An der Geschichte des
Gymnasiums lässt sich studieren, wie kontingent bildungspolitische
Entscheidungen über die Gleichwertigkeit gymnasialer
Bildungsabschlüsse sind. War im 19. Jahrhundert der Erwerb
der allgemeinen Hochschulreife in der Regel an den Besuch
des neuhumanistischen Gymnasiums gebunden, erfolgte an der
Jahrhundertwende die Gleichstellung der Abschlüsse des
neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums
mit dem Abitur des nun so genannten altsprachlichen Gymnasiums.
Und wurde in den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts
darum gerungen, die Gemeinsamkeit der herkömmlichen Gymnasialtypen
erneut in einem allgemein verbindlichen Maturitätskatalog
zu fixieren, setzten sich schon ein Jahrzehnt später
unter dem Druck der expansiven Reformpolitik eine Reihe weiterer
gleichberechtigter Gymnasialtypen durch (wirtschaftswissenschaftliches,
sozialwissenschaftliches, musisches Gymnasium und andere),
bis es im Rahmen der Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe
(1972) dazu kam, die Vielzahl der Gymnasialtypen durch ein
differenziertes System von Grund- und Leistungskursen bei
gleichzeitiger Erweiterung des Fächerspektrums zu ersetzen.
Fragt man nach den Kriterien für die Gleichwertigkeit
der unterschiedlichen gymnasialen Bildungswege, gibt es nur
einen wirklich zuverlässigen Anhaltspunkt: Konstitutiv
für ihre Gleichwertigkeit ist der gemeinsame Abschluss
des Abiturs, das kraft Verwaltungsakt der Schulaufsichtsbehörden
die Berechtigung der allgemeinen Studierfähigkeit zertifiziert.
Ebenso könnte auch die Gleichwertigkeit bestimmter Abschlüsse
in beruflichen Bildungsgängen mit den Abschlüssen
der gymnasialen Oberstufe durch hoheitliche Verwaltungsakte
hergestellt werden. Dabei lassen sich die Mittel des Berechtigungswesens
durchaus für unterschiedliche Zielsetzungen und Interessen
nutzen: Gleichwertigkeit kann "Belohnung" und damit
Folge integrierten Lernens sein, bei dem das jeweilige Integrat
nach dem Äquivalenzprinzip auf den Erwerb studien- und
berufsbezogener Abschlüsse angerechnet wird. Sie kann
aber auch eine Strategie der Separierung sein - nach dem Motto:
"getrennt, aber gleichwertig". Gleichwertigkeit
dient im letzteren Fall der Grenzerhaltung getrennter Bildungssysteme
mit ungleichartigen Curricula und vor allem ungleichartigen
Zuständigkeiten staatlicher, korporativer und betrieblicher
Entscheidungsträger.
Ob es nun um die Erfolgsgeschichte des Gymnasiums geht, das
seine Attraktivität dem Abitur als einheitsstiftende
Berechtigung verdankt, oder um den noch andauernden "Kampf"
des beruflichen Bildungswesens um die Gleichwertigkeit qualifizierter
beruflicher Bildungsabschlüsse mit der Hochschulzugangsberechtigung
des Abiturs: im Vordergrund stand und steht das partikulare
Interesse der jeweiligen staatlichen und nicht-staatlichen
Bildungsagenturen an der Erweiterung ihrer institutionellen
Zuständigkeiten bei der Vergabe von Verfügungsrechten
in Bezug auf das Hochschulzugangsprivileg. Als Beobachter
dieser Entwicklung wird man rasch erkennen, dass die Struktur
des gegliederten Bildungswesens die Möglichkeiten grenzüberschreitender
Aktivitäten auf dem Feld der Bildungsreform und damit
die Voraussetzungen integrierten Lernens stark limitiert.
Die Distribution des gesellschaftlichen Wissensvorrats erfolgt
selektiv über die separierten Schullaufbahnen als staatlich
lizenzierte Verteilungsagenturen; diese blockieren im deutschen
Bildungssystem nicht unerheblich den Austausch von Wissen
und die Verbindung unterschiedlicher Wissensarten im Sinne
integrierten Lernen. Dass darunter auch die wirtschaftliche
Produktivität von Wissen leidet, legen die Ergebnisse
des jüngsten OECD-Bildungsberichts nahe.
Gleichwertigkeit codiert durch das Konstanthalten bestehender
Strukturen die Ungleichheit der Bildungschancen im System
der nach Allgemeinbildung und Berufsbildung getrennten Bildungssysteme.
Sie ist im Unterschied zum subjektiven Gebrauchwert integrierten
Lernens eine Tauschwertkategorie. Wer den Tauschwert nicht
als letztes Wort pädagogischen Denkens zu akzeptieren
vermag, kommt nicht umhin, sich den substantiellen Fragen
integrierten Lernens zuzuwenden. Dabei geht es auch und nicht
zuletzt um Fragen nach der "Ordnung der Dinge" als
strukturaler Dimension integrierten Lernens. Wir werden zwar
nicht mehr auf die Ordnung der Dinge und die damit verbundenen
"großen Erzählungen" (LYOTARD 1986) zurückgreifen
können, auf die sich COMENIUS bei der Abfassung der "Großen
Didaktik" verließ. Jedoch wird auf die (immer wieder
zu erneuernde) Herstellung von Ordnung als pädagogischem
Bezugsrahmen für "integriertes Lernen" nicht
zu verzichten sein, wenn Lernen und Lehren in öffentlicher
Verantwortung nicht auf "Halbbildung" reduziert
sein soll (vgl. ADORNO 1962). Nicht die "Ver-Ordnung"
von Ordnung, sondern die Ermöglichung und Unterstützung
von "Denken" als "Ordnen des Tuns" (vgl.
AEBLI 1980/1981) wäre die Perspektive, auf die integriertes
Lernen - auch in Widerspruch zu den Handlungsszwängen
des Alltags und den darauf verkürzten Formen handlungsorientierten
Lernens - abzielen sollte.
Mit Willi BRAND verbinden mich Gespräche und freundschaftliche
Beziehungen, die mich in solchen Überlegungen ermutigten.
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