|
2.2 Produktion von Lerninhalten
|
Prinzipiell gilt: Alle bekannten und tradierten Organisationsformen
der universitären Lehre lassen sich auch im E-Learning
verwirklichen (vgl. EULER & WILBERS 2003, 5 ff.). So sind
die vertrauten Präsentationen einzelner Studierender
oder einer Gruppe von Studierenden möglich. Konzentrierte
Erarbeitungsphasen, in denen die Studierenden an einer Aufgabe
oder an einem Problem arbeiten oder im Dialog Problemsichten
entwickeln, Lösungswege finden und erfinden sowie Lernergebnisse
erkunden und bewerten, können auch durch E-Learning befördert
werden.
Auch die Sozialformen des Einzellernens, des Lernens im Team
und im Plenum sind beim E-Learning anzutreffen. Instruierendes
Lernen sowie die Lernunterstützung durch begleitendes
Lernen und Lernmoderation finden auch beim E-Learning ihren
Platz bei der Gestaltung einer Lernumgebung. Jedoch kann sich
durch eine reflektierte Kombination der Elemente für
die Lernumgebung ein hochschuldidaktischer Mehrwert ergeben
(vgl. EULER & WILBERS 2003; HOHENSTEIN & WILBERS 2002).
Zu bedenken ist aber, dass E-Learning immer auch einem bestimmten
Entscheidungsrahmen folgt, der zu einem Teil durch die Technik
festgelegt wird. Ein hochschuldidaktischer Mehrwert ist deshalb
wohl nur dann zu begründen, wenn aufgezeigt werden kann,
dass die elektronischen Medien zumindest das Potenzial haben,
die didaktische und methodische Gestaltung von Lernumgebungen
zu erweitern (vgl. REINMANN-ROTHMEIER & MANDL 2001, 12
ff.), und wenn auch aufgezeigt werden kann, dass diese Erweiterung
auch tatsächlich möglich ist. Dann nämlich
lassen sich neue Optionen für das Lehren und Lernen in
der Hochschule beschreiben (vgl. WILBERS 2002). Dieser Gedanke
soll nun an einem Beispiel weiter ausgeführt werden.
Für das zuletzt durchgeführte Seminar "Arbeiten
und Lernen", das in Hamburg und Oldenburg jeweils als
Hauptseminar ausgewiesen wurde, wurde die von den Universitäten
Oldenburg und Osnabrück bereitgehaltene Lernplattform
"blackboard" eingerichtet. Sie bot den Studierenden
in der gewählten Konfiguration folgende Zugriffsmöglichkeiten
über die Menüleiste (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Überblick über die Menüleiste der Lernplattform "blackboard"
Unter "Informationen" der Menüleiste konnten
sich die Studierenden beispielsweise den Seminarplan der Veranstaltung
ausdrucken (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Auszug aus dem Seminarplan
Die Lernumgebung bot den Studierenden Gelegenheiten zum Einzellernen
(Literaturstudium), Teamlernen (Gruppenarbeit beispielsweise
bei der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von
Expertenbefragungen, Mitarbeit in Diskussionsforen) und Lernen
im Plenum (Präsentation von Interviewleitfäden und
Interviewergebnissen).
Für das Seminar wurden ca. 140 einschlägige Texte
aus Fachzeitschriften, Monografien und Sammelwerken in einem
Handapparat zur Verfügung gestellt. Abbildung 3 zeigt
einen kleinen Ausschnitt aus der dazugehörigen Literaturliste.
Abb. 3: Auszug aus der Literaturliste
Da sich die Vorbereitungsarbeiten in diesem Seminar auf drei beteiligte Hochschulstandorte verteilten, war der insgesamt beachtliche Aufwand für eine materiale Grundlegung des Seminars noch akzeptabel. Diese breite Materialbasis hätte von den Studierenden eines Seminars allein nicht aufgearbeitet werden können. Durch die Kooperation der drei Hochschulstandorte konnte jedoch die Wissensbasis erarbeitet werden. Hierfür wurden den Studierenden Formblätter an die Hand gegeben. Auf diesen Formblättern sollten sie für die von ihnen zu bearbeitenden Quellen zunächst abstracts formulieren und dann in einem zweiten Schritt ein Stichwortverzeichnis anlegen, unter dem ein gezielter Zugriff auf die Quellen möglich war (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Auszug aus Formblatt
Mit Hilfe der bearbeiteten Formblätter konnten sich
die Studierenden jederzeit einen schnellen Überblick
über die gesamte Wissensbasis verschaffen, auch wenn
sie diese nur zum kleinen Teil selbst mitgestaltet hatten:
Jeder Studierende konnte für die Bearbeitung seiner Aufgabe
zunächst über Titel und Stichwörter die mögliche
Relevanz einer Quelle prüfen, dann durch Lesen des abstract
seinen ersten Eindruck überprüfen und danach bei
Bedarf sich die Quelle aus dem Handapparat holen. Auf diesem
Wege baute sich jeder Studierende eine individuelle Wissensbasis
durch Einzelarbeit auf.
Wurden die Formblätter noch als Ergebnis von Einzelarbeit
produziert, entwickelten die Studierenden ihre Systematik
für eine interaktive Gruppenarbeit im Dialog. Hierbei
galt es, zu den zunächst noch vage formulierten und grob
skizzierten Leitfragen genauere und detailliertere Leitfäden
für die Bearbeitung einer Gruppenhausarbeit zu entwickeln
und dann die Arbeit arbeitsteilig, aber konzertiert anzufertigen.
Abbildung 5 zeigt einen kleinen Ausschnitt der Diskussion
und Zusammenarbeit an einer Gruppenhausarbeit.
Abb. 5: Auszug aus einem Diskussionsforum
Die Ergebnisse in Form von mehreren schriftlichen Gruppenhausarbeiten wurden wiederum auf der Lernplattform präsentiert und allen Lernern zur Verfügung gestellt (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Auszug aus einer Hausarbeit
E-Learning bietet gute Möglichkeiten einer Verbindung
traditioneller Medien wie Printmedien (Bücher, Zeitschriften),
Flipcharts, Tafel, Overheadprojektor usw. mit E-Medien wie
Power-Point-Präsentationen mit Animationselementen und
Lehrclips, die gern als Ausschnitte einer audio-visuellen
Aufzeichnung einer Lehrdarbietung zu Schlüsselstellen
des Seminars angeboten werden. Eine solche Schlüsselstelle
kann beispielsweise die Erläuterung einer im Seminar
erstellten und nicht "selbsterklärenden" Strukturgrafik
sein. Bei E-Learning kommen deshalb auch zum Einsatz: Metaplantechnik
zur strukturierten dialogischen Entwicklung, Strukturgrafiken
zur Verdeutlichung. Sie können - wenn sie denn von allgemeinerer
Bedeutung und nicht nur für die Arbeitsgruppen an einem
Hochschulstandort bedeutsam sind - über das Netz auch
den Studierenden an den anderen Standorten zur Verfügung
gestellt werden. So zeigt die Abbildung 7 beispielhaft ein
am Hochschulstandort Hamburg erarbeitetes Flipchart über
mögliche Themen und Fragestellungen für die schriftlichen
Gruppenhausarbeiten.
Abb. 7: Flipchart
Abbildung 8 stellt ein Standbild eines Videoclips dar. Es
dokumentiert, wie am Hochschulstandort Berlin die Themenfindung
abgelaufen ist.
Abb. 8: Standbild eines Videoclips
Abbildung 9 schließlich zeigt die Einstiegsfolie einer Power-Point-Präsentation am Hochschulstandort Oldenburg über die Ergebnisse eines von den Studierenden durchgeführten Experteninterviews zum Thema "Lernen am Arbeitsplatz".
Abb. 9: Blick auf die Startfolie einer Power-Point-Präsentation
Prinzipiell hat instruierendes Lernen auch beim E-Learning
seine Bedeutung: Dozentenvorträge können der Unterweisung
des Lernenden dienen. Beim E-Learning werden sie dann synchron
über das Netz übertragen, wobei sich ein Teil der
Studierenden vor Ort und im Seminarraum befindet, ein anderer
Teil den Vortrag fernab von Seminarraum am Bildschirm verfolgt.
Wir haben allerdings in unseren Seminaren bisher weitgehend
auf Instruktionen dieser Art verzichtet. Stattdessen haben
sich die Veranstalter selbstverpflichtet, z. B. ihre Einführungsvorträge
in gedruckter Form oder als Power-Point-Präsentationen
den Studierenden auf der Lernplattform zur Verfügung
zu stellen.
Für die Seminare konnten studentische Tutoren eingestellt
werden. Diese standen den Studierenden zur Verfügung.
Allerdings haben die Studierenden nicht in allen Seminaren
von diesem Angebot regen Gebrauch gemacht. Zumeist waren es
die Dozenten, die ihnen Rede und Antwort stehen sollten und
auch gestanden haben.
Ein arbeitsteiliges Vorgehen erfordert auch wiederum das Zusammenfügen
der Ergebnisse im Seminar zu einer Gesamtleistung. Hierfür
ist die Moderationstechnik unter Beteiligung aller Studierenden
einzusetzen, die dann nicht ohne Unterstützung durch
das Internet möglich ist. In unserem Seminar war es ein
Abschlussbericht, der zunächst von einem Dozenten auf
der Basis der bis dahin erarbeiteten Zwischenergebnisse den
Studierenden vorgeschlagen und dann in zwei Diskussionsrunden
von den Studierenden auf der Lernplattform modifiziert wurde
(vgl. Abb. 10).
Abb. 10: Auszug aus dem Abschlussbericht
Obwohl sich der Abschlussbericht auf Arbeitsergebnisse der
Studierenden stützte, gab es im Seminar z. T. wieder
kontrovers verlaufende Diskussionen. Damit wurde eigentlich
eine neue Runde in der Erarbeitung des Seminarthemas eingeleitet,
denn es wurden einerseits die Qualitäten der bisherigen
Lernergebnisse hervorgehoben, andererseits aber auch zahlreiche
Anregungen für die weitere inhaltliche Verdichtung der
Ergebnisse im Abschlussbericht vorgetragen (vgl. Abb. 11).
Abb. 11: Übersicht über Kommentare zum Abschlussbericht
E-Learning produziert eine Vielzahl von Lernergebnissen in
der Form von Präsentationen, Diskussionsvorlagen, Dokumentationen,
Hausarbeiten, Animationen u. a. Anders als in traditionellen
Hochschulseminaren bietet E-Learning aber verbesserte Möglichkeiten
der Ergebnissicherung auf der Lernplattform. Diese Ergebnisse
stehen den Studierenden in der Regel noch längere Zeit
nach Seminarabschluss zur Verfügung, zumindest solange
der Projektraum noch nicht von den Administratoren der Lernplattform
geschlossen bzw. aufgelöst wurde. Deshalb können
sie auf die Seminarergebnisse auch noch nach Semesterende
zugreifen, diese Ergebnisse nacharbeiten oder auch in Folgeseminare
einbringen.
Wir präferieren jedoch ein anderes Verfahren der Ergebnissicherung:
Wir sichern die Seminarergebnisse auf einer CD-ROM. Dann stehen
sie interessierten Studierenden auch auf ihren heimischen
PCs dauerhaft zur Verfügung.
Zur Ergebnissicherung und zum Transfer der Seminarergebnisse
zählt aber auch ein Feedback, in dem die Seminarorganisation,
die Seminarergebnisse und der gemeinsame Lernprozess nochmals
analysiert und abschließend bewertet werden. Für
ein Feedback bietet sich unseres Erachtens ein zweistufiges
Vorgehen an. Zunächst diskutieren und bewerten die Studierenden
das Seminar entlang von Leitfragen, für die von den Veranstaltern
jeweils ein Diskussionsforum eingerichtet wird (vgl. Abb.
12). Dies sichert einen systematisch angelegten Überblick
auch über die mit E-Learning angesteuerten Ziele und
unterstützt die Bearbeitung von Fragen in Folgeseminaren:
Welche Ziele sollen wir besonders beachten, d. h. z. B. unbedingt
beibehalten oder auf jeden Fall verändern?
Abb. 12: Leitfragen für Feedback
Dann sollten aber die Studierenden auch noch die Gelegenheit
bekommen nach der Aufforderung "Was ich sonst noch sagen
wollte ..." ihre Eindrücke mitzuteilen, Meinungen
vorzutragen, Bewertungen abzugeben und persönliche Empfehlungen
zu hinterlassen. Hierfür eignet sich ein Chat unter der
Voraussetzung, dass die Teilnehmerzahl es prinzipiell zulässt,
dass sich alle Studierenden daran auch beteiligen können
und der Meinungsaustausch nicht unübersichtlich gerät.
Unsere bisherigen Erfahrungen mit der Konstruktion und Erprobung
von E-Learning in der Hochschullehre lassen sich auch grundsätzlich
umreißen (siehe auch REINMANN-ROTHMEIER & MANDL
2001, 16 ff.).
E-Learningangebote sollten klar erkennbare Praxisbezüge
aufweisen. Über Praxisbezüge können die Studierenden
das gemeinsam erzeugte, jedoch individuell relevante Wissen
auf den Prüfstand einer empirischen Bewährung stellen
und validieren. In unserem Seminar waren es vor allem die
Expertengespräche, denen wir diese Funktion zugewiesen
haben. Es sind aber auch Internetrecherchen (web-quests) denkbar.
Heterogene Studierendengruppen, die immer dann entstehen,
wenn wir Studierende mit verschiedenen beruflichen Fachrichtungen
und unterschiedlichen Lernbiografien in gemeinsamen Lehrveranstaltungen
zusammenführen, stellen nicht nur besondere Anforderungen
an eine flexible Gestaltung der Lernumgebung. Sie bieten auch
die Chance für eine mehrperspektivische Bearbeitung des
Seminarthemas. Wir haben deshalb den Orientierungsrahmen für
die Produktion von Lerninhalten zunächst weit gefasst
und die Studierenden ermuntert, innerhalb dieses Rahmens konsensuelle
Bereiche für die Produktion von Lerninhalten zu entdecken
bzw. zu erarbeiten.
E-Learning fordert ein sensibles Ausbalancieren von Einzellernen
und Lernen in der Gruppe. Dabei sind jedoch der Kommunikation
und der Kooperation in Gruppen eine verstärkte Aufmerksamkeit
zu schenken, weil dieser soziale Aspekt des E-Learning leicht
aus dem Blickfeld gerät. Wir haben diesen Aspekt im Auge
gehabt, als wir Diskussionsforen im Wechsel mit Einzelarbeit
in den Veranstaltungsfahrplan einschrieben und zudem den Studierenden
die Möglichkeit anboten, wenigstens eine Seminarsitzung
zusammen mit allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen an einem
Hochschulstandort zu gestalten. Ungefähr die Hälfte
der Studierenden hat dieses Angebot angenommen und es als
ein Highlight einer Seminarsitzung an der TU Berlin erlebt.
E-Learning in netzbasierten Lernumgebungen fordert die kooperative
Produktion von Lerninhalten heraus. Andererseits müssen
hierfür aber auch Lernquellen vorgehalten werden. In
unserem Seminar bestand der Lernquellenpool im Wesentlichen
aus einem traditionellen Handapparat mit Fachliteratur und
den Informationsangeboten, die das Internet bereithält.
Auch selbstorganisiertes Lernen bedarf der Unterstützung
durch Lehrende. Dabei reicht es aber nicht aus, allein durch
einen Orientierungsrahmen, Bereitstellung eines Lernquellenpools
und eines Seminarfahrplans Grenzen für die freie Gestaltung
der Seminararbeit zu ziehen. Prinzipiell gilt: Beim E-Learning
müssen sich die Lehrenden stärker als bisher in
Prozesse der Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Lernumgebungen
einbringen und sich auch an curricularen Entwicklungen von
Angeboten für E-Learning beteiligen (vgl. KREMER 2002,
9). Dies ist ein schwieriger Prozess, in dem wir uns in den
bisher durchgeführten Seminaren eher erfahrungsgeleitet
denn wissend bewegten und bewähren mussten.
BÜCHTER, K. & GRAMLINGER, F. (2002): Lernen in Netzen
- Einige neuralgische Punkte und offene Fragen in der berufs-
und wirtschaftspädagogischen Diskussion. Online im WWW:
http://www.bwpat.de/ausgabe2/buechter-gramlinger_bwpat2.html
(10-09-03).
EULER, D. (2002): From connectivity to community - Elektronische
Medien als Katalysator einer Kultur des selbstorganisierten
Lernens im Team. Online im WWW:
http://www.bwpat.de/ausgabe2/euler_bwpat2.html
(10-09-03).
EULER, D. & WILBERS, K. (2003): Von technischen Optionen
zum didaktischen Mehrwert. E-Learning als didaktische Herausforderung.
In: berufsbildung, H. 80, 3-8.
HEIDBRINK, H. (2001): Virtuelle Seminare: Erfahrungen, Probleme,
Forschungsfragen. Erfahrungen im Fernstudium. Online im WWW:
http://www.medienpaed.com/00-2/heidbrink1.pdf
(10-09-03).
HOHENSTEIN, A. & WILBERS, K. (Hrsg.) (2002): Handbuch
E-Learning. Köln.
KREMER, H.-H. (2002): Offene webbasierte Lernumgebungen -
Zur Notwendigkeit vernetzter Lehr- und Lernumgebungen. Online
im WWW:
http://www.bwpat.de/ausgabe2/kremer_bwpat2.html
(10-09-03).
REINMANN-ROTHMEIER, G. & MANDL, H. (Hrsg.) (2001): Virtuelle
Seminare in Hochschule und Weiterbildung. Drei Beispiele aus
der Praxis. Bern.
WILBERS, K. (2002). Lernen in Netzen: Modernismen und Traditionen,
Schismen und Integrationsversuche. Online im WWW:
http://www.bwpat.de/ausgabe2/wilbers_bwpat2.html
(10-09-03).