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http://www.bwpat.de/spezial2 | Hrsg. bwp@-Spezial 2: Hubert Ertl und H.-Hugo Kremer

Innovationen in schulischen Kontexten: Ansatzpunkte für berufsbegleitende Lernprozesse bei Lehrkräften

 

Die Entwicklung der Innovationskompetenz von LehrerInnen aus (berufs-) biographischer Perspektive



Abstract

Eine zentrale Grundlage für das Initiieren und die Umsetzung von Innovationen ist die professionelle Kompetenz der LehrerInnen. Innovationen in der Schule können nur gelingen, wenn LehrerInnen sich daran aktiv beteiligen. Die Lehrpersonen selbst, ihre Einstellungen, Haltungen und Handlungsmöglichkeiten in Innovationsprozessen tragen wesentlich zu deren Gelingen bei. In meinem Beitrag werde ich auf die professionelle Entwicklung von LehrerInnen, insbesondere in Bezug auf ihre Innovationsbereitschaft und -kompetenz eingehen. Dabei gehe ich auf Modelle der Entwicklung von Professionalität im Lehrerberuf und die Expertiseforschung ein (1.) und erörtere wichtige empirische Untersuchungen in diesem Gebiet (2.). Diese Grundlagen erlauben es, Schlussfolgerungen für die Entwicklung von Professionalität und Innovationskompetenz von LehrerInnen zu ziehen (3.).

Inhaltsübersicht:

1. Professionalisierung im Lehrerberuf
1.1 Professionelle Kompetenz im Lehrerberuf
1.2 Phasenmodelle der Entwicklung professioneller Kompetenz
1.3 Lehrerbildung und Expertiseforschung
2. Berufliche Entwicklung innovativer LehrerInnen
2.1 Phasen der beruflichen Entwicklung
2.2 Unterstützende und belastende Faktoren im Berufsalltag
2.2.1 Unterstützende Faktoren
2.2.2 Belastende Faktoren
2.3 Schlüsselpersonen und Schlüsselereignisse
2.3.1 Schlüsselpersonen
2.3.3 Schlüsselereignisse
2.4 Drei zentrale Strategien für die professionelle Entwicklung und den Berufsalltag
3. Folgerungen für Professionalität und Innovation im Lehrerberuf
3.1 Lehrerbildung als biographisches Lernen
3.2 Die spezifische Situation in der Grundschule
3.3 Beachtung von Entwicklungsphasen im Lehrerberuf
3.4 Struktur des Lehrerberufs

1. Professionalisierung im Lehrerberuf

1.1  Professionelle Kompetenz im Lehrerberuf

LehrerInnen entwickeln im Laufe ihres Berufslebens durch Ausbildung, Erfahrung und Reflexion ihre professionelle Kompetenz. Hierbei ist entscheidend die Trias aus Wissen, Handlungsroutinen und Ethos (Blömeke 2003) (vgl. auch Terhart 1991, S. 90ff).

Wissen ist hierbei nicht isoliert als Fachwissen zu sehen, sondern beinhaltet auch Wissen über die „Lehrbarkeit“ von Fachwissen. Kompetente LehrerInnen verstehen die Strukturen ihres Faches auch in Bezug auf ihre Vermittlung. Wissen ist also eher fachdidaktisch als fachwissenschaftlich organisiert.

Professionalität im Handeln (Expertenhandeln) von LehrerInnen zeichnet sich dadurch aus, dass sie Informationen schneller wahrnehmen, sich an ähnliche Situationen erinnern und im Unterricht rasch Modelle der Unterrichtssituation entwickeln, die es ihnen ermöglichen, Entscheidungen zu treffen und zu handeln. So können sie in vielfältigen Unterrichts- und Erziehungssituationen pädagogisch sensibel und erfolgreich reagieren.

Das Berufsethos von LehrerInnen meint eine Haltung, die an vielen Stellen im Berufsalltag wirksam wird und im günstigen Fall von Verantwortung und Engagement gekennzeichnet ist.

1.2  Phasenmodelle der Entwicklung professioneller Kompetenz

Der Erwerb und die Entwicklung professioneller Kompetenz im Berufsalltag (Auf Professionalisierungsprozesse im Studium kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden.) ist ein Prozess, der sich über längere Zeit erstreckt. Bei der Professionalisierung steht in den ersten Berufsjahren (einschließlich 2. Phase) die Sozialisierung in die Traditionen der Berufspraxis und die Einübung praktisch-pädagogischen Handelns im Vordergrund. Der Erwerb professioneller Kompetenz ist ein bis etwa zehn Jahre dauernder individueller Prozess in mehreren Stufen oder Phasen. Berufserfahrenen, professionellen LehrerInnen gelingt es, die Anforderungen von Wissenschaft und Praxis kompetent in Einklang zu bringen. Welche Forschungsergebnisse zu den Phasen der Entwicklung professioneller Kompetenz von LehrerInnen gibt es, welche Folgerungen lassen sich daraus für die Entwicklung von Innovationskompetenz ziehen?

Die professionelle Entwicklung von LehrerInnen wird als spezifisch berufsbiographischer Entwicklungsprozess mit unterschiedlichen Phasen gesehen. Dieser Prozess verläuft individuell sehr unterschiedlich und manchmal krisenhaft. Die LehrerInnen selbst nehmen dabei eine aktive und zentrale Rolle ein. Differenzierte und empirisch belegte Stufenmodelle beschreiben die professionelle Entwicklung in der Berufspraxis. Sie zeigen typische Verläufe und werden im Folgenden kurz dargestellt, da sie eine wichtige Grundlage für die weitere Diskussion sind.

Fuller und Bown (1975) beschreiben die Veränderungen der zentralen Belastungen und Aufgaben („concerns“) im Verlauf der beruflichen Tätigkeit. Die ideale Entwicklung beruflicher Kompetenz verläuft in drei Stadien:

„survival stage“: „Überleben“ im Klassenzimmer, eigene Schwierigkeiten mit dem Vor-der-Klasse-Stehen und Unterrichten

„mastery stage“: „Ich als Lehrerperson“, Unterrichtssituationen methodisch und didaktisch gut gestalten

„routine stage“: Blick wird frei für die Bedürfnisse der SchülerInnen, Eingehen auf individuelle Probleme, SchülerInnen werden stärker beachtet, pädagogische Aufgabe rückt in den Mittelpunkt

Bereits dieses einfache Modell zeigt, dass Professionalität in einem längeren Prozess erworben wird, dass „bis zur Zielvorstellung professionell handelnder LehrerInnen, die die Unterrichtstätigkeit und erziehliche Verantwortung gleichermaßen ernst nehmen und professionell ausüben, ein langer beruflicher und persönlicher Entwicklungsprozess nötig ist“ (Schönknecht 1997, S. 14).

Fessler (1990) zeigt drei zentrale Bereiche der Entwicklung von LehrerInnen auf, die sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Houston 1990. S. 318f.). Professionelle Kompetenz entwickelt sich im Rahmen von „personal environment“ (Lebenszyklus, Familie, positive kritische Ereignisse, Krisen, individuelle Dispositionen, Nebenbeschäftigungen und Hobbies), „organizational environment“ (Einigkeit, Regeln, Führungsstil, öffentliche Meinung, soziale Erwartungen, Organisation im Beruf) und „career cycle“ (Ausbildung, Einführung in den Beruf, Kompetenzzuwachs, Enthusiasmus und Wachsen, Frustrationen, Stabilisierung und Stagnation, Karriereabschluss, Ausscheiden).

Sikes u.a. (1985) entwickeln aus einer Interviewstudie das Konzept von „crises and continuities“ als zentrale Bestandteile des LehrerInnenlebens. Dabei werden auch Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Entwicklungsverläufen beachtet (Die unterschiedlichen Verläufe der Phasen bei Lehrern und Lehrerinnen werden leider nicht in allen Studien berücksichtigt, vgl. Glumpler 2001 .).

Interessant an dieser Studie ist vor allem die Analyse von Faktoren und Mechanismen, die professionelle Entwicklung und Veränderungen im beruflichen Handeln auslösen. Solche „Übergänge“ können vor allem in kritischen Phasen („critical phases“) durch Ereignisse („critical events“) und Personen („critical persons“) ausgelöst werden. Dies bestätigt sich in weiteren Untersuchungen (Sikes u.a. 1985, Kelchtermans 1990, 1992, Schönknecht 1997).

Oja (1989) geht in ihrem Stufenmodell davon aus, dass berufliche Entwicklungsaufgaben („life / age / career-cycle“) zusammenhängen mit dem Lebensalter („age related tasks“) und mit kognitiven Entwicklungsaufgaben („cognitive development stages“). „Age related tasks“ erklären, warum sich LehrerInnen mit bestimmten Fragen, Fortbildungskonzepten o.ä. beschäftigen, die jeweilige kognitive Stufe erklärt, wie sie sich damit beschäftigen. Dieses Modell verdeutlicht, dass LehrerInnen trotz ähnlicher Stufen in der professionellen Entwicklung ganz unterschiedlich mit Entwicklungsaufgaben umgehen.

Ein Modell, das Stadien auch differenziert und in mehreren Studien bestätigt wurde, ist dasjenige von Huberman (Huberman 1991, Terhart u.a. 1994, Hirsch 1990). Im Unterschied zu anderen Untersuchungen wird die Phaseneinteilung nicht an das Lebensalter, sondern an Berufsjahre gebunden. Es ergeben sich unterschiedliche mögliche Entwicklungen.

Nach einem hoch fordernden Berufseinstieg erfolgt eine Phase der Konsolidierung und Routinisierung. Die weitere Entwicklung hängt davon ab, wie mit den Anforderungen des Berufs, mit persönlichen Krisen etc. umgegangen wird: Die Berufsmotivation bleibt erhalten oder die professionelle Entwicklung führt zu einer resignativen, wenig innovationsbereiten Haltung. In der Stichprobe von Huberman (Befragt wurden 160 SekundarschullehrerInnen in der Schweiz) überwog die resignative Haltung von LehrerInnen, die Berufskarrieren mündeten häufig in Konservatismus, z. T. auch in Zynismus und Desengagement. In der Folgestudie von Hirsch u.a. (1990) werden Berufsbiographiemuster entwickelt, die den Zusammenhang von Biographie und Identität bestätigen. Hirsch u.a. unterscheiden folgende „Lehreridentitätstypen“, die sich im Umgang mit den Anforderungen des Berufs unterscheiden: Problemtyp – Entwicklungstyp – Stabilisierungstyp – Krisentyp – Resignationstyp – Diversifizierungstyp (Reihenfolge nach Häufigkeit des Auftretens des jeweiligen Typs).

Welche Folgerungen können aus diesen Phasenmodellen gezogen werden? Die berufliche Entwicklung von LehrerInnen läuft in Phasen ab, in denen verschiedene Themen und Fortbildungsnotwendigkeiten im Zentrum der professionellen Entwicklung stehen. Es sind individuell sehr unterschiedliche, insgesamt aber doch typische Verläufe in Berufsbiographien festzustellen. Dabei lassen sich typische Verläufe der professionellen Entwicklung identifizieren, die Innovationen begünstigen und andere, die weniger erwünscht verlaufen.

1.3  Lehrerbildung und Expertiseforschung

Die Untersuchung von kompetenten Lehrpersonen gibt Hinweise auf die Verbesserung der professionellen Kompetenz. Obwohl nicht in allen Untersuchungen dort verortet, können die hier vorgestellten Untersuchungen der Expertiseforschung zugeordnet werden, weil LehrerInnen als Experten ihrer professionellen Entwicklung befragt wurden.

Gruber und Leutner (2003) weisen dem Expertiseansatz eine zentrale Stellung für die Untersuchung von Implementation von Innovationen im Lehrerberuf zu („Die kompetente Lehrperson als Multiplikator von Innovationen“ (Gruber / Leutner 2003), vgl. auch Oser / Oelkers 2001.). Die Expertiseforschung könne durch die Untersuchung hervorragender beruflicher Leistungen, der Bedingungen ihres Zustandekommens und der Möglichkeiten ihrer Unterstützung neue Impulse für den Erwerb von Expertenwissen und -können im Lehrerberuf geben. Zentral sei hierbei die Analyse des bereichsspezifischen Wissens und Könnens von Experten. Sie sehen folgende Forschungsaufgaben in diesem Bereich als Voraussetzungen für Innovationen in der Bildung: die Untersuchung individueller Kompetenzen von LehrerInnen, die wissensbasierte Beschreibung von Kompetenzen, die Umsetzung in erfolgreiche Performanz und Möglichkeiten zur Förderung von Kompetenzen.

Die LehrerInnen selbst sind zentraler Faktor bei der Implementation innovativer Konzepte und den Forschungsergebnissen aus den Erziehungswissenschaften. Die im Folgenden vorgestellten Forschungsergebnisse aus der Lehrerbiographieforschung geben dazu wichtige Hinweise.

2.  Berufliche Entwicklung innovativer LehrerInnen

Was kennzeichnet auf Grundlage der vorgestellten Phasen- und Stufenmodelle die berufliche Entwicklung innnovativer LehrerInnen? Wodurch zeichnen sie sich aus? Dies soll an zentralen Ergebnissen einer Studie (Schönknecht 1997) („Innovative Lehrerinnen und Lehrer – Berufliche Entwicklung und Berufsalltag“) dargestellt werden.

In dieser qualitativen biographischen Interview- und Fragebogenstudie wurden Einflüsse auf die professionelle Entwicklung innovativer GrundschullehrerInnen mit der Forschungsmethode der Grounded Theory (Strauss 1991) untersucht (Es wurden mit acht Lehrerinnen und drei Lehrern intensive problemzentrierte Interviews geführt, weitere 79 Lehrerinnen und Lehrer wurden mit Fragebögen mit weitgehend offenen Fragestellungen befragt, Details zur Studie und zur Forschungsmethode (vgl. Schönknecht 1997, S. 83ff).). Berufliche Entwicklung (professional development) von LehrerInnen wird als selbstgesteuerter, komplexer und lebenslanger Prozess gesehen, der von den LehrerInnen selbst in Interaktion mit externen „Sozialisationsinstanzen“ (i.e. dem privaten und professionellen Umfeld) aktiv gestaltet wird. Zentrale Einflussfaktoren sind die (berufs-) biographische Entwicklung, die Lehrerbildung und der Berufsalltag.

Als „innovativ“ können die befragten LehrerInnen bezeichnet werden, weil sie „Offenen Unterricht“ realisieren. Die „Öffnung des Unterrichts“ ist die zentrale Schulreform, die in der Grundschule seit den 1980er Jahren vor allem als bottom-up-Prozess von LehrerInnen initiiert und realisiert wurde. Die befragten GrundschullehrerInnen erweisen sich deshalb als besonders geeignete Forschungssubjekte für Fragen nach Professionalisierungs- und Innovationsprozessen (Bauer stellt im Rahmen seiner empirischen Untersuchung fest, dass „inzwischen im Grundschulbereich eine Kultur pädagogischer Professionalität entstanden ist, zu der es im Sekundarbereich I bisher keine Entsprechung gibt“ (Bauer 1993, 108). Auch von Seiten der pädagogischen Frauenforschung wird deutlich, dass in der Grundschule, auch wegen des hohen Frauenanteils, die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit besonders hoch ist (Fischer u.a. 1996).) . Empirische Studien der innovativen professionellen Entwicklung von GrundschullehrerInnnnen sind im deutschsprachigen Raum selten. (Die vorliegenden Arbeiten von Hubermann 1988, Hirsch 1990, Flaake 1989, Bauer u.a. 1996 beschäftigen sich ausschließlich mit SekundarlehrerInnen, Terhart u.a. 1994 sowie Stahl 1995 beziehen GrundschullehrerInnen mit ein, zum Überblick vgl. „Grundschularbeit als Beruf“ (Terhart 2001, S. 130ff.).)

Ziel der Studie war, ein möglichst differenziertes Bild der beruflichen Entwicklung und des Berufsalltags innovativer LehrerInnen zu zeichnen, zentrale Prozesse und Einflussfaktoren zu entdecken. Wie wurden und werden LehrerInnnen zu qualifizierten ExpertInnen in ihrem beruflichen Handeln, die sich durch hohe Professionalität auszeichnen? Die Ergebnisse werden in der Studie aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt: die verschiedenen Phasen des Berufslebens, der Umgang mit unterstützenden und belastenden Faktoren im Berufsalltag und Schlüsselpersonen / Schlüsselereignisse für die Öffnung des Unterrichts.

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Studie in Bezug auf die Entwicklung von Innovationsbereitschaft und -kompetenz von LehrerInnen dargestellt.

2.1  Phasen der beruflichen Entwicklung

Dieser Bereich deckt sich im Wesentlichen mit den bereits in anderen Studien identifizierten Phasen. Allerdings konnten in meiner Studie kaum „negative“ Entwicklungen festgestellt werden, wie Problem-, Krisen- und Resignationsbiographien, kein „Desengagement in Bitterkeit“. Bereits während des Studiums zeigen die befragten LehrerInnen Interesse an reformpädagogischen Inhalten, an Veranstaltungen, die inhaltlich und methodisch innovative Perspektiven berücksichtigen.

Die Belastung im Beruf wird im Vergleich zu anderen Lehrämtern als geringer erlebt, die Berufszufriedenheit scheint in dieser Schulform insgesamt höher zu sein (vgl. auch Terhart 2001, S. 138f.). Während sich SekundarschullehrerInnen eher über ihr Fach definieren, sehen sich GrundschullehrerInnen primär als ErzieherInnen, was allerdings auch fachliche Kompetenz mit einschließt. Fachorientierung korreliert mit größerer Distanz zum Beruf und stärkerer Unzufriedenheit, pädagogische Orientierungen korrelieren positiv mit Berufszufriedenheit (Bauer 1990, S. 221). Das Berufsethos der befragten GrundschullehrerInnen scheint somit förderlicher für die professionelle Entwicklung und die Herausbildung von Innovationskompetenz.

2.2  Unterstützende und belastende Faktoren im Berufsalltag

In der Studie zeigen sich unterstützende und fördernde sowie belastende und hemmende Faktoren, die im Berufsalltag und bei der Umsetzung von Innovationen wirksam sind.

2.2.1 Unterstützende Faktoren

Kinder

Das Zusammensein und der Umgang mit Kindern ist für die LehrerInnen der zentrale unterstützende Faktor im Berufsalltag. Die Lernfreude, Begeisterungsfähigkeit, Spontaneität, Kreativität, Neugier und Aufgeschlossenheit der Kinder, ihre Zuneigung sind für die LehrerInnen wichtig. Die Gestaltung des täglichen Umgangs als harmonisches Miteinander in einer produktiven, von Lernen geprägten Atmosphäre werden als befriedigend und bestärkend erlebt. Kinder werden als die zentrale Kraftquelle für die tägliche Berufsarbeit bezeichnet.

Pädagogisches Arbeiten

Eng verknüpft mit dem eben Genannten wird das Erziehen und Unterrichten, die pädagogische Arbeit, als spannend und befriedigend empfunden. Die LehrerInnen, z.T. schon mehr als 20 Jahre im Schuldienst, sind von dieser Tätigkeit fasziniert, finden sie noch immer spannend und befriedigend und schöpfen daraus Kraft. Sie orientieren sich hierbei an langfristigen Zielsetzungen, z.B. den Entwicklungen der Kinder im Bereich Lern- und Arbeitsverhalten und nicht an kurzfristigen Unterrichtserfolgen. Als KlassenlehrerInnen in der Grundschule nutzen sie die großen Gestaltungsfreiheiten (z.B. Rhythmisierung des Schulvormittags nach individuellen Bedürfnissen statt 45-Min.-Takt), um einen ruhigen und entspannten Unterrichtsalltag mit positiver Lernatmosphäre zu gestalten.

Diese ersten beiden unterstützenden Faktoren werden von den LehrerInnen als wichtigste Grundlage für einen befriedigenden Berufsalltag gesehen. Hier wird noch einmal das besondere Berufsethos dieser GrundschullehrerInnen deutlich, das sich deutlich von dem der SekundarschullehrerInnnen, z.B. in den Studien von Huberman , Hirsch u.a. und Flaake unterscheidet (vgl. 2.1). SekundarlehrerInnen fällt es schwerer, Grenzen und eigene Unzulänglichkeiten einzugestehen und sich selbst als Lernende zu sehen. SekundarlehrerInnen thematisieren in den genannten Studien die Unsicherheit darüber, was sich im Unterricht ereignet, wie SchülerInnen reagieren, ob ihr Stoff „ankommt“. Für viele scheint diese Unsicherheit bedrohlich zu sein, sie sehen das Abweichen von den eigenen Planungen und Vorstellungen im Unterricht als Misserfolg und erleben es als beängstigend, dass Unterricht nur in Grenzen kontrolliert werden kann. Ein wichtiger Punkt ist also, dass es den befragten GrundschullehrerInnen besser gelingt, sich auf das Prozesshafte des Unterrichts und die Entwicklungen in der Lerngruppe einlassen zu können und Unterricht nicht nur von der Lehrerseite her zu betrachten. Hier zeigt sich deutlich das unterschiedliche Erziehungs- und Unterrichtsverständnis von Primar- und SekundarschullehrerInnen. In der Sekundarstufe scheint ein Verständnis von Lehren und Lernen weiter verbreitet zu sein, in dem die SchülerInnen als Objekte der Beeinflussung und als Mittel der Selbstbestätigung gesehen werden, weniger als Personen mit eigenen Wünschen und Interessen – Unterricht kann dann als permanente Konfliktsituation erlebt werden (Flaake 1989, S. 108).

Nias (1985) bestätigt die zentrale Rolle der SchülerInnen: sie sind die zentrale „reference group“, „reality definers“ für GrundschullehrerInnen. Vor allem das Verhalten der Kinder wird in ihre Reflexion des Unterrichts, die Grundlage ist für die Weiterentwicklung ihres pädagogischen Konzepts, einbezogen.

Gestaltungsfreiheit und Autonomie

Die befragten LehrerInnen betonen die Wichtigkeit von großem Gestaltungsspielraum und Autonomie im Arbeiten. Dies wird ihnen in Situationen bewusst, in denen der Gestaltungsspielraum eingeschränkt wird oder fehlt. Wird z.B. das Klassenlehrerprinzip durchbrochen und eine Lehrerin erteilt nur Fachunterricht in verschiedenen Klassen, fehlt der enge Bezug zu den Kindern und die Möglichkeit, den Unterricht nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Freie Arbeit, die Rhythmisierung des Schulvormittags statt 45-min.-Takt, handlungs- und projektorientiertes Arbeiten und selbsttätiges Lernen sind im Fachlehrersystem kaum realisierbar. Freiheit und Autonomie wird auch für die Berufseingangsphase als positiv, wenn auch belastend und fordernd beschrieben. Hier werden z.B. die sofortige Übernahme der Verantwortung für eine Klasse oder die große Gestaltungsfreiheit an kleinen Dorfschulen genannt.

Gestaltungsfreiheit und Autonomie im Bereich der Unterrichtsgestaltung und Verantwortung werden von den LehrerInnen als notwendige Voraussetzungen für die professionelle Entwicklung betrachtet.

Kommunikation und Kooperation

Kommunikation und Kooperation werden als sehr wichtig betrachtet, können aber sowohl unterstützend als auch belastend wirken. Bei der Kommunikation geht es für die LehrerInnen um Gesprächspartner, mit denen grundlegende pädagogische Fragen diskutiert werden können, in dem sie sich auf ihren innovativen Wegen versichern und bestätigen können. Erfahrungen werden ausgetauscht, man macht sich gegenseitig Mut, den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen. Einen Grund dafür, dass Kooperation in der Schule selten verwirklicht wird oder werden kann, sehen die befragten LehrerInnen in ihren eigenen hohen Ansprüchen an Kommunikation und Kooperation. Es geht ihnen nicht um den Austausch von Materialien, Arbeitsblättern oder um gemeinsam vorbereitete Prüfungsarbeiten, sondern um Kommunikation und Kooperation in pädagogischen Fragen. Kooperation als Parallelführung von Klassen oder gemeinsame Unterrichtsvorbereitung wird eher in der Berufseingangsphase verwirklicht. In dieser Zeit ist der Austausch auf methodisch-didaktischer Ebene wichtig und unterstützend. Mit zunehmender Berufserfahrung wird diese Form der Kooperation aber eher als einengend empfunden und immer mehr abgelehnt. Die Verwirklichung des eigenen Stils und Gestaltungsfreiraum sind dann wichtiger als Zusammenarbeit auf methodischer Ebene. Aus solchen Kooperationen ziehen die befragten LehrerInnen sich zunehmend zurück. Wichtig ist nun nicht mehr ökonomisches Arbeiten, sondern die qualitative Verbesserung der Arbeit durch Austausch, gemeinsame Reflexion, gegenseitige Anregung und Zusammenarbeit in Projekten. Besonders schwierig scheint es aber zu sein, geeignete PartnerInnen für diese Form der Kooperation zu finden. Diese müssen in pädagogischen Fragen eine ähnliche Grundhaltung und auch ähnliche professionelle Kompetenz haben. An der eigenen Schule ist eine solche Form von Kooperation selten gegeben. Häufiger werden Kooperationen mit KollegInnen an anderen Schulen gewählt, die diese Ansprüche erfüllen. Die befragten LehrerInnen sind selbst oft Initiatoren von Arbeitsgruppen. Je nach Thema oder Bedürfnis werden sie aktiv und bauen Kooperationsbeziehungen auf. Zentral sind also Freiwilligkeit und Freiheit in der Wahl von KooperationspartnerInnen und in der inhaltlichen Festlegung der Kooperationsthematik.

Fortbildung

Die befragten LehrerInnen sind sehr „fortbildungsfreudig“, haben aber auch hohe Ansprüche an die Qualität von Fortbildungen. Fortbildungen werden als Unterstützung für die Umsetzung der eigenen Reformansprüche wahrgenommen. Fortbildungsveranstaltungen werden auch besucht, um die eigenen fachlichen und fachdidaktischen Kompetenzen zu erweitern, besonders in der Berufseingangsphase, und um sich bei drängenden schulischen Problemen kundig zu machen. Fortbildung wird aber auch als Persönlichkeitsbildung betrachtet: Die LehrerInnen besuchen TZI-Kurse, Balint- und Supervisionsgruppen, die größtenteils außerhalb der staatlichen Lehrerfortbildung angeboten werden und privat bezahlt werden müssen. Ihre Sicht von der Verschränkung persönlicher und beruflicher Entwicklung wird hier deutlich. Als Fortbildung kann auch das rege Interesse an pädagogischer Literatur betrachtet werden.

Einmalige, an Nachmittagen stattfindende Fortbildungen werden kritisch gesehen, sie sind strukturell und inhaltlich oft wenig befriedigend. Für sinnvoller werden Wochenkurse oder regelmäßige Arbeitsgruppen gehalten, in denen Zeit für die Diskussion pädagogischer Probleme und die Reflexion über das pädagogische Konzept bleibt. Es wird kritisiert, dass solche Angebote in der staatlichen Lehrerfortbildung zu wenig berücksichtigt werden.

Die befragten LehrerInnen verfolgen also eigene, spezifische Fortbildungsinteressen, sie achten darauf, dass Fortbildungen nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch anspruchsvoll gestaltet sind. Es bestehen häufig auch Kontakte zu Reformschulen und reformorientierten Verbänden. Dort suchen die LehrerInnen Ideen, Bausteine und Erfahrungen, die sie in ihr Konzept integrieren können und die somit ihrer professionellen Entwicklung dienen. Solche Fortbildungsveranstaltungen werden als Gelegenheiten wahrgenommen, das eigene pädagogische Handeln zu überdenken und ihr pädagogisches Konzept weiter zu entwickeln.

Elternarbeit

Elternarbeit ist häufig nur in den ersten Berufsjahren belastend und wird dann zu einem wichtigen unterstützenden Faktor. Die LehrerInnen werden in der Elternarbeit mit zunehmender Berufs- und Lebenserfahrung immer kompetenter. Sie betonen, dass sie erst mühsam lernen mussten, Elternarbeit sinnvoll zu gestalten. Als Gründe werden mangelnde Ausbildung in diesem Gebiet und Ängste genannt. Wie den Unterricht, gestalten die LehrerInnen auch die Elternarbeit mit zunehmender Berufserfahrung immer offener. Von Vortragsstil entwickeln sich Elternabende zu Diskussions- und Gesprächsrunden, von der Pflichtveranstaltung zu einem wichtigen unterstützenden Faktor im Berufsalltag, in dem sie über das Pflichtpensum hinausgehende zusätzliche Angebote für die Eltern machen.

Fachliche und persönliche Bestätigung

Die befragten LehrerInnen arbeiten mit ihren innovativen pädagogischen Konzepten an ihren Schulen oft isoliert. Da ihr Konzept dem „Üblichen“ nicht entspricht, ist ein wichtiger Faktor für die Bewältigung ihres Berufsalltags und ihrer Berufzufriedenheit die persönliche und fachliche Bestätigung. Wichtig sind hier Situationen, in denen Bestätigung erlebt werden kann und Personen, die sie geben (KollegInnen, Arbeitsgruppen, Eltern, Kinder, LebenspartnerInnen). Die Funktion der Bestätigung des eigenen Weges kann auch Fachliteratur übernehmen, wie Erfahrungsberichte von innovativ arbeitenden LehrerInnen in pädagogischen Fachzeitschriften und pädagogische Literatur (meist „Klassiker“ der Reformpädagogik).

Bestätigung kommt nicht von selbst – LehrerInnen „erarbeiten“ sie sich, indem sie sich gezielt in Bereichen bewegen, in denen sie auf „Gleichgesinnte“ treffen, z.B. in Arbeitsgruppen zur Öffnung des Unterrichts oder indem sie den Schulweg „ihrer“ Kinder weiterverfolgen, um zu erfahren, dass dieser erfolgreich verläuft. Sie beschreiben vielfältige und effektive Strategien, um aus verschiedenen Bereichen ihrer Arbeit Unterstützung durch Bestätigung zu erhalten.

2.2.2  Belastende Faktoren

Als „belastende Faktoren“ werden Personen, Situationen und Gegebenheiten im Berufsalltag bezeichnet, die die LehrerInnen als kräfteraubend, einschränkend und wenig förderlich empfinden und darstellen. Sie erschweren oder verhindern die Verwirklichung ihres pädagogischen Konzepts.

System Schule – Schulleitung und Schulaufsicht

Belastend am System Schule sind für LehrerInnen zum einen Faktoren, die kaum veränderbar sind, wie Leistungsbeurteilung, Klassenstärke oder personelle Ausstattung, zum anderen aber auch bestimmte Situationen, in denen Personen, die das System Schule repräsentieren, Inkompetenz, Machlust oder andere nicht-pädagogische Beweggründe zeigen. Die LehrerInnen sehen einen gewissen Verhaltensspielraum dieser Personen. Dieser wird ihrer Meinung nach zu häufig bürokratisch, hierarchisch und unpädagogisch genutzt. Sie erleben häufig Gängelung und Bevormundung – Eigeninitiative sei zu wenig möglich und kaum gefragt.

Zwänge, Traditionen und Routinen im Schulalltag werden von den LehrerInnen häufig in Frage gestellt. Es werden zwei Arten „unsinniger“ Vorschriften wahrgenommen, gesetzlich geregelte und Reglementierungen, die von einzelnen Personen, z.B. Schulaufsicht, Schulleitung oder KollegInnen, ausgehen. Diese werden oft als reines Machtverhalten interpretiert. Die LehrerInnen stellen solche Vorschriften in Frage, setzen sie außer Kraft und müssen deshalb auch Sanktionen in Kauf nehmen oder werden dadurch in Außenseiterpositionen gedrängt. Als belastendes Verhalten von RektorInnen wird vor allem „Bürokratentum, Formalismus und Machtgehabe“ kritisiert. Viele Regelungen im Schulalltag empfinden die LehrerInnen als unnötige bürokratische Hindernisse. Den Bürokratismus und Formalismus von Führungskräften versuchen die LehrerInnen zu erklären, die Gründe für dieses Verhalten sehen sie in Angst, Verletzbarkeit und Überforderung der Leitungspersonen. Ein Problem scheint häufig darin zu liegen, dass die befragten LehrerInnen mit ihrer Kompetenz und Professionalität in Bezug auf offenen Unterricht besser qualifiziert sind als die jeweiligen Führungspersonen und diese dies nicht anerkennen, sondern als Bedrohung erleben.

Viele der befragten LehrerInnen bemängeln eine fehlende Gesprächs- und Konfliktkultur im Kollegium. Unterschiedliche Standpunkte werden nicht diskutiert, Konflikte nicht bearbeitet. Im Umgang mit dem Kollegium und in der Zusammenarbeit mit Eltern herrsche bei KollegInnen eher ein Gegeneinander als ein Miteinander und keine offene Gesprächsatmosphäre.

Im Umgang mit der Schulaufsicht wünschen sich die befragten LehrerInnen mehr Förderung und qualifizierte Beratung. Sie sehen hier ein Ausbildungsdefizit der Führungspersönlichkeiten. Sie fordern einen offenen und partnerschaftlichen Umgang und die Akzeptanz ihrer beruflichen Kompetenz – erleben allerdings häufig belastende Bewertungssituationen und Einschränkungen. Von den befragten LehrerInnen wird also bestätigt, was aus der Literatur und Forschung zu Schulentwicklungsprozessen bekannt ist.

Belastende Phasen und Situationen

Trotz der insgesamt sehr großen Berufszufriedenheit der befragten LehrerInnen gibt es bei allen immer wieder auch länger dauernde Phasen großer Belastung. Gründe für auch länger dauernde belastende Phasen im Berufsalltag liegen im beruflichen, aber auch im familiären und persönlichen Bereich, manchmal fallen Belastungen in verschiedenen Bereichen auch zusammen und können dann sogar die weitere Ausübung des Berufs in Frage stellen.

Belastende Zeiten sind bei ungünstigen Rahmenbedingungen, z. B. großen Klassen festzustellen, aber auch während der Familienphase. Alle befragten LehrerInnen beschreiben Strategien, mit diesen Zeiten großer Belastung umzugehen, wie Beurlaubung, Reduzierung auf Teilzeittätigkeit, Fortbildung, Veränderungen im Unterrichtskonzept oder Kompensation im privaten Bereich. Die LehrerInnen verändern also die Rahmenbedingungen, um ihre Ansprüche weiter verwirklichen zu können, nehmen z. B. sogar finanzielle Einschränkungen durch Teilzeitbeschäftigung in Kauf.

Mangelnder Gestaltungsspielraum

Gestaltungsfreiheit und Autonomie sind für die befragten LehrerInnen zentral. Einschränkungen in diesem Bereich können auf verschiedenen Ebenen wirksam werden. Sie betreffen die Arbeit in der eigenen Klasse, wo sie am Stärksten als belastend empfunden werden (s.o.). In der Schulorganisation sehen LehrerInnen das starre System, ungenügende Aus- und Fortbildungskonzepte, die Verrechtlichung der Schule und den Zwang zur Leistungsbeurteilung der Kinder als wesentliche belastende Faktoren.

Isolation und Unverständnis im Kollegium

Wie oben bereits dargestellt, sind die Ansprüche der LehrerInnen an Kooperation und Kommunikation unter KollegInnen sehr hoch. An der eigenen Schule finden sich selten geeignete Partner, mit denen sie sich über ihre Probleme unterhalten können oder mit denen sie im Einklang mit ihren pädagogischen Vorstellungen kooperieren können. Gelingende Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen werden vor allem außerhalb der eigenen Schule gepflegt. Die Gründe für mangelnde Kooperation und Kommunikation an der eigenen Schule liegen nicht nur in unterschiedlichen pädagogischen Konzepten, sondern auch an den in den Schulen herrschenden (oft unausgesprochenen) Regeln und Traditionen: Ängste, Konkurrenz und Hierarchie bestimmen oft den Umgang miteinander. Eine unausgesprochene Regel scheint zu sein, dass sehr wenig über die eigene Arbeit und Probleme damit gesprochen wird. Erfolgreiche, innovative LehrerInnen werden auch, stärker von Frauen als von Männern, als KonkurrentInnen gesehen. Die LehrerInnen sehen sich als Einzelkämpfer.

2.3  Schlüsselpersonen und Schlüsselereignisse

Aus der Soziologie, der Psychologie und der pädagogischen Biographieforschung sind Konzepte der Wirkung kritischer Lebensereignisse auf die Entwicklung im Erwachsenenalter bekannt (vgl. Baacke / Schulze 1985, 1993).

Das Konzept kritischer Phasen, Ereignisse und Personen wurde auch in Untersuchungen zur Professionalisierung von LehrerInnen verwendet („critical phases / events / persons“ bei Sikes u.a. 1985, Kelchtermans 1990, 1992). In meiner Untersuchung wurden von allen Befragten kritische Ereignisse und Personen genannt, die im Zusammenhang mit der Entwicklung von Professionalität, hier in Bezug auf die Öffnung des Unterrichts und die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit stehen. Das Konzept der Kritischen Phasen, Ereignisse und Personen wurde deshalb für die Auswertung von Schlüsselsituationen in der professionellen Entwicklung der befragten LehrerInnen verwendet (In der Untersuchung bestätigten sich vor allem die Konzepte „kritische Ereignisse“ und „kritische Personen“ – „kritische Phasen“ wurden seltener angesprochen, da in der Befragung nicht auf die vollständige und lückenlose Darstellung der gesamten beruflichen Entwicklung Wert gelegt wurde (vgl. Schönknecht 1997, S. 186).).

Ereignisse und Personen, die von den LehrerInnen selbst in engem Zusammenhang mit der Öffnung des Unterrichts und ihrer beruflichen Weiterentwicklung gesehen werden, können wichtige Hinweise für Innovationsprozesse in der Schule geben. LehrerInnen werden hier als aktive, sinngebende und intentional handelnde Personen gesehen, die ihre berufliche Entwicklung selbst steuern in Interaktion mit Personen, agierend in einem institutionellen Kontext.

2.3.1  Schlüsselpersonen

Das Studium wird generell als wenig einflussreich für die professionelle Entwicklung gesehen, interessant ist aber, dass bereits hier „Schlüsselpersonen“ eine wichtige Funktion zugeschrieben wird. DozentInnen haben sie mit pädagogischen Ideen bekannt gemacht, die auch später im Berufsleben noch leitend sein können. Alternative Seminarformen, die Möglichkeit als Tutor mit zu arbeiten und intensive persönliche Kontakte zu DozentInnen ließen diese zu Schlüsselpersonen für die Entwicklung der eigenen Professionalität werden. Angesprochen wurde die Stimmigkeit von vertretenem pädagogischen Konzept und Persönlichkeit der DozentInnen, die den LehrerInnen eine intensive Auseinandersetzung mit pädagogischen Themen ermöglichte.

Im Berufsalltag sind es auch „Persönlichkeiten“, die durch ihr Auftreten und ihr pädagogisches Konzept beeindrucken, z.B. bei Fortbildungen. Einige der befragten LehrerInnen gehen im Berufsleben auch immer wieder gezielt auf die Suche nach MentorInnen. Dabei wird das pädagogische Konzept der MentorInnen nicht übernommen, sondern es wird gezielt nach Bausteinen, die zu den eigenen Vorstellungen passen, gesucht. Dieses Verhalten bestätigt sich auch in anderen Untersuchungen, wie z. B. im Konzept der „professional parents“ von Nias (1989a, S. 135ff.) oder in den „Tandempartnern“ bei Bauer und Kopka (1994, S. 289). LehrerInnen suchen sich Verbündete, die sie dabei unterstützen, ihr persönliches professionelles Entwicklungsprogramm zu verwirklichen. Patenschaften, die ohne eigene Wahl entstehen, wie z.B. die Zusammenarbeit von BetreuungslehrerInnen mit LehramtsanwärterInnen, werden problematisch gesehen.

„Critical persons“ sind auch die Kinder in der Schule. Die befragten LehrerInnen reflektieren das Lernen der Kinder im Unterricht und erhalten dadurch wichtige Impulse für eine Unterrichtsgestaltung, die zu mehr Verantwortung und Selbstständigkeit der Kinder führt, Frontalunterricht tritt zunehmend zurück.

Auch eigene Kinder sind zentral für die Entwicklung des professionellen Konzepts: Den Erfahrungen mit ihnen schreiben die LehrerInnen großen Einfluss bei der Entwicklung ihrer Professionalität zu. Eigene Kinder zu erziehen führt zu mehr Verständnis für und Wissen über Kinder und einem größeren Verantwortungsbewusstsein den Kindern in der Schule gegenüber. Die Lebenspraxis mit eigenen Kindern trägt dazu bei, dass auch in der Schule die Individualität der Kinder stärker berücksichtigt wird. Mutterschaft ist häufig mit einem kurzen Berufsausstieg verbunden, dieser zeitlich befristete Ausstieg kann auch Zeit zum Überdenken des eigenen Konzepts geben. Einige LehrerInnen beschreiben, dass sie danach gestärkt, mit neuen Ideen und neuem Schwung in den Beruf zurückkehren.

2.3.2  Schlüsselereignisse

Als Schlüsselerlebnisse werden Situationen definiert, von den LehrerInnen als auslösende und mitverursachende Faktoren für die Weiterentwicklung des eigenen pädagogischen Konzepts in Richtung Öffnung des Unterrichts (Innovation) gesehen werden. Wirksam werden kritische Ereignisse aufgrund einer reflexiven Haltung der LehrerInnen in Bezug auf ihr Unterrichtskonzept.

Kritische Ereignisse sind häufig Situationen, in denen ein anderer, neuer Blick auf die Kinder und den Unterrichtsalltag ermöglicht wird und damit neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten eröffnet werden. Sie treten oft in Situationen auf, in denen Alltagsroutinen des Unterrichtens außer Kraft gesetzt sind, wie z.B. die Arbeit an einer wenig gegliederten Landschule mit jahrgangsübergreifenden Klassen, an Sonderschulen für lernschwache Kinder, der Einsatz an Hauptschulen. In diesen Situationen beobachten die LehrerInnen die Kinder, reflektieren die veränderte Situation, sind oft überrascht von den positiven Reaktionen der Kinder auf veränderten Unterricht und versuchen dann, die innovativen Ansätze in ihr Konzept zu übernehmen. Eine Triebfeder dabei ist auch die Freude am Experimentieren mit dem eigenen Unterricht und die Lust an der Veränderung.

Die Tätigkeit als „mobile Reserve“ wurde von vielen LehrerInnen als Schlüsselerlebnis benannt. Diese Aufgabe, als „pädagogische Feuerwehr“ nur für Krankheits- und Vertretungsfälle eingesetzt zu werden, wird als Möglichkeit gesehen, die Isolation an der eigenen Schule zu verlassen und neue Anregungen und Denkanstöße in verschiedenen Kollegien und Klassenzimmern zu bekommen. Die LehrerInnen eignen sich neues didaktisches und methodisches Wissen an und erproben in vielen Klassen neue Unterrichtsformen, was die eigenen Unterrichtsgewohnheiten verändern kann.

2.4  Drei zentrale Strategien für die professionelle Entwicklung und den Berufsalltag

Die zentralen Denk- und Handlungsstrategien der LehrerInnen sind sowohl Grundlagen für die Entwicklung des pädagogischen Konzepts als auch wichtige Strategien für dessen Verwirklichung. „Auf sich selbst und die Kinder achten“, „Den eigenen Weg gehen“ und „Erfahrungen machen und reflektieren“ sind Strategien, mithilfe derer es den LehrerInnen gelingt, sich aktiv die Voraussetzungen und Bedingungen für die Verwirklichung ihres innovativen pädagogischen Konzepts in Regelschulen zu schaffen.

Auf sich selbst und die Kinder achten

Mit dieser Strategie stellen die LehrerInnen die Bedürfnisse der Kinder und ihre eigenen Bedürfnisse ins Zentrum ihres alltäglichen beruflichen Handelns. Ob es sich dabei um Bereiche der Erziehung, um Unterrichtliches, die Beziehung zu anderen Personen in der Schule oder auch Entscheidungen, die die eigene familiäre Situation betreffen, handelt, wichtig ist immer eine ausgewogene Balance zwischen den eigenen Bedürfnissen und denen der Kinder.

Vor allem in den ersten Berufsjahren gelingt dieses Ausbalancieren nicht immer, die LehrerInnen neigen dazu, sich zu überfordern. Mit zunehmender Berufserfahrung gelingt es immer besser, die Arbeitsbedingungen nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. LehrerInnen reduzieren z.B. ihre Arbeitszeit um einige Stunden, um mit Freude arbeiten zu können, legen großen Wert auf Fortbildung, arbeiten in Projekten oder der Lehrerausbildung mit oder suchen geeignete PartnerInnen für Teamarbeit. Das Schuljahr gestalten sie als einen Wechsel von intensiven Arbeitsphasen und ruhigeren Zeiten, in denen sie auch „ganz normal Schule machen“. Um auf die Bedürfnisse und die Individualität der Kinder eingehen zu können, realisieren sie viele Elemente offenen Unterrichts wie Freie Arbeit, Gespräche, epochales Unterrichten und Projekte. Sie reduzieren Lehrplaninhalte, setzen individuelle Schwerpunkte und schaffen damit Bedingungen für innovative Unterrichtskonzepte.

Forderungen, die von „außen“ (Schulaufsicht, Eltern, KollegInnen, ...) an die LehrerInnen herangetragen werden, betrachten sie immer unter dem Aspekt „Was bedeutet das für mich und die Kinder?“. So gestalten sie ihr Arbeiten mit den Kindern als KlassenlehrerIn relativ autonom, ohne sich äußeren Zwängen zu unterwerfen und es gelingt ihnen während des ganzen Berufslebens, immer wieder Innovationen zu realisieren, ohne sich dabei zu überlasten.

Den eigenen Weg gehen

Die zweite zentrale Strategie der befragten LehrerInnen zeigt sich als Wille, einen „eigenen“ Weg in der professionellen Entwicklung zu gehen, einen Weg, der ihren Überzeugungen entspricht. Dies erfordert viel Kraft und Durchhaltevermögen, weil dieser Weg häufig vom Üblichen abweicht und sie so stärker Kritik ausgesetzt sind. Allerdings bekommen die LehrerInnen durch die eigene Berufszufriedenheit, durch Rückmeldung von Kindern und Eltern und durch ihre beruflichen Erfolge positive Rückmeldungen, die sie in diesem Vorgehen bestätigen.

Durch Studium, Fortbildung und intensiver Reflexion ihres Berufsalltags festigen sich bei den LehrerInnen die Überzeugungen von der Notwendigkeit der Öffnung des Unterrichts. Selbstvertrauen, Mut und Entschlossenheit, einen eigenen Weg zu gehen, wachsen im Laufe der professionellen Entwicklung. Die LehrerInnen schaffen sich die Bedingungen für die Veränderung des Unterrichts selber, zunächst durch intensive Auseinandersetzung mit pädagogischen Ideen und der Reflexion ihres Berufsalltags und dann real in ihrer beruflichen Situation. Dafür suchen sie auch aktiv nach Unterstützung bei Kindern, Eltern, KollegInnen oder SchulleiterInnen.

Im Umgang mit belastenden Situationen, bei sehr schwierigen Klassen, Konflikten mit Vorgesetzten, erweist sich die Strategie, einen eigenen Weg zu gehen, als sinnvoll. Die LehrerInnen suchen in belastenden Situationen aktiv und intensiv nach Wegen und Auswegen, z.B. persönlichkeitsbezogene Fortbildungen (TZI, Gestaltpädagogik), Engagement in pädagogischen Fragen, Mitarbeit in Reformprojekten und Kontakte zur Universität und zur Lehrerausbildung.

Erfahrungen machen und reflektieren

Die LehrerInnen übernehmen selten vorgegebene Meinungen und Verhaltensweisen, sie hinterfragen Routinen und Traditionen und sind offen für neue Erfahrungen. Der Zuwachs an professioneller Kompetenz ereignet sich im alltäglichen Wechselspiel von Erfahrung und Reflexion. LehrerInnen lernen von den Kindern, im Unterricht, voneinander, von Eltern, durch Aus- und Fortbildung (Die zentrale Stellung von Erfahrung und Reflexion in der Entwicklung der professionellen Kompetenzen ist auch belegt durch das Konzept des „reflective teacher“ und der „reflection in action“ (vgl. z.B. Schön 1983, Dick 1994).). Pädagogische Theorien und Forschungsergebnisse werden dabei als Begründungswissen im Berufsalltag und in Innovationsprozessen eingesetzt (Bauer / Kopka (1996) benennen in ihrer Studie diejenigen „pädagogischen Profis“, denen es gelingt, erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse und Überlegungen konstruktiv in ihren Berufsalltag einzubeziehen und für ihre professionelle Entwicklung zu nutzen.).

Wichtige Entwicklungen in der professionellen Kompetenz und im pädagogischen Konzept werden als Ergebnis intensiver Reflexion der beruflichen Erfahrungen und pädagogischer Ideen beschrieben: Erfahrung und Reflexion sind Motor für Veränderung und Weiterentwicklung. Innovationsprozesse sind eng mit der Entwicklung der eigenen professionellen Kompetenz verschränkt, Professionalisierung und Innovation wird als lebenslange Aufgabe gesehen.

In der Untersuchung bestätigt sich also die Sicht der professionellen Entwicklung als lebenslanges Lernen und die zentrale Rolle der LehrerInnen in Innovationsprozessen. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen der persönlichen und der professionellen Entwicklung. Die Notwendigkeit einer Konzeption der Lehrerbildung als Bildungsprozess des Individuums, in dem Eigenaktivität und anregende Einflüsse von außen zentral sind, der aber vor allem vom Individuum selbst gesteuert und verantwortet werden muss, wird deutlich. In diesem Prozess spielen Gestaltungsfreiheit und Autonomie eine wichtige Rolle (Für die befragten LehrerInnen ist die Tätigkeit als KlassenlehrerIn, die in der Grundschule mit einem großen inhaltlichen, zeitlichen und methodischen Gestaltungsspielraum verbunden ist, unabdingbar für die Entwicklung und Verwirklichung ihres pädagogischen Konzepts.).

Ein zweiter zentraler Faktor für eine gelungene professionelle Entwicklung ist eine reflexive Distanz zu Routinen und Gewohnheiten des Alltags, die möglich wird durch intensive Reflexion in allen Ebenen, z.B. Nachdenken über die Schule und auch die eigene Schulzeit, Kontakte mit Reformideen und -projekten und Auseinandersetzungen mit pädagogischen Fragestellungen. Die Befragten haben einen „anderen“ Blick auf die Schulrealität (erworben) und gelernt, sie unter pädagogischen Gesichtspunkten zu analysieren und zu gestalten.

Für die Lehrerbildung sollten Modelle professionellen Handelns entwickelt werden, die statt einer statischen, kriterienorientierten Professionsbeschreibung empirisch ermittelte Modelle professionellen Handelns als Grundlage bieten, die der Komplexität dieses Berufs entsprechen (vgl. Bauer u.a. 1996, Bauer 1997, Kelchtermans 1993, Nias 1989.). Nicht das Streben nach „dem idealen Lehrer“, sondern die Entwicklung professioneller Kompetenzen und einer professionellen Haltung gegenüber den hochkomplexen Anforderungen des Berufs muss in allen drei Phasen im Zentrum der Lehrerbildung stehen.

3.  Folgerungen für Professionalität und Innovation im Lehrerberuf

3.1  Lehrerbildung als biographisches Lernen

Der Einfluss der Lehrerbildung auf die professionelle Entwicklung wird in den meisten Studien eher gering gesehen – so ähneln sich die Modelle beruflicher Entwicklung aus Ländern mit ganz verschiedenen Lehrerbildungssystemen. Zeichner und Tabachnik kennzeichnen schon 1981 die Lehrerbildung als „low impact enterprise“, was man übersetzen könnte als „Unternehmen mit generell schwacher Wirkung“(Beim Vergleich verschiedener Studien zur Wirksamkeit der Lehrerbildung kommt Feiman - Nemser zu dem Ergebnis, dass das in Lehrerbildungsinstitutionen vermittelte Wissen nur wenig Einfluss auf das Handeln von Berufsanfängern in der Praxis hat (Feiman - Nemser 1990). In der Studie von Schnidrig wird deutlich, dass LehrerInnen sich in den ersten Berufsjahren Handlungsstrategien aneignen, die zu permanenten Unterrichtsstrategien werden und damit Reformen und Innovation verhindert werden (Schnidrig 1993). ). Die Strukturen und Inhalte der Lehreraus- und -fortbildung müssen deshalb sehr kritisch gesehen werden. Professionelle Entwicklung findet vor allem in der Berufspraxis statt, entscheidend ist dabei die Berufsauffassung der LehrerInnen, das Lehrerethos, das fachliche und fachdidaktische Wissen und entsprechende Handlungsroutinen. Das biographische Lernen spielt eine zentrale Rolle (Baacke / Schulze 1985, 1993, Schönknecht 1997, S. 21ff.): Situationen des Berufsalltags werden erinnert und reflektiert und tragen zur Entwicklung von professioneller Kompetenz bei.

Ergebnisse zur Professionalisierungs- und Expertiseforschung im Lehrerberuf, die hier vorgestellt wurden (vgl. auch Terhart 2001, S. 100ff) , bestätigen dies: Bauer und Burkhard (Bauer / Burkard 1992, Bauer u.a. 1996) stellen fest, dass pädagogische Profis häufig Autodidakten sind, d.h. sie verdanken ihr professionelles Wissens- und Handlungsrepertoire meist nicht der institutionellen Lehreraus- und -fortbildung, sondern haben es sich selbst erworben, z.T. durch Qualifikationen auch außerhalb des Lehrerberufs. Gerade für die Grundschule ist eine hohe „Kultur der pädagogischen Professionalität“ festzustellen.

3.2  Die spezifische Situation in der Grundschule

Die spezifische Situation an Grundschulen, die die Ausbildung von Professionalität anscheinend begünstig, muss bei der Bewertung der dargestellten Studien berücksichtigt werden. Förderlich für Innovationsprozesse in der Grundschule, die sich vor allem in der Realisation der „Öffnung des Unterrichts“ zeigen, ist das Klassenlehrersystem, das zeitlich und methodisch großen Gestaltungsspielraum und Autonomie ermöglicht. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass sich die „Öffnung des Unterrichts“, die nun schon seit fast 30 Jahren intensiv diskutiert wird (Brügelmann 1997), kaum in den Sekundarschulbereich mit dem dort vorherrschenden Fachlehrersystem durchsetzt. Des Weiteren ist die Berufsauffassung, das Lehrerethos von GrundschullehrerInnen ein Spezifisches: Sie definieren sich weniger über Unterrichtsfächer, sondern als „Fachleute für Erziehung und Unterricht“. Das Berufsethos hat also einen Fokus auf das Lernen der Schüler, weniger auf Fach- oder Unterrichtskulturen (Terhart 2001, S. 130ff).

Begünstigt wird die Entwicklung von hoher Professionalität sicher auch durch die gesellschaftlichen und schulischen Anforderungen, die auf die Grundschule in den letzten 30 Jahren zukamen: Die „veränderte Kindheit“, zunehmende Heterogenität der Schülerschaft (sprachlich, kulturell, in Bezug auf familiären Hintergrund und individueller Lernbiographie), die daraus resultierende, tagtäglich erlebte Forderung nach Individualisierung und Differenzierung, stellten „traditionelles Unterrichten“ zunehmend in Frage und führten zur Suche nach Alternativen.

In Sekundarschulen spielt der gesellschaftliche Wandel inzwischen auch eine große Rolle, auch hier wird gefordert, stärker auf die Ausbildung von Schlüsselqualifikationen zu achten und ein rein auf Fachlichkeit orientiertes Ausbildungsmodell zu ergänzen. Das Anforderungsspektrum an professioneller Kompetenz von SekundarlehrerInnen erweitert sich dadurch, die Beschäftigung mit pädagogischen und didaktischen Fragen wird wichtiger, bisher eher wenig geforderte Kompetenzen (vgl . Terhart 2001, S. 115ff.: „Gymnasiallehrer: Zwischen Fachanspruch und Erziehungsanspruch“).

3.3 Beachtung von Entwicklungsphasen im Lehrerberuf

In verschiedenen Phasen des Berufslebens stehen unterschiedlich definierte Entwicklungsaufgaben im Mittelpunkt der Entwicklung von Professionalität. Daraus ergeben sich unterschiedliche Aus- und Fortbildungsbedürfnisse, auch persönliche und organisatorische Einflüsse müssen beachtet werden. In den Berufsanfangsjahren ist vor allem Unterstützung bei der Sozialisierung in Traditionen und Handlungsroutinen des Berufs nötig, um die Folgen des sog. „Praxisschocks“ (unreflektierte Übernahme von traditionellen Unterrichtsroutinen durch Überforderung) zu vermeiden. Professionelle Begleitung in den ersten Berufsjahren sollte helfen, professionelle Kompetenz und positive Bewältigungsmuster zu entwickeln.

In der weiteren Berufstätigkeit geht es dann um die Entwicklung von Lehrerexpertise durch kritische Reflexion des Berufsalltags. Hierbei können kritische Ereignisse und kritische Personen unterstützend wirken. Modelle guter Praxis sind hier zentral. Ziel ist die Entwicklung zu einem „reflectioned practioner” (Schön 1983, Dirks / Hansmann 1999, Dick 1994, 1999), die durch verschiedene Stützmaßnahmen unterstützt werden kann – durch Arbeit im Team, aber auch individuelle Formen wie journal writing, conceptual mapping und Portfolio (Kupila 2002, zit. in Gruber / Leutner 2003).

Auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung müssen gewisse Standards erfüllt werden. Hier gibt es inzwischen zahlreiche, auch erprobte Reformvorschläge. Die Interessen und die Individualität von LehrerInnen müssen in Fortbildungskonzepten beachtet werden. LehrerInnen sollten lernen, eigene Schwächen und Stärken zu erkennen und daran zu arbeiten – ihr individuelles Kompetenzprofil zu überprüfen und weiter zu entwickeln. Das lebenslange Lernen im Beruf ist für die Entwicklung professioneller und Innovationskompetenz zentral (Terhart 2001, S. 226).

Die Kritik von LehrerInnen an Fortbildungskonzepten und -veranstaltungen muss ernst genommen werden. Auch von Fortbildnern können professionelle Standards erwartet werden. Für gewünschte und sinnvolle Fortbildungen im Bereich kooperativer Beratung (Mutzeck 1999), für die Beachtung von Reflektivität in Fortbildungsprozessen (Fischer 1999) oder Fallarbeit als Methode sind Konzepte und Erfahrungsberichte vorhanden, die stärker in das Fortbildungsangebot integriert werden müssen. Wichtig sind auch Studien, die Qualität des Lehrerhandelns und die Entwicklung professioneller Standards aufzeigen. Der Expertiseansatz ermöglicht eine differenzierte Sicht auf Expertisekomponenten, z.B. das Lehrerwissen als Fachwissen, Klassenführungswissen, didaktisch-methodisches Wissen und diagnostisches Wissen (Gruber / Leutner 2003, S. 264).

Zur professionellen Kompetenz bei der Organisation von Lernprozessen liegen Ergebnisse aus Studien vor, die für die Fortbildung genutzt werden sollten. Ich möchte hier nur einige Ergebnisse andeuten (vgl. Schrader / Helmke 2002 zit. in Gruber / Leutner 2003, Weinert / Helmke 1997, S. 223ff., Blömeke 2003). Hohe Lernzuwächse bei SchülerInnen werden erreicht, wenn folgende Kennzeichen professioneller Kompetenz bei LehrerInnen gegeben sind (Blömeke 2003): Nutzung eines großen Spektrums von methodischen Handlungsmöglichkeiten, das direkte Instruktion und selbstgesteuertes Lernen beinhaltet, gute Strukturierung des Unterrichts, durch Metawissen und „advanced organizers“, anspruchsvolle Aufgabenkultur, hohe Diagnosefähigkeit, differenzierte Aufgabenstellungen, individuelle Unterstützung der SchülerInnen, hohe Leistungserwartungen und Effizienz der Klassenführung.

3.4 Struktur des Lehrerberufs

Ein innovationshemmender Faktor ist die Isolation von LehrerInnen im Berufsalltag. LehrerInnen sind in der professionellen Weiterentwicklung auf sich selbst gestellt und erfahren im Klassenzimmer kaum Unterstützung. Die Reflexion des Berufsalltags, die zentral ist für die Entwicklung professioneller Kompetenz, ist im Gegensatz zu ähnlichen Berufen (Sozialpädagogen, Psychologen) nicht durch Supervisionsangebote o.ä. institutionalisiert. Als entscheidende Innovationsbarriere bezeichnen Eder / Altrichter (2003 zit. in Gruber / Leutner 2003) das Autonomie-Paritätsparadigma. Im Unterricht sind die LehrerInnen auf sich selbst gestellt, es besteht keine Möglichkeit der Evaluation des Unterrichts durch kompetente KollegInnen. Evaluation geschieht damit nur als Selbstevaluation. Ein Mangel an Rückmeldung und Austausch erschwert die Entwicklung von professionellen Standards und ihre Evaluation. „Parität“ beschreibt die Situation, dass alle LehrerInnen gleichberechtigt sind und dadurch eine Kultur vorherrscht, in dem es keinem Mitglied des Kollegiums ansteht, sich in die Tätigkeit der KollegInnen einzumischen. In solch einem Klima ist professionelle Entwicklung im Team kaum möglich. Erfolgreiche, innovative Schulen zeichnen sich aus durch niedrige Ausprägung des Autonomie-Paritäts-Musters, durch vermehrte Teambildung unter LehrerInnen und durch Einführung von Qualitätsmanagement als Teil der Schulentwicklung, haben also diese Muster aufgebrochen. Eine zentrale Forderung ist also, dass sich diese „Kultur“ an Schulen verändert. Bedingungen für Teamarbeit, die sich aus dem Dargestellten ergeben, sind: Arbeits- und Fortbildungsschwerpunkte müssen selbst entwickelt, geeignete Teampartner, MentorInnen, „professional parents“ gefunden werden.

Erfahrung und Reflexion haben sich als entscheidende Faktoren für die professionelle Entwicklung erwiesen. Die in den Untersuchungen entdeckten Schlüsselereignisse und Schlüsselpersonen verweisen auf Möglichkeiten, Innovationsprozesse zu befördern: Wenn Gewohnheiten und Alltagsroutinen außer Kraft gesetzt sind, werden oft neue Unterrichtsformen erprobt. Durch zeitliche Flexibilisierung (Blockstunden, Epochenunterricht) wird die Realisation neuer Unterrichtskonzepte (z.B. Projektunterricht, Selbsttätigkeit der SchülerInnen, neue Bewertungsformen wie Portfolio) möglich und wahrscheinlich. Wichtig ist die Reflexion und Evaluation solcher Unterrichtsversuche durch LehrerInnen selbst und im Team (Hospitation, Teamteaching). Zentral bei der Einführung innovativer Unterrichtsmodelle ist der Fokus auf das Lernen der SchülerInnen – sie müssen als zentrale Referenzgruppe („critical persons“) in die Reflexion und Evaluation einbezogen werden. Es geht also darum, Alternativen kennen zu lernen, zu erproben und in der Reflexion im Team zu evaluieren.

Die professionelle Entwicklung von LehrerInnen im Beruf muss sich auf die zentralen Kennzeichen professioneller Kompetenz, die Trias von Wissen, Handeln und Berufsethos beziehen. Das pädagogische Konzept professionell arbeitender LehrerInnen beinhaltet Innovationskompetenz – kompetente Lehrpersonen können sich dann als „Multiplikatoren von Innovationen“ (Gruber / Leutner 2003) erweisen.

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Zuletzt verändert: 21.04.2005 2:57 PM
 


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Inhaltsübersicht:

1. Professionalisierung im Lehrerberuf
1.1 Professionelle Kompetenz im Lehrerberuf
1.2 Phasenmodelle der Entwicklung professioneller Kompetenz
1.3 Lehrerbildung und Expertiseforschung
2. Berufliche Entwicklung innovativer LehrerInnen
2.1 Phasen der beruflichen Entwicklung
2.2 Unterstützende und belastende Faktoren im Berufsalltag
2.2.1 Unterstützende Faktoren
2.2.2 Belastende Faktoren
2.3 Schlüsselpersonen und Schlüsselereignisse
2.3.1 Schlüsselpersonen
2.3.3 Schlüsselereignisse
2.4 Drei zentrale Strategien für die professionelle Entwicklung und den Berufsalltag
3. Folgerungen für Professionalität und Innovation im Lehrerberuf
3.1 Lehrerbildung als biographisches Lernen
3.2 Die spezifische Situation in der Grundschule
3.3 Beachtung von Entwicklungsphasen im Lehrerberuf
3.4 Struktur des Lehrerberufs

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Herausgeber von bwp@-Spezial 2: Hubert Ertl und H.-Hugo Kremer