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bwp@ Ausgabe Nr. 22 | Juni 2012
Funktionen und Erträge pädagogischer Diagnostik im wirtschafts- und berufspädagogischen Bereich
Herausgeber der bwp@ Ausgabe 22 sind Tade Tramm, Susan Seeber & H.-Hugo Kremer

Erfassung des beruflichen Aspirationsfelds Jugendlicher – IbeA ein Diagnoseinstrument für Berufsorientierung und Forschung

Beitrag von Gaby STEINRITZ, Hans KAYSER & Birgit ZIEGLER (TU Darmstadt)


Abstract

Obwohl Experten für Berufsberatung (z.B. SAVICKAS 1995) eine berufswahltheoretische Fundierung von diagnostischen Verfahren fordern, fehlt diese vielen deutschsprachigen Instrumenten zur Unterstützung von Berufswahlprozessen. Die Ausrichtung ausschließlich an beruflichen Interessen, deren diagnostische Relevanz HOLLAND (1997; BERGMANN/ EDER, 2005) aufzeigt, vernachlässigt nach GOTTFREDSON (1981; 1996; 2002; 2005) relevantere Faktoren, wie die Passung zwischen Selbstbild und Berufskonzept bezüglich Geschlecht und Prestige. Berufliche Aspirationen entstehen danach nicht nur über bewusste Interessen, sondern auch über vorbewusste Faktoren wie den Wunsch eine bestimmte soziale Rolle in Bezug auf Geschlecht und Prestige einzunehmen. Der vorliegende Artikel legt einen Entwurf für ein digitales Instrument vor, das bewusste wie vorbewusste Faktoren von Berufswahl erfassen und so für Forschung und Berufsberatung zugänglich machen soll. Die theoretische Grundlage hierfür liefert GOTTFREDSONs ‚circumscription and compromise theory’ (1981, 1996, 2002, 2005) sowie empirische Untersuchungen, welche Kernaussagen ihrer Theorie für den deutschen Sprachraum überprüfen (RATSCHINSKI 2009; SCHMUDE 2009). Ebenso werden Befunde einer eigenen Mixed Methods Studie (KAYSER/STEINRITZ/ZIEGLER 2012a, im Druck) sowie Ergebnisse von GOTTFREDSON/LAPAN (1997) und TURNER/LAPAN (2005) zu zwei amerikanischen Instrumenten integriert. Die eigene Studie umfasst qualitative Leitfadeninterviews (N=48) und eine quantitative Fragebogenerhebung (N=1050).


Capturing the vocational aspirational fields of young people –IbeA, a diagnostic instrument for vocational orientation and research

Although experts in careers guidance (such as SAVICKAS 1995) demand a theoretical vocational choice basis from diagnostic procedures, this is absent from many German-language instruments for the support of processes of vocational choice. The exclusive orientation towards vocational interests which demonstrate diagnostic relevance as shown by HOLLAND (1997; BERGMANN/ EDER, 2005), neglects, according to GOTTFREDSON (1981; 1996; 2002; 2005), more relevant factors, such as the match between self-image and vocational concept with regard to gender and prestige. Vocational aspirations emerge not only from conscious interests, but also from pre-conscious factors such as the wish to take on a particular social role in relation to gender and prestige. This article presents an outline of a digital instrument, which aims to capture both conscious and pre-conscious factors of vocational choice, and thereby aims to be accessible for both research and careers guidance. The theoretical foundation for this is provided by GOTTFREDSON’s ‘circumscription and compromise theory’ (1981, 1996, 2002, 2005), as well as empirical studies which test the key results of the theory for the German-speaking world (RATSCHINSKI 2009; SCHMUDE 2009). Furthermore, findings from our mixed methods study are integrated (KAYSER/STEINRITZ/ZIEGLER 2012a, in print) as well as results from GOTTFREDSON/LAPAN (1997) and TURNER/LAPAN (2005) regarding two American instruments. Our own study comprises semi-structured qualitative interviews (N=48) and a quantitative survey instrument (N=1050).

 

1 Die diagnostische Relevanz beruflicher Aspirationen

Berufsberatende Praxis weist der Passung zwischen persönlichen Interessen und (beruflicher) Umwelt einen hohen Stellenwert zu. Dies scheint nach den Forschungsarbeiten von HOLLAND (1973; 1997; 1999) und der empirischen Bestätigung seiner beruflichen Interessenskonzeption nicht bestreitbar (vgl. TRACEY/ ROUNDS 1993). Das von ihm zum Einsatz in der Berufsberatung entwickelte Instrument SDS (Self-directed Search, HOLLAND 1985) wurde auch für den deutschsprachigen Raum adaptiert und findet breite Anwendung (BERGMANN/ EDER 2005; JÖRIN/ STOLL/ BERGMANN/ EDER 2003). Im Kontext der Berufsberatung wird jedoch häufig kritisiert, dass Interessensinventare lediglich bereits vorhandene Persönlichkeitseigenschaften des Individuums sowie daraus ableitbare aktuale Berufspräferenzen erfassen ohne den dahinterliegenden Prozess der Eingrenzung akzeptabler Berufe aufzudecken (vgl. GOTTFREDSON 2005, 93). Nach GOTTFREDSON (1981; 1996; 2002; 2005) entwickeln Jugendliche bereits weit vor ihrer konkreten Berufswahl, mehr oder weniger unbewusst, über Prestige- und Geschlechtszuschreibungen ein Feld akzeptabler Berufe. Sie orientieren sich beruflich weitgehend innerhalb dieses ‚Aspirationsfeldes’ und schränken somit ihre beruflichen Optionen unnötig früh ein. Kernaussagen von GOTTFREDSONs Theorie hielten bereits der Überprüfung an deutschen Sekundarschulen Stand (RATSCHINSKI 2009; SCHMUDE 2009). Doch es existiert bislang kein deutschsprachiges Instrument, um das gesamte Aspirationsfeld Jugendlicher zu erfassen. Ziel ist es daher ein Instrument zur Erfassung beruflicher Aspirationen und Interessen zu entwickeln, um diese sowohl für Forschung zum Bildungs- und Berufswahlverhalten als auch für Berufsberatung zugänglich zu machen. Dabei werden im Folgenden die Theorie GOTTFREDSONs, empirische Befunde einer eigenen Mixed Methods Studie (KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012a, im Druck) sowie Ergebnisse von GOTTFREDSON/ LAPAN (1997) und TURNER/ LAPAN (2005) zu einem für die USA entwickelten Mapping Verfahren integriert.

2 GOTTFREDSONs Eingrenzungs- und Kompromiss-Theorie

Die Eingrenzungs- und Kompromiss-Theorie [circumscription and compromise theory] von GOTTFREDSON (1981; 1996; 2002; 2005) integriert mehrere etablierte Ansätze zur Erklärung von Berufswahlverhalten. Auf der einen Seite übernimmt sie HOLLANDs (1997; 1999) Ansatz, dass berufliche Interessen Ausdruck von Persönlichkeit und relevant für Berufswahl sind. Danach lassen sich Interessen sechs Typen zuordnen: Realistic, Investigative, Artistic, Social, Enterprising und Conventional (RIASEC). Mit Hilfe dieser sechs Typen können sowohl Persönlichkeiten als auch berufliche Umwelten über einen Drei-Buchstaben-Code beschrieben werden. Auf der anderen Seite integriert GOTTFREDSON den Ansatz SUPERs (1953; 1996) von Berufswahl als einem Passungsprozess zwischen Selbstkonzept und Beruf. Diese psychologischen Perspektiven erweitert sie um eine soziologische Perspektive, indem sie zwischen einem soziologischen und einem psychologischen Selbstkonzept unterscheidet. Berufswahl ist für sie primär der Versuch eine gewünschte Rolle in einer größeren sozialen Ordnung darzustellen. Daher hält GOTTFREDSON öffentlich sichtbare Aspekte des sozialen Selbst wie Geschlechtszuschreibung, Klasse und Intelligenz für relevanter bei der Berufswahl als private, persönliche Aspekte des psychologischen Selbst wie Interessen und Werte (vgl. RATSCHINSKI 2009, 53f.). Diese Annahme stützt sie auf mehrere empirische Untersuchungen (GOTTFREDSON 1981; 1996).

Diese Dominanz des sozialen Selbstkonzeptes erklärt GOTTFREDSON über eine entwicklungspsychologische Argumentation. Mit steigenden kognitiven Fähigkeiten entwickeln Individuen ein Selbstkonzept, d.h. Vorstellungen über ihre soziale Zugehörigkeit, ihre Fähigkeiten sowie Interessen und bilden dementsprechende berufliche Präferenzen aus. Dabei entstehen Aspekte des sozialen Selbst früher als die psychologischen und sind daher eher wirksam und stärker verfestigt. Parallel dazu entwickeln Individuen Berufskonzepte – Vorstellungen von Berufen zu Strukturierung der bekannten Berufswelt. Alle Individuen innerhalb einer Gesellschaft formen dabei ähnliche Berufskonzepte hinsichtlich der Dimensionen Geschlechtstyp, Prestige und Arbeitsfeld (GOTTFREDSON 1981, 547f.). Arbeitsfeld entspricht dabei HOLLANDs RIASEC Typologie (1997). Individuen strukturieren ihre Berufskonzepte nach diesen Dimensionen auf einer kognitiven Landkarte. Diese innerhalb einer Gesellschaft universelle Landkarte kann als Koordinatensystem dargestellt werden, wobei wahrgenommenes Geschlecht und Prestige eines Berufs die beiden Achsen markieren.

In dieser kognitiven Landkarte bilden Individuen ein Feld akzeptabler Berufe, das Aspirationsfeld. Wird eine Berufsentscheidung erforderlich berücksichtigen sie nur Berufe innerhalb dieses zuvor geformten Feldes. Die Berufe, die ein Individuum zu einem bestimmten Zeitpunkt verwirklichen möchte, nennt GOTTFREDSON berufliche Aspirationen. Sie sind das Produkt aus Präferenz und wahrgenommener Zugänglichkeit (GOTTFREDSON 1996, 187). Das Aspirationsfeld entsteht in einem Prozess der Eingrenzung, in einem weitestgehend vorbewussten Abgleich von Selbstkonzept und Berufskonzept, der bereits im frühen Kindesalter beginnt. Dabei schließen Individuen schrittweise immer mehr Berufe aus. GOTTFREDSON definiert für diesen Prozess vier Entwicklungsstufen, die zur groben Orientierung nach Alter unterteilt werden. Diese Angaben sind jedoch relativ, da sie von durchschnittlicher kognitiver Entwicklung und nicht von chronologischem Alter ausgeht (GOTTFREDSON 1983, 208). Auf Stufe 1 (Alter 3-5) begreifen Kinder Berufe als Teil ihrer erwachsenen Zukunft. Sie schließen fantastische oder nicht-menschliche Rollen aus. Danach (Stufe 2 – Alter 6-8) entwickeln Kinder Vorstellungen darüber, welche Geschlechterrolle sie einnehmen möchten und welche Berufe ihnen dies ermöglichen. Hier schließen sie alle als unpassend empfundenen Berufe aus. So definieren bereits Kinder eine akzeptable Geschlechtsgrenze. Später entwickeln Kinder Vorstellungen über ihre Fähigkeiten und soziale Position im Vergleich zu anderen (Stufe 3 – Alter 9-13). Sie schließen alle Berufe aus, welche nicht das angestrebte Mindestmaß an Prestige bieten oder ihnen zu schwer zugänglich erscheinen. Kinder entwickeln so eine prestigebezogene untere Anspruchsgrenze und eine obere Anstrengungsgrenze. Im Alter von 9-13 Jahren haben Jugendliche ein Feld akzeptabler Berufe entwickelt und dabei ihre beruflichen Optionen erheblich eingeschränkt. Erst später entwickeln Jugendliche spezifische berufliche Interessen und Werte, die sie mit Berufskonzepten innerhalb ihres Aspirationsfeldes abgleichen (Stufe 4 – Alter 14+). Berufliche Interessen werden somit erst innerhalb des bereits über die Dimensionen Geschlecht und Prestige etablierten Aspirationsfeldes relevant (s. Abbildung 1).

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Abb. 1: Idealisierte Darstellung der kognitiven Landkarte eines männlichen Jugendlichen mit Aspirationsfeld und Entwicklungsstufen nach GOTTFREDSON (1981)

Wenn Individuen ihre beruflichen Aspirationen nicht verwirklichen können, müssen sie Kompromisse schließen. Die von GOTTFREDSON (1981; 1996) zugrunde gelegten Muster, nach denen Personen Kompromisse bei der Berufswahl eingehen, werden hier jedoch nicht weiter berücksichtigt, da sie weder einheitlich bestätigt werden konnten (GOTTFREDSON 1996, 209ff.; RATSCHINSKI 2009, 68ff., 141) noch für das geplante Instrument relevant sind.

3 Implikationen für die diagnostische Forschung und Praxis

GOTTFREDSONs Theorie gibt einige Anregungen für die diagnostische Forschung und Praxis. Erstens integriert sie Faktoren des Berufswahlprozesses, welche diesen Prozess schon früh beeinflussen – Geschlecht und Prestige. Zweitens verweist sie auf die Möglichkeit, dass Jugendliche ihre beruflichen Optionen z.T. unnötig früh einschränken. Zentral ist dabei die Überlegung, dass Jugendliche in ihrem Berufswahlprozess nur Berufe aus ihrem eingegrenzten Aspirationsfeld berücksichtigen. Da sich das Aspirationsfeld bereits früh und vorbewusst entwickelt, ist es aber bisher für Forschung und Berufsberatung schwer zugänglich. Mögliche Folge daraus ist, dass Jugendliche nur bereit sind ein eingeschränktes Spektrum von Berufen zu erkunden. GOTTFREDSON (1981, 565) selbst weist hier auf zwei problematische Szenarien hin: a) vorschnelle Einschränkung [foreshortened horizon] – wenn Jugendliche ihre Optionen ohne Grund begrenzen, und b) Anstrengungs-Fähigkeits-Zwickmühle [effort-ability squeeze] – wenn Fähigkeiten nicht ausreichen die eigenen Ansprüche oder beruflichen Aspirationen zu verwirklichen. Die frühe, vorbewusste Etablierung eines Feldes akzeptabler Berufe nach Geschlechtstyp und Prestige würde auch die geringen Effekte einiger Versuche erklären, Jugendliche zu geschlechtsuntypischer Berufswahl zu motivieren (für eine Auflistung vgl. TURNER/ LAPAN 2005, 527f.).

Ein Instrument, das individuelle Aspirationsfelder erfasst, würde sowohl der Grundlagenforschung bezüglich der Entwicklung von beruflicher Orientierung als auch der Berufsberatung neue Wege eröffnen. So könnten z.B. individuelle Aspirationsfelder aufgezeigt und mit den Betroffenen reflektiert werden, um Alternativen für schwer umsetzbare berufliche Aspirationen zu suchen. Darüber hinaus ermöglicht es die Entwicklung beruflicher Aspirationen und deren Einfluss auf Bildungs- und Berufswahlverhalten zu untersuchen. Die Entwicklung eines solchen Instruments birgt zwei hauptsächliche Herausforderungen: a) Die Erfassung des gesamten Aspirationsfeldes, und b) die Markierung zugrundeliegender Grenzen (GOTTFREDSON/ LAPAN 1997; KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012a). Aufgrund des vorbewussten Eingrenzungsprozesses ist anzunehmen, dass Individuen Schwierigkeiten haben, alle von ihnen ausgeschlossenen Berufe aufzulisten. Das alleinige Abfragen von Berufswünschen wie dies LEUNG und Kollegen (1990; 1993; 1994) in ihren Untersuchungen anstellten, verweist primär auf den Kern des Aspirationsfeldes. Daher scheint es plausibel Individuen mit einem Pool an Berufen zu konfrontieren, welcher repräsentativ für die allgemeine kognitive Berufslandkarte ist (s. Abschnitt 3.). Das sukzessive Einschätzen dieser Berufe bzgl. assoziiertem Geschlechtstyp, Prestige und Interesse sollte den Stand des jeweiligen Eingrenzungsprozesses simulieren können. Zwei solcher Instrumente wurden bereits für den U.S. amerikanischen Raum entworfen und getestet (GOTTFREDSON/ LAPAN 1997; TURNER/ LAPAN 2005). Um ein solches Instrument für den deutschen Sprachraum zu entwickeln, wurde eine Vorstudie (KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012b) durchgeführt.

4 Vorstudie IbeA: Stichprobe, Erhebungsinstrument und erste Ergebnisse

Neben der empirischen Absicherung theoretischer Annahmen GOTTFREDSONs für die Instrumentenentwicklung gilt es ferner den Forschungsstand im Kontext beruflicher Aspiration durch empirische Ergebnisse zu erweitern. Die zugrundeliegende empirische Untersuchung IbeA (Entwicklung eines Instruments zur Erfassung des beruflichen Aspirationsfeldes von Jugendlichen) basiert auf einem breit angelegten mixed-methods-Ansatz von qualitativen Schülerinterviews (N=48) sowie einer quantitativen Erhebung von N=1050 Individualdaten im Kreis Paderborn[1]. Die quantitative Befragung umfasst insgesamt N=959 Sekundarschüler der 6. und 10. Jahrgangsstufen sowie N=57 Schüler des Übergangssystems. Zudem wurden N=34 Studenten der Universität Paderborn als erwachsene Referenzgruppe herangezogen. Mit N=515 weiblichen (49.8%) und N=520 männlichen Befragten (50.2%) ist die Stichprobe geschlechtsspezifisch homogen. Das mittlere Alter liegt bei 14.69 (s=3.122, Range 10 bis 36) Jahren.

Der im Rahmen der quantitativen Untersuchung eingesetzte Fragebogen umfasst zwei Inhaltsbereiche: berufliche Interessen sowie berufliche Konzepte entlang der Dimensionen Geschlecht und Prestige. Zur Erfassung beruflicher Interessen wurde der validierte Itemkatalog des AIST-R nach BERGMANN/ EDER (2005) genutzt. Dieser ist weniger relevant für die konkrete Instrumentenentwicklung, soll aber späteren Analysen der Kongruenz von beruflichen Interessen und Aspirationen dienen.

Die Erfassung von Berufskonzepten sowie beruflicher Präferenzen nach den von GOTTFREDSON (1981) postulierten Dimensionen Prestige und Geschlecht erfolgte über subjektive Einschätzungen zu insgesamt 210 ausgewählten Berufen. Die 210 Berufe samt Holland-Code wurden dem deutschen Berufswahlregister (JÖRIN/ STOLL/ BERGMANN/ EDER 2003) entnommen und gleichmäßig zu je 35 Berufen pro Hollandtyp verteilt, um möglichst alle Persönlichkeitstypen gleichmäßig zu erfassen. Die getroffene Berufsauswahl orientierte sich hierbei ferner an den Daten des Berufsbildungsberichtes (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2009; BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG 2009) sowie den empirischen Studien von RATSCHINSKI (2009) und SCHMUDE (2009) zur Berücksichtigung der beliebtesten Berufe.

Zur besseren Vergleichbarkeit sind die Prestige- und Geschlechtstypeinschätzungen in Anlehnung an empirische Untersuchungen von LAPAN/ JINGELESKI (1992) sowie RATSCHINSKI (2000, 2009) entlang einer 9-stufigen Likert-Skala erfasst worden. Die Befragten sollten hierbei nur jene Berufe entlang der Dimensionen Geschlecht und Prestige einschätzen, die ihnen bekannt waren. Das zugrundeliegende Antwortformat umfasst subjektive Einschätzungen von 1 ‚Männerberuf‘ bis 9 ‚Frauenberuf’ im Kontext der Geschlechtsdimension bzw. von 1 ‚sehr niedriges Ansehen‘ bis 9 ‚sehr hohes Ansehen‘ bezüglich der Prestigeeinschätzungen. Zur Bestimmung erster Aspirationen im Sinne GOTTFREDSONs (1981) gaben die Jugendlichen des Weiteren entlang eines dichotomen Antwortformats (ja/nein) an, ob der eingeschätzte Beruf ihrerseits einen Wunschberuf darstellt. Um Urteilsverzerrungen der Jugendlichen aufgrund nachlassender Konzentration bei einer Einschätzung von 210 Berufen hinsichtlich Bekanntheit, Geschlechts- und Prestigetyp sowie Berufswunsch zu vermeiden, wurden die zu erhebenden Einschätzungen auf drei Fragebögen zu je 70 Berufen verteilt. Diese konnten zusammen mit den Items des AIST-R von allen Jugendlichen innerhalb einer Schulstunde bearbeitet werden.

Die im Rahmen der Instrumentenentwicklung zu bestimmende Zone akzeptabler Berufsalternativen basiert auf einer theoretisch postulierten und empirisch belegten Unabhängigkeit der Dimensionen Prestige und Geschlechtstyp (vgl. GOTTFREDSON 1981; RATSCHINSKI 2009; RATSCHINSKI 2011). Diese konnte mit einem nicht signifikanten Korrelationskoeffizienten von r=-.095 auch in der vorliegenden Stichprobe repliziert werden (vgl. KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012a). Demzufolge kann das zugrundliegende Konzept einer zweidimensionalen Berufsklassifikation für die Instrumentenentwicklung als legitim erachtet werden.

GOTTFREDSON geht ferner davon aus, dass Schüler verschiedener Klassenstufen und Erwachsene ähnliche Geschlechts- und Prestigetypeinschätzungen aufweisen, sodass universelle Berufskonzepte vorliegen. Diese Universalitäts-Annahme ist Voraussetzung für die breite Anwendbarkeit eines Instruments in verschiedenen Alters- und Entwicklungsgruppen. Die empirischen Untersuchungen von RATSCHINSKI (2000, 2009) konnten dies für den deutschen Sprachraum bereits empirisch bestätigen. Die Daten aus der zugrundeliegenden IbeA-Studie (KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012b) replizieren den Befund von RATSCHINSKI. Eine differenzierte Betrachtung nach unterschiedlichen Klassenstufen der Schüler zeigt allerdings, dass die mittleren Geschlechtstypkorrelationen zwischen Schülern der 6. Klasse und Erwachsenen (r=.841, p<.01) sowie Schülern der 10. Klasse und Erwachsenen (r=.939, p<.01) höher sind als die entsprechenden mittleren Prestigetypkorrelationen (r6.Klasse/Erwachsene=.706, p<.01; r10.Klasse/Erwachsene=.876, p<.01).

Insgesamt bestätigen die Ergebnisse der IbeA-Studie die Universalitäts-Annahme und darüber die allgemeine Gültigkeit einer geschlechts- und prestigebedingten Verortung von Berufen auf der von GOTTFREDSON postulierten kognitiven Landkarte. Erste Überprüfungen beruflicher Aspirationen anhand definierter Berufswünsche zeigten in Übereinstimmung mit den empirischen Befunden von SCHMUDE (2009), dass Berufspräferenzen mehrheitlich geschlechtskonform erfolgen. Während weibliche Jugendliche häufiger typisch weiblich eingeschätzte Berufe präferieren, tendieren männliche Jugendliche eher zu typisch männlichen Berufen. Zum Zusammenhang von Berufswünschen und mittleren Prestigeeinschätzungen deuten die Ergebnisse von RATSCHINSKI (2009; 2011) auf eine Prestigeüberschätzung der Wunschberufe im Sinne selbstwerterhaltender Überzeugungen hin. Auch in der vorliegenden Stichprobe neigten Jugendliche zu einer höheren Prestigeeinschätzung, wenn der zu bewertende Beruf als Wunschberuf deklariert wurde (vgl. KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012a). Wenngleich anhand der Wunschberufsangaben die akzeptable Geschlechtsgrenze des beruflichen Aspirationsfeldes angedeutet werden kann, ist die Identifikation der oberen und unteren Prestigegrenze über erfasste Berufswünsche weniger eindeutig. Dies liegt wesentlich darin begründet, dass GOTTFREDSON über das Prestige zwei verschiedene Aspirationsgrenzen integriert, einerseits die untere Anspruchsgrenze, andererseits die obere Aufwandsgrenze. Eine Methode beide Grenzen zu bestimmen muss daher erst entwickelt und über explorative Instrumentendesigns getestet werden (s. Abschnitt 6.3).

Mit der empirischen Bestätigung der dimensionalen Unabhängigkeit von Prestige und Geschlecht sowie der Universalitäts-Annahme konnten theoretische Grundvoraussetzungen für ein Instrument zur Bestimmung des Aspirationsfeldes hinreichend belegt werden. In der nächsten Projektphase gilt es nun mögliche Verfahren zu testen, die das berufliche Aspirationsfeld theoriekonform und praktikabel abbilden. Der folgende Abschnitt diskutiert und präsentiert vor dem Hintergrund der amerikanischen Versionen von GOTTFREDSON/ LAPAN (1997) sowie TURNER/ LAPAN (2005) einen ersten Instrumentenentwurf.

5 Ein Instrumenten-Design für die Erfassung beruflicher Aspirationsfelder zur Diskussion

Geplant ist ein digitales Instrument, welches das individuelle Aspirationsfeld auf der kognitiven Landkarte abbilden kann. Dies soll die schrittweise Begrenzung akzeptabler Alternativen bei der Berufswahl transparent und für die Berufsberatung zugänglich machen. Das erfordert zunächst die Darstellung einer kognitiven Landkarte und eine geeignete Auswahl an Berufen, welche die Probanden dann auf der kognitiven Landkarte platzieren (s. Abschnitt 4). Anschließend soll ein mehrstufiges Verfahren die individuellen Aspirationsgrenzen abbilden. Dabei bilden nachfolgende Überlegungen die Grundlage für die Entwicklung des Instruments.

5.1 Auswahl der Berufe

Die Auswahl der Berufe erfolgt mit dem Ziel eine universelle Einsetzbarkeit des Instruments bzgl. Alter, Geschlecht und Bildungsweg sowie zeitliche Umsetzbarkeit in der Praxis zu ermöglichen. Unter Berücksichtigung der individuellen Zugangschancen müssen sowohl Berufe mit akademischer Laufbahnorientierung als auch in Deutschland anerkannte Ausbildungsberufe integriert werden, um das berufliche Aspirationsfeld unabhängig vom objektiven Bildungsniveau und sozialisierten Präferenzen zu erfassen. Diese breite Aufstellung vorgegebener, beruflicher Aspirationsmöglichkeiten soll eine möglichst trennscharfe Abgrenzung des Feldes von als individuell akzeptabel erachteten Berufsalternativen ermöglichen. Die Begrenzung auf eine kleinere Anzahl repräsentativer Berufe soll zudem die zeitliche Anwendbarkeit in der berufsberatenden Praxis erhöhen. GOTTFREDSON/ LAPAN (1997) präsentieren in ihrem analogen Instrument insgesamt 42 Berufe, welche innerhalb von zwei Sitzungen zu je 45 Min. bearbeitet werden. In ihrem digitalen Instrument veranschlagen TURNER/ LAPAN (2005) bis zu 35 Min. für die Einschätzung von 90 Berufen. Unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen der IbeA-Studie mit je 70 von den Jugendlichen einzuschätzenden Berufen wird für das zu entwickelnde Instrument ebenfalls eine beschränkte, aber repräsentative Vorauswahl von ca. 70 Berufen angestrebt.

Sowohl GOTTFREDSON/ LAPAN (1997) als auch TURNER/ LAPAN (2005) schlagen in ihren Instrumenten eine gleichmäßige Verteilung der Berufe über die sechs Holland-Typen vor, um alle beruflichen Interessenstypen gleichmäßig abzudecken. Ferner sollten die Berufe möglichst allen Jugendlichen bekannt sein (TURNER/ LAPAN 2005, 519) sowie verschiedene Zugangsvoraussetzungen gleichmäßig abbilden. TURNER/ LAPAN (ebd.) trafen ihre Auswahl des Weiteren über die Einschätzungen einer Expertengruppe nach den Kriterien allgemeine Bekanntheit und landesweite Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt.

Als Auswahlkriterien der im Instrument zu inkludierenden Berufe dienen u.a. die IbeA-Daten über die Bekanntheit sowie mittleren Geschlechts- und Prestigeeinschätzungen der Berufe. Hierbei werden erst jene Berufe ausgeschlossen, welche den Jugendlichen am wenigsten bekannt sind. Um sicherzustellen, dass die Berufe möglichst bekannt sind, werden nur solche beibehalten, die mindestens 2/3 der Jugendlichen kennen. Zudem soll das Instrument den Jugendlichen an der „ersten Schwelle“ beim Übergang von Schule in Beruf (vgl. LEX/ ZIMMERMANN 2011; BESENER/ DEBIE/ KUTSCHA 2008) nur anerkannte Ausbildungsoptionen oder akademische Laufbahnen aufzeigen, um eine Auseinandersetzung mit faktisch erreichbaren Aspirationen zu ermöglichen. Daher werden weiterhin jene Berufe ausgeschlossen, welche weder einen in Deutschland anerkannten Ausbildungsberuf darstellen noch den Besuch einer Hochschule erfordern. Unter Berücksichtigung des Berufsbildungsberichts 2011 werden hierzu die gegenwärtig am häufigsten besetzten Ausbildungsberufe im dualen System sowie der vollzeitschulischen Berufsausbildung einbezogen (BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG 2011; BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG 2011). Ziel ist es, nicht nur von subjektiven Einschätzungen der Stichprobe auszugehen, sondern auch faktisches Berufswahlverhalten einzubeziehen. Da Personen nach jenen Umwelten streben, die der eigenen Persönlichkeitsstruktur entsprechen (HOLLAND 1985, 1997; 1999), wird zudem analog dem Vorgehen von GOTTFREDSON/ LAPAN (1997) sowie LAPAN/ TURNER (2005) eine weitestgehend homogene Verteilung der RIASEC-Persönlichkeitstypen über alle Berufe angestrebt. Letztendlich sollen die gewählten Berufe dabei sowohl die gesamte Spanne der Geschlechts- als auch der Prestigedimension abdecken.

Insgesamt kann die Anwendung des Instruments in zwei Schritte unterteilt werden. Im ersten Schritt bilden die Jugendlichen über Geschlechts- und Prestigetypeinschätzungen der Berufe ihre kognitive Landkarte ab. Im nächsten Schritt soll das individuelle Aspirationsfeld auf dieser Landkarte herausgearbeitet werden.

5.2 Abbildung einer kognitiven Landkarte von Berufen

Die kognitive Landkarte lässt sich analog zu GOTTFREDSONs Theorie als zweidimensionales Koordinatensystem mit den beiden Achsen wahrgenommenes Geschlecht und Prestige darstellen. Die beiden Dimensionen sind so angelegt, dass sie differenzierte, aber übersichtliche Urteile erlauben. In Anlehnung an bewährte Untersuchungsdesigns zur Erfassung von Berufskonzepten (LAPAN/ JINGELESKI 1992; RATSCHINSKI 2009; KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012b) wird die bereits in Abschnitt 5 erörterte 9-stufige Skalierung von Geschlechts- und Prestigetypeinschätzungen gewählt. Die Achse ‚Geschlecht’ ist zweipolig angelegt und verläuft über die Abstufung von ‚ausschließlich Männerberuf’ über ‚geschlechtsneutraler Beruf’ bis hin zu ‚ausschließlich Frauenberuf’. Die Achse ‚Prestige’ verläuft von ‚sehr geringes Prestige’ über ‚eher mittleres Prestige‘ bis ‚sehr hohes Prestige’. Hierbei sollen Jugendliche einzelnen Berufen aufgrund ihrer persönlichen Geschlechts- und Prestigeeinschätzungen eine Position in der kognitiven Landkarte zuweisen. Die Positionierung könnte per „drag&drop“ erfolgen, sodass der Anwender sofort erkennen kann, ob die gewählte Position im Koordinatensystem der tatsächlichen Einschätzung – auch in Relation zu anderen Berufen – entspricht. Abbildung 2 zeigt einen ersten, schematischen Designentwurf, wie eine solche kognitive Landkarte anhand von 32 beispielhaft positionierten Berufen dargestellt werden könnte.

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Abb. 2:         Designentwurf der kognitiven Landkarte

Zunächst präsentiert das Instrument dem Anwender einen beschränkten Pool von Berufen von denen er die ihm Bekannten nach den Dimensionen Geschlecht und Prestige einschätzen soll. Um eine bewusste Entscheidung auf Seiten des Anwenders zu stärken, ist für jede Abstufung der Geschlechts- und Prestigetypeinschätzungen ein definiertes Feld vorgesehen. So soll eine vermehrte Überlappung und eine „Beurteilungstendenz zur Mitte“ bei der Berufseinschätzung vermieden werden. Um bei Berufseinschätzungen Spielraum einzuräumen, sollen dem Anwender mehr Felder als Berufe zur Verfügung stehen (die beiden 9-stufigen Achsen bilden 81 potentielle Positionen).

5.3 Operationalisierung beruflicher Aspirationen und Integration in das Instrumentendesign

Ein erster Versuch das Feld beruflicher Aspirationen zu erfassen erfolgte in der IbeA-Studie über die Einschätzung „ja, ist ein Wunschberuf von mir“ oder „nein, ist kein Wunschberuf von mir“ für jeden der 210 Berufe. Durch die systematische Analyse jugendlicher Berufswunscheinschätzungen hinsichtlich Zustimmung oder Zurückweisung beruflicher Optionen lassen sich erste Aspirationstendenzen innerhalb bestimmter Regionen der Landkarte ableiten. Wie die Theorie GOTTFREDSONs (1997) postuliert, lässt sich das individuelle Aspirationsfeld als Abgleich von Selbstkonzept und Berufskonzept begreifen. Hierbei deuten potentielle Wunschberufe darauf hin, wie sehr ein Beruf als zum Selbstkonzept passend wahrgenommen wird. Um diese subjektiven Präferenzen von als passend bzw. unpassend wahrgenommenen Berufen und deren Verortung auf der kognitiven Landkarte identifizieren zu können, soll diese erste Begrenzung beruflicher Aspirationen anhand der Frage „Welche Berufe passen zu dir?“ in das Instrument integriert werden. Für die Umsetzung in das digitale Instrument wäre denkbar, dass die als passend empfundenen Berufe innerhalb der kognitiven Landkarte vom Anwender per Mausklick markiert und hervorgehoben werden können, sodass eine erste Begrenzung des beruflichen Aspirationsfeldes identifiziert werden kann.

Wenngleich Ergebnisse der IbeA-Studie darauf hinweisen, dass durch Angabe von Wunschberufen geschlechtsspezifisch inakzeptable Berufe ausgeschlossen werden, ist die Bestimmung der oberen Aufwands- und unteren Anspruchsgrenze weniger eindeutig. Wie in Abschnitt 5 angesprochen, integriert GOTTRFEDSON über die Prestigedimension sowohl Anspruchs- als auch Aufwandsgrenze. Die Bestimmung der oberen Prestigegrenze erfolgt nach GOTTFREDSON (1996, 1997) über die subjektive Einschätzung des zur Erreichung von beruflichen Positionen aufzuwendenden Anstrengungsniveaus. Hierbei kommt das Fähigkeits-Selbstkonzept (SHAVELSON/ HUBNER/ STANTON 1976; MEYER 1984) und die damit einhergehende, subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit berufliche Aspirationen realisieren zu können zum Tragen. Die gegenwärtige Berufswahlforschung nimmt diesbezüglich jedoch stärker Bezug auf das Konzept der Selbstwirksamkeit (vgl. GOTTFREDSON/ LAPAN 1997, TURNER/ LAPAN 2002). Dass Selbstwirksamkeitsüberzeugungen einen engen Zusammenhang zu beruflichen Interessen aufweisen und darüber weiteres Handeln beeinflussen, konnte zudem in der Forschungsliteratur von zahlreichen Autoren bekräftigt werden (z.B. BETZ/ HACKETT 1981; BETZ/ SCHIFANO 2000; TURNER/ LAPAN 2002; LENT/ BROWN/ HACKETT 1994, 1996). Die qualitativen Ergebnisse der IbeA-Studie (KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012b) zeigen, welche Bedeutung Anstrengung und Aufwand bei der Berufswahl zukommt. Jugendliche sehen Anstrengung und Aufwand primär als Grund einen Beruf auszuschließen. Sie nennen in diesem Zusammenhang zu hohen Bildungsaufwand, psychische Belastung durch zu große Verantwortung oder negative Erfahrungen sowie fehlende Voraussetzungen als Motive. Dabei unterscheiden sich die beruflichen Kontexte, welche Jugendliche als zu anstrengend einschätzen in Abhängigkeit vom Geschlecht. Männliche Jugendliche sehen zu große Anstrengung in sozial-erzieherischen Aufgaben, wohingegen dies bei weiblichen Jugendlichen stärker bei physisch-handwerklichen Tätigkeiten zutrifft.

Im Zuge des Instrumentendesigns gilt es somit die obere Aufwandsgrenze über den Bezug zu beruflichen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu definieren und zu überprüfen. Hierbei sollen Jugendliche die als passend eingeschätzten Berufe über die Fragestellung „Würdest du dir zutrauen diesen Beruf zu erreichen?“ mit einem dichotomen Antwortformat (ja/nein) einschätzen. Auf der einen Seite bezieht sich die obere Prestigegrenze auf individuell antizipierte Anstrengung, die zur Realisierung beruflicher Aspirationen nötig ist und darüber auf berufliche Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. Auf der anderen Seite richtet sich die untere Prestigegrenze auf berufsbezogene Anerkennungsbilanzen der sozialen Umwelt (vgl. GOTTFREDSON 1996; 1997). Die Einschätzung beruflicher Fähigkeiten und das eigene Vertrauen berufliche Ziele erreichen zu können werden wesentlich durch wahrgenommene Unterstützung der sozialen Umwelt bestimmt. Hierbei wird insbesondere der Unterstützung der Eltern (TURNER/ LAPAN 2002, 53; VON WENSIERSKI 2005, 79) und der Peers bei der Realisierung von beruflichen Präferenzen ein zentraler Einfluss bei der Bestimmung des beruflichen Aspirationsfeldes der Jugendlichen beigemessen. Es wird angenommen, dass die vom sozialen Umfeld antizipierte Unterstützung die prestigebezogenen Mindestanforderungen an Berufe definiert und Berufe unterhalb dieser Prestigegrenze ausgeschlossen werden. Das Instrument soll die untere Anspruchsgrenze über die Frage „Würde dein soziales Umfeld (z.B. Eltern, Freunde, Bekannte) diese Berufswahl akzeptieren und dich bei der Umsetzung unterstützen?“ mit dichotomem Antwortformat (ja/ nein) erfassen.

Das berufliche Aspirationsfeld wird insgesamt durch die Angabe von als passend empfundenen Berufen sowie der darauffolgenden Bestimmung der oberen Aufwands- und unteren Anspruchsgrenze eindeutig identifiziert. Ein im Kontext des Instrumentendesigns beispielhaft resultierendes berufliches Aspirationsfeld ist in Abbildung 3 farblich hervorgehoben. In einem ersten Schritt werden berufliche Aspirationen auf die als passend empfundenen Berufe begrenzt; alle als unpassend eingeschätzten Berufe treten verblasst in den Hintergrund. Hierbei lässt sich die akzeptable Geschlechtsgrenze erkennen. So werden in der angeführten Abbildung 3 beispielsweise, geschlechtsneutrale bis typisch weiblich eingeschätzte Berufe ausgeschlossen. Als nächstes werden die als passend empfundenen Berufe hinsichtlich der Selbstwirksamkeit sowie der antizipierten, sozialen Unterstützung eingeschätzt, um die obere Aufwands- und untere Anspruchsgrenze aufzuzeigen. Ausgehend vom beispielhaft skizzierten Aspirationsfeld werden Berufe, die man sich nicht zutraut, durch eine rote Markierung ausgeschlossen. Berufe, bei denen man keine Unterstützung des sozialen Umfeldes erwartet, werden durch blaue Markierungen ausgeschlossen. Das daraus resultierende eingegrenzte Aspirationsfeld ist beispielhaft in Abbildung 3 durch einen orangefarbenen Hintergrund hervorgehoben.

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Abb. 3:   Abbildung eines hypothetischen, beruflichen Aspirationsfeldes

6 Ausblick

Die für die Instrumentenentwicklung notwendigen theoretischen Voraussetzungen, wie der dimensionsspezifischen Unabhängigkeit und der Universalität von Berufskonzepten, konnten anhand der empirischen Ergebnisse der IbeA-Studie bestätigt werden (vgl. KAYSER/ STEINRITZ/ ZIEGLER 2012). Der nächste Schritt wäre die digitale Umsetzung des Konzepts sowie dessen Erprobung. Es gilt zunächst den gesamten Ablauf des Programms in einem Drehbuch zu protokollieren. Dabei müssen sowohl die Operationalisierung der Eingrenzung des Aspirationsfeldes, als auch die Praktikabilität des hier erörterten Instrumentenentwurfs an einer Stichprobe überprüft werden. Unter Berücksichtigung dieser Testergebnisse wird das Design ggf. angepasst. Neben den inhaltlichen Fragestellungen zur Erfassung des beruflichen Aspirationsfeldes müssen ferner aktive Bedienelemente und Menüfunktionen festgelegt und in das Design integriert werden. Ergebnisse der Tests als auch der weiteren Entwicklung sollen in weiteren Beiträgen diskutiert werden. Das finale Instrument soll es ermöglichen besonders die Randbereiche des Aspirationsfeldes für die Berufsberatung abzubilden und so den Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, weitere Optionen zu reflektieren.

 

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[1]    Da die Arbeitsgruppe zum Zeitpunkt der Erhebung in Paderborn arbeitete, wurde dieser Kreis aufgrund des leichteren Feldzugangs gewählt. 

 

 


Zitieren dieses Beitrages

 

STEINRITZ, G. et al. (2012): Erfassung des beruflichen Aspirationsfelds Jugendlicher – IbeA, ein Diagnoseinstrument für Berufsorientierung und Forschung. In: bwp@ Berufs- und Wirtschaftspädagogik – online, Ausgabe 22, 1-16. Online: http://www.bwpat.de/ausgabe22/steinritz_etal_bwpat22.pdf  (26-06-2012).

 


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