Partner von bwp@: 
  SAP University Alliances Community (UAC)   giz - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit    Bundesverband der Lehrerinnen und Lehrer an Wirtschaftsschulen e.V.    Österr. Konferenz für Berufsbildungsforschung       

bwp @ Spezial 5 | September 2011
Hochschultage Berufliche Bildung 2011
Herausgeber der bwp@ Spezial 5 sind Thomas Bals & Heike Hinrichs

Kurzvorträge
Herausgeberin: Margit Ebbinghaus


Titel:
Facettenvielfalt der Übergänge in der beruflichen Bildung


Übergang in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung in der Schweiz

Beitrag von Evi SCHMID & Philipp GONON (Universität Zürich)

Abstract

Die Berufsbildung in der Schweiz befindet sich zurzeit in einer Phase der Neuorientierung. Nachdem das im Jahr 2004 in Kraft gesetzte Berufsbildungsgesetz vielfältige Reformen ausgelöst hat, fokussiert die neuere Debatte die Stellung der höheren Berufsbildung im Bildungssystem. Der Übergang in die Tertiärstufe erweist sich als eine Fragestellung, die sowohl die neu geschaffenen Berufsmaturitäten, die zum prüfungsfreien Zugang in eine Fachhochschule berechtigen, als auch die höhere Berufsbildung, die im Anschluss an eine berufliche Grundbildung und berufliche Erfahrung erfolgt, betrifft. Die höhere Berufsbildung umfasst Abschlüsse der höheren Fachschulen, daneben aber auch Diplome und Zeugnisse auf der Ebene von höheren Fach- und Berufsprüfungen. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zum Übergang von einer Berufsausbildung in eine Tertiärausbildung zeigen, dass bis sieben Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule lediglich 11% der Absolventinnen und Absolventen einer dualen Berufsausbildung eine Tertiärausbildung begonnen haben. Absolventinnen und Absolventen einer schulischen Berufsausbildung steigen demgegenüber deutlich häufiger in einer Tertiärausbildung ein, so vorwiegend in eine Ausbildung an einer Fachhochschule. Im folgenden Beitrag wird weiter untersucht, welche Faktoren den Eintritt in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung bestimmen, sowie diskutiert, inwiefern die höhere Berufsbildung einer stärkeren bildungspolitischen Förderung bedarf.

1 Das Berufsbildungssystem in der Schweiz

Die Berufsbildung in der Schweiz ist mehrheitlich als duales System organisiert, das heißt, dass Betrieb und Schule, ergänzt durch überbetriebliche Kurse, die beiden zentralen Pfeiler der beruflichen Bildung ausmachen. Ein besonderes Interesse galt in den letzten Jahren dem Übergang von der beruflichen Grundbildung in weiterführende Bildungsgänge, insbesondere denjenigen, die nicht an eine universitäre Hochschule führen. Dieser Übergang von der beruflichen Grundbildung in die höhere Berufsbildung steht im folgenden Beitrag im Fokus. Im Folgenden wird zuerst das Schweizer Berufsbildungssystem beschrieben.

1.1 Berufsbildung auf Sekundarstufe II

Das Bildungssystem in der Schweiz ist im Allgemeinen kantonal geprägt. Ähnlich den deutschen Bundesländern obliegt die „Kulturhoheit“ bzw. die Bildung traditionellerweise den Kantonen. Einzig die Berufsbildung hat sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zu einer Domäne des Bundes entwickelt, allerdings in Zusammenarbeit mit den Berufsverbänden (neu als „Organisationen der Arbeitswelt“ bezeichnet) und den Kantonen. Im Jahre 2006 wurde durch eine Volksabstimmung ein Zusatz (Artikel 61a) in die Verfassung aufgenommen, der Bund und Kantone zur Zusammenarbeit im „Bildungsraum Schweiz“ verpflichtet und sie darüber hinaus zu einer Politik der Gleichwertigkeit hinsichtlich gesellschaftlicher Anerkennung allgemeinbildender und berufsbezogener Bildungswege anhält.

In der Schweiz beginnen innerhalb von zwei Jahren nach der obligatorischen Schulzeit rund zwei Drittel der Schulabgängerinnen und -abgänger eine Berufsausbildung (HUPKA 2003, 35). Die Berufsbildung hat somit in der Schweiz − vor allem in der Deutschschweiz − eine sehr grosse Bedeutung und einen grossen Stellenwert inne. Maturitätsschulen wie das Gymnasium werden mit einem guten Fünftel der Schulabgängerinnen und -abgänger deutlich seltener besucht.

Vor allem in der Deutschschweiz findet die Berufsausbildung meistens in Form einer zwei-, drei- oder vierjährigen beruflichen Grundbildung im dualen System statt. Nur Rund 17% aller Berufsausbildungen finden in Form von Ausbildungen an beruflichen Vollzeitschulen statt (BBT 2011, 12). Dabei handelt es sich etwa um die Handelsmittelschule (HMS) oder um Informatikmittelschulen.

Im Zuge der Fachhochschulreform wurde 1994 die Berufsmaturität eingeführt (GONON 1994; 1997). Vor allem leistungsstarke Jugendliche haben damit die Möglichkeit, in Ergänzung zu einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) ein berufliches Maturitätszeugnis zu erwerben und so im Anschluss an ihre Ausbildung prüfungsfrei in die Fachhochschule überzutreten. Die Berufsmaturitätsschule kann entweder während der beruflichen Grundbildung (BMS 1) oder nach deren Abschluss (BMS 2) absolviert werden. Die Einführung der Berufsmaturität kann als Erfolgsmodell bezeichnet werden: Bis ins Jahr 2005 ist die Berufmaturitätsquote konstant gestiegen. Seit 2005 stagniert sie allerdings bei rund 12% (BBT 2011, 16). Die Übertrittsquote von der Berufsmaturität an die Fachhochschule beläuft sich auf rund 50%, wobei nur rund 20% direkt nach Abschluss der Berufsmaturität an die Fachhochschule übertreten (BBT 2011, 16).

Zu erwähnen sind schliesslich die Diplom- und Fachmittelschulen: Die Diplommittelschulen, die aus den Töchter- und Handelsschulen entstanden sind und deren Wurzeln bis weit ins 19. Jahrhundert zurück reichen, haben früher als Zubringerschulen für Ausbildungen im erzieherischen, paramedizinischen und sozialen nichtuniversitären Tertiärbereich gedient (SKBF 2010, 164). In den letzten Jahren sind die Diplommittelschulen in die Fachmittelschulen überführt worden und können heute mit einer Fachmaturität abgeschlossen werden (SKBF 2010, 164). Die Ausbildungen an den früheren Diplom- und heutigen Fachmittelschulen bieten keinen berufsqualifizierenden Abschluss, sondern haben das Ziel, eine vertiefte Allgemeinbildung zu vermitteln (SKBF 2010, 166). Aufgrund ihrer Geschichte sowie aufgrund der Tatsache, dass die Fachmaturität nicht zum Zugang zu einer universitären Hochschule, sondern zur Aufnahme eines Studiums an einer höheren Fachschule oder einer Fachhochschule berechtigen, können diese Ausbildungen aber auch als Mischform zwischen Berufsbildung und Allgemeinbildung bezeichnet werden.

1.2 Berufsbildung auf Tertiärstufe: Tertiär A und Tertiär B

Das Bildungswesen in der Schweiz war in seinen Grundzügen traditionellerweise in zwei Stränge gegliedert: einen in quantitativer Hinsicht kleinen gymnasialen Bereich mit Hochschulzugangsberechtigung und einen weitaus grösseren „Rest-Bereich“, in dem vorwiegend berufliche Bildung und Weiterbildung organisiert worden sind. Klares Unterscheidungsmerkmal war also der für eine Elite vorgesehene Erwerb der (gymnasialen) Hochschulreife gegenüber einer beruflichen Bildung, die durch weiterbildende Zusatzqualifikationen ergänzt werden konnte.

In den 90er Jahren hat sich dieses Bild insofern geändert, als mit der Schaffung der Berufsmaturität (dank einer Revision der Berufsmittelschulverordnung 1993, vgl. dazu GONON 1997) und der Fachhochschulen (gemäss Fachhochschulgesetz aus dem Jahre 1995) ein bedeutender Sektor beruflicher Bildung Hochschulzugangsberechtigung erhielt. Allerdings ergab sich dadurch eine Trennung innerhalb der Berufsbildung, so nämlich zwischen dem Bereich mit Hochschulzugang und demjenigen ohne. Die Maturität als Hochschulreife ist nun das Kriterium, das regulär den Zugang zur Hochschule regelt, sei es mit einer fachgebundenen Berufsmaturität an eine Fachhochschule oder mit einer gymnasialen Maturität an eine Universität oder die eidgenössische technische Hochschule (ETH). Daneben besteht mit den höheren Fachschulen und dem Ausbau von Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen ein Bereich, der als Zugangsvoraussetzung ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) und in der Regel mehrjährige Berufspraxis vorschreibt. Die höhere Berufsbildung ist somit der einzige Teil des tertiären Bildungswesens, der keine Maturität als Zugangsvoraussetzung verlangt (vgl. z.B. SKBF 2010, 244). Die höhere Berufsbildung wurde lange als Weiterbildung oder als postsekundäre Bildungsmassnahme bezeichnet. Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz, das im Jahr 2004 in Kraft gesetzt worden ist, wurde die höhere Berufsbildung nun dem Tertiärbereich zugeordnet. Die höhere Berufsbildung, auch Tertiär B genannt, sollte damit auf die gleiche Stufe wie Universitäten, eidgenössische technische Hochschulen, Fachhochschulen oder pädagogische Hochschulen gestellt werden.

Die Tertiärstufe in der Schweiz kann somit in zwei Bereiche unterteilt werden: einen hochschulischen Bereich (Tertiär A), dem die kantonalen universitären Hochschulen, die eidgenössischen technischen Hochschulen, die Fachhochschulen (inkl. den pädagogischen Hochschulen) zuzuordnen sind, sowie einen nichthochschulischen Bereich (Tertiär B), dem die höheren Fachschulen sowie die eidgenössischen Berufs- und höheren Fachprüfungen angehören (vgl. Abbildung 1).

 Initiates file download

Abb. 1:   Das Schweizer Bildungssystem (BBT, 2011, 5)

In der Berufsbildung hat der nicht-hochschulische Tertiärbereich eine wichtige Funktion: Eidgenössische Berufs- und Fachprüfungen sowie auch höhere Fachschulen bieten Personen mit Berufserfahrung die Möglichkeit, sich beruflich weiterzubilden, ihre praktischen Fähigkeiten auch mit theoretischen Fachkenntnissen zu verbinden und Führungs- oder Fachfunktionen zu übernehmen. Jährlich schliessen in der Schweiz gut 26'000 Personen eine Ausbildung im Bereich höhere Berufsbildung ab (BFS 2010, 42). Knapp die Hälfte davon geht auf das Konto der Berufsprüfung (diese entspricht der früheren „Gesellenprüfung“): Im Jahr 2009 haben gut 12'000 Personen einen eidgenössischen Fachausweis erhalten (BFS 2010, 45). Die häufigsten Abschlüsse sind hier: Ausbildner/in, Polizist/in, Personalfachmann/-frau, Marketingplaner/in, Fachmann/-frau Finanz- und Rechnungswesen sowie Technische/r Kaufmann/-frau (SKBF 2010, 248). Eidgenössische Diplome, also Abschlüsse einer höheren Fachprüfung (diese entspricht der früheren "Meisterprüfung") wurden im Jahr 2009 gut 2'600 ausgestellt (BFS 2010, 48). Die wichtigsten Abschlüsse einer höheren Fachprüfung sind Wirtschaftsprüfer/in, Informatiker/in, Verkaufsleiter/in, Landwirt/in Meister sowie Experte/Expertin für Rechnungslegung und Controlling. Die Zahl der Abschlüsse höherer Fachschulen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Jahr 2009 wurden über 7'000 Diplome höherer Fachschulen ausgestellt. Im Jahr 2008 waren es noch gut 4'000 gewesen. Rund ein Drittel der Diplome betrifft Ausbildungen im Gesundheitsbereich, gefolgt von Ausbildungen im Bereich Technik sowie Wirtschaft (BFS 2010, 50). Hinzu kommen schliesslich Abschlüsse, die vom Bund noch nicht geregelt sind (SKBF 2010, 247).

Das Profil von Personen, die über einen Abschluss im Bereich der höheren Berufsbildung verfügen, bietet gegenüber Personen, die "lediglich" ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) besitzen, deutliche Vorteile: So sind Erstere durchschnittlich besser in den Arbeitsmarkt integriert, also häufiger erwerbstätig, beziehen ein höheres Gehalt, verfügen über eine höhere hierarchische Stellung und profitieren von flexibleren Arbeitsbedingungen (BFS 2009, 18ff.). Schlechter gestellt sind Personen, die einen Abschluss im Bereich der höheren Berufsbildung anstreben, hingegen in Bezug auf die Finanzierung ihres Studiums: Angebote der höheren Berufsbildung sind in der Regel von den Berufsverbänden bzw. Organisationen der Arbeitswelt getragen und damit deutlich schwächer subventioniert als Angebote öffentlicher Hochschulen. Studierende der höheren Berufsbildung sind deshalb finanziell und zeitlich oft stark belastet und auf Unterstützung aus dem privaten und beruflichen Umfeld angewiesen (SCHÄRRER/ FRITSCHI/ DUBACH/ OESCH 2009). Die Finanzierung der höheren Berufsbildung ist denn auch ein seit einigen Jahren kontrovers diskutiertes Thema in der Schweizer Bildungspolitik (vgl. z.B. HAGENBÜCHLE 2011; NZZ 2010). Auch die Positionierung der höheren Berufsbildung im Bildungssystem und die Anerkennung ihrer Abschlüsse im Ausland sind bis heute ungeklärt: Im Ausland werden höhere Qualifikationen ausschliesslich auf akademischem Weg erworben. Die Abschlüsse der höheren Berufsbildung sind im Ausland deshalb oft unbekannt, was für Inhaberinnen und Inhaber von eidgenössischen Fachausweisen oder Diplomen – gegenüber Personen mit Bachelor- oder Masterabschluss – zu Benachteiligungen führen kann, nicht nur im Ausland.

1.3 Tertiärquote im internationalen Vergleich

Folge der starken Dominanz beruflicher Bildung in der Schweiz ist eine – im internationalen sowie im europäischen Vergleich – relativ tiefe Tertiärquote: Gemäss neuen Zahlen der OECD (vgl. OECD 2009) liegt die Quote der Hochschulabschlüsse bei rund 31% – und damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 48,1% und dem EU-Durchschnitt von 44,4%. Gefordert werden von der OECD deshalb verstärkte Investitionen in höhere Qualifikationen. Auch in der Schweiz werden solche oder ähnlich Forderungen gestellt. So wird unter anderem etwa gefordert, die Tertiärquote bis zum Jahr 2030 auf 70% zu erhöhen (ZIMMERLI/ MALAGUERRA/ KÜNZLI/ FISCHER 2009, 18). Dabei wird allerdings oft ausser Acht gelassen, dass Abschüsse auf der Tertiärstufe nicht nur den hochschulischen Bereich (Tertiär A), sondern auch den nicht-hochschulischen Bereich (Tertiär B) umfassen (vgl. Kapitel 1.2). Werden diese Ausbildungen bei der Berechnung der Tertiärquote berücksichtigt, liegt die Schweiz mit rund 50% sogar knapp über dem OECD-Durchschnitt (OECD 2009). Der Tertiärbereich, der durch das Berufsbildungsgesetz geregelt ist, leistet damit einen wichtigen Beitrag zum tertiären Ausbildungsbereich in der Schweiz. Ungeachtet der Bedeutung der nicht-hochschulischen Tertiärausbildungen, ist dieser Bereich sowie der Übergang in diesen jedoch bisher kaum untersucht worden.

2 Die Untersuchung

2.1 Fragestellungen

Gemäss den oben referierten Merkmalen und Herausforderungen des Schweizer Bildungssystems interessieren uns folgende Fragen:

1.   Wie viele Personen steigen, nach Abschluss einer Berufsausbildung auf Sekundarstufe II, zwischen 2001 und 2007 in eine Tertiärausbildung ein?

2.   Welchen Einfluss haben Merkmale der Familie (z.B. Bildungshintergrund der Eltern, Migrationshintergrund) sowie des bisherigen Bildungsverlaufs (z.B. Schultyp auf Sekundarstufe I, Lesekompetenz[1], Ausbildungssituation im ersten Jahr nach Schulaustritt) auf den Eintritt in eine Tertiärausbildung?

3.   Welche Unterschiede zeigen sich zwischen Tertiär A- und Tertiär B-Ausbildungen:

a.  Welche Faktoren bestimmen den Eintritt in eine akademische Tertiär-Ausbildung (Tertiär A)?

b.  Welche Faktoren bestimmen den Eintritt in eine nicht-akademische Tertiär-Ausbildung (Tertiär B)?

2.2 Daten und Analysemethoden

2.2.1 Das Projekt TREE

Für die Analysen stützen wir uns auf die Daten der Jugendlängsschnittstudie TREE (Transitionen von der Erstausbildung ins Erwerbsleben, vgl. dazu TREE 2008). TREE verfolgt seit dem Jahr 2000 den Werdegang von über 6000 jungen Erwachsenen, die in diesem Jahr an der Leistungsmessungsstudie PISA (Programme for International Student Assessment) teilgenommen, und im gleichen Jahr die obligatorischen Schule verlassen haben. Zwischen 2001 und 2007 wurden die Jugendlichen in jährlichem Abstand detailliert über ihre Ausbildungs- und Erwerbstätigkeiten, ihre Gesundheit, Zufriedenheit und Befindlichkeit, aber auch über Aspekte wie Werthaltungen, soziale Unterstützung oder Drogenkonsum befragt. Ziel ist es, Informationen über Chancen und Risiken beim Übergang in die Sekundarstufe II, im Verlauf der Ausbildung und beim Übertritt in die Tertiärausbildung oder in den Arbeitsmarkt zu gewinnen, sowie auch mehr über die persönliche, soziale und gesundheitliche Situation von jungen Menschen auf ihrem Weg vom Jugend- ins Erwachsenenalter zu erfahren.

Die Stichprobe ist auf nationaler und sprachregionaler Ebene repräsentativ für den rund 80’000 Personen umfassenden Abgangsjahrgang des Schuljahrs 1999/2000. TREE erreichte hohe wellenspezifische Rücklaufquoten von 85-90%.

Das Projekt ist am Institut für Soziologie der Universität Basel angesiedelt und wird grösstenteils vom Schweizerischen Nationalfonds sowie von der Universität Basel getragen. TREE versteht sich als nationales Forschungsnetzwerk, an dem sich auch externe Forscherinnen und Forscher verschiedener Disziplinen beteiligen können. Zahlreiche Ergebnisse, so vor allem zum Übergang zwischen Schulaustritt und Ausbildungen auf Sekundarstufe II, sind bereits veröffentlicht und finden sich auf der Projekt-Webseite (http://tree.unibas.ch).

2.2.2 Analysestichprobe

Analog zu den oben dargelegten Fragestellungen, schliessen wir in unsere Stichprobe jene Personen mit ein, die auf Sekundarstufe II eine Ausbildung im Bereich der Berufsbildung abgeschlossen haben. Dazu zählen wir, nebst drei- oder vierjährigen beruflichen Grundbildungen, die zu einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) führen, auch schulische Ausbildungen wie die Handelsmittelschule, die Berufsmaturität sowie die Diplom- und Fachmittelschule (vgl. Kapitel 1).

Personen, die den allgemeinbildenden Weg gewählt und mit einer gymnasialen Maturität abgeschlossen, sowie Personen, die (noch) keinen Abschluss auf Sekundarstufe II haben, werden nicht berücksichtigt. Nicht berücksichtigt werden auch Personen, die eine Anlehre oder eine zweijährige berufliche Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) absolviert haben: Diese niederschwelligen Ausbildungen berechtigen nicht zur Aufnahme einer Tertiärausbildung.

Für die folgenden Analysen stützen wir uns – mit einer Ausnahme – jeweils auf den ersten Abschluss, der im Bereich Berufsbildung auf Sekundarstufe II gemacht worden ist (und nicht beispielsweise auf den höchsten). Personen, die mehrere Abschlüsse auf der Sekundarstufe II gemacht haben, werden somit mit ihrem ersten Abschluss kodiert. Einzig Personen, die – parallel zum EFZ oder ein Jahr später – eine Berufsmaturität erworben haben, werden zur Gruppe der Berufsmaturandinnen und -maturanden gezählt – und damit nicht zu den Personen mit EFZ. In der Gruppe der Personen mit EFZ hat es demnach nur solche, die keine Berufsmaturität besitzen, oder sie erst zwei Jahre nach Abschluss der beruflichen Grundbildung oder noch später erworben haben.

Insgesamt sind es gewichtet 64% der Jugendlichen mit Schulabschluss im Jahr 2000, die irgendwann zwischen 2001 und 2007 (mindestens) einen Abschluss im Bereich der Berufsbildung auf Sekundarstufe II erworben haben. Dazu gehören 47%, die mit einem EFZ (ohne Berufsmaturität), und 10%, die mit einer Berufsmaturität (zusätzlich zum EFZ) abgeschlossen haben. 4% haben die Diplom- oder Fachmittelschule abgeschlossen, und 3% ein Handelsmittelschuldiplom erworben (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1: Erster Bildungsabschluss auf Sekundarstufe II 2001-2007; relative Häufigkeiten (gewichtet)

Abschluss auf Sekundarstufe II

%

Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ)

47%

Berufsmaturitätszeugnis

10%

Diplom Diplom-/Fachmittelschule

4%

Diplom Handelsmittelschule

3%

Anlehrausweis/Eidgenössisches Berufsattest (EBA)

1%

Gymnasiales Maturitätszeugnis

19%

Total Abschlüsse Sekundarstufe II

84%

Kein nachobligatorischer Bildungsabschluss

16%

Total

100%


Weiter haben 19% der Jugendlichen ein gymnasiales Maturitätszeugnis erworben, und 1% hat eine Anlehre oder eine zweijährige berufliche Grundbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) abgeschlossen. Damit haben insgesamt 84% der jungen Erwachsenen bis im Jahr 2007, also 7 Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule, eine Ausbildung auf der Sekundarstufe II abgeschlossen (zur Abschlussquote auf Sekundarstufe II vgl. auch KELLER/ HUPKA-BRUNNER/ MEYER 2010, 11). Jugendliche, die eine gymnasiale Maturität, einen Anlehrausweis oder ein eidgenössisches Berufsattest erworben haben, werden für die folgenden Analysen jedoch nicht berücksichtigt. Die Ausgangsstichprobe für unsere Analysen umfasst damit gewichtet 2546 Jugendliche, die irgendwann zwischen 2001 und 2007 eine Berufsausbildung auf Sekundarstufe II abgeschlossen haben.

Um Verzerrungen infolge Panel-Attrition zu kompensieren, wird bei den Analysen eine Panel-Gewichtung verwendet (SACCHI 2008).

3 Ergebnisse

3.1 Deskriptive Ergebnisse

Sieben Jahre nach Verlassen der obligatorischen Schule haben 21% der Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen nach Abschluss ihrer Berufsausbildung eine Tertiärausbildung begonnen: 12% haben eine Ausbildung im Bereich Tertiär A, also eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder einer Universität begonnen, 9% haben sich für eine Ausbildung im Bereich Tertiär B, also eine Ausbildung an einer höheren Fachschule oder den Abschluss einer eidgenössischen Berufsprüfung oder einer eidgenössischen höheren Fachprüfung entschieden (Tabelle 2).

Tabelle 2 illustriert, dass der Eintritt in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung sehr stark vom Typ der absolvierten Ausbildung auf Sekundarstufe II abhängt: So beginnen Jugendliche nach Abschluss einer schulischen Ausbildung, also einer Berufmaturität, einer Diplom-, Fach-, oder Handelsmittelschule, deutlich häufiger eine Tertiärausbildung als Jugendliche nach dem Erwerb eines eidgenössischen Fähigkeitszeugnisses (EFZ), also nach Abschluss einer meist dualen Berufsausbildung. Von den Letzteren haben – bis sieben Jahre nach Schulaustritt – lediglich 11% eine Tertiärausbildung begonnen: 8% eine Ausbildung im Bereich Tertiär B, 3% eine Tertiär A-Ausbildung. Diese jungen Erwachsenen benötigen nach Abschluss ihrer dualen Berufsausbildung zuerst entweder mehrere Jahre Berufserfahrung, um eine Ausbildung im Bereich Tertiär B absolvieren zu können, oder sie müssen – um eine Ausbildung an einer Fachhochschule aufnehmen zu können –, die Berufsmaturität nachholen (vgl. Kapitel 1).

Tabelle 2: Eintritt in eine Tertiärausbildung bis 2007; relative Häufigkeiten

 

Tertiär A

Tertiär B

keine Tertiär-ausbildung

Total

EFZ

3%

8%

89%

100%

Berufsmatura

42%

10%

48%

100%

DMS/FMS

41%

14%

45%

100%

HMS

22%

12%

66%

100%

Total

12%

9%

79%

100%


Deutlich häufiger steigen vor allem Diplommittelschul- sowie Fachmittelschulabsolventinnen und -absolventen in eine Tertiärausbildung ein: Mit 55% ist es insgesamt mehr als die Hälfte, die bereits sieben Jahre nach Schulaustritt eine solche Ausbildung begonnen hat. Die Mehrheit von ihnen (41%) absolviert eine Ausbildung an einer Fachhochschule oder einer Universität. Dies ist nahe liegend, berechtigen doch das frühere Diplommittelschuldiplom sowie das Fachmittelschuldiplom zum Eintritt in eine Fachhochschule. Eine Ausbildung im Bereich Tertiär B haben bis im Jahr 2007 14% der ehemaligen Diplom- und Fachmittelschülerinnen und -schüler begonnen.

Fast ebenso häufig wie Diplommittelschul- sowie Fachmittelschulabsolventinnen und -absolventen beginnen junge Erwachsene nach dem Erwerb des Berufsmaturitätszeugnisses eine Tertiärausbildung: 42% steigen in eine akademische Tertiärausbildung ein (Tertiär A), 10% in eine nicht-akademische (Tertiär B). Auch dies ist nahe liegend: Der Erwerb des Berufsmaturitätszeugnisses berechtigt zum prüfungsfreien Zugang zu den Fachhochschulen.

Von den Handelsmittelschulabsolventinnen und -absolventen hat bis sieben Jahre nach Schulaustritt ein gutes Drittel eine Tertiärausbildung begonnen: 22% eine Tertiär A-Ausbildung, 12% eine Tertiär B-Ausbildung.

3.2 Determinanten des Einstiegs in eine Tertiärausbildung

Warum beginnen einige Jugendliche – bereits in den ersten Jahren nach Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarstufe II – eine Ausbildung auf Tertiärstufe, während andere dies nicht bzw. noch nicht tun? Welchen Effekt haben Geschlecht, Migrationshintergrund oder Lesekompetenz auf diesen Entscheid? Diesen Fragen sind wir mittels binär logistischer Regression nachgegangen. Die Analysen werden in zwei Modellen gerechnet: In einem ersten Modell wird zusätzlich zu den Merkmalen aus Familie und Schule das Merkmals dual versus nicht dual, das heisst, vollzeitschulisch, berücksichtigt. Erst in einem zweiten Schritt werden dann mit drei Dummy-Variablen die Angaben zur Art des Diploms, das auf Sekundarstufe II erworben worden ist, beigefügt. Da ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) auch in vollzeitschulischen Ausbildungen erworben werden kann (z.B. in Lehrwerkstätten), enthalten diese Variablen unterschiedliche Informationen Die Ergebnisse sind in Tabelle 3 dargestellt.

Von den Einflussgrössen des Bereichs Familie und Schule haben – unter Kontrolle aller anderen Faktoren (Modell 2) – zwei Faktoren einen direkten Effekt auf den Übertritt in eine Tertiärausbildung. Dies ist zum einen die Lesekompetenz, gemessen im Rahmen von PISA (vgl. dazu OECD/ PISA 2001): Je höher die Lesekompetenz im letzten Jahr der obligatorischen Schule, desto grösser die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung. Mit Erhöhung einer Lesekompetenzstufe erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Tertiäreintritts um den Faktor 1.5. Die Leistungen am Ende der obligatorischen Schulzeit – zumindest diejenigen im Lesen – sind also im Hinblick auf den weiteren Bildungsverlauf noch Jahre später von Bedeutung.

Einen signifikanten Effekt auf den Übertritt in eine Tertiärausbildung hat weiter auch der familiäre Bildungshintergrund: Jugendliche, bei denen mindestens ein Elternteil einen Abschluss auf Tertiärstufe erworben hat, haben eine grössere Chance darauf, nach einer Berufsausbildung in eine Tertiärausbildung einzusteigen als Jugendliche, deren Eltern beide keinen Abschluss auf Tertiärniveau besitzen. Der familiäre Bildungshintergrund hat somit nicht nur einen Einfluss auf die Übertrittschancen an der ersten Schwelle (vgl. z.B. SACCHI/ HUPKA-BRUNNER/ STALDER/ GANGL 2011), sondern auch auf diejenigen an der zweiten Schwelle.

Die Sprachregion, der besuchte Schultyp auf Sekundarstufe I, das Geschlecht sowie der Migrationshintergrund der Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben – unter Kontrolle aller anderen Faktoren – keinen direkten Effekt auf die Wahrscheinlichkeit, nach einer Berufsausbildung in eine Tertiärausbildung einzusteigen. Auch die Ausbildungssituation im ersten Jahr nach Schulaustritt hat – nach Zugabe der Art des Diploms, das auf Sekundarstufe II erworben worden ist – keinen direkten Effekt auf die Chance auf einen Tertiäreintritt. Wichtig sind hingegen vor allem die Merkmale der besuchten Ausbildung bzw. des Diploms auf Sekundarstufe II. Dies ist zum einen das Merkmal dual versus nicht dual, das heisst, vollzeitschulisch (Modell 1): Fand die Ausbildung, die auf Sekundarstufe II absolviert worden ist, an zwei bzw. drei Lernorten statt, verringert sich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiärausbildung um den Faktor 0.52: Jugendliche, die eine duale Berufsausbildung abgeschlossen haben, haben somit – im Vergleich zu Jugendlichen, die eine vollzeitschulische Ausbildung besucht haben – eine rund halb so grosse Chance auf einen Tertiäreintritt. Dieser Effekt verschwindet allerdings nach Zugabe des Typs des Diploms, das auf Sekundarstufe II erworben worden ist (Modell 2): So haben Jugendliche, die ein Berufsmaturitätszeugnis, ein Diplomittelschul-, Fachmittelschul- oder ein Handelsmittelschuldiplom erworben haben, eine deutlich grössere Wahrscheinlichkeit, in eine Tertiärausbildung einzusteigen, als Jugendliche, die ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) erworben haben.

Tabelle 3: Determinanten des Eintritts in eine Tertiärausbildung

 

Model 1

Model 2

Prädiktoren

Exp(B)

Exp(B)

Familie und Schule

 

 

 

 

Sprachregion: deutsch (vs. lateinisch)

n.s.

 

n.s.

 

Schultyp Sek. I: erweiterte Anforderungen (vs. Grundanf.)

1.43

*

n.s.

 

Geschlecht: Frau (vs. Mann)

n.s.

 

n.s.

 

Lesekompetenz (PISA)

1.74

*

1.50

***

Bildung Eltern: Tertiärausbildung (vs. keine Tertiärausbildung)

1.50

**

1.38

*

Migrationshintergrund: kein Migrationshintergrund

 

 

 

 

   vs. 1.. Generation

n.s.

 

n.s.

 

   vs. 2.. Generation

n.s.

 

n.s.

 

Ausbildung 2001: in zert. Sek. II-Ausbildung

 

 

 

 

   vs. keine Ausbildung

0.19

*

n.s.

 

   vs. nicht-zert. Ausbildung (Brückenangebot)

0.52

***

n.s.

 

Sekundarstufe II

 

 

 

 

dual (vs. nicht dual/Vollzeitschulisch)

0.52

***

n.s.

 

Sek. II-Diplom: eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ)

 

 

 

 

   vs. Berufsmaturitätszeugnis

 

 

4.51

***

   vs. Diplom-/Fachmittelschuldiplom

 

 

7.02

***

   vs. Handelsmittelschuldiplom

 

 

3.48

***

Nagelkerke R2

16.8%

25.6%

N=2292; *: p<.05; **: p<.01; ***: p<.001; n.s.: nicht signifikant

3.3 Tertiär A versus Tertiär B

Die bisher referierten Ergebnisse zeigen die Chance auf den Eintritt in eine Tertiärausbildung insgesamt – unabhängig davon, ob es sich um eine Ausbildung im Bereich Tertiär A oder um eine Ausbildung im Bereich Tertiär B handelt. Im Folgenden untersuchen wir nun die Wahrscheinlichkeit eines Tertiäreintritt getrennt für Tertiär A- sowie Tertiär B-Ausbildungen: Welche Faktoren bestimmen den Eintritt in eine Tertiär A-Ausbildung? Welche den Eintritt in eine Tertiär B-Ausbildung? Weisen akademische sowie nicht-akademische Tertiärausbildungen unterschiedliche Eintrittsstrukturen auf? Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine multinominale logistische Regression gerechnet. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4 dargestellt.

Betrachten wir zuerst die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiär A-Ausbildung – im Vergleich dazu, zumindest im untersuchten Zeitraum, gar keine Tertiärausbildung zu beginnen (Tabelle 4). Vergleicht man Jugendliche, die eine Tertiär A-Ausbildung begonnen haben, mit jenen, die keine Tertiärausbildung begonnen haben, so zeigen sich insgesamt sechs Merkmale, die einen bestimmenden Effekt auf die Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Wichtig ist zum einen der auf Sekundarstufe I absolvierte Schultyp: Jugendliche, die auf Sekundarstufe I eine Schule mit erweiterten Anforderungen besucht haben, haben – unabhängig davon, welche Ausbildung auf Sekundarstufe II absolviert worden ist – eine rund doppelt so grosse Chance auf den Eintritt in eine Tertiär A-Ausbildung wie Jugendliche, die auf Sekundarstufe I eine Schule mit Grundanforderungen besucht haben. Der Schultyp auf Sekundarstufe I ist auch im Hinblick auf den Übergang an der ersten Schwelle ein wichtiger Prädiktor – und zwar unabhängig von der effektiven Schulleistung (vgl. z.B. SACCHI et al., 2011).

Wichtig ist im Hinblick auf den Eintritt in eine akademische Tertiärausbildung weiter auch das Geschlecht der Jugendlichen: So haben junge Frauen nach einer Berufsausbildung eine um den Faktor 0.67 kleinere Chance auf den Eintritt in eine Tertiär A-Ausbildung als junge Männer. Dieses Ergebnis erstaunt auf den ersten Blick, wissen wir doch, dass die Frauen insgesamt in Bezug auf ihre Hochschulbeteiligung inzwischen mit den Männern gleichgezogen haben (vgl. z.B. BFS 2010, 64ff.). Da unsere Untersuchungsstichprobe nur Personen umfasst, die auf Sekundarstufe II eine Berufsausbildung absolviert haben (vgl. Kapitel 2), bedarf dieses Ergebnis einer differenzierteren Interpretation. Offenbar, so lassen unsere Ergebnisse vermuten, wird der Weg in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung – trotz höherer Tertiärbeteiligung der Frauen insgesamt – vorwiegend von Männern genutzt. Frauen wählen – gehen sie denn in eine Tertiärausbildung – häufiger den allgemeinbildenden Weg über das Gymnasium (vgl. SKBF 2010, 79).

Einen direkten Effekt auf die Chance, in eine Tertiär A-Ausbildung einsteigen zu können, hat weiter auch die Lesekompetenz: Je höher die Lesekompetenz, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, nach Abschluss einer Berufsausbildung ein Studiums an einer Fachhochschule oder einer Universität aufzunehmen bzw. aufnehmen zu können.

Einen grossen Effekt haben schliesslich vor allem die Merkmale der Ausbildung bzw. des Diploms, das auf Sekundarstufe II erworben worden ist: Jugendliche, die ein Berufsmaturitätszeugnis, ein Diplommittelschul-, Fachmittelschul- oder ein Handelsmittelschuldiplom erworben haben, haben eine um ein Vielfaches grössere Chance, in eine Tertiär A-Ausbildung einzusteigen als Jugendliche, die ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis erworben haben (vgl. dazu Kapitel 1).

Die Sprachregion, der familiäre Bildungshintergrund, der Migrationshintergrund sowie die Ausbildungssituation im ersten Jahr nach Schulaustritt haben keinen direkten Effekt auf die Chance, nach Abschluss einer Berufsausbildung in eine Tertiär A-Ausbildung einsteigen zu können.

Welche Faktoren sind nun bestimmend darauf, in eine Ausbildung im Bereich Tertiär B einzusteigen? Während im Bereich Tertiär A eine ganze Reihe von Merkmalen einen bedeutsamen Effekt auf die Eintrittschance in eine solche Ausbildung aufweist, ist dies im Hinblick auf den Eintritt in eine Tertiär B-Ausbildung nur ein Merkmal (Tabelle 3): Je grösser die Lesekompetenz im neunten Schuljahr der obligatorischen Schule, desto grösser – auch Jahre später – die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Ausbildung im Bereich Tertiär B im Vergleich dazu, gar keine Tertiärausbildung zu beginnen. Die Sprachregion, der besuchte Schultyp auf Sekundarstufe I, das Geschlecht, der familiäre Bildungshintergrund, der Migrationshintergrund sowie die Ausbildungssituation im ersten Jahr nach Schulaustritt haben keinen direkten Effekt auf die Chance, nach Abschluss einer Berufsausbildung in eine Tertiär B-Ausbildung einsteigen zu können. Auch die Art des Diploms, das auf Sekundarstufe II erworben worden ist, ist im Hinblick auf den Eintritt in eine nicht-akademische Tertiärausbildung – im Vergleich zum Eintritt in akademische Tertiärausbildungen – nicht bestimmend.

Tabelle 4:  Determinanten des Eintritts in eine Tertiär A- bzw. Tertiär B-Ausbildung

 

Tertiär A
vs. keine Tertiär­ausbildung

Tertiär B
vs. keine Tertiär­ausbildung

Prädiktoren

Exp(B)

Exp(B)

Familie und Schule

 

 

 

 

Sprachregion: deutsch (vs. lateinisch)

n.s.

 

n.s.

 

Schultyp Sek. I: erweiterte Anforderungen (vs. Grundanf.)

2.04

*

n.s.

 

Geschlecht: Frau (vs. Mann)

0.67

*

n.s.

 

Lesekompetenz (PISA)

1.39

***

1.68

***

Bildung Eltern: Tertiärausbildung
(vs. keine Tertiärausbildung)

n.s.

 

n.s.

 

Migrationshintergrund: kein Migrationshintergrund

 

 

 

 

   vs. 1.. Generation

n.s.

 

n.s.

 

   vs. 2.. Generation

n.s.

 

n.s.

 

Ausbildung 2001: in zert. Sek. II-Ausbildung

 

 

 

 

   vs. keine Ausbildung

n.s.

 

n.s.

 

   vs. nicht-zert. Ausbildung (Brückenangebot)

n.s.

 

n.s.

 

Sekundarstufe II

 

 

 

 

dual (vs. nicht dual/Vollzeitschulisch)

n.s.

 

n.s.

 

Sek. II-Diplom: eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ)

 

 

 

 

   vs. Berufsmaturitätszeugnis

12.20

***

n.s.

 

   vs. Diplom-/Fachmittelschuldiplom

14.29

***

n.s.

 

   vs. Handelsmittelschuldiplom

5.35

***

n.s.

 

Nagelkerke R2

32.0%







N=2292; *: p<.05; **: p<.01; ***: p<.001; n.s.: nicht signifikant

4 Fazit und Diskussion

Zum Übergang von einer Berufsausbildung auf Sekundarstufe II in eine Tertiärausbildung gibt es bislang kaum Untersuchungen. Dies ist zum einen sicher damit zu begründen, dass berufliche Grundbildungen auf der Sekundarstufe II – zumindest früher – primär als Ausbildungen zur Vermittlung von berufsspezifischen Fähigkeiten und Fertigkeiten konzipiert worden sind und den Einstieg in die Erwerbstätigkeit erleichtern sollten (Harney & vom Hau, 2008). Heute wird die Berufsbildung jedoch nicht mehr ausschliesslich als Vorbereitung einer beruflichen Tätigkeit, sondern auch als Zugang zu verschiedenen Ausbildungen im Tertiärbereich konzipiert. Ausgangspunkt dieser Entwicklung sind etwa die Einführung der Berufsmaturität Anfang der 90er-Jahre sowie die Öffnung des Hochschulzugangs durch die Einführung der Fachhochschulen und der Passerelle (WETTSTEIN/ GONON 2009).

Die hier referierten Ergebnisse zeigen, dass der Übertritt in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung − im Vergleich zum traditionellen akademischen Bereich − alles andere als selbstverständlich und oft nicht unmittelbar erfolgt. Weiter zeigt sich, dass Jugendliche, die bereits in der beruflichen Bildung mehr schulische Anteile haben, eher geneigt sind, in eine tertiäre Ausbildung einzusteigen als Jugendliche, die eine ausschliesslich duale Ausbildung absolviert haben. Es lassen sich daher grob zusammengefasst folgende Ergebnisse festhalten:

1.   Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung hängt stark vom Typ der absolvierten Ausbildung auf Sekundarstufe II ab.

2.   Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiär B-Ausbildung ist höher nach Abschluss einer schulischen Berufsausbildung als nach Abschluss einer dualen Berufsausbildung.

3.   Nach Abschluss einer schulischen Berufsausbildung wählen die meisten Jugendlichen, die sich für eine Tertiärausbildung interessieren, den Zugang zu einer Tertiär A-Ausbildung. Schulische Berufsausbildungen führen vergleichsweise selten zum Eintritt in eine Tertiär B-Ausbildung.

4.   Auch EFZ-Absolventinnen und -Absolventen beginnen − zumindest in den ersten Jahren nach Abschluss − vergleichsweise selten eine Tertiär B-Ausbildung.

5.   Die Lesekompetenzen, gemessen am Ende der obligatorischen Schule, erweisen sich auch Jahre später als wichtige Prädiktoren beruflicher Laufbahnentscheidungen junger Erwachsener.

6.   Auch das Geschlecht und der familiäre Bildungshintergrund sind im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts in eine Tertiärausbildung von Bedeutung.

Ein zentraler Befund unserer Analyse weist darauf hin, dass die Angebote im Bereich der höheren Berufsbildung von jungen Erwachsenen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung − zumindest in den ersten Jahren nach Abschluss − bislang relativ selten genutzt werden. Dieses Ergebnis darf nicht überbewertet werden: Es ist bekannt, dass Studierende der höheren Berufsbildung bei Aufnahme ihres Studiums im Durchschnitt rund 30 Jahre alt sind und dass die meisten zwischen dem Bildungsabschluss auf Sekundarstufe II und dem Eintritt in die höhere Berufsbildung eine Bildungspause einlegen (SCHÄRRER/ FRITSCHI/ DUBACH/ OESCH 2009). Hingegen zeigt sich, dass sich auch Berufsmaturandinnen und -maturanden in den ersten Jahren nach ihrem Abschluss bei Weitem nicht immer für eine Ausbildung an einer Fachhochschule entscheiden, so zumindest im Vergleich zur Übertrittsquote vom Gymnasium an universitäre Hochschulen (vgl. dazu SKBF 2010, 130). Damit stellt sich die Frage, ob sich die Hochschulzugänge für den Bereich der beruflichen Bildung nachhaltig als Option etabliert haben. Ausser Frage steht, dass Ausbildungen im Tertiär B-Bereich der Förderung und stärkeren bildungspolitischen Einbettung bedürfen, um sich neben den Tertiär A-Ausbildungen auch künftig behaupten zu können. Angesprochen sind damit vor allem die Positionierung und die Finanzierung der höheren Berufsbildung, die derzeit kontrovers diskutiert werden (vgl. z.B. HAGENBÜCHLE 2011).

Für den Eintritt in eine hochschulische Tertiärausbildung sind vor allem schulische Merkmale wichtig: Der Typ der Ausbildung auf Sekundarstufe I sowie der Typ der Ausbildung auf Sekundarstufe II. Diese formalen Bildungstitel sind im Hinblick auf Tertiär B-Ausbildungen weniger wichtig. Das Tor zu Weiterbildungen der höheren Berufsbildung steht somit grundsätzlich allen Erwachsenen mit nachobligatorischem Bildungsabschluss offen, unabhängig davon, um welche Art von Ausbildung es sich handelt. Von besonderer Bedeutung sind hier die Berufserfahrung sowie − dies zeigen unsere Analysen − die Lesekompetenz: Mit tiefen Lesekompetenzen ist die Chance klein, eine Tertiärausbildung aufnehmen zu können bzw. zu wollen, auch im nichthochschulischen Bereich.

Kritisch zur Auswertung unsrer Daten ist allerdings folgendes anzumerken:

  • Unsere Datenanalysen erlauben bislang Aussagen zum Tertiäreintritt bis sieben Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule, also maximal vier Jahre nach Abschluss einer Ausbildung auf Sekundarstufe II. Diese Zeitspanne ist sehr kurz. Besonders Personen, die eine Ausbildung im Bereich Tertiär B absolvieren, tun dies − unter anderem aufgrund der erforderlichen Berufserfahrung − meist erst einige Jahre nach Ausbildungsabschluss. Der Eintritt in Ausbildungen im Bereich Tertiär B müsste somit unbedingt einige Jahre später noch einmal untersucht werden.
  • Unsere hier referierten Analysen gehen der Frage nach dem Eintritt in verschiedene Tertiärausbildungen nach. Nicht berücksichtigt werden konnte dabei − auch dies aufgrund der zu kurzen Zeitspanne − die Frage nach dem Abschluss solcher Ausbildungen.
  • Interessant wäre es, in künftigen Analysen auch Absolventinnen und Absolventen einer gymnasialen Maturität zu berücksichtigen: Auch diese können sich ja für den Abschluss einer Ausbildung im Bereich Tertiär B entscheiden. Interessant wäre hierbei der Vergleich mit den Diplom- und Fachmittelschulabsolventinnen und -absolventen.

Alles in allem zeigt sich, dass die höhere Berufsbildung − ähnlich wie auch in Deutschland und Österreich − auch künftig im Zusammenhang mit der nationalen und internationalen Anerkennung und dem Europäischen Qualifikationsrahmen ein bildungspolitisch wichtiges Thema bleiben wird.

Literatur:

BBT (2011): Berufsbildung in der Schweiz 2011. Fakten und Zahlen. Bern.

BFS (2009): Personen mit einem Abschluss der höheren Berufsbildung auf dem Arbeitsmarkt. Neuchâtel.

BFS (2010): Bildungsabschlüsse 2009. Sekundarstufe II und Tertiärstufe. Neuchäel.

GONON, P. (1994): Die Einführung der "Berufsmatura" in der Schweiz als Prüfstein einer Neuorientierung von Allgemeinbildung und Berufsbildung. Zeitschrift für Pädagogik, 40, 3, 389-404.

GONON, P. (1997): Berufsmatur: wie kam's dazu? Eine bildungspolitische Rekonstruktion. schweizer schule, 11, 3-10.

HAGENBÜCHLE, W. (2011): Physiker gleich teuer wie eine Hotelfachfrau? Der Arbeitnehmerverband Travail Suisse heizt die Debatte zur Förderung der höheren Berufsbildung an. Neue Zürcher Zeitung NZZ, 99.

HARNEY, K./ VOM HAU, M. (2008): Between market and organization: historical and empirical dimensions of vocational education in Germany (or: Do firms train 'Arbeitskraftunternehmer'?). In: GONON, P./ KRAUS, K./ OELKERS, J./ STOLZ, S. (Hrsg.): Work, education and employability. Studien zur Berufs- und Weiterbildung. Band 4. Bern.

HUPKA, S. (2003): Ausbildungssituation und Verläufe: Übersicht. In: BFS/ TREE (Hrsg.): Wege in die nachobligatorische Ausbildung. Die ersten zwei Jahre nach Austritt aus der obligatorischen Schule. Zwischenergebnisse des Jugendlängsschnitts TREE. Neuchâtel, 33-58.

KELLER, A./ HUPKA-BRUNNER, S./ MEYER, T. (2010): Nachobligatorische Ausbildungsverläufe in der Schweiz: Die ersten sieben Jahre. Ergebnisübersicht des Jugendlängsschnitts TREE, Update 2010. Basel.

NZZ (2010, 26.5.2010): Eine Erfolgsgeschichte mit Ecken und Kanten. Kontroverse Debatten und harte Verteilkämpfe bei höherer Berufsbildung, Weiterbildung und Lehrstellen. Interview mit Ursula Renold und Christine Davatz-Höchner. Neue Zürcher Zeitung NZZ, 7.

OECD (Hrsg.) (2009): Bildung auf einen Blick. Paris.

OECD/ PISA (Hrsg.) (2001): Lernen für das Leben. Erste Ergebnisse von PISA 2000. Ausbildung und Kompetenzen. Paris.

SACCHI, S. (2008): TREE-Längsschnittgewichtung: Konstruktion und Anwendung. Dokumentation zu den acht Erhebungswellen 2000-2007. Bern.

SACCHI, S./ HUPKA-BRUNNER, S./ STALDER, B. E./ GANGL, M. (2011): Die Bedeutung von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund für den Übertritt in anerkannte nachobligatorische Ausbildungen in der Schweiz. In: BERGMAN, M. M./ HUPKA-BRUNNER, S./ KELLER, A./ MEYER, T./ STALDER, B. E. (Hrsg.): Transitionen im Jugendalter. Ergebnisse der Schweizer Längsschnittstudie TREE. Zürich, 120-156.

SCHÄRRER, M./ FRITSCHI, T./ DUBACH, P./ OESCH, T. (2009): Finanzflüsse in der höheren Berufsbildung – eine Analyse aus Sicht der Studierenden. Zusammenfassung. Bern.

SKBF (2010): Bildungsbericht Schweiz 2010. Aarau.

STALDER, B. E./ MEYER, T./ HUPKA-BRUNNER, S. (2008): Leistungsschwach – Bildungsarm? Ergebnisse der TREE-Studie zu den PISA-Kompetenzen als Prädiktoren für Bildungschancen in der Sekundarstufe II/Are low achievers necessarily dropouts? PISA scores as predictors of upper secondary graduation. Findings from the Swiss PISA follow-up TREE. Die Deutsche Schule, 100, 4, 438-451.

TREE (Hrsg.) (2008): Projekt-Dokumentation 2000-2008. Bern, Basel.

WETTSTEIN, E./ GONON, P. (2009): Berufsbildung in der Schweiz. Bern.

ZIMMERLI, W. C./ MALAGUERRA, C./ KÜNZLI, R./ FISCHER, M. (2009): Zukunft Bildung Schweiz. Anforderungen an das schweizerische Bildungssystem 2030. Bern.


[1]  Das Projekt PISA (Programme for International Student Assessment) der OECD misst mit international standardisierten Instrumenten die Kenntnisse und Fähigkeiten von 15-jährigen Jugendlichen in den drei Bereichen Lesekompetenzen, Mathematik, Naturwissenschaften. Im ersten PISA-Zyklus (2000) ging es schwerpunktmässig um die Lesefähigkeiten von Jugendlichen am Ende der obligatorischen Schulzeit. Wie bisherige Untersuchungen zeigen, erweist sich die Lesekompetenzen im letzten Jahr der obligatorischen Schule als wichtiger Prädiktor für nachobligatorische Bildungschancen (z.B. HUPKA 2003; STALDER/ MEYER/ HUPKA-BRUNNER 2008). Die Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften werden für die folgenden Analysen nicht berücksichtigt.


Zitieren dieses Beitrages

SCHMID, E./ GONON, P. (2011): Übergang in eine Tertiärausbildung nach einer Berufsausbildung in der Schweiz. In: bwp@ Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011, Kurzvorträge, hrsg. v. EBBINGHAUS, M., 1-17. Online: http://www.bwpat.de/ht2011/kv/schmid_gonon_kv-ht2011.pdf (26-09-2011).



Hochschultage Berufliche Bildung 2011 - Web page

http://www.hochschultage-2011.de/